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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DER PRINZESSIN VON DARJABÂR

Auf einer Insel steht eine große Stadt, Darjabâr geheißen, und in ihr lebte ein König von hoher Würde. Aber trotz seiner Tugend und Tapferkeit war er immer traurig und betrübt, da er keine Nachkommen hatte, und deshalb sandte er unablässig Gebete empor. Nach langen Jahren und vielem Beten wurde ihm eine halbe Gnade gewährt, nämlich eine Tochter, und zwar ich selbst. Mein Vater, der zuerst sehr traurig war, war aber doch bald von hoher Freude erfüllt über meine unselige, unglückliche Geburt; und als ich alt genug war, um zu lernen, befahl er. mich lesen und schreiben zu lehren; auch ließ er mich unterrichten in höfischer Sitte, in königlichen Pflichten und in den Annalen der Vergangenheit, mit der Absicht, daß ich ihm einst folgen sollte als die Erbin seines Thrones und seiner Herrschaft. Nun begab es sich eines Tages, daß mein Vater auf die Jagd ritt und einem Wildesel mit solch hitzigem Eifer nachsetzte, daß er sich am Abend von seinem Gefolge getrennt fand; ermüdet durch den Ritt, sprang er nun von seinem Rosse und setzte sich an einem Waldpfade nieder, indem er sich sagte: ,Der Wildesel wird sicher in diesem Dickicht Unterschlupf suchen.' Plötzlich aber sah er ein Licht, das hell zwischen den Bäumen erglänzte, und da er glaubte, ein Weiler wäre in der Nähe, entschloß er sich, dort zu nächtigen und mit Tagesanbruch über seinen weiteren Weg zu entscheiden. So erhob er sich denn, und wie er auf das Licht zuschritt. erkannte er, daß es aus einer einsamen Hütte im Walde kam: als er aber hineinlugte, erblickte er dort einen Neger von gewaltiger Größe und schwarz wie der Satan. der auf einem Diwan saß. Vor ihm standen viele große Krüge voll Wein, und über einem



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Kohlenfeuer röstete er einen ganzen Ochsen, dessen Fleisch er verzehrte, indem er von Zeit zu Zeit tiefe Züge aus einem der Krüge tat. Doch weiter erblickte der König in jener Hütte eine Herrin von wunderbarer Schönheit und Anmut, die voll tiefer Trauer in einem Winkel saß; ihre Arme waren mit Stricken festgebunden, und zu ihren Füßen lag ein Kind von zwei oder drei Jahren, das über seiner Mutter Elend weinte. Als nun mein Vater den jammervollen Zustand dieser beiden sah, ward er von Mitleid erfüllt und wollte sich mit dem Schwert in der Hand auf das Ungeheuer stürzen; doch da er nicht imstande war, es mit ihm aufzunehmen, unterdrückte er seinen Jähzorn und blieb heimlich auf der Wacht. Nachdem der Riese alle Krüge voll Wein geleert und die Hälfte des gerösteten Ochsen verschlungen hatte, wandte er sich an die Herrin und sprach: ,O du lieblichste aller Prinzessinnen, wie lange willst du noch spröde sein und dich mir versagen? Siehst du nicht, wie es mich danach verlangt, dein Herz zu gewinnen, und wie ich aus Liebe zu dir vergehe? Drum wäre es doch nur recht, daß du meine Liebe erwiderst und mich als dein eigen ansiehst; dann werde ich der gütigste Mensch zu dir sein.' ,O du Teufel der Wildnis,' rief die Herrin, ,was für ein Geschwätz fuhrst du da im Munde? Niemals, nein, niemals sollst du erreichen, was du von mir begehrst, mag es dich auch noch so sehr danach gelüsten. Foltere mich, und wenn du willst, töte mich auf der Stelle, ich aber werde mich nie deinen Lüsten ergeben!' Bei diesen Worten brüllte der rasende Wilde laut auf: ,Es ist genug und mehr als genug; dein Haß weckt Haß in mir, und jetzt wünsche ich weniger dich zu haben und zu besitzen, als dich ums Leben zu bringen.' Dann ergriff er sie mit einer Hand, zog seinen Säbel mit der anderen und hätte ihr den Kopf vom Leibe geschlagen, wenn mein Vater ihn nicht so



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geschickt mit einem Pfeil getroffen hätte, daß der sein Herz durchbohrte und ihm glitzernd zum Rücken herausfuhr; da sank der Riese zu Boden und fuhr sogleich zur Hölle. Darauf trat mein Vater in die Hütte, löste die Fesseln der Herrin und fragte sie, wer sie sei, und wie das Ungeheuer sie dorthin gebracht habe. Sie gab zur Antwort: ,Nicht weit von hier lebt an der Küste ein Stamm von Beduinen, die den Dämonen der Wüste gleichen. Ganz wider meinen Willen wurde ich ihrem Fürsten vermählt, und der ekelhafte Schurke, den du soeben getötet hast, war einer der Hauptleute meines Gatten. Er war von rasender Liebe zu mir erfüllt, und er entbrannte in heißem Verlangen danach, mich in seine Gewalt zu bekommen und mich aus meinem Hause zu entführen. Als nun eines Tages mein Gatte sich fortbegeben hatte und ich allein war, schleppte er mich mit diesem meinem Kinde aus dem Schlosse in diesen wilden Wald, in dem niemand weilt als der Allgegenwärtige, und wo, wie er wohl wußte, alles Suchen und Forschen vergeblich ist. Und von Stunde zu Stunde schmiedete er arge Pläne wider mich, doch durch die Gnade Allahs des Erhabenen bin ich aller fleischlichen Besudelung durch jenes schmutzige Scheusal entgangen. Heute abend verzweifelte ich schon an meiner Rettung, als ich sein viehisches Ansinnen abwies und er mich umzubringen versuchte; doch bei diesem Versuch wurde er von deiner tapferen Hand getötet. Dies also, was ich dir erzählt habe, ist meine Geschichte.' Mein Vater beruhigte die Prinzessin, indem er sprach: ,Meine Herrin, dein Herz möge guten Mutes sein! Morgen früh will ich dich aus dieser Wildnis fortführen und dich nach Darjabâr geleiten, der Stadt, deren Sultan ich bin; wenn dir die Stadt gefällt, so magst du dort bleiben, bis dein Gatte kommt, dich zu suchen.' Sie erwiderte: ,Mein Gebieter, dieser Plan mißfällt mir nicht.' So



