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Die deutschen Volks-Bücher

wiedererzählt von Gustav Schwab II


Kaiser Oktavianus

Mit Bildern von Adolf Ehrhardt



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Es war, als der König Dagobert in Frankreich regierte, zu Rom ein gewaltiger und unüberwindlicher Kaiser, Oktavianus genannt. Dieser hatte eine Gemahlin, welche zu ihrer Zeit als die allerschönste und klügste Frau gepriesen wurde; in aller Menschen Augen erschien sie lieblich und tugendsam , und das ganze römische Volk war ihres Lobes voll. Der Kaiser und seine Gemahlin wohnten glücklich und freundlich beieinander; lange Zeit jedoch war ihre Ehe mit keinen Kindern gesegnet. Endlich aber gebar die Kaiserin zwei Söhne auf einmal; schönere und lieblichere Knaben konnte man nicht sehen. Solches war niemand leid als des Kaisers Mutter; denn diese war ihrer Schwiegertochter sehr feind. Darum dachte sie darauf, in die schöne Saat Gift zu säen. Und nachdem sie vergebens versucht hatte, dem Kaiser Zweifel gegen die Treue seines Weibes einzuflößen, bestach sie einen unehrlichen Diener, daß er sich in das Gemach der schlummernden Kaiserin schlich und dort von dem Kaiser, den das tückische Weib gerufen hatte, betreffen ließ. Der Kaiser, in großem Zorn, zog sein Schwert aus; doch bedachte er sich und wollte sie nicht im Schlaf ermorden. "Warum ertötet ihr sie nicht eilig?" sprach die alte Mutter zu ihrem Sohne. "Ist sie Euch nicht überwiesen genug? Folget meinem Rat und bringet beide eilends um." Dem Knechte aber hatte das falsche Weib verheißen, es sollte ihm kein Leid widerfahren. Oktavianus antwortete seiner Mutter: "Es will sich nicht geziemen, daß ein Kaiser jemand unverhört im Schlafe hinrichte." Er sah dabei seine fromme Gemahlin, welche so sanft schlief wie eine, die nichts Arges im Herzen hat, lang und unverwandt an. Indem nun der Kaiser vor ihr stand, kam ihr ein schwerer Traum vor die Seele. Ihr deuchte, ein starker Löwe nahe sich, werfe sie auf die Erde nieder, reiße ihren schneeweißen Schleier ab und zerre ihn in Stücke. Alsdann fasse er ihre beiden Kinder an, sie wegzutragen. Da fing sie laut an zu schreien: "Ach Gott, meine lieben Kinder l Wer will mich an dem starken Löwen rächen?"Indem sie so schrie, gingen ihr die Augen auf, und sie sah den Kaiser mit dem bloßen Schwerte vor sich stehen. Doch nicht dieses machte ihr Not, sondern sie suchte nur nach ihren



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Kindern, ob die noch da wären. Indem erblickte sie den Diener neben sich und schrie mit lauter Stimme: "Ewiger Gottl Wer hat mir eine solche Verräterei zugerichtet? Wer ist dieser Menschl Ich habe ihn nie gesehen!" — "Ach, liebe Frau", sprach da des Kaisers falsche Mutter, "es ist ja der, den Ihr so lange liebgehabt habt, und den Ihr jetzt in des Kaisers Abwesenheit habt rufen lassen. Aber der Kaiser", fuhr sie fort, "mein Herr und Sohn, ist solches längst gewahr worden, und du, Schälkin, magst es immerhin verhehlen wollen. Schändliche Metze, deine Sache ist endlich an den Tag gekommen!" Die arme Kaiserin rechtfertigte sich unter Seufzen und Weinen, und der Kaiser selbst war so betrübt, daß er lieber hätte tot sein wollen. Doch sprach er: "Wer ist, der seine Frau mit einem Buben findet und nicht glauben wollte, daß sie an ihm treubrüchig geworden?" Die Kaiserin konnte nicht mehr sprechen, sondern fuhr nur fort zu weinen. Der Kaiser aber ward ergrimmt und sprach: "Frau, Euer Weinen hilft Euch nichts; denn ich habe die Sache mit meinen eigenen Augen gesehen!" Und von Stund an rief er Ritterschaft und Diener herbei und sprach zu ihnen: "Ihr sehet, liebe Herren, die ehrlose Tat, deren sich meine Frau wider mich schuldig gemacht hat. Darum nehmet sie mitsamt ihren Kindern gefangen und werfet sie in das tiefste Gefängnis!" Als die Kaiserin nach ihres Gemahles Befehl von den Dienern weggeführt worden war und der Kaiser sich mit dem falschen Knecht allein sah, kam ihn ein solcher Grimm an, daß er demselben, ohne Verhör und Verantwortung sein Haupt mit dem Schwerte spaltete. Am andern Morgen ward der Leichnam hinausgeschleift und an den Galgen gehenkt. Hierauf ging der Kaiser weiter zu Rate, was mit der Kaiserin und ihren zwei Kindern, die er nicht mehr für die seinigen hielt, zu tun wäre; denn er gedachte, sie alle drei verbrennen zu lassen. Als nun die Herren zu Rate saßen, stellte ihnen der Kaiser die große Schmach vor, welche seine Gemahlin an ihm begangen hätte, und verkündigte ihnen seinen Entschluß. Wie er seine lange Rede geendet, sahen die Herrn und Räte einander an, und keiner wollte zuerst das Wort nehmen. Endlich wagte es der Älteste, welcher sich immer mehr um das Tun und Lassen der Kaiser bekümmert hatte als die andern, und sprach: "Gnädiger Herr! Ihr begehret, wir sollen die Kaiserin verurteilen, und doch ist die Tat noch nicht bezeugt. Auch stehet die Beklagte nicht vor uns, daß wir ihre Verantwortung anhören könnten; denn es wäre möglich, daß diese Sache durch Verräterei veranstaltet worden." Jetzt wagte es auch ein anderer und sprach: "Gedenket, Herr, an den Eid, den Ihr der Kaiserin geschworen, als Ihr sie zur Ehe begehrtet:



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daß Ihr ihren Leib schirmen und bewahren wollet wie Euern eigenen. Nun ist diese Tat nicht bezeugt, und wissen wir nicht, ob nicht Neid und Verrat im Spiele sind. Darum sehet zu, daß Ihr nicht treulos an Eurer Frau werdet und Euren Eid an ihr nicht brechet!" Alle Räte miteinander traten dieser Meinung bei, so daß niemand mehr auf der Seite des Kaisers war als seine alte Mutter, die ihm stets anlag, er sollte die fromme Kaiserin, die mit ihren wimmernden Kindern hart gefangen- verbrennen. Die arme Frau im Kerker gab den Kindern manchen Kuß und sprach: "Liebe Kinder, was haben wir unserem Gott getan, daß wir so unschuldig sterben müssen?" Solche Klage führte sie Tag und Nacht. Endlich, als drei Tage umwaren, versammelte der Kaiser seine Räte wieder und begehrte, daß sie das Urteil wider die Kaiserin sprechen sollten. Da die Räte des Kaisers Ernst sahen, sprachen sie einmütig: "Allergnädigster Herr! Sehet wohl zu, was Ihr tut. Wir können die fromme Kaiserin auf keine Weise verurteilen und haben nichts wider sie gefunden; sehet und werdet nicht meineidig an ihr. Unser Rat wäre, Ihr solltet die Unschuldige zufrieden lassen und die beiden Knaben aufziehen, bis sie den Harnisch tragen könnten und man sähe, was aus ihnen werden soll." Der Kaiser besann sich lang über diesen Worten; denn er hatte sie sehr liebgehabt. Doch fiel ihm der Diener wieder ein, von dem er meinte, daß sie lange mit ihm gebuhlt hätte, so daß er seine eigenen Kinder nicht für solche anerkennen mochte. Da ging er zu seiner Mutter und erholte sich Rats bei ihr. Diese schalt die Räte meineidige Bösewichter und drang fortwährend in ihn, Mutter und Kinder verbrennen zu lassen. Nun fügten sich endlich die Obersten und Räte, als sie sahen, daß der Kaiser unerbittlich war.

Jetzt wurde ein großes Feuer vor der Stadt Rom aufgemacht, und dreißig Stadtknechte erhielten den Befehl, die Kaiserin samt ihren zwei Kindern aus dem Gefängnis zu holen und vor die Stadt hinauszuführen. Reich und arm, jung und alt, wer es mitansah, hatte ein großes Mitleiden mit der hohen Frau und den zwei unmündigen, unschuldigen Kindern. "Lieben Männer", sprach die Kaiserin zu den Dienern, als sie das Feuer von ferne auflodern sah, ,saget mir um Gottes willen, was wird man mit mir und meinen Kindern anfangens" Da erhub sich einer unter den Stadtknechten und sprach: "Weh mir, daß ich es Euch sagen sollt Aber da es Euch doch nicht verborgen bleiben kann, so wisset, daß der Kaiser jetzt ein großes Feuer vor der Stadt hat anzünden lassen und uns befohlen, Euch und Eure zwei Kinder darin zu verbrennen." Da das die Kaiserin



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hörte, erschrak sie von Herzen, doch wandte sie sich zum Gebet und sprach: "Allmächtiger Gott! Wer weiß, womit ich es verdient habe; wenn es dein Wille ist, so mag ich ihm nicht widerstreben!" So kam sie unter Weinen und Beten vor den Kaiser und die andern Herrn, die ein großes Erbarmen mit ihr hatten. Der Kaiser aber, sobald er ihrer ansichtig wurde, hieß sie samt ihren Kindern ins Feuer werfen, weil sie so schändlich an ihm wortbrüchig geworden. Und doch war es ihm, als wollte ihm sein Herz vor Leid zerspringen; denn er hatte sie sehr liebgehabt. Die arme, gefangene Frau fiel vor dem Kaiser aufs Knie, und mahnte ihn an seinen Eid. Alle Menschen, die zugegen waren, fingen an zu weinen, besonders die Armen, denen sie täglich viel Almosen ausgeteilt hatte. Der Kaiser sah seine Frau ganz traurig an, als er sie so kläglich weinen und doch so willig zum Tode sah. Auch die unschuldigen Kinder dauerten ihn, so daß er sehr bestürzt wurde und lange nicht wußte, was er tun sollte; denn es stieg in ihm der Gedanke auf, daß er ihr doch vielleicht unrecht tue. Seine Mutter aber schrie mit lauter Stimme: "Sohn und Kaiser; was zögert Ihr lange? Lasset sie mitten ins Feuer werfen in Gegenwart des Volks; denn sie hat es längst wohl verdient Da antwortete ihr der Kaiser und sprach: "Mutter, Ihr habt unrecht; denn als ich sie zur Ehe begehrte, da schwur ich einen teuern Eid, ihr Leib und Leben zu beschirmen. Den Schwur muß ich halten, darum wird sie nicht verbrannt." So rettete die Frau des Kaisers Eid. "Stehet auf", sprach er, "ich habe mich über Euch erbarmt; verlasset mein Reich mit Euren beiden Kindern. Wo Ihr weiter in meinem Lande gefunden werdet, werde ich Euch alsbald verbrennen lassen!" Die fromme Kaiserin erholte sich bei diesen Worten von ihrer großen Angst und sprach: "Herr, wenn es denn so sein muß, so bitte ich Euch, Ihr wollet mir einen frommen Mann zum Begleiter verordnen , damit ich auf der Straße nicht verunehrt werde. Aber wahrlich, Herr, sei mir diese Sache, durch welchen Verrat sie wolle, zugerichtet; so weiß ich doch, daß durch mich weder Eure noch meine Ehre befleckt worden ist!" Aber da half keine Verantwortung mehr. Der Kaiser kehrte sich um, er konnte vor Weinen kein Wort mehr reden. Seine Gemahlin fiel ohnmächtig zur Erde, wurde jedoch von den edeln Frauen bald wieder aufgehoben, und als sie wieder zu sich kam, nahm sie ihre zwei Kinder auf die Arme und rüstete sich zu wandern. Von seiten des Kaisers wurde ihr ein starkes, wohlgesatteltes Pferd vorgeführt und hundert Kronen zur Zehrung mitgegeben. Fünf frommen und mitleidigen Rittern ward der Auftrag erteilt, sie aus dem Lande zu führen und sie, wie sie eidlich versprechen



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mußten, in einem öden Wald an der Reichsgrenze, der voll wilder Tiere und Mörder war, sich selbst zu überlassen.

Als sie hier angekommen waren, schieden die Ritter von ihr und befahlen sie Gott. Die Kaiserin dankte ihnen herzlich für ihr gutes Geleit und sprach: "Grüßet mir meinen lieben Herrn, den Kaiser, noch einmal zuletzt; saget ihm, er werde mich nun nimmer wiedersehen, und meldet ihm, daß ich seine zwei Söhne, welche wahrlich sein Fleisch und Blut sind, mit mir trage. Wenn mich Gott behütet, so will ich sie tugendlich erziehen." —

Die Ritter hatten sie verlassen, und die Kaiserin bedachte sich hin und her, welchen Weg sie einschlagen sollte. So zog sie in Gedanken fort und verlor bald die rechte Straße. Als sie lang und weit geritten war, kam sie auf einen Fußpfad, der jedoch wenig betreten war: dieser führte sie zu einem hohen Felsen; unten an dem fand sie einen schönen Brunnen, lauter wie Kristall; über dem Brunnen stand ein Baum, der duftete so lieblich wie Balsam. Sowie die Kaiserin den Born erblickt hatte, stieg sie von ihrem Pferd und nahm ihm das Gebiß aus dem Maul, daß es von den Kräutern, die dicht im Walde standen, weiden konnte; denn Heu und Haber war nicht vorhanden. Die Verirrte sah um sich, und da sie keines Menschen gewahr wurde, verfiel sie in tiefe Kümmernis; doch erfreute sie wieder ein Blick auf ihre zwei Kinder, die küßte sie und legte sie nieder in die schönen Blumen und in das Gras. Dann labte sie sich mit einem Trunk des köstlichen Wassers aus dem Brunnen und ass von den Speisen , die ihr aus des Kaisers Küche mitgegeben waren. Und jetzt setzte sie sich nieder und überdachte ihr großes Leid; aber sie war so müde von Reisen und von Trauern, daß sie bald einzuschlafen begann. Nun hielten sich in jenem Walde viel wilde Tiere auf. Als daher die Kaiserin mit ihren beiden Kindern eingeschlafen war, kam von ungefähr ein großer und starker Affe, der sah die Kinder so lieblich schlummern. Da bekam er große Lust, das eine Kind zu stehlen, schlich deswegen ganz heimlich und still zu den Kleinen heran und erwischte behend das eine: mit dem eilte er durch den Wald, so lange, bis er zu einem grünen Platze kam; daselbst setzte der Affe es nieder und wollte das Kind nackt sehen, deswegen legte er es sanft auf die Erde und entband es von den Windeln, mit denen es umwickelt war, bis es ganz bloß vor ihm lag. So saß er vor dem Kinde, fing an, freundlich zu grinsen, und bleckte die Zähne, kurz, er gebärdete sich, wie eine Mutter gegen ihr Kind tut, und meinte, das Kind sollte auch gegen ihn lachen. Aber das Kind wollte es nicht tun, sondern fing an zu weinen und laut zu schreien.



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Nun fügte es Gott, der das Kind behüten wollte, daß ein mannlicher Ritter mit seinen Dienern sich auch in dem Walde verirrt hatte. Der Ritter kam getrabt, seine Knechte voran, die ihm allenthalben Bahn machen und ihn vor dem Angriff der Mörder und der Bestien schirmen sollten. Als nun der Ritter den Affen gewahr wurde, der ein nacktes Kind mit seinen Tatzen handhabte, sprengte er mit seinem Pferde hinzu, zog sein Schwert aus und schrie mit lauter Stimme: "Ei, Meister Affe, laß das Kind liegen; denn du darfst es nicht mit dir tragen!" Sobald der Affe



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den Ritter sah, verließ er das Kind, machte einen grausigen Satz auf den Ritter zu und wollte ihn vom Pferde zerren, ja, er riß ihm ein großes Stück aus seinem Rock. Der Ritter aber, der ein starker und beherzter Mann war, führte einen so sichern Streich, daß er dem Affen seinen rechten Arm vom Leibe hieb. Als der Affe diese Verstümmlung empfand, sprang er vor Schmerz und Zorn wohl zehn Schuh hoch auf wie ein unsinniges Tier. Zugleich schlug das Pferd des Ritters hintenaus so ungestüm , daß es ein Greuel anzusehen war; es traf den Affen so hart an die Seite, daß er zur Erde fiel. Jetzt sprang der Ritter behend auf seine Füße, hieb dem Affen den Kopf ab, nahm das Kind, und nachdem er es, so gut er gekonnt, in seinen Mantel gewickelt, setzte er sich wieder auf sein Pferd. Bald hatte er seine Diener eingeholt; er erzählte ihnen zu ihrer Verwunderung die Geschichte, und so ritten sie miteinander durch den Wald, obwohl sie Straße und Fußpfad verloren hatten. Endlich gerieten sie unter eine Rotte Mörder, die daselbst schon manchen braven Mann beraubt und getötet hatten. Der Ritter, als er sich von den Räubern dicht umringt sah, rief Gott um Beistand an und sparte sein Schwert nicht, auf ihre harten Stöße zu antworten; einem schlug er sein Haupt ab, daß es zur Erde fiel, drei andere verwundete er so, daß sie ihre Waffen fallen lassen mußten. Als die übrigen Mörder, deren noch sechse waren, dies sahen, schrien sie dem Ritter zu, er sollte stillehalten und das Kind liegenlassen; denn er habe es gewiß einem mächtigen Fürsten gestohlen. Der Ritter aber sprach: "Nein, ihr Bösewichter; wollt ihr die Wahrheit hören, so wisset, daß ich das Kind einem Affen abgenommen habe; ich kann euch die Stelle zeigen, wo ich das Tier erlegt habe!" Jetzt meinten die Mörder erst recht, es müsse eines großen Herren Kind sein, weil der Ritter so albern lüge; sprengten von neuem auf ihn ein und wollten eher sterben als das Kind dahinten lassen, so daß am Ende der Ritter und seine Diener, obwohl sie einige verwundet und umgebracht, sich genötigt sahen, das Kind zu verlassen, ihren Pferden die Sporen zu geben und davonzureiten. Nachdem die Mörder sie vergebens verfolgt hatten, kehrten sie zu dem Kinde zurück und warfen das Los, welcher unter ihnen es tragen sollte. Das Los fiel auf den Vornehmsten der Räuber. Dieser trug das Kind, bis es ihm zu schwer wurde. Dann sprach er zu seinen Gesellen: "Lieben Freunde, gebt mir einen Rat, was wollen wir mit dem Kinde anfangen? Seine Schönheit zeigt, daß es nicht von niedriger Geburt ist. Ich meine, wir sollten es bis an das Gestade des Meeres bringen und dort verkaufen; denn da finden sich Kaufleute aus Frankreich und andern Ländern, die



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vielleicht das Kind in Betracht seiner Schönheit uns wohl bezahlen werden."

Indem nun die Mörder dem Meeresufer zugehen, finden sie unterwegs den Affen tot liegen, wie ihnen der Ritter gesagt hatte. "Fürwahr", sprach einer zu dem andern, "der Ritter hat die Wahrheit gesagt; er hat das Kind ritterlich erlöst und erobert." Dessenungeachtet behielten sie das Kind; denn was sollten sie jetzt anderes tun, und eilten ans Gestade zu den Kaufleuten, die sie bald fragten, ob ihnen das Kind feil sei. Die Mörder sprachen: "Ja, ebendarum bringen wir es hierher." — "Nun sagt", fragte ein Kaufmann, "wie hoch schlagt ihr das Kind an?" Die Mörder sprachen: "Es kann kein schöneres Kind auf der Erde gefunden werden; wenn es Euch Ernst ist, so wollen wir es Euch um vierzig Pfund geben." Die Kaufleute fanden das Kind zu teuer. "Behaltet es nur", sagten sie, "ihr habt es doch aus eines Biedermanns Hause gestohlen." — "Nein", erwiderten die Räuber, "wir haben es einem Ritter abgejagt, der hat es von einem Affen erlöst, den er totgeschlagen." — "Liebe Herren", sprachen da die Kaufleute, "wollt ihr zehn Pfund, damit ist es unser Ernst. Bedenkt's, der erste Kauf ist der befiel" Da wollten die Mörder um so geringes Geld das Kind nicht geben. Nun war in diesem Kaufmannsschiffe ein frommer Pilger, Klemens genannt, der sah sich das Kleine an und fand es gar schön; dachte, es werde wohl adliger Abkunft sein. Er faßte auch eine solche Liebe zu dem Kinde, daß er nach kurzen Worten mit den Räubern eins wurde und ihnen dreißig Kronen für dasselbe gab. Als die andern Kaufleute dies sahen, spotteten sie des Klemens und sagten: "Fürwahr, Ihr scheint Gelds und Goldes genug zu haben, daß Ihr so teuer einkaufet!" Klemens achtete aber nicht darauf. Erst als das Schiff sein Ziel erreicht hatte, wo Klemens und die andern Pilger dann zu Fuße gehen mußten, wollte den Pilger, als er den Knaben auf dem Rücken hatte, sein Geld auch reuen. "Was bin ich für ein närrischer Mann", sagte er zu sich selbst, "daß ich mir solche Mühe aufgeladen und ein Kind erkauft habe, das ich an meinem Halse tragen muß." Doch dachte er wieder: "Gott hat mir das Kind beschert, so will ich's annehmen; hab ' ich doch daheim nur einen einzigen Sohn bei meinem Weibe gelassen und weiß nicht einmal, ob er noch am Leben ist oder nicht. Das Kind ist so hübsch; daheim habe ich Geld genug, es zu erziehen. Drum sei es!" Und so nahm er den Knaben, gab ihm einen Kuß, hängte ihn wieder auf seinen Rücken und zog seines Weges durch Frankreich. Als das Kind ihm gar zu beschwerlich wurde, kaufte er ihm einen Esel und mietete eine Wärterin



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die er, mit dem Knaben im Arm, auf das Tier setzte, und so wanderte er den nächsten Weg auf Paris zu wie ein Zigeuner. Tag und Nacht hatte er keine Ruhe, bis er in diese Stadt kam. Dort wurde er von allen, die ihn kannten, und namentlich von seinen besten Freunden aufs herzlichste empfangen. Als er aber gefragt wurde, woher er denn das schöne Kind bringe, da antwortete er: "Ich habe es jenseits des Meeres erobert: seine Mutter ist auf dem Wege gesiorben; deswegen mußte ich diese Frau bestellen, obgleich sie aus einem andern Lande ist als das Kind; wäre seine Mutter gesund geblieben, die hätte ich lieber mit mir gebracht als diese alte Frau!" So sprach der ehrliche Klemens mit lachendem Munde und zog mit diesen Worten weiter nach der Vorstadt St. Germain , wo seine rechte Wohnung war. Hier wurde ihm von seiner Hausfrau große Ehre bewiesen. Die gute Frau meinte, das Kind gehöre einem großen Herrn in Frankreich, welcher es ihrem Manne zur Erziehung anbefohlen habe. Sie fragte auch nicht weiter darnach, wie weise Frauen zu tun pflegen, sondern sie lebten freundlich miteinander, ließen das Kind taufen und Florens nennen und zogen es in Zucht und Tugend auf. Florens aber war schön und holdselig, wuchs lustig heran und wurde in kurzer seit stark und männlich. Doch von ihm sei für jetzt genug gesagt!



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Wir haben gehört, wie die Kaiserin bei dem Brunnen eingeschlafen war und das eine Kind ihr von dem Affen gestohlen wurde. Sie schlief noch, als bald darauf eine Löwin durch den Wald gelaufen kam und das andere Kindlein sanft bei seiner Mutter schlummern sah; sie schlich alsbald hinzu , nahm das Kind in den Rachen und wollte es ihren jungen Löwen zu essen bringen. Indem sie nun das Kind mit den Zähnen faßte, erwachte die Kaiserin und sah, wie das reißende Tier das eine ihrer Kinder von dannen trug und ihr anderes nicht mehr da war. Sie meinte nicht anders, als dieses hätte die Löwin schon gefressen, und das andere werde sie auch zerreißen. Deswegen fing sie an, jämmerlich zu weinen und nach Gott zu schreien, nahm das weidende Pferd, legte sein Gebiß ihm wieder ins Maul, setzte sich darauf und tat einen Schwur, daß sie nicht aufhören wollte zu reiten, bis sie die Löwin eingeholt und sich an ihr gerächt hätte. Die Löwin aber rannte vor ihr her und hörte nicht auf zu laufen, bis der Wald zu Ende war, so schnell, daß die Kaiserin nicht nachfolgen konnte und das Tier aus den Augen verlor. Doch bekam diesem seine Beute auch nicht gut; denn sowie die Löwin den Wald verließ, ward sie von einem gewaltigen Greifen erblickt, der mit aller Stärke auf sie zuflog und sie mitsamt dem Kinde so heftig mit seinen Klauen packte, daß die Löwin sich nicht zu regen vermochte und große Schmerzen empfand. Der Greif schwang sein Gefieder mächtig, flog über Berg und Tal, Wald und Wasser , und endlich eilte er einer Insel zu. Die Löwin aber wollte nicht von dem Kinde lassen; denn Gutt hütete es, und so behielt sie es in ihrem Rachen, bis sich der Greif auf einem meerumflossenen Eilande zur Erde niederließ . Als die Löwin sich auf der Erde fühlte, legte sie das Kind in den Sand und ergriff den Vogel Greif im grimmigen Zorn so stark und grausam beim Hinterfüße, daß dieser ihm entzweibrach. Der Greif fiel zur Erde nieder vor Schmerz; doch wehrte er sich, so gut er konnte: er schlug auf die Löwin mit Flügeln und Klauen wie ein erbittertes Tier, aber es half nichts; die Löwin stürzte mit Hast auf den Vogel und zerriß ihn; so wurde er der Stärkeren Speise. Nachdem die Löwin satt war von des Greifen Fleisch, legte sie sich neben dem Kinde nieder, als ob sie bei ihren jungen Löwen wäre. Das Kindlein aber erreichte das Euter der Löwin, und als es spürte, daß dasselbe voller Milch war, hub es an zu saugen; als dies die Löwin empfand, bot sie ihm die Brust erst recht in sein Mündlein daß es desto sanfter saugen möchte. So ward das Kind gespeist; denn Gott der Herr wollte dasselbe nicht verderben lassen. Hierauf grub die Löwin eine tiefe Grube in der Insel mit ihren spitzen Klauen, nahm das



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Kind, .trug es in die Grube und blieb bei ihm acht Tage und Nächte. Sie leckte es mit der Zunge, damit es gesäubert würde, und von ihrer langen Mähne machte sie ihm ein Bett oder Nest, darin es sanft und warm lag. Trinken konnte es, wann es wollte, und war die Löwin hungrig, so ass sie von des Greifen Fleisch.

