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Die deutschen Volks-Bücher


wiedererzählt von Gustav Schwab


Robert der Teufel

Mit Bildern von W. Camphausen



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In alter Zeit lebte in der Normandie ein Herzog, namens Hubert, tapfer und edel, liebreich und milde, der federmann sein gutes Recht widerfahren ließ. Er hatte mit Beirat seiner Barone die schöne, fromme und sittsame Tochter des Herzogs von Burgund geheiratet und seinen fürstlichen Sitz mit ihr in der Stadt Rouen genommen; hier wohnten beide verehrt und geliebt von ihren Untertanen, und nichts hätte zu ihrem Glücke gefehlt, wenn ihnen Gott hätte Kinder bescheren wollen. Sie hatten dieses Los durch keinen Frevel verschuldet; sie liebten und fürchteten Gott, gingen fleißig zur Kirche, spendeten reiches Almosen, waren sanft und menschlich gegen jedermann und reich an allerlei Tugenden und Gaben des Geistes. Dennoch lebten sie achtzehn Jahre miteinander, ohne daß ihre Ehe mit einem Erben gesegnet worden wäre. Da ritt eines Tages der Herzog nachdenklich und in großer Kümmernis auf die Jagd. "Ich sehe doch", sagte er zu sich selbst, "so viele Frauen feine Kinder haben und sich an ihnen erfreuen; deshalb erkenne ich wohl, daß ich von Gott gehaßt werde, und es ist ein Wunder; wenn ich nicht in Verzweiflung gerate!" So versuchte der Böse, der stets bereit ist, die Menschen zu überlisten, den Herzog, daß er in großer Bewegung von der Jagd nach Hause ritt. Als er nun seiner Gemahlin den Kummer klagte, von dem er gequält war, da geriet der Frau Gemüt in so heftige Verwirrung, daß sie in der Torheit bei sich selbst sprach: "Ei, so mag es in des Teufels Namen geschehen, da Gott die Macht nicht hat, daß ich Kinder bekomme! Und wird mir ein Kind geschenkt, so soll es mit Leib und Seele dem Bösen übergeben sein!"

Von Stund an geschah es, daß der Herzogin Leibesfrucht bescheret ward. Als nun die Zeit kam, daß sie gebären sollte, da begab sich Wunderbares. Einen ganzen Monat lag sie in bittern Wehen, und es zeigte sich, daß sie



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ohne große Pein entbunden werden konnte. Ja, ohne die Gebete, ernstliche Buße und guten Werke der Ihrigen wäre sie an dem Kinde gestorben . Ihre Frauen, die zugegen waren, gerieten in große Furcht über die wundersamen Zeichen, die sie bei der Geburt des Kindes sahen und hörten. Denn als das Kind geboren wurde, da erhob sich eine Wolke so dunkel, als wäre es Nacht; aus der donnerte es erschrecklich, und ein Blitz folgte dem andern, als wäre das Ende der Welt gekommen und stände das Firmament offen. Die vier Winde bliesen aus allen Ecken und stießen an das Haus, daß es zitterte und Stücke davon auf die Erde zu fallen anfingen. Die Herren und Frauen, die zugegen waren, als sie diese schrecklichen Stürme sahen, glaubten, mit dem Hause und allem versinken zu müssen. Da wollte Gott endlich, daß das Gewitter aufhörte und die Luft wieder heiter ward. Das Kind aber, das mittlerweilen geboren worden, war ein Knabe. Der war, als er auf die Welt gekommen, von so großer Gestalt; als wenn er schon ein Jahr alt gewesen wäre; alle, die ihn sahen, wunderten sich darüber. Nun wurde das Kind in die Kirche gebracht und erhielt in der heiligen Taufe den Namen Robert. Als man ihn in die Kirche trug und zurück, hörte er nicht auf zu heulen und zu schreien; sofort bekam er große Zähne und biß die Ammen, so daß ihn keine mehr säugen wollte, und man genötigt war, ihn aus einem Horne, das ihm in den Mund gesteckt wurde, zu tränken. Ehe ein Jahr um war, ging er frisch auf den Beinen und sprach so geläufig, wie sonst nur Kinder von fünf Jahren sprechen. Und je mehr er wuchs, je mehr erwies er sich als ein Übeltäter. Kein Weib und kein Mann vermochte ihn zurückzuhalten, und wenn er andern kleinen Kindern begegnete, so schlug er sie mit der Faust oder warf Steine nach ihnen oder kratzte ihnen die Augen aus. Oft rotteten sich die Knaben auf der Straße zusammen, um gegen ihn zu kämpfen, aber wenn sie ihn sahen, wagten sie nicht, ihm standzuhalten, sondern unter dem Rufe: "Robert der Teufel kommt!"liefen sie wie die Schafe vor dem Wolf. Und bald nannten ihn alle Kinder, die ihn kannten, Robert den Teufel, und dieser Name blieb ihm.

So lebte Robert von Kindheit an, und die Barone des Landes, die solches mitansahen, freuten sich darüber; sie nannten es Jugend und glaubten , daß es vorübergehen werde; aber endlich fanden sie es doch zu schlimm. Denn weil Unkraut nicht verdirbt, so wuchs auch Robert an Mut und Bosheit, rannte durch die Straßen, schlug und warf nieder, wem er begegnete, und gebärdete sich wie ein Rasender. Als er sechs oder sieben Jahre alt war, rief ihn der Herzog, der die übeln Gewohnheiten seines



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Sohnes sah und erkannte, und sprach zu ihm: "Mein Kind, es ist Zeit, man dir einen Lehrmeister gebe, der dich gute Sitten lehre und dir Unterricht erteile; denn du hifi nun alt genug dazu." Darein fügte sich Robert und nun ward er einem guten, weisen Schulmeister übergeben, der ihn lenken und lehren sollte. Es begab sich aber eines Tages, daß der Lehrer den Knaben Robert um einiger Bosheiten willen bestrafen wollte und verlangte, er sollte seine verkehrten Streiche lassen. Da zog Robert ein Messer aus der Tasche und stieß es dem Lehrmeister in den Leib, daß das Blut zu seinen Füßen herabrann und er tot zur Erde niederfiel. Robert warf das Buch auf den Toten und schrie: "Da hast du deine Weisheit ! Kein Priester und kein Mönch soll je mein Lehrer sein!" Und von da an konnte man keinen Meister finden, der sich unterfangen hätte, ihn zu ziehen und zu unterrichten: man war genötigt, ihn sich selbst zu überlassen, daß er seinen eigenen Weg ginge. Er aber ergab sich allem Bösen, wollte von keinem Menschen in der Welt lernen und spottete Gottes und seiner heiligen Kirche. Im Tempel, wenn die Geistlichen beim Hochamte standen und singen wollten, warf er ihnen Asche oder Staub in den Mund; sah er jemand eifrig in der Kirche beten, so gab er ihm einen Stoß inden Nacken, daß sein Kopf den Boden küßte; so daß ihn jedermann seiner Bosheit wegen verfluchte.

Als nun der Herzog die böswillige Sinnesart und das fluchwürdige Leben seines Sohnes sah, so wünschte er, daß derselbe nicht geboren wäre; auch die Herzogin war in tiefer Kümmernis um ihn, und eines Tages sagte sie zum Herzog: "Unser Sohn ist nun schon alt und tüchtig von Leibe; es deucht mir, das beste wäre, ihn zum Ritter zu schlagen; vielleicht daß er dann seine schlimmen Sitten ändert!" Damit war der Herzog zufrieden ; Robert aber war damals nicht mehr denn achtzehn Jahre alt. Eines Pfingsttages nun versammelte der Herzog die vornehmsten Barone und Edeln des Landes und berief seinen Sohn Robert vor diese Versammlung. Nachdem er sodann die Meinung der Anwesenden eingeholt, sprach er zu ihm: "Robert, mein Sohn, höre, was ich dir auf den Rat meiner guten Freunde hier sagen will. Ich bin entschlossen, dich zum Ritter zu schlagen, damit du hinfort Umgang mit edeln Männern pflegest; ritterlicher Tugenden dich befleißest und deine Sitten wandelst, die aller Welt mißfallen!" Darauf erwiderte Robert: "Mein Vater, Ihr möget tun, was Ihr wollet! Was mich betrifft, so ist es mir einerlei, ob ich hoch oder niedrig bin; ich bin entschlossen, fernerhin zu treiben, was ich mag, und ich will nicht besser tun, als ich bisher getan habe; mich kümmert



