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Die deutschen Volks-Bücher

wiedererzählt von Gustav Schwab II


Nachwort



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Gustav Schwabs Deutsche Volksbücher erschienen zuerst 1836 und 1837 unter dem Titel "Buch der schönsten Geschichten und Sagen, für jung und alt wiedererzählt". den nächsten drei Jahren folgten die "Schönsten Sagen des klassischen Altertums". Beide Werke stellen die eigentliche Leistung Schwabs dar. Jede gerechte Darstellung seines Schaffens muß sie in den Mittelpunkt rücken. Alles andere, was Schwab gedichtet, übersetzt, besprochen und herausgegeben hat, erscheint nur als eine Vorbereitung zu diesen glänzenden Nacherzählungen, in denen seine Veranlagung des Sicheinfühlens und Nachschaffens auf den Gipfel gelangte. Während das Genie plötzlich in einer Familie auftaucht und von der Lebensstellung der Eltern vollkommen unabhängig zu sein scheint, entstammen fast alle großen Umwandler und Übersetzer einer geistig gehobenen Schicht. So ist auch Gustav Benjamin Schwab, wie sein voller Name lautet, ein Professorensohn Sein Vater, Johann Christoph Schwab, lehrte an der Hohen Karlsschule, die Schiller besucht hat, Logik und Metaphysik. Daher empfängt Gustav Schwab von Jugend auf reiche Anregungen, arbeitet unermüdlich an seiner eigenen Ausbildung, begeistert sich für jeden Großen, mit dem er zusammentrifft, und versucht, Ähnliches zu leisten wie dieser. Wenn ihm das nicht ganz gelingt, dann ist er aber, im Unterschiede z. B. von August Wilhelm Schlegel und selbst von Herder, völlig frei von Arger und Verbitterung. Er ist durchaus nicht ohne Selbstbewußtsein, aber er hat die glückliche Gabe, mit der Adjutantenrolle zufrieden zu sein. Er weiß, daß er vieles kann, was andere nicht können, und sieht nicht ein, warum er sich darüber grämen soll, daß es Aufgaben gibt, die andere besser lösen als er. Man hat Schwab bisweilen einen Vorwurf daraus gemacht, daß er sich nicht in seelischen Kämpfen aufgerieben hat. Man sollte sich lieber über seine geistige Gesundheit freuen und seine Neidlosigkeit bewundern. Gerade bei Schriftstellern findet sie sich selten. Schwabs stete Bereitschaft, die Leistungen anderer anzuerkennen und zu rühmen, erinnert unmittelbar an die des alten Gleim, der im achtzehnten Jahrhundert so viele Dichter freundlich gefördert hat, und ist menschlich



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eine außerordentlich wertvolle Eigenschaft. Sie ist aber auch den Volksbüchern zugute gekommen, weil sie Schwab das Sicheinfühlen in die Schöpfungen anderer gewaltig erleichterte. Er hatte außerdem den Drang, andern seine Begeisterung mitzuteilen, sie liebevoll in die von ihm entdeckten Schönheiten einzuführen, namentlich die Jüngeren freundlich an der Hand zu nehmen und zu leiten. Man findet diese Neigung nicht selten bei Söhnen von Lehrern und Pastoren. Schwab hat diese ererbte Fähigkeit in eigener Tätigkeit als Lehrer und Seelsorger weiter entwickelt und daher in seinen Hauptwerken echte Jugendbücher geschaffen.

