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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON CHAWÂDSCHA HASAN EL-HABBÄL

O Herr des Wohltuns, gehorsam deinem königlichen Geheiß, will ich jetzt deine Hoheit davon unterrichten, durch welche Mittel und Wege das Schicksal mich mit solchem Reichtum beglückt hat; aber zuvor möchte ich, daß du etwas von zweien meiner Freunde vernimmst, die in Baghdad, der Stätte des Friedens, wohnen. Die beiden leben noch, und beide kennen die Geschichte, die dein Sklave dir jetzt erzählen will. Den einen nennen die Leute Sa'd, den anderen Sa'di. Sa'di war der Ansicht, daß ohne Reichtum niemand in dieser Welt glücklich und unabhängig sein könne; und ferner, daß ohne schwere Mühe und Arbeit und ohne Wachsamkeit und Weisheit es obendrein unmöglich sei, reich zu werden. Sa'd aber war anderer Meinung und behauptete, Wohlstand werde dem Menschen nur zuteil durch den Spruch des Schicksals und das Gebot des Glückes und Geschickes. Sa'd war ein armer Mann, aber Sa'di hatte viel Geld und Gut; doch zwischen ihnen entstand eine feste Freundschaft und eine herzliche Neigung zueinander. Sie pflegten auch nie über irgend etwas zu streiten, außer allein über dies: nämlich darüber, daß Sa'di sich nur auf Überlegung und Vorbedacht verließ, Sa'd aber auf das Verhängnis und des Menschen Los. Eines Tages begab es sich, daß



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Sa'di, als sie beisammen saßen und wieder über die Frage plauderten, behauptete: ,Das ist ein armer Mann, der entweder als Armer geboren ist und alle seine Tage in Bedürftigkeit und Mangel zubringt, oder der in Reichtum und Wohlstand geboren ist, aber alles, was er hat, in seinen Mannesjahren vergeudet und in arge Not gerät und dann nicht mehr die Kraft hat, seine Reichtümer wiederzugewinnen und durch seinen Verstand und Fleiß in Behaglichkeit zu leben.' Sa'd antwortete und sprach: ,Weder Verstand noch Fleiß nützen einem irgend etwas, sondern allein das Schicksal macht es einem möglich, Reichtümer zu erwerben und zu bewahren. Elend und Mangel sind nur Zufälle, Überlegung ist nichts. Gar mancher Arme ist wohlhabend geworden durch die Gunst des Geschicks, und viele Reiche sind trotz ihrem Wissen und Wohlstand in Elend und an den Bettelstab geraten.' Da sagte Sa'di: ,Du redest töricht. Aber wir wollen doch einmal die Sache richtig erproben und uns einen Handwerksmann suchen, der nur spärliche Mittel hat und von seinem täglichen Verdienst leben muß; den wollen wir mit Geld versehen, dann wird er ohne Zweifel sein Vermögen vermehren und in Ruhe und Behaglichkeit leben, und dann wirst du dich überzeugen, daß meine Worte wahr sind.' Als die beiden dann ihres Weges dahingingen, kamen sie durch die Gasse. in der mein Haus stand, und sahen, wie ich Seile drehte, ein Handwerk, das mein Vater und Großvater und viele Geschlechter vor mir ausgeübt hatten. Aus dem Zustande meines Hauses und meiner Kleidung schlossen sie, daß ich ein bedürftiger Mann war; so wies denn Sa'd seinen Gefährten auf mich hin und sprach: ,Wenn du diese unsere Streitfrage durch einen Versuch erproben möchtest, so sieh den Mann dort! Er wohnt hier seit vielen Jahren, und durch sein Seilerhandwerk verdient er einen dürftigen Unterhalt für sich



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und die Seinen. Ich kenne seine Lage sehr genau seit langer Zeit; er ist der rechte Mann für den Versuch; drum gib ihm einige Goldstücke und erprobe die Sache!' ,Recht gern,' erwiderte Sa'di, ,aber laß uns zuerst genauer mit ihm bekannt werden.' So kamen denn die beiden Freunde auf mich zu, und ich verließ meine Arbeit und grüßte sie. Sie erwiderten meinen Gruß, und darauf sagte Sa'di: ,Mit Verlaub, wie ist dein Name?' Ich antwortete: ,Mein Name ist Hasan, aber wegen meines Seilerhandwerks nennen mich alle Leute Hasan el-Habbâl.' Weiter fragte Sa'di mich: ,Wie geht es dir bei diesem Gewerbes Mich deucht, du bist vergnügt und ganz mit ihm zufrieden. Du hast lange und tüchtig gearbeitet, und ohne Zweifel hast du eine große Menge Hanf und andere Vorräte angehäuft. Deine Vorfahren haben dies Handwerk viele Jahre schon betrieben und müssen dir viel Geld und Gut hinterlassen haben, das du gut verwertet hast, und in dieser Weise hast du deinen Besitz gewißlich sehr vermehrt.' Doch ich gab zur Antwort: ,Ach, hoher Herr, ich habe in meinem Beutel kein Geld. von dem ich glücklich leben oder mir auch nur genug zu essen kaufen könnte. Mit mir steht es so, daß ich jeden Tag von früh bis spät damit verbringe, Seile zu machen, und ich habe keinen einzigen Augenblick Zeit, um mich auszuruhen; dennoch fällt es mir sehr schwer, nur das trockene Brot für mich und meine Familie herbeizuschaffen. Ich habe eine Frau und fünf kleine Kinder, die noch zu jung sind, um mir zu helfen, dies Gewerbe zu betreiben; es ist aber keine leichte Sache, für ihre täglichen Bedürfnisse zu sorgen; wie kannst du also glauben, ich wäre imstande, einen großen Vorrat an Hanf und anderen Dingen aufzuspeichern? Die Seile, die ich täglich drehe, verkaufe ich sofort, und von dem Geld, das ich dafür erhalte, gebe ich einen Teil für unsere Bedürfnisse aus, und für das übrige kaufe ich



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Hanf, aus dem ich am nächsten Tage Seile drehe. Doch Allah der Erhabene sei gepriesen, daß Er uns trotz dieser meiner armseligen Lage mit so viel Brot versorgt, wie es für unsere Bedürfnisse genug ist!' Nachdem ich so meine Lage genau geschildert hatte, hub Sa'di wieder an: ,O Hasan, jetzt bin ich über deine Lage unterrichtet; sie ist wirklich anders, als ich gedacht hatte. Wenn ich dir nun einen Beutel mit zweihundert Goldstücken gebe, so wirst du dadurch deinen Verdienst gewißlich sehr vermehren und in Ruhe und Wohlstand leben können; was sagst du dazu?' Ich erwiderte: ,Wenn du mir gütigst so viel Geld geben willst, so könnte ich hoffen, reicher zu werden als alle meine Zunftgenossen insgesamt, obgleich Baghdad so begütert wie bevölkert ist.' Sa'di, der mich für treu und vertrauenswürdig hielt, zog darauf aus seiner Tasche einen Beutel mit zweihundert Goldstücken und reichte ihn mir mit den Worten: ,Nimm dies Geld und treib Handel damit! Möge Allah dich fördern; doch gib acht, daß du dies Geld mit aller Vorsicht verwendest, und vergeude es nicht in Torheit und Gottlosigkeit! Ich und mein Freund Sa'd, wir werden hocherfreut sein, von deinem Wohlergehen zu hören; und wenn wir wiederkommen und dich in Glück und Gedeihen finden, so wird es uns beiden eine große Genugtuung sein.' Daraufhin, o Beherrscher der Gläubigen, nahm ich den Beutel voll Gold mit großer Freude und dankbarem Herzen an, legte ihn in meine Tasche und dankte Sa'd, indem ich den Saum seines Gewandes küßte; dann gingen die beiden Freunde fort. Und als ich, o Beherrscher der Gläubigen, die beiden aufbrechen sah, fuhr ich mit meiner Arbeit fort; doch ich war in großer Verlegenheit und ganz ratlos, wo ich den Beutel unterbringen sollte, da in meinem Hause kein Schrank und keine Truhe war. Ich nahm ihn jedoch mit nach Hause und hielt die



