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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


13. Der Vampir

Es war einmal eine alte Frau in einem Dorfe. Bei dieser versammelten sich mehrere junge Mädchen, die spannen und machten während der langen Winterabende gemeinsame Arbeiten. Es kamen auch junge Burschen zu ihr, die mit den Mädchen scherzten, sich herumbalgten und küßten. Aber eine hatte keinen Geliebten, der mit ihr scherzte und sie küßte. Und das war gerade die Tochter eines reichen Rumänen. Bis zum dritten Tage wagte sich niemand an sie heran. Sie blickte auf alle die Mädchen ihres Alters und wunderte sich, daß mit ihr sich keiner zu schaffen machte. Dieses Mädchen war schön, so schön, wie man sich nicht vorstellen kann.

Da kam einmal ein schöner junger Bursche und nahm sie in seine Arme, küßte sie und setzte sich zu ihr, bis der Hahn am Morgen krähte.

Und als der Hahn in aller Frühe gekräht hatte, ging er weg. Die alte Frau, bei der er zu Gaste gewesen war, bemerkte, daß er Hahnenfüße hatte. Sie hatte die Füße des jungen Burschen gesehen und sagte: »Niza, Mädchen, hast du etwas bemerkt?« — »Ich habe nicht aufgepaßt.« — »Wenn ich mich nicht irre, hatte er Hahnenfüße.« — »Laß mich in Ruhe, Mütterchen, ich habe nichts gesehen.« Das Mädchen kam nach Hause, schlief, stand wieder auf und begab sich wiederum zum Spinnabend ins Haus der Alten, wo noch mehr Mädchen



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waren und gemeinsame Arbeiten verrichteten. Wieder sind die jungen Burschen gekommen, und jeder hat sich seine Geliebte wieder geholt, und sie haben sie geküßt und sind beieinander geblieben bis zu einer gewissen Zeit, und dann sind sie nach Hause gegangen. Auch zu dem schönen Mädchen kam der junge Bursche wieder, nahm es in die Arme, küßte und liebkoste es und blieb bis Mitternacht bei ihm. Da krähte der Hahn, und als der junge Bursche ihn hörte, verschwand er. Was sagte die Alte, die im Häuschen saß? »Niza, hast du bemerkt, daß er Pferdefüße hatte?« — »Ob er sie hatte oder nicht, ich habe nichts gesehen.« Und dann ging das Mädchen wieder zu den Ihren nach Hause, und es schlief und stand in aller Frühe wieder auf und hat dann die Arbeit verrichtet, die ihm zukam. Und die Nacht kam, und das Mädchen nahm seinen Spinnstab in die Hand und ging zur Alten ins Bordeiu. Auch die andern Mädchen kamen wieder. Es kamen auch die Burschen, und jeder legte die Hand um seine Geliebte. Aber das schöne Mädchen blickte neidisch auf sie, denn sein Geliebter war nicht gekommen. Dann sind die jungen Burschen wieder nach Hause aufgebrochen, und es blieb mir nichts, dir nichts das Mädchen allein zurück. Und siehe, da kam der junge Bursche des Mädchens, sein Geliebter. Was wollte es machen, das junge, schöne Mädchen? Es blieb. Aber diesmal nahm es ihm heimlich Maß und steckte ihm eine Nadel mit Zwirn in den Rücken. Er ging wieder weg, als der Hahn krähte, und niemand erfuhr, wohin er sich begeben hatte. Da sprang in aller Frühe das Mädchen auf und machte sich zurecht, nahm den Zwirn und ging der Spur des Fadens nach. Da sah es seinen Geliebten in einer Grube, wo er unten zusammengekauert lag. Zu Tode erschrocken eilte das Mädchen nach Hause zu seinen Eltern. Doch gegen Abend kam der junge Bursche, der in der Grube lag, wieder zum Bordeiu der Alten, und als er sah, daß das Mädchen ferngeblieben war, fragte er die Alte: »Wo ist Niza?« So hieß das Mädchen. »Sie ist nicht gekommen.« Dann ging er zu Niza