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nahm denn mein Vater am nächsten Tage beim ersten Morgengrauen Mutter und Kind aus dem Walde fort, und gerade wollte er sich auf den Heimweg begeben, als er plötzlich seine Heerführer und Hauptleute traf, die während der ganzen Nacht überall auf der Suche nach ihm umhergewandert waren. Sie waren hoch erfreut, als sie den König erblickten, und staunten über die Maßen. wie sie eine Verschleierte bei ihm sahen; denn sie wunderten sich sehr, daß eine so anmutige Herrin in einem so wilden Walde wohnen sollte. Darauf erzählte ihnen der König die Geschichte von dem Ungeheuer und der Prinzessin, und wie er den Mohr getötet hatte. Dann ritten sie heimwärts weiter; einer der Emire nahm die Herrin hinter sich aufs Roß. während einem anderen die Obhut des Kindes anvertraut wurde. Nachdem sie die Hauptstadt erreicht hatten, befahl der König, für seinen Gast ein großes und prächtiges Haus zu erbauen; und auch das Kind erhielt die gebührende Pflege. So verbrachte denn die Mutter ihre Tage in aller Behaglichkeit und Zufriedenheit. Als aber nach dem Verlauf einiger Monate immer noch keine Nachricht von ihrem Gatten kam, obwohl sie sehnsüchtig darauf wartete, willigte sie ein, sich meinem Vater zu vermählen, den sie durch ihre Schönheit und Anmut und ihr liebliches Wesen bezaubert hatte; darauf nahm er sie zur Gemahlin, und nachdem die Eheurkunde nach der Sitte der damaligen Zeit niedergeschrieben war, lebten sie beide an gemeinsamer Stätte. Mit der Zeit wuchs der Knabe zu einem kräftigen Jüngling von schönem Angesicht heran, und er ward auch vollkommen in höfischer Sitte und in allen Künsten und Wissenschaften, die sich für Prinzen geziemen. Der König und alle Wesire und Emire hatten großes Gefallen an ihm, und sie beschlossen, daß ich ihm vermählt würde und daß er dem Herrscher als Erbe des Thrones und der Königswürde



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folgen sollte. Auch der Jüngling war über diese Zeichen der Gunst meines Vaters erfreut; doch die allergrößte Freude bereitete es ihm, daß er hörte, wie von seiner Verbindung mit der einzigen Tochter seines Beschützers gesprochen wurde. Eines Tages nun wünschte mein Vater, meine Hand land in die seine zu legen, um die Hochzeitsfeier sofort stattfinden zu lassen; aber zuvor wollte er meinem künftigen Gatten noch gewisse Bedingungen auferlegen, unter anderen die, daß er neben mir, der Tochter seiner Gemahlin, keine andere Frau zur Gattin nehmen solle. Diese Verpflichtung mißfiel dem hochmütigen Jüngling, und er versagte sogleich seine Einwilligung, da er glaubte, das Verlangen einer solchen Bedingung mache aus ihm einen verächtlichen und mißachteten Freier von niedriger Herkunft. So wurde denn die Hochzeit verzögert, und dieser Aufschub erregte in dem Jüngling heftigen Unwillen, so daß er in seinem Herzen glaubte, mein Vater sei sein Feind. Deshalb suchte er ihm immer aufzulauern, damit er ihn in seine Gewalt bekäme, bis er eines Tages in einem Anfall von Wut ihn erschlug und sich selbst zum König von Darjabâr ausrief. Ja, der Mörder wollte sogar in mein Gemach eindringen, um auch mich zu töten; aber der Wesir, ein treu ergebener Diener seines Herrschers, hatte mich bei der Nachricht vom Tode des Königs rasch fortgeführt und in dem Hause eines Freundes verborgen, und dort befahl er mir, mich versteckt zu halten. Zwei Tage später rüstete er ein Schiff aus und bestieg es mit mir und einer alten Kammerfrau; dann begann er mit uns die Fahrt nach einem Lande, dessen König ein Freund meines Vaters war. Unter dessen Obhut wollte er mich stellen, und von ihm wollte er ein Hilfsheer erlangen, mit dem er sich an dem undankbaren und gottlosen Jüngling rächen könnte, an ihm, der sich als Verräter am



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Salz' erwiesen hatte. Doch wenige Tage, nachdem wir die Anker gelichtet hatten, erhob sich ein rasender Sturm, der dem Kapitän und der Mannschaft alle Besinnung raubte; da schlugen die Wogen alsbald mit so ungeheurer Macht auf das Schiff, daß es unterging, und der Wesir, die Kammerfrau und alle, die an Bord waren, ertranken in den Wogen, nur ich wurde gerettet. Obgleich ich fast ohnmächtig war, klammerte ich mich doch an eine Planke, und ich wurde bald darauf von der Meeresströmung an den Strand geworfen; denn Allah hatte in Seiner Allmacht mich vor dem drohenden Tod in der tosenden See sicher und gesund bewahrt, freilich nur dazu, daß noch mehr Leid über mich käme. Als ich Besinnung und Bewußtsein wiedergewann, fand ich mich lebend am Strande liegen, und ich sandte innigen Dank zu Allah dem Erhabenen empor; da ich aber weder den Wesir noch irgend jemand aus unserem Geleite sah, wußte ich, daß alle in den Wassern umgekommen waren. Dann dachte ich daran, daß mein Vater ermordet war, und ich stieß einen lauten Schrei des bittersten Schmerzes aus; denn ich fürchtete mich sehr ob meiner Verlassenheit, und ich wollte mich schon wieder ins Meer stürzen, als plötzlich die Stimme eines Menschen und das Stampfen von Pferdehufen an mein Ohr klangen. Da schaute ich mich um und entdeckte eine Schar von Reitern, in deren Mitte sich ein schöner Prinz befand; der ritt auf einem Roß von edelstem arabischem Geblüt und war mit einem goldgestickten Mantel bekleidet; um die Lenden trug er einen Gürtel, der mit Diamanten besetzt war, und auf seinem Haupte ruhte eine goldene Krone; kurz, seine Gewandung und seine Gestalt zeigten, daß er ein geborener Herrscher über Menschen war. Als mich die Ritter nun allein am Strande erblickten, wunderten sie sich über die Maßen; und der Prinz entsandte