Nun begab es sich durch Gottes Veranstaltung, daß Schiffsleute, denen der Wind ungünstig war, genötigt wurden, mit ihrem Fahrzeug an der Meeresküste zu landen, wo eben die Kaiserin ihr Kind und die Löwin suchte. Sie hörte das Geschrei, eilte herbei und sah, wie die Pilger mit ihrer Galeere ans Land gefahren waren. Die Seefahrer kamen ihr vor wie Christenleute; daher nahte sie ihnen und sprach: "Liebe ,Herren, wo wollet Ihr hinreisen? Ich komme aus fernen Landen und bin eine arme verirrte Frau, ich weiß nicht, wo in der Welt ich bin, und wohinaus ich soll!" — "Frau", antworteten ihr die Schiffsleute, "wir wollen in das Heilige Land fahren, wo unser Herr Christus erstanden ist; wenn der Wind uns nicht zuwider ist, so hören wir nicht auf zu schiffen, bis wir nach Jerusalem kommen." Da bat die Frau aufs inständigste, sie doch mitzunehmen, bis der Patron und die Schiffsleute ihr gestatteten, sich zu ihnen in die Galeere zu setzen; und als der Ungestüm des Meeres sich gelegt hatte, fuhren sie weiter. Die Pilger wurden der schönen Frau bald geneigt, und als sie in sie drangen, ihnen zu sagen, wie sie an diese wilde Stätte gekommen wäre, fing sie an, ihnen ohne Hehl zu berichten, wer sie sei und wie es ihr ergangen. Die Erzählung währte mehrere Stunden, und da war keiner, der nicht über ihre wunderbaren Schicksale gestaunt hätte.

Sie waren wieder eine gute Weile geschifft und eben der Insel gegenüber , auf welche die Löwin samt dem Kinde von dem Greifen getragen worden war, als der ungünstige Wind sie wieder ergriff und am Eiland ihre Anker auszuwerfen nötigte. Es warm unter den Pilgern einige kühne Leute, die betraten das Land, sich zu ergehen. Als sie nun so hin und her wandelten, kamen sie vor die Höhle, worin jene Löwin lag und eben schlief. Die Pilger sahen das schöne Kind in der Grotte liegen und hatten sich von ihrem Staunen noch nicht erholt, als die Löwin erwachte und mit einem gräßlichen Satze aufsprang, so daß die Pilger kaum noch zu fliehen Zeit hatten und außer Atem wie gejagte Tiere auf dem Schiffe ankamen. Die andern Pilger, die sie so atemlos daherkommen sahen, fragten sie nach der Ursache, und nun meldeten jene, was sie erblickt hatten, und bejammerten es, daß sie das Kind nicht erretten konnten. "Denn wenn auch die alte Löwin sein schont", sprachen sie, "so werden doch die jungen Löwen,



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sobald sie welche bekommt, dasselbe auffressen!" Wie nun so die Sage im Schiffe umging, hörte es auch die Kaiserin, drang hervor und sprach: "Ach, lieben Männer, Gott sei gelobt, daß ich diese Mär höre; denn es ist fürwahr mein Kind, das die Löwin hinweggetragen hatt Lasset mich zu ihm!" Die Pilger stellten der Frau das gewisse Verderben vor, das ihrer bei der Löwin warte. "Was wollet Ihr von uns ziehen", sprachen sie, "erbarmet Euch über Euch selbst und laßt das Kind fahren. Es ist besser; ein Mensch sterbe als zwei!" Da sie sich aber nicht wehren ließ, so sagten die Pilger: "Nun, wenn es Euch so hart im Sinne liegt —sehet, dort sitzt ein Priester, beichtet ihm; denn Ihr gehet dem Tod in den Nachen, und bittet Gott, daß er Euch helfen möge!" Die Kaiserin kniete vor dem Priester nieder, beichtete und empfing den Segen; dann bat sie die frommen Pilger, eine kleine Zeit zu warten, und trat ans Land.

Es währte nicht lange, so kam sie zu der Grube. Da erblickte sie ihr Kind, welches mit der Löwin spielte und fröhlich war. Als die Frau dieses sah, erschrak sie, fiel nieder auf die Knie, fing an die Löwin zu beschwören



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und zu sprechen: "Ich sage dir bei Gott; dem Allmächtigen, bei seinem Sohn und seinem Tod am Kreuz, daß du keine Macht und Gewalt über mich habest." Kaum hatte die Kaiserin diese Worte gesprochen, als die Löwin den Schweif zu sich zog, sich wie ein gehorsames Haustier gebärdete und das Kind vor sich auf den Boden legte. Nun ging die Kaiserin ohne Furcht in die Höhle, umarmte das Kind, küßte es wieder und wieder und trug es auf den Armen von dannen nach dem Schiffe. Die Löwin, die sich ihres Kindes beraubt sah, folgte traurig nach und wollte mit in die Galeere; die Pilger aber fürchteten sich sehr und wollten sich zur Wehre setzen und auch die Kaiserin nicht einlassen. Diese gab jedoch so guten Bericht über das Tier, daß wenigstens sie selbst auf das Schiff zugelassen wurde. Und so stießen sie schnell von dem Lande; die Löwin wollte auch in das Schiff hineinspringen, aber der Sprung fehlte; denn die Schiffsleute waren zu behend. Doch wollte das Tier nicht nachlassen, sondern schwamm neben dem Schiffe her. Die Pilger spannten eilig die Segel auf, um zu entfliehen; aber es half nichts: die Löwin klammerte sich mit ihren spitzigen Klauen und scharfen Zähnen an das Schiff und versuchte von Zeit zu Zeit den Sprung, bis es ihr endlich gelang. Die Pilger schrien vor Entsetzen; ein jeder meinte, er müßte sterben. "Beschirmet uns vor der Löwin", riefen sie die Frau an, "sonst werfen wir Euch mitsamt dem Kind über Bord." —"Seid unerschrocken", sprach die Kaiserin, "sie wird keinen von euch verletzen!" Und wirklich ging die Löwin mitten durch alle Pilger hindurch wie ein zahmer Hund, bis sie zu der Kaiserin kam. Und als sie das Kind auf der Fürstin Arm erblickte, hob sie den Kopf über sich zum Zeichen, daß sie dem Kinde wohlwolle. Hierauf legte sie sich der Kaiserin zu Füßen und wollte sie gar nicht verlassen. Diese hatte das Tier auch sehr lieb, trug große Sorge für dasselbe und ließ ihm an Essen und Trinken nichts mangeln; denn sie teilte ihre Zehrung mit ihm. Die Löwin aber beschirmte sie, daß ihr auf dem ganzen Wege von dem Schiffsvolke kein Leid geschah; denn es waren auch einige schlechte Leute darunter; und als nur einmal einer es wagte, der Herrin auf unziemliche Weise zu nahen, so sprang die Löwin auf, ergriff den frechen Schiffsmann mit ihren Klauen und scharfen Zähnen und zerriß ihn in vier Stücke. Als die Schiffsmannschaft dieses Wunderwerk sah, sprachen sie alle, ihm wäre recht geschehen, und warfen seinen zerrissenen Leichnam in die See. Der Kaiserin geschah kein Leid mehr; von allen im Schiffe wurde ihr die größte Ehre erwiesen. Endlich kam das Fahrzeug beim Gelobten Lande an. Die Kaiserin trat mit ihrem Kind



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aus dem Schiffe, die Löwin sprang ihr nach. Dann segnete sie Pilger und Schiffsleute und gab ihnen reichlichen Lohn. Diese dankten ihr hinwider, führten ihr das Pferd aus dem Schiff und halfen ihr hinauf. So ritt sie, das Kind im Arme, noch dieselbe Nacht weiter und in die nächste Stadt; die andern Pilger folgten von ferne. Am nächsten Morgen reisten alle zusammen und kamen in die Stadt Jerusalem.

Hier ging die Kaiserin alsbald zu Gottes Tempel und betete am Heiligen Grabe, darein der Leichnam Jesu von Nikodemus gelegt worden, und daraus er erstanden war. Auch legte sie ihr Kind auf den Altar, nahm etwas Geld aus ihrem Säckel und warf es auf den Altar, als wollte sie sprechen: "Gott sei gelobt; ich habe mein Kind wieder erkauft und erlöset ." Dann betete sie gar fleißig, daß Gott ihren lieben Herrn, den Kaiser Oktavianus, friedsam, glücklich und in Gesundheit wolle leben lassen; ; denn sie hoffte nicht mehr, ihn jemals wiederzusehen. Hierauf verließ sie den Tempel, setzte sich mit ihrem Kind auf das Pferd und ritt durch die Stadt Jerusalem. Die Löwin aber wollte keinen Tritt von ihr weichen; mochte sie durch Paläste, Kirchen oder Höfe gehen, überall ging sie mit, so daß die Leute, die solches sahen, große Furcht ankam. Während nun die Kaiserin so durch die Stadt ritt, begegnete ihr ein fremder Edelmann , den redete sie freundlich um Herberge an; denn sie sah wohl, daß er fromm, tugendreich und aus edlem Stamm entsprossen war. Der Edelmann empfing sie würdig in seinem Hause und befahl, man sollte sie pflegen und ihr dienen wie ihm selbst und seiner Hausfrau. Dies nahm die Kaiserin mit großem Danke an und blieb eine Zeitlang bei dem Edelmann mit ihrem Kind und der Löwin, die so zahm war, daß sie niemand etwas zuleide tat.



***
Ihr habt gehört, wie Florens dem Affen abgenommen, übers Meer verkauft und von dem frommen Pilger Klemens nach Paris getragen worden. Nun folgt, wie es weiter mit ihm ergangen ist. Das Kind ward tugendlich erzogen, so daß es jedermann gefiel. Klemens kleidete und hielt ihn wie seinen eigenen Sohn, welcher Klaudius hieß. Wenn diese beiden Knaben in ihrem schmucken Aufzug über die Straße gingen, so sagten die Bürger: "Selig ist der Vater, der so wohlgezogene Kinder hat!" Auch meinte Florens nicht anders; denn daß Klaudius sein leiblicher Bruder sei und Klemens sein rechter Vater; denn als der Affe ihn seiner Mutter stahl, war er erst sechs bis sieben Wochen alt. Allmählich wurde er stattlicher und größer als sein Bruder Klaudius, und auch unter den Nachbarkindern



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war keines, das sich mit Florens vergleichen konnte. Jedermann wunderte sich über seine Schönheit und Stärke; denn an Gebärde und Gestalt glich er seinem Vater, dem Kaiser. Oft sagten auch die Nachbarn: "Fürwahr, der Knabe ist des Klemens natürlicher Sohn nicht; sondern er hat ihn irgend von einem großen Herrn heimlich entführt." Klemens ' Frau mußte dieses nicht selten hören, aber sie schwieg stille dazu; denn sie hatte den Florens so lieb wie ihren eigenen Sohn.

Nun wuchsen die zween Knaben miteinander auf, so daß sie beide tüchtig wurden, Handwerke zu erlernen, wiewohl Florens in allwege stärker war als Klaudius. Klemens beriet sich deswegen mit seiner Hausfrau, was er aus den beiden Knaben machen sollte, daß, wenn sie ins Mannesalter kämen, sie sich auch ehrlich nähren könnten. Da sprach seine Frau: "Lieber Hauswirth Unser Sohn Klaudius ist von wenig Stärke und deswegen zu keinem groben Geschäfte zu gebrauchen; darum ist mein Rat; wir sollten ihn zu einem Wechsler tun, und Ihr sollt ihm Euer Gut geben, daß er es im Handel umtreibe; dadurch könnte er reich, berühmt, ja, zu einem Herren werden. Der andere Sohn, Florens, nun der wird recht zum Fleischerhandwerk sein; denn er ist stark; Rinder und anderes Vieh zu schlachten, wird ihm nicht schwer werden. So wären unsere beiden Söhne versorgt." —"Wahrlich, Frau, du hast mir recht geraten", sprach Klemens, "ich will deinem Rate folgen." Zur Stund rief er seinen beiden Söhnen und sagte zu ihnen: "Lieben Söhne, ihr sollt meinem Rat folgen und tun, wie gehorsamen Kindern geziemt." Dann nahm er zuerst seinen Sohn Klaudius vor und sprach zu ihm: "Lieber Sohn, höre mein Wort; geh morgen früh zu dem Wechsler, da mußt du Gold und Münze wechseln lernen, auf daß du ein rechter Handelsmann werdest." — "Von Herzen gern, Herr Vater", sprach Klaudius, "ich will nach Eurem Willen leben; auch wäre es mir lieb, wenn Ihr mir meinen Bruder Florens mitgäbet, und er würde ein Wechsler wie ich." —"Ach, lieber Sohn Klaudius, laß den Florens zufrieden", sagte der Vater, "der soll eine andere Hantierung treiben, bei welcher ihm der Mund manchmal mit guten Bissen gespeist werden wird; du siehst ja, wie stark er ist; ich denke, er wird die gemästeten Schweine wohl auf dem Rücken tragen können." So stellte er den Klaudius zufrieden und rief den guten Florens auch vor sich. "Florens, mein lieber Sohn", sprach er zu ihm, "sei unerschrocken; du weißest; daß ich dir günstig bin und dich sehr liebhabe; ich will dich deswegen zu einem guten Handwerk tun; denn morgen, wenn du aufgestanden bist, gebe ich dir Geld, damit gehst du zu einem Fleischer und gibst es ihm, daß er dich



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seine Hantierung lehre. Das wird etwas für dich sein; denn du bist stark; ich glaube, wenn du einen Ochsen, wie stark er auch ist, bei den Hörnern erwischen könntest, du würdest ihn nicht gehen lassen! Auch haben wir dahinten im Stalle zwei gute, feiste Rinder, die mußt du mit dir in das Schlachthaus treiben, da wird dein Lehrmeister dir zeigen, wie du sie schlachten sollst. Dann nimm sie auf deinen Hals und trage sie an den rechten Ort, wo du sie verhauen und verkaufen mußt. Siehe zu, sei fleißig und geschickt mit der Waage und tue niemand unrecht; so wirst du aus einem Pfennige drei machen und Geld genug bekommen."

Als Florens die Lehren seines Vaters Klemens vernommen hatte, erklärte er, alles gerne tun zu wollen, was ihm gefällig wäre. Mit Tagesanbruch nun stand der alte Klemens auf, weckte seinen Sohn Klaudius, schickte ihn auf die Wechselbank mit großem Gut an Geld und Gold, daß er damit wechseln und gewinnen sollte. Dann weckte er auch seinen andern Sohn Florens, half ihm, zwei fette Ochsen an den Hörnern zusammenbinden, und schickte ihn mit denselben fort auf die Fleischerbank. Hier fand der neue Fleischerjunge einen Knecht, den er nach dem Fleischer Gumbrecht fragte. Als der Knecht den Florens mit den zwei feisten Ochsen vor sich stehen sah, so fragte er ihn: "Was ist dein Begehren an den Meister? Ich meine, du möchtest auch gern ein Fleischer werden?" Florens antwortete und sprach: "Ja, warum nicht? Mein Vater ist wohl reich, so daß er mich gut versorgen wird, und ich soll immer Minder, Schweine, Hammel und Schafe genug zu schlachten haben. Darum will ich das Handwerk lernen; denn mein Vater sagt mir, daß ich drei Pfennige mit einem gewinnen könne und gute Bissen essen, wie die Fleischer gewöhnlich essen, auch guten weißen und roten Wein trinken. So hat mich mein Vater unterwiesen." Als der Fleischerknecht dies hörte, schlug er ein Gelächter auf, spottete des Jünglings und sprach: "Der Teufel hat dich hergetragen, willst du auch ein Fleischer werden? Wahrlich, du sollst mir die Schlachtbank nicht mehr sehen! Packe dich hinweg in aller bösen Geister Namen; willst du mit dem Handwerk dein Spiel treiben? Nimm deine Minder mit dir, ehe ich dir den Kopf zerschlage!" Da gedachte Florens bei sich selbst: "Auf diese Weise komme ich nicht in das Schlachthaus; ich will gehen und meinen Vater mit mir bringen, der wird mir wohl einen Meister zu schaffen wissen." So trieb er die Rinder wieder nach seines Vaters Hause. Aber auf halbem Wege begegnete ihm eine andere Sache. Denn er sah einen Edelmann gegen sich herreiten, der auf seiner Hand einen gar schönen Sperber trug, welcher an den Füßen glänzende; hellklingende



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Schellen hatte. Der Vogel gefiel dem Florens so überaus wohl, daß er den Edelmann anredete und fragte, ob ihm der Sperber nicht feil sei; er wolle ihm darum geben, was er begehre. Der Edelmann wurde zornig auf Florens; denn er wußte nicht, ob er seiner spottete, oder was er damit meinte. Der Junge sah ihm gar nicht darnach aus, als ob er ihm den Vogel bezahlen könnte. Darum sprach er: "Ja, du Bettlerbube, es tut mir not, ihn an dich zu verkaufen! Führe du deine Rinder in die Metzing und schinde sie, dann verkaufe das Fleisch; das wird dir nutzer sein als Sperber kaufen!" — "Ach, mein guter Herr", erwiderte Florens, "Rinder schlachten ist nun einmal meine Hantierung nicht; damit kann ich mich nicht ernähren. Drum lasset Euch den Sperber feil sein, lieber Herr l Was er wert ist, will und kann ich Euch darum geben!"Der Edelmann sah Florens an und dachte: "Laß sehen, was der Junge machen will. —Ich will dir den Sperber zu kaufen geben", sprach er, "aber nicht anders als um die zwei Rinder, und auch so nicht gerne; denn ich möchte ihn viel lieber selbst behalten!" Florens war in seinem Herzen sehr erfreut und dachte: "Wenn er nicht mehr als die zwei Rinder kostet, was ist das viel? Der Sperber muß mein werden!" So machten sie den Kauf; und Florens nahm den Vogel; der Edelmann aber trieb die Rinder vor sich her in sein Haus, lachte bei sich selbst und sagte: "Nun ist aus dem Weidmann ein Viehtreiber geworden!" Florens hingegen trug den Sperber auf seiner Hand und sprach zu sich selbst: "Fürwahr, heute bin ich zu einer glückseligen Stunde aufgestanden, daß mir ein so trefflicher Tausch geraten ist; denn der Vogel ist doch gewiß seine hundert Mark Silbers wert! Ei, wie wird mein Vater fröhlich werden, wenn er mich mit dem Vogel kommen sieht, den ich auf den Händen trage, als wenn ich ein Edelmann wäre!" Die Bürger, die den Tausch gesehen hatten, lachten und spotteten über Florens; doch dies kümmerte ihn nicht; denn der Vogel gefiel ihm, und als er in seines Vaters Haus kam, jauchzte er vor Freuden. Klemens saß auf einer Bank vor der Tür, auf einen Stecken gestützt und dachte über das Schicksal seiner beiden Söhne nach. "Mein Sohn Florens", dachte er, "hat nun wohl die zwei Rinder geschlachtet, diesen Nachmittag wird er sie verkaufen und Geld lösen; hoffentlich schickt er sich in sein Handwerk und lernt brav." Wie er so in Gedanken sitzt; blickt er von ungefähr auf und sieht seinen Sohn Florens mit dem Vogel daherziehen. "Was ist das für ein Vogel", rief er ihm entgegen, "wo kommt er her? Wo sind deine zwei Rinder?" — "Mein lieber Vater", antwortete Florens, "ich habe die zwei Minder um den Vogel gegeben; so



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einen schönen habt Ihr Euer Lebtage nicht gesehen! Freuet Euch, daß ich Eure Ochsen so wohl angelegt habe!" — "Wie?" sagte Klemens, "ich glaube, du bist unsinnig." "Bei Gott", sprach Florens, "ich habe sie um den Vogel gegeben und spotte Euer gar nicht! Darum ratet mir, lieber Vater, wo soll ich den Sperber aufheben? Ich denke, in Eurer Kammer wäre er am besten versorgt; da sollte ihm kein Leid widerfahren." Als nun Klemens hörte, daß es wirklich so geschehen war, hätte er mögen von Sinnen kommen und sagte zu Florens: "Bei Gott, wenn ich meiner nicht schonte, so wollte ich dir jetzt mit diesem Stecken hier Rippen und Kopf entzweischlagen! Du Narr! Mir einen solchen Kaufmannsschatz ins Haus zu bringen; da du doch weißest; daß ich kein Weidmann bin!" —"Ach, lieber Vater", sagte Florens ganz betrübt, "seht Ihr denn nicht an seinen Federn, daß es ein hübscher Vogel isi? Wahrlich, Ihr habt unrecht und seid ohne Ursach zornig; gewiß, der Vogel ist großen Schatzes wert!" Klemens hätte vor Ingrimm lachen mögen, doch faßte er sich und sprach: "So geh denn hin und versorge den Vogel wohl; wenn du seiner recht wartest, wird er dich schnell reich machen. Iss nur nicht mehr; als er dir einträgt, so wirst du seinen Nutzen bald innewerden!" Dann mußte ihm



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Florens noch weiter berichten, wie es ihm auf der Fleischerbank ergangen sei. Als nun Klemens seine gute, einfältige Erzählung hörte, konnte er ihm nicht länger zürnen. Er dachte: "Ich will den Burschen nicht mehr auf die Schlachtbank, sondern auf die Wechselbank schicken; dort gehen vielleicht seine Sachen besser!"

Indem kam sein andrer Sohn Klaudius von dem Wechsler; er hatte sein Geschäft an diesem Tage gut gemacht, und von dem Vogel wußte er auch gar nichts. Klemens aber, als er seinen Schaden ein wenig verschmerzt hatte, sprach zu seinem Sohn Klaudius: "Sei so gut, lieber Sohn, und nimm deinen Bruder Florens mit zum Wechsler; denn ich fürchte, auf dem Schlachthause wird er nicht guttun!" —"Gerne", sprach Klaudius, "lieber Vater! Folgt er mir, so will ich mein Bestes an ihm tum" — "Ich hoffe, er soll dir folgen", antwortete Klemens, "er ist stark und mag dir den Geldsack morgens und abends leicht nachtragen."

Nun hielt sich anfangs Florens auf der Wechselbank recht gut, und sein Bruder Klaudius lehrte ihn zuerst mit Zahlpfennigen rechnen und die Münze kennen. So trieb er es einen Monat lang, und Klemens meinte, die Sache könnte gut werden. Jetzt teilten sie sich so in das Geschäft: des Morgens ging Klaudius auf die Börse, bestellte die Bank und bereitete den Sitz zu. Wenn der Tag ganz heraufgekommen, so brachte Florens den Sack mit dem Gelde nach; und dieser Brauch währte einige Zeit. Nun stand es aber nicht lange an, als Florens auch einmal wieder den Sack mit dem Gelde trug, in welchem wohl sechshundert Pfund Münze waren, daß ihm bei der Brücke ein überaus schöner Hengst begegnete, welcher aufgezäumt war und zum Verkaufe geritten werden sollte. Florens wandelte eben auf den Kaufmann zu und trug seinen Geldsack auf dem Rücken; ; und da er sah, wie der Hengst so stark war und so überaus schön trabte; dachte er bei sich selbst: "Wie selig ist, wer ein solches Pferd hat und es zu brauchen versieht! Du hafi Münze genug in dem Sack. Wem ist sie nützet Mein Vater Klemens hat sie ohnedies lange genug in der Truhe liegen gehabt, und niemand ist ihrer froh geworden: ich wollte; daß mir der Kaufmann das Roß darum gäbet" Gedacht; getan; er grüßte den Kaufmann und sagte: "Herr, ist Euch das Tier feil? Ich trage Gelds genug in diesem Sacke hier; darum sagt mir mit einem Worte, wie Ihr es geben wollt!" Der Kaufmann sprach: "Willst du das Roß haben, so wirst du es nicht unter dreißig Pfund Münze von mir bekommen; es ist noch tung und stark und läuft vortrefflich." Florens war froh, daß ihm der Mann das Pferd so wohlfeil gönne, und sagte treuherzig: "Ich meine,



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Ihr seid nicht bei Sinnen, daß Ihr mir ein so schönes Tier um dreißig Pfund überlassen wollt; ich gebe Euch vierzig drum; ich will nicht, daß Ihr Verlust an mir haben sollt!" —"Großen Dank, Junker", sagte der Kaufmann und mußte heimlich lachen. Florens tat seinen Sack auf, der Kaufmann zählte die Münze heraus; dann gab er dem Jüngling das Pferd mit dem Zügel in die Hand, segnete ihn und kehrte sich seiner Wohnung zu. Florens eilte mit dem Roß nach Hause; er fürchtete immer, der Kaufmann möchte ihm nacheilen und das Pferd zurückfordern, weil er es so guten Kaufs gegeben. So ritt er denn geradenwegs nach St. Germain.

