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Die deutschen Volks-Bücher


wiedererzählt von Gustav Schwab


Griseldis

Mit Bildern von Anton Dietrich



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In Piemont, am Fuße eines hohen Berges, liegt eine herrliche Herrschaft, welche blühende Städte und viele schöne Dörfer in sich begreift. Der erste Markgraf, dem diese Landschaft eigentümlich zugehörte, hieß Walter. Er war ein Mann schön von Gestalt, ehrbar von Sitten, jung von Jahren, reich begabt mit Verstand. Aber alle seine Neigung war so sehr der Jagd und dem Vogelfange zugekehrt, daß er das andere darüber vergaß und sich der Regierung seines Landes gänzlich entschlug. So hatte er auch keine Lust zum Heiraten, nicht als ob ein Gelübde ihn abgehalten hätte, sondern die gepriesene Freiheit und die Liebe zum unabhängigen Leben und zur Selbstherrschaft ließ ihn an keine eheliche Verbindung denken. Wenn daher gute Freunde zu ihm von seiner Vermählung sprachen, so pflegte er wohl zu erwidern: "Ich mag meine Freiheit nicht verkaufen und nicht ein Weib zur Mitregentin annehmen. Solange ich ledig bin, tue ich, was ich will: wenn ich aber verheiratet bin, so muß ich vielmals tun, was meine Frau will. Tue ich dieses nicht, so habe ich eine widerwillige Frau und zugleich sank und Hader im Hause!" Die Untergebenen verdroß dieses



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Verfahren ihres Herrn; sie hätten es gar zu gerne gesehen, wenn ihr Herr eine glückliche Ehe eingegangen und Erben seiner Güter hinterlassen hätte. Die Vornehmsten der Grafschaft beratschlagten daher, wie sie die Sache anstellen und ihren Herrn zum Heiraten vermögen könnten. Deswegen erschienen sie eines Tages insgesamt vor dem Markgrafen, und der Vornehmste unter ihnen redete ihn mit folgenden Worten an:

"Gnädiger Herr und Markgraf! Die Freundlichkeit Euer Gnaden gibt uns den Mut, frei heraus zu reden, was wir in unserem Sinne gefaßt haben. Wir hoffen nicht, daß Ihr solches übel aufnehmen werdet, weil Eure Güte und Euer väterliches Gemüt uns allen genugsam bekannt sind. Wir schätzen uns glücklich, einen so lieben Herrn zu haben und von ihm beschützt zu werden. Wir würden uns aber noch viel glücklicher achten, wenn wir Eure markgraf Gnaden für ewig bei uns behalten könnten. Nun wissen wir, daß dies nicht möglich ist. Das Nächste aber wäre, wenn wir Eurem ehelichen Erben in Liebe dienen und untertänig sein dürften. Unser Herr ist zwar jetzt noch tung von Jahren und stark an Kräften; er weiß aber, daß die nachkommenden Jahre diese Kraft verzehren werden. Deswegen ist unsere untertänige Bitte, daß Eure Gnaden geruhen mögen, durch eine Vermählung Bedacht darauf zu nehmen, daß Sie in erwünschten Erben fortleben und dereinst Ihr Land fortregieren. Wird unser billiges Begehren erhört und uns ein Auftrag gnädigst gegeben, so wollen wir ein Fräulein für Euer Gnaden aussuchen, das an Geblüt, Schönheit und tugendlichen Sitten unserem Herrn am ähnlichsten sein wird."

Auf diese Worte schwieg der Graf eine Zeitlang still und dachte dem Vorschlage nach. So schwer es ihn ankam, so überwand ihn doch am Ende die Liebe zu seinen Untertanen, und er entschloß sich, ihrem Begehren zu willfahren. So sprach er denn zu ihnen: "Meine lieben Freunde! Eure demütige Bitte nötigt mich, euch zu willfahren und zu tun, was ich nie im Sinne gehabt habe. Denn ich hatte mir allezeit vorgenommen, meine Freiheit völlig zu behalten, die im Ehestande wohl schwerlich mag erhalten werden; nun aber unterwerfe ich mich freiwillig dem Willen meiner Untertanen , damit sie erkennen, daß ich sie liebe, und daß ich als ein Vater ihnen vorzustehen begehre. Jedoch bedanke ich mich für euer Anerbieten, mir eine Gemahlin zu erlesen, die meinesgleichen sein soll. Diese Mühe will ich selbst auf mich nehmen, und ich vertraue hierin auf die Hilfe des Allerhöchsten, der in seine Hände das Glück des Ehestandes gelegt hat. Er wird mir ein Weib zuführen, welches mein Heil und meine Ruhe nicht hindern und zugleich eurem Verlangen, die Regierung in meinem Hause