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einen von seinen Hauptleuten, daß er sich nach meiner Geschichte erkundige und ihm darüber berichte. Doch wiewohl der Hauptmann mit Fragen in mich drang, antwortete ich ihm kein Wort, sondern vergoß nur im tiefsten Schweigen einen Strom von Tränen. Als sie dann die Trümmer am Strande erblickten, dachten sie bei sich: ,Vielleicht ist ein Schiff an dieser Küste untergegangen, und seine Planken und Balken sind hier an Land geworfen; sicher war diese Herrin auf jenem Schiff und ist auf einer Planke an den Strand getrieben.' Darauf umringten die Reiter mich und baten mich inständig, ihnen zu erzählen, was mir widerfahren sei; doch immer noch erwiderte ich ihnen kein Wort. Schließlich ritt der Prinz nahe an mich heran, und von großem Staunen ergriffen, schickte er sein Gefolge fort und redete mich mit diesen Worten an: ,Meine Herrin, fürchte nichts Arges von mir und quäle dich nicht durch nutzlose Angst! Ich möchte dich in mein Haus geleiten und dich der Obhut meiner Mutter anvertrauen; deshalb möchte ich gern von dir erfahren, wer du bist. Die Königin wird sicherlich deine Freundin werden und dich in Behaglichkeit und Zufriedenheit bei sich behalten.' Da ich nun erkannte. daß sein Herz sich mir zuneigte, erzählte ich ihm alles, was ich erlebt hatte, und als er die Geschichte meines traurigen Schicksals vernahm, ward er von tiefstem Mitleid gerührt, und seine Augen standen voll Tränen. Dann tröstete er mich und führte mich mit sich und übergab mich der Königin, seiner Mutter; auch sie lieh meiner Erzählung ein freundliches Ohr, und nachdem sie mein ganzes Leben von Anfang bis zu Ende kennen gelernt hatte, war auch sie tief betrübt, und sie ward nicht müde, mich Tag und Nacht zu pflegen und mich, soweit sie es vermochte, glücklich zu machen. Da sie zudem erkannte, daß ihr Sohn von tiefer Zuneigung zu mir ergriffen und von Liebe



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verstört war, so willigte sie ein, daß ich seine Gemahlin werden sollte; und auch ich war damit einverstanden, da ich die Schönheit und den Adel seines Gesichts und seiner Gestalt sah und an seine erprobte Liebe zu mir und an seine Herzensgüte dachte. So wurde denn die Vermählung zu ihrer Zeit mit königlichem Prunk und Aufwand gefeiert. Doch wer vermag dem Schicksal zu entrinnens In eben jener Nacht, der Hochzeitsnacht, geschah es, daß der König von Zanzibar, der nahe bei jener Insel wohnte und auch früher schon Anschläge gegen jenes Reich gemacht hatte, die günstige Gelegenheit ergriff und uns mit einem gewaltigen Heere überfiel; und nachdem er viele Leute getötet hatte, beschloß er, mich und meinen Gatten lebendig gefangen zu nehmen. Allein wir entrannen seinen Händen, und nachdem wir im Dunkel der Nacht an die Meeresküste geflohen waren, fanden wir dort ein Fischerboot; das bestiegen wir, indem wir unseren Sternen dankten, und wir fuhren ab und ließen uns von der Strömung weit forttreiben, ohne zu wissen, wohin das Geschick uns führen würde. Am dritten Tage bemerkten wir ein Schiff, das auf uns zukam; und darüber freuten wir uns gar sehr, denn wir vermeinten, es sei irgendein Kauffahrer, der uns zu Hilfe käme. Kaum aber lag es längsseit von uns, da tauchten mit einem Male fünf oder sechs Piraten auf, deren jeder ein gezücktes Schwert schwang, und als sie auf unserem Schiffe waren, banden sie uns die Arme auf dem Rücken zusammen und schleppten uns auf ihr Fahrzeug. Darauf rissen sie mir den Schleier vom Angesicht und wollten mich sogleich besitzen, indem einer zum andern sprach: ,Ich will diese Dirne haben!' Auf diese Weise entbrannte Zank und Streit, bis es nach kurzer Zeit zu Kampf und Blutvergießen kam, und nun fielen die Räuber, einer nach dem andern, in wenigen Augenblicken tot nieder, bis alle



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erschlagen waren, außer einem einzigen Piraten, dem tapfersten der Bande. Der sprach zu mir: ,Du sollst mit mir nach Kairo reisen; denn dort wohnt ein Freund von mir, und dem will ich dich geben, da ich ihm früher versprochen habe, ich wollte ihm von dieser Reise eine schöne Frau als Sklavin mitbringen.' Dann aber sah er meinen Gatten, den die Piraten in Fesseln hatten liegen lassen, und er rief: ,Wer ist dieser Hund? Ist der dein Liebhaber oder dein Freund?' Ich antwortete: ,Er ist mein angetrauter Gatte.' ,Schön,' rief er, ,es geziemt mir wahrlich, ihn von den bitteren Qualen der Eifersucht zu befreien und ihm den Anblick zu ersparen, wie du von einem anderen liebevoll umarmt wirst.' Und sogleich hob der Schurke den unglücklichen Prinzen, der an Händen und Füßen gebunden war, in die Höhe und warf ihn ins Meer, während ich laut aufschrie und um Gnade flehte, doch vergebens. Wie ich den Prinzen in den Wellen ringen und ertrinken sah, schrie ich von neuem und klagte und schlug mir das Gesicht und raufte mir das Haar; ach, wie gern hätte ich mich selbst ins Wasser gestürzt, doch ich konnte es nicht tun, da der Räuber mich festhielt und mich an den Großmast band. Dann fuhren wir bei günstigem Winde weiter und erreichten bald ein kleines Hafendorf; nachdem er dort Kamele und Sklaven gekauft hatte, zog er weiter gen Kairo. Doch als wir schon mehrere Tagesreisen zurückgelegt hatten, überfiel uns plötzlich der Neger, der in diesem Schlosse hier wohnte. Von fern hielten wir ihn für einen hohen Turm, und als er uns nahte, konnten wir kaum glauben, daß er ein menschliches Wesen war. Aber der Neger zückte sogleich sein Riesenschwert, stürzte auf den Piraten los und befahl ihm, sich gefangen zu geben, samt mir und allen seinen Sklaven, und ihm mit gefesselten Ellenbogen zu folgen. Da griff der Räuber mit feurigem Mut an der