In Stuttgart am 19. Juni 1792 geboren, besuchte Schwab das dortige Gymnasium und studierte von 1809 bis 1814 in Tübingen Philologie, Philosophie und Theologie. Die Altertumswissenschaft und das Christentum sind ihm immer gleich teuer geblieben; die Philosophie, die seinem Vater die Hauptsache gewesen war, lag ihm dagegen weniger und spielte in seiner Entwicklung keine entscheidende Rolle. Schwab blieb aber auch dem gesellschaftlichen Leben nicht fremd. Seine Mitstudenten nannten ihn den Abbe, weil er einem gewandten Weltabt des achtzehnten Jahrhunderts in Kleidung und Auftreten ähnlicher war als einem schwäbischen Theologen. Freundschaft schloß er mit Justinus Kerner (1786 —1862), dem Lyriker, Arzte und Geisterseher, der zwanzig Jahre später das Spiritisienbuch "Die Seherin von Prevorst" veröffentlichte, und mit Ludwig Uhland, der 181s mit den "Gedichten"seinen Ruhm begründete. Schwab bewunderte Uhlands Balladen rückhaltlos und betrachtete sich zeitlebens als den Gefolgsmann des Dichters, der nur sechs Jahre älter war als er. Zu der Entstehung des Namens der "Schwäbischen Schule"hat die Bereitwilligkeit, mit der sich Schwab unterordnete, sehr wesentlich beigetragen . Er rief Uhland zu:

Mich laß immer froh gestehen,
Daß ich dein ält'ster Schüler bin:
Will den in mir die Nachwelt sehen,
So zieht mein Schatten aufrecht hin.


***
Das Leben Schwabs verlief nach dem Abschluß seiner Studien in geregelten Bahnen. Nachdem er ein halbes Jahr als Vikar in Bernhausen gewirkt hatte, unternahm er 181S eine Reise nach Norddeutschland. Er wurde in Weimar von Goethe freundlich aufgenommen und lernte in Berlin Schleiermacher, Chamisso und E. T. A. Hoffmann, in Kassel die Brüder Grimm kennen. Nach der Rückkehr wurde er Repetent am Tübinger



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Stift und 1817 Professor am Obern Gymnasium in Stuttgart. Im nächsten Jahre heiratete er Sophie Karoline Gmelin, mit der er sich in Tübingen verlobt hatte. Sie war eine ebenso gesellige Natur wie er und übte eine ausgedehnte Gastfreundschaft. Als Lehrer gewann Schwab rasch die Zuneigung seiner Schüler, weil er außerordentlich lebendig vortrug und namentlich auf die Begabten anregend wirkte. Die Hauptsache war ihm aber doch das literarische Schaffen, das ihn bereits von Zeit zu Zeit auf das Gebiet der Volksbücher führte. Uhland hatte 1810 Robert den Teufel zum Helden eines Balladenzyklus machen wollen, ließ den Plan aber bald fallen. Schwab nahm ihn 1820 auf mit der Erklärung:
Und was der Meister nicht schaffen will,
Das schaffet der Gesell.


***
Er benutzte Uhlands Aufsatz "wer das altfranzösische Epos" und lieh sich von ihm auch das französische Volksbuch von Limoges "Das schreckliche und entsetzliche Leben Roberts des Teufels", das er damals seinen Romanzen und später seiner Prosaerzählung zugrunde legte. Ebenso trat ihm Uhland den Stoff für die "Griseldis"(1829) in zehn Romanzen ab. Schwabs Quelle war Martinus von Kochem, dessen Erzählung er in den Romanzen mit sentimentalen Zusätzen ausschmückte. Als Schwab denselben Stoff 183s für die Volksbücher behandelte, tilgte er gerade diese Zutaten wieder und hielt sich viel enger an Kochem. Man sieht hier ganz deutlich, wie die Romanzen, in denen Schwab so viele Stoffe behandelt hat, nur erste Versuche sind, denen dann die endgültige Gestaltung in den Volksbüchern folgt.