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Sache vor meiner Frau und meinen Kindern geheim. Und als ich allein und unbeobachtet war, nahm ich zehn Goldstücke für meine Ausgaben heraus; dann verschloß ich die Öffnung des Beutels mit einer Schnur, band ihn fest in die Falten meines Turbans und wand mir das Tuch um den Kopf. Darauf ging ich in die Marktstraße und kaufte mir einen Vorrat an Hanf: und auf dem Heimwege erstand ich etwas Fleisch zum Nachtmahl; denn es war lange her, seit wir Fleisch gekostet hatten. Während ich so, das Fleisch in der Hand, den Weg dahinschritt, stieß plötzlich eine Weihe herab', und sie hätte mir das Fleisch aus der Hand gerissen, wenn ich den Vogel nicht mit der anderen Hand fortgescheucht hätte. Dann wollte er das Fleisch von der anderen Seite packen, aber ich trieb ihn wieder weg, und wie ich nun in wilder Verzweiflung mich abmühte, den Vogel fernzuhalten, fiel zum Unglück mein Turban auf den Boden. Sofort stieß jene verruchte Weihe herunter und flog davon, indem sie ilm in den Krallen hielt; ich lief hinterher und schrie laut. Als die Leute im Basar mein Schreien hörten, Männer und Frauen und eine Schar von Kindern, taten sie. was sie nur konnten, um den gräßlichen Vogel zu erschrecken, damit er seine Beute fallen ließe; doch vergebens schrieen sie und warfen mit Steinen. Die Weihe wollte den Turban nicht fallen lassen und flog bald ganz außer Sicht davon. Ich war sehr bekümmert und schweren Herzens, weil ich die Goldstücke verloren hatte, als ich mich nun nach Hause begab mit dem Hanf und der Zehrung, die ich gekauft hatte; besonders aber war ich ärgerlich und betrübt im Geiste und wollte vor



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Scham sterben, wenn ich daran dachte, was Sa'di sagen würde; zumal da ich erwog, wie er an meinen Worten zweifeln und die Geschichte nicht für wahr halten würde, wenn ich ihm erzählte, eine Weihe hätte meinen Turban mit den Goldstücken fortgerafft, und wie er vielmehr glauben müßte, ich hätte irgendeinen Betrug verübt und zur Entschuldigung ein lächerliches Märchen erdacht. Immerhin hatte ich noch große Freude an dem, was mir von den zehn Goldstücken übrig geblieben war, und ich lebte einige Tage herrlich mit meiner Frau und meinen Kindern. Als dann aber alles Gold ausgegeben war und nichts mehr davon übrig blieb, ward ich wieder so arm und bedürftig wie zuvor; doch ich war zufrieden und dankbar gegen Allah den Erhabenen und schalt mein Los nicht. Er hatte mir in Seiner Gnade diesen Beutel mit Gold unversehens gesandt, und nun hatte Er ihn wieder genommen, und so war ich dankbar und zufrieden; denn was Er tut, ist immerdar wohlgetan. Meine Frau, die von der Geschichte mit den Goldstücken nichts wußte, bemerkte bald, daß ich aufgeregt war, und um der Ruhe meines Lebens willen war ich gezwungen, sie in mein Geheimnis einzuweihen. Dazu kamen auch noch die Nachbarn herbei, um mich nach meinem Ergehen zu fragen; allein es widerstrebte mir sehr, ihnen alles zu erzählen, was geschehen war, denn sie konnten das Verlorene doch nicht wiederbringen, und sicherlich hätten sie über mein Unglück Schadenfreude empfunden. Jedoch, als sie sehr in mich drangen, erzählte ich ihnen alles; einige dachten, ich hätte gelogen, und spotteten meiner, andere meinten, ich wäre toll und nicht recht bei Sinnen, und meine Worte wären das wirre Geschwätz eines Irrsinnigen oder das Gefasel von Traumphantasien. Die jungen Leute machten sich unmäßig lustig über mich und lachten über den Gedanken, daß ich, der ich in meinem ganzen



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Leben noch nie eine Goldmünze gesehen hatte, behaupten wollte, ich hätte so viele Goldstücke erhalten, und eine Weihe sei mit ihnen davongeflogen. Nur meine Frau schenkte meiner Erzählung vollen Glauben, und sie weinte und schlug sich die Brust vor Kummer. So gingen sechs Monate über uns dahin; da begab es sich eines Tages, daß die beiden Freunde, Sa'di und Sa'd, in mein Stadtviertel kamen, und dort sagte Sa'd zu Sa'di: ,Schau, da ist die Straße, in der Hasan el-Habbâl wohnt! Wohlan, laß uns hingehen und sehen, wie er sein Vermögen vermehrt hat und wie er zu Wohlstand gekommen ist durch die zweihundert Goldstücke, die du ihm gegeben hast!' ,Wohlgesprochen,' erwiderte Sa'di, ,in der Tat, wir haben ihn seit vielen Tagen nicht mehr gesehen; ich möchte ihn gern aufsuchen und würde mich freuen, zu hören, daß es ihm gut ergangen ist.' So schritten denn die beiden weiter auf mein Haus zu, und da sagte Sa'd zu Sa'di: ,Fürwahr, ich sehe, daß er noch immer der gleiche zu sein scheint, arm und dürftig wie zuvor; er trägt noch alte und zerfetzte Gewänder, nur sein Turban ist vielleicht etwas neuer und sauberer. Sieh doch genau hin und überzeuge dich selbst, ob es so ist, wie ich sagte!' Darauf trat Sa'di näher zu mir heran, und auch er sah ein, daß meine Lage unverändert war; und alsbald sprachen die beiden Freunde mich an. Nach der üblichen Begrüßung fragte Sa'd: ,Hasan, wie geht es dir? Und wie steht es mit deinem Gewerbe? Haben die zweihundert Goldstücke dir gut genützt und dein Geschäft verbessert?' Darauf gab ich zur Antwort: ,Ach, meine Herren, wie kann ich euch von dem schweren Unglück erzählen, das mich betroffen hat? Ich wage vor lauter Scham nicht zu reden, doch kann ich das Geschehnis nicht verborgen halten. Wahrlich, ein wunderbar und seltsam Ding ist mir widerfahren, und der Bericht darüber wird euch mit Verwunderung und Verdacht