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Spitze seiner Mannen den Neger an; und lange tobte der Kampf mächtig und stark, bis er und die Seinen tot auf dem Felde lagen. Dann führte der Mohr die Kamele fort und schleppte mich und die Leiche des Räubers zu seinem Schloß; dort verschlang er das Fleisch seines Feindes zum Nachtmahl. Darauf schaute er mich an, wie ich bitterlich weinte, und sprach zu mir: ,Verbanne dies Weh und diesen Gram aus deiner Brust: lebe in diesem Schlosse mit aller Ruhe und Behaglichkeit und tröste dich durch meine Umarmungen! Da du jedoch jetzt in tiefer Trauer zu sein scheinst, so will ich dich für diese Nacht entschuldigen; aber morgen mußt du dich ganz sicher mir ergeben.' So führte er mich denn in ein getrenntes Gemach und legte sich selbst, nachdem er Tore und Türen fest verschlossen hatte, an einer anderen Stätte allein zum Schlafe nieder. Als er sich dann am nächsten Morgen früh erhoben hatte, durchsuchte er das ganze Schloß, öffnete die Pforte und verriegelte sie wieder und brach wie immer auf, um nach Wanderern zu suchen. Aber die Karawane entging ihm, und er kehrte mit leeren Händen zurück -da kamst du über ihn und schlugst ihn tot.' *

So erzählte die Prinzessin von Darjabâr ihre Geschichte dem Prinzen Chudadâd, und er hatte Mitleid mit ihr; dann tröstete er sie, indem er sprach: ,Hinfort fürchte nichts mehr und mache dir keinerlei Sorgen! Diese Prinzen sind die Söhne des Königs von Harrân; und wenn es dir beliebt, so laß sie dich an seinen Hof geleiten und dir dort ein Leben in Behaglichkeit und Überfluß bereiten; und der König wird dich auch vor allem Unheil behüten! Oder sollte es nicht dein Wunsch sein, mit ihnen zu ziehen, möchtest du dann nicht einwilligen, den zum Gatten zu nehmen, der dich aus so großem Elend befreit



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hat?' Die Prinzessin von Darjabâr willigte ein, sich mit ihm zu vermählen; und nun wurde alsbald die Hochzeit mit großer Pracht in dem Schlosse gefeiert; denn dort fanden sie Speisen und Trank von mancherlei Art, auch köstliche Früchte und herrliche Weine, mit denen der Menschenfresser sich gütlich zu tun pflegte, wenn er des Menschenfleisches überdrüssig geworden war. So ließ denn Chudadâd Gerichte von aller Art zubereiten und bewirtete seine Brüder. Am nächsten Tage brachen alle gen Hann auf, nachdem sie an Zehrung mitgenommen hatten, was zur Hand war; und am Ende einer jeden Tagereise wählten sie eine passende Stätte aus, um dort zu nächtigen. Wie nun noch ein Tagesmarsch vor ihnen lag, verspeisten die Prinzen am Abend alles, was ihnen an Zehrung übrig geblieben war, und sie tranken auch des Weines letzte Neige. Als aber der Wein ihrer Sinne Herr geworden war, redete Chudadâd seine Brüder an, indem er sprach: ,Bislang habe ich euch das Geheimnis meiner Geburt verborgen; doch jetzt muß ich es euch enthüllen. Wisset denn, daß ich euer Bruder bin; auch ich bin ein Sohn des Königs von Hann, den der Herr des Landes Samaria erzog und unterrichten ließ, meine Mutter aber ist die Prinzessin Firûza.' Dann sprach er zu der Prinzessin von Darjabâr: ,Du kanntest meinen Rang und meine Herkunft nicht; hätte ich mich dir früher entdeckt, so wäre dir vielleicht eine Kränkung erspart geblieben, nämlich die, daß ein Mann von gemeinem Blute dich freite. Jetzt aber beruhige dein Gemüt; denn dein Gemahl ist ein Prinz!' Darauf erwiderte sie: ,Wiewohl du mir bis zu dieser Zeit nichts enthüllt hast, so fühlte ich doch in meinem Herzen gewißlich, daß du von edler Geburt und der Sohn eines mächtigen Herrschers seiest.' Alle Prinzen schienen äußerlich sehr erfreut zu sein, und ein jeder von ihnen brachte ihm warme Glückwünsche



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dar, während sie die Hochzeit feierten; im Innern aber waren sie von Neid und ärgern Verdruß erfüllt ob eines so unwillkommenen Ausganges der Dinge. Als Chudadâd sich dann mit der Prinzessin von Darjabâr in sein Zelt zurückzog, um zu schlafen, schmiedeten jene Undankbaren sogar schwarze Pläne, uneingedenk des Dienstes, den ihr Bruder ihnen geleistet hatte, da er sie befreite, während sie in den Händen des schwarzen Menschenfressers gefangen waren; und sie suchten sich einen sicheren Ort und berieten miteinander, ihn zu töten. Da sprach der erste unter ihnen: ,Brüder, unser Vater bewies ihm die größte Liebe, da er uns nichts war als ein Landstreicher und ein Unbekannter, und machte ihn sogar zu unserem Herrscher und Lehrmeister; wenn er nun von seinem Siege über das Ungeheuer hört und erfährt, daß der Fremdling sein Sohn ist, wird er da nicht diesen Bastard sogleich zu seinem einzigen Erben machen und ihm Gewalt über uns geben, so daß wir alle gezwungen sind, ihm zu Füßen zu fallen und sein Joch zu tragen? Mein Rat ist, daß wir hier auf der Stelle ein Ende mit ihm machen.' Daraufhin schlichen sie leise in sein Zelt und hieben von allen Seiten mit ihren Schwertern auf ihn ein, bis sie ihm alle Glieder zerfetzt hatten; und sie vermeinten, sie hätten ihn tot auf dem Bette liegen lassen, ohne daß die Prinzessin erwacht wäre. Am nächsten Morgen zogen sie in die Stadt Harrân ein und machten ihre Aufwartung vor dem König, der schon daran verzweifelte, sie je wiederzusehen; so freute er sich denn über die Maßen, wie er sah, daß sie ihm wiedergeschenkt waren, sicher und munter und gesund, und er fragte sie, warum sie so lange von ihm ferngeblieben wären. In ihrer Antwort verbargen sie ihm sorgfältig, daß sie von dem schwarzen Teufel in den Kerker geworfen waren und daß Chudadâd sie gerettet hatte; vielmehr erklärten sie alle, sie



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wären aufgehalten worden, als sie gejagt und die umliegenden Städte und Länder besucht hätten. Der Sultan schenkte ihrem Bericht vollen Glauben und schwieg. So stand es nun mit ihnen.