Ihrem Stoffkreis gehört auch die Legende von den Heiligen Drei Königen an, durch die Schwab in engere Beziehungen zu dem greisen Goethe kam. Der Vermittler war Sulpiz Boisserée (1783 —1854), der Erforscher der Gotik, und besonders der Geschichte des Kölner Doms, der Gatte Mathilde Rapps, einer Kusine Schwabs. Boisserée war eng mit Goethe befreundet und hat sich viel Mühe gegeben, den Olympier in einen Verehrer der altdeutschen Kunst zu verwandeln. Zu seiner Betrübnis ging Goethe aber immer nur eine Weile mit ihm und kehrte dann hartnäckig zum Kultus der antiken Baukunst zurück. Goethe besaß eine lateinische Handschrift der Legende von den Heiligen Drei Königen von Johannes von Hildesheim. Er schrieb 1819 an Boisserée: wüßte kein Volksbuch, neben dem dieses Büchlein nicht stehen könnte." Zu seiner Freude übernahm, wie er in seinen "Annalen" unter dem Jahre 1821 berichtet,



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"ein geistreicher junger Mann, Dr. Schwab", die Üersetzung. Sie erschien 1822, und Goethe steuerte das Motto bei:

Wenn was irgend ist geschehen,
Hört man's noch in späten Tagen;
Immer klingend wird es wehen,
Wenn die Glock ' ist angeschlagen.
Und so laßt von diesem Schalle
Euch erheitern, viele, viele!
Denn am Ende sind wir alle
Pilgernd' Könige zum Ziele.


***
Goethe erkannte damals bereits Schwabs Fähigkeit, sich dem Erzählerton einer Vorlage aufs glücklichste anzupassen. Er schrieb an Boisserée: "Herrn Schwab grüßen Sie zum allerschönsten; der frühere Eindruck sowohl des Originals als seiner Übersetzung bleibt immer ebenderselbige. Der Ton ist ihm glücklich gelungen, worauf bei solchen Dingen immer alles ankommt ." In seiner Zeitschrift"Sunst und Altertum"rühmte Goethe 1822 die der Übersetzung beigefügten zwölf Romanzen, in denen Schwab den Stoff dichterisch geformt hatte, als "ein angenehmes Geschenk". Vom Stile des jungen Dichters sagte Goethe, er sei, "obgleich einige Jahrhunderte rückwärts gebildet, doch ohne Zwang und Unnatur; das Vorgetragene liest sich gut und leicht". Dieses Urteil würde Goethe auch über die Deutschen Volksbücher gefällt haben, wenn er ihr Erscheinen erlebt hätte.

Seine Besprechung lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf Schwab, der nun erst berühmt zu werden anfing. 1823 veröffentlichte er die lateinische Übersetzung der vaterländischen Gedichte seines Meisters Uhland in Horazischen Versmaßen und das Reisebuch "Die Neckarseite der Schwäbischen Alb". Man hielt damals die Dichter für die berufenen Landschaftskünder und ließ mit Vorliebe die Reiseführer von ihnen verfassen . Schwabs Wanderbücher sind von besonderer Bedeutung, weil er die Mehrzahl seiner Balladen als Einlagen für sie gedichtet hat. Die Stoffe entnahm er teils den alten Chroniken, aus denen er sich über die örtliche Geschichte unterrichtete; teils fing er sie aus der mündlichen Überlieferung auf. Als Schwab sich 182s zu solchen Studien an den Bodensee begab, empfahl ihn Uhland dem Freiherrn Joseph von Laßberg (1770 bis 1855), der damals noch zu Eppishausen im Thurgau lebte und dort, wie später auf der Meersburg, deutsche Altertümer und Handschriften



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sammelte. Laßberg schrieb an Uhland: "Ich betrachte den Tag, an dem ich mit diesem wackern Manne zusammentraf, als einen, den man mit einem weißen Steine bezeichnen muß." Schwab und der romantische Germanist blieben Freunde. Durch die vielen Mitteilungen, die ihm der Freiherr von Laßberg machte, wurde der geschichtliche Teil in Schwabs Reisebuch "Bodensee nebst dem Rheintale von St. Luziensteig bis Rheinegg" (1827) die Hauptsache. In ihm finden wir Schwabs bedeutendste Ballade "Der Reiter und der Bodensee". Die mündliche Mitteilung, die Schwab als Quelle angibt, kam sicher aus Laßbergs Munde.