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gesichert zu sehen, Genüge tun wird. Eines aber sollt ihr mir versprechen und halten: daß ihr diejenige, die ich zu meinem Eheweib auserlesen werde, als Markgräfin und als eure Herrin ehren und ihr untertan sein wollet. Es soll auch keiner unter euch sein, welcher über meine Wahl eines Weibes jemals klage, sondern diejenige, die mein Ehegemahl werden wird, die sollt ihr, als wäre sie die Tochter eines römischen Fürsten, ehren und für eure gebietende Frau erkennen."

Über diese Antwort des Grafen erfreuten sich die versammelten Diener höchlich und waren ganz bereitwillig, dem Begehren ihres Herrn zu willfahren . Sie versprachen deswegen mit einem feierlichen Gelübde, der Frau, die er erwählen würde, untertänig zu sein und, welcher Art sie auch sein sollte, im geringsten nicht wider sie zu klagen. Darauf schieden sie getrost von dem Markgrafen und erwarteten mit Verlangen, was für eine Dame er zu seiner Braut erwählen würde.

Der Graf aber brachte einige Tage in tiefem Nachsinnen darüber hin, was für eine Frau er nehmen sollte. Endlich entschloß er sich, keine stolze Erbin, sondern ein demütiges Mädchen zu erkiesen, das ihm in allem willfahren würde. Als daher einige Wochen verflossen waren und er sich in seinem Entschlusse festgesetzt hatte, da befahl er seinem Haushofmeister, alles zu der nächstkünftigen Hochzeit fertigzumachen. Noch wußte niemand, welche Jungfrau die Braut sein sollte, und der Graf wollte es auch niemand offenbaren, sooft er darum befragt wurde.

Inzwischen ward alles auf fürstliche Weise vorbereitet, und viele hohe Gäste wurden geladen. Der hochzeitliche Tag nahte heran, ohne daß jemand mußte, von wannen die Braut kommen sollte. Der Graf rüstete goldene Ringe und Ohrengehänge, die er einem andern Mädchen, welche seiner Braut an Wuchse gleich war, hatte anmessen lassen. Wie nun der bestimmte Tag herbeigekommen und die geladenen Gäste in großer Menge gegenwärtig waren, so fehlte niemand mehr als die markgraf Braut. Da entstand eine große Verwunderung unter allen Anwesenden, ja, es erwuchs sogar der Zweifel, ob es nicht mit der gangen Hochzeit nur auf einen mutwilligen Scherz abgesehen sei. Die Stunde des Mittagsmahles war gekommen; Zimmer und Tische waren geziert, die festlichen Speisen bereit; dennoch wurde kein Wort vernommen, welches Fräulein für die Braut des Grafen erklärt sei. Zuletzt sahen sich die Gäste genötigt, den Grafen fragen, warum sie denn eigentlich zur Hochzeit geladen seien. Er aber gab ihnen zur Antwort, sie sollten ohne Sorgen sein; die Braut sei schon auf dem Wege; alle möchten sich fertig machen, ihr entgegen



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zugehen und sie mit gebührenden Ehren zu empfangen. So sammelten sich denn alle geladenen Herren und Frauen und begaben sich insgesamt zum Schlosse hinaus. Vor ihnen her ritt der Markgraf, mit hochzeitlichen Kleidern angetan; neben ihm fuhren in festlichen Wagen einige Edelfrauen, welche die Brautkleider nebst allem weiblichen Zierat verschlossen mit sich führten. Der hochzeitliche Festzug war auf diese Weise in das nächste Dorf gekommen, und niemand wußte, wohin er weitergehen sollte. Gleichwohl verbreitete sich ein dunkles Gerücht unter den Gästen, daß hier der Ort sei, wo der Graf sich seine Braut erwählen würde, und, obgleich sich niemand einbilden konnte, auf welche Weise dies geschehen sollte, so hatten sich doch alle Bauernmädchen des Dorfes, zu welchen die Sage gleichfalls gedrungen war; aus Neugierde versammelt und harrten auf die abenteuerliche Brautwahl des Markgrafen.