Was aber Chudadâd anging, so fand die Prinzessin von Darjabâr, als sie am Morgen erwachte, ihren Gemahl im Blute schwimmen, zerrissen und zerfetzt von vielen Wunden. Und da sie ihn für tot hielt, weinte sie bitterlich bei diesem Anblick. und sie gedachte seiner Jugendschönheit, seiner Tapferkeit und seiner vielen Tugenden, und während sie sein Gesicht mit ihren Tränen tränkte, rief sie: ,Weh mir, wehe! O mein Geliebter, o Chudadâd, müssen diese Augen dich schauen, wie ein jäher und gewaltsamer Tod dich ereilt hat? Sind diese deine Brüder, die Teufel, die dein Mut gerettet hat, deine Mörder? Nein, ich allein bin deine Mörderin; ich, die ich duldete, daß du dein Schicksal mit meinem unseligen Geschick verkettetest, mit einem Los, das alle meine Freunde dem Untergange weiht!' Als sie aber den Leib aufmerksam betrachtete, bemerkte sie, daß noch der Atem langsam durch seine Nase kam und ging, und daß seine Glieder noch warm waren. So schloß sie denn die Zeittür und lief zur Stadt, um einen Arzt zu suchen; und nachdem sie einen geschickten Mann der Heilkunde gefunden hatte, kehrte sie sofort mit ihm zurück. Aber, siehe da, Chudadâd war verschwunden! Sie wußte nicht, was aus ihm geworden war; doch glaubte sie in ihrem Sinne, irgendein wildes Tier hätte ihn fortgeschleppt. Nun weinte sie wiederum bittere Tränen und beklagte ihr Unglück, so daß der Arzt von Mitleid erfüllt ward und ihr mit Worten des Trostes und der Zusprache sein Haus und seine Dienste anbot; und schließlich geleitete er sie in die Stadt und wies ihr eine eigene Wohnung an. Auch bestimmte er zwei Sklavinnen, um ihr zu dienen; und wiewohl er nichts von ihrem Stande wußte, diente er ihr



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stets mit der Ehrfurcht und Ergebenheit, die Königen gebührt. Eines Tages nun, als sie weniger traurigen Herzens war, richtete der Arzt, der inzwischen davon gehört hatte, an sie die Bitte: ,Meine Gebieterin, es behebe dir, deinen Stand und deine Mißgeschicke mir kundzutun, und soweit es in meiner Macht liegt, will ich mich bemühen, dir Hilfe und Beistand zu leisten.' Da sie erkannte, daß der Arzt klug und zuverlässig war, machte sie ihn mit ihrer Geschichte bekannt. Darauf sagte der Arzt: ,Wenn es dein Wunsch ist, so möchte ich dich gern zu deinem Schwiegervater geleiten, dem König von Harrân, der in Wahrheit ein weiser und gerechter Herrscher ist; er wird sich freuen, dich zu sehen, und er wird an den unmenschlichen Prinzen, seinen Söhnen, Rache nehmen, weil sie das Blut deines Gemahls so ungerecht vergossen haben.' Diese Worte gefielen der Prinzessin; und nachdem der Arzt zwei Kamele gemietet hatte, saßen die beiden auf und machten sich auf den Weg nach der Stadt Harrân. Noch am selben Tage stiegen sie in einer Karawanserei ab, und der Arzt fragte, was es Neues aus der Stadt gäbe; da sprach zu ihm der Pförtner: ,Der König von Harrân hatte einen Sohn, überaus tapfer und untadelig, der einige Jahre hindurch bei ihm als Fremdling weilte; doch seit kurzer Zeit ist er verschollen, und niemand weiß, ob er tot oder noch am Leben ist. Seine Mutter, die Prinzessin Firûza, hat überall nach ihm suchen lassen, doch hat sie weder Spur noch Nachricht von ihm gefunden. Seine Eltern und, wahrlich, alles Volk, reich und arm, beweinen und beklagen ihn; und obgleich der Sultan noch neunundvierzig Söhne hat, so kann sich doch keiner von ihnen mit ihm vergleichen an tapferen Taten und kluger Gewandtheit, und keiner von ihnen vermag ihm den geringsten Trost zu bieten. Man hat überall gesucht und geforscht; doch bisher ist alles vergeblich gewesen.'



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Der Arzt tat diese Worte der Prinzessin von Darjabâr kund; da gedachte sie alsbald zu Chudadâds Mutter zu gehen und sie mit allem, was ihrem Gemahl widerfahren war, bekannt zu machen; aber der Arzt sprach nach reiflicher Überlegung: ,O Prinzessin, wenn du dich in dieser Absicht aufmachen würdest, so könnten schon vielleicht vor deiner Ankunft die neunundvierzig Prinzen von deinem Nahen hören; dann werden sie dich gewißlich auf irgendeine Weise umbringen, und dein Leben wird nutzlos vergeudet sein. Nein, laß mich zuerst zu Chudadâds Mutter gehen, ich will ihr deine ganze Geschichte erzählen, und sie wird dann sicher nach dir senden. Bis dahin bleib du in dieser Karawanserei verborgen!' So ritt denn der Arzt gemächlich zur Stadt, und auf dem Wege begegnete er einer Herrin auf einer Mauleselin, deren Decken von der reichsten und schönsten Art waren, und hinter ihr schritten vertraute Diener, denen eine Schar von Reitern und Fußvolk und schwarzen Sklaven folgte; und während sie dahinritt, stellte sich das Volk zu beiden Seiten in Reihen auf und grüßte sie auf ihrem Wege. Auch der Arzt mischte sich unter die Menge und machte seine Verbeugung; dann sagte er zu einem der Zuschauer, einem Derwisch: ,Mich deucht, dies muß die Königin sein.' ,So ist es,' erwiderte jener, ,sie ist die Gemahlin unseres Königs, und alles Volk ehrt und achtet sie höher als die anderen Frauen des Sultans, da sie doch die Mutter des Prinzen Chudadâd ist, von dem du sicherlich gehört hast.' Darauf ging der Arzt mit dem Reiterzug; und als die Herrin bei einer Hauptmoschee abstieg und Goldmünzen als Almosen unter die Anwesenden verteilte -denn der König hatte ihr befohlen, daß sie bis zu Chudadâds Rückkehr den Armen mit eigener Hand spenden und dafür beten sollte, daß der Jüngling in Frieden und Sicherheit heimkehren möchte -,