Klemens saß über Tisch mit seiner Hausfrau, die in allen Dingen gerecht und fromm war und den Florens so liebhatte wie ihren eigenen Sohn Klaudius. Auch war sie von allen Nachbarn als klug und vorsichtig wohl gelitten. Nun kam Florens vor das Haus gesprengt. Klemens hörte ihn reiten, rief ihn und sprach verwundert: "EI, Sohn, wer hat dir das große Roß gegeben?" —"Vater", antwortete er, "das Roß hab ' ich gekauft; ich habe vierzig Pfund von dem Gelde drum gegeben, das ich auf die Wechselbank tragen sollte; ich hoffe, ich habe recht damit getan, und das Geld sei wohl angelegt; besehet es nur; es hat gute Augen und kann recht laufen; es wäre um hundert Pfund Münze nicht zu teuer!" Als Klemens das hörte, sank er vor Zorn vom Tische zurück und verwünschte sich, daß er den bösen Buben, der ihn noch an den Bettelstab bringen werde, mit sich übers Meer genommen. Dann erhub er sich vom Tische, nahm den Florens mit beiden Händen beim Haar, warf ihn zur Erde und trat ihn mit Füßen. Ja, er hätte ihn totgeschlagen, wenn nicht seine gute Hausfrau die Streiche unterlaufen und so dringend gebeten hätte, daß er ihr den Sohn ließ. Dann machte sie dem Vater sanfte Vorwürfe und sprach: "Euer Sohn hat doch noch nichts getan, das nicht adelig wäre; wer weiß", setzte sie leise hinzu, "von welcher Geburt er ist." Da reuete es den Vater, ihn so hart geschlagen zu haben. Florens aber sprach: "Lieber Vater, ich bin Euer Kind; darum schlaget mich, sooft Ihr wollt, aber besehet mir nur den Hengst; ist es nicht ein starkes Pferd? Ich hoffe, er soll mir noch gute Dienste tun!"

Da Klemens sah, daß sein Pflegsohn von dem Pferde zu reden nicht aufhören wollte, dachte er an die Worte seiner Hausfrau, verschmerzte den Verlust und hieß Florens an den Tisch sitzen und essen; indem kam sein Bruder Klaudius, der den ganzen Morgen auf der Börse das Geld erwartet hatte, und wie er den Bruder tafeln sieht, wird er zornig und spricht zu seinem Vater: "Wie möget Ihr doch solches tun und mich ,so



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lange auf der Wechselbank sitzen lassen? Wie kommt es, daß Ihr mir das Geld nicht schicket und bei dem Burschen da sitzet, der Euch mit den zwei feisten Rindern so großen Schaden getan hats" Wie er nun auch das Pferd in dem Hofe stehen sah, da fragte er verdrießlich: "Wo kommt denn das grausame Tier her?" Der Vater erzählte ihm die ganze Geschichte mit Seufzen und fügte hinzu: "Ich will nichts von dem Roß, will auch sein nicht warten, und sollte es Hungers sterben !" "Es geschieht Euch recht", sprach der Sohn Klaudius, "er wird Euch gar verderben; es wäre besser, wenn er gar nicht geboren wäre! Ich will sein Pferd auch nicht warten; wenn es seinen Kopf aufhebt, meine ich, es wolle mich fressen !" — "Tut, was ihr wollt", sagte Florens, "ich will schon für das Tier sorgenl" Damit nahm er das Roß am Zügel, zog es in den Stall, gab ihm Heu und Haber genug und machte ihm eine gute Streu. Am andern Morgen frühe eilte er in den Stall, sattelte und zäumte sein Pferd, sah es mit Freuden an und dachte: "ES ist doch viel mehr wert, als es kostet!" Dann sprang er drauf und gab ihm die Sporen, daß es einen Sprung nach dem andern machte und seine ganze Stärke zeigte. Das Reiten stand Florens so wohl und adelig, daß, wer ihn sah, ihn darum lobte. Als das Pferd müde war, ritt er es wieder nach Hause, ließ es sich allgemach erkühlen und an Haber, Heu und Stroh keinen Mangel leiden. Dabei sah er es immer an und dachte in seinem Herzen: "Könnte mir nicht vielleicht das Roß einmal zustatten kommen? Denn ich habe große Lust; Waffen zu tragen. Da würde mir ein Reitpferd nicht übel anstehen Und nun wollen wir den Florens mit seinem Rosse eine Weile ruhen lassen.



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Zu der Zeit, als König Dagobert in Frankreich wohl und löblich regierte, waren die Heiden noch nicht lang aus dem Lande abgezogen, das sie eine Weile innegehabt und im Kriege wieder verloren hatten. Die Stadt Paris lag an vielen Stellen öde; aber jetzt fing das Volk an, sich wieder zu vermehren, und die Hauptstadt des Landes wurde unter Dagoberts Regierung groß und herrlich, dazu sicher und fest gebaut, und wo zuvor ein wüster Platz gewesen, da ließ der König das herrliche Münster zu St. Denis bauen, nicht weit von Paris.

Nun entspann sich wieder ein Krieg zwischen dem König von Frankreich und den Ungläubigen, welche gewohnt waren, sich noch als Herren dieses Landes zu betrachten. Die Obersten der Heiden und der Türken saßen miteinander zu Rat und beklagten sich bei dem Sultan zu Babylonien



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über die französische Nation, daß sie sich nämlich zu Paris unterstünden, einen Tempel zu bauen wider den wahren Gott Mahomets, wie sie denn überhaupt meineidigerweise vom heidnischen Glauben abgefallen seien. Als der Sultan diese Rede vernahm, sprach er zu ihnen: "Wohlan, meine lieben Herrn, ich will Frankreich mit meiner Gewalt von Grund aus zerstören, seinen König aber an den Galgen hängen und verbrennen lassen!" Auf diese Zusage ließ er in alle heidnischen Königreiche eine Aufforderung ergehen, sie sollten ihm zu Hilfe kommen und mit ihm Frankreich verderben. Da kamen zusammen die Könige aus Arabien und Persien mit großer Macht, dann der König der Riesen mit dreißigtausend Mann, dann der König aus Aethiopien, aus Merach und Krypte. Diese miteinander brachten an zwanzigtausend Mann; da war kein Heide oder Türke, der nicht gerne vor dem Sultan erschienen wäre. So kam auch der Admiral oder Emir aus Persien, des Sultans Bruder, und brachte einen großen Haufen mit sich, so daß auf das Aufgebot des Sultans in dreißig Tagen an hunderttausend Mann zu Roß und zu Fuß beisammen waren. Diesen allen zog der Sultan entgegen, empfing einen um den andern aufs freundlichste und hieß sie willkommen.

Der Riesenkönig, welcher der mächtigste unter ihnen war, begehrte darauf, mit dem Sultan zu reden, und als es ihm gestattet war, da sprach er: "Herr und König von Babylon, unser Begehren ist, daß Ihr Euer Vorhaben so schnell als Möglich ausführet. Lasset Schiffe und Galeeren wohl beschlagen, daß man alles Volk dareinsetze und nach Venedig schicke. Denn, beim Gott Mahomets und meiner Treue, komme ich glücklich übers Meer und finde den König Dagobert, so will ich ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen und mich nicht eher schlafen legen, bis ich mit meinem Heerhaufen in die Stadt Paris eingezogen bin, daselbst Haus und Hof gehalten und das ganze Frankreich bezwungen habe. Und dann soll Euch das Land geschenkt sein, König von Babylon!" Dies zu hören, war dem Sultan sehr tröstlich, und er dankte dem Riesenkönige wegen seines hohen Anerbietens. Jetzt hatte er keine Ruhe mehr, bis die Schiffe zugerüstet und mit Erz beschlagen waren, zweitausend an der Zahl. Dann besetzte er sein Land mit Wachen und bereitete sich zur Abfahrt.

Der Sultan hatte von seinen vielen Weibern dreißig starke Söhne und einige Töchter. Unter den letztern befand sich eine schöne Jungfrau, die ihm vor den andern Kindern lieb war; denn sie war so schön, daß man meinte, in der ganzen Heidenschaft wäre kein schöneres Mädchen geboren. Ihr Leib war zierlich und edel gestaltet; ihr Mündlein rot wie Rubin, ihr



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Hals weiß wie Milch, ihr Angesicht prangte wie eine Rose; ihre Augen waren durchsichtig und klar wie Falkenaugen: ja, es war nichts an ihrem ganzen Leibe vergessen, und wäre sie wohl der schönen Helena aus Griechenland zu vergleichen gewesen. Ihr Haar, dessen Farbe dem gelben Dukatengolde glich, wußte sie gar zierlich aufzubinden. Köstlicher Schmuck glänzte ihr von Haupt und Hals, und ihre Gebärden waren überaus holdselig. Diese Tochter trat vor ihren Vater, den König von Babylonien, und bat ihn freundlich, sie mit über das Meer fahren zu lassen; denn sie hätte ein großes Verlangen, Frankreich zu sehen. Auch sprach sie: "Da Ihr willens seid, mich zu vermählen, so kann ich nun sehen, welcher König streitbar ist; denn fürwahr dem, der am ritterlichsten ficht, dem will ich meine Liebe und Gunst zuwenden und ihn zur Ehe nehmen. Dann rächet den Schaden, den Euch Frankreich angetan hat, als Ihr aus dem Lande vertrieben worden seid, und wenn es Euch gefällig ist, so schenket mir das Haupt des Königs Dagobert." — "Ja, bei Mahomet, das sollst du haben" , sprach der Sultan, und darauf gingen die Fürsten und Herrn alle zu Schiff. Der Sultan mit den dreißig gekrönten Fürsten nahm seinen Sitz auf keiner gewöhnlichen Galeere, sondern er bestieg mit ihnen und seiner Tochter einen herrlichen Dreimafter, auf welchem vier Adler aus klarem, lautrem arabischen Golde ihre Köpfe und Schnäbel gegen Frankreich kehrten. Auf diesem Schiffe saß der König von Babylon und seine Tochter ihm zur Seite. Der Wind wehte günstig, die Segel waren seiner voll, unablässig arbeiteten die Ruderer, und in wenigen Tagen gingen



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sie bei Venedig vor Anker. Auch hatten die Türken den Plan des ganzen Kriegs zum voraus entworfen. Demzufolge schlugen sie ihr Lager in Venedig auf und verwüsteten einen ganzen Monat das Land mit Sengen und Brennen. Sie jagten durch die Stadt und ihre Dörfer wie Drachen, schonten nicht Weib und Kind, nicht alt und jung, und auf ihrem ganzen Wege ließen sie an Häusern und Kirchen keinen Stein auf dem andern stehen.

Die Fürsten und Herren der Christenheit, soviel ihrer in der Umgegend hausten, kamen in große Not und begaben sich alle in den Schirm des Königes von Frankreich. Durch diese Flucht erfuhr der König Dagobert zuallererst von dem Einfalle der Heiden; denn sie trafen ihn gerade über dem Bau des schönen Münsters zu St. Denis. Da sprachen die Fürsten zu ihm: "Seid von uns gewarnt, Herr König, versehet Euch wohl mit Kriegsvorräten; denn der heidnischen und türkischen Hunde sind sehr viele. Wenn Eure Wacht nicht gut bestellt ist, so sind wir alle verraten und verloren !" Und nun erzählten sie ihm von all den Streitkräften, die gegen Frankreich aufgeboten worden. Der König Dagobert war darauf nicht vorbereitet. Er wandte sich aber mit Zuversicht an seinen Schutzpatron und sprach: "Heiliger Dionys! Beschirme Frankreich vor allem Unglück! Wenn die Türken und Heiden überhandnehmen, so wird dein Münster nimmermehr ausgebaut; die Ungläubigen werden es zerstören oder nach ihrem Belieben einen heidnischen Tempel daraus machen. Darum, heiliger Dionys, beschirme deine Stadt Paris!" Darauf fertigte er Boten ab an die Heere der Christenheit; und vor allen an den Kaiser Oktavianus zu Rom, die überbrachten an alle Fürsten die Bitte, mit ihrer Heeresmacht zu kommen, damit ihm und ihnen geholfen werde. Von allen diesen erhielt er gute Botschaft, und während er sich selbst rüstete, trafen seine Bundesgenossen schon allmählich ein. Der König von Holland kam über Meer her und brachte vierzehntausend Mann; der König aus Irland brachte fünfzehntausend Mann, lauter beherzte Leute, und der König von England kam mit einer Macht, die nicht zu beschreiben ist. Der König Dagobert ritt ihnen mit großer Pracht entgegen und dankte ihnen aufs freundlichste für ihre Hilfe.

Jeder König lagerte sich vor einem andern Tor, und da die Heiden schon herangekommen waren und nicht ferne von der Stadt ihr Lager hatten, so fiel, noch ehe der König seine Erlaubnis dazu erteilt hatte, hier und dort ein Scharmützel vor. Und einer sprach zu dem andern: "Wollte Gott, der König Dagobert gestattete es uns, so wollten wir bald unsern Mut an den Türkenhunden kühlen!"



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Endlich kam auch der mächtige Kaiser Oktavianus mit seinen Römern auf einem andern Weg gar stark herangezogen bis an die Stadt Paris. Aber beinahe kam er zu spät; denn der Sultan war schon zu weit ins Land hereingekommen. Jedoch den Heiden erschien er immer noch frühe genug. Der Kaiser hatte seine Gemahlin und seine Kinder noch nicht vergessen, und sooft er an sie dachte, konnte er sich des Weinens nicht enthalten. Dieses seines Leides sich zu entschlagen, war er nach der Stadt Paris aufgebrochen. Da er aber sah, daß alle Fürsten und Heere ihr Lager außerhalb der Stadt aufgeschlagen hatten und vor den Toren selbst kein Platz mehr war, so lagerte er sich mit den Seinigen in der Vorstadt St. Germain. Als nun der König von Frankreich vernommen, daß Kaiser Oktavianus wohlgerüstet mit dreizehntausend Mann herangekommen und mit seinem Volke vor St. Germain sein Lager genommen hatte, so ritt er ihm mit großer Pracht in sein Zelt und bat ihn freundlich, bei ihm selbst in seinem Palaste Herberge zu machen. Der Kaiser bedankte sich aufs höflichste und erklärte, die erste Nacht mit seinem Volke hierbleiben zu wollen. "Doch eines muß ich Euch sagen, Herr König", sprach er, "wes ist denn das schöne und große Haus, das da vor uns stehet? Die Mauern sind hoch und stark; der, der es gebaut, hat sich's keine Arbeit kosten lassen , sondern viel Fleiß und Kunst angewendet. Ohne Zweifel ist auch der Hausherr, der darin wohnt, sehr angesehen!" —"Nein, das ist er wahrlich nicht", sprach der König, "es ist einer meiner Bürger, Klemens mit Namen; aber er ist verständig, und durch seine Klugheit, durch viel Sorgen und Mühen ist er endlich zu solcher Wohlhabenheit gediehen! Auch ist er vor Jahren über Meer gekommen, da hat er ein fremdes Kind mit sich gebracht, so schön und adelig, als man in Paris kaum eines sehen kann!"

Als der Kaiser Oktavianus dieses hörte, da entfuhr ihm ein Seufzer um den andern, und er konnte sich des Weinens kaum enthalten. König Dagobert, der seine Bekümmernis merkte, fragte ihn freundlich, was sein Anliegen wäre. Da hielt sich Kaiser Oktavianus nicht länger zurück, sondern erzählte Stück für Stück, wie es ihm mit Frau und Kindern ergangen. Der König Dagobert schüttelte sein Haupt und strafte den Kaiser mit weisen Worten, daß er so rasch verfahren sei und sich nicht besser nach der Sache erkundigt hätte. Auch verschwieg er nicht den Verdacht; den er hege; daß nämlich die Mutter des Kaisers die Urheberin alles dieses wels sei. "Wenn jedoch Eure Frau und Kinder noch leben", fügte er hinzu, "so getröstet Euch Gottes, der stark und mächtig genug ist, sie zu



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schirmen, und Eure Unlust wohl noch in Freude zu kehren vermag!" Damit beurlaubte sich der König Dagobert von dem Kaiser und ritt nach seiner Stadt Paris zurück. Der Kaiser Oktavianus aber blieb mit großem Kummer in St. Germain.

Inzwischen verstärkten sich die Türken und Heiden und verderbten während ihres Durchmarsches das ganze Land. Vor der großen Heerschar zog ein verlorener Haufe von zehntausend Mann, die gar kein Erbarmen mit den Christen hatten, sondern Mann und Weib, auch die unschuldigen Kinder zu Tode schlugen. So erhub sich Heulen und Jammern im ganzen Lande, und endlich kam diese Vorschar in den ersten Tagen des Aprilmonats vor den Mauern von Paris an und schlug davor ihr Lager auf. Bald nach ihnen kam der Sultan von Babylon, mit lauter Gold bekleidet . Vorn an der Brust seines Pferdes hing ein güldenes Kleinod, mit Diamanten und Rubinen besetzt. Sein Bart war so lang, daß er bis an den Sattelknopf reichte, dazu weiß wie Schnee. Sein Helm saß mächtig hoch und war mit goldnen Knöpfen geziert; er hatte große Augen und war von stattlichem Wuchse, so daß man nicht leicht seinesgleichen finden mochte. Sein Pferd hatte auf der Stirn ein gekrümmtes Horn aus lautrem Golde geschmiedet. Neben dem Sultan ritt Marcebylla, seine Tochter , aufs köstlichste gekleidet und mit Kleinodien geschmückt. An der Stirn ihres Pferdes hing eine goldene Sonne, mit einem Rubin, einem Smaragd , einem Diamant und vielen Perlen des Morgenlands schön verziert. Vor und nach ihr ritten Jungfrauen, Königs- und Herrentöchter, dreihundert an der Zahl, die wären manches guten Gesellen Freude gewesen. Auch den Gott Mahomets ließ der Sultan auf einem vergoldeten Wagen führen, und täglich betete er ihn auf den Knien an. So ritt er Tag und Nacht mit seiner Ritterschaft, daß er den König von Frankreich um so eher grüßen möchte.

Auf diese Weise kam er endlich vor Paris und ließ sein Zelt so köstlich aufschlagen, daß es höher zu achten war als manches Fürstentum. In demselben übernachtete er mit seiner vornehmsten Ritterschaft; doch stellte er sorgfältig Wachen aus und schickte Kundschafter ab, das französische Heerlager zu besehen. Diese kamen zurück und berichteten dem Sultan, wie sie die Franzosen alle in guter Ordnung gefunden, die Tore und Mauern wohlbesetzt, der Christen Kriegsheer so groß, daß es ihnen unmöglich gewesen, die Menge zu erkunden. Diese Kundschaft brachten sie dem Sultan in Gegenwart des Riesenkönigs, der sehr zornig ward und zu dem Sultan sprach: "Ich will keine Ruhe haben, bis diese Stadt mitsamt



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,dem Lande zerstört ist, daß kein Stein auf dem anderen bleibt!" Aber viele Türken, welche die Botschaft auch vernommen hatten, entsetzten sich vor den Christen und dachten heimlich bei sich, wenn sie nur zu Hause geblieben wären. Als die Boten abgehört waren, kam die Jungfrau Marcebylla vor ihren Vater und bat ihn mit holdseligen Worten, daß er ihr vergönnen wolle, vor die Stadt Paris zu reiten, weil sie große Lust hätte, dieselbe von nahem zu sehen. Dies gestattete auch ihr Vater, doch befahl er sie in den Schutz des Riesenkönigs, was diesem keine kleine Freude machte; denn er fand dadurch Gelegenheit, sich bei dem Sultan in Gunst zu setzen, und überdies war er der Jungfrau von Herzen hold.

Die Franzosen und ihre Verbündeten ihrerseits, als sie die Ungläubigen so nahe an die Stadt Paris gerückt sahen, schwuren zusammen, sich sobald als möglich zu schlagen. "Ich will den ersten Angriff tun", sprach der König von Spanien. — "Ich will", sprach der Kaiser Oktavianus, "Mann für Mann gegen den Sultan kämpfen." — Die Könige aus Schottland und England sprachen: "Desgleichen wollen auch wir tun!" Und so wappneten und rüsteten sie sich, ein jeglicher zur Schlachtordnung.



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Als sich Dagobert mit den Königen und allem Volke zur Schlacht gegen die Heiden vorbereitete, kam ein ungestalter Bote mit einem großen Höcker auf dem Rücken; seine Augen standen handbreit voneinander, er hatte krumme Schenkel, eine breitgedrückte Nase, einen dicken Kopf: kurz, er war sehr häßlich anzusehen. In seiner Hand trug er anstatt der Peitsche ein Seil mit scharfen Knöpfen, damit schlug er seinem Pferde zwischen die Rippen. Als diesen einige Franzosen gewahr wurden, machten sie sich in seine Nähe; denn sie meinten, es wäre ein Meerwunder. Dieser ungestalte Bote ritt durch die französischen Heerhaufen und rief mit heller Stimme: "Wo ist Dagobert, König von Frankreich, welcher Ehre und Ruhm in der Stadt Paris behauptet? Ich bringe ihm Botschaft von meiner gnädigen Frau, der Tochter des Königs von Babylon, und habe mit ihm zu reden." Als die Franzosen dies hörten, verwunderten sich alle über den haarigen, häßlichen Kerl, der zum Boten gewählt worden; doch führten sie ihn vor den König, zu hören, was sein Anbringen wäre. Wie nun der mißgeftalte Mann vor den König kam, kniete er nieder und sprach mit heller Stimme zum König und allen anwesenden Herren: "Merket auf, Herr König in Frankreich 1 Meine gnädigste Herrin Marcebylla, Prinzessin von Babylon" entbeut Euch, daß sie gekommen sei, Euch und die Eurigen zu verderben. Zu dem Ende hat sie das Land zum größten Teile verwüstet und jetzt ihr



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Lager vor dem Tore von Paris auf dem Montmartre aufgeschlagen. Deswegen läßt sie Euch fragen, ob Ihr Euch getrauet, die Stadt Paris zu beschützen, oder ob Ihr nicht vorzieht, Euch gutwillig zu ergeben. Weiter entbeut sie, daß morgen zur rechten Tagszeit ihr Geliebter vor der Stadt Paris erscheinen wird im Panzer und mit Schild und Speer, wie es einem Streiter gebührt, und mit dem mannlichsten Ritter, den Ihr unter den Eurigen finden möget, zu fechten bereit ist. Findet Ihr unter Eurer Ritterschaft keinen, so wird der Kämpfer meiner gnädigen Frau doch nicht ungestritten von Paris abziehen. Vielmehr wird von ihm morgenden Tages die Stadt Paris bestürmt werden. Darum, Herr König, bedenket Euch kurz, was zu tun ist." Der König erwiderte: "Lieber Freund, hat deiner Gebieterin Liebhaber Lust zu streiten, so soll ihm dieses gewährt sein, und er mag sich zur rechten Stunde auf dem Kampfplatze einfinden." Da sagte der Bote dem König großen Dank. "Aber wahrlich", fügte er hinzu, "es wird Euch gereuen; denn ehe ein Monat vergeht, trägt meiner Herrin Liebster Eure königliche Krone auf dem Haupt, und Euer Volk hat er getilgt und ausgerottet." Mit diesen Worten schied er von dem Könige, ritt aufs schnellste zurück zu des Königs von Babylonien Tochter und meldete ihr den günstigen Erfolg seiner Botschaft. Der Riesenkönig, als er dieses hörte, wurde halbunsinnig vor Freuden. Er verhieß der Jungfrau , daß er am andern Morgen sicher vor der Stadt Paris erscheinen und allen Franzosen Fehde verkünden wolle. Ja, alle, die er in seine Gewalt bekäme, die wolle er mit seinen Händen in Stücke reißen. Dies gefiel der Jungfrau wohl, und sie bedankte sich für seinen guten Willen.

Am andern Tage vor Sonnenaufgang wappnete sich der Riesenkönig vom Kopf bis zu den Füßen; er begehrte jedoch weder Spieß noch Speer, noch Hellebarde, sondern einzig und allein sein Heidenschwert. Ebenso wollte er auch auf kein Roß sitzen, sondern frei und ledig zu Fuße gehen; denn er war bei zwölf Fuß lang. Als er nun gerüstet und angetan war; begab er sich zu der Jungfrau, beurlaubte sich von ihr und schlug den geraden Weg nach Paris ein. Wie er vor die Stadt gekommen war, zog er sein Schwert aus und schrie mit lauter Stimme: "Ich streite, ich streite für meine Herzallerliebste. Wer da Lust hat, komme, so will ich sein nicht fehlen!" Die Einwohner der Stadt Paris hatten dieses Geschrei gehört, liefen eilig auf ihre Mauern, und als sie den entsetzlichen Riesenkönig sahen, erschraken sie vor ihm über alle Maßen, so daß sich keiner vor die Mauern hinauswagte. Auch König Dagobert empfand keine sonderliche Freude, als ihm der Riesenkönig gezeigt ward. "Heiliger Dionysius", rief



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er, "beschirme dein Münster und bitte Gott für uns, daß wir nicht von den Widerspenstigen vertrieben werden!" Aber kein Fürst noch Herr wollte es wagen, mit dem Riesen zu streiten, bis sich endlich ein junger, edler Ritter aus Frankreich fand, der sprach: "Wahrhaftig, wir sind nicht eines faulen Apfels wert, wenn keiner unter uns ist, der das Herz hätte, diesen Feind zu bestehen! Darum bringet mir meinen Harnisch, Schild und Speer, Stiefel und Sporen, vor allem aber mein Pferd und mein Schwert; denn ich habe große Lust, mit diesem Riesen zu streiten!" So wurde der Ritter in Eile gewaffnet. Er hatte ein gutes Roß, auf das er sich verlassen konnte; dieses bestieg er, nahm den Speer in seine Hand, und nachdem er, sich versuchend, eine gute Weile die Gasse gerüstet auf und ab geritten, nahm er Urlaub von dem Könige, der eine große Freude an ihm hatte, und das Stadttor öffnete sich ihm.