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es wenig, ein Ritter zu sein." Mit diesen Worten ging er von dannen , und weil es eben Pfingsten und die Kirche mit Gläubigen angefüllt war, so rannte er geradenweges dorthin wie ein Toller und warf alle, welche dieses Weges kamen, zu Boden. Am andern Morgen nach Pfingstentag ward er zum Ritter geschlagen. Darauf ließ der Herzog ein Turnier ausrufen, und diesem wohnte auch der Ritter Robert bei, der niemand fürchtete , weder Gott noch Teufel. Als nun das Spiel begonnen hatte; da sah man Ritter um Ritter zur Erde fallen; denn Robert der Teufel kämpfte
wie ein Löwe, schonte keinen und warf nieder, wer ihm in den Weg kam. Dem einen brach er die Arme, dem andern die Beine; einem dritten gar das Genick. Ja, keiner, der mit ihm zu turnieren hatte, kam ungezeichnet davon, und zehn Pferde ritt er bei diesem Spiele zu Tod. Als man dem Herzog die Kunde meldete, ward er sehr erbost; begab sich selbst in die Schranken und befahl bei großer Strafe, einzuhalten und nicht mehr zu rennen. Aber Robert, der wütend und wie von Sinnen war, wollte seinem Vater nicht gehorchen, fuhr fort, rechts und links Streiche auszuteilen, Rosse und Reiter niederzuschmettern, so daß er an diesem einzigen Tage drei der tapfersten Ritter des Landes tötete. Alle, die zugegen waren,



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riefen ihm zu, einzuhalten. Aber es war vergebens. Erst als ersah, daß in 'den Schranken kein Mensch mehr übrig war, und daß es hier keine Missetat mehr zu begehen gebe, spornte er sein Roß und ritt hinaus in das Land, Abenteuer aufzusuchen. Dort sammelte er allerlei Bösewichter um sich und hauste schlimmer als zuvor am Hofe; er raubte Frauen und Mädchen, die Männer brachte er um: so daß bald kein Mensch im gangen Normannenlande war, den er nicht mißhandelt hätte. Alle Kirchen leerte er aus, kein Kloster war, das er nicht plünderte und zerstörte. Dem Herzoge kam eine Botschaft um die andere zu von dem Leben, das Robert in der Nonnandie führe. Der eine sagte: "Euer Sohn hat mein Weib entehrt"; der andere: "Er hat meine Tochter geraubt"; ein dritter: "Er hat mein Gut gestohlen"; der vierte: "Er hat mich bis auf den Tod verwundet det." Da rottete sich das Volk zusammen und klagte dem Landesherren seine Not. Dem Herzog wurde bei solchen Nachrichten sein Herz in großer Bekümmernis sehr schwer; er meinte, die salzigen Tränen sollten seine Augen ganz trocken weinen, und betete unter Schluchzen: "Du weiser Gottl Ich habe so manches Mal zu dir gebetet, mir ein Kind zu schenken; nun habe ich einen Sohn, der tut meinem Herzen soviel Gram an, daß ich nicht weiß, was ich beginnen soll. Darum rufe ich zu dir, guter Gott, sende mir ein Heilmittel, das mich in meinen Schmerzen aufzurichten und meinen Sohn vom Verderben zu retten kräftig sei!"

Da war unter den Dienstmannen des Herzogs ein Ritter; als dieser sah, daß sein Herr in so tiefer Traurigkeit befangen war, so wagte er es, ihn folgendermaßen anzureden: "Mein hoher Gebieter, ich wollte Euch wohl raten, nach Eurem Sohne Robert auszuschicken und ihn wieder an den Hof zurückkommen zu lassen. Wenn Ihr ihm dann in Gegenwart Eurer Edeln und Freunde heilsame Vorwürfe über seinen Wandel gemacht, so befehlet ihm, von seinem verfluchten Leben abzulassen; will er aber nicht, so handelt mit ihm wie mit einem fremden Manne. Lasset ihn ins Gefängnis legen und übet an ihm die Gerechtigkeit, die ihm gebührt!" Der Herzog willigte hierein und dankte dem Ritter für seinen guten Rat. Er schickte ungesäumt Männer aus, welche seinen Sohn aufsuchen und, wo sie ihn fänden, mit sich führen sollten, um denselben vor seinen Vater zu bringen. Robert war gerade auf offenem Felde, als die Nachricht kam, daß das Volk sich zusammengetan und Klagen über ihn bei dem Herzoge geführt habe. Bald darauf kamen auch die Boten, die der Herzog an ihn ausgesendet hatte. Diese nahm Robert übel in Empfang; er stach ihnen die Augen aus und sprach dabei: "Jetzt werdet ihr um so ungestörter



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schlafen können, meine Herren! Geht und saget meinem Vater, daß ich euch, seinem Auftrage zum Trotz, geblendet babel" Darüber erschrak jedermänniglich. Die Geblendeten kehrten weinend zum Herzoge zurück und sagten ihm: "Herr! sehet, wie uns Euer Sohn Robert zugerichtet hat!" Der Herzog aber wurde sehr zornig hierüber und sann darauf, wie er der Bosheit seines Sohnes ein Ziel setzen möchte.

Er versammelte daher seinen geheimen Rat, und auf die Vorstellungen eines der weisesten Edelleute schickte er in Hast Boten in alle Städte und zu allen Baronen und befahl in seinem ganzen Herzogtume allen Amtleuten und Landrichtern, die möglichste Sorgfalt anzuwenden, daß sie seinen Sohn Robert in ihre Gewalt bekämen. Als Robert und seine Gesellen von dieser Bekanntmachung des Herzogs hörten, erschraken sie gewaltig; er selber knirschte als ein Verzweifelter mit den Zähnen und schwur einen grausigen Eid, daß er Krieg mit seinem Vater führen und das ganze Land verderben wolle. Sofort ließ sich Robert in einem dichten, dunkeln Forste ein festes Haus bauen, um hier seine Wohnung aufzuschlagen. Der Ort war unheimlich und entsetzlich, von starren Felsen umgeben, mehr für wilde Tiere als für Menschen zur Wohnung geeignet. Hier versammelte er die lasterhaftesten Gesellen um sich her, Diebe, Mörder, Straßenräuber und Kirchenschänder, was es Abscheuliches unter der Sonne gab. Der Hauptmann dieses Gesindels ward Robert selber, und nun verübten sie in diesem Holze die schändlichsten Taten; den Kaufleuten und allen, die des Weges kamen, schnitten sie die Gurgel ab, so daß niemand es wagte, auch nur auf die Straße hinauszugehen, aus Furcht vor Robert dem Teufel und seiner Bande. Denn sie waren wie die reißenden Wölfe. Und wenn sie in ihre Feste heimkamen, so ergaben sie sich wieder der Sünde und lebten herrlich und in Freuden; denn bei ihnen wurde das ganze Jahr kein Fasttag gehalten.

Einmal begab es sich, daß Robert, der nur darauf dachte, wie er Böses tun könnte, seine Feste verließ, sich in dem Walde zu ergehen. Da mußte es sich treffen, daß er mitten in dem Holze sieben Einsiedlern begegnete, frommen Leuten von heiligem Leben, welche sorglos ihres Weges gingen. Auf diese ritt er los und schlug unter sie mit seinem Schwerte. Obwohl es nun kühne und wackere Männer waren, die sich seiner wohl hätten erwehren mögen, so leisteten sie ihm doch keinen Widerstand, sondern duldeten aus Liebe zu Gott, was er mit ihnen anfangen wollte. Er aber brachte sie alle sieben um und sagte spottend: "Da habe ich ein schönes Vogelnest von Heiligen ausgenommen und habe ihnen allen 'Märtyrer



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kronen ausgesetzt!" Nach dieser abscheulichen Tat verließ erden Wald, schlüter als zuvor und wie ein Teufel aus der Hölle anzusehen. Alle seine Kleider waren mit Blut befleckt; ja, er sah greulicher aus als ein Fleischer, der von der Schlachtbank kommt. In solchem Aufzuge ritt er über die Felder: Rock, Hemde und Antlitz von Blute rot. Nachdem er weit und lange geritten, kam er in die Gegend des Schlosses Darques; denn er war einem Schäfer begegnet; der ihm erzählte, daß seine Mutter, die Herzogin selbigen Tages auf dieses Schloß zu Mittage kommen werde. Und ebendarum ritt er dorthin, von einem dunkeln Gefühle fortgezogen. Aber als er sich dem Schlosse näherte und das Volk seiner ansichtig wurde, lief alles vor ihm davon wie der Hase vor den Hunden. Die einen schlossen sich in ihre Häuser ein, die anderen flüchteten in die Kirche. Zum erstem mal bemerkte Robert, daß alles vor ihm floh, zum erstenmal begann er, an sich selber zu denken. Er seufzte in seinem Herzen und begann bitterlich zu weinen. "O allmächtiger Gott", sprach er, "wie mag das kommen , daß alle Welt vor mir flieht? Ich bin wohl ein unglückseliger und verkehrter Mensch; mir ist, als wäre ich ein Pestkranker oder ein Jude! Mein Leben muß wohl ein verfluchtes und hassenswürdiges sein; denn ich sehe wohl, daß ich von Gott und der Welt verlassen bin." In diesen Gedanken kam er unter bittern Schmerzen bis zum Tore des Schlosses und sprang von seinem Pferde herunter. Da war aber kein Mensch, der es gewagt hätte, ihm nahezukommen und sein Roß abzunehmen; daher mußte er selbst sich bequemen und es an der Pforte anbinden. So schlug er denn, das blutige Schwert noch in der Hand, seinen Weg nach der Halle ein, wo seine Mutter, die Herzogin, sich eben aufhielt.