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da mischte sich der Arzt unter die Leute. die sich zum Gebet für ihren Liebling vereinten, und flüsterte einem Sklaven die Worte zu: ,Bruder, ich muß unverzüglich der Königin Firûza ein Geheimnis mitteilen, das ich hüte.' Jener antwortete: ,Wenn es etwas über den Prinzen Chudadâd ist, gut, so wird die Gemahlin des Königs dir sicherlich ihr Ohr leihen; ist es aber etwas anderes, so wirst du schwerlich Gehör finden, denn sie ist durch die Trennung von ihrem Sohne verstört und hat für nichts anderes Sinn.' Da fuhr der Arzt fort, immer noch leise sprechend: ,Mein Geheimnis betrifft das, was ihr am Herzen liegt.' ,Wenn es so ist,' antwortete der Sklave, ,dann folge heimlich dem Zuge, bis er das Tor des Palastes erreicht.' Wie nun die Herrin Firûza bei ihren königlichen Gemächern angelangt war, trat der Mann bittend an sie heran und sprach: ,Ein Fremder möchte dir heimlich etwas kundtun.' Und sie geruhte, Befehl und Erlaubnis zu geben, indem sie rief: ,Gut, er möge hierher geführt werden!' Darauf brachte der Sklave den Arzt zu ihr, und die Königin gebot mit huldvoller Miene, er möge näher treten; nachdem er den Boden vor ihr geküßt hatte, trug er sein Anliegen vor mit den Worten: ,Ich habe deiner Hoheit eine lange Geschichte zu erzählen, über die du sehr staunen wirst.' Und nun schilderte er ihr Chudadâds Geschichte, die Schurkerei seiner Brüder und seinen Tod durch ihre Hand: auch berichtete er ihr, daß seine Leiche von wilden Tieren fortgeschleppt sei. Als aber die Königin Firûza von der Ermordung ihres Sohnes hörte, fiel sie sogleich ohnmächtig zu Boden: und die Diener eilten herbei, richteten sie auf und besprengten ihr Gesicht mit Rosenwasser, bis sie wieder zu Verstand und Bewußtsein kam. Dann gab sie dem Arzte Befehl, indem sie sprach: ,Begib dich sofort zur Prinzessin von Darjabâr und überbringe ihr von mir und von seinem Vater Grüße



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und den Ausdruck des Mitgefühls.' Sobald aber der Arzt gegangen war, gedachte sie wieder ihres Sohnes und weinte bitterlich. Zufällig ging der Sultan dort vorbei, und wie er sah, daß Firûza weinte und seufzte und in schwere und bittere Klagen ausbrach, fragte er sie nach dem Grunde. Da erzählte sie ihm alles, was sie von dem Arzt gehört hatte, und ihr Gemahl wurde von heißem Grimm gegen seine Söhne erfüllt. So erhob er sich denn und eilte geradewegs in den Staatssaal, in dem sich das Volk der Stadt versammelt hatte, um Anliegen vorzutragen und um Gerechtigkeit und Abhilfe zu erbitten; doch als sie seine Züge vor Wut zucken sahen, wurden alle von großer Furcht erfüllt. Dann setzte sich der Sultan auf den Thron seiner Herrschaft und erteilte seinem Großwesir Befehl, indem er sprach: ,Wesir Hasan, nimm mit dir tausend Mann von den Wächtern, denen die Hut und Bewachung des Palastes anvertraut ist, und hole die neunundvierzig Prinzen, meine unwürdigen Söhne, dann wirf sie in den Kerker, der für Totschläger und Mörder bestimmt ist; doch gib wohl acht, daß keiner von ihnen entkommt!' Der Wesir tat, wie ihm befohlen war; er ließ die Prinzen allesamt ergreifen und in den Kerker werfen zu den Mördern und anderen Verbrechern. und er berichtete seinem Herrn darüber. Darauf entließ der Sultan einige Kläger und Bittsteller und sprach: ,Für den Zeitraum eines vollen Monats von heute an geziemt es mir nicht, in der Halle der Rechtsprechung zu sitzen. Geht fort von hier, und wenn die dreißig Tage verstrichen sind, so mögt ihr wieder hierher kommen!' Danach verließ er den Thron, nahm den Wesir Hasan mit sich und begab sich zum Gemach der Königin Firûza; dort befahl er dem Minister in aller Eile. doch mit königlicher Pracht und Würde, die Prinzessin von Darjabâr und den Arzt aus der Karawanserei zu holen. Der Wesir saß



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alsbald auf, begleitet von den Emiren und den Kriegern; und nachdem er eine schöne weiße Mauleselin, die reich mit juwelenbesetztem Geschirr geschmückt war, aus den königlichen Ställen geholt hatte, ritt er zu der Karawanserei, in der die Prinzessin von Darjabâr wohnte. Er berichtete ihr alles, was der König getan hatte, und ließ sie dann die Mauleseln besteigen; dem Arzt aber gab er ein Roß aus turkmenischem Blut zu reiten, und nun zogen alle drei in Pracht und Herrlichkeit zum Palast. Die Ladenbesitzer und das Stadtvolk eilten herbei, um die Herrin zu begrüßen, während der Reiterzug sich durch die Straßen bewegte; und als sie hörten, daß sie die Gemahlin des Prinzen Chudadâd war, waren sie hocherfreut, weil sie nun doch etwas über seinen Aufenthalt erfahren mußten. Sobald der Zug die Tore des Palastes erreichte, sah die Prinzessin von Darjabâr den Sultan, der ihr entgegenkam, um sie zu begrüßen, und sie sprang von ihrem Maultier und küßte ihm die Füße. Der König aber ergriff ihre Hand und richtete sie auf, und dann führte er sie in das Gemach, in dem Königin Firûza saß und ihren Besuch erwartete. Dort fielen alle drei einander um den Hals und weinten bitterlich, ja, sie konnten ihren Gram gar nicht mehr beherrschen. Doch als ihr Kummer sich ein wenig gelegt hatte, sprach die Prinzessin von Darjabâr zum König: ,O mein Gebieter und Sultan, ich möchte demütig bitten, daß volle Rache über alle jene komme, von denen mein Gemahl so schmählich und grausam ermordet worden ist.' Der König erwiderte: ,Mein Gebieterin, sei versichert, daß ich gewißlich alle jene Schurken hinrichten lassen werde zur Strafe für das vergossene Blut Chudadâds.' Und er fügte hinzu: ,Freilich ist die Leiche meines tapferen Sohnes nicht gefunden worden; doch scheint es mir nur recht, daß ein Grabmal erbaut werde, ein leeres Grabgebäude, durch das seine Größe und Güte ewiglich