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erfüllen; denn ich weiß recht wohl, daß ihr mir nicht glauben werdet, und daß ich vor euch dastehen werde wie einer, der sich mit Lügen abgibt. Dennoch muß ich euch das Ganze erzählen, so ungern ich es tue.' Darauf berichtete ich ihnen jede Einzelheit, die mir begegnet war, von Anfang bis zu Ende, besonders wie es mir mit der Weihe ergangen war; doch Sa'di beargwöhnte mich und mißtraute mir und rief: ,O Hasan, du sprichst nur im Scherz und willst uns hintergehen. Die Geschichte, die du erzählst, ist schwer zu glauben. Weihen fliegen sonst nicht mit Turbanen davon, sondern nur mit solchen Dingen, die sie fressen können. Du möchtest uns überlisten, und du bist einer von denen, die alsbald, wenn ihnen ein unvorhergesehenes Glück zuteil wird, ihre Arbeit und ihr Geschäft verlassen und dann, nachdem sie alles für Vergnügungen verschwendet haben, wieder arm werden und hinfort, mögen sie wollen oder nicht, ihr Dasein fristen müssen, so gut sie können. Dies scheint mir besonders der Fall zu sein mit dir; du hast in aller Eile unsere Gabe vergeudet und bist nun so bedürftig wie zuvor.' ,O mein guter Herr, nicht so,' rief ich, ,diesen Vorwurf und diese harten Worte verdiene ich nicht; denn ich bin gänzlich unschuldig an all dem, was du mir zur Last legst. Das sonderbare Mißgeschick, von dem ich dir berichtet habe, ist die reinste Wahrheit, und ich kann beweisen, daß es keine Lüge ist, denn alle Leute in der Stadt haben Kenntnis davon; ich treibe wirklich und wahrhaftig kein falsches Spiel mit dir. Gewißlich fliegen Weihen sonst nicht mit Turbanen davon; aber solche wunderbaren und merkwürdigen Mißgeschicke können den Menschen widerfahren, zumal denen, die ein unglücklich Los haben.' Sa'd nahm sich meiner Sache an und sprach: ,O Sa'di, oftmals haben wir gesehen oder gehört, wie Weihen mancherlei andere Dinge forttragen



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als nur eßbare Sachen; darum braucht seine Geschichte nicht ganz und gar der Vernunft zu widersprechen.' Darauf zog Sa'di aus seiner Tasche einen Beutel voll Goldstücke, zahlte mir weitere zweihundert ab und gab sie mir mit den Worten: ,Hasan, nimm diese Goldstücke, doch gib acht, daß du sie mit aller Sorgfalt und allem Fleiß auf bewahrst; hüte dich, ich sage dir noch einmal, hüte dich, daß du sie nicht verlierst wie die anderen! Gib sie in solcher Weise aus, daß du vollen Nutzen von ihnen hast und wohlhabend wirst, wie deine Nachbarn wohlhabend sind!' Ich nahm das Geld von ihm hin und überschüttete sein Haupt mit Danksprüchen und Segenswünschen; und als sie ihre Wege gingen, kehrte ich zu meiner Reeperbahn zurück und ging von dort zur rechten Zeit nach Hause. Meine Frau und meine Kinder waren ausgegangen; so nahm ich wieder zehn Goldstücke von den zweihundert und band die übrigen sicher in ein Tuch. Dann schaute ich umher, einen Ort zu finden, an dem ich meinen Schatz so verbergen könnte, daß meine Frau und meine Kinder nichts davon erführen und auch nichts davon in die Hände bekämen. Und alsbald erblickte ich einen großen irdenen Krug voll Kleie, der in einem Winkel des Zimmers stand; darin verbarg ich das Tuch mit den Goldmünzen, und fälschlich glaubte ich, dort sei es sicher vor Weib und Kind verborgen. Nachdem ich die Goldstücke unten in dem Kleiekrug versteckt hatte, kam meine Frau herein; aber ich sagte ihr nichts von den beiden Freunden, noch irgend etwas von dem, was geschehen war, sondern ich ging auf den Markt, um Hanf zu kaufen. Doch kaum hatte ich das Haus verlassen, so wollte es das Unheil, daß ein Mann vorbeikam, der Walkererde verkaufte, mit der sich die ärmeren Frauen die Haare zu waschen pflegen. Meine Frau wollte gern etwas davon kaufen, aber sie hatte keine einzige Kaurimuschel



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noch auch eine Mandel' bei sich. Deshalb dachte sie nach und sprach bei sich selber: ,Dieser Kleiekrug da ist nutzlos; ich will ihn für die Tonerde eintauschen.' Auch der Händler willigte in diesen Tausch ein, und er ging weiter, nachdem er den Kleiekrug als Preis für die Wascherde erhalten hatte. Bald darauf kam ich zurück mit einer Last Hanf auf dem Kopfe und anderen fünf Lasten auf den Köpfen von ebensoviel Trägern, die mich begleiteten; ich half ihnen ihre Bündel abnehmen, und nachdem wir den Vorrat in einem Zimmer aufgestapelt hatten, bezahlte ich sie und entließ sie. Danach streckte ich mich auf dem Boden aus, um ein wenig der Ruhe zu pflegen, und wie ich dabei in den Winkel schaute, in dem der Krug vorher gestanden hatte, entdeckte ich, daß er verschwunden war. Die Worte versagen mir, o Beherrscher der Gläubigen, um den Aufruhr der Gefühle zu schildern, die mein Herz bei diesem Anblick erfüllten. Ich sprang auf, so rasch ich vermochte, rief meine Frau und fragte sie, wohin der Krug gekommen wäre. Sie erwiderte mir, sie hätte seinen Inhalt für ein wenig Walkererde vertauscht. Da rief ich laut: ,O du Elende, o du Unglückselige, was hast du getan! Du hast mich und deine Kinder zugrunde gerichtet, denn du hast großen Reichtum an jenen Tonerdeverkäufer weggegeben!' Dann erzählte ich ihr alles, was geschehen war, wie die beiden Freunde gekommen waren und wie ich die hundertundneunzig Goldstücke in dem Kleie krug verborgen hatte. Als sie das hörte, weinte sie bitterlich und schlug sich die Brust und raufte sich das Haar, indem sie rief: ,Wo kann ich nun den Händler da finden? Der Mann ist ein Fremdling, ich habe ihn nie zuvor in dieser Straße oder



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in diesem Stadtviertel gesehen!' Dann wandte sie sich zu mir und fuhr fort: ,Darin hast du sehr töricht gehandelt, daß du mir nicht zuvor von der Sache erzähltest und daß du kein Vertrauen zu mir hattest; sonst wäre dies Unglück nie und nimmer über uns gekommen.' Dann klagte sie laut und bitterlich, also daß ich sprach: ,Mache nicht solchen Lärm und zeige nicht solche Erregung, damit unsere Nachbarn dich nicht hören und, wenn sie von unserm Mißgeschick erfahren, sich nicht etwa über uns lustig machen und uns Narren heißen! Es geziemt uns, in den Willen Allahs des Erhabenen uns zu ergeben.' Die zehn Goldstücke, die ich von den zweihundert genommen hatte, genügten mir zwar, einige Zeitlang mein Handwerk leichter fortzuführen und in größerer Behaglichkeit zu leben; aber ich grämte mich immer und wußte keinen Rat, was ich Sa'di sagen sollte, wenn er wiederkäme; denn da er mir schon beim ersten Male nicht geglaubt hatte, war ich im Innern überzeugt, daß er mich nunmehr laut einen Lügner und Betrüger schelten würde. Eines Tages kamen denn auch die beiden, Sa'd und Sa'di, auf mein Haus zu, indem sie beim Wandeln sich unterhielten und wie gewöhnlich über mich und meinen Fall miteinander stritten. Als ich sie von ferne sah, verließ ich meine Arbeit, um mich zu verbergen; denn ich konnte vor lauter Scham nicht vortreten und sie anreden. Da sie das bemerkten, aber den Grund nicht ahnten, traten sie in meine Wohnung ein, boten mir den Gruß und fragten mich, wie es mir ergangen sei. Ich wagte nicht, meine Augen zu heben, so beschämt und zerknirscht war ich; daher erwiderte ich den Gruß mit gesenkter Stirn. Nun bemerkten sie meine klägliche Verfassung und fragten verwundert: ,Geht alles gut bei dir? Weshalb bist du in diesem Zustande? Hast du keinen guten Gebrauch von dem Golde gemacht, oder hast du deinen