Als die Herzogin ihren Sohn Robert, dessen große Grausamkeit ihr bekannt war, mit bloßem Schwerte herankommen sah, entsetzte sie sich und wollte entfliehen. Robert aber rief ihr von weitem zu: "Süße Mutter, fürchtet Euch nicht vor mir; um der Barmherzigkeit Gottes willen, stehet still; denn ich muß Euch sprechen." Dann näherte er sich ihr unterwürfig, senkte sein Schwert und sprach: "Frau Mutter, saget mir doch, ich bitte Euch darum, wie kommt es, daß ich so gottlos und so grausam bin? Denn von Euch oder von meinem Vater muß das doch herkommen. Deshalb bitte ich Euch, saget mir hierüber die Wahrheit!" Die Herzogin war erschrocken, ihren Sohn also sprechen zu hören. Sie weinte bitterlich, warf sich ihm zu Füßen und rief: "Mein Sohn, ich will und flehe, daß du mir auf der Stelle das Haupt abschlagest!" Das sagte die Herzogin aus großem Kummer, den sie über ihr Kind empfand, weil sie sich der Ursache



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seiner Bosheit gar wohl bewußt war. Robert jedoch erwiderte voll Traurigkeit: "Ach, meine Mutter, warum soll ich Euch umbringen? Habe ich nicht genug übels getan? Wenn ich aber dieses zu tun imstande wäre, so wäre ich noch viel schlimmer, als ich schon bin. Vielmehr bitte ich Euch nur, saget mir, was ich wissen willt" Als ihn die Herzogin so herzlich flehen hörte, da erzählte sie ihm Punkt für Punkt, wie alles gekommen sei, und wie sie ihn dem Teufel, noch ehe er gezuget worden, geweiht habe. Sie sagte es unter großer Neue und vieler Selbstanklage und schloß ihre Rede mit den Worten: "O mein Sohn, ich bin die unseligste von
allen Weibern; wenn du gottlos und verdammt hifi, so bin ich allein schuld daran!" Da fiel Robert von großem Herzweh, so lang er war, auf die Erde, und vermochte sich lange nicht zu erheben. Er weinte bitterlich, bejammerte sich selbst und sprach: "Die Teufel rütteln an meiner Seele und an meinem Leibe; aber von Stunde an will ich ihren höllischen Werken entsagen und aufhören, Übels zu tun." Dann sprach er zu seiner Mutter, die sehr bekümmert und schweren Herzens war: "Oh, du ehrwürdige Herrin und Mutter, ich bitte dich demütig, mich dem Herzoge, meinem Vater, zu empfehlen; denn ich will nach Rom pilgern und meine abscheulichen Verbrechen beichten. Nicht kann ich zur Ruhe kommen, ehe denn ich dort gewesen bin." So verließ Robert seine Mutter, bestieg sein



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Pferd in großer Hast und ritt seinem Walde wieder zu. Die Herzogin blieb ohne Trost und Hoffnung in ihrem Schlosse; während sie sich und ihren Sohn beklagte, kam der Herzog an; als sie ihn sah, brach sie in neue Tränen aus und meldete ihrem Gemahl getreulich, wie Robert gekommen sei, und was er ihr gesagt habe. Der Herzog fragte, ob Robert sich reumütig bewiesen über die vielen Frevel, die er begangen. "Ja", sagte sie ihm, "und er will zur Vergebung seiner Sünden nach Rom gehen!" "Ach", sprach der Herzog seufzend, "das ist alles vergebens; wie soll er den Schaden vergüten, den er dem Lande getan hat! Dennoch bitte ich den allmächtigen Gott, sein Vorhaben zu Ende zu führen. Denn ich glaube nicht, daß er jemals umkehren kann, wenn Gott nicht Erbarmen mit ihm trägt."

Robert war in seine Waldfeste zurückgekommen, wo er seine Schandgesellen über der Tafel traf. Als sie ihn ansichtig wurden, erhoben sie sich und bezeigten ihm ihre Ehrerbietung. Da begann Robert ihnen ive- gen ihres verkehrten Lebens Vorstellungen zu machen und sprach: "Meine Genossen, höret, was ich euch sagen willt Ihr wisset, daß das abscheuliche Leben, das wir bisher geführt haben, Leib und Seele verderblich ist; ihr wisset, wieviel wir Kirchen zerstört, Mönche und Nonnen bestohlen und umgebracht, Weiber und Mädchen entführt, Kaufleute geplündert, andere Menschen ohne Zahl beraubt und gemordet haben. Wir sind auf dem Wege zur ewigen Verdammnis, wenn wir nicht in uns gehen und Gott nicht Erbarmen mit uns hat. Deshalb flehe ich euch an, bekehret mit mir euren Sinn und entsagt euren abscheulichen Sünden! Was mich betrifft,



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so will ich nach Rom gehen, meine Missetaten bekennen, Buße tun und, so Gott, der Allmächtige, will, von ihm Verzeihung erlangen." — Kaum hatte Robert ausgesprochen, da erhob sich einer von den Dieben und sagte hohnlachend zu seinen Gesellen: "Gebt acht, ihr Herren, der Teufel will ein Einsiedler werden! Robert treibt seinen Spott mit uns; ist er doch unser Hauptmann und macht es ärger als wir andern alle." Robert aber rief: "Liebe Gesellen, ich bitte euch um Gottes willen, lasset von euren Torheiten und denket an das Heil eurer Seele!" Ein anderer Dieb antwortete: "Herr und Meister, denket nicht mehr daran; Ihr sprechet in den Wind! Weder ich noch meine Brüder werden uns auf Euer oder eines andern Wort bekehren; der Friede schmeckt uns nicht; er hindert uns am Übeltun, und daran sind wir einmal gewohnt!" Die ganze Gesellschaft lobte seine Worte, und alle schrien mit einer Stimme: "Er hat recht, und sollten wir sterben müssen! Sind wir bis hieher schlimm gewesen, so wollen wir in Zukunft noch viel schlimmer sein!"

Als Robert ihre schönen Vorsätze vernommen, sprach er weiter kein Wort mit ihnen. Er ging nach der Haustüre, schob den Riegel vor, ergriff dann einen Knotenstock und schlug einen der Diebe nach dem andern auf den Kopf; denn ihre Gegenwehr vermochte nichts gegen seine übermenschliche Kraft. Als er sie alle tot darniedergestreckt hatte, sprach er: "Ich habe euch nach eurem Verdienste belohnt, ihr Bursche; wie der Herr, so der Lohn!"Als Robert dies vollbracht, wollte er erst auch das Sündenhaus verbrennen; doch überlegte er, daß darin großes Gut wäre, das noch zu besseren Dingen dienen könnte. Deswegen ließ er es stehen, schloß nur die Türe wohl zu und nahm den Schlüssel mit sich.

Zum erstenmal in seinem Leben machte jetzt Robert das Zeichen des Kreuzes, ritt in den Wald hinaus und suchte den Weg nach Rom. Lange war er so fortgeritten, bis die Nacht hereinkam und der Hunger ihn gewaltig quälte. Da kam er zufällig vorüber an einer Abtei, der er viel wels getan hatte, und die er oft geplündert, obwohl der Abt sein Vetter war. Und jetzt ritt er in das Kloster hinein und sprach kein Wort. Die Mönche haßten Robert auf den Tod und fürchteten ihn wie den bösen Feind. Als sie ihn kommen sahen, rannten sie davon und riefen: "Robert kommt, den hat der Teufel hergebracht!" Solche Worte erneuerten Roberts Kummer. "Wohl muß ich mich selbst hassen", seufzte er, "da alle Welt mich haßt um meines verdammten Lebens willen!" Nun ritt er geradenweges an die Pforte, sprang vom Pferde und betete brünstig zu Gott. Sodann trat er vor den Abt und die Klosterbruder und sprach so



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freundlich und so erbarmenswert, daß, die ihn noch eben wie ein wildes Tier geflohen, heranzugehen und ihm ein williges Ohr zu leihen wagten. "Herr Abt", sagte er, "ich weiß, daß ich Euch und Eurem Hause viel Leid zugefügt habe. Ich bitte Euch demütig um Verzeihung, ich flehe Euch um Mitleid an." Und auf die Knie niedergeworfen, fuhr er weiter fort: "Empfehlet mich meinem Vater und gebet ihm diesen Schlüssel: er führt zu dem Hause, das ich mit meinen Räubern seither bewohnte; ich habe sie alle mit eigener Hand umgebracht, in diesem Hause sind alle Schätze, die ich geraubt. Der Herzog wolle sie, wo es möglich ist, den Eigentümern wieder zustellen." Diese Nacht blieb Robert in der Abtei: am andern Morgen früh brach er auf, nachdem er sein Roß und sein Schwert mit welchem er so viele Missetaten verübt hatte, den Mönchen zurückgelassen. Und jetzt ging er allein und zu Fuße, in Tiefsinn versunken, die Straße nach Rom.