Ein Jahr vor diesem Reisewerk veröffentlichte Schwab seine Übersetzung der "Poetischen Gedanken" des französischen Romantikers Alphonse de Lamartine (1790 —1869). Daher fand er in Paris, wohin er 1827 reiste, sofort Fühlung mit allen berühmten Zeitgenossen. Er leitete von 1827 bis 1837 den poetischen Teil von Cottas Morgenblatt, half Chamisso bei der Redaktion seines Musenalmanachs, entdeckte und förderte junge Dichter und schrieb unermüdlich, ohne daß seine Lehrtätigkeit, die ein anderer längst aufgegeben hätte, darunter litt. Sein Haus in Stuttgart wurde nicht leer von Besuchern. Es war das literarische Zentrum Süddeutschlands. Man könnte von einem Schwabschen Salon reden, aber der gemütvolle und herzliche Ton, der dort herrschte, war viel zu echt schwäbisch, um diese Pariser Bezeichnung zuzulassen. Ein packendes Bild von dem Leben des Schwabschen Hauses gibt der Brief, den der sonst so schwermütige Dichter Nikolaus Lenau am s. Oktober 1831 an seinen Schwager Schurz schrieb: "Ich lebe jetzt in Stuttgart im Hause meines innigen Freundes, Professors Schwab, und meiner innigen Freundin, dessen Gemahlin. Vielbereichert an schönen Erfahrungen über den wahren Menschenwert, reicher an manchem Freunde und an Lebensmut und an Selbstvertrauen bin ich geworden seit unserer Trennung. Bruder l Ich habe eine poetische Wallfahrt gemacht zu Uhland, Mayer, Justinus Kerner, habe Ebert hier getroffen, mein ganzes Leben war ein höchst poetisches . Die lebhafteste Teilnahme, die feurigste Ermunterung wurde mir zuteil von allen, die ich hier genannt habe. Aber enthusiastisch war schon bei unserer ersten Begegnung Schwab von meiner Poesie ergriffen. Ich muß Dir gestehen, daß es mir unendlich behaglich war, zu sehen, wie jeder Gedanke sogleich zündete in dem empfänglichen Gemüte dieses Mannes; eine solche Wirksamkeit hätte ich meinen Leistungen nicht zugetraut, ist auch vieles davon auf die große Lebhaftigkeit Schwabs zu sehen. Am ersten Tage meines Hierseins führte mich Schwab abends in einen Leseverein



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und trug hier mehrere meiner Gedichte selbst vor mit großem Feuer. Als sich die Gesellschaft getrennt hatte, blieben nur Schwab, ich und ein junger Dichter, Gustav Pfizer, zurück. Da wurde noch gelesen, getrunken, Bruderschaft getrunken, geraset auf mancherlei Art bis spät nach Mitternacht ."

Die gesunde Lebensfreude Schwabs muß sehr groß gewesen sein, wenn sie einen solchen Melancholiker ohne weiteres mitriß. Im übrigen sehen wir ihn wieder in der Rolle des Bannerträgers, obwohl Lenau zwölf Jahre jünger ist und seinen Ruhm erst noch erwerben soll. Er hat Schwab dann die erste Ausgabe seiner "Gedichte" (1832) gewidmet. Auch Ferdinand Freiligrath ist erst durch Schwab der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Und das alles leistet ein Mann, der zugleich Schriftleiter und Gymnasialprofessor ist

Schwab führte dieses an Anregungen und Arbeiten überreiche Leben bis zum Jahre 1837, also bis zum Erscheinen der Deutschen Volksbücher. Dann erst machte sich bei dem Fünfundvierzigjährigen eine gewisse Ermüdung bemerkbar. Er machte ganz unvermittelt einen Kopfsprung in die Einsamkeit, indem er sich die Landpfarre zu Gomaringen, südlich von Tübingen, übertragen ließ. Sein Amt ließ ihm zwar die ersehnte Muße zu literarischen Arbeiten, aber auf die Dauer genügte die beschauliche Tätigkeit seinem rastlosen Temperament nicht. Schon 1841 kehrte er als Pfarrer und Amtsdekan nach Stuttgart zurück und hielt dort Vorlesungen über deutsche Literatur. 1845 wurde er Oberkonsifiorialrat und Oberstudienrat . Ohne vorher krank gewesen zu sein, wurde Schwab am 4. November 1850 durch einen Schlaganfall aus seinem arbeitsreichen Leben gerissen, das sicher glücklicher gewesen ist als das manches genialer Veranlagten.

