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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


1. Reineke Fuchs

Ein Fellache besaß zwei Ochsen. Eines Tages, als er mit ihnen pflügte, riß sich der eine los und lief davon. Der Fellache ließ ihn laufen und begab sich nach Hause. Dabei drohte er: »Seh' ich dich morgen hier, du Ochse, dann mach' ich dir mit diesem Messer den Garaus.« Der Ochse kümmerte sich freilich nicht darum, sondern lief weiter. Als er zu einer Wiese gelangte, die mit Gras hoch bewachsen war, machte er halt und fing an zu weiden. Auf einmal stand Abu Hasan 1 , der Fuchs, vor ihm und begann also zu ihm zu sprechen: »Warum weidest du hier, du Ochse, dieser Platz gehört doch dem Panther. Wenn er dir hier begegnet, wird er dich anfallen und dir die Rippen zerbrechen.« Hierauf ging der Fuchs zum Panther und erzählte ihm: »Höre nur, dieser Ochse hat in deinem Gras geweidet.« Dann verbarg sich der Fuchs, der Panther aber ging zum Ochsen und fragte ihn: »Warum, du Ochse, weidest du auf dieser frischen Wiese?« Der erwiderte: »Mein Herr pflügte mit mir. Ich war vor Hunger erschöpft und sah diesen Platz. Ich wollte hier weiden und befinde mich also jetzt in deiner Hand.« Da ließ ihn der Panther auf jener Wiese. Nach zehn Tagen war er aber von dem guten Futter so groß geworden wie ein Kamel. Da kam wieder der Fuchs zu ihm. Der Ochse fragte: »Was ist los?« Der Fuchs gab zur Antwort: »Der Panther wird dich nur so lange hier lassen, bis du fett genug bist. Dann wird er dich mit seiner



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Tatze erschlagen und dich auffressen. Darum also«, fuhr er fort, »wenn der Panther zu dir kommt, dann stoße deine Hörner in die Erde und richte deine Augen zornig auf ihn. Alsdann durchbohre und töte ihn.«

Abu Hasan, der Fuchs, machte sich darnach auf und ging zum Panther. »Du hast den Ochsen auf der frischen Weide gelassen«, redete er ihn an, »geh nur einmal hin, ich will doch sehen, wie du mit dem fertig wirst.« — >'Was ist denn geschehen?« fragte der Panther. Abu Hasan gab zur Antwort: »Der Ochse steht jetzt so gut im Futter, daß er imstande ist, dich unfehlbar niederzumachen, sobald du ihm in den Weg läufst.« Da machte sich der Panther auf den Weg zum Ochsen. Der aber stieß sogleich seine Hörner in die Erde und richtete wutentbrannt seine Augen auf den Panther, fiel ihn an, stieß ihn mit seinem Horn und zerriß ihn. Jedoch auch der Panther griff den Ochsen an und zerfleischte ihn. Da starben sie beide, der Ochse und der Panther. Jetzt kam auch Abu Hasan herbei, der schnell noch sein Weib und seine Kinder hinzurief, um die beiden zu verzehren. Als nur noch die Knochen übrig waren, lud er auch die Angehörigen seiner Sippe zum Schmaus ein. Die verspeisten die Knochen und gingen wieder von dannen.

Einige Zeit später fand Abu Hasan in einer Beduinenniederlassung einen Schafspelz. Da steckte er seinen Kopf hindurch und zog sich den Pelz über die Schultern. So betrat er eine Höhle und fand drinnen den Bruder des Panthers. Dieser hielt ihn fest und fragte: »Abu Hasan, warum hast du meinen Bruder erschlagen?« Der erwiderte: »Ich bin nicht der Ochse.« — »Aber du warst es jedenfalls, der die beiden gegeneinander aufgehetzt hat.« Da fällt der Blick des Panthers auf den Schafspelz, den der Fuchs über seiner Schulter trug, und er fragte: »Kannst du mir nicht auch einen solchen anfertigen?« — »Gewiß«, gab Abu Hasan zur Antwort, »nur mußt du mir vier gesunde Schafe besorgen und sie töten, dann will ich dir so ein Gewand machen.« Der Panther ging und kam