Noch an demselbigen Tage ritt der Abt, gerührt und froh, zum Herzoge der Normandie, übergab ihm den Schlüssel und meldete Roberts Bußfahrt. Da gab der Herzog allen Leuten das geraubte Gut wieder, das sie früher verloren hatten; was übrigblieb, ward unter die Armen ausgeteilt .

Robert wanderte inzwischen lang über Berg und Hügel, mit großer Beschwerde und unter lauter Entbehrungen, bis er endlich am Kardonnerstag zu Rom eintraf. Es war dies gerade der rechte Tag, zu beichten und für das Heil seiner Seele zu sorgen. Denn der Heilige Vater selbst stand zu dieser Stunde mitten in der Peterskirche und hielt das Hochamt, als Robert die Kirchentüre öffnete und unter die Versammlung der Gläubigen eintrat. Er drängte sich, um zu dem Heiligen Vater hindurchzukommen. Als aber die Diener des Papstes dieses sahen, schlugen sie ihn und hießen ihn zurückweichen. Aber je mehr sie ihn schlugen, je mehr drückte er sich vorwärts; endlich gelangte er in die Nähe des Papstes, fiel ihm zu Füßen und rief mit lauter Stimme: "O Heiliger Vater, habt Mitleid mit mir!" und diese Worte wiederholte er zu mehreren Malen. Diejenigen, welche zunächst am Papste standen, ärgerten sich über den Lärm, den Robert machte, und wollten ihn vertreiben. Da er aber so unbeweglich dalag und der Papst seines heißen Verlangens inneward, erbarmte ihn seiner, und er sagte zu dem Volke: "Lasset ihn machen; denn soviel ich erkennen kann, hat er wahre Demut!" Hierauf gebot der Papst Stille, und Robert sprach zu ihm: "Heiliger Vater, ich bin der größte Sünder von der Welt." Der Papst ergriff Roberts Hand und sagte: "Mein Freund, was begehrst du,



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und was schreiest du so laut?" "O Heiliger Vater", erwiderte Robert, "ich bitte Euch, lasset mich beichten; denn wenn Ihr mich von den großen Sünden, die ich begangen habe, nicht lossprechet, so bin ich auf ewig verdammt , und ich fürchte gar sehr, daß mich der Teufel mit Leib und Seele davonführe um der ungeheuren Verbrechen willen, mit denen ich beladen bin. Und da Ihr derjenige seid; der denen Trost und Hilfe zu bringen berufen ist, die dessen bedürfen: so bitte ich Euch um Gottes willen, höret mich und reiniget mich von allen meinen Sünden!" Als der Papst dieses hörte, da ahnete er im Geiste, daß es Robert der Teufel sei, und fragte ihn: "Sohn, bist du vielleicht der Robert, von dem ich so viel habe sprechen hören, und den man für den schlimmsten hält; der auf der Erde wandelt?"

Da antwortete Robert und sagte: "Ja, ich bin's!" Der Papst erwiderte: "Du sollst Absolution haben; aber ich beschwöre dich beim allmächtigen Gott, daß du niemanden Leides zufügst!" Denn der Papst und alle Umstehenden waren entsetzt, als sie so unerwartet Robert den Teufel vor sich stehen sahen. Dieser aber fiel auf die Knie vor dem Papst, bezeigte sich voll Demut und Reue über seine Sünden und sprach: "Heiliger Vater! Da sei Gott vor; daß ich jemanden Leides tue; ich habe des Bösen nur zuviel getan. Solange ich lebe, will ich kein christliches Geschöpf mehr verletzen!" Da nahm der Papst ihn beiseite, und Robert beichtete ihm reuevoll und erzählte; wie ihn, ehe denn er ward, seine Mutter dem Teufel übergeben habe. Als der Papst ihn so reden hörte, erschrak er heftig, bekreuzte sich und sagte zu Robert: "Mein Freund; gehe hin nach Montalto, drei Meilen von dieser Stadt. Dort wirst du einen Einsiedler finden, der mein eigener Beichtiger ist. Ihm sollst du sagen, daß ich dich schicke, und sollst ihm alle deine Sünden bekennen; er wird dir die Buße auferlegen, die du verdient hast; der, den ich dir nenne, ist ein heiliger Mann; ich bin gewiß, daß er dir Absolution erteilen wird." Da erwiderte Robert: "Ja, ich will recht gerne gehen; gebe nur Gott mir Gnade, daß es zum Heil meiner Seele gedeihe!" Und somit nahm er Abschied vom Papste. Diesen Tag blieb Robert in Rom; am andern Morgen frühe verließ er die Stadt und ging über Tal und Hügel mit großer Begierde, seiner Sünden loszuwerden, dem Orte zu, wo der Eremit wohnte. Als er endlich vor ihn kam, erzählte er dem Einsiedler, wie der Papst ihn sende, damit er ihm beichten solle. Der Eremit hieß ihn herzlich willkommen. Als sie eine Weile beieinander gesessen, begann Robert zu beichten und erzählte , wie seine Mutter ihn im Zorn dem Teufel gelobt; und wie dieses zum schweren Unheil ausgeschlagen, —wie er von Jugend auf alle Kinder



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gequält, seinen Lehrmeister erstochen; erwachsen, viele Ritter im Turnier erschlagen; in seines Vaters Lande hin und her geraubt, gestohlen und auf alle Weise gefrevelt habe; wie er seines Vaters Dienern die Augen ausgestochen und sieben Eremiten umgebracht. Kurz, er erzählte ihm alle Missetaten, die er jemals begangen, von der Stunde seiner Geburt an bis auf die jetzige Zeit. Wohl entsetzte sich der Einsiedler über alles dieses; zugleich aber freute es ihn inniglich, daß Robert mit solcher Zerknirschung seine Sünden bekannte. Er lud ihn daher freundlich ein, diese Nacht bei ihm zu bleiben, und versprach, am andern Morgen die feierliche Beichte mit ihm vorzunehmen und ihm über alles, was er zu tun hätte, guten Rat zu erteilen. Robert, der bisher der gottloseste und lasterhafteste, grausamste und schrecklichste Mensch gewesen war, zeigte sich jetzt so sanft und fromm, so liebreich in Worten und in Taten wie nur je der feinste Fürst auf der Welt. Und doch war er von den großen Mühseligkeiten seiner langen Wanderung so müde, daß er nicht essen und nicht trinken mochte. Daher zog er sich bald zurück und betete zu dem allmächtigen Gott, daß er ihm durch seine Gnade den Sieg über den höllischen Feind verschaffen möchte, der bei ihm seine Wohnung aufgeschlagen. Als es Nacht geworden, bereitete der Eremit ein Lager für Robert in einer kleinen Kapelle, die neben seiner Zelle stand; er selbst betete die gange Nacht zu Gott für den Armen, bis er endlich unter solchen Gebeten einschlief. Da erschien dem Einsiedler im Traum ein Engel des Herrn und sprach: "Mann Gottes, höre auf die Botschaft, die ich dir überbringe. Wenn dieser Robert Verzeihung seiner Sünden erhalten will, so muß er den Narren und den Stummen nachahmen, darf keine andere Speise zu sich nehmen, als die er den Hunden abjagen kann, und soll so lange in diesem Leben verharren, bis es Gott gefällt, ihm zu offenbaren, daß seine Sünden vergeben sind." Ganz erschrocken wachte der Eremit aus diesem Traume auf und fing an, über denselben nachzudenken. Als er sich lange darüber besonnen dankte er in seinem Gebete Gott für diese Botschaft; denn, als der Tag anbrach, fühlte er sich bewegt von Liebe zu Robert; er rief ihn herbei und sagte zu ihm die tröstenden Worte: "Mein Sohn, komm her zur Beichtet" Mit großer Demut kam Robert und wiederholte das Bekenntnis seiner Sünden. Als er die Beichte vollendet, sagte der Eremit zu ihm: "Ich weiß jetzt, welche Buße dir auferlegt ist, mein Freund l Du sollst dich als einen Narren und einen Stummen gebärden, keine Speise essen als von den Hunden, und bei den Hunden liegen; alles, solang es Gott gefallen wird. Solches hat mir der Herr diese Nacht durch einen Engel



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verkündet; diese Buße soll währen, bis es Gott gefällt, dir die Vergebung deiner Sünden anzukündigen." Als Robert dieses hörte, ward er ganz vergnügt und froh; er dankte Gott, daß ihm so gnädige Buße auferlegt werden sollte, verabschiedete sich von dem Eremiten und ging hin, die schwere Probe zu bestehen, die ihn erwartete, und die ihm nur klein schien, weil seine Untaten so übergroß waren. Und nun war durch Gottes Wunder der lasterhafte, wütende, unbiegsame Sünder zahm wie ein Lamm und frommer Gesinnungen voll geworden.