***
Als der junge Ritter im freien Felde war, ritt er auf dem nächsten Wege nach dem Riesen zu. Die Franzosen aber lagen auf den Mauerzinnen, zu sehen, wie er sich helfen würde. Beim Anblick des christlichen Ritters wurde der Riese zornig; er achtete es für einen Spott, mit einem so kleinen Männlein zu streiten. Der Ritter aber rannte mutig auf den Riesen los, so daß ihm sein Panzer durchstochen ward, doch drang der Speer nicht in den Leib, und der Riese stand unerschütterlich wie ein Turm. Dabei war er nicht säumig, sondern lauerte auf seinen Vorteil, und eh' sich's der Ritter versah, geriet dem Riesen ein Griff, daß er seinen Feind erwischte, aus dem Sattel hob und, ihn wie eine Feder auf seine Achsel nehmend, mit ins Lager trug. Der Ritter saß auf der Schulter des Riesen und rief Gott und alle Heiligen zu Hilfe; denn ihm war's, als wär ' es der lebendige Teufel und wollte er ihn geradezu in die Hölle tragen. Der Riese eilte zu seiner Jungfrau, und nach gar freundlichem Gruß und Gegengruß setzte er seinen Gefangenen auf die Erde und schenkte ihn seiner Geliebten. Der junge Ritter aber meinte nicht anders, als daß er auf der Stelle sterben müßte. Aber die Königstochter erbarmte sich seiner; denn sie war den Christen im Herzen nicht feind. Doch wollte sie wissen, wie es gekommen, daß gerade dieser kleine Ritter ausgezogen, mit dem Riesenkönige zu kämpfen, und drang mit strengen Worten in ihn, die Wahrheit zu gestehen. Den Ritter kam aufs neue Furcht an; er erzählte alles, wie es ergangen war, und kniete dann in seinem Panzer vor der Prinzessin nieder. Diese wunderte sich über seine Kühnheit; hieß ihn den Panzer ablegen und sich gütlich tun. Der Ritter meinte, jetzt gehe es



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ihm an den Hals; aber es ward ein gutes Mahl aufgetragen, und seinen ritterlichen Mut zu ehren, hieß die Fürstin ihn zu Tische sitzen und fröhlich sein. Nun sah er wohl, daß ihm sein Leben geschenkt war, und dankte der Jungfrau mit weinenden Augen. Das Nachtmahl wurde prächtig gefeiert mit großer Freude und Frohlocken des Sieges halber, den der Riesenkönig im Felde erhalten hatte.

Am andern Morgen begrüßte die Jungfrau ihren Buhlen, und der Riesenkönig bat sie mit sanften Worten um einen Kuß. Aber die Königstochter wehrte ihm und sagte: "Ja, wenn Ihr mir den König von Frankreich bringet; wie Ihr mir diesen Ritter gebracht habt, dann will ich Euch einen freundlichen Kuß geben." Darüber ward der Riese hoch erfreut; neigte sich tief vor seiner Geliebten und waffnete sich abermals zum Streite. Bald darauf hörte man ihn hart am Tore von Paris mit lauter Stimme gräßlich schreien: "Hier steh ' ich allemand zum Streite bereit, von meiner Geliebten Marcebylla gesandt! Oh, König Dagobert, dir soll es übel ergehen, wenn du die Stadt Paris nicht übergeben willst; denn du wirst keinen Ritter mehr finden, der mit mir streiten mag!" Und wirklich waren alle Fürsten und Herren erschrocken, und keiner von ihnen empfand eine Lust, mit dem Riesen zu kämpfen. Der fromme König Dagobert



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schaute um sich und sprach: "Wohl denn, wappnet mich behende; denn ich selbst will Leib und Leben gegen diesen Teufelsriesen wagen und ihn mit Gottes Hilfe umbringen, wo nicht, so mag er mich totschlagen! Heiliger Dionys, du wirst nicht dulden, daß ich dein Münster unausgebaut lasse, komme du mir zu Hilfe!"

Als dies Oktavianus, der römische Kaiser, hörte, sprach er zu Dagobert: "Das wolle Gott nicht, mein Herr Bruder, daß Ihr selbst mit dem Riesen streitet; vielmehr lasset mich hingehen und den Kampf wagen!" Aber der König von Frankreich wollte es nicht gestatten, und so stritten sie miteinander um die Ehre des Kampfes.



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Während nun die Fürsten und die Herren so miteinander sprachen, spazierte der Bürger Klemens durch die Straßen von Paris, und sein Sohn Florens trat ihm an Dieners Statt nach. Wie sie nun sahen, daß die Herren auf dem Balkon des Schlosses so traurig beieinander standen, fragte Florens seinen Vater nach der Ursache. "Ach lieber Sohn", sagte Klemens, "du weißest ja, daß die Ungläubigen vor Paris sind. Nun ist da ein mächtiger Riesenkönig, ein Liebhaber der Tochter des Königs von Babylon, an den will sich kein Herr, kein Ritter oder Knecht wagen; denn er hat ganz plötzlich einen jungen mannlichen Ritter überwunden. Darum sind die Fürsten so erschrocken; denn wäre der Riese besiegt, so würden die übrigen Heiden bald aus dem Lande geschlagen sein." "Wie?" sprach Florens, "hat der Riese den Ritter denn gefressen?" "O nein", erwiderte Klemens, "er hob ihn mitsamt seinem Panzer auf die Achsel und trug ihn in das Zelt der Jungfrau." — "Oh, wenn mir solches widerführe", rief Florens, "ich wollte unerschrocken sein! Mit Jungfrauen ist gut handeln!" — "Lieber Sohn", erwiderte ihm Klemens, "du hifi wohl ein frischer Junge; aber bedenke, wie groß und stark der Riese ist; es ist kein Wunder, wenn sich die Fürsten bekümmernd"

Da fing Florens an, seinen Vater inständig zu bitten, daß er ihn mit dem Riesen streiten und seine Stärke versuchen lasse. "Ich habe ja", sprach er, "ohnedies ein Pferd, das mich teuer genug zu stehen kommt!" Als Klemens lange vergebens seinen Sohn abgemahnt und dieser endlich gedroht hatte, so wie er da stünde, ohne alle Waffen zu dem Riesen zu gehen, so wurde der Vater zornig und sprach: "So fahre hin und lebe nach deinem Willen l Wolltest du aber meinem Rate folgen, so bliebest du daheim und ließest den Riesen zufrieden. Ich habe auch keinen doppelten Harnisch für dich, mein Krebs ist nichts mehr nütze, sondern rostig, die



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Armschienen sind ganz schmutzig; seit dreißig Jahren hab ' ich kein Stück mehr von allem am Leibe gehabt; auch mein Spieß ist ganz krumm und schwarz vom Rauche. Du weißest ja, ich bin lieber hinter dem Ofen gesessen als zu Felde gezogen. Harnisch tragen bringt selten Nutzen, wohl aber viel Schläge auf den Rückens" — "Vater", sagte Florens, "das schadet all nichts, gebt mir nur die Stücke, von denen Ihr gesprochen; so rostig sic sind, so will ich doch Ehre damit einlegen. Ja, ich möchte sie nicht mit andern vertauschen, die noch so schön glänzen!" — "Nun, so will ich dir meine rostige Rüstung holen", sprach Klemens verdrießlich, "weiß ich doch wohl, daß du damit wirst ausgelacht werden. Aber sei dem Allmächtigen befohlen, der wolle deine Seele bewahren!" Jetzt war Florens vergnügt, und bald hatte er sich mit dem rostigen Hamisch gewaffnet . Sein Vater Klemens setzte ihm den alten Helm auf, der inwendig voll Spinnweben und von außen ganz schwarz war; Mäuse und Ratten hatten lange darin genistet; dann gab er ihm sein Schwert, das wohl dreißig Jahre nicht aus der Scheide gekommen war und vor lauter Rost sich nicht ausziehen lassen wollte. Klemens nahm es beim Kreuz, der andere Sohn Klaudius bei der Scheide; sie zogen so hart, daß beide rückwärts fielen, Klemens mit dem Schwert in der Hand, Klaudius mit der Scheide. Da hätten beide lieber geweint als gelacht. Doch gefiel es dem Florens, und er sagte scherzend zu seinem Vater Klemens: "Fürwahr, Vater, Ihr müßt schon lang keinen Zückfrevel mehr gezahlt haben, das sieht man Eurem Schwerte wohl ant" Klemens erwiderte: "Weißt du was, mein Sohn, hänge das Schwert lieber ohne Scheide um, dann brauchst du beim Ausziehen nicht mehr auf den Rücken zu fallen!" So scherzten sie miteinander Endlich brachte ihm Klemens auch das Roß, das er mit des Vaters Münze und Schätzen erworben hatte; es war stattlich anzuschauen und nach französischer Sitte wohlaufgezäumt, der Sattel hübsch durchbrochen, der Zaum an drei oder vier Orten mit Nesteln wohlgeziert. Das gefiel Florens gar wohl; er schwang sich hinauf und rief: "Wo ist der Riesenkönig? Nun gebt mir nur noch den Sperr! ' Der Vater reichte ihm auch den, der sah aber gar dürr aus; denn er hatte lang als Hühnerstange gedient.

"Nun fahr hin, lieber Sohn", sprach Klemens, "Gott wolle dir Gnade verleihen, daß du an diesem Tage Ehre einlegest. Ich will dir das Geleite geben bis zur Pforte der Stadt und auf der Zinne achthaben, wie es dir geht. Je größere Streiche du dem Riesen versetzest, je lieber wirst du mir sein!" — "Vater", sagte Florens, "vermag ich's, so will ich Euern



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Willen, tun. Ja, ich hoffe, dem König Dagobert noch am heutigen Tage das Haupt des Riesen in die Hände zu liefern!" Mit diesen Worten nahm Florens Urlaub von seiner Pflegemutter, die sehr um ihn weinte, und von seinem Bruder Klaudius. Er ritt in seiner rostigen Rüstung durch die Gassen von Paris, von Klemens begleitet, von allen andern Bürgern aber verspottet. "Sehet doch", sprach einer, "was da für ein glänzender, wohlaufgeputzter Ritter kommt!" Ein anderer sprach: "Laßt ihn nur reiten , der wird uns großen Nutzen schaffen. Wenn den die Heiden erblicken, werden sie an ihm so erschrecken, daß alle die Flucht ergreifen!" —"Gewiß , der will mit dem Riesen streiten", sagte ein dritter, "und will des Königs von Babylon Tochter freien!" Auch unter den Fürsten und Herren wurde er so zum Gespötte. Er tat aber, als ob er es nicht hörte, und ritt so fort bis ans Tor.

Zur selben Stunde erschien auch der Riesenkönig vor den Toren und



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hub abermal zu schreien an: "Ihr Pariser, ihr Bastarde, wollet ihr nicht das Tor auftun? Es wird euch übel gehen, ihr müßt alle von meinen Händen sterben, dawider vermag euer Gott nichts. Euren König Dagobert hänge ich an den Galgen; was nicht umkommt, soll schmählich aus Stadt und Land verjagt werden und nimmermehr zurückkommen." Die Wächter auf den Mauern hörten das Geschrei, und als es den Fürsten und Herren angezeigt wurde, erschraken sie nicht wenig. Florens aber, als er den Riesen so schreien hörte, hatte keine Ruhe mehr. Man mußte ihm das Tor auftun und ihn hinauslassen. Da lief in Paris alles auf die Mauern; denn jetzt merkten sie, daß der rostige Ritter mit dem Riesen streiten wolle. Der gute alte Klemens, um besser zusehen zu können, saß rittlings auf die Mauerzinne und rief seinem Sohne den Segen hinab. Indem sprengte Florens auf den Riesen zu. Als dieser ihn kommen sah, rief er ihm entgegen: "Wahrlich, du glänzender Ritter, du magst dem wohl billig danksagen, der dich gewappnet hat. Beim Gott Mahomets, dein Hamisch und deine Rüstung sind gar zu lustig; ich meine, du hast ihn in einer Pfütze aufbewahrt. Was ist dein Begehr? Warum bist du hier? Du wirst doch gar nicht mit mir streiten wollen? Kehr um und sage deinem König Dagobert, er soll selber kommen, mit mir zu kämpfen. Mit einem so rostigen Ritter zu fechten, wäre mir Schande!" Bei diesen schimpflichen Worten zitterte Florens vor Zorn und sprach zum Riesen: "Ich merke wohl, daß du mein spottest, aber ich will dich bald besser reden lehren! Denn mit deinem Haupte will ich meinen gnädigen König Dagobert begaben. Ein anderes Geschenk verlange ich nicht von dir!"

Mit diesen Worten rannte Florens gegen den Riesen und sprach ein leises Gebet. Da stand ihm Gott in seinem ersten Ritte bei, also daß er den Riesen mit dem Speer auf den Boden rannte. Er hatte ihm den Rücken so durchstochen, daß der Spieß ein Klafter lang herausragte. Das Blut floß auf die Erde wie das Wasser aus einem Röhrbrunnen; der Riese war mit seinem eigenen Blute besudelt bis an die Fersen. Als der alte Klemens auf der Mauer jenen Stoß sah, dankte er Gott mit großen Freuden und sprach: "Gesegnet sei die Stunde, in der ich dich übers Meer getragen habel" Der Riesenkönig war durch den Stoß schwer erzürnt und holte, auf der Erde liegend, mit seinem gewaltigen Schwert aus. Aber Florens, der sorgte, er möchte ihn hinwegtragen, wie er es mit dem jungen Ritter gemacht, sprang mit dem Pferd ein wenig beiseite und faßte den Streich mit dem rostigen Schwert auf, das er nicht zu ziehen brauchte; denn er hatte es nach des Vaters lustigem Rat ohne Scheide an



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sich hangen. Dann holte er selbst zum Streiche aus, so sicher und stark, daß er dem Riesen den linken Arm abschlug, so daß dieser vor ihm nieder auf die Erde fiel. Den Streich sah Klemens abermals und schrie: "Gott stärke dich! Ich bin fröhlich, wenn ich dich ansehe! Glückselige Stunde, wo ich dich kaufte l Noch glücklichere, wo ich dich nach Paris brachte! Fürwahr; du hast mein Geld um das Pferd wohl angelegt! Auch werden die Franzosen deines rostigen Harnisches nimmer spotten! Schlag ihm den andern Arm auch entzwei, mein Sohn, daß er sich in den Tod geben mußt" Dies Geschrei hörte Florens und sah, wie sich alle, die auf den Mauern waren, mit seinem Vater Klemens für ihn freuten.

Der Riese aber trauerte um seinen Arm und sprach in großem Zorn: "Du Bösewicht; mit deinem rostigen Schwert hast du mir manchen Schlag gegeben und mich schwer beschädigt! Meinst du aber, du habest mich damit überwunden? Nein, beim Gotte Mahomets, und wenn du fünfzehn der stärksten Ritter bei dir hättest, so müßten sie alle mit dir sterben!" — Florens antwortete: "Du lügst, mit mir ist der lebendige Gott!" Damit faßte er sein rostiges Schwert mit beiden Händen und tat einen so harten Streich auf den Riesen, daß er ihm den Helm vom Kopfe schlug. Der Riese aber war auch nicht unbehende; er erwischte den Florens bei seinem Schild und gedachte, ihn dadurch unter sich zu zerren. Aber Florens ließ den Schild in der Hand des Riesen. Dieser schleuderte ihn hoch in die Luft; daß ihn Florens nimmer zu sehen bekäme, dann schlug er ernstlich auf diesen zu und traf ihn mit seiner Faust auf den rechten Schenkel, so daß Florens beinahe rücklings vom Pferd gefallen wäre, doch kam er bald wieder in den Steigbügel. Klemens hatte alles von der Mauer herab gesehen. "Ach, lieber Florens", rief er, "ich glaube, du schläfst; erwache von deinem Schlummer; denn wenn du von dem Riesen überwunden wirst, so ist ganz Frankreich verdorben!" Florens hörte das Geschrei seines Vaters und machte sich mit seinem rostigen Schwert wieder an den Riesen; er gab ihm einen solchen Streich auf die Schultern, daß ein großes Stück des harten Leders, welches in Kappadozien gefertiget worden, und womit der Riese bekleidet war, mitsamt seinem Fleisch zur Erde fiel. Das Blut floß auf den Boden, als hätte man einen Ochsen geschlachtet. Als der Riesenkönig sein Blut so rinnen sah, hätte er lieber gewollt, er wäre bei dem Sultan oder bei der Jungfrau Marcebylla, denn er empfand über sich einen, der sein Meister war, und ein solcher war ihm noch nie unter die Augen gekommen. Doch erholte er sich von seinem Entsetzen und eilte mit großem Grimm auf Florens zu. Dieser wich vier oder



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fünf Schritte hinter sich; doch der Riese verfolgte ihn und traf sein Roß auf den Kopf, daß es zur Erde fiel. Florens, der dem Tier auf dem Rücken lag, säumte nicht lang, sondern schwang sich herab auf seine Füße, doch mit großen Sorgen; denn er fürchtete, den Fußkampf mit dem Riesen nicht auszuhalten. Die Ritter, die auf der Mauer standen und zusahen, schrien alle mit lauter Stimme: "Oh, du starker Gott, komm unsrem jungen Ritter zu Hilfe, daß er den grimmigen Verfolger deiner Christenheit überwinden möge!" Den Riesen machte dieser Zuruf wieder mutig, er trat auf Florens zu und sagte zu ihm: "Nun hast du deinen letzten Tag erlebt; nun will ich Frankreich in dir überwinden! Und wiewohl du mir einen Arm abgehauen hast, so soll es mir doch nicht viel schaden; denn ich habe einen Arzt; der mir meine Wunden bald heilen kann." Florens aber sprach: "Ich aber habe noch viel bessere Hilfe bei mir, ich habe den lebendigen Gott mit seiner Gnade. Und obwohl du mir den Schild genommen hast, so hast du mich doch nicht überwunden!" — "Laß sehen", sprach der Riese, "wir wollen es bald innewerden, wie stark dein Gott ist!" Und nun schlug er mit seinem Schwert so gräßlich auf Florens los, als wollte er ihn mit einem Streich voneinander baun Florens aber war ihm viel zu geschwind, sprang aus dem Streich und wehrte sich so ritterlich, daß ihm der Riese keinen Schaden zu tun vermochte. Da wurde



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sein Feind immer wilder, aber in der Hitze übersah er die Schanze an der sie fochten, strauchelte über einen Stock und tat einen Fall, von dem der ganze Platz erzitterte. Jetzt nahm Florens seinen Vorteil wahr, sprang mit seinem alten Schwert hinzu und gab dem Riesen so manchen harten Streich, daß er sterbend seinen Sieger um Gnade anflehen mußte. Aber Florens sprach: "Gott allein sei die Ehre, ihm, der mir geholfen hat; darum, du falscher Heide, mußt du sterben!" und mit diesen Worten hieb er dem Riesen sein Haupt ab und sagte: "Dies Haupt soll ein Ehrengeschenk für meinen König Dagobert sein." Das Haupt war aber so groß, daß es Florens mit aller seiner Stärke kaum an seinen Sattel zu binden vermochte ; denn sein Roß war während des Fußkampfes von dem Stoße wiedergenesen und hatte sich neben seinem Herrn aufgestellt.

Nun dankten Klemens und alle, die auf der Mauer waren, Gott mit lauter Freude, daß er dem Florens soviel Gnade verliehen; sie sprangen hinab von der Mauer und rannten zum Tor hinaus, ihm entgegenzugehen; denn sie glaubten nicht anders, als der Ritter würde von Stund an mit ihnen in die Stadt reiten. Aber Florens hatte ein anderes Anliegen. Er gab ihnen das ungeheure Haupt des Riesen und befahl ihnen, dasselbe dem Könige Dagobert zum Geschenk zu bringern Ihn selbst mußten sie des Wegs reiten lassen. Und so begab sich denn sein Vater Klemens mit den andern Franzosen in die Stadt zurück und brachte dem König Dagobert das Haupt des Riesen; dieser aber konnte des Staunens und der Freude kein Ende finden.



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Florens war nicht sobald allein auf freiem Felde, als er sich selbst einen Schwur tat, nimmermehr nach Paris zurückzukommen, er hätte denn zuvor des Königs Tochter aus Babylonien gesehen. Denn er hatte so viel von ihrer Schönheit gehört, daß er keine Ruhe hatte, ehe er ihres Anblicks teilhaftig geworden. So hörte er denn nicht auf zu reiten, bis er nach dem Berge Montmartre kam, wo der Jungfrauen Lager in Zelten aufgeschlagen stand. Wie nun Florens so den Heiden entgegenritt, da sprachen sie zueinander: "Sehet doch zu, was will dieser trefflich gerüstete, rostige Ritters Beim Gott Mahomets, sein Harnisch glänzet sehr, obwohl meistenteils von Rost; so sehet auch, wie sein Speer so schön bemalt ist; freilich hat es nur der Rauch getan! Auf gleiche Weise ist auch sein Schild (denn diesen hatte Florens wieder zu sich genommen) trefflich aufgeputzt. Sein Schwert bedarf keiner Scheide; denn der Rost ist sein genügender Überzug! seine ganze Rüstung zeigt etwas Seltsames an; laßt uns



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ihn gefangennehmen und ihn mitsamt seiner Bekleidung dem Riesenkönig übergeben, der macht ihn gewiß zu unserem Hauptmann; denn seine Rüstung zeigt uns an, daß er etwas Vortreffliches ist!" So redeten die Heiden die Wahrheit, ohne es zu wissen. Florens ritt inzwischen auf das Zelt der Jungfrau Marcebylla zu, die sich gerade mit ihren Jungfrauen vor dem Zelt im Grünen erging; denn sie hatte es an einem lustigen Ort aufgeschlagen. Auf der einen Seite des Lagers war ein kleines dichtbelaubtes Wäldchen, in welchem die Nachtigallen Tag und Nacht lieblich sangen; auch waren grünende Matten da, mit bunten Blumen schön verziert: hier brachen die Jungfrauen Blümlein und wanden manchen Kranz daraus. Einen solchen hatte auch die Prinzessin Marcebylla selbst gewunden und gedachte, ihn dem Riesenkönige zu übergeben, wenn er vom siegreichen Streit nach Hause käme. Auf der andern Seite des Lagers floß das rasche Wasser, die Seine, so daß man keinen anmutigeren Ort, sich zu lagern, hätte wählen können. Die Jungfrau Marcebylla selbst war köstlich geziert, sie hatte ein grünes Seidenkleid an, das zu Alexandrien gefertigt und mit lautrem, klarem Golde verbrämt war. Ihr Haar war nach heidnischer Sitte mit edlen Steinen geschmückt, in denen sich die Sonne hell spiegelte, und die einen solchen Glanz von sich gaben, daß Florens von ferne dachte, es seien gewaffnete Heiden, die zur Hut der Jungfrau dahin abgeordnet wären. Deswegen erschrak er anfangs ein wenig. Aber das brennende Verlangen, das er nach der unbekannten Jungfrau trug, gab ihm wieder Mut, daß er vorwärts und auf der Fürstin Lager zu eilte. Als die Jungfrau aufblickte und einen Ritter von ferne so ernstlich auf ihr Zelt zureiten sah, verwunderte sie sich über diesen unerwarteten Anblick, und mit ihr zugleich alle ihre Jungfrauen. Diese trieben großes Gespötte mit der rostigen Rüstung des Fremden; am meisten aber spottete seiner die Jungfrau Marcebylla selbst, und endlich sagte sie lachend: "Ich glaube gar, er hat unser Oberhaupt, den Riesenkönig getötet; denn sein Schwert ist noch voll Bluts, wenn es anders nicht auch Rost ist." — Eine andere Jungfrau, die erste nach der Fürstin, um ihr zu Gefallen zu sein und den Spott zu vermehren, hub ganz feierlich an: "Fürwahr, Prinzessin, Ihr habt unrecht, den rostigen Ritter so zu verspotten So wahr mir der Gott Mahomets helfe, mein Sinn fängt seinethalben an sich zu bewegen; es ist auch kein Wunder, er ist so schmuck und schön! Ich wollte, ich könnte ihn mit meinen Armen umfangen; wie wollte ich seine rostige Schönheit herzen!" — Und noch war es des Spottens nicht genug; denn eine andere Jungfrau erhob sich und sprach: "Laßt



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ihn doch zufrieden mit Eurem Spotten, der rostige Ritter ist mein Trost, sobald ich mit ihm reden kann, soll er mein Buhle werden!"