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bald mit vier Schafen wieder. Der Fuchs fraß ihr Fleisch und warf ihre Felle in einen Brunnen. Als der Panther zurückkehrte und fragte: »Wo hast du den Pelz, Abu Hasan?«, da erhielt er den Bescheid, es fehle noch ein Schaf. Also brachte ihm der Panther noch ein weiteres Schaf. Abu Hasan tötete es und fraß es gemeinsam mit seinen Kindern auf. Das Fell warf er wieder in den Brunnen. Der Panther kam und fragte: »Wo hast du das Pelzkleid, Abu Hasan?« Mit den Worten: »Warte, bis ich es bringe«, eilte dieser davon, verfolgt vom Panther. Gerade wollte der Fuchs in einer Höhle verschwinden, da erwischte ihn der Panther am Schwanze. Abu Hasan zerrte und zog, bis sein Schwanz in der Tatze des Panthers blieb. Dann machte er sich schwanzlos davon. Der Panther rief ihm noch nach: »Du bist jetzt schwanzlos, Abu Hasan, daran werde ich dich kennen, wenn ich dir wieder begegne.« Damit trennten sie sich. Der Fuchs begab sich in einen Weingarten und aß Trauben. Dann rief er seine ganze Sippe herbei. »Hierher!« rief er. Sie fragten: »Wohin?« Er erwiderte: »Wir wollen Trauben essen.« So ließ er sie in den Weingarten hinuntersteigen. Jedoch meinte er: »Ich kann euch nicht essen lassen, bevor ich eure Schwänze zusammengebunden habe.« Da ließen sie es geschehen. Abu Hasan aber eilte zum Weinbergbesitzer und sagte ihm etwas ins Ohr. Darauf begab sich dieser hin und schoß auf die zusammengebundenen Füchse, so daß ihre Schwänze alle ausgerissen wurden. Abu Hasan machte sich nun auf und ging wieder zum Panther. Der sagte: »Ich werde dich greifen.« Jener fragte: »Mann, was hast du mit mir vor?« Der Panther antwortete: »Du hast die Schafe genommen und aufgefressen, ohne mir das versprochene Pelzkleid zu machen.« — »Das war ich nicht«, gab der Fuchs zurück. »Und doch warst du es!« rief der andere. »Wie kommst du auf den Gedanken, ich sei es gewesen?« — »Ich habe dir doch den Schwanz ausgerissen«, entgegnete der Panther. »Meine Verwandten sind alle ohne Schwanz«, belehrte ihn nun der Fuchs. »Das möchte ich sehen, rufe sie einmal herbei!«



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Da rief ihnen Abu Hasan. Alle kamen, und der Panther sah, daß sie alle schwanzlos waren. So konnte er nicht feststellen, wer die Schafe verzehrt hatte. Bald darauf lud der Fuchs den Panther zu sich ein. Auf eine Brunnenöffnung hatte er eine Matte gelegt, darauf ließ er den Panther Platz nehmen. Aber alsbald fiel dieser in den Brunnen. Wie er gegen den Brunnenrand empor sprang, erfaßte er den Fuchs und riß so auch ihn in den Brunnen hinab. Nun waren sie beide unten. Aber nach zwei Tagen starb der Panther vor Hunger, und Abu Hasan verspeiste ihn im Brunnen.

Da kamen zwei Bäuerinnen des Weges, die junge Hühner in Körben zum Markt trugen. Die sahen den Brunnen. Da die Sonne unterging, legten sie sich beim Brunnen zum Schlafe nieder. Zuvor jedoch hatten sie den Korb mit den Küken in den Brunnen hinabgelassen, um sie während der Nacht im Brunnen schlafen zu lassen. Aber Abu Hasan ließ von den jungen Hühnern nicht ein einziges am Leben. Als die Frauen am andern Morgen den Korb aus dem Brunnen emporzogen, lag der Fuchs schlafend im Korbe. Wie er aber oben war, entfloh er schleunig. Und die Frauen kehrten weinend in ihre Häuser zurück.

Abu Hasan ging nun in sich und sprach: »Ich will die Pilgerfahrt nach Mekka antreten, um Buße zu tun für meine Sünden.« Da traf er einen Beduinen, der zu Kamel gerade die Pilgerreise ausführen wollte. Abu Hasan hängte sich also an den Schwanz des Kamels. Als der Beduine sich umblickte, sah er ihn, wie er den Schwanz des Kamels ergriffen hatte. Der Beduine nahm sein Schwert und schlug nach Abu Hasan, dabei aber schnitt er seinem Kamel den Schwanz ab. Da machte Abu Hasan sich davon und kehrte wieder um. Unterwegs sah er einen Sperling, der auf seinen Jungen saß. Sogleich ging er hin, um die jungen Vögel zu verschlingen. Der Sperling bat: »Ich verlasse mich auf deine Großmut, Abu Hasan, friß nicht meine Kinder.« Der Fuchs entgegnete: »Ja, wenn du mich zum Lachen bringst!« Der Vogel fragte: »Womit



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denn?« Der Fuchs antwortete: »Mit jenen Schnittern dort.« Der Sperling sprach: »Bleib stehen!« Dann ging er hin und setzte sich auf den Kopf eines der Leute. Schnell lief ein anderer hinzu, um den Sperling mit der Sichel zu töten, schlug aber dabei den Kopf des Mannes ab. Da lachte Abu Hasan und war zufrieden. Als er sich nun wieder an die Sperlingsjungen heranmachen wollte, um sie aufzufressen, fragte die Sperlingsmutter: »Was für einen Wunsch hast du noch?« Der Fuchs erwiderte: »Ich bin durstig, ich möchte das Wasser trinken, das jene Frau in ihrem Kruge hat.« Da hüpfte der Sperling vor der Frau her.

Diese stellte nun ihren Krug hin und wandte sich nach dem Sperling, um ihn einzufangen. Währenddessen schlich Abu Hasan herbei und trank alles Wasser aus.


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