Kaum hatte er die Stadt Rom wieder betreten, so fing er an, dem Befehl des Einsiedlers gemäß sich wie ein Narr zu stellen; ersprang und rannte durch die Straßen und tat, wie ein Verrückter zu tun pflegt. Die Kinder waren bald zischend und schreiend hinter ihm her und warfen ihn mit Kot und allem, was sie auf der Straße auflesen konnten. Auch die Bürger in der Stadt legten sich bei diesem Schauspiele in die Fenster, spotteten und lachten über ihn. Als er so einige Tage lang in der Stadt Rom herumgelaufen war, geschah es, daß er an dem Palaste des römischen Kaisers vorbeiging, und da er sah, daß die Türe offenstand, so ging er geradenwegs auf die Halle zu; dabei sprang er von der einen Seite zur andern, ging bald langsam, bald schnell, und blieb nie lang auf demselben Flecke. Als nun der Kaiser im Saale seiner ansichtig ward, wie er sich gebärdete, da sprach er: "Sehet ihr dort den hübschen jungen Mann, er sieht aus wie ein Ritter; aber, wie es scheint, ist er närrisch! Es ist schade um ihn; heißt ihn sitzen und gebt ihm zu essen und zu trinken!" Des Kaisers Junker rief Robert herbei, der aber antwortete kein Wort, und als man ihn nötigte, sich an einen Tisch zu setzen, so wollte er nichts genießen, obgleich ihm Wein, Brot und Fleisch dargereicht ward, so daß sich alles an der Tafel verwunderte. Während nun der Kaiser speiste, warf er einem Hunde, der unter dem Tische lag, einen Knochen zu. Kaum hatte Robert dies gesehen, so sprang er von dem Tische auf und verfolgte den Hund, um ihm das Bein wegzunehmen; der Hund aber wollte seinen Raub nicht fahren lassen, und so zerrten sie daran, jeder von seiner Seite: Robert, auf die Erde niedergekauert, nagte an einem Ende des Knochens, der Hund am andern. Der Kaiser und alle, die es sahen, lachten laut auf. Zuletzt bekam Robert die Oberhand und behielt den Knochen allein für sich, legte sich hin und zernagte ihn; denn sein Hunger war groß, da er sich lange keine Speise gegönnt hatte. Als der Kaiser ihn so hungrig sah, warf er einem andern Hund einen ganzen Brotlaib hin; auch diesen nahm Robert weg, brach ihn in zwei Teile und gab der Dogge redlich die Hälfte.



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Es entstand ein neues Gelächter, und der Kaiser sprach zu seinen Leuten: "Das ist der lustigste Narr, den ich jemals gesehen habe; nimmt er doch den Hunden ihr Brot, um es zu essen; und wenn er an der Tafel sitzt, so hungert er; daraus kann man erkennen, daß es ein recht natürlicher Narr ist!" Nun gaben die Diener des Kaisers, die in der Halle waren, den Hunden im Überfluß zu fressen, damit Robert seinen Magen anfüllen möchte und sie ihre Freude an ihm haben könnten. Endlich stand dieser vom Boden auf und fing an, im Saale herumzulaufen, seinen Stecken in der Hand, mit dem er Hunde, Mauern, Stühle und Bänke schlug, ganz als wäre er nicht bei Sinnen. Auf diesem Gange fand er eine Pforte
offen, die in einen lieblichen Garten führte; dort sprudelte ein schöner Springbrunnen. Robert legte sich über den Rand, und, weil er sehr durstig war, trank er sein gutes Teil. Darauf, als die Nacht herankam, ging er den erwähnten Hunden nach, wohin sie laufen mochten; und weil diese gewohnt waren, die Nacht über unter einer Treppe und in einem Stalle zu liegen, so folgte ihnen Robert auch dorthin und legte sich zu ihnen nieder Der Kaiser erfuhr dies und empfand großes Mitleiden mit Robert; er befahl daher, ihm ein Bett zu bringen, damit er sich darauf schlafen legen könnte. Aber Robert wollte es nicht, er machte den Dienern, die es brachten, ein Zeichen, daß er lieber auf hartem Boden schlafen wollte als im weichen Bette, Der Kaiser wunderte sich nicht wenig, als er die Diener



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das Bett wiederbringen sah, und hieß sie wenigstens Stroh in den Hundestall tragen. Auf dieses warf sich endlich der Müde und Erschöpfte nieder und schlief allmählich ein.

So hatte Robert, der gewohnt war, als ein Herzogssohn auf einem guten Bette in einem herrlich ausgeschmückten Gemache zu schlafen und von den köstlichsten Gerichten speisen, freiwillig alle Herrlichkeit verlassen , ass mit den Hunden unter dem Tisch, schlief bei den Hunden im Stall, alles in williger Demut; um seine Seele zu retten. In solcher Buße lebte er sieben Jahre; der Hund, mit dem er gewöhnlich schlief; hatte bald gemerkt, daß er es besser habe als die andern und um Roberts willen mehr zu fressen bekomme: deshalb faßte er allmählich eine solche Liebe zu Robert; daß er sich eher hätte töten als von diesem seinem Schlafgesellen wegtreiben lassen. der Zeit; daß Robert seine Buße zu Rom tat; wuchs dem Kaiser eine schöne Tochter heran, die war stumm. Des Kaisers Seneschall, ein gewaltiger Mann, hatte sie von seinem Herrn schon mehrere Male zur Gemahlin begehrt ; der Kaiser aber, der von seiner Hoheit nichts vergeben wollte, erklärte, daß er darein nicht willigen könne. Darüber ergrimmte der Seneschall und dachte darauf; wie er den Kaiser seines Thrones und Reiches mit Gewalt berauben könnte. Er verließ den Hof; begab sich zu den Sarazenen und sammelte ein großes heer von Ungläubigen; mit diesen landete er in Italien und rückte gegen die Stadt Rom an. Ehe der Kaiser eine Macht gegen diesen unerwarteten Feind zusammenbringen gen konnte, und bevor er sich von seinem Staunen erholt hatte, stand der Seneschall mit seinem ganzen Heere vor der Stadt und hub an, sie zu belagern. Jetzt berief der Kaiser seinen Adel, alle Barone und Ritter und hielt eine bewegliche Anrede an sie. "Edle Herren", sprach er, "gebt mir guten Rat, wie wir den Heidenhunden, die .unsere Stadt belagert



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halten, widerstehen mögen. Wenn uns Gottes endlose Gnade nicht Hilfe sendet, so werden sie, die das Land ringsumher unterdrücken, auch uns selbst in Verwirrung bringen. Deshalb bitte ich einen jeden von euch, rüstet euch mit aller Kraft, sie zu bekämpfen und sie fortzutreiben. Vor allem aber trachtet, daß wir den verräterischen Seneschall in unsere Gewalt bekommen, auf daß er seinen Lohn davontrage." Da antworteten alle Ritter und Herren einstimmig: "Gebieter, Euer Rat ist gut; wir alle sind bereit, mit Euch zu gehen und Eure wie unsere Rechte zu verteidigen. Sie sollen mit Gottes Hilfe alle sterben und die Stunde ihrer Geburt verfluchen." Der Kaiser dankte ihnen und ward fröhlichen Mutes. Er ließ durch die ganze Stadt Rom ausrufen, daß jedermann, alt oder jung, wer da fähig wäre, die Waffen zu tragen, sich bereit halten sollte, gegen die grausamen Feinde zu fechten. Auf diesen Aufruf rüstete sich alles, die Heimat zu verteidigen. Man sammelte sich um den Kaiser, und er selbst stellte sich an die Spitze des Heeres. Aber obschon die Streitkräfte des Kaisers groß waren, und größer als die des Seneschalls, so wären sie seiner Gewalt und Kriegskunst doch unterlegen, wenn Gott den Römern nicht auf eine wunderbare Weise zu Hilfe gekommen wäre.