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im Gedächtnis festgehalten werde.' Alsbald berief er den Großwesir und gab Befehl, daß ein großes Mausoleum aus weißem Marmor mitten in der Stadt gebaut würde; und der Minister ernannte sofort Werkleute, nachdem er eine passende Stätte mitten im Herzen der Stadt ausgesucht hatte. Dort nun errichteten sie ein prunkvolles Grabgebäude, das von einer stolzen Kuppel gekrönt war, und darunter ward ein Bildnis Chudadâds ausgemeißelt. Nachdem die Kunde von der Vollendung dem König überbracht war, bestimmte er einen Tag für die Trauerfeier und die Lesungen aus dem Koran. Zur bestimmten Zeit versammelte sich das Volk der Stadt, um dem Trauerzuge und der Totenfeier für den Dahingeschiedenen zuzuschauen; und der Sultan begab sich im Prunkzuge zudem Mausoleum, begleitet von allen Wesiren und Emiren und Herren des Landes, und er setzte sich auf Decken aus schwarzem Atlas, die mit goldenen Blumen bestickt waren und die über den Marmorboden ausgebreitet lagen. Nach einer Weile kam eine Schar von Reitern angeritten, mit gesenkten Häuptern und niedergeschlagenen Augen; nachdem sie zweimal um das Mausoleum gezogen waren, machten sie beim dritten Male Halt vor dem Tor und riefen laut: ,O Prinz. o Sohn unseres Sultans, könnten wir durch das Schwingen unserer guten Schwerter und die Kraft unserer tapferen Arme dich zum Leben erwecken, so würden unser Herz und unsere Stärke nicht versagen in heißem Bemühen! Doch vor dem Spruche Allahs des Erhabenen müssen alle Nacken sich beugen.' Dann ritten die Reiter wieder zu dem Platze hin, von dem sie gekommen waren, und ihnen folgten hundert weißhaarige Einsiedler, Bewohner der Höhlen, die ihr Leben in Einsamkeit und Entsagung verbracht und nie mit einem Mann oder einer Frau gesprochen hatten, sondern nur dann in Harrân



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erschienen, wenn eine Totenfeier des Königshauses stattfand. An ihrer Spitze schritt einer dieser Graubärte, der mit einer Hand ein großes und schweres Buch hielt, das er auf dem Haupte trug. Alle diese Heiligen zogen dreimal um das Mausoleum, dann machten sie auf der Straße Halt, und der Älteste rief mit lauter Stimme: ,O Prinz, könnten wir dich durch Gebete und Andacht ins Leben zurückrufen, so würden diese unsere Herzen und Seelen nur daran denken, dich aufzuerwecken; und wenn wir dich auferstehen sähen, so wollten wir dir die Füße mit unseren altersweißen Bärten abwischen.' Als auch sie sich zurückgezogen hatten, kamen hundert Jungfrauen von wunderbarer Schönheit und Anmut, beritten auf weißen Berberrossen, deren Sättel reich bestickt und mit Juwelen besetzt waren; ihre Gesichter waren entblößt, und auf ihren Häuptern trugen sie goldene Körbchen, die mit Edelsteinen, Rubinen und Diamanten gefüllt waren. Auch sie ritten rings um das Grabgebäude, und als sie an dem Tore hielten, sprach die jüngste und Schönste unter ihnen im Namen ihrer Schwestern und rief: ,O Prinz, vermöchte unsere Jugend und unsere Schönheit dir etwas zu nützen, so würden wir uns dir darbieten und deine Mägde werden. Aber ach, du weißt recht wohl, daß all unsere Schönheit nutzlos ist und daß unsere Liebe deinen Staub nicht zu erwärmen vermag.' Darauf zogen auch sie in tiefster Trauer von dannen. Sobald sie den Blicken entschwunden waren, erhoben sich der Sultan und alle, die bei ihm waren, und sie schritten dreimal um die Bildsäule, die unter der Kuppel errichtet war; dann blieb der Vater zu ihren Füßen stehen und sprach: ,O mein geliebter Sohn, mach diese Augen hell, die von den Tränen ob des Trennungsschmerzes verdunkelt sind.' Und er weinte bitterlich, und alle seine Minister und Hofmänner und Großen trauerten und klagten



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mit ihm. Als aber die Totenfeier beendet war, kehrte der Sultan mit seinem Gefolge in den Palast zurück, und die Tür des Mausoleums ward geschlossen. Darauf gab der König Befehl, eine ganze Woche lang in allen Moscheen Gemeindegebete abzuhalten; und er selbst weinte und trauerte acht Tage hindurch unaufhörlich vor dem Mausoleum seines Sohnes. Nachdem diese Zeit verstrichen war, befahl er dem Großwesir, die Rache für den Mord des Prinzen Chudadâd zu vollstrecken; die Prinzen sollten aus ihren Kerkern geholt und hingerichtet werden. Die Nachricht davon verbreitete sich in der Stadt, die Vorkehrungen für die Hinrichtung der Mörder wurden getroffen, und große Volksscharen versammelten sich und schauten auf das Blutgerüst, als plötzlich gemeldet ward, daß ein Feind, den der König in früheren Zeiten geschlagen hatte, mit einem Eroberungsheere wider die Stadt heranrücke. Darüber war der König sehr erschrocken und bestürzt, und die Minister sagten zueinander: ,Ach, wäre Prinz Chudadâd noch am Leben, er hätte die Scharen der Feinde, so grimmig und grausam sie auch wären, alsbald in die Flucht geschlagen.' Nun zog der Herrscher sofort mit seinem Gefolge und seinem Heer ins Feld; doch er traf zugleich Vorkehrungen, um auf dem Flusse in ein anderes Land zu flüchten, wenn die Truppen des Feindes siegreich sein sollten. Dann prallten die beiden Heere in heißem Kampfe aufeinander; und die Eindringlinge, die das Heer des Königs Hann auf allen Seiten umzingelten, hätten ihn und alle seine Krieger in Stücke zerhauen, wenn nicht plötzlich eine bewaffnete Schar, die man bisher noch nicht gesehen hatte, quer über das Feld geritten wäre, so schnell und so sicher, daß die beiden feindlichen Könige sie in höchster Verwunderung anstarrten, und niemand wußte, woher jene Schar kam. Als sie aber näher rückte, fielen die Reiter über die Feinde