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Reichtum in liederlichem Leben verschwendet?' ,Ach, meine Herren,' sprach ich, ,die Geschichte der Goldstücke ist keine andere als diese: Als ihr mich verließet, ging ich mit dem Beute voll Geld nach Hause, und da ich dort niemanden fand, weil alle ausgegangen waren, nahm ich zehn Goldstücke heraus. Dann legte ich die übrigen mitsamt dem Beutel in einen großen irdenen Krug, der ganz voll Kleie war und lange in einem Winkel des Zimmers gestanden hatte; auf diese Weise wollte ich die Sache vor meiner Frau und meinen Kindern geheim halten. Aber während ich auf dem Markt war, um mir Hanf zu kaufen, kam meine Frau nach Hause, und in demselben Augenblick kam ein Mann zu ihr herein, der Walkererde zum Waschen der Haare verkaufte. Sie hatte sie nötig, doch sie hatte nichts zum Bezahlen; und so ging sie denn zu ihm hin und sprach: ,Ich habe keinen Heller, aber ich habe etwas Kleie; sage mir, willst du die für deine Tonerde in Tausch nehmen?' Der Mann war einverstanden, und also nahm meine Frau die Erde von ihm hin und gab ihm dafür den Krug voll Kleie; er trug ihn fort und ging seiner Wege. Wenn ihr nun fragt: ,Warum hast du die Sache deiner Frau nicht anvertraut und ihr gesagt, daß du das Geld in den Krug getan hattest?' - so erwidere ich meinerseits, daß ihr mir strengen Befehl gabt, das Geld diesmal mit äußerster Sorgfalt und Vorsicht aufzubewahren. Mir schien jener Ort der sicherste zu sein, um das Gold zu verwahren, und es widerstrebte mir, das Geheimnis meiner Frau anzuvertrauen, damit sie nicht etwa einiges von dem Gelde nähme und es im Haushalt verwende. Ach, meine Herren, ich bin von eurer Güte und Gnädigkeit überzeugt, aber Armut und Elend stehen für mich im Buche des Schicksals geschrieben, wie kann ich da noch auf Güter und Gedeihen hoffen? Doch nimmer, solange ich noch den Odem des



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Lebens atme, werde ich diese eure hochherzige Huld vergessen!' Da sagte Sa'di: ,Mir scheint, ich habe vierhundert Goldstücke nutzlos ausgegeben, indem ich sie dir schenkte; doch die Absicht, in der ich sie dir gab, war die, daß du Nutzen davon haben solltest, nicht die, von dir Lob und Dank zu beanspruchen.' Beide hatten nun Mitleid mit meinem Unglück und sprachen mir ihre Teilnahme aus; und alsbald zog Sa'd, der ein rechtschaffener Mann war und mich seit vielen Jahren kannte, eine Bleimünze hervor, die er von der Straße aufgelesen hatte und noch in seiner Tasche trug; die zeigte er Sa'di, und dann sprach er zu mir: ,Siehst du dies Stückchen Blei? Nimm es. und durch die Gunst des Geschicks sollst du erfahren, welchen Segen es dir bringen wird.' Als Sa'di es sah, lachte er laut auf und machte sich darüber lustig und sagte spottend: ,Welchen Vorteil wird Hasan von diesem Scherflein Blei haben, und wie soll er es benutzen?' Doch Sa'd reichte mir die Bleimünze und erwiderte: ,Achte nicht auf das, was Sa'di sagen mag, sondern behalte dies bei dir! Laß ihn nur lachen, wenn es ihm beliebt! Eines. Tages wird es vielleicht, so Allah der Erhabene will, geschehen, daß du hierdurch ein reicher und vornehmer Mann wirst.' Ich nahm das Stückchen Blei und tat es in meine Tasche; die beiden aber sagten mir Lebewohl und gingen ihrer Wege. Sobald Sa'd und Sa'di fortgegangen waren, begann ich wieder Seile zu drehen, bis die Nacht herankam; und als ich mein Gewand ablegte, um zu Bett zu gehen, fiel die Bleimünze, die Sa'd mir gegeben hatte, aus meiner Tasche heraus; ich hob sie auf und legte sie achtlos in eine kleine Wandnische. In eben jener Nacht traf es sich nun, daß ein Fischer, einer meiner Nachbarn, eine kleine Münze nötig hatte, um etwas Zwirn zu kaufen, mit dem er sein Schleppnetz ausbessern wollte, wie er es in den dunklen



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Stunden zu tun pflegte; dann konnte er vor Tagesanbruch die Fische fangen und von dem Erlös seiner Beute Lebensmittel für sich und seinen Haushalt kaufen. Da er also gewohnt war aufzustehen, ehe die Nacht ganz verstrichen war, befahl er seiner Frau, bei allen Nachbarn die Runde zu machen und eine Kupfermünze zu borgen, damit er den nötigen Zwirn kaufen könnte; und die Frau ging überall hin, von Haus zu Haus, aber sie konnte nirgends einen Heller entleihen, und zuletzt kam sie müde und enttäuscht nach Hause. Da fragte der Fischer sie: ,Bist du auch bei Hasan el-Habbâl gewesen?' Sie antwortete: ,Nein, in seinem Hause habe ich es nicht versucht. Das ist das fernste unter allen Nachbarhäusern, und meinst du denn, ich hätte etwas von da zurückgebracht, wenn ich dorthin gegangen wäre ?' ,Fort mit dir, o du faulste unter den Weibern, du nichtsnutzigste unter den Dirnen,' rief der Fischer, ,fort mit dir in diesem Augenblick! Vielleicht hat er doch eine Kupfermünze, die er uns leihen kann.' So ging denn die Frau murrend und brummend fort, und als sie zu meiner Wohnung kam, klopfte sie an die Tür und rief: ,O Hasan el-Habbâl, mein Gatte braucht dringend einen Heller, um dafür etwas Zwirn zum Ausbessern seiner Netze zu kaufen.' Da ich mich an die Münze erinnerte, die Sa'd mir gegeben hatte, und auch an den Ort, an den ich sie gelegt hatte, rief ich ihr zu: ,Warte, meine Gattin wird zu dir hinauskommen und dir geben, was du brauchst!' Als meine Frau all diesen Lärm hörte, erwachte sie aus dem Schlaf, und ich sagte ihr, wo sie das Geldstück finden würde; darauf holte sie es und gab es der Fischersfrau, und die sagte hoch erfreut: ,Du und dein Gatte, ihr habt meinem Mann große Güte erwiesen, und deshalb verspreche ich dir, daß alle Fische, die er beim ersten Wurf des Netzes fangen wird, euch gehören sollen, und ich bin sicher, daß mein Ehegatte,



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wenn er von diesem meinem Versprechen hört, es gutheißen wird.' Als darauf die Frau das Geldstück ihrem Manne brachte und ihm erzählte, welches Versprechen sie gegeben hatte, war er ganz einverstanden und sprach zu ihr: ,Du hast recht und verständig darin gehandelt, daß du dies Gelöbnis tatest.' Nachdem er also etwas Zwirn gekauft und alle seine Netze ausgebessert hatte, erhob er sich vor Tagesanbruch und eilte zum Fluß hinab, um Fische zu fangen wie gewöhnlich. Aber als er das Netz zum ersten Wurf in den Strom geworfen hatte und wieder einholte, fand er, daß es nur einen einzigen Fisch enthielt, der aber ungefähr eine Spanne dick war; den legte er als meinen Anteil beiseite. Dann warf er das Netz wieder und wieder aus, und bei jedem Wurf fing er viele Fische, große und kleine, doch keiner kam dem an Größe gleich, den er zuerst im Netz herausgeholt hatte. Sowie der Fischer heimgekehrt war, kam er alsbald zu mir und brachte den Fisch, den er für mich gefangen hatte, indem er sprach: ,Lieber Nachbar, meine Frau versprach in der letzten Nacht, du solltest alle Fische haben, die beim ersten Wurf des Netzes eingebracht würden. Dies ist nun der einzige Fisch, den ich dabei fing. Hier ist er; bitte, nimm ihn hin als eine Gabe des Dankes für deine Güte in der vergangenen Nacht und als Erfüllung des Versprechens! Wenn Allah der Erhabene mir ein ganzes Schleppnetz voll von Fischen gewährt hätte, so wäre alles dein gewesen; aber es war dein Schicksal, daß nur dieser eine beim ersten Wurf ans Land kam.' Ich erwiderte: .Das Scherflein, das ich dir gestern nacht gab, war nicht von solchem Werte, daß ich eine Gegengabe erwarten könnte.' So weigerte ich mich, den Fisch anzunehmen. Auch nach langem Hin - und Herreden wollte er den Fisch nicht zurücknehmen, sondern bestand darauf, daß er mir gehöre; schließlich willigte ich ein,