So spotteten sie in die Wette. Aber Florens wußte von allem dem nichts, sondern trabte nur sehr ernstlich auf das Zelt der Jungfrau zu und dachte: "Ich will auf dieser Reise Leib und Leben wagen; bekomme ich nur einen freundlichen Kuß von des Sultans Tochter, so gehe ich nimmermehr nach Paris zurück." Marcebylla stand vor ihrem Zelte still und war begierig, was der rostige Ritter begehren würde. Florens aber gebärdete sich wie einer, der sich auf solche Händel wohl versteht; er tat; als ob er ihrer nicht achtete, bis erste überraschen zu können hoffte. Da wandte er plötzlich sein wohlabgerichtetes Pferd, faßte sie beim Arm und schwang sie mit aller Geschicklichkeit zu sich auf den Sattel. Als er sie einmal auf dem Roß hatte, drückte er sie an seine Brust und gab ihr manchen Kuß; denn der Pfeil der Liebe hatte sein Herz getroffen. So ritt er mit ihr davon. Der Fürstin Marcebylla aber war kläglich zumute. Sie wußte nicht, wer ihr Räuber war, ob Christ oder Heide, darum rief sie jammernd: "O Gott Mahomets, ist denn kein frommer Held da, der mir zu Hilfe kommen Ach, mein Vater, ich werde dich nimmer sehen!" Auf diesen ihren Hilfeschrei eilten Heiden und Türken herbei, schwangen sich auf ihre schnellen Pferde und rannten dem Florens mit ihren Spießen und krummen Säbeln eilig nach, des Willens, ihm die Jungfrau wiederabzunehmen . Florens indessen gab die Hoffnung nicht auf, ihnen mit Hilfe seines schnellen Rosses zu entgehen: er setzte die Jungfrau vor sich auf den Sattel zur Rechten, und indem er sie vielmal küßte, rief er: "Billig sollte der fröhlich sein, der einen solchen Schatz erbeutet hat. Aber bekümmert Euch nicht so schwer, schöne Jungfrau! Seid fröhlich mit mir; denn Ihr seid der Trost und das Leben meines Lebens! Und in kurzer Zeit werdet Ihr mein Ehegemahl sein!" Die Jungfrau schwieg stille und seufzte nur manchmal auf. Jetzt waren ihm die Heiden auf die Fersen gekommen; er mußte sich zur Wehre setzen; denn die Ungläubigen schrien ihm überlaut zu: "Ei, du Bösewicht, so halte still und laß des Sultans Tochter zurück, wenn du nicht von unsern Händen sterben willst!" Florens merkte wohl, daß er die Jungfrau nicht behalten konnte. Drum wurde er gar traurig, küßte sie noch zweimal inbrünstig, und da sie sich sträubte, so blieb ein Armel ihres schönen Gewandes in seinen Händen; dann ließ er sie vom Sattel mit großem Unmut auf die Erde gleiten. "Lieber wollte ich", sprach er, "alles andere verlieren, was ich habe, denn Euch; das aber sei Euch verheißen: in kurzer Zeit will ich wieder bei Euch



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sein, und mein ganzes Leben lang sollt Ihr dann meine Herzgeliebte bleiben . Denn wisset, daß ich Euch ritterlich dem Riesenkönig, Eurem Buhlen, abgefochten habel Von mir liegt er erlegt, und sein Haupt habe ich dem Könige Dagobert geschenkt. Vor seiner Werbung dürfet Ihr hinfort sicher sein!" Die Jungfrau hörte die freundlichen Worte wohl, aber sie schrie unaufhörlich um Hilfe, und mehr denn hundert Heiden hielten den tapfern Florens umringt und schlugen alle mit großem Geschrei grimmig auf ihn zu. Da feierte er auch nicht und fuhr unter sie mit seinem rostigen Schwerte, daß mancher zu Boden fiel und viele riefen: "Das ist kein Mensch, sondern ein lebendiger Teufel aus der Hölle!" Diese Worte hörten zwei Könige aus der Heidenschaft und fragten: "Wo ist der grausame Teufel, daß wir ihm seinen Sold bezahlen!" — "Hier bin ich", sprach Florens, und nun schlug er sich mit ihnen, bis sie beide zu Boden fielen und ein Jammern unter den Heiden entstand. Der Admiral aus Persien wollte den Schaden rächen und rannte mit seinem Speer gegen Florens, ihn zu durchbohren. Aber Florens traf ihn mit seinem rauchichten Spieße eher, so daß er seine Waffen fallen ließ. Schnell warf Florens den Spieß von sich, ergriff sein Schwert ohne Scheide und hieb auf einige Streiche dem Admiral die Hirnschale entzwei, daß er zu Boden fiel und tot auf der Erde lag. Zwölf Heiden hatte Florens so erschlagen; als aber ihrer immer mehr und sie immer grimmiger wurden, da mußte er endlich die Flucht ergreifen. Auf seinem Wege sah er seinen Vater Klemens mit zweihundert wohlgerüsteten Franzosen, die der König Dagobert ihm zur Hilfe ausgeschickt hatte, sich entgegenreiten. Und gewiß hätten die Heiden den Fliehenden erreicht und umgebracht, wenn sein Vater nicht erschienen wäre. Nun kehrte Florens um, und sie alle miteinander schlugen die Feinde und jagten sie in die Flucht; die Jungfrau Marcebylla aber rettete sich nach ihren selten, sonst wäre sie gen Paris geführt worden; die andern Türken und Heiden mußten ihre Hälse hergeben bis auf zwei, welche sie übrigließen, um dem Sultan die Niederlage zu verkündigen. Klemens aber, so alt er war, hatte dennoch das Beste getan, und wenn man ihm gefolgt wäre, so würden sie bis Montmartre gerückt sein, wo die Jungfrau Marcebylla ihr Lager hatte. Aber Florens wollte dies seinem Vater nicht zugeben, weil die Heiden dort ihrer dreitausend wären: "Und doch", sprach er, "wenn ich meinem Pferde trauen dürfte, so wollten wir die Sache versuchen!" Denn sie waren alle freudig und beherzt. Während sie sich so besprachen, kam ihnen Kundschaft, daß die Feinde durch den unerwarteten Angriff in großer Bestürzung seien und scheil auf



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die Flucht dächten. Da berieten sich Florens und sein Vater nicht lange mehr, sondern rannten auf die Türken los und nötigten sie, Panzer und Gewehr im Stiche zu lassen und nach Dampmartin in das Hauptlager des Sultans zu flüchten. Auf dieser Flucht erschlugen die Franzosen an zweitausend Mann, plünderten das Vorlager der Heiden und führten bei sechstausend Mark Goldes als Beute nach Paris. Das reisige Volk wußte nicht, wie es dem Florens genug Ehre erweisen sollte; die Ungläubigen aber sprachen: "Jetzt hat uns der Gott Mahomets ganz und gar verlassen; wenn er uns nicht besseres Glück gibt, so müssen wir mitten im Christenlande sterben!" In diesem Schrecken kamen sie nach Dampmartin vor den Sultan und klagten ihm ihre Not. Der Sultan sprach: "Seid unerschrocken: ich habe in meinem Lager noch fünfundzwanzig Könige und Geld und Mundvorrat auf volle vier Jahre." Als sie ihm aber von dem Tode des Riesenkönigs und von seiner Tochter Marcebylla erzählten, wie sie von dem rostigen Ritter Florens, der den Riesen umgebracht, beinahe geraubt worden wäre: da fiel der Sultan von Babylon vor Zorn und Kummer auf den Boden. Und als er wieder zu sich selbst kam, schwur er bei seiner königlichen Krone, er wolle das ganze Land Frankreich verwüsten , alle Franzosen niedermachen und den König Dagobert elendiglich umbringen.

Noch sprach er, als seine Tochter Marcebylla mit allen ihren Jungfrauen auf der Flucht dahergeritten kam. Sie ward vom Pferde gehoben, kniete mit weinenden Augen vor ihrem Vater nieder und grüßte ihn mit klagenden Worten. Der Sultan hob sie empor und fing an, sie zu trösten: "Liebe Tochter", sagte er, "laß ab von deiner Bekümmernis; es soll gewiß nach deinem Willen geschehen: der Ritter, der deinen Liebhaber getötet hat, soll eines bösen Todes sterben; ich will ihn zu Asche verbrennen lassen! Jetzt aber gehe mit deinen Jungfrauen in dein Zelt, erhole dich und pflege des Schlafest" — "Euer Wille geschehe, mein Vater!"sprach die Jungfrau, "aber mein Verlangen steht nach den Christen; ohne Mache darf ihr Mutwill nicht bleiben, und wäre es nur, weil der rostige Ritter unter ihnen ist, der mich fast eine Meile Weges entführt hat und mich ohne Erbarmen nach Paris gebracht hätte, wenn nicht große Macht unterwegs gewesen wäre." So nahm sie Urlaub von ihrem Vater und ging mit ihren Gespielen in ihr Zelt. Hier war der Jungfrau sanft gebettet, doch lag sie hart und übel auf ihren weichen Kissen und hatte die gange Nacht keine Ruhe. Den lieblichen Kuß, den ihr Florens gegeben hatte, den konnte sie nicht vergessen. Ihr ganzes Herz war von Liebe gegen ihn entzündet.



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Und wenn sie vor Einschlafen mit ihren Jungfrauen von einer andern Sache reden wollte, so nannte sie unversehens den rostigen Ritter. "O Gott Mahomets", sprach sie zu sich selbst, "wie ist mir zu helfen, ich bin krank, und Leid habe ich in Fülle. Unglückhaft war die Stunde, wo ich den rostigen Ritter das erstemal angesehen habe, noch viel unglücklicher der Augenblick, wo er mir den ersten Kuß gab! Es war ein Kuß, der brannte, als wollte er mich töten. Seine Gebärde, als er mich zu Rosse hub, war fürstlich, männlich und mächtig. Gott Mahomets, warum hast du ihn nicht in deinem Glauben geboren werden lassen! Und ach, wenn er zugegen wäre, meine Liebe könnte ich ihm nicht versagen. Kein anderer Christenmann soll je in meine Nähe kommen; aber dieser Ritter, wenn er dich anbeten lernt, Gott Mahomets, muß mir zuteil werden!"

Am andern Morgen, als sie vom Lager erstanden war, fühlte sie sich so schwach, daß sie die Dienerin rief und sich das Bett noch einmal bereiten ließ; dann legte sie sich wieder nieder, wandte sich von einer Seite auf die andere und gebärdete sich, daß es zum Erbarmen war. Sie konnte es auch nicht lang im Bette aushalten, erhub sich wieder und hatte keine Ruhe. Die Jungfrauen, die dies mit ansahen, konnten nicht mehr dazu schweigen. "Herrin, was liegt Euch so schwer auf der Seele", sprachen sie, "mit welcher Krankheit seid Ihr beladene" —"Ach, ich weiß es selbst nicht", erwiderte Marcebylla, "und wenn ich es wüßte, so darf ich es euch doch nicht eröffnen." Da drangen die Gespielinnen nur um so mehr in sie, und endlich, nach langem Bitten, erzählte sie ihnen die Ursachen ihrer Krankheit.

"Liebe Freundinnen", sagte sie, "wisset, der rostige Ritter, der so häßlich gewaffnet nach Montmartre kam, der hat mich in solche Pein gebracht , die mich Tag und Nacht betrübt; denn er hat den Pfeil der Liebe mir mitten durchs Herz geschossen, so daß ich sein nicht mehr vergessen kann: auch werde ich nimmermehr erfreut, bis ich ihn mit meinen Armen umfangen habe. Wenn dies geschehen ist, so darf er nicht von mir weichen , bis er meinen Willen vollbracht und den Gott Mahomets angebetet hat. Tut er dieses nicht, so mag man ihn verbrennen oder schimpflich an den Galgen hängen!"

Auf diese Rede antwortete ihr eine von den Jungfrauen, Atymedes ', des Königes aus Asia, Tochter: "Edle Jungfrau, was bekümmert sich Euer Herz um eines solchen armen, vielleicht unedeln Ritters; könnt Ihr doch an seiner rostigen Rüstung abnehmen, wes Adels und Standes er sein mag! Überdies ist er ein Christ und unserm Glauben aussätzig. Darum



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ist mein Rat: schlaget es Euch aus dem Sinn; Euer Vater hat noch manchen Königssohn am Hofe, so daß er Euch wohl Eurer Würde gemäß vermählen kann. Wollet deswegen des Ritters vergessen!" — "Ach", erwiderte Marcebylla, "wie kann man das sich aus dem Sinn schlagen, was das Herz am liebsten hat! Auch kann er nicht von niedriger Geburt sein; seine adelige Gebärde, sein freundliches Gespräch zeigen an, daß er von hohem Stamm entsprossen ist, so rostig er einhergeritten kam. Und wisset nur, wenn er mir nicht zuteil wird, so steht mein Leben in Gefahr!" So führte sie seufzend ihre Klagen fort, und ihre Jungfrauen vermochten nicht, sie zu trösten.

Nach dem Siege über die Heiden zog nun Klemens mit den Franzosen freudig und reich an Beute in der Stadt Paris ein. Dem Florens ward sein rostiges Schwert vorangetragen. Die Fürsten und Herren ritten ihm mit großen Ehren entgegen, alle Welt begehrte, ihn zu sehen, und gab ihm das Geleite bis in König Dagoberts Palast. Und als Florens und die Ritter von ihren Pferden abzusitzen begonnen, eilte ihnen Kaiser Oktavianus entgegen und half dem Helden Florens aus den Steigbügeln. Und er wußte nicht, daß es sein leiblicher Sohn war, dem er dieses tat. Als Florens abgestiegen war, nahm er sein rostiges Schwert und wurde von sämtlichen Fürsten in den Palast des Königs geleitet. Hier trat er vor den



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König Dagobert, kniete nieder und sprach: "Allergnädigster Herr, mein Vater Klemens hat Euch des Riesen Haupt überreicht; hier bringe ich das rostige Schwert, womit ich die Gabe erobert habe. Es gehört Euch, wie Euch des Gefallenen Haupt gehört! Wenn Ihr möget, so sei es mir vergolten!" Der König Dagobert sah dem Florens mit Ernst ins Angesicht, dankte ihm mit lauter Stimme und hieß ihn aufstehen und an seine Seite sitzen. Dies schlug Florens dem König in aller Ehrerbietung ab und sprach: "Nein, das ziemt mir nicht, neben einem Könige zu sitzen!" Aber Dagobert nötigte ihn dazu. "Du hast es verdient", sprach er, "und morgen zur rechten Zeit will ich dich zum Ritter schlagen. Dann sollst du bei mir wohnen und großes Gut von mir bekommen; wenn ich in der Schlacht bin, mußt du bei mir stehen und meinen Königsstab vor mir hertragen!"

Als Klemens den König so reden hörte, tat er Einsprache und rief dazwischen: "Oh, Herr König, laßt meinen Sohn Florens zufrieden, es ist nicht mein Wille, daß er zum Ritter geschlagen werde; denn alsdann bleibt er nicht mehr bei mir daheim: er wird in alle Scharmützel reiten, vielleicht wird er auch erschlagen werden; dann kümmert sich mein Herz um ihn. Mein Wunsch und Wohlgefallen ist, daß er ein Wechsler werde, das ist eine Hantierung, die auch Nutzen und Gewinn bringt!" Darauf sprach Florens: "Lieber Vater, wenn es des Königes Wille ist, daß ich ein Ritter werden soll, so sperrt Euch nicht dagegen, lasset es Euch gefallen, und saget dem Könige Dank dafür!" Da warf sich Klemens auf die Knie und sprach: "Herr König, meinem Sohn geschehe nach Eurer Majestät Gefallen. Doch daß nicht zuviel Unkosten daraufgehen; denn, ach, Ihr wisset nicht, was dieser Sohn mich bis auf diesen Tag gekostet hat!" Der König Dagobert mußte lachen und sagte: "Florens, es ist mein königlicher Wille, daß du morgen zum Ritter geschlagen werdest!"

Hierauf ließ der König das Haupt des Riesen auf eine Stange stecken mitten in der Stadt auf einen weiten Plan, daß alle Menschen das Wunder sehen könnten, das geschehen war. Und als es Morgen ward, wurden die Herren und Fürsten zusammenberufen, um dem Ritterschlage anzuwohnen . Da kam zuerst Kaiser Oktavianus, den eine besondere Zuneigung zu Florens trieb. Er wußte nicht, wie ihm war, aber er mußte an Weib und Kinder denken; er konnte sich nicht enthalten, sondern er gab Florens einen Kuß. Nächst ihm waren auch der König von Spanien und der Herzog aus Irland beflissen, dem Florens gar eifrig zu dienen; auch der Fürst von Östreich und sonst viele Herren erwiesen ihm große Ehre. Nun wurden ihm Rücken- und Brustharnisch mit goldenen Spangen köstlich



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geziert. Der Kaiser Oktavianus legte ihm Armzeug und Beinschienen an, der Fürst aus Östreich setzte ihm den Helm auf, der mit goldenen Knöpfen herrlich geschmückt war. Zuletzt steckte ihm der König von Frankreich einen goldenen Ring an den Finger und sprach: "Der Gott, der alle Dinge erschaffen hat, der wolle Euch erleuchten und beschirmen, daß Ihr im ritterlichen Stande mit Ehren und Gesundheit verharren möget!"

Klemens hatte ruhig gewartet; bis diese Dinge zu Ende sein würden; als er aber sah, daß sein Sohn noch keine Sporen hatte, sagte er in seiner Einfalt: "Fürwahr, gnädiger Herr Königl Ich will meinem Sohn Florens die Sporen anlegen!" Der Kaiser sprach mit lachendem Munde: "Klemens, wenn das Euer natürlicher Wille ist, so muß ich mir es auch wohl gefallen lassen!" Da kniete Klemens nieder und wollte seinem Sohne die Sporen, die aus gutem Golde waren, anziehen; aber der gute Klemens hatte vergessen, wie man sie anlegen müsse, und zog sie ihm verkehrt an. Und wie es lange nicht gehen wollte, da wurde er zornig und sprach: "Ich weiß nicht; welcher an den rechten Fuß gehört; denn sie sind beide auf eine Form gemacht. Auch hab' ich in dreißig Jahren, ja, noch drüber, keinen Sporn angelegt; und den Heiden gestern bin ich ohne Sporen entgegengeritten. Der Böse hat es mir eingegeben, was ich jetzt eben versucht habel" Darüber mußten die Fürsten und Herren, auch der neue Ritter Florens, herzlich lachen. Klemens bemühte sich so lange, bis es ihm endlich gelang. Und nun mußte Florens sich erheben und ward von allen Fürsten und Herren beschauet und gelobt.

Hierauf ließ der König Dagobert in einem schönen Garten einen Pfahl aufrichten, auf dem zwei starke Panzer und zwei mächtige Schilde angeknüpft wurden, und dorthin wurde Florens in großem Triumphe geführt. Mancher Fürst und Herr, Ritter und Knecht ritt ihm nach. Der König aber sprach zu ihm: "Guter Freund Florens, Ihr sollt den alten Brauch Frankreichs halten und als ein Ritter mit Eurem Speer wider den Pfahl rennen!" Aber der alte Klemens, der nahe dabeistand, sprach: "Gnädiger König, mit Verlaub, das ist ein närrischer Brauch in Frankreich; es wäre viel nutzer, der Stich wäre auf einen Heiden gerichtet als auf einen Panzer!" Fürsten und Herren lachten über diese einfältige Rede, und sein Sohn Florens sprach: "Lieber Vater, seid zufrieden, zu einer andern Zeit wollen wir auch nach den Heiden stechen; diesmal aber will ich des Königs Willen vollbringen; denn ich soll sein Ritter sein." — "So gebe dir Gott Glück und Heil", erwiderte Klemens, "daß du den Panzer erlegest!" Florens tummelte sein Roß und rannte so ritterlich gegen den Pfahl, daß



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er die zwei alten Panzer und die zwei neuen Schilde durchrannte, so daß Panzer und Schilde zu Boden fielen. "Gott gebe dem Ritter Glück und Heil!"rief das zuschauende Volk, "gewiß ist er aus königlichem Stamme geboren! Vor allen auf Erden soll ihn der König Dagobert am Hofe haben; lebt er nur noch kurze Zeit, so jagt er uns alle Heiden aus dem Lande!"

Das glückliche Rennen des neuen Ritters machte dem König Dagobert große Freude. Er ging auf Florens zu und reichte ihm aus herzlicher Liebe die Hand. Dasselbe tat auch Kaiser Oktavianus; denn dem war niemand lieber als Florens. Und nun führte ihn der König wieder in seinen Palast zurück, und Klemens, der sich seines Sohnes überall erfreuen wollte; folgte nach. Im Schlosse war ein köstliches Mahl bereitet; und Fürsten und Herren waren zum Schmause gebeten. Saitenspieler, Geiger und Lautenschläger, Trommler und Trompeter waren aufgestellt und spielten um einen guten Lohn köstliche Stücke auf. Da ward es dem alten Klemens bange und zu viel; denn er dachte an die Rinder und an das Roß und meinte, am Ende für seinen Sohn die Zeche zahlen zu müssen. Und weil er nicht wußte, wie es am Hofe Brauch war, so holte er sich einen Stecken und schlug auf die Spielleute zu, indem er rief: "Ihr Lotterbuben, wollt ihr auch schmarotzen? Sehet ihr nicht, daß mein Sohn ohnedies genug aufgehen läßt, und daß er mich zum Bettler macht?" Da die Musikanten sahen, wie ungebärdig sich Klemens stellte, fürchteten sie, es möchten noch mehrere mit Prügeln nachfolgen. Sie flohen deswegen mit leerem Magen zum königlichen Schlosse hinaus und waren übel zufrieden. Als Florens von diesem Handel Kunde erhielt, schämte er sich für seinen



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Vater"rief ihn zu sich und sprach: "Vater, was denket Ihr, daß Ihr so eine grobe Unvernunft begebt; und die Spielleute, die mir zu Ehren erschienen sind und den Fürsten und Herren und allen Jungfrauen Freude und Kurzweil bereiten sollten, so schmählich vom Hofe gejagt, und ihnen ihre Instrumente zerschlagen habt? Wahrhaftig, sie müssen ihnen doppelt wiederbezahlt werden!" Klemens erschrak und sagte: "Ach, mein lieber Sohn, ich hab ' es nicht recht verstanden, sondern ich meinte, sie hätten Euer gespottet. Wenn es aber Euer Wille ist, so werde ich sie eilends wiederholen." Und so lief der Alte zum Palaste hinaus und den Spielleuten nach. Doch diese, als sie den alten Klemens mit seinem Stecken in der Hand daherrennen sahen, liefen noch viel mehr, und je gewaltiger ihnen Klemens nachschrie, je eifriger flohen sie, so daß er sie nicht mehr einholen konnte. Im Saale war darüber ein großes Gelächter, und die schönen Jungfrauen mußten ungetanzt nach Hause kehren.

Jetzt nahm Kaiser Oktavianus des Augenblickes wahr, nahm den Ritter an der Hand, hieß ihn neben sich sitzen und sprach zu ihm: "Lieber Florens, saget mir die lautre Wahrheit. Ist der alte Klemens Euer rechter Vater von Geburt?" — "Erhabener Kaiser", erwiderte Florens, "das kann ich Euch nicht sagen, sondern nur, daß er mir so lieb ist, als ob er mein leiblicher Vater wäre. Aber das ist wahr, seine Hausfrau hat andern Leuten gesagt, er habe mich am Gestade des Meeres gefunden und einen guten Teil des Weges auf seinem Rücken getragen und dann auf einem Esel vollends nach Paris gebracht und in St. Germain als sein Kind auferzogen bis auf diese Stunde. Ob sie recht hat oder mich damit verleugnen will, das weiß ich nicht. Mir aber wird es bei Euch, Herr Kaiser, so wohl zumut, als ob Ihr mein rechter Vater wäret; denn ich weiß keinen Menschen auf Erden, den ich lieber sehe als Eure Kaiserliche Majestät." "Habt Ihr Eure rechte Mutter gekannt?" sprach der Kaiser. "Ich habe sie mit Wissen nie gesehen", erwiderte Florens. Da erkannte der Kaiser Oktavianus, daß Florens sein leiblicher Sohn sei. Das Herz im Leibe wollte ihm zerspringen, und doch wollte er seine eigene Sünde nicht offenbaren, aber beinahe wäre ihm das Wort entfahren: " , du bist mein rechter Sohn, die Natur spricht aus dir!" Aber er schluckte die Rede wieder hinter sich, und so blieb die Sache stehen. wischen wurde das Mahl aufgetragen, jedermann setzte sich zu Tische, und der köstlichen Speisen wollte kein Ende werden.

Der alte Klemens war bestellt; die Pforte zu hüten. Ihm war aber noch immer bange, daß er für alles die Zeche bezahlen müßte. Er dachte



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daher darauf, wie er sich eines Unterpfandes versichern wollte. Und als das Mahl vorüber war und die Fürsten vom Tische aufstanden und jeder sein Oberkleid suchte, es anzulegen und Abschied zu nehmen, fand keiner das seinige. Die Diener wurden darum gefragt, aber keiner konnte Bescheid geben; denn Klemens hatte die Kleider ohne der Leute Wissen verborgen . Die Fürsten lachten und sagten: "Merket wohl auf, solches ist uns noch nie geschehen!" Klemens aber stand nicht ferne und hörte das Gemurmel. Er lachte in die Faust und dachte bei sich selbst: "So fängt man die Mäuse; hätte ich die Kleider nicht aufgehoben, sie wären wahrhaftig unbezahlt weggegangen!" Endlich aber, als die Herren laut zu klagen anfingen, sprach er mit lauter Stimme: "Liebe Herren, seid unbesorgt, ich habe die Kleider aufgehoben, sie sind unverloren. Aber das sage ich euch, ihr werdet sie nimmermehr überkommen, ihr habet denn die Zeche bezahlt! Meinet ihr, ich werde euch so heimschleichen lassen?" Als Florens dieses hörte, wurde er zornig und wußte doch nicht, wie er die Sache zurechtsetzen sollte; er schämte sich vor den Fürsten und wollte doch seinen Pflegvater nicht beleidigen; denn er hatte ihn sehr lieb. So zornig er war, so sprach er darum doch mit lachendem Munde: "Lieber Vater, gebt uns die Kleider wieder!" —"Nein, fürwahr", sprach Klemens, "sie haben denn zuvor alles bezahlt, was an Unkosten aufgegangen ist!" — Da mußten alle Umstehenden lachen, und Florens stellte den Alten zufrieden ; denn er verbürgte sich bei ihm mit seinem Pferde. Nun erhielten die Herren jeder das Seinige und schieden unter fröhlichem Gelächter.