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her und schlugen sie im Nu in die Flucht; und sie fällten sie in hitziger Verfolgung mit dem schneidenden Schwert und dem durchbohrenden Speer. Als der König von Harrân diesen Ansturm sah, staunte er gar sehr, und nachdem er seinen Dank gen Himmel gesandt hatte, sprach er zu denen, die ihn umgaben: ,Erkundet den Namen des Hauptmanns jener Schar und erforscht, wer er ist und woher er kam!' Als nun die Feinde auf dem Felde gefallen waren, bis auf wenige, die nach allen Seiten hin flüchteten, und bis auf den feindlichen Sultan, der gefangen genommen war, da kehrte der Hauptmann der befreundeten Schar zufrieden zurück von der Verfolgung, um den König zu begrüßen. Doch wie die beiden einander näher kamen, siehe, da erkannte der Sultan, daß der Hauptmann kein anderer war als sein geliebter Sohn Chudadâd, der einst verloren, aber nun wiedergefunden war. Eine unsagbare Freude kam über ihn, daß sein Feind so besiegt worden war, und daß er selbst seinen Sohn Chudadâd wiedersah, der lebend und sicher und gesund dort vor ihm stand. ,Mein Vater,' rief der Prinz, ,ich bin der, den du für tot hieltest; allein Allah der Erhabene hat mich am Leben erhalten, auf daß ich an diesem Tage für dich einstände und diese deine Feinde vernichtete.' ,Ach, mein geliebter Sohn,' erwiderte der Vater, ,wahrlich, ich hatte die Hoffnung verloren und glaubte nicht mehr, daß ich dich je mit eigenen Augen wiedersehen würde.' Da sprangen Vater und Sohn vom Rosse und fielen einander um den Hals, und der Sultan ergriff die Hand des Jünglings und sprach: ,Seit langem kannte ich deine tapferen Taten, und ich wußte auch, daß du deine unseligen Brüder aus den Händen des schwarzen Menschenfressers befreit hast und daß sie dir so übel vergolten haben. Eile jetzt zu deiner Mutter, die so bitterlich um dich weint, daß von ihr nur noch Haut und Knochen übrig



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sind; sei du der erste, der ihr Herz erfreut und ihr die frohe Kunde von deinem Siege bringt!' Als sie dann weiter ritten, fragte der Prinz den Sultan, wie er von dem Neger und von der Befreiung der Prinzen aus den Klauen des Menschenfressers gehört habe. ,Hat einer von meinen Brüdern', so fügte er hinzu, ,dir von diesem Abenteuer berichtet?' ,Ach nein, mein Sohn,' erwiderte der König, ,sie sagten nichts, sondern die Prinzessin von Darjabâr hat mir die jammervolle Geschichte erzählt; sie wohnt schon seit vielen Tagen bei mir, und sie hat als erste und am meisten nach Rache für dein Blut verlangt.' Wie Chudadâd vernahm, daß die Prinzessin, seine Gemahlin, als Gast bei seinem Vater weilte, freute er sich über die Maßen und rief: ,Laß mich erst meine Mutter sehen! Dann will ich zur Prinzessin Darjabâr eilen.' Darauf schlug der König von Harrân seinem Erzfeinde das Haupt ab und ließ es öffentlich durch die Straßen seiner Hauptstadt tragen; und alles Volk freute sich nicht nur über den Sieg, sondern auch über die wohlbehaltene und sichere Heimkehr Chudadâds, und in allen Häusern gab es Tanz und Feiern. Dann traten Königin Firûza und die Prinzessin von Darjabâr vor den Sultan und brachten ihm ihre Glückwünsche dar; und nun begaben sich die beiden Hand in Hand zu Chudadâd, und da fielen alle drei einander um den Hals und weinten vor eitel Freude. Danach unterhielten sich der König und seine Königin und seine Schwiegertochter lange miteinander, und sie wunderten sich, wie Chudadâd, obwohl er von den Schwertern schwer verwundet und zerhauen war, doch noch lebendig aus jener öden Wildnis entronnen sei; da erzählte der Prinz auf das Geheiß seines Vaters in diesen Worten seine Geschichte: ,Es traf sich, daß ein Bauer, der auf einem Kamel ritt, an meinem Zelt vorüberkam; und als er sah, wie ich schwer verwundet war und mich



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in meinem Blute wälzte, hob er mich auf sein Reittier und führte mich zu seinem Hause; dann wählte er einige Wurzeln der Steppenkräuter aus und legte sie auf die Wunden, so daß sie sanft heilten und ich bald wieder bei Kräften war. Nachdem ich meinem Wohltäter gedankt und ihm ein reiches Geschenk gegeben hatte, machte ich mich auf nach der Stadt Harrân, doch auf meinem Wege sah ich, wie die Scharen der Feinde in gewaltiger Zahl gegen deine Stadt zogen. Deshalb meldete ich es den Einwohnern der Flecken und Dörfer ringsum und bat sie um Hilfe; so sammelte ich eine große Streitmacht und stellte mich an ihre Spitze, und da ich gerade noch zur rechten Zeit eintraf, konnte ich die Scharen der Eindringlinge vernichten.' Der Sultan dankte nun Allah dem Erhabenen von neuem und sagte dann: ,Alle die Prinzen, die sich wider dein Leben verschworen haben, sollen jetzt hingerichtet werden'; und er schickte sogleich nach dem Träger des Schwertes seiner Rache. Aber Chudadâd legte bei seinem Vater Fürbitte ein, indem er sprach: ,Wahrlich, o mein Herr und König, sie alle verdienen mit Recht das Schicksal. das du für sie bestimmt hast! Doch sind sie nicht meine Brüder und auch dein Fleisch und Blute Ich habe ihnen schon aus freien Stücken ihre Schuld gegen mich vergeben, und ich bitte dich demütig, du mögest ihnen ihr Leben schenken; denn Blut ruft wieder nach Blut.' Der Sultan willigte schließlich ein und vergab ihnen ihre Missetat. Dann berief er alle Wesire und erklärte Chudadâd zu seinem Erben und Nachfolger in Gegenwart der Prinzen, die er aus dem Gefängnis hatte bringen lassen. Chudadâd aber ließ ihnen ihre Ketten und Fesseln abnehmen und umarmte sie, einen nach dem andern, indem er ihnen die gleiche Liebe und Freundlichkeit zeigte, die er ihnen in dem Schlosse des schwarzen Menschenfressers bewiesen hatte. Und alles Volk



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brach in Rufe des Beifalls aus, als dies edle Verhalten des Prinzen Chudadâd bekannt wurde, und liebte ihn noch mehr als zuvor. Der Arzt, der sich um die Prinzessin von Darjabâr so verdient gemacht hatte, empfing ein Ehrengewand und großen Reichtum; und so endete das, was in Leid begonnen hatte, in eitel Freude. — —«

Danach fuhr die Königin Schehrezâd auf Befehl des Königs Schehrijâr fort und erzählte


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