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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


3. Wie der Königssohn sein entflohenes Weib zurückgewinnt

Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn. Da kam ein Maghrebiner 2 zu ihm und sagte: »Ich biete dir zwei königliche Juwelen, wenn du deinen Sohn zwei Stunden mit mir übers Meer fahren läßt.« Am nächsten Tage nahm der Maghrebiner den Jüngling und ging mit ihm fort. Sie fuhren einen Monat auf dem Meere und gelangten an den Fuß eines Hügels. Da kam ein Maulesel auf sie zu. Der Maghrebiner



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öffnete dessen Bauch und tat den Jüngling hinein. Dann begann er zu zaubern und legte Weihrauch auf das Feuer. Da entfloh der Maulesel und kletterte auf die Spitze des Hügels. Der Jüngling aber öffnete den Bauch des Maulesels und stieg heraus. Da rief der Maghrebiner: »Wirf doch Holz nach mir!« Aber der Jüngling blickte um sich, und da er überall Leichen sah, entgegnete er dem Maghrebiner: »Ich will nicht nach dir werfen.« Da ging der Maghrebiner von dannen, der Jüngling aber blieb zurück. Als er sich dann in der Nacht ebenfalls auf den Weg machte, sah er ein Licht und ging darauf zu. Beim Näherkommen gewahrte er ein Schloß, darin lebte nur ein Geier. Der Geier machte für den Jüngling Essen zurecht, Fleisch und Reis und einen Fladen Brot. Und der Jüngling aß und trank. Am Morgen sah er ein paar Mädchen und verliebte sich in eine von ihnen. »Laß sie mit mir ziehen!« bat er den Geier, und der gab sie ihm. Auf dem Rücken des Geiers flog er nun mit seinem jungen Weib von dannen. Der brachte sie zu der Vaterstadt des Jünglings und flog dann wieder davon.

Der Jüngling lud nun seinen Vater nach dem Gasthaus ein. Sein Weib, das unterdessen in dem Zelt zurückgeblieben war, kleidete sich in ein Gewand aus Federn und flog davon mit den Worten: »Wenn mein Mann nach mir fragt, so soll er mir nach meines Vaters Zelt folgen.« Als der Jüngling zurückkam, fand er sie nicht mehr. Da kam der Maghrebiner wieder und ging mit ihm hinweg. Wie er ihn das erstemal behandelt hatte, so behandelte er ihn auch das zweitemal. In der Nacht aber machte sich der Knabe auf und stieg wieder zum Schlosse hinab. Am Morgen brachte ihn der Geier zu seinem Bruder. Der war von ihm eine Jahresreise entfernt. Jener endlich brachte ihn zum Vater seines Weibes. Als er dort ankam, sagte sein Weib zu ihrem Vater: »Mein Mann ist angekommen, rufe ihn!« Der Vater fragt den Jüngling: »Was willst du?« Und der Jüngling antwortet: »Ich will mein Weib haben.« Da sagte der Alte: »Sieh her, ich fülle dir diesen



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Teich mit Linsen und Hirse und Korn und Sesam und Wicken. Morgen früh, wenn ich jede Körnerart für sich geordnet sehe, will ich dir dein Weib geben, wenn ich es aber nicht so antreffe, werde ich dir den Kopf abschlagen.« In der Nacht aber rief der Jüngling die Ameisen zu Hilfe, und sie legten jede Sorte für sich hin. Als der König am Morgen kam und die Körner alle säuberlich getrennt vorfand, da sagte er: »Siehe, ich fülle dir den Teich mit toten Eseln und toten Pferden und toten Kühen und toten Ziegen. Wenn du sie ißt, erhältst du dein Weib, wenn du sie aber nicht ißt, werde ich dir den Kopf abschlagen.« So tat er. In der Nacht aber rief der Jüngling die Dschinnen 1 herbei. Die aßen alles auf, und sie sagten: »Er hat uns nicht belohnt, ihm soll nichts Gutes widerfahren.« Am andern Morgen hatten sie nicht ein bißchen übriggelassen und waren wieder verschwunden. Als der König kam und sah, daß nichts übriggeblieben war, da sagte er: »Paß auf, befestige in der Nacht diese Fahne über jener Höhle und komme zurück; wenn es dir gelingen wird, will ich dir dein Weib geben, wenn nicht, werde ich dir den Kopf abschlagen.« Der Jüngling ging in der Nacht hin und steckte die Fahne auf. Dann betrat er die Höhle und sah drei Ghulen darin. Nachdem er sie getötet hatte, kam er zurück. Am Morgen sah der König die Flagge über der Höhle wehen; alsbald bestieg er sein Pferd, ritt hin und fand die Leichen der Ghulen. Da ritt er wieder zurück. Er gab nun dem Jüngling 3000 Soldaten, die mit ihm zogen, und gab ihm zwei Neger und zwei Negerinnen und vier Kästen mit Gold. Auch gab er ihm das Geleite, als er ihn wieder in seine Vaterstadt zurückkehren ließ. Ein Bote eilte zu seinem Vater voraus und meldete: »Hallo, dein Sohn ist angekommen.« Und der Vater ließ ihm Soldaten entgegenziehen und empfing ihn in seinem Hause. Dann befahl er den Soldaten: »Geht nun zu euren Standorten!« Da zogen sie wieder zu ihren Standplätzen und blieben dort.


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