***
Der Tag war verflossen und die Nacht herbeigekommen. Aber Florens konnte nicht schlafen; er dachte nur stets daran, wie er den Sultan in seinem Feldlager sehen könnte, und nicht den Sultan allein, sondern auch sein schönes Töchterlein Marcebylla; denn das brennende Feuer der Liebe flammte in seinem Herzen. Nach langem ,Hin- und Herdenken konnte er nicht länger im Bette bleiben. Er stand mitten in der Nacht auf, rief seinem Kämmerling und hieß ihn Harnisch, Armzeug, Kragen, Helm und Schwert; und was zur Rüstung sonst gehört, bringen, wappnete sich und befahl dem Diener, ihm sein Roß zu satteln. Während Florens sich wappnete, fragte der Kämmerling, wohin er denn zu reiten willens sei. Aber Florens gab keine andre Antwort; als er sollte sich wegen des Reitens nicht kümmern; er selbst würde bald wiederkommen. So setzte er sich zu Pferd und ritt um Mitternacht davon durch die langen Gassen von Paris bis ans Tor. Als er an die Pforte kam, weckte er den Torhüter und



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sprach: "Guter Freund, öffne mir die Pforte; denn ich habe ein Geschäft zu verrichten, das dir und allen Franzosen zugute kommen soll." Der Torhüter sprach: "Lieber Junker, es kann nicht sein; es ist mir von unserm Herrn, dem Könige, bei Verlust meines Lebens verboten!"—"Ach", sprach Florens, "es soll dir kein Ungemach daraus erwachsen; glaube mir, es wird dir vom Könige wohlbelohnt werden." Und nun redete er dem Wächter so freundlich mit Gelde zu, daß dieser ihm endlich heimlich das Tor aufschloß und ihn hinausließ.

Also ritt Florens fröhlich fort und machte noch vor Tage die fünf Meilen bis in das Feldlager des Sultans. Und als der helle Tag anbrach, war er nicht mehr weit von den heidnischen selten. Diese waren alle köstlich zubereitet, und das Zelt des Sultans übertraf alle andern; denn es war mit Gold und Edelsteinen bedeckt und gab einen hellen Schein von sich. Aus den Heidenzelten ertönten Pfeifen, Trompeten und Posaunen und ein greuliches Geschrei, so daß sich Florens einen Augenblick entsetzte. Doch bald wieder seiner vorigen Taten und des Kampfes mit dem Riesenkönige eingedenk, ermannte sich der Held und sprach zu sich selbst: "Es gehe, wie es will, noch heute muß ich den Sultan in seinem Lager sehen und mit ihm reden und ihm sagen, was mein Vorhaben gegen ihn ist." Als er jedoch die große Menge der Heiden sah, wurde er wieder unschlüssig . "Soll ich mit ihnen streiten", dachte er, "so sind ihrer so viel, daß ich nicht davonkommen kann; soll ich meinem Roß die Sporen geben, so haben sie so rasche Pferde, daß ich nicht entrinne." Inzwischen stieg er von dem Pferde, hieb einen Zweig von einem Ölbaum und hing sich den vor seine Brust. Dann bestieg er das Roß wieder und dachte, sich für einen Boten auszugeben, der mit dem Sultan zu verhandeln hätte. So befahl er sich dem Allmächtigen und ritt auf das feindliche Lager zu. Dies hatten einige gewaffnete Heiden gesehen, und da sie in ihm einen Christen erkannten, so rannten sie auf ihn zu in der Absicht, ihn niederzuhauen. Als sie jedoch den Ölzweig an seiner Brust gewahr wurden, der auch bei den Heiden ein Zeichen des Friedens ist, wagten sie nicht, ihm ein Leid zuzufügen; denn sie hielten ihn für einen Abgesandten und dachten, er habe vielleicht dem Sultan Gutes vom Könige von Frankreich zu überbringen . Also ritt Florens ungekränkt fort bis an das Zelt des Sultans; da stieg er ab, band sein Pferd an einen Baum und trat ritterlich hinein.

Er fand den Sultan in großer Majestät auf dem Stuhle sitzen, der köstlich und mit golddurchwirkten Tüchern umhängt und geziert war, so daß man mit dem Zeltschmucke ein ganzes Fürstentum hätte bezahlen können.



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Um ihn saßen im Kreise sechzehn Könige gelagert. Florens staunte über all der Macht; doch faßte er sich bald, zog den Helm ab, um verständlicher reden zu können, und sprach mit männlichem Stolze zu dem Sultan: "Der Gott, der von dem Himmel herabgekommen ist und an dem Kreuz den Tod für die Menschen gelitten hat, der ist's, der dem frommen König Dagobert täglich mehr Stärke gibt und alle seine Feinde zerstören will, zuvörderst dich, Sultan und König von Babylon; es sei denn, daß du den Befehl des Königes von Frankreich hören wollest, welcher also lautet: du sollst vor allen Dingen vor seiner königlichen Krone erscheinen und von ihr Gnade begehren, weil du den Frevel gewagt hast, übers in unser Land zu kommen. Tust du dieses nicht, so kommst du mit deinem Volke nimmermehr in die Heimat; dein Haupt muß dir von den Achseln gehauen werden, danach kannst du dich richten; und was du für eine Antwort zu geben hast, das weißt du jetzt!" Der Sultan war über dieser trotzigen Rede fast von Sinnen gekommen. Er ergriff ein scharfes Messer und warf es nach Florens; dieser aber wich behende dem Wurf aus, und das Messer fuhr drei Finger tief in einen Pfosten, daran das Zelt gespannt war. Florens war über diesen Wurf nicht wenig verdrossen; aber auch den Sultan reute, was er getan hatte, weil Florens ein Bote vor seinen Augen war. Daher sagte er: "Bei dem Gotte Mahomets, der die Welt geschaffen hat, wenn du kein Bote wärest, so müßte dein Leib in Stücke gehauen werden. So aber soll dir nichts geschehen, und mit dem Wurf habe ich mich übereilt: es soll auch dein Schaden nicht sein; nimm diesen Beutel mit vierhundert Dukaten, kehre zurück zu deinem Könige Dagobert und sag ihm meine Antwort: Wenn er unsern Gott Mahomets nicht anbeten und ihm dienen will, so werde ich nimmermehr übers Meer zurückkehren, und mein Herz wird keine Ruhe haben, ehe denn ich ihn getötet und mir das Land unterwürfig gemacht habe."

Der Sultan hatte eben diese Rede vollendet, als seine Tochter Marcebylla , von schmucken Jungfrauen begleitet, eintrat und ihren Vater mit tiefer Beugung freundlich grüßte. Der Sultan, samt den Königen, die bei ihm saßen, stand auf und empfing seine Tochter mit ihrer Begleitung gar gnädig. Dann mußte sie zu ihrem Vater auf das Polster sitzen, und er mit allen Fürsten erfreute sich ihres holden Gespräches und ihrer um aussprechlichen Schönheit. Sie war in roten Karmoisin gekleidet, der von goldenen Blumen durchsäet und mit Perlen und Edelsteinen herrlich gestickt war, so daß ihre Gestalt durch das ganze Gezelt einen klaren Schein gab. Als Florens sie sah, verlor er Kraft und Besinnung; und als Marceabyllas



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Blick auf ihn fiel, da wich alle Farbe von ihr; denn sie hatte ihn auf der Stelle wiedererkannt. Doch blickte sie den Florens mit lieblichen Augen an und fing an, mit verstellten Worten zu ihm zu sprechen: "Sag an, du Christenmann, kennest du nicht einen Ritter am Hofe des Königs von Frankreich, der in einem rostigen Hamisch den Riesenkönig vor den Mauern von Paris zu Tode geschlagen hat? Mein Verlangen, ihn zu sehen, ist groß; nicht aus Liebe, die ich zu ihm trage; sondern wenn ich ihn in meiner Gewalt hätte, von Stund an müßt' er verbrannt werden, weil er mir meinen Buhlen, den Riesenkönig, erschlagen hat." Unter diesen Reden warf sie dem Ritter Florens heimlich manchen zärtlichen Blick zu und fuhr unter großem Seufzen fort: "Oh, daß ich jenen Ritter, der mein Räuber ist, hier hätte; er müßte mein tägliches Seufzen zufriedenstellen. Ich leide große Qual von dem Kuß, den er mir gegeben hat. Daß ich mich nicht an ihm rächen kann, das bringt mir schwere Peinl" Der Sultan und die Könige bei ihm verstanden diese Rede nicht recht, aber Florens ward ihre Bedeutung bald inne. Daher erwiderte er mit Ehrerbietung und sprach: "Ja, gnädigste Fürstin, ich kenne jenen Ritter sehr gut; er ist meiner Länge und hat meinen Gang; im Rennen und Stechen kann man uns nicht unterscheiden, so gleich sind unsere Gebärden. Auch ist er ein getreuer Mehrer der Christenheit und Zerstörer der Abgötterei. Und wenn ihm Leids von Euch geschähe, so tatet Ihr großes Unrecht; denn ich weiß, daß er Euch von Herzen hold ist. Zum Zeichen führt er auf seinem Helm den rechten Armel, den er Euch entrissen hat, als Ihr mit ihm zu Pferde saßet, damit Ihr stets an ihn gedenket, wo Ihr ihn in der Schlachtordnung erblicken werdet!"

Jetzt erkannte die Jungfrau Marcebylla erst recht gewiß, daß es der Ritter Florens sei, der mit ihr sprach, und gern hätte sie noch lange mit ihm geredet, wenn sie sich nicht vor ihrem Vater gefürchtet hätte.



***
Florens aber setzte sich wieder auf sein Roß und rief ins Zelt hinein dem Sultan zu: fahre diesmal wieder davon; aber du hast unredlich nach mir mit dem Messer geworfen; darum sei dir gesagt, in kurzer Zeit soll es dich reuen; dein Leben steht auf der Spitze meines Speeres!" — "Was sagst du, schändlicher Bube", rief der Sultan, "du gibst dich für einen Boten aus und verrätst dich doch durch schnöde Drohworte?" Und mit lauterer Stimme schrie er: "Lieben Könige und Herren, schlagt mir den Schelmen tot!" Als das die Türken und Heiden hörten, rannten sie dem Florens mit Bogen und Pfeilen nach, schossen nach ihm und wollten



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ihn umbringen. Doch Florens wendete sein Pferd, zog sein Schwert und schlug unter sie, daß bald zwei Könige tot auf dem Boden lagen und drei andere Heiden lahmgehauen waren. Aber sein Roß wurde ihm hart verwundet , und nur mit Mühe erwehrte er sich ihrer. Dreihundert waren auf ihm; der Vorderste war der König von Alamphatin, der hoffte, den Ritter gewiß zu treffen, und rief: "Halt stille, du Bastard; denn von meiner Hand mußt du sterben !" Als Florens dies hörte, kehrte er sich auf seinem Heimritt um und sah, daß dieser König ihm allein nachgefolgt war. Da säumte er nicht, sondern legte seinen Speer ein; sein Gegner war auch gerüstet, so machten sie nicht viel Worte, sondern rannten ritterlich aufeinander und trafen alle beide so gut, daß beider Speere in Stücke und himmelauf sprangen. Florens war betrübt, daß er keinen Speer mehr hatte. Doch zückten jetzt beide ihre Schwerter und fochten ritterlich. Und endlich geriet dem Florens ein Streich, daß er dem König durch den Helm in die Hirnschale hieb und ihm sein Haupt zerspaltete, so daß er vor Ohnmacht vom Rosse fiel. Florens hielt sich nicht lange mit ihm auf, er war zufrieden, seiner los zu sein, und tauschte nur des Königs gesundes Pferd gegen sein verwundetes ein; auf jenem rannte er, so schnell er konnte, der Stadt Paris zu. Aber sein verwundetes Roß wollte ihn dennoch nicht verlassen und lief ihm unausgesetzt nach bis an die Tore.


***
Als die Heiden auf den Platz kamen, wo der König Alamphatin tot in seinem Blute lag, mochte vor dem großen Leide, das sie um ihn trugen, keiner mehr dem Florens nachrennen; denn er hatte ihnen einen großen Vorsprung abgewonnen. Sie nahmen den toten König und trugen ihn nach heidnischer Sitte unter lautem Wehklagen in das Lager. Dann meldeten sie dem Sultan alles, was mit dem Boten geschehen war, auch daß er auf des erschlagenen Königs Pferd davongeritten, das mehr Pfund Silbers wert sei, als es wäge. Der Sultan, wie er dies hörte, wurde ganz rasend, lief mit einem Prügel nach seinem Götzen, schlug ihm auf den Kopf vier harte Streiche und schrie: "Oh, du böser Gott Mahomets, du bist keines toten Hundes wert, daß du den Bastard entrinnen und den König, meinen Freund und Bruder, hast erschlagen lassen!" Und nun versammelte er alles Volk, tat kund, wieviel Schaden Florens angerichtet, und sprach: "Liebe Herren und gute Freunde, rüstet euch alle zur Wehr; denn die Stadt Paris muß zerstört werden. Achtzigtausend Mann will ich davorschicken, und kommt der König Dagobert und sein Bote in meine Gewalt, so müssen sie eines grausamen Todes sterben."



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Die Jungfrau Marcebylla vernahm aus den Reden ihres Vaters, daß der König Alamphatin umgekommen und Florens kein Leid widerfahren sei; darüber freute sie sich und bat den Gott Mahomets, daß er ihn schirmen möge.

Während nun die Heiden sich rüsteten, war Florens glücklich an das Stadttor von Paris gelangt, und als er hineinritt, grüßte er den Torwärter freundlich, schenkte ihm das verwundete Roß und sprach: "ES schadet nicht, daß es wund ist; es wird bald wieder heilen; dann ist es immer noch fünfzig Kronen wert." Der Torwärter bog seine Knie und dankte ihm mit demütigen Worten. "Sooft Ihr kommt, lieber Herr", sagte er, "soll Euch das Tor von mir willig aufgeschlossen werden!" Und von Stund an verbreitete sich die Kunde in der Stadt, daß Florens wiedergekommen sei, darüber jung und alt höchlich erfreut waren. Florens aber ritt wieder durch die langen Gassen zurück bis an Dagoberts Palast und wurde von dem König so freundlich empfangen, wie er es verdiente.



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Der Sultan tat, wie er geschworen hatte. Er schickte all sein Kriegsvolk vor Paris, es aufs härteste zu belagern. Die Heiden lagen auf drei Seiten vor der Stadt, sie hatten den Bauern alles Vieh weggenommen, die



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Dörfer verbrannt; die armen Leute totgeschlagen. Aber auch König Dagobert hatte alle seine Leute zur Schlachtordnung aufgeboten, und Florens war der erste, der, trefflich bewaffnet, auf des Königs Alamphatin Rosse sitzend, sich einstellte. So zogen die Franzosen mutig aus der Stadt und hatten zusammen einen Eid geschworen, daß keiner von des andern Seite weichen wolle. Und nun griffen sie die Heiden im Sturme an, und kein Christenfürst war, der nicht ritterlich in den Kampf gegangen wäre. Der mutigste Kämpfer war der König von Frankreich; alle Streiche, die er schlug, saßen fest, sei es auf Roß oder Mann. Auch Kaiser Oktavianus wollte nicht säumen, er rannte mit seinem Speer durch die Heiden hin und her, machte großen Raum und leerte manchen Sattel. Der Herzog von Östreich, der König von Spanien und andere Fürsten brachten unzählige Feinde ums Leben. Aber keiner war über Florens; vor dem konnte kein feindlicher Held standhalten; sie flohen, sowie er nur gegen sie rannte. Dennoch wollten die Heiden nicht abziehen, sie schlugen sich noch so männlich um den Sieg, daß zuletzt der König Dagobert von ihnen umringt wurde. Manch harter Streich traf ihn; doch war sein Harnisch gut, und er selbst fehlte ihrer auch nicht. Zuletzt wurde sein Roß unter ihm erstochen , und wie er auf der Erde war, schlug er noch wie ein Löwe um sich. wurde er müde und rief zuletzt in der Not: "Ach, Gott, und du, heiliger Dionysius!" Diesen Ruf hörte Florens, der nicht weit von dem Könige war. Er kannte des Königs Stimme und drang, so gut er vermochte, zu ihm, indem er eine lange Gasse vor sich her machte. Der erste, den er zugrunde stach, war der König von Persien. Dessen Roß nahm er, setzte den König von Frankreich darauf und sprach zu ihm: "Seid unerschrocken, Herr, wir wollen unsere Feinde bald dämpfen t" Jetzt aber fing die Schlacht erst recht von neuem an, und auf beiden Seiten wurde viel Blut vergossen. Endlich aber hielten die Heiden den Anlauf nicht länger aus, sondern fingen an zu fliehen, und Florens samt dem Kaiser Oktavianus und dem König von Spanien setzte ihnen nach auf zwei Meilen Weges, und auf der Flucht erstachen sie über fünftausend Heiden. Mancher lag lahm gehauen, mancher halbtot vor der Stadt Paris; Acker und Wiesen waren von Toten bedeckt, das Blut floß wie ein Bach. Am Ende waren der Heiden auf dreißigtausend erschlagen. Der König mit seinem Volke zog wieder ein in Paris und lobte Gott. Die Heiden aber flohen in das Lager von Dampmartin zu ihrem Sultan und klagten ihm, was geschehen . Da sprach der Sultan: "Bei unserm Gott, der Tod unsers Volkes darf nicht ohne Rache bleiben; seid zum Streite gerüstet; vierzigtausend



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tapfere Streiter vermag ich noch; die müssen zum zweitenmal die Stadt belagern!" Dann rief er sieben Könige, die ihm übrig waren, und übergab ihnen dieses Heer. Auch schwur er, wenn er den Boten bekäme, so wolle er ihn durch vier starke Pferde in Stücke zerreißen lassen. Diese Drohungen hörte die Jungfrau Marcebylla wohl und betete heimlich zu ihrem Gotte, daß er den Ritter aus den Händen ihres Vaters reißen wolle. Aber zum Sultan sprach sie: "Möchte uns doch der Lotterbube zur Beute werden; denn er hat mir den Riesenkönig umgebracht! Darum, Vater; wenn Ihr meinem Rate folgen wollet, ich glaube, ich wollte das Wagnis unternehmen und ihn in Eure Gewalt bringen." — "Wie sollte das möglich sein, liebe Tochter?" fragte der Sultan. — "Ich will es Euch sagen", erwiderte die Jungfrau. "Mit meinen Gespielinnen samt Zelten und Rüstung will ich mit den sieben Königen zu Felde ziehen; auf der grünen Matte vor der Stadt Paris am Gestade des Seineflusses will ich mein Lager ausschlagen. Sobald der Schändliche meine Ankunft erfahren hat; wird er zu mir kommen, das weiß ich gewiß. Dann sollen ihn meine Ritter in Stücke reißen und sein Haupt Euch zum Geschenke bringen." —"Wohlgeredet; schöne Tochter", sprach der Sultan, "Eurem Rate soll in allen Stücken gefolgt werden!"


***
So zogen die Heiden noch einmal mit vierzigtausend Mann vor die Stadt Paris. Sie schrien und heulten, daß die ganze Gegend zitterte. Aber in der Stadt war man auch gefaßt, alles lief auf die Mauern, schoß Pfeile und warf Steine auf die heranstürmenden Heiden. Am Gestade des Seinewassers war Marcebylla gelagert und schärfte ihren Blick auf Florens. Dieser wußte gar nichts von ihr; er war zu Hause, rüstete sich eilends und wollte aus der Stadt unter die Heiden fahren. Da kam ein edler ihm vertrauter Ritter zu ihm und sprach: "Wisset, edler Ritter Florens, die Jungfrau, die Euch so wohlgefällt und Euch so hold ist, hat ihr Lager samt ihren Jungfrauen am Gestade des Stromes errichtet." Florens wurde von Liebe entzündet; als er dieses hörte und sprach: "Morgen erhaltet Ihr eine Rüstung für diese Nachricht zum Lohn, lieber Ritter!" und so entließ er ihn. Am andern Tage ließ Florens den Ritter waffnen und rüstete sich selbst. Unverweilt machten sie, sich auf den Weg nach der Seine. Da sah Florens von weitem seine geliebte Marcebylla, und auch sie erkannte ihren Ritter von ferne; denn um den Helm trug er den Armel geknüpft, den er ihr einst abgenommen hatte. Blut und Farbe verließ sie bei diesem Anblick, und ihre Jungfrauen fragten sie ängstlich,



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was ihr wäre. Da gestand sie ihnen die Ursache abermals. Ihre Gespielinnen riefen einstimmig: "Wir wollen Euch nicht verraten; rufet ihn nur getrost herbei; wir alle sind so gesinnt, daß wir Leib und Leben für Euch lassen wollen! Darum seid guter Dinge: seid Ihr noch in des Ritters Huld, so wird er von selbst herankommen; ist aber Eure Liebe in ihm verblichen, so hilft all Euer Trauren nicht dazu."

Lange bedachte sich die Jungfrau Marcebylla, endlich aber sandte sie dem edeln Florens eine Freundin entgegen, die ihn von ihrer Nähe benachrichtigen sollte. Als Florens die Botin nur von weitem erblickte, da hatte er keine Ruhe mehr. Mit Helm und Harnisch angetan, sprang er zu Roß in den Seinefluß, durchschwamm ihn und war bald auf der andern Seite des Wassers, wo der Jungfrauen Zelte standen. Hier ging Marcebylla am Gestade auf und ab wandeln; sobald sie ihren Geliebten sah, begrüßte sie ihn mit holdseliger Gebärde und sprach: "Gelobt sei mein Gott, daß er Euch zu mir hieher geführt hat! Welche Gefahr habt Ihr ausgestanden! Den Wellen habt Ihr mir zuliebe getrotzt!" —"Schöne Jungfrau", erwiderte Florens, "die Liebe zu Euch hat mich über das Wasser getragen; wenn Euer Angesicht mich bescheint, kann mir nichts mißlingen" — "Lieber Ritter", sprach Marcebylla, "wie große Schmerzen habe ich um unserer Liebe willen erduldet; jetzt aber, wo Euer Licht mir leuchtet, bin ich gesund geworden." Darauf nahm die Jungfrau den Ritter an der Hand und führte ihn in ihr eigenes Zelt; hier löste er Helm und Harnisch, umfing die Jungfrau und gab ihr einen Kuß um den andern . Da schwur sie dem Gott Mahomets ab, und der Ritter bekehrte sie zum wahren Glauben; auch mußte er ihr versprechen, sie von hinnen zu bringen. Darauf sagte Florens: "Hierzu weiß ich keinen andern Weg, geliebte Jungfrau, als daß ich Euren Vater, den König von Babylon, zum Gefangenen mache. Alsdann könnt Ihr selbst mir auch nicht entgehen." — "Geliebter Ritter Florens", sprach Marcebylla, "kein Mensch auf Erden vermag meinen Vater zu fangen; er müßte denn von seinem guten Rosse Pontifex verlassen werden, das er nicht um die halbe Welt gäbe; dieses ist schnell wie der Wind und so stark, daß darauf zwei Reiter im vollen Harnische auf einmal in den Streit reiten und sich wehren können. Es läuft so geschwind mit ihnen, als ob es nichts auf sich trüge. Durch das Wasser schwimmt es wie ein Fisch durchs Meer: seinesgleichen ist nie gesehen worden." Florens ward von Verlangen nach dem Roß entzündet und fragte eilig: "Was für eine Farbe hat das Roß Pontifex? Es ist ganz weiß", erwiderte die Jungfrau, "den Kopf trägt es allezeit auf



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recht wie ein Löwe, mitten auf seiner Stirne aber hat es ein scharfes, spitzes Horn, wie ein Schermesser so scharf: was es damit trifft, das muß alles zugrunde gehen."