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ihn zu behalten, und gab ihn meiner Frau mit den Worten: ,Frau, dieser Fisch ist eine Gegengabe für das Scherflein, das ich in der letzten Nacht unserm Nachbarn, dem Fischer, gegeben habe. Sa'd hat behauptet, ich würde durch jene Münze zu großem Reichtum und zu hohem Wohlstand gelangen.' Nun erzählte ich meiner Frau, wie meine beiden Freunde mich wieder aufgesucht und was sie gesagt und getan hatten, und berichtete ihr alles über die Bleimünze, die Sa'd mir gegeben hatte. Sie wunderte sich, wie sie nur den einen Fisch sah, und sagte: ,Wie soll ich ihn zubereiten? Ich glaube, es wäre das beste, ihn zu zerschneiden und für die Kinder zu braten, zumal wir keinerlei Spezereien und Gewürze haben, mit denen ich ihn anders bereiten könnte.' Als sie nun den Fisch aufschnitt und säuberte, fand sie in seinem Bauche einen großen Diamanten, den sie für ein Stück Glas oder Kristall hielt; denn sie hatte zwar oft von Diamanten reden hören, aber nie mit ihren eigenen Augen einen gesehen. Daher gab sie ihn dem jüngsten der Kinder zum Spielen, und als die anderen ihn sahen, wollten ihn alle haben wegen seines hellen und glänzenden Scheines, und abwechselnd behielt ihn jeder eine Weile; und wie die Nacht kam und die Lampe angezündet wurde, drängten sie sich um den Stein und starrten seine Schönheit an und auchzten und schrieen vor Entzücken. Nachdem meine Frau den Tisch gebreitet hatte, setzten wir uns zum Nachtmahl nieder, und der älteste Knabe legte den Diamanten auf die Tafel; doch sobald wir mit dem Essen fertig waren, stritten und balgten sich die Kinder wieder darum wie zuvor. Erst achtete ich nicht auf ihr Lärmen und Toben; doch wie es allzu laut und lästig wurde, fragte ich meinen ältesten Jungen, aus welchem Grunde sie stritten und solchen Lärm machten. Da sagte er: ,Der Lärm und der Streit drehen sich



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um ein Stück Glas, von dem ein Licht ausgeht so hell wie das der Lampe.' Nun befahl ich ihm, es mir zu zeigen; und ich wunderte mich sehr, wie ich seinen funkelnden Glanz sah: und ich fragte meine Frau, wann sie das Stück Kristall bekommen hätte. Sie erwiderte: ,Ich fand es im Bauche des Fisches, als ich ihn ausnahm.' Aber ich hielt es immer noch für nichts anderes als Glas. Dann befahl ich meiner Frau. die Lampe hinter dem Herde zu verbergen; und als sie das getan hatte, war der Glanz des Diamanten so hell, daß wir sehr gut ohne ein anderes Licht sehen konnten; deshalb legte ich ihn auf den Herd, damit wir bei seinem Schein arbeiten könnten, und sprach bei mir selber: ,Die Münze, die Sa'd mir hinterließ, hat doch diesen Nutzen gebracht, daß wir keine Lampe mehr brauchen; wenigstens erspart sie uns das Öl.' Als die Kleinen sahen, daß ich die Lampe auslöschte und das Glas an ihrer Statt gebrauchte, sprangen und tanzten sie vor Freude und schrieen und j auchzten vor Entzücken, sodaß alle Nachbarn ringsum sie hören konnten; deshalb schalt ich sie und schickte sie ins Bett, und auch wir gingen zur Ruhe und schliefen alsbald ein. Am nächsten Tage wachte ich beizeiten auf und begab mich an meine Arbeit, ohne weiter an das Stück Glas zu denken. Nun wohnte dicht bei uns ein reicher Jude, ein Juwelier, der alle Arten von Edelsteinen kaufte und verkaufte; und wie er und seine Frau in jener Nacht schlafen wollten, wurden sie durch das Lärmen und Schreien auf viele Stunden hin gestört, und der Schlaf mied ihre Augen. Als es Morgen ward, kam die Frau des Juweliers zu unserem Hause, um sich in ihrem und ihres Gatten Namen über den Lärm und das Geschrei zu beklagen. Ehe sie aber ein Wort des Tadels hatte sagen können, erriet meine Frau schon die Absicht, in der sie kam, und richtete die Worte an sie: ,Kahl',



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ich fürchte, meine Kinder haben dich in der letzten Nacht durch ihr Lachen und Schreien belästigt. Ich bitte dich dafür um Nachsicht; du weißt doch wohl, wie Kinder über Kleinigkeiten bald lachen und bald weinen. Komm herein und sieh dir die Ursache ihrer Aufregung an, wegen deren du mich mit Recht zur Rede stellen willst!' Sie tat es und schaute das Stück Glas an, wegen dessen die Kleinen solches Getöse und solchen Lärm gemacht hatten; und als sie, die eine lange Erfahrung in Edelsteinen jeglicher Art besaß, den Diamanten betrachtete, war sie von Staunen erfüllt. Dann erzählte meine Frau ihr, wie sie ihn in dem Bauch des Fisches gefunden hatte, und darauf sagte die Jüdin: ,Dies Stück Glas ist besser als alle anderen Sorten von Glas. Ich habe auch ein solches Stück wie dies, und ich pflege es manchmal zutragen; wenn du es verkaufen willst, so will ich dir dies Ding gern abkaufen.' Als die Kinder hörten, was sie sagte, fingen sie an zu schreien und riefen: ,Liebe Mutter, wenn du es nicht verkaufst, versprechen wir dir, nie mehr Lärm zu machen.' Da die Frauen einsahen, daß die Kleinen sich auf keinen Fall davon trennen wollten, sprachen sie nicht mehr darüber, und bald darauf ging die Jüdin fort; doch ehe sie Abschied nahm, flüsterte sie meiner Frau ins Ohr: ,Sieh zu, daß du niemandem davon erzählst, und wenn du Lust hast, es zu verkaufen, so laß es mich sofort wissen!'

Der Jude saß gerade in seinem Laden, als seine Frau zu ihm kam und ihm von dem Glasstück erzählte. Da sagte er: ,Geh sogleich zurück und biete einen Preis dafür, indem du sagst, es sei für mich. Fang mit einem kleinen Gebot an, und biete immer höher, bis du es bekommst!' Darauf kehrte die Jüdin zu meinem Hause zurück und bot zwanzig Goldstücke; das schien meiner Frau eine hohe Summe zu sein für eine solche Kleinigkeit, aber sie wollte den Handel doch nicht abschließen.