Nun lebte in diesem Dorfe, in dem nur wenige und lauter arme Bauern wohnten, ein Mann, namens Janicula, der ärmste unter allen, der eine einzige Tochter hatte, welche Griseldis hieß; so arm sie war, so schön war sie von Gestalt, tugendsam von Sitten und mit vielen Gaben der Natur geschmückt. Sie hütete die wenigen Schafe ihres Vaters und brachte die meiste Zeit auf dem Felde zu; dennoch kochte sie alle Speisen für die Hausgenossen, , und die halbe Nacht verbrachte sie allezeit mit Spinnen. Ihren Eltern war sie in allen Dingen gehorsam und den Werken der Andacht sehr ergeben. Dieses Bauernmädchen hatte der Markgraf im Vorüberreiten vielmal mit Augen gesehen und ihre Sitten wohl beobachtet. Schon lange trug er zu ihr eine aufrichtige Neigung im Herzen und war entschlossen , sich mit ihr zu vermählen.

Zu der Zeit nun, da die Hochzeitsgäste in das Dorf kamen, war die gute Griseldis am Brunnen gewesen und eilte jetzt eben mit ihrem Kruge nach Haus, um zugleich mit den andern Mädchen zu sehen, woher denn die Braut kommen sollte. Als sie aber ihrem Hause nahete, trat ihr der Graf entgegen und sprach zu ihr: "Griseldis, wo ist dein Vater?" Das Mädchen neigte sich gar tief und sprach mit großer Ehrerbietung: "Er ist zu Hause, gnädiger Herr." "Laß ihn zu mir herauskommen", sagte der Graf. Als dies geschehen war, nahm der Markgraf den Bauern bei der Hand, führte ihn ein wenig beiseite und sprach mit heller Stimme zu ihm also:

"Ich weiß, mein lieber Janicula, daß du ein frommer und aufrichtiger Mann bist und daß du mir als deinem Herrn in allen Dingen gehorsam sein wirst. Deswegen frage ich dich: Willst du mir deine Tochter Griseldis zur Ehe geben und mich, deinen Herrn, zu einem Eidam haben?"' Der



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gute, alte Mann erstarrte über dieser Rede und wußte nicht, was er darüber denken oder sagen sollte. Erst als ihn der Graf zu einer Antwort nötigte, sprach er mit Zittern: "Gnädiger Herr, ich finde vor Schrecken keine Antwort; aber weil Ihr mein Herr seid, so darf ich nichts anderes wollen, als was Euch gefällig ist. Und so es denn Euer Ernst ist, meine arme Tochter zur Ehe zu nehmen, so bin ich viel zu gering, Euch hierin zu widersprechen." Der Graf erwiderte: "Gut! so laß uns zwei allein in Euer Haus gehen. Ich muß den Willen deiner Tochter erkennen und sie über einige Dinge befragen."