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ins Haus, wo sie wohnte, und rief: »Niza, hier bist du? Niza, antworte mir, sage mir, was hast du gesehen, als du in die Kirche gingst? Wenn du es mir nicht sagst, werde ich deinen Vater töten.« — »Ich habe nichts gesehen.« Darauf sah er ihren Vater und tötete ihn und ging wieder in seine Grube. Doch gegen Abend kam er wieder. »Niza, sage mir, was hast du gesehen?« Niza sagte: »Ich habe nichts gesehen.« — »Sage mir's ja, denn ich werde deine Mutter töten, wie ich deinen Vater getötet habe; sage mir, was hast du gesehen? «—» Nichts habe ich gesehen.« Da tötete er auch ihre Mutter und ging dann wieder in seine Grube. In aller Frühe erhob sich das Mädchen. Es hatte zwölf Diener, und es sagte zu ihnen: »Seht, ich habe viel Geld und viele Ochsen und viele Schafe. Die sollen alle euch zwölfen gehören. Euch will ich das alles schenken, denn ich werde heute abend sterben. Es falle auf euch der Fluch, wenn ihr mich nicht im Walde bei dem bestimmten Apfelbaum begrabt.« Und Niza beschrieb ihnen den Apfelbaum.

Und nachts kam der junge Bursche aus seiner Grube und fragte sie wieder: »Niza, bist du zu Hause?« Sie sagte: »Ich bin zu Hause.« — »Sage, Niza, was hast du vor drei Tagen gesehen? Ich werde dich töten, wie ich deine Eltern getötet habe.« — »Ich habe dir nichts zu sagen.« Darauf machte er sich daran und tötete sie. Als er sie tot liegen sah, ging er wieder in seine Grube.

Als am Morgen in aller Frühe die Diener aufstanden, fanden sie Niza tot. Die Diener hoben sie auf und kleideten sie an, wie es sich geziemte. Und sie standen und machten ein Loch in die Wand, und führten die Leiche durch die Wand' und geleiteten sie nach jenem Orte in den Wald und gruben sie bei dem Apfelbaume ein.

Ein halbes Jahr verging. Da geschah es, daß ein junger Kaisersohn mit Windhunden auf die Hasenjagd ging. Er ging



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auf die Jagd, und die Windhunde sprangen im Walde umher und stießen auch auf das Grab des Mädchens. Und schau! Gerade an der Stelle, wo des Mädchens Kopf lag, war eine Blume emporgesprossen, die so schön war, wie du sie in keinem Kaiserreich wiederfindest. Dann legten sich die Windhunde auf das Grab und fingen an zu bellen und schnüffelten am Grabe des Mädchens. Darauf fing der Kaisersohn an, die Hunde mit dem Horne zu rufen. Doch die Hunde kamen nicht. Da sagte der Kaisersohn zu seinen Dienern: »Geht schnell dorthin!« Da erhoben sich vier Jagdgenossen, und sie kamen dorthin und sahen die Blume, die wie eine Kerze leuchtete. Sie gingen wieder zurück zu ihm. Er fragte sie: »Was ist dort?« — »Dort ist eine Blume, die ich seit Menschengedenken noch nicht gesehen habe«, sagte einer. Als das der junge Prinz hörte, ging er zum Grabe des Mädchens. Er sah die Blume und brach sie. Er kam nach Hause und zeigte sie seinem Vater und seiner Mutter und dann steckte er sie in einen Becher am Kopfende seines Bettes, in welchem er schlief. Nachts, als er schlief, erhob sich die Blume aus dem Becher und überschlug sich und verwandelte sich in ein schönes Mädchen. Und die Schöne nahm den jungen Burschen und küßte ihn, sie biß ihn, sie balgte sich mit ihm und schlief in seinen Armen und legte ihre Hand unter seinen Kopf. Doch der Kaisersohn wußte von alledem nichts. Denn als der Tag dämmerte, wurde sie wiederum zur Blume. Frühmorgens erhob sich der Jüngling. Er war krank und jammerte seiner Mutter und seinem Vater: »Mir tut der Rücken und der Kopf so weh.« Und seine Mutter ging hinaus und holte eine Wahrsagefrau herbei, daß sie ihn bespreche. Er bat darum, daß man ihm zu essen und zu trinken gebe. Und er ging seiner Arbeit wieder nach, die er hatte. Und gegen Abend kam er wieder nach Hause. Er aß und trank, legte sich aufs Lager, und es überkam ihn der Schlaf. Da erhob sich die Blume wieder und wurde wieder zum Mädchen, und das Mädchen nahm ihn wieder in die Arme, schlief mit ihm und lag in seinen