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In diesem Augenblick verließ ich gerade meine Arbeit, und als ich zum Mittagsmahle heimkam, sah ich die beiden Frauen redend an der Schwelle stehen. Meine Frau hielt mich an und sagte: ,Diese Nachbarin bietet zwanzig Goldstücke als Preis für das Stück Glas; aber ich habe ihr bis jetzt noch keine Antwort gegeben. Was sagst du dazu?' Da gedachte ich dessen, was Sa'd mir gesagt hatte, nämlich, daß mir durch diese Bleimünze großer Reichtum zuteil werden sollte. Als die Jüdin sah, wie ich zögerte, glaubte sie, ich wolle nicht in den Preis einwilligen, und so sprach sie: ,Lieber Nachbar, wenn du dich für zwanzig Goldstücke nicht von dem Stück Glas trennen willst, will ich dir sogar fünfzig geben.' Nun überlegte ich mir, wenn die Jüdin ihr Angebot so bereitwillig von zwanzig auf fünfzig Goldstücke erhöhte, so müßte dies Glas sicher von großem Werte sein; deshalb schwieg ich und erwiderte ihr kein Wort. Als sie sah, daß ich immer noch schwieg, rief sie: ,So nimm denn hundert, das ist sein voller Wert, ja, ich weiß nicht einmal, ob mein Gatte mit einem so hohen Preise einverstanden sein wird.' Ich gab zur Antwort: ,Gute Frau, warum so töricht schwätzen? Ich verkaufe es nicht für weniger als hunderttausend Goldstücke, und du kannst es zu dem Preise erhalten, doch nur deshalb, weil du unsere Nachbarin bist.' Die Jüdin steigerte ihr Gebot nach und nach bis zu fünfzigtausend Goldstücken und sagte dann: ,Bitte, warte bis morgen und verkaufe es nicht vorher, damit mein Gatte kommen und es ansehen kann!' ,Recht gern,' erwiderte ich, ,auf jeden Fall laß deinen Gatten nur herkommen und es sich ansehen!' Am nächsten Tage kam der Jude in unser Haus, und ich zog den Diamanten heraus und zeigte ihn ihm; da glänzte und glitzerte er in meiner Hand mit einem Lichte, das so hell war wie von einer Lampe. So überzeugte er sich, daß alles, was



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seine Frau ihm von seinem gleißenden Schein erzählt hatte, ganz der Wahrheit entsprach, und er nahm ihn in die Hand, prüfte ihn, wandte ihn hin und her und wunderte sich gar sehr über seine Schönheit; dann sagte er: ,Meine Frau hat dir fünfzigtausend Goldstücke geboten; schau, ich will dir noch zwanzigtausend dazulegen.' Doch ich erwiderte: ,Deine Gattin hat dir sicherlich die Summe genannt, die ich festgesetzt habe, das heißt, einhunderttausend Goldstücke und nicht weniger; von diesem Preise lasse ich keinen Deut und kein Tüttelchen ab.' Der Jude tat, was er nur konnte, um es für eine geringere Summe zu erwerben, aber ich antwortete nur: ,Es macht nichts aus; wenn du mir meinen Preis nicht zahlen willst, muß ich ihn einem anderen juwelier verkaufen.' Schließlich willigte er ein und wägte mir zweitausend Goldstücke ab als Handgeld, indem er sprach: ,Morgen will ich dir den Betrag, den ich dir geboten habe, bringen und meinen Diamanten mitnehmen.' Damit war ich zufrieden; und so kam er am folgenden Tage zu mir und wägte mir die volle Summe von hunderttausend Goldstücken ab, die er unter seinen Freunden und Geschäftsteilhabern aufgebracht hatte. Darauf gab ich ihm den Diamanten, der mir so übermäßigen Reichtum eingetragen hatte, und dankte ihm und pries Allah den Erhabenen für dies große Glück, das mir so unerwartet zuteil geworden war, und ich hoffte sehr, bald meine beiden Freunde Sa'd und Sa'di wiederzusehen, um auch ihnen zu danken. Ich brachte nun zunächst mein Haus in Ordnung und gab meiner Frau einiges Geld, das sie für die Bedürfnisse des Hauses und für ihre eigene Kleidung und die der Kinder ausgeben sollte; dann aber kaufte ich mir ein schönes Wohnhaus und stattete es aufs beste aus. Darauf sprach ich zu meiner Frau, die an nichts anderes dachte als an prächtige Kleider und an gutes Essen und ein Leben in Herrlichkeit



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und Freuden: ,Es geziemt uns nicht, dies unser Handwerk aufzugeben; wir müssen etwas Geld beiseite legen und das Geschäft weiterführen.' Ich ging also zu allen Seilern der Stadt, kaufte mit vielem Gelde verschiedene Werkstätten und ließ darin arbeiten; über jede Werkstatt setzte ich einen Aufseher, einen verständigen und vertrauenswürdigen Mann, und jetzt gibt es in der ganzen Stadt Baghdad keinen Bezirk und kein Viertel, in denen sich nicht Reeperbahnen und Seilereien von mir befänden. Ja, noch mehr, ich habe in jedem Bezirk, in jeder Stadt des Irak Warenhäuser, alle unter der Obhut ehrlicher Aufseher; so ist es gekommen, daß ich solch eine Menge von Reichtümern aufgehäuft habe. Schließlich kaufte ich ein anderes Haus zu meinem eigenen Geschäftshaus; das war ein zerfallener Bau, an den genügend viel Land angrenzte, aber ich ließ das alte Gemäuer niederreißen und erbaute an seiner Statt das große und geräumige Gebäude, das deine Hoheit gestern anzuschauen geruht hat. Dort finden alle meine Arbeiter ihr Unterkommen, und dort werden meine Geschäftsbücher und Rechnungen geführt; und es enthält außer meinem Warenhaus auch noch Gemächer, versehen mit einfachem Hausrat, wie er für mich und die Meinen genügt. So konnte ich nach einiger Zeit meine alte Heimstätte, an der Sa'd und Sa'di mich hatten arbeiten sehen, verlassen und in das neue Haus ziehen und dort wohnen. Nicht lange nach dieser Übersiedlung dachten meine beiden Freunde und Wohltäter daran, mich wieder zu besuchen. Sie wunderten sich sehr, als sie in meine alte Werkstatt kamen und mich dort nicht fanden; und sie fragten die Nachbarn: ,Wo wohnt der Seiler Soundso? Lebt er noch, oder ist er tote' Die Leute antworteten: ,Er ist jetzt ein reicher Kaufherr, und man nennt ihn nicht mehr einfach Hasan, sondern gibt ihm den Titel: Meister Hasan, der