Seine Deutschen Volksbücher sind zwar zeitlich durch mehrere Jahrzehnte vom "Wunderhorn" (1806 —1808) und den "Kinder- und Hausmärchen "(1812 —1815) der Brüder Grimm getrennt, gehören aber mit ihnen zu den bleibenden Schöpfungen der deutschen Romantik, die dem Worte Volk überhaupt erst die Bedeutung, in der wir es heute gebrauchen, verliehen hat. Schwab gab seiner Ausgabe die ganz im Sinne Arnims, Brentanos und der Brüder Grimm geschriebenen Worte mit: "Die Sagen unserer Volksbücher sind Ausfluß und Quelle der reichsten Poesie. Entsprungen großenteils aus dem alten Born germanischer Nationaldichtung , blieben sie dem Volke teuer, auch als die Verbildung der höhern Stände in späteren Jahrhunderten ihrer spottete." In der Tat hat man



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jahrhundertelang überhaupt nicht gewußt, daß die Volksbücher Kulturwerte sind, sondern sie gewissermaßen zum Unterholz im Walde der Dichtung gerechnet. Die ersten Volksbücher entstanden im fünfzehnten Jahrhundert, als das ritterliche Epos in Versen aus der Mode kam. Während die alten Dichtungen vorher viel häufiger vorgetragen und angehört als gelesen wurden, löste man sie damals in Prosa auf, damit sie jeder lesen könne. Zunächst bedeutete das eine gewaltige Erweiterung des Kreises der Genießenden. Die Volksbücher waren für das gange Volk, für alle, die lesen konnten, gedacht. Der Vorgang beschränkt sich auch keineswegs auf Deutschland. Vielmehr sind gerade unter den deutschen Volksbüchern anfangs die übersetzungen aus dem Italienischen und dem Französischen besonders zahlreich. Es ist aber dann eine gründliche Eindeutschung erfolgt, so daß man beispielsweise in der "Schönen Melusina" nur mit einiger Mühe die Stammessage der französischen Grafen von Lusignan erkennt. Um einen verhältnismäßig widerstandsfähigen Handlungskern haben sich allmählich die verschiedenartigsten Bestandteile gelagert. Karl der Große wird in den "Vier Haimonskindern" der ohnmächtige Herrscher des späten Mittelalters, der weniger zu sagen hat als seine mächtigen Vasallen. Die alten Kreuzzüge verschmelzen mit den noch im Gange befindlichen Türkenkriegen zu einer Einheit. Zu dieser Angleichung und Vereinfachung historischer Geschehnisse treten Wandlungen der Sprache. Sie wird nicht etwa naiver und einfacher, sondern prunkvoll und geziert, weil das im Zeitalter des Barocks für vornehm gilt. Namentlich die Reden der Personen von hoher Abkunft nehmen den komplimentreichen und bisweilen schwülstigen Stil der "Haupt- und Staatsaktion" an. Andrerseits aber treten den vom ritterlichen Epos abstammenden Volksbüchern solche zur Seite, die ihren derben Charakter bewahren, weil sie einer ganz andern Welt entstammen, nämlich dem Denken der Bürger und Bauern des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Nach der komischen Seite vertreten diese Gattung die "Schildbürger", nach der tragischen der "Doktor Faustus".