Nun war fast eine Stunde vergangen mit beider Gespräch, und Florens sagte: "Die Zeit ist hie, Geliebte, daß ich von Euch scheiden muß. Aber mich verlangt zu wissen, wann ich Euch nach Paris bringen darf." — "Ich will Euch eine List angeben", sprach Marcebylla, "vielleicht dient sie, mich fortzuschaffen. Wenn es dazu kommt, daß mein Vater dem Könige von Frankreich eine Schlacht liefert, was nicht mehr lange anstehen kann, und wenn sich nun alles Volk im Kampfe vermischt, dann verlieret Euch, wenn Ihr meinen Vater am ernstlichsten kämpfen sehet, aus dem Streite und begebet Euch so, daß ja niemand es merke, zu mir. Mein Vater ahnet wohl unsere Liebe, aber er glaubt nicht daran, weil wir zweierlei Götter haben. Würde er sie gewiß inne: glaubet mir, vierundfünfzigtausend Mann würden ihm nicht zuviel sein, mich zu hüten. Gebet also wohl acht; daß Ihr von niemand gesehen werdet. Ehe Ihr aber in die Schlacht reitet; bestellt ein Schiff, und sobald die Schlacht anfängt, soll der Fährmann nicht säumen, das Schiff zu mir heraufzuführen; dorthin will ich meinen Schatz und alle meine Kleinodien tragen lassen, dann will ich mit meinen Jungfrauen und mit Euch mich auf das Schiff setzen, und so wollen wir nach Paris fahren. Dies ist das Mittel, wie Ihr mich hinwegbringen könnet." Florens freute sich über den sinnreichen Einfall seiner Geliebten. "Ihr habt den rechten Weg gefunden", rief er, "ich will ihm nachkommen!" Und so drückten sie Lippe an Lippe und Herz an Herz; dann legte Florens den Panzer wieder an und befahl seine Jungfrau in den Schutz des allmächtigen Gottes. "Oh, du Leben meines jungen Lebens" , antwortete ihm Marcebylla, "ich weiß nicht, wann ich dich wiedersehen werde, aber laß mein Herz in dem deinen beschlossen sein. Keinem Manne will ich untertänig sein als dir!"



***
So schied Florens, schwamm wieder über das Wasser und fand dort den Ritter, der mit ihm gezogen war und seiner wartete. Kaum waren sie zusammengekommen , als Florens einen Türken dahertraben sah, der unter großem Geschrei begehrte, mit ihm zu kämpfen. Florens war nicht säumig; er legte den Speer ein und rannte auf den Türken, daß er zu Boden fiel und ein Bein entzweibrach. "Geschwind", sprach Florens zu seinem Begleiter, "setzet Euch auf des Heiden Pferd; es ist viel stärker als das Eure; so kommen wir schneller davon." Aber kaum war dies geschehen,



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so sahen sich die .beiden von einer wilden Heidenschar umgeben. Doch schlugen sie sich ritterlich mit ihren scharfen Schwertern, daß die Heiden wie der Schnee niederfallen mußten. Da erstach auch der andre Ritter den Admiral von Persien, daß ihm das Eingeweide, als er vom Pferde sank, auf die Erde fiel. Und so schlugen sie sich endlich durch und gelangten fröhlich nach Paris. Dem König Dagobert aber war bald hinterbracht worden, was der Ritter Florens unternommen hatte. Da beschickte er ihn und fragte ihn: "Nun, Florens, saget an, was macht die Jungfrau Marcebylla? Wahrlich, Ihr traget eine große Gunst zu ihr, daß Euch das Seinewasser nicht zu kalt zum Bade war. Um ihretwillen werdet Ihr; deucht mir, noch manchen Heiden darniederstrecken!" Da sprach Florens mit lachendem Munde: "Ja, es möchte so geschehen, mein Herr und König; denn meine Hoffnung auf Erden stehet allein zu ihr!" Und nun beurlaubte sich Florens mit gebogenen Knien von dem König Dagobert und ritt zu seinem Pflegevater Klemens. Diesem erzählte er als ein gutes Kind alles, was sich begeben hatte, und verschwieg ihm seine Liebe zu Marcebylla nicht, und wie er sie mit ihrem Willen bald nach Paris bringen werde. Auch berichtete er ihm von dem köstlichen Pferde, Pontife genannt. "Was hat das Roß für Farbe?" fragte Klemens. — "ES ist ganz weiß wie ein Schwan", sagte Florens, "und an der Stirn hat es ein langes Horn, scharf wie ein Schermesser." — "Um Gott", sprach Klemens , "da ist es wohl ungezäumt und furchtbar anzufassen? Doch getraue ich mich, seiner Meister zu werden." Florens mußte lachen und hielt des alten Mannes Rede für einen Scherz. Aber Klemens ließ sich von seinem Weibe den Pilgermantel und Hut reichen, womit er am Heiligen Grabe gewesen. Er warf den Mantel zur Hälfte über sich und machte sein Angesicht mit einer Salbe schwarz wie eine Kohle; einen kohlschwarzen langen Bart hatte er schon vorher. So entstellt sah er einem Heiden nicht unähnlich, und wer es sah, dem kam das Lachen. Darnach nahm Klemens seinen Pilgerstab in die Hand und sprach zu Florens und zu seiner Hausfrau: "Nun gehabet Euch wohl miteinander; ich will nicht wiederkehren, ich habe denn das köstliche Roß Pontifex gewonnen!" Das ganze Hausgesinde hatte seine Freude darüber, daß der alte Mann noch so leichtsinnig war. Doch glaubten sie nicht, daß es ihm geraten würde. Und so hinkte er davon.

Es dauerte nicht lange, so kam der alte Klemens unter die Heiden, und er grüßte jeden, dem er begegnete, treuherzig bei dem Gotte Mahomets. Klemens verstand nämlich die heidnische Sprache ganz gut; weil er lang



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über Meer gewesen war; und die Heiden dankten ihm wieder bei Mahomets Gott; denn sie dachten, er sei ein heidnischer Pilgersmann.

So kam er ungefährdet bis Dampmartin, wo der Sultan sein Lager hatte. Er aber hatte zuvor wohl bedacht, was er mit dem Sultan reden wollte. Wie er nun in das königliche Zelt trat, zog er seinen Hut demütiglich ab, grüßte ihn und sprach: "Der Gott Mahomets, welcher Tag und Nacht geschaffen hat und den Bäumen und allen Kräutern Blüten gibt, wolle den großmütigen Sultan von Babylonien segnen! Großmütiger König , um Euer Majestät willen bin ich diesen weiten Weg gereist und mit großer Mühe in Euer Lager aus der fernen Heimat gekommen, etwas zu schaffen, das meinem Herrn angenehm wäre." Der Sultan dankte dem alten Klemens und sprach: "Sag an, mein Pilger, wie lebt man in unserm Lande? Sagt man davon, welch großen Schaden ich erlitten habe? Ich habe manchen Heiden verloren, vor allen den Riesenkönig; darüber werde ich noch zornig! Aber es soll gerächt werden, bei Mahomet! Nun sprich, Pilger, was bringst du Neues?" —"Allergnädigster Herr", sagte Klemens, "ich will es Euch nicht vorenthalten: als ich aus unsrem Lande zog, betete jedermann zum Gotte Mahomets, daß er es Euch nicht mißlingen lassen möge, sondern Euch Macht gebe, Frankreich zu verderben, und Euch glücklich wieder heimbringe." Der Sultan sprach: "Wohl, ich will nicht weichen, Frankreich sei denn zuvor verloren. Aber sage mir, Pilger, was ist deine Hantierungen" Klemens antwortete ihm: "Herr, ich bin ein erfahrener Meister über alle Pferde; kein Pferd ist so groß oder wild, von dem ich nicht sagen könnte, wie alt es ist, und wie lang es noch leben wird; es wäre denn, daß ich nicht darauf zu sitzen käme; aber sobald ich darauf sitze, so kann ich es Euch sagen." — "Du hifi wahrlich ein geschickter Meister", sagte der Sultan darauf, "und ich freue mich deiner Ankunft; denn ich habe ein Roß, das mir sehr lieb ist; das sollst du mir besehen; denn es gibt seinesgleichen nicht auf Erden." —"Großmächtiger König", sagte Klemens, "so gewiß ich Euch täglich gehorsam bin, so gewiß will ich Euch die Wahrheit über des Rosses Leben sagen, sobald ich auf seinem Rücken sitze."

Jetzt gebot der Sultan, daß man eilig sein Pferd vor ihn bringen sollte; dieses war mit zwei silbernen Ketten angelegt und mit einem Zaum von schönem roten Samt aufgezäumt, darin lag ein Gebiß von reinem Silber, und silberne Spangen daran. Auf der Seite war das Gebiß köstlich mit Gold eingelegt und mit manchem edlen Stein besetzt. So wurde das Roß Pontifex vor den Sultan geführt und von ihm und allem Volke



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mit Lust betrachtet. Als Klemens das Roß ansah, ward er im Herzen betrübt ; besonders das spitzige Horn an der Stirne wollte ihm gar nicht gefallen , und überhaupt war das Pferd übermächtig und furchtbar anzusehen . Da kehrte sich Klemens um, neigte sein Haupt und den Pilgerstab und rief den wahren Gott ernstlich an, daß er ihm sein Vorhaben gelingen lassen möge. "Nun, alter Vater", sprach der Sultan vergnügt; "wie gefällt dir das Pferd? Sage mir etwas von seiner Art und Tugend t" — "Ja, Herr Sultan", sagte Klemens, "sobald ich daraufsitze; eher kann ich es nicht anzeigen!" — Der Sultan sprach: "Nun, so lege Sporen an, und man sattle dir das Roß!" So wurde das Pferd Pontifex gesattelt, die Steigbügel sorgfältig umgehängt und das Tier in seiner köstlichen Ausrüstung vor den Sultan geführt. Je länger dieser das Pferd ansah , desto größere Freude hatte er daran und sagte zu seinen Fürsten: "Habt ihr auch euer Lebtage so ein schönes und starkes Tier gesehen? Es ist wohl wert, daß es der Alte beschauen" Und nun befahl er dem Klemens aufzusitzen. Dieser warf Pilgermantel und Hut vor dem Sultan auf die Erde, legte sich die Sporen an und wollte, seinen Pilgerstab in Hand, das Roß besteigen; dieses aber stellte sich sehr ungebärdig, als es einen fremden Reiter auf den Rücken nehmen sollte; es schlug ihn mit den Hinterfüßen so hart, daß er zwei Ellen weit rückwärts gestreckt ward. Da hätte einer den Sultan und sein Volk sollen lachen sehen! Man mußte dem Alten wiederaufhelfen; als er nun wieder auf seinen Füßen stand, lachte auch er unter Weinen, gab dem Roß ein paar Streiche mit seinem Stab, nahm es am Zaum und führte es so lang im Kreise um, bis es ihm gelang, sich hinaufzuschwingen. Sowie er die Füße im Bügel, den Zaum fest in den Händen hielt; sprach er vom Pferde herab zum Sultan: "Fürsichtiger Sultan von Babylon, Euch sei mein Pilgermantel und Hut um das Roß Pontifex geschenkt, und damit Gott befohlen; denn ich will den nächsten Weg nach Paris reiten!"

Mit diesen Worten gab Klemens dem Roß beide Sporen; da hub es an zu laufen, nicht anders, als wie ein Vogel durch die Lüfte zieht. Jetzt erst merkte der Sultan, daß er schmählich um sein Pferd betrogen sei, und fiel vor Zorn und Schrecken wie tot zu Boden. Als er wieder zur Besinnung kam, versprach er dem, der es ereilen würde, hundert Mark Silbers. Da tagten ihm viele nach, aber es war vergebens: ehe sie auf die Pferde kamen, war Klemens weit davon und pries seinen Gott, daß er ihm so glücklich davongeholfen. Zuletzt kamen sie ihm aber näher, und er sah von weitem den Staub in den Lüften. Da eilte er nur um so mehr und wäre noch



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zu rechter Zeit in die Stadt gekommen, wenn das Tor nicht verschlossen gewesen wäre. Nun waren die Heiden so nahe, daß er schon ihre Flüche vernehmen konnte. Klemens schrie kläglich nach dem Torwärter: "Ach, tut mir doch das Tor auf, ich habe des Sultans gutes Roß. Wenn Ihr mich nicht gleich einlasset, muß ich sterben!" Zum Glück hörte Florens, der eben auf der Mauer war, seines Vaters Stimme und ließ ihm das Tor öffnen. Nun schlüpfte er hinein, aber die Türken waren so nahe, daß sie ihn um ein kleines noch erwischt hätten. Das Tor aber ward hinter ihm zugeschlossen; Klemens ritt vor seinen Sohn, stieg ab und sprach: "Hier ist das köstliche Roß, das meine Kunst dem Sultan abgewonnen; dir sei es geschenkt, mein Sohn Florens!" Darüber verwunderte sich Florens und dankte seinem Vater von Herzen. Er schwang sich auf das herrliche Roß und tummelte es auf einem offenen Platze der Stadt vor vielen Zuschauern, darunter mancher Herr und Edler war. König Dagobert und Kaiser Oktavianus kamen auch herbei und hatten ihre Lust an dem Rosse Pontifex. Als Florens sah, daß dem Könige das Pferd besonders in die Augen leuchtete, stieg er ab, faßte es beim Zaum und führte es dem König als ein Geschenk zu. Dafür schenkte der König Dagobert dem Ritter Florens zwei Herrschaften mit schönen Schlössern in seinem Lande, und Klemens ging auch nicht leer aus für seine Arbeit. In Paris wurde ein herrliches Fest gehalten; aber der Sultan zerschlug seine Götzen im Grimm und beschloß, Paris zum drittenmal zu belagern.



***
Bald lagen die Heiden Zelt an Zelt vor der Stadt. Auf des Sultans hohem Gezelte stand ein Adler vom feinsten Gold, seinen Schnabel der Stadt Paris zugekehrt, als wollte der Sultan damit ihre Zerstörung andeuten. Auch diesmal rüsteten sich die Feinde zum Sturm, und mehr denn zwölftausend Heiden zogen mit Äxten, Hellebarden und langen Spießen heran. Aber auch Ritterschaft und Volk in Paris waren wohl gerüstet; und das Tor tat sich auf, das Christenheer hinauszulassen. Das erste, was der Sultan erblickte, war sein gutes Roß Pontifex, auf dem der König Dagobert vor allem Volke ritt. Darüber kam er vor Wut fast von Sinnen und rannte mit solchem Grimm auf den König ein, daß er ihn fast durchbohrte. Doch führte Gott den guten König; denn das Speereisen haftete nicht auf seinem Harnisch, so daß der Sultan voll Zornes wurde. Nun legte auch Dagobert seinen Speer ein und rannte gegen den Sultan mit solcher Stärke, daß dieser wohl empfand, mit wem er es zu tun hatte. Ehe es aber zum vollen Zweikampfe kam, verwundete des Sul



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taus eigenes Roß diesen mit seinem scharfen Horne so schwer, daß er von seinem Pferde herab und zu Boden sank. Dagobert zog sein Schwert und wollte dem Gefallenen das Haupt abschlagen, aber fünfhundert Heiden kamen ihrem Sultan zu Hilfe, wehrten die Streiche von ihm ab und halfen ihm wieder auf das Pferd. Nun wurde das Schlachtgetümmel erst recht allgemein.

Da gedachte Florens an Marcebyllas Rat, schlich sich, nachdem er aufs tapferste gestritten, heimlich aus der Schlachtordnung und begab sich in den Rücken der Stadt Paris, wo ein trefflich bestelltes Schiff seiner wartete, so daß er bald zu der Geliebten kam, welche sein sehnlich harrte. Sie fielen sich um den Hals und küßten sich mehr denn hundertmal. Derweil wurde alles Gut und Kleinod der Fürstin auf das Schiff gebracht, und Florens und Marcebylla samt allen ihren Jungfrauen säumten nicht lange, sondern traten auf das Schiff und fuhren auf Paris zu. Gar froh und kurzweilig saßen die zwei beieinander, und eins erzählte dem andern



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die Schmerzen, die sie erduldet hatten, bis sie zusammengekommen. Auch unterrichtete Florens die Jungfrau im christlichen Glauben. Die Zeit verflog ihnen, und es fuhren die Schiffsleute eilig, so daß sie bald in der Stadt ankamen. Dort führte Florens seine Geliebte mit ihren Jungfrauen in das Haus seines Vaters Klemens und bestellte zwanzig Edelknaben, die ihrer warten sollten; dann führte er sie in ihre Kammer und nahm Urlaub von ihr, um die Schlacht zu vollbringen. Marcebylla aber befahl ihn mit großem Seufzen dem wahren allmächtigen Gott; denn von Mahomets Gott wollte sie nichts mehr hören.

Florens ritt indessen mit großen Freuden wieder in die Schlacht und war leichten Sinnes als einer, der seine Beute schon empfangen und in der Kammer geborgen hatte. Im Treffen begegnete er bald einem Könige, der auch damals bei dem Sultan gesessen, als Florens die Botschaft ausrichtete; den rannte er mitsamt seinem Pferde zu Boden, daß er das Genick brach. Dann stürzte er sich immer tiefer in die Haufen und brachte viele Heiden um, bis er zu tief unter sie kam und zuletzt umringt wurde. Da vergalt ihm König Dagobert und kam ihm zu Hilfe. Auf einer andern Seite des Schlachtfeldes rannten der Kaiser Oktavianus und der Sultan gegeneinander; der Speer des Kaisers prallte an dem Harnisch des Sultans ab, und dieser schrie seinem Heidenvolk zu: "Wird der schändliche Verräter nicht von Euch gefangen, so bin ich Euch nimmermehr günstig!" Nun schlugen alle Heiden auf den Kaiser zu, und sein Pferd wurde ihm unter dem Leibe erstochen; da wurde er erst traurig; dennoch wollte er sich nicht gefangengeben, sondern brachte noch manchen Heiden um. Aber jetzt konnte er sich nicht länger mehr wehren; sein Helm war zerschlagen, sein Leib verwundet, uno all sein Volk war ferne von ihm. Nur Florens ersah des Kaisers Not im wüsten Getümmel, eilte zu ihm und verließ ihn nicht, auch fehlte keiner seiner Streiche. Als die Heiden den Schaden empfanden, da wollte jeder den Todesstreich auf Florens führen; sein Roß ward unter ihm erstochen, so daß er auf die Erde fiel. Doch erhob er sich bald wieder und focht wie ein grimmiger Löwe.

Zuletzt aber wurden sie doch müde und mußten sich beide, der Kaiser und Florens, den Heiden gefangengeben, und so wurden die zwei vor den Sultan geführt und seiner Gewalt überantwortet. Der grimmige Heide gebot, sie hart zu binden und abzuführen in sein Gezelt. Florens war sehr betrübt; er dachte nur an die schöne Marcebylla, und wiewohl er sich des Lebens ganz verzieh, so betete er doch heimlich zu Gott um Errettung. Ebenso tat auch der Kaiser Oktavianus. Die Heiden aber schnürten sie so



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fest, daß die Stricke hart in das Fleisch gingen. So kamen sie in Banden zu des Sultans Zelt.

Vergebens suchte der König Dagobert in der Schlacht nach seinen beiden Freunden; niemand wußte von ihnen zu sagen. Da ward er traurig und ergrimmt und schwur, die Heiden zu verderben. Aber ihrer waren zehn gegen einen Christen, so daß die Franzosen immer härter ins Gedränge kamen und es nahe an der Flucht war. Dagobert stellte sich an die Spitze der Seinigen; die Krone Frankreichs funkelte auf seinem Haupt, und er betete und schrie gen Himmel: "Heiliger Dionys! Schirme die Krone Frankreichs, daß sie nicht vertilget werde!" In dieser Not sandte Gott den Christen eine wunderbare Hilfe; denn er stellte den Heiden ein Blendwerk vor die Augen, als wenn bei Montmartre in das Lager der Christen ein fremdes Volk den Franzosen zu Hilfe gekommen wäre, alle mit weißen Kleidern angetan, ihrer mehr denn zwanzigtausend. Der König Dagobert aber hörte eine Stimme vom Himmel: "König von Frankreich , sei unverzagt, die weißen Ritter werden dir zu Hilfe kommen."Jetzt faßte sich Dagobert wieder ein Herz und rief den Seinen zu, sie sollten tapfer auf die Heiden schlagen, damit sie des Streites müde würden. Zugleich rückten die weißen Ritter, die Gott gesandt hatte, von hinten gegen die Schlachtordnung der Feinde an, und der Anblick dieser neuen Heerscharen verwirrte deren Reihen, daß sie sich in Unordnung zusammendrängten und an zweitausend von den Heiden erschlagen wurden. Dieser Streit gefiel dem Sultan nicht wohl: "Verwünscht sei die Stunde", sagte er zu seinem Volke, "wo ich nach Frankreich gekommen bin! Laßt uns fliehen, die weißen Ritter werden uns alle umbringen!" So kehrten die Türken um und ergriffen die Flucht. Da schlugen die Franzosen unter sie, daß Acker und Matten mit Leichnamen bedeckt wurden und ein gleiches Gemetzel in Frankreich noch nicht gesehen worden war. Noch auf der Flucht erhielt der Sultan die Nachricht, daß seine Tochter Marcebylla gen Paris geführt worden sei. Da brach er in ein lautes Jammergeschrei aus. Und als er in sein Zelt gekommen war, trat er mit dem Schwert vor seinen Götzen, der dastand, herrlich mit Gold und Silber geschmückt, hieb ihm alsogleich das Haupt ab und steckte es in einen Sack. Man wußte nicht, ob es aus Zorn geschah, oder um es vor den verfolgenden Christen zu retten. Zugleich sprach er: "Liebe Herren und gute Freunde, es wird wahrlich not tun, daß wir uns bald von hinnen machen; sehet zu, daß die zwei gefangenen Bösewichter wohl verwahrt seien, führet sie über das Meer mit in unser Land. Kein Silber und kein Gold, ja, nicht das Gut



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aller Welt nähme ich für sie. Vier Pferde sollen sie unter den Galgen schleifen, dort will ich sie selbst in Stücke hauen." Oktavianus und Florens wurden bald inne, was man mit ihnen vorhabe. Schimpflich mit Seilen und Stricken gebunden, wurden sie von dem fliehenden Heere der Heiden hinweggeführt. Bei Dagobert und seinen Scharen war laute Klage um sie; denn niemand wußte, wo sie hingekommen waren.



***
Nun lassen wir Florens, seine wunderbaren Taten und mannigfaltigen Geschicke ruhen und kehren uns zu seinem Bruder Lion und der Kaiserin, seiner Mutter. Als diese zu Jerusalem bei dem redlichen Edelmann Herberge machte, nahm derselbe sich des kleinen Kindes an und erzog es ritterlich. Alle Welt hatte den Knaben lieb, er wurde mannlich und stark und war schön und wohlgezogen. Seiner Mutter erwies er große Ehre und treuen Gehorsam; darum ward er von jedermann gepriesen.

Es geschah aber um diese Zeit, daß der türkische Kaiser wider den König von Akron Krieg führte und mächtig zu Felde lag. Von ungefähr kam der junge Fürst Lion an den Hof dieses Königes und begehrte, in seine Dienste zu treten. Der schöne und starke Jüngling gefiel dem Könige, ward willig angenommen und erhielt einen guten Hamisch samt voller Rüstung zum Geschenke. Lion war ein Christ; denn die Kaiserin hatte ihn zu Jerusalem taufen und seinen Namen nach der treuen Löwin, die immer ihre Hausgenossin war, nennen lassen. Auch wich die Löwin von dem Knaben nimmer, und so zog sie auch mit ihm in diesen Krieg. Als die beiden Heerhaufen zusammenkamen, schlugen sie sich ritterlich. Lion focht mitten unter den Heiden, und seine Löwin half ihm streiten; er erschlug, sie erwürgte viele Feinde. Zuletzt, es kurz zu sagen, flohen die Feinde. Der türkische Kaiser wurde gefangen und ihm das Haupt abgeschlagen. Der König von Akron, der die Heldentaten des jungen Lion mit angesehen hatte, ließ ihn rufen und fragte nach seiner Geburt. Der Jüngling erzählte dem Könige, was er von seiner Mutter gehört hatte. Sogleich wurde nach der Mutter gesandt, welche bald vor des Königes Angesicht erschien. Da sprach der König zu ihr: "Würdige Frau, ist's Euch nicht zuwider, so sagt mir, von welchem Geschlecht Ihr seid." Da sprach die Kaiserin: "Herr König, mein Gemahl ist Oktavianus, der Kaiser zu Rom." Und damit erzählte sie ihre Verfolgung und ihr ganzes Geschick. Als der König dieses vernahm, ward er erstaunt und betrübt und sprach: "Wahrlich, erlauchte Frau, Ihr habt unrecht getan, daß Ihr so manches Jahr in meinem Lande gewohnt habt; ohne es mir zu wissen zu tun. Gewiß, ich hätte



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Euch nicht so lang im Elende gelassen. Nun aber seid fröhlich; was ich habe und vermag, das will ich mit Euch teilen!" Die Kaiserin dankte dem Könige von Herzen, und während sie miteinander redeten, kam Lion zu dem Könige und sprach zu ihm: "Unüberwindlicher Herrscher, meine Bitte an Euch lautet, daß Ihr Euch meiner erbarmen und mich aus Euren Diensten entlassen wollet. Ihr wisset durch mich und meine Mutter, wie unschuldig ich enterbt worden bin. Darum ist mein Vorhaben, zu dem Könige von Frankreich über Meer zu fahren. Er ist ein Freund des Kaisers, und ich habe das Zutrauen zu ihm, daß er seinen Einfluß darauf verwenden wird, meine Mutter in ihre Würde und Ehre wiedereinzusetzen ." Der König antwortete dem Jünglinge Lion: "Eure Bitte ist ganz billig und soll Euch gewährt werden, schon um der großen Hilfe willen, die Ihr mir gegen die Türken geleistet habt. Deswegen sollt Ihr auch von mir eine ehrliche Summe Goldes zum Geschenk erhalten und tausend gewappnete und wohlgerüstete Ritter, die Ihr von dem Gelde ernähren möget."