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Seiler. Er hat sich ein prächtiges Haus gebaut und wohnt in demunddem Stadtviertel.' Darauf gingen die beiden Gefährten hin, um mich zu suchen. Sie waren über die gute Botschaft erfreut; doch Sa'di wollte sich auf keine Weise davon überzeugen lassen, daß all mein Reichtum, wie Sa'd behauptete, aus jener Wurzel entsprungen sei, nämlich aus der kleinen Bleimünze. Nachdem er nun die Sache im Geiste überlegt hatte, sprach er zu seinem Begleiter: ,Es freut mich dennoch, von all diesem Glück zu hören, das Hasan widerfahren ist, obgleich er mich zweimal getäuscht und mir vierhundert Goldstücke abgenommen hat, durch die er zu solchem Reichtum gekommen ist; denn es ist widersinnig, anzunehmen, daß der von der kleinen Bleimünze herrühren sollte, die du ihm gegeben hast. Doch ich vergebe ihm und trage ihm nichts nach.' Der andere erwiderte: ,Du bist im Irrtum. Ich kenne Hasan von alters her als einen guten und wahrhaften Mann; er würde dich nie täuschen, und was er uns erzählt hat, ist die reine Wahrheit. Ich bin in meinem Innern davon überzeugt, daß er all dies Geld und Gut durch die Bleimünze erworben hat; allein, wir werden ja bald hören, was er zu sagen hat.' Unter solchen Gesprächen kamen sie in die Straße, in der ich jetzt wohne, und als sie dort ein großes und prächtiges, neu errichtetes Gebäude sahen, ahnten sie, daß es das meine wäre. Deshalb pochten sie an, und wie der Pförtner öffnete, wunderte Sa'di sich ob solcher Pracht und ob der vielen Leute, die darinnen saßen, und er fürchtete schon, sie seien vielleicht, ohne es zu wissen, in das Haus irgendeines Emirs eingedrungen. Doch er faßte sich ein Herz und fragte den Pförtner: ,Ist dies die Wohnung von Chawâdscha Hasan el-Habbâl?' Und der Pförtner antwortete: ,Dies ist in der Tat das Haus von Chawâdscha Hasan el-Habbâl. Er ist zu Hause und sitzt in seiner



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Kanzlei. Bitte, tritt ein, und einer der Sklaven wird ihm dein Kommen melden!' Darauf gingen die beiden Freunde hinein, und sowie ich sie sah, erkannte ich sie; und ich erhob mich, lief ihnen entgegen und küßte die Säume ihrer Gewänder. Sie wollten mir um den Hals fallen und mich umarmen, aber aus lauter Bescheidenheit wollte ich nicht dulden, daß sie es taten; so führte ich sie denn in einen großen und geräumigen Saal und bat sie, sich auf die höchsten Ehrenplätze zu setzen. Sie wollten mich zwingen, auf dem obersten Platze zu sitzen, aber ich rief: ,Hohe Herren, ich bin um nichts besser als der arme Seiler Hasan, der immer, eingedenk eurer Würde und Güte, für euer Wohlergehen betet und nicht verdient, an höherer Stelle zu sitzen als ihr.' Da setzten sie sich, und ich setzte mich ihnen gegenüber, und Sa'di sprach: ,Mein Herz ist über die Maßen erfreut, da ich dich in diesem Wohlstand sehe; denn Allah hat dir alles gegeben, was du nur wünschen konntest. Ich zweifle nicht daran, daß du all diesen Reichtum und Überfluß durch die vierhundert Goldstücke gewonnen hast, die ich dir einst gab; nun sage mir aber ehrlich, warum hast du mich zweimal getäuscht und mir die Unwahrheit gesagte' Sa'd hörte diesen Worten mit stiller Entrüstung zu, und ehe ich noch etwas erwidern konnte, hub er an: ,O Sa'di, wie oft habe ich dir versichert, daß alles, was Hasan früher über den Verlust der Goldstücke gesagt hat, keine Lüge, sondern die Wahrheit ist?' Darauf begannen sie miteinander zu streiten, während ich, sobald ich mich von meiner Überraschung erholt hatte, ausrief: ,Ach, meine Herren, wozu dieser Streit? Entzweit euch nicht um meinetwilen, ich flehe euch an! Alles, was mir früher widerfahren ist, habe ich euch mitgeteilt, und ob ihr meinen Worten glaubt oder nicht glaubt, darauf kommt wenig an. Vernehmet nun meine ganze Geschichte



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der Wahrheit gemäß!' Dann erzählte ich ihnen die Geschichte von dem Bleistück, das ich dem Fischer gegeben hatte, und von dem Diamanten, der sich im Bauche des Fisches fand; kurz, ich berichtete ihnen alles genau so, wie ich es jetzt deiner Hoheit kundgetan habe. Nachdem Sa'di mein ganzes Erlebnis vernommen hatte, sagte er: ,O Chawâdscha Hasan, es erscheint mir über die Maßen seltsam, daß ein so großer Diamant sich in dem Bauche eines Fisches finden sollte: und ich halte es auch für ein unmöglich Ding, daß eine Weihe mit deinem Turban fortgeflogen oder daß deine Frau den Krug mit Kleie für die Walkererde weggegeben haben könnte. Du sagst, die Geschichte sei wahr; dennoch kann ich deinen Worten keinen Glauben schenken, denn ich weiß doch recht wohl. daß die vierhundert Goldstücke dir all diesen Reichtum verschafft haben.' Als die beiden jedoch aufstanden, um Abschied zu nehmen, erhob auch ich mich und sprach: ,Hohe Herren, ihr habt mir die Gunst erwiesen, daß ihr mich in meiner armen Hütte zu besuchen geruhtet. Ich bitte euch nun herzlich, kostet auch von meiner Speise und verweilet hier diese Nacht unter dem Dache eures Dieners; denn morgen möchte ich euch gern auf dem Flusse in ein Landhaus führen, das ich vor kurzem erworben habe!' Darin willigten sie ein nach etlichen Einwendungen; und nachdem ich die Anordnungen für das Nachtmahl gegeben hatte, führte ich sie im Hause umher und zeigte ihnen die Einrichtung, indem ich sie mit gefälligen Worten und heiterem Geplauder unterhielt, bis ein Sklave kam und meldete, daß die Abendmahlzeit aufgetragen sei. Da geleitete ich sie in den Saal, in dem die Platten aufgereiht waren. beladen mit mancherlei Gerichten; auf allen Seiten standen Kerzen, die nach Kampfer dufteten, und vor dem Tische waren Spielleute versammelt, die sangen und auf mancherlei



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Instrumenten der Fröhlichkeit und Freude spielten, während am oberen Ende des Saales Männer und Frauen tanzten und allerlei zum Zeitvertreib aufführten. Als wir zu Nacht gegessen hatten, gingen wir zu Bett; dann standen wir beizeiten wieder auf, sprachen das Frühgebet und bestiegen ein großes und gut ausgerüstetes Boot, und die Ruderer ruderten mit der Strömung und landeten uns bald bei meinem Landsitz. Dort wandelten wir gemeinsam über das Land und traten ins Haus; ich zeigte ihnen auch unsere neuen Bauten und wies ihnen alles, was dazu gehörte; und sie betrachteten es mit größter Verwunderung. Darauf begaben wir uns in den Garten und sahen, in Reihen an den Wegen gepflanzt, Fruchtbäume jeglicher Art, die sich unter den reifen Früchten beugten; die wurden mit Wasser vom Strom her durch Kanäle aus Ziegelsteinen bewässert. Ringsum standen blühende Büsche, deren Duft dem Zephir Freude machte; hie und da ließen Springbrunnen ihre Wasserstrahlen hoch in die Luft steigen, und mit süßen Stimmen sangen die Vöglein zwischen den laubreichen Zweigen Loblieder dem Einen, dem Ewigen. Kurz, der Anblick und die Wohlgerüche erfüllten die Seele mit Freude und Fröhlichkeit. Meine beiden Freunde schritten erfreut und entzückt umher und dankten mir immer wieder, daß ich sie an einen so herrlichen Ort geführt hatte, und sprachen: ,Allah der Erhabene, lasse es dir in Haus und Garten wohlergehen!' Zuletzt führte ich sie an den Fuß eines hohen Baumes. nahe einer der Gartenmauern, und dort zeigte ich ihnen ein kleines Sommerhaus, wo ich mich auszuruhen und zu erfrischen pflegte; der Raum war mit Kissen und Polstern und Diwanen ausgestattet, die mit reinem Golde bestickt waren. Nun traf es sich, als wir in jenem Sommerhause der Ruhe pflegten, daß zwei meiner Söhne, die ich mit ihrem Erzieher des Luftwechsels halber zu