So blieben alle Hochzeitsgäste draußen in höchster Verwunderung stehen; der Graf aber ging mit dem Vater in das Haus, nahm die Tochter bei der Hand und sprach: "Weil es sowohl deinem Vater als mir gefällt, daß du mein Weib sein sollest, Griseldis, so hoffe ich, es werde dir nicht mißfallen, mich zur Ehe zu nehmen." Die verstörte Jungfrau erschrak, als wenn der Himmel über sie herabfiele und die Erde drehte sich mit ihr. Der Graf aber sprach ihr mit freundlichen Worten zu: "Fürchte dich nicht, meine liebe Griseldis; denn du hifi es, die ich vor allen Weibern der Erde zu meiner Braut auserkoren habe; und wenn du darein willigest, so werde ich mich noch heute mit dir vermählen." Griseldis neigte sich in Demut und antwortete: "Gnädiger Herr l Ich erkenne mich zwar so großer Ehren ganz und gar unwürdig; gleichwohl, wenn es Euer ernstlicher Wille und Eures Herzens Meinung ist, mich armes Bauernmädchen zu Eurer Dienerin anzunehmen, so darf ich mich meinem Herren nicht widersetzen." Darauf sprach der Graf mit ernster Miene: "Ehe ich dich denn zur Ehe nehme, frage ich dich, Griseldis, ob du mit freiwilligem Herzen bereit seiest, mir in allem gehorsam zu sein, in keinem Dinge meinem Willen zu widerstreben ; so daß du alles, was ich mit dir tun werde, ohne ein saures Gesicht und ohne ein rauhes Wort tragen wollest?" — "Gnädiger Herr Graf", erwiderte die Jungfrau, "wenn ich die große Ehre, die mir nicht gebühret, haben soll, Eure Gemahlin zu sein, so verspreche ich, nichts wissentlich zu tun oder zu denken, was wider Euer Herz wäre; Ihr werdet mir nichts tun und nichts befehlen, was ich übel aufnehme, und solltet Ihr mich auch sterben heißen." Diese Worte gefielen dem Grafen wohl, und er sprach freudig: "ES ist genug! Wenn du dieses tun willst, so begehre ich weiter nichts von dir!"

Damit nahm er sie an der Hand, führte sie zum Hause hinaus und zeigte sie allen Anwesenden, sprach auch dazu mit lauter Stimme: "Diese Jungfrau hier ist meine Braut, diese ist eure gnädige Frau; sie ehret, sie



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liebet und, wofern ihr mich wert habt, so habet sie noch viel mehr wert." Und nun befahl er den bestellten Edelfrauen, daß sie die Magd alsbald ihrer Bauernkleider berauben und sie mit herrlichen Brautgewanden zieren
sollten, daß sie ihrem neuen Stande gemäß in des Grafen Haus einziehen könnte. Die Frauen nahmen das Mädchen auf offener Straße unter sich und schlossen einen dichten Kreis um sie, so daß niemand sehen konnte, ' was sich mit ihr begab. Da entkleideten sie die Jungfrau ihrer bäurischen



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Kleider und zierten sie so schön, daß man sie kaum wiedererkennen konnte. Als sie nun so in aller Eile aufgeschmückt war, daß sie einer Gräfin und nicht mehr einer Bäurin glich, wurde sie von den Frauen dem Grafen zugeführt und als seine würdige Braut vorgestellt. Der Markgraf zog den bereitgehaltenen Trauring hervor, steckte ihr denselben an den Finger und versprach sich öffentlich mit ihr vor allem Volke. Hierauf ließ er die Braut auf ein schneeweißes Pferd setzen und führte sie mit Ehren und Freuden nach seinem gräflichen Schlosse. Das Volk lief scharenweise nach und rief mit jubelnder Stimme: "Es lebe Griseldis t" indem es zugleich der Jungfrau Glück und Heil zu dieser unverhofften Ehre wünschte. Die Trauung wurde noch an demselben Tage mit großer Feierlichkeit auf dem Schlosse vollzogen und die Hochzeit in allen Freuden abgehalten, und da war niemand, der sich nicht über diese seltene Heirat aufs höchste verwundert, aber auch erfreut hätte. Denn es schien, als hätte Gott diese Heirat im Himmel selbst geschlossen und der frommen Griseldis so besondere Gnadengaben herabgeschickt, daß man meinte, sie sei nicht in einem Bauernhause, sondern an einem adeligen Hof erzogen worden, mit so zierlichen Sitten, mit soviel Klugheit und Verstand, mit solcher Freundlichkeit zeigte sie sich begabt; daher sie denn auch von allen höchlich verehrt und geliebt wurde. Ja, diejenigen, die sie von Jugend auf gekannt hatten, konnten sich jetzt kaum mehr vorstellen, daß sie des armen Janiculas Tochter war. Auch lebte das Ehepaar in solcher Liebe und Einigkeit, daß keines das andere mit dem geringsten Wort erzürnte, und beide gaben ihren Untertanen das