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Armen, während er schlief. Dann kehrte sie wieder in den Becher zurück. Und als er erwachte, schmerzten ihm seine Knochen. Er sagte es seinem Vater und seiner Mutter. Da paßte sein Vater auf und sagte seiner Gemahlin: »Es mag sein, daß etwas Merkwürdiges mit der Blume ist, denn seitdem die Blume ins Haus gekommen ist, ist der Junge ganz krank. Sehen wir einmal bis heute abend zu und gehen wir beiseite und beobachten, wer zu unserem Knaben kommt.« Es brach die Nacht herein, und es erhob sich der Prinz vom Mahle und legte sich aufs Bett zum Schlafe. Da stand das Mädchen wieder aus dem Becher auf und wurde so schön wie keines auf der ganzen Welt, so schön, wie die Flamme der Kerze leuchtet. Und als seine Mutter und sein Vater, der Kaiser, das Mädchen sahen, legten sie die Hand auf das schöne Mädchen. Da erwachte der Knabe aus dem Schlaf, und er sah das Mädchen, das so schön war. Und er küßte es, und sie legten sich ins Bett, und er schlief bis zum frühen Morgen mit dieser seiner Geliebten. Er machte Hochzeit, und sie aßen, und sie tranken, und die Leute staunten über solch einen schönen Mann, und solch ein schönes Mädchen hatten sie noch nirgends, in keinem Kaiserreich gesehen. Und sie lebten zusammen ein halbes Jahr. Nach dieser Zeit gebar seine junge Gemahlin einen Knaben von Gold mit zwei Äpfeln in der Hand. Und das gefiel dem Kaisersohn sehr.

Davon hörte ihr früherer Geliebter, der Vampir, der sie einmal geliebt und sie getötet hatte. Er machte sich auf und ging zu ihr und fragte sie: »Niza, sage mir, was hast du bei mir gesehen?« Niza sagte: »Ich habe nichts gesehen.« —»Sage mir es ehrlich, denn ich werde deinen Knaben, meinen jungen Herrn töten, wie ich deinen Vater und deine Mutter getötet habe, sage mir die Wahrheit.« — »Ich habe dir nichts zu sagen.« Darauf tötete er ihren kleinen Knaben. Und sie erhob sich und brachte ihn in die Kirche und begrub ihn. Wieder kam gegen Abend der Vampir und fragte sie: »Niza, was hast du gesehen?« — »Ich habe nichts gesehen.« — »Sage mir, sonst



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werde ich deinen Herrn töten, den du zum Manne genommen hast.« Da erhob er sich, und Niza sagte: »Das geschieht nicht, daß du meinen Herrn tötest. Gebe Gott, daß du gleich verrecktest.« Als der Vampir hörte, daß Niza sagte, daß er gleich verrecken solle, starb er und zerbarst vor Arger. In aller Frühe stand Niza auf und sah auf der Tenne Blut, soviel wie zwei Hände voll. Da befahl Niza ihrem Schwiegervater, daß er ihm so schnell wie möglich das Herz herausreiße. Als das ihr Schwiegervater, der Kaiser, hörte, überlegte er nicht lange und nahm das Herz heraus und legte es in Nizas Hände. Sie aber ging zum Grabe ihres Kindes und erweckte das Kind. Sie legte das Herz aufs Grab hin, und das Kind stand auf. Dann begab sich Niza zu ihrem Vater und zu ihrer Mutter und rieb sie mit jenem Blute ein, und siehe da, sie erhoben sich. Als Niza das sah, erzählte sie alles, was ihr widerfahren, und was durch die Hand des Vampirs geschehen war.


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