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meinem Landsitz geschickt hatte, im Garten umherstreiften und nach Vogelnestern suchten. Da entdeckten sie ein großes Nest, hoch im Gipfel, und versuchten, den Stamm hinaufzuklettern, um es zu holen; aber sie wagten sich doch nicht so hoch hinauf, weil sie nicht so stark und geübt waren, und deshalb befahlen sie einem jungen Sklaven, der sie immer begleitete, den Baum zu erklimmen. Er tat nach ihrem Geheiß; aber als er in das Nest hineinschaute, staunte er über die Maßen, weil er sah, daß es zum großen Teile aus einem alten Turban gemacht war. Dann brachte er das Nest herunter und hielt es den Knaben hin. Mein ältester Sohn nahm es ihm aus den Händen und brachte es in die Laube, um es mir zu zeigen; und indem er es mir zu Füßen legte, rief er in heller Freude: ,Vater, schau hier, dies Nest ist aus Zeug gemacht!' Sa'd und Sa'di waren über diesen Anblick höchlichst erstaunt, und das Staunen wuchs noch um so mehr, als ich das Nest näher ansah und darin eben den Turban erkannte, auf den die Weihe sich gestürzt hatte und der mir von jenem Vogel geraubt war. Darauf sagte ich zu meinen beiden Freunden: ,Seht euch diesen Turban näher an und überzeugt euch selbst, daß er genau derselbe ist, den ich auf dem Kopfe trug, als ihr mich zum ersten Male mit eurem Besuch beehrtet!' Sa'd sagte: ,Ich kenne ihn nicht.' Und Sa'di sprach: ,Wenn du in ihm die hundertundneunzig Goldstücke findest, so kannst du gewiß sein, daß es wirklich dein Turban ist.' ,Lieber Herr,' erwiderte ich, ,ich weiß ganz genau, daß dies derselbe Turban ist.' Und als ich ihn in meiner Hand hielt, fand ich, daß er schwer von Gewicht war; dann entfaltete ich ihn und fühlte, daß in einem Zipfel des Tuches etwas eingebunden war. Rasch rollte ich die Wickel auf, und siehe da -ich fand den Beutel mit den Goldstücken. Ich zeigte ihn Sa'di und rief: ,Kannst du diesen Beutel nicht wiedererkennen?'



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Und er gab zur Antwort: ,Dies ist wirklich derselbe Beutel mit Goldstücken, den ich dir gab, als wir einander zum ersten Male sahen.' Dann öffnete ich ihn und schüttete das Gold in einem Haufen auf den Teppich aus und hieß ihn sein Geld zahlen; er zählte es, Münze auf Münze, und stellte fest, daß es einhundertundneunzig Goldstücke waren. Tief beschämt und verwirrt rief er nun: ,Jetzt glaube ich deinen Worten; indessen du wirst doch zugeben, daß du die Hälfte dieses deines ungeheuren Reichtums durch die zweihundert Goldstücke erworben hast, die ich dir bei unserm zweiten Besuche gab, und nur die andere Hälfte durch das Scherflein, das du von Sa'd erhieltest.' Darauf gab ich keine Antwort; doch meine Freunde ließen nicht ab, darüber zu streiten. Dann setzten wir uns nieder zu Speise und Trank, und als wir gesättigt waren, gingen ich und meine beiden Freunde in der kühlen Laube zur Ruhe; und als die Sonne dem Untergang nahe war, saßen wir auf und ritten nach Baghdad zurück, während die Diener uns folgen sollten. Doch nachdem wir die Stadt erreicht hatten, fanden wir alle Läden geschlossen und konnten nirgends Korn und Futter für unsere Pferde finden; deshalb sandte ich zwei junge Sklaven, die neben uns her gelaufen waren, auf die Suche nach Futter. Einer von ihnen fand im Laden eines Kornhändlers einen Krug voll Kleie, und nachdem er für den Inhalt bezahlt und versprochen hatte, er würde das Gefäß am nächsten Tage zurückbringen, brachte er die Kleie samt dem Krug. Dann begann er die Kleie im Dunkeln herauszuholen, Handvoll auf Handvoll, und sie den Pferden vorzuwerfen. Plötzlich aber traf seine Hand auf ein Tuch, in dem etwas Schweres war. Er brachte es mir so, wie er es gefunden hatte, und sagte: ,Sieh, ist dies Tuch nicht gerade das, von dessen Verlust du oft zu uns gesprochen hast?' Ich nahm



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es und erkannte zu meinem höchsten Erstaunen, daß es dasselbe Stück Zeug war, in das ich die hundertundneunzig Goldstücke eingebunden hatte, ehe ich sie in dem Kleiekrug verbarg. Dann aber sprach ich zu meinen Freunden: ,Liebe Herren, es hat Allah dem Erhabenen gefallen, ehe wir uns voneinander trennen, meine Worte zu bezeugen und zu beweisen, daß ich euch nichts als die lautere Wahrheit erzählt habe.' Dann fuhr ich fort, indem ich mich zu Sa'di wandte: ,Schau hier die andere Summe Geldes, das heißt, die hundertundneunzig Goldstücke, die ich, nachdem du sie mir gegeben hattest, in ebendies Tuch einband. das ich nun wiedererkenne.' Sogleich ließ ich den Tonkrug bringen, damit sie ihn sehen könnten; und ich befahl, ihn auch zu meiner Frau zu tragen, damit sie ebenfalls Zeugnis ablegte, ob es derselbe Kleiekrug war, den sie damals für die Walkererde hingegeben hatte. Sie schickte uns alsbald Bescheid und ließ uns sagen: ,Jawohl, ich erkenne ihn genau. Dies ist derselbe Krug, den ich mit Kleie gefüllt hatte.' Jetzt gab Sa'di endlich zu, daß er im Unrecht war, und er sagte zu Sa'd: ,Nun weiß ich, daß du recht hast, und ich bin überzeugt, daß Reichtum nicht durch Reichtum kommt; sondern allein durch die Gnade Allahs des Erhabenen wird ein Armer zu einem reichen Manne.' Und er bat um Vergebung für sein Mißtrauen und seinen Unglauben. Wir nahmen seine Entschuldigung an, und dann begaben wir uns alle zur Ruhe. Früh am nächsten Morgen sagten meine beiden Freunde mir Lebewohl und zogen heim, fest davon überzeugt, daß ich kein Unrecht begangen und die Gelder, die sie mir gegeben hatten, nicht verschwendet hatte.'

Als der Kalif Harûn er-Raschîd die Geschichte des Chawâdscha Hasan bis zum Schluß vernommen hatte, sprach er: ,Ich kenne dich seit langer Zeit durch den guten Ruf, den du



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beim Volke hast; denn alle, einer wie der andere, erklären, daß du ein guter und wahrhaftiger Mann bist. Überdies ist dieser selbe Diamant, durch den du so großen Reichtum erlangt hast, jetzt in meiner Schatzkammer. Deshalb möchte ich gern sofort nach Sa'di ausschicken, auf daß er ihn mit eigenen Augen sehe und sicher wisse, daß die Menschen nicht durch Geld reich oder arm werden.' Ferner sagte der Beherrscher der Gläubigen noch zu Chawâdscha Hasan el-Habbâl: ,Geh hin und erzähle deine Geschichte meinem Schatzmeister, damit er sie zu ewigem Gedächtnis aufzeichne und die Schrift in der Schatzkammer bei dem Diamanten niederlege.' Darauf entließ der Kalif den Chawâdscha Hasan mit einem Wink, und Sîdi Nu'mân und Baba Abdullah küßten den Fuß des Thrones und gingen gleichfalls ihrer Wege. Ferner wird erzählt


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