Der verbildete Geschmack der Leser wandte sich aber im siebzehnten Jahrhundert überhaupt von den Volksbüchern ab und bevorzugte eine an den Fürstenhöfen gepflegte, von ausländischen Vorbildern abhängige Kunstpoesie. So trat der sonderbare Zustand ein, daß die Volksbücher, in denen die ritterliche Überlieferung fortlebte, nicht mehr von den Adligen gelesen wurden, sondern nur vom Volke, d. h. von den Schichten, die an der höheren Bildung keinen Anteil hatten, und allenfalls noch von Kindern Dem entsprach, wie Goethe berichtet, die äußere Ausstattung der



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Volksbücher: "Sie wurden wegen des großen Abgangs mit stehenden Lettern auf das schrecklichste Löschpapier fast unleserlich gedruckt. Wir Kinder hatten also das Glück, diese schätzbaren Überreste der Mittelzeit auf einem Tischchen vor der Haustüre eines Büchertrödlers täglich zu finden und sie uns für ein paar Kreuzer zuzueignen... Der größte Vorteil dabei war, daß, wenn wir ein solches Heft zerlesen oder sonst beschädigt hatten, es bald wieder angeschafft und aufs neue verschlungen werden konnte."

Die Erlösung aus diesem Aschenbrödeldasein erfolgte erst im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Sieht man von Goethes Erneuerung und gewaltiger Ausgestaltung des Faust-stoffes ab, dann war Ludwig Tieck der erste, der die deutschen Volksbücher wieder erstehen ließ. Er verwandelte die "Schildbürger" in eine Satire auf die Aufklärung, spann die "Genoveva" und den "Kaiser Oktavianus" zu endlosen Dramen aus und dichtete einige seiner schönsten Lieder als Einlagen zu der "Wundersamen Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter aus der Provence" . Aber hier wie überall waren Tieck seine eigenen Zusätze die Hauptsache und das alte Werk nur eine Art von Anregungsmittel, das Stimmungen und Einfälle auslöste. Daher sind von seiner Erneuerung, überladung und Verzerrung der Volksbücher nur die Magelone-Lieder, die Brahms komponiert hat, lebendig geblieben. Im übrigen versanken seine Schnörkel mit dem Geschmack für die romantische Ironie, die mit allem nur spielt und nichts ernst nimmt. Viel näher kam die Heidelberger Romantik, die das deutsche Volkstum über alles schätzte, dem wirklichen Geiste der Volksbücher. Joseph Görres, der mit Achim von Arnim und Clemens Brentano die "Einsiedlerzeitung"herausgab, veröffentlichte 1807 sein Buch "Die teutschen Volksbücher", das als Grundlage der Forschung auf diesem Gebiete gilt. Als Gustav Schwab 1836 seine Nacherzählungen herausgab, nannte er Görres "seinen Führer zu diesen alten Schätzen".

Die sachliche Bescheidenheit, mit der er — im Gegensatze zu Tieck — völlig in den Hintergrund tritt, und die warme Herzlichkeit, mit der Schwab jede Erzählung durchdringt, sind hundertmal wertvoller als eine geistreiche Willkür, die fortwährend zu sagen scheint: "Seht, was ich daraus mache!" Schwab trifft den Märchenton im "Gehörnten Siegfried" und im "Schloß in der Höhle Xa Xa'' ebenso sicher wie den des ritterlichen Epos im "Armen Heinrich", den der Chronik in der "Schönen Melusina" und den der frommen Legende in der "Genoveva", in "Robert



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dem Teufel" und im "Kaiser Oktavianus". Beim "Doktor Faustus"liegt die Versuchung, sich an Goethe zu halten, außerordentlich nahe, aber Schwab überwindet sie und folgt dem Widmannschen und dem Pfizerschen Faustbuche Er behält aber nicht die den Leser nur verwirrende Namensform Mephostophiles bei, sondern setzt an ihre Stelle das durch Goethe in der Weltliteratur eingebürgerte Mephistopheles. In solchen Einzelheiten zeigt sich eben ein sicherer Takt, der genau fühlt, wann das Alte und wann das Neue am Platze ist.

Wirklich vollendet wurde Schwabs Werk aber erst 1859, also fast ein Jahrzehnt nach seinem Tode. Damals erschien die vierte Auflage, illustriert von einer Gruppe von Zeichnern, die zur Düsseldorfer Historienmalerei gerechnet werden und sich um Eduard Bendemann, den Illustrator der Nibelungen scharten. Die Führung haben unter diesen Künstlern Adolf Ehrhardt und Oskar Pletsch, die zusammen über hundert Zeichnungen für die "Deutschen Volksbücher" geliefert haben. Vor den unzähligen Melusinen, die uns die deutschen Maler geschenkt haben, zeichnet sich die Ehrhardts durch Schwung und leidenschaftliche Bewegtheit glänzend aus. Im "Kaiser Oktavianus"hat Ehrhardt die grotesken Episoden besonders liebevoll behandelt und namentlich den Gegensatz zwischen ängstlichen Bürgern und kriegerischen Adligen famos herausgearbeitet. Dazu gesellt sich Theodor Grosses Turnierbild, das sofort ahnen läßt, wie viele Schlösser dieser Maler mit seinen Fresken geschmückt hat. Die gestaltenreichen Bilder Anton Dietrichs zeigen, daß er auch hier mit seinem Meister, Schnorr von Carolsfeld, wetteifert. Dagegen ist Wilhelm Camphausen , der so gern kämpfende Ritter und stolze Rosse gemalt hat, der berufene Zeichner für die nie endenden Raufhandel der "Vier Haimonskinder" und für "Robert den Teufel". Sogar wenn der gewalttätige Robert reuig vor seiner Mutter steht und sein Schicksal hört; blickt sein treues Roß verwundert zum Fenster herein. Camphausen fühlt sich aber auch in das Legendarische ein und stellt prachtvoll den Erzengel Michael mit dem Flammenschwerte über den besiegt in den Abgrund stürzenden Satan. Man hebt heute gern hervor; daß die Düsseldorfer Historienmaler ihr Bestes nicht in Wandgemälden, sondern in der Buchillustration geleistet haben. Dann ist es aber an der Zeit, diese Leistungen wieder zugänglich zu machen, wie das in dieser Ausgabe der "Deutschen Volksbücher" geschieht. In ihr finden sich nicht nur Bilder von Festen und Turnieren, Kämpfen und Schlachten, sondern der bürgerlich-bäuerliche Teil der Erzählungen kommt genau so schön zur Darstellung. Der Humor,



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über den Oskar Pletsch verfügte, zeigt sich in gleicher Drolligkeit im Bilde des alten Zauberers, der sich des Schlosses aus der Höhle Xa Xa wieder bemächtigt hat, wie in der Begegnung der beiden Schweinehirten in den "Schildbürgern". Man merkt hier und in den amüsanten Bildern zum "Fortunat"besonders deutlich, wie nahe Pletsch der Kunst Ludwig Richters , den er verehrte, in seinen besten Leistungen gekommen ist. Besonders begabt als Jugendzeichner war Theobald von Oer, der Freund Robert Reinicks. Er hat die Kämpfe Herzog Ernsts gegen Riesen und Kranichköpfe kindlich gemütvoll illustriert.

So macht das Gesamtwerk durchaus den Eindruck, als ob es die Künstler unter sich aufgeteilt hätten, damit jeder das ihm Zusagende schaffen könne. Trotz aller Verschiedenheiten im einzelnen ist aber doch ein einheitlicher Stil da, der eben in der allen Romantikern gemeinsamen liebevollen Achtung vor der Vorstellungswelt des ausgehenden Mittelalters wurzelt. In dieser warmherzigen Auffassung sind sie völlig einig mit Gustav Schwab, so daß nichts in den Volksbüchern störend oder erzwumgen wirkt. Unsere Ausgabe folgt daher im Text und in den Illustrationen genau der Ausgabe von 1859, die als die klassische Gestalt der Deutschen Volksbücher gelten muß.


Copyright: arpa, 2015.

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