Die Kaiserin und ihr Sohn dankten dem Könige von Akron aus gerührtem Herzen, machten sich mit ihren Rittern auf, zogen durch das Land und fuhren über das Meer. Sie langten in kurzer Zeit in der Lombardei an. Dort begegnete ihnen ein junger Ritter, der aus Frankreich gebürtig war. Diesen grüßte der Jüngling Lion und sprach: "Lieber Freund, zürnet nicht; ich muß Euch eins fragen. Aus Eurer Kleidung ersehe ich, daß Ihr aus Frankreich gebürtig seid." Der Ritter antwortete: "Wahrlich, Ihr habt recht gesehen. Es sind noch nicht vier Tage vergangen, daß ich in der Stadt Paris bei dem Könige war." Als Lion dies hörte, fragte er ihn, ob der König Dagobert zu Paris hofhalte, wie es ihm gehe, ob er frisch und gesund sei. Der Ritter sah den Lion an und sprach: "Fürwahr, Herr, ich glaube, Ihr spottet mein mit Eurer Frage! Wißt Ihr denn nicht, daß die Heiden in Frankreich eingefallen sind und fast das ganze Land verwüstet haben? Obgleich große Fürsten und Herren dem Könige zu Hilfe kamen, so konnten sie den Heiden doch nicht genug widerstehen; denn die waren mehr als zweimalhunderttausend Mann stark. Ich glaube deswegen, eine gute Belohnung könnte Euch nicht fehlen, wenn Ihr dem bedrängten Könige mit Euren Reisigen zu Hilfe ziehen wolltet; denn alle seine Bundesgenossen müssen vor den Heiden weichen." Die Kaiserin und ihr Sohn dankten dem Ritter für seine Nachricht, und Lion sprach zu seinen Rittern: "Seid wohlgemut, liebe Freunde! das Glück trifft uns, daß wir in den Sold des Königes von Frankreich kommen!" Und zu seiner



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Mutter: "Seid fröhlich, liebe Frau Mutter, in kurzer Zeit sollt Ihr zu Rom als gewaltige Kaiserin gekrönt werden."

Sie waren noch nicht lange unterwegs, als die Kaiserin von ferne eine große Staubwolke sich erheben sah, wie sie von Kriegsleuten und Rossen kommt. "Lieben Freunde", sprach sie zu ihrem Sohn und seinen Rittern, "das dürften wohl die Heiden sein, von denen uns gesagt ist, daß sie das ganze Frankreich verderbt haben. Laßt uns schnell eine Schlachtordnung bilden, damit ihr, wenn es vonnöten ist, ritterlich wider sie streiten möget ." Dies taten die Ritter, und noch waren sie nicht weit geritten, als sie auf viele tausend Türken und Heiden zu Roß und zu Fuße stießen Unter ihnen befand sich auch der Sultan; er war mit seinem gang Volke nach jener dritten Schlacht vor Paris auf der Flucht und im Begriffe; nach Babylon zurückzukehren. Auch führten sie zwei Gefangene harb gebunden mit sich, der eine war der Kaiser Oktavianus, der andere der Ritter Florens; sie waren wie Jagdhunde mit Stricken zusammengeknebelt und wurden schimpflich mit Prügeln getrieben. Beide sprachen klagend einer zu dem andern: "O frommer König Dagobert, Gott wolle deiner pflegen; denn du und wir werden einander nimmer sehen; aber doch sei Gott gelobt, daß die Heiden von uns Christen überwunden sind!"Auf der andern Seite führte der Sultan große Klage wegen seiner Tochter Marcebylla, die von den Franzosen nach Paris entführt worden war.

Inzwischen rückte Lion mit seinen Rittern so nahe auf die Heiden, daß er erkannte, welch ein Volk es wäre, und sah, daß sie auf der Flucht und noch ganz müde und atemlos waren. Auch gewahrte er den Sultan, der zwar das königliche Diadem auf dem Haupte trug, aber so traurig aussah, nicht als ob er von einem Schmause aus Frankreich käme. Darum sprach Lion zu den Seinigen: "Seid unerschrocken! Es sind die Heiden, die gegen das Christenblut toben! Seht, dort führen sie zwei vornehme Gefangene: die werden hart von ihnen geschlagene Es sind Fürsten. Laßt sehen, was das alles ist!" Seine Genossen erklärten sich bereit, in allem seinem Willen zu folgen. Die Löwin aber, die immer bei dem edlen Jüngling Lion war, begann, mit ihren Klauen in der Erde zu scharren, als wollte sie andeuten, daß sie bereit sei, zu kämpfen und unter den Heiden zu wüten. Davon gewann die ganze Ritterschaft ein fröhliches Herz. "Seid getrost", rief der Jüngling seiner Mutter zu, "wir wollen sie so empfangen, daß ihrer keiner am Leben bleibe außer ihren zwei Gefangenen !" Mit diesen Worten führte er sie an einen sichern Platz, bis Treffen vorüber wäre. Dann fiel er mit seinen Rittern unter die Heiden,



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die nichts dergleichen erwarteten, und erwürgte ihrer in kurzer Zeit die Hälfte. Auch die ungeheure Löwin machte eine weite Gasse um sich und zerriß manchen Türken und Heiden. Und als sie gar von einem Feinde wundgeschlagen worden war, wurde sie noch viel grimmiger und stürzte so tief unter sie, daß sie endlich den Sultan erreichte, ihn mit grostem Ungestüm anfiel und zu Boden warf. Ja, sie hätte ihn in Stücke gerissen, wenn nicht Lion dazugekommen wäre. Dieser merkte bald an seiner Tracht und Haltung, daß der Sultan ein Oberster der Heiden sei, und wehrte der Wut des Tieres. Doch stellte er sich, als wollte er dem zu Boden Liegenden das Haupt abschlagen, bis der Sultan um Gnade flehte, sein Schwert als Gefangener darreichte, großen Tribut zu bezahlen versprach und am Ende gar seinen heidnischen Glauben abschwur. Darüber war Lion sehr erfreut und sagte ihm sein Leben zu. Doch wurde er hartgebunden und so an einem Strick vor die Kaiserin geführt. Inzwischen hatten die edlen Ritter und die Löwin auch die übrigen Heiden vollends erlegt.



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Die Schlacht war vorüber, und alle ruhten vom heißen Kampfe aus. Da trat Lion zu den beiden Gefangenen, dem Kaiser und Florens, und sprach: "Liebe Herren, sagt mir die Wahrheit, von wannen ihr stammt; denn ich bin's, der euch erlösen will." — Der erfreute Oktavianus erwiderte: "Wir wollen Euch die Wahrheit nicht verhehlen, werter Ritter: ich bin der römische Kaiser und werde Oktavianus genannt, und dieser mein Genosse hier heißt Florens und ist wahrlich ein rechter Held. Wir sind von den Heiden während der Schlacht gefangen worden, und jetzt wollen wir gern Eure Gefangenen sein und ganz nach Eurem Willen tun. Aber, wenn es Euch gefällt, so überliefert uns nur dem Könige Dagobert von Frankreich; der wird Euch so begaben, daß Ihr nimmermehr in Armut kommen möget." Als der Jüngling Lion diese Rede hörte, konnte er vor großer Freude nicht mehr reden; denn er erkannte in dem Reden- den seinen leiblichen Vater, obwohl er ihn in seinem Leben noch nicht gesehen hatte. Darum lobte er Gott, daß er ihn auf diese Weise seinen Vater hatte fangen lassen, und fragte den Kaiser: "Mein lieber Herr, saget mir, habt Ihr jemals eine Gemahlin gehabt?" — "Ja, lieber Freund", erwiderte Oktavianus, "von ihretwegen bin ich der allertraurigste Mensch auf Erden. Ich glaube gewiß, daß alles übel und alle Schande, die ich bis auf diesen Tag erlitten habe, meiner Sünden Schuld ist weil ich an meiner unschuldigen Gemahlin so freventlich gehandelt



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habe." —"Was habt Ihr denn Unbilliges an ihr getan?"fragte Lion, als wüßte er von nichts. —"Ach", erwiderte der Kaiser, "die Frau war fromm gegen mich und jedermann, und ich hatte sie auch lieb. Aber durch eine große Verräterei, welche gegen sie erdacht wurde, habe ich sie aus meinem Lande verbannt und ins Elend geschickt. Und die Bosheit kam von meiner Mutter her. Die Kaiserin hatte mir zwei Söhne geboren: da überredete mich meine Mutter, sie wären nicht meine Kinder; darum wollte ich Mutter und Söhne verbrennen lassen, und nur mit Mühe begnadigte ich sie. Aber wahrlich, es hat mich seitdem bitter gereut, und ich habe keine gute Stunde mehr gehabt von jenem Augenblick an." So erzählte der Kaiser dem Jünglinge Lion alles Stück für Stück, was sich mit seiner Gemahlin begeben; da fragte dieser noch weiter: "Lieber Herr und Kaiser, wie heißt denn Euer Genosse ?" — "Dieser", sprach Oktavianus , "wird Florens genannt, wie ich Euch schon gesagt habe; aber es ist wunderbar, meiner Lebtage habe ich keine zwei Männer getroffen, die einander von Antlitz und Gebärde so ähnlich sehen wie Ihr. Man sollte meinen, daß Ihr leibliche Brüder wäret!"

Kaum konnte sich Lion länger halten. "Herr Kaiser", sprach er, "wenn Eurer Majestät Gemahlin Euch vor die Augen gestellt würde, vermeintet Ihr, sie zu erkennen?" — "Fürwahr, sehr wohl", erwiderte der Kaiser, "aber, Gott erbarm's, ich bin wohl sicher, daß ich sie nie mehr sehen werde." Da nahm Lion den Kaiser bei der Hand und sprach zu ihm: "Folget mir nach, beide Herren!" Und nun führte er sie dem Orte zu, wo er seine Mutter vor der Schlacht geborgen hatte. Sobald die Kaiserin von ferne ihren Gemahl sah, erkannte sie ihn, und als sie ihn ansah, mußte sie vor Freuden weinen. Wie nun alle drei vor sie gekommen waren , sprach Lion zu dem Kaiser: "Lieber Herr, sehet diese Frau an, ob es nicht die sei, die Ihr, wie Ihr mir gesagt habt, aus Eurem Lande verbannt und verstoßen habet."

Oktavianus durfte die edle Frau nicht lange ansehen; er erkannte sie alsbald, empfing sie mit weinenden Augen und nahm sie in seinen Arm. Sie selbst fiel dem Kaiser, ihrem Herrn und lieben Gemahl, dessen sie so lange beraubt gewesen war, unter lautem Schluchzen um den Hals und küßte ihn mit liebevollem Seufzen mehr denn hundertmal. Da mochte man große Freude sehen. Der Kaiser bat sie voll Scham um Verzeihung; er erzählte ihr alles, was sich mit seiner Mutter begeben, und sagte ihr feierlich zu, daß er in kurzem zu Rom ihr die Kaiserkrone auf das Haupt setzen wolle. Dann fragte der Kaiser die fromme Frau weiter, ob der



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Jüngling Lion, der ihn gefangen und erlöst habe, ihr Sohn sei. "So wahr wir hier beisammenstehen, ist er Euer und mein Sohn", sagte sie, "Gott hat es gefügt, daß er ein so beherzter Mann geworden ist. Aber wegen meines andern Sohnes hin ich sehr bekümmert; denn ihn habe ich elendiglich verloren!" Der Kaiser fiel seinem Sohne Lion um den Hals und gab ihm vor großer Liebe einen Kuß um den andern. Die Kaiserin aber sah nur immer den Ritter Florens an und fragte ihn: "Lieber, junger Ritter, sagt mir, von wannen seid Ihr? Denn wahrlich, Ihr und mein lieber Sohn Lion seid einander gang ähnlich von Angesicht und Gebärden!" Florens sprach: "Gnädige Frau, wo ich geboren bin, weiß ich nicht; das aber weiß ich wohl, daß mich ein Bürger von Paris gütig erzogen hat. Dieser sprach bald zu mir, er habe mich gezeugt, bald, er habe mich am Meeresgestade gekauft." Die Kaiserin fing an zu erkennen, daß Florens ihr anderer Sohn sein müsse; ihr Blut kam in heiße Regung, und sie sprach schnell: "Junger Ritter, ich glaube, daß ich Euch unter dem Herzen



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getragen habe, daß ich Eure Mutter und der Kaiser Euer Vater sei. Gott gebe, daß der Bürger von Paris Euch gekauft oder gefunden habe. Doch, um die Wahrheit zu erfahren, laßt uns miteinander zu König Dagobert nach Paris ziehen!"

Alle waren in großer Freude und Erwartung, und so rückte der ganze Heerhaufe, Kaiser Oktavianus und die Kaiserin, Florens und Lion, samt allen Rittern nach Paris. Doch war die glückliche Botschaft von der Erlösung des Kaisers und des Ritters noch vorher bei König Dagobert angelangt . Der dankte Gott mit heller Stimme; denn er hatte sie für tot verlorengegeben. Auch Marcebylla erhielt einen Brief von ihrem Geliebten und wußte nicht, wie sie vor Freuden sich gebärden sollte. Und bald darauf kamen alle miteinander an, und der König mit allen Rittern und Edeln war ihnen vor das Tor entgegengezogen. Da mußte vor allen Dingen Marcebylla ihren Florens umhalsen und küssen, aber reden konnte sie nicht zu ihm. Alles Blut war ihr vor großer Freude zu dem Herzen gelaufen. Als sie wieder zu sich kam, sprach sie: "Ach, du Trost meines Lebens, sei willkommen; warum hast du mich so lange verlassen?" Florens aber sprach nichts, sondern küßte sie nur. Und nun ritten sie alle, Kaiser Oktavianus und seine Söhne Florens und Lion und die fromme Kaiserin mit dem ganzen Gefolge, ein in Paris.

Hier wurde der Sultan von dem jungen Fürsten Lion sogleich dem König Dagobert ausgeliefert. Aber ihm geschah kein Leid. An einem und demselben Tage wurde er und seine Tochter Marcebylla durch den Bischof von Paris getauft und der edle Florens mit seiner Geliebten zur Kirche geführt und vermählt. Es war eine gute Ehe; denn die Geschichte meldet, daß sie mit keinem Worte je gegeneinander gezürnt haben. Dem Sultan wies der König von Frankreich eine eigene Landschaft an, doch mußte er seine Wohnung an dem Hofe des Königs haben. Der Christenglaube machte ihn fromm und sanft, und durch seinen hohen Geist wurde er des Königs oberster Rat in allen wichtigen Dingen.

Jetzt schickte König Dagobert auch zu dem Bürger Klemens, welcher den Florens so lange erzogen hatte. Dieser war gar wohlgemut, daß sein Pflegesohn wieder erlöst worden war. Und als König Dagobert die drei, den Kaiser Oktavianus, den Ritter Florens und den jungen Lion ernstlich ins Auge faßte, da konnte er nach langem Anschauen nicht mehr zweifeln, daß beide Jünglinge Brüder seien und Oktavianus beider Brüder Vater. Daher rief er den guten Klemens nahe zu sich und sprach: "Klemens,. höret mir zu, ich habe etwas mit Euch zu reden. Bei dem Eide, den Ihr



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mir als guter Untertan zugeschworen habt; sagt mir, ist der Jüngling Eures Geschlechtes?" Klemens erschrak vor dem Ernste des Königs und erzählte, wie er den Knaben erkauft habe, ohne einen einzigen Umstand zu verschweigen. Sobald die Kaiserin die Rede vernahm, rief sie: "Ja, es ist wahrlich mein Sohn; er ist mir in dem wilden Walde gestohlen worden!" —lief auf Florens zu und küßte ihn mit klopfendem Herzen. Dem Kaiser, als er seine liebe Gemahlin und die Kinder wiedergefunden hatte, gingen die Augen über. Der König von Frankreich nahte sich ihm und bezeigte ihm seine große Freude. Da sprach Kaiser Oktavianus: "Ja, es ist eine große Gottesgabe, die mir armen Sünder zuteil geworden ist. Darum nehmet es nicht übel auf, lieber König und Bruder, wenn ich mit meinem Weib und meinen Söhnen wieder nach Rom ziehe." Aber Dagobert bat ernstlich, ihm doch seinen lieben Sohn Florens zu lassen, damit er ihn mit einer Landschaft in Frankreich begaben möge, so daß der Kaiser es nicht abschlagen konnte. Doch blieb die Reise wohl noch zehn Tage anstehen , während welcher der König mit seinen Großen allerlei Festbarkeiten anstellte. Am eilften Tage verließ der Kaiser die Stadt Paris, und der König, Florens und sämtliche Ritter gaben ihm das Geleite. Die Römer empfingen ihren Kaiser köstlich, und als Oktavianus in seiner Stadt angekommen war, setzte er der Kaiserin eine köstliche Krone auf das Haupt, und die fromme Frau vergaß ihres vorigen Leides und wurde hoch erfreut.

Darnach fragte der Kaiser, wo seine Mutter sei. Das Hofgesinde sprach: "Eure Mutter ist vor langer Zeit gestorben, aber fast unchristlich. Vor ihrem Ende ist sie taub und wahnsinnig geworden und wollte alle Leute lebendig auffressen. Zuletzt mußte man sie an eine starke Kette legen; so trug sie die Schuld ihrer Sünden, bis sie ihren Geist aufgab." Der Kaiser war froh, daß er seine Mutter nicht bestrafen durfte. Er wandte sich nun zu fröhlicherem Dinge, schlug seinen lieben Sohn Lion zum Ritter, und alles Volk hatte große Freude.



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Da begab es sich, daß der König von Spanien ein Turnier ausschrieb an alle Könige und Fürstenhöfe, also daß, wo ein tapferer Ritter wäre, der seine Kraft und Mannheit versuchen wollte, derselbe sich in der spanischen Stadt Valencia einfinden sollte: da würde ein jeder seinesgleichen finden. Als dies vor die Ohren des edlen Ritters Lion kam, säumte er nicht lange. Er gebot einigen seiner Ritter, sich auf das Turnier zu rüsten, erbat sich von seinem Vater die Erlaubnis zu reisen und zog mit zweihundert



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wohlgewaffneten Rittern nach Valencia. Hier blieben sie acht Tage stilleliegen und ruhten, bis alle Ritterschaft zusammengekommen. Dann ließ der König von Spanien einen schönen Turnierplatz zurichten und öffentlich ausrufen, wo ein Ritter wäre, der turnieren möchte um einen Kranz, den des Königs Tochter Rosamunde selbst gewunden, der solle sich des andern Tags zu guter Zeit auf den Platz verfügen.

Als der Ritter Lion dieses hörte, konnte er kaum erwarten, bis die Sonne aufging, und ließ sich schon vor Tag seine Rüstung bringen. Diese war gut und schön gefertigt: vorn auf der Brust war sie mit feinem arabischen Golde zusammengeschmelzt und mit viel köstlichen Edelsteinen besetzt . Auf seinem Helm führte er einen Löwen aus klarem Golde, der trug ein Wickelkind im Nachen. Sobald er nebst allen seinen Begleitern fertig war, begab er sich den nächsten Weg auf den Kampfplatz. Hier fand er manchen kühnen Ritter; doch war keiner so wohl gerüstet wie er, daher wurde er auch von allen Anwesenden mit Neugierde betrachtet. Wie nun die Zeit kam, daß man zusammentreffen sollte, teilten sich die Ritter in zwei Haufen; aber Lions Begleiter trennten sich nicht von ihrem Herrn; sie legten ihre Lanzen ein und rannten allweg mit ihm, und das so gewaltig, daß mancher von den Gegnern den Sattel räumen mußte. Auch Lion säumte nicht und warf alle zu Boden, die ihm vorkamen.

Die Königstochter Rosamunde lag auf den Zinnen mit ihren Jungfrauen und schaute dem Kampfe zu. Wie sie nun den Jüngling so ritterlich streiten sah, hätte sie gerne gewußt, wer der Ritter sei, der einen goldenen Löwen auf dem Helm hatte. Als das Turnier vorüber war, das bei fünf Stunden gewährt hatte, und jedermann wieder in seine Herberge gezogen war, auch Lion sich entwaffnet hatte, begab er sich mit seiner Gesellschaft sofort zu dem Könige von Spanien und wurde von diesem gar höflich empfangen. Und als es Zeit war, zu Tische zu sitzen, und alle Ritterschaft zugegen war, siehe, da trat Rosamunde mit ihren Jungfrauen in den Saal, köstlich geziert. Auf dem Haupte trug sie eine goldene Krone und auf der Krone das Kränzlein. Und als sie in dem Königssaale vor ihrem Vater stand, hub dieser an und sprach: "Liebe Herren und Ritter, der Kranz, der dem Tapfersten unter euch gehört, ist hier vor euch. Fragt ihr aber, wer der sei, so ist mein Bedenken, daß der Ritter; der einen goldenen Löwen auf dem Helme führt, der würdigste sei, ihn zu tragen. Welcher nun derselbe ist, der melde sich, daß ihm hie gebührende Ehre geschehe." Lion stand hinten in der Tiefe unter den andern Rittern und. scheute sich, seinen eigenen Namen zu nennen. Als aber der König immer



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ernstlicher nach dem Ritter fragte, trat einer von Lions Genossen hervor; deutete auf den Fürsten und sprach: "Hier stehet der, nach dem Ihr fraget ." So mußte Lion hervortreten und sich dem Könige zeigen. Die schöne Rosamunde nahm den Kranz von ihrem Haupte und setzte ihn dem Jüngling Lion mit den Worten auf: "Edler Ritter, dieses Kränzlein möget Ihr wohl in Ehren tragen; denn Ihr habt wahrlich ritterlich gefochten Lion dankte ihr mit einer tiefen Verbeugung und trat wieder zurück zu seinen Kampfgenossen. Alsdann begann das Mahl, und der Jüngling wurde neben Rosamunde gesetzt. Die beiden vergaßen aber das Essen und vertrieben sich die ganze Zeit mit freundlichem Gespräche. Und unter ihren Worten entzündete sich das unauslöschliche Feuer der Liebe, so daß sie am Ende verstummten und keines mit dem andern mehr reden konnte, sondern daß sie nur Seufzer ausstießen. Der alte König von Spanien merkte dieses ; er fragte deswegen heimlich, wer denn der Ritter Lion wäre. Als ihm darauf die Antwort geworden, daß er des römischen Kaisers Oktavianus Sohn sei, verwunderte sich der König dessen und ward im Herzen sehr darüber erfreut. Sowie man von der Tafel aufgestanden war, führte er seine Tochter Rosamunde und den Ritter Lion in seine Kammer und sprach zu diesem: "Lieber Herr und guter Freund, wir haben wohl vermerkt, daß Ihr und meine Tochter große Liebe zusammen traget. Wenn es Euch nun beliebt, so will ich Euch meine Tochter zum ehelichen Gemahl geben." Jener antwortete: "Gnädigster Herr, ich bin allezeit bereit, Euren königlichen Willen zu tun, bevorab diesmal!" Auf solches zog der König seinen eigenen Ring von der Hand und verlobte Lion mit Rosamunde , und bald darauf wurde eine köstliche Hochzeit gehalten; worauf der Ritter Urlaub nahm und mit seiner jungen Gemahlin und den zweihundert Rittern wieder nach Rom fuhr, wo er von seinem Vater, dem Kaiser, gar wohl empfangen wurde.

Florens hatte dem Könige von Frankreich drei Jahre lang gedient und war nun schon ein Jahr darüber bei ihm, seitdem sein Vater wieder zu Rom hauste. Da kamen im vierten Jahre die Großen von England zu dem Könige Dagobert und beklagten sich, daß ihr König gestorben sei und keinen Erben hinterlassen hätte, der die Krone antreten könnte. Sie baten ihn mit Ernst, er möchte ihnen einen König wählen, der sie regiere und wider ihre Feinde beschirme. Darauf sprach Dagobert: "Bei der Treue, die ich Gott schuldig bin, ich wüßte keinen auf Erden, der dies füglicher sein könnte als Florens, ein Sohn des römischen Kaisers Oktavianus. Denn wenn nicht erstlich Gott und dann er gewesen wäre, so wäre mein



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Land von den Ungläubigen erobert worden. Darum, einen bessern Rat kann ich Euch nicht geben." Die englischen Fürsten waren dieses Rats sehr zufrieden; denn sie hatten von Florens, seinen Tugenden und männlichen Taten schon vieles reden hören. Dagobert meldete seinem Freunde Florens die Sache, und dieser nahm das Königreich mit gutem Willen an. So ward er im Triumph in das Münster St. Denis geführt und vom Könige Dagobert zu einem König in England gekrönt.

Als er nun nach England zog, wollte er seinen lieben Pflegvater Klemens , dessen Hausfrau und seinen vermeinten Bruder Klaudius nicht hinter sich lassen, sondern sie mußten alle drei mit ihm nach England ziehen. So saßen sie auf, zogen durch Brabant, setzten sich auf das Meer und schifften gen England, und bald waren sie in der Haupstadt London. Hier wurden Florens und Marcebylla samt dem König Dagobert, der sie begleitet hatte, feierlich empfangen. Dem Florens wurde das Gesetz von England vorgelesen, dasselbe zu halten, wie es einem frommen Könige gebührt. Und Florens tat einen willigen Schwur.

Darauf segnete König Dagobert sie alle und schied von dannen. Der König Florens, dem Gott allezeit beistand, regierte sein Volk weislich, und es gehorchte ihm in Ehrfurcht und Liebe. Auch wurde ihm und seiner Gemahlin Marcebylla ein schöner Sohn beschert, welchen sie Wilhelm nannten. Dieser wuchs in allen Tugenden auf und wurde von allen Menschen in Ehren gehalten. Nach langen Jahren starben Florens und seine geliebte Marcebylla kurz nacheinander, und Wilhelm ward zum König in England gekrönt. Auch dieser hielt gut Recht, achtete den Armen wie den Reichen und war seinem Volke sehr lieb.

Dies ist die Geschichte vom Kaiser Oktavianus und seinen zwei Söhnen.


Copyright: arpa, 2015.

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