Denn an demselben Tage, da der Kaiser gegen die Sarazenen zu streiten ging, geschah es, daß Robert der Teufel an den Springquell ging in des Kaisers Garten, wie dies seine Gewohnheit war. Da hörte ereine Stimme vom Himmel, welche sagte: "Robert eile dich! Gott befiehlt dir auf der Stelle, daß du dich mit den weißen Waffen, die ich hier an deine Seite lege, waffnest und dieses Roß, das ich dir zuführe, besteigeft und ohne Aufschub dem Kaiser zu Hilfe fliegest!" Robert erschrak im Geiste sehr, aber er wagte kein Wort zu erwidern. Waffen und Roß fand er neben sich; so waffnete er sich in Eile mit dem weißen Harnisch, den der unsichtbare Engel gebracht hatte, und bestieg das Roß.

Oben aber im Palaste am Fenster stand die schöne stumme Tochter des Kaisers und blickte gerade herab auf den Garten und den Brunnquell; da sah sie, wie Robert sich umkleidete und waffnete. Hätte sie sprechen können, sie würde es wohl auf der Stelle erzählt haben; so war sie stumm und mußte in sich verschließen, was sie gesehen hatte: doch merkte sie sich alles wohl und hielt es fest in ihrem Herzen.

Robert, gerüstet und zu Rosse, ritt zu des Kaisers Lager. Dieses war von den Sarazenen so sehr bedrängt, daß, hätten nicht Gott und Robert ihnen geholfen, der Kaiser mit allen seinen Leuten zugrunde gegangen wäre. Als aber Robert zu dem Heere gekommen war, warf er sich in das



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dichteste Schlachtgedränge der Sarazenen und focht und schlug rechts und links auf die verruchten Heiden los. Da hättet ihr sehen sollen, wie Arme, Beine, Köpfe wegflogen und zu Boden fielen, wie Männer stürzten und nicht wieder aufstanden. Kein Schlag, der einem Sarazenen galt; war verloren . Auf diese Weise flößte der kühne Ritter auch dem Heere des Kaisers wieder Mut ein, so daß es den Sieg behauptete und das Feld behielt.

Robert eilte inzwischen, auf seinem Rosse fliegend, in voller Rüstung nach dem Garten des Kaisers zu seiner Springquelle zurück. Hier stieg er von dem Rosse, das sogleich verschwand, löste seinen Harnisch und seine übrigen Waffen und fand seine alten Kleider, wie er sie verlassen hatte, so daß er bald wieder in seiner Narrentracht vor dem Springbrunnen stand. Alles das sah des Kaisers Tochter von ihrem Fenster an, und verwunderte



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sich sehr darüber; gerne hätte sie gesprochen, wenn ihr die Zunge gelöst gewesen wäre. Robert hatte von dem Kampfe nur eine Schmarre im Gesicht sonst war er unbeschädigt.

Mittlerweile war auch der Kaiser zurückgekehrt, hoch erfreut über seinen Sieg, für welchen er dem Himmel inbrünstig dankte. Als die Stunde des Abendmahles gekommen war, stellte sich auch Robert dem Kaiser vor, wie er zu tun gewohnt war, und machte seine alten Narrenstreiche, indem er sich, wie seitdem immer, stumm und wahnwitzig stellte. Der Kaiser freute sich, als er seinen Narren sah; denn er mochte ihn wohl leiden. Als er aber die Schmarre in seinem Gesichte wahrnahm, wunderte er sich, dachte jedoch, daß einer seiner Diener ihn verwundet haben werde, was ihm sehr leid tat. "Es gibt doch neidische Leute an diesem Hof", sagte er, "haben sie nicht, während wir in der Schlacht waren, diesen unschuldigen Menschen da geschlagen! Es ist wahr, er ist ein Narr; aber er fügt doch keinem Menschen Übels zu!" Und nun verbot der Kaiser, daß hinfort jemand Hand an Robert lege. Bald aber vergaß er den Narren und fing an, mit großem Eifer seine Ritter darüber zu befragen, ob einer von ihnen sagen könnte, wer der Fremde auf dem weißen Rosse gewesen, der so heimlich in das Lager gekommen sei, ohne den sie verloren gewesen wären. "Ich weiß nicht, wer er ist", sagte der Kaiser "aber ich weiß, daß es einer der kühnsten und edelsten Ritter war, die ich je gesehen habe, und daß ich keinen kenne, der gleiche Tapferkeit bewiesen." Die Tochter des Kaisers war zugegen, als er diese Worte sprach. Sie näherte sich ihrem Vater und wollte ihm durch Zeichen zu verstehen geben, daß Robert esset, mit dessen Hilfe sie die Schlacht gewonnen hätten. Der Kaiser verstand jedoch nicht, was seine stumme Tochter ihm anzeigen wollte. Er ließ die Frau rufen, die sie auferzogen hatte, um zu erfahren, was sie sagte. Diese, die alles Gebärdenspiel der Jungfrau gar wohl verstand, legte es dem Kaiser aus und erklärte ihm, daß sein Kind sagen wolle, der Narr da habe alles ausgerichtet, und ohne ihn wäre das Heer des Kaisers besiegt worden . Der Kaiser mußte über das lachen, was die Frau sagte, und sprach zu ihr, sie sei keine kleinere Närrin als der Narr selber. Dann aber wurde er ärgerlich und sprach: "Anstatt meine Tochter zu unterrichten, verderbet Ihr siel Ihr ziehet sie in Torheit und Unverstand auf. Wenn Ihr es nicht besser machet, soll es Euch gereuen!" Als die Tochter des Kaisers dieses hörte, machte sie keine Zeichen mehr, obwohl sie wußte, daß alles wahr sei, was sie sagen wollte; sondern sie ging betrübt von dannen.



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Bald nachher zog der Seneschall, der ein zweites Sarazenenheer aufgerafft hatte, von neuem heran und lagerte sich abermals vor der Stadt Rom; und wiederum hätten die Römer das Feld geräumt, wenn nicht der weiße Ritter auf des Engels Befehl im Harnisch und auf dem weißen Rosse herbeigeritten wäre und die Heiden hilfreich bekriegt hätte. Auch diesmal vollbrachte er der Wunder soviel, daß die Sarazenen in die Flucht geschlagen wurden und des Kaisers Heer den Sieg behielt. Als aber das Treffen zu Ende war, da wußte niemand, wohin der weiße Ritter gekommen sei. Denn obwohl der Kaiser Leute genug abgeschickt hatte, welche auf ihn harrten, so war er doch unversehens verschwunden, und niemand außer der stummen Kaiserstochter hätte sagen können, wo er sich verborgen.



***
Kurze Zeit darauf kehrte der Seneschall mit noch viel größerer Macht zurück als zuvor und belagerte Rom zum dritten Male. Bevor nun der Kaiser zu kämpfen auszog, befahl er allen seinen Edeln, wenn der Ritter auf dem weißen Rosse wiederkäme, sollten sie suchen, ihn zu sahen, wo sie seiner ansichtig würden. Die Ritter versprachen, es zu tun, und als der Tag der Schlacht gekommen war, ritten einige der Tapfersten heimlich in einen nahe gelegenen Wald und warteten hier, welchen Weg der weiße Ritter zur Schlacht kommen würde. Aber es war vergebens. Ehe sich's einer der Ritter versah, befand sich Robert mitten in der Schlacht: sie stürzten ihm nach und teilten mit ihm Streiche aus, rechts und links, er selbst aber die gewaltigsten, so daß kein Feind standhalten konnte und die Sarazenen schimpflicher flohen als beidemal zuvor.

Als nun die Schlacht vorbei war und ein jeder sich freudig nach Hause begab, wollte sich auch Robert zu seinem Springquelle zurückwenden, um dort, wie bisher, seine Waffen auszuziehen. Aber die genannten Ritter waren wieder in den Wald zurückgekehrt und warteten dort auf ihn. Als sie ihn nun nach Hause reiten sahen, sprengten sie alle zusammen aus dem Walde hervor und riefen ihn mit lauter Stimme an: "Edler Ritter! Sprich mit uns und sage uns, wer du bist und von welchem Volke; denn wir wollen es unserm Kaiser melden, der sehr begierig ist, es zu wissen!" Als Robert dieses hörte, wurde er sehr beschämt; er gab seinem weißen Rosse die Sporen und flog über Berg und Tal; denn er wußte, daß er ein Büßender war, und wollte nicht erkannt sein. Einer der Verwegensten aber setzte ihm auf einem guten Pferde nach; dieser warf seinen Speer nach ihm, nicht um ihn selbst zu töten, sondern er hoffte, das weiße Roß



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zu treffen; doch verfehlte er das Tier, dagegen wurde Robert selbst von dem Speer getroffen; die Lanzenspitze brach jedoch ab und blieb im Schenkel stecken, und Robert ritt, seine Verwundung nicht achtend, davon. So erfuhr der Ritter nicht, wer er war, und brachte nur den abgebrochenen Speer zu seinen Genossen zurück, worüber alle sehr betrübt waren. Robert eilte indessen, zu dem Brunnen zu gelangen; dort stieg er wieder vom Rosse und legte seine Waffen ab, und beides verschwand sofort; er aber zog die Lanzenspitze aus seinem Schenkel und verbarg sie zwischen zwei großen Steinen am Springbrunnen. Der arme Robert wußte nicht, wo und von wem er sich verbinden lassen sollte; er sah sich genötiget, Gras und Moos zu nehmen und es aufzulegen; dann zerriß er das Futter seines Kleides und verband damit die Wunde. Und wieder stand die Tochter des Kaisers an ihrem Fenster, sah alles und merkte es sich wohl, und da Robert ein so gar edler und würdiger Ritter war, so fing sie an, ihn mit zärtlicher Neigung zu betrachten.

Als Robert seine Wunde verbunden hatte, ging er nach des Kaisers Halle, um sich etwas zu essen zu holen; aber er hinkte von der Wunde, die er durch den Ritter erhalten hatte; doch zwang er sich, so gut er konnte. Kurze Zeit darauf kam der Ritter, der ihn verwundet hatte, und erzählte dem Kaiser, wie der Fremde auf dem weißen Rosse ihm entgangen sei, und wie er ihn wider Willen verwundet habe. "Das beste ist, Herr Kaiser", sprach er, "Ihr lasset durch Euer ganzes Reich öffentlich verkünden, wo es einen Ritter mit weißem Roß und Harnisch gebe, der soll zu Euch gebracht werden und die Lanzenspitze, mit der er in die Seite verwundet worden ist, mit sich bringen und seine Wunde vonveisen. Dann wollet ihr ihm Eure Tochter zur Frau und das halbe Reich zur Mitgift geben." Der Kaiser war über diesen Rat sehr froh; er ließ ihn ohne Verweilen bekanntmachen, ganz so, wie der Ritter vorgeschlagen hatte.

Dieser öffentliche Aufruf drang auch zu den Ohren des Seneschalls, der immer noch von einer heftigen Liebe zu des Kaisers Tochter entflammt war, Tag und Nacht nicht schlafen konnte und immer nur darauf dachte, wie er sich an dem Kaiser rächen und die Jungfrau gewinnen möchte. Sowie er nun von den Anerbietungen des Kaisers Kunde erhielt, sann er auf eine große List und hoffte sicher, dadurch zu seinem Ziele zu gelangen. Er ließ nach einem weißen Roß, weißer Lanze und weißem Harnisch suchen, dann nahm er eine abgebrochene Lanzenspitze und stieß sie sich in den Schenkel; dadurch hoffte er den Kaiser zu täuschen und seine Tochter zum Weibe zu bekommen. Als dies geschehen war, hieß er seine nächsten Leute



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sich waffnen und reisete mit ihnen, so schnell er konnte, bis er mit großer Fürstenpracht und herrlichem Gefolge zu Rom anlangte. Hier begab er sich ohne einiges Zögern zum Kaiser und sprach so zu ihm: "Mein Gebieter, ich bin derjenige, der Euch dreimal so tapfer beigestanden ist, der aus Liebe zu Euch soviel Feinde niedergehauen hat. Dreimal war ich Ursache, daß Ihr über die verfluchten Sarazenen den Sieg davongetragen habt!" Der Kaiser, der an keinen Betrug noch Verrat dachte und seinen alten Diener und Feind, der seine Gestalt wohl zu verstellen gewußt hatte, nicht wiedererkannte, sprach gnädig zu ihm: "Ihr seid fürwahr ein tapferer Ritter l Doch habe ich Mühe zu glauben, was Ihr saget!" Da erwiderte der Seneschall: "Herr, ich habe mehr Mut, als Ihr glaubet; und um Euch zu beweisen, daß es wahr ist; was ich sage: so sehet hier die Lanzenspitze, die ich aufgefangen habe." Damit entblößte er die Stelle, wo er sich selbst die Wunde beigebracht hatte. Aber der Ritter, von dem Robert verwundet worden, war auch zugegen und fing an, nachdenklich zu werden, und als er die Lanzenspitze näher ins Auge gefaßt hatte, da mußte er lächeln; denn er sah wohl, daß es nicht die Spitze seines Speers war. Doch um nicht in Streit zu geraten, wollte er das Gegenteil jetzt nicht behaupten, sondern eine günstigere Gelegenheit abwarten.



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Und nun war es seit, daß der gnädige Gott Robert von seiner schweren Buße befreite. Dieser lag im Hundestall schwer verwundet, und da er keinen Arzt hatte, der ihm beispringen konnte, so ließ er sich seine Wunde von jener Dogge lecken, die ihn so liebhatte. Dennoch dachte er so wenig an sich, als ein armes Tier an sich denkt; er betete nur zu Gott; Mitleid mit seiner Seele zu haben. Um dieselbe Zeit lag der fromme Einsiedler, der Robert in die Beichte genommen hatte, in einer Nacht auf seinem Lager in der Zelle und schlief. Da kam im Schlaf der Engel Gottes zu ihm und forderte ihn auf, sich sogleich zu erheben und nach Rom zu pilgern. Zugleich erzählte er dem Eremiten alles, was Robert vollbracht hatte, erklärte auch, daß seine Buße vollendet und alle seine Sünde ihm vergeben sei. Darüber war der Eremit sehr fröhlich, stand am frühen Morgen auf und wanderte hin auf der Straße nach Rom.

An demselben Morgen in aller Frühe stand zu Rom auch der Seneschall auf und trat abermals vor den Kaiser, ihn seiner öffentlichen Bekanntmachung gemäß um die Hand seiner Tochter zu bitten, was ihm der Kaiser nach der Probe, die er von ihm erhalten zu haben wähnte, ohne lange Überlegung bewilligte. Als nun des Kaisers Tochter vernahm, daß



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sie dem Seneschall gegeben werden sollte, da geriet sie, die den Feind wohl erkannt hatte und seinen ganzen Betrug durchschaute, außer sich, zerriß ihre Kleider und raufte sich die Haare aus. Aber weil die Stimme ihr fehlte, so war dies alles vergebens. Sie ward gezwungen, sich wie eine Braut zu schmücken, und der Kaiser selbst führte sie an der Hand in die Kirche, in kaiserlicher Pracht; begleitet von Grafen, Rittern und Edelfrauen. Die Tochter aber war im Innersten betrübt, und niemand vermochte, ihr Gemüt zu besänftigen.

Der Kaiser mit seinem ganzen Hofstaate war in der Kirche angekommen, und die stumme Tochter sollte dem Seneschall angetraut werden. Da geschah ein großes Wunder vom Himmel, um den frommen Robert zu verherrlichen, welcher der Teufel hieß, und an den niemand mehr dachte. Denn als der Priester das Hochamt zu halten anfing und die Trauung nun eben vollziehen wollte, da riß der Jungfrau das Band ihrer Zunge, und sie hub an, also zu ihrem Vater, dem Kaiser, zu sprechen: "Vater, seid Ihr von allen Sinnen, daß Ihr glaubet, was dieser hochmütige , törichte Verräter Euch vorerzählt hat? Alles, was er sagte, ist Lüge. Vielmehr lebt hier in dieser Stadt ein heiliger und frommer Mann, dem ich und wir alle unser Leben verdanken, dessen seltene Tugenden ich schon lange kenne; aber niemand wollte meinen Zeichen glauben!" Da war der Kaiser hocherfreut über das, was er hörte und sah; es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, daß er seinen Feind, den Seneschall, erkannte. Dieser ward grimmig und voller Scham, floh aus der Kirche, schwang sich auf sein Roß und ritt mit seiner ganzen Begleitung davon. Der Papst aber, der zugegen war, fragte die Jungfrau, wer der Mann wäre, von welchem sie gesprochen hätte. Das Mägdlein aber sprach kein Wort, sondern sie nahm den Kaiser, ihren Vater, und den Papst, jeden an einer Hand, und führte sie nach dem Garten und dem Springbrunnen, wo Robert seine Engelswaffen jedesmal genommen und abgelegt hatte. Hier zog sie die Lanzenspitze zwischen den beiden Steinen hervor, unter denen Robert sie verborgen hatte. Und der Ritter, von dem Robert verwundet worden war, hatte sie aus der Ferne begleitet; der trat jetzt auch hervor mit seinem abgebrochenen Speere; da fügten sich Schaft und Spitze aneinander, als wenn sie nie entzwei gewesen wären. Dann sagte das Mägdlein zu dem Papste: "Dreimal haben wir durch die Tapferkeit des edeln Ritters gegen die Ungläubigen den Sieg errungen, dreimal habe ich sein Pferd und seinen Harnisch gesehen, die er dreimal wieder von sich getan hat. Aber wohin sie gekommen sind, vermag ich Euch nicht zu sagen.



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Das aber weiß ich, daß der Ritter selbst, nachdem er dieses getan, jedesmal hinging, sich zu den Hunden zu legen, wo seine Stätte war." Und zu ihrem Vater sprach sie: "Er ist es, der Euch Ehre und Land gerettet hat; an Euch ist es, ihn zu belohnen. Lasset uns zu ihm gehen und die Wahrheit aus seinem Munde vernehmen!"

Da begaben sie sich alle nach dem Winkel, wo Robert bei den Hunden lag, der Kaiser und der Papst; die Tochter und alle Ritter und Frauen, und fingen an, ihm große Ehrerbietung zu erweisen. Aber Robert antwortete ihnen nicht. Da sprach endlich der Kaiser zu ihm: "Ich bitte dich, komm hieher, mein Freund, und zeige mir deinen Schenkel! Denn ich muß ihn notwendig sehen." Jetzt merkte Robert wohl, warum er dies zu ihm sagte; er stellte sich aber, als wenn er ihn nicht verstanden hätte, nahm einen Strohhalm und zerbrach ihn mit den Händen und spielte damit; auch viele andere alberne Streiche machte er, um den Kaiser und den Papst lachen und glauben zu machen, sie sprechen mit einem Narren. Dann wandte sich der Papst zu Robert und sagte zu ihm: "Ich befehle dir im Namen Gottes und der Erlösung am Kreuze, daß du mit uns sprechen sollst!" Aber Robert, der sich seiner Buße noch nicht entbunden glaubte, sprang auf wie ein Narr und gab, als wäre er selbst der Papst, dem Papste mit lächerlichen Gebärden den Segen. Dann sah er hinter sich; siehe, da erblickte er den Eremiten, der ihm die Buße aufgelegt hatte. Sobald dieser seines Beichtkindes ansichtig geworden, das er so lange gesucht hatte, so rief er ihm mit lauter Stimme zu, daß es jedermann, der dabei war, vernehmen mochte: "Höre, mein Freund, ich weiß recht gut, daß du Robert bist, den die Menschen den Teufel nennen; von Stunde an aber sollst du ein Mann Gottes heißen: denn du bist's, der dieses Land von den Sarazenen errettet hat. Diene und ehre Gott, wie du bisher getan hast; dein und mein Herr schickt mich zu dir und befiehlt dir, zu reden und nicht mehr den Narren zu spielen! Denn du hast hinlänglich gebüßt; und alle deine Sünden sind dir vergeben!"



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Als Robert dies hörte, fiel er sogleich auf seine Knie nieder, hob Augen und Hände in die Höhe auf und sprach: "König im Himmel, ich danke dir, daß du mir meine furchtbaren Sünden vergeben hast, und daß meine geringe Buße dir gefallen hat!" Als der Papst, der Kaiser und des Kaisers Tochter und alle, die dabei waren, Robert so lieblich sprechen hörten, da waren alle Herzen großer Freude voll. Robert aber nahm Abschied von ihnen und verließ Rom, um gesühnt in seine Heimat zu wandern. Noch



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hatte er jedoch die Stadt nicht lange hinter sich, da erschien ihm Gottes Engel und befahl ihm, nach Rom umzukehren, wo ihn ein großes Glück erwarte. Als er zurückgekehrt war, da führte ihm der Kaiser seine eigene Tochter, die so schön und so lieblich und deren Herz schon lange sein eigen war, entgegen und gab sie ihm zum Ehegemahl. Dieser Tag war ein Triumph- und Freudentag für ganz Rom. Keiner, der bei dem Feste zugegen war, konnte Robert ansehen, ohne zu sagen: "Diesem Manne verdanken wir alles; er hat uns von unsern Todfeinden befreit."

Nachdem die Hochzeit vierzehn Tage lang gedauert, verabschiedete sich Robert von dem Kaiser, um Vater und Mutter in der Normandie zu besuchen und seine Gemahlin ihnen zuzuführen. Der Kaiser gab ihm ein herrliches Geleite, auch köstliche Geschenke die Fülle, an Silber, Gold und Edelsteinen. So reisten Robert und seine Gemahlin, bis sie in die Normandie und zu der edeln Stadt Rouen kamen. Dort wurden sie mit großem Triumphe empfangen; das Volk war doppelt froh, den Herrn, den es an Leib und Seele verloren glaubte, an beiden herrlich wiederzufinden; denn sie waren in großer Sorge und Betrübnis, weil ihr Herzog, Roberts Vater, gestorben war. Zur Seite des Landes wohnte ein böser Ritter, welcher der Herzogin, Roberts Mutter, schon vieles Leid angetan



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hatte. Kein Baron und Ritter des Landes wagte, sich ihm zu widersetzen, so gewaltig war er. Als nun Robert dies alles erfahren, erklärte er auf der Stelle dem Ritter den Krieg, rüstete Bewaffnete aus, besiegte und fing ihn und ließ den Übeltäter hinrichten.



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Der Herzog Robert betrauerte seinen Vater und betrübte sich sehr darüber , daß er ihm seine Buße und vollendete Sinnesänderung nicht mehr beweisen konnte. Zugleich aber erfreute er sich des Umganges mit seiner geliebten Mutter und holdseligen Gemahlin und erzählte jener die Abenteuer , die er bestanden, seit er sie auf ihrem Schlosse verlassen hatte. Da kam eines Tages ein Bote von seinem Schwiegervater, dem Kaiser bei Robert an, welcher dem Herzog nach ehrerbietigem Gruße diese Meldung tat: "Herr Herzog, der Kaiser hat mich zu Euch hierher geschickt und bittet Euch, zu ihm zu kommen, daß Ihr ihm gegen den alten Verräter, den Seneschall, beistehet. Er hat sich aufs neue gegen ihn empört und drohet, Rom mit Feuer und Schwert zu verwüsten." Als Robert diese Kunde vernahm, ward er im Herzen für den Kaiser sehr besorgt, sammelte eilig soviel bewaffnete Leute, als er im Normannenlande zusammenbringen konnte, ritt mit ihnen allen nach Rom und machte den weiten Weg in kürzester Weile. Aber noch ehe er ankommen konnte, hatte der Verräter den Kaiser, der ihm entgegengerückt war, erschlagen. Robert aber brach mit Gewalt und Macht gegen Rom auf, entsetzte die belagerte Stadt und kam im Handgemenge dem Seneschall gegenüber zu stehen. "Steh mir, du falscher Verräter", schrie er ihm zu, "jetzt sollst du meinen Händen nicht entgehen, wenn du im Felde standhältst; du stachst dir einst eine Lanzenspitze in den Leib, um die Römer zu betrügen, jetzt hast du meinen Herrn, den Kaiser; erschlagen. Wehre dich deines Lebens, das du heute verlieren sollst!" Der Treulose, als er Robert den Teufel sah, erwiderte kein Wort, sondern suchte sein Heil in der Flucht; aber Robert ritt ihm nach und versetzte ihm einen Streich auf das Haupt, daß er ihm Helm und Kopf bis auf die Zähne spaltete und jener auf der Stelle tot zur Erde fiel. Dann ließ ihn Robert nach Rom bringen, damit er hier erschlagen liegen sollte und die Römer an ihm gerächt wären. Und dies geschah auch in Gegenwart alles Volkes in Rom. So beschützte Herzog Robert die Stadt gegen ihre Feinde, bis die Sarazenen abgezogen waren. Dann kehrte er mit seiner ganzen Schar nach Rouen in der Normandie zurück. Dort fand er seine Mutter und seine Gemahlin in tiefer Trauer über des Kaisers Tod, der ihnen schon zu Ohren gekommen war. Doch tröstete sie Robert ein



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weniges, als er ihnen erzählte; wie er den Kaiser an dem Seneschall gerächt und die Römer von ihren Feinden befreit habe.

Seitdem lebte Herzog Robert lang in Liebe und Ehrbarkeit mit seiner edeln Gemahlin, war gefürchtet von seinen Feinden und geliebt von seinen Freunden und Untertanen. Er ward zweiundsechzig Jahre alt und hinterließ einen schönen Sohn, mit Namen Richard, der viel herrliche Waffentaten mit dem Frankenkönige Karl verrichtete, mächtige Kriege mit den Sarazenen führte und den Christenglauben in aller Welt befestigen half.


Copyright: arpa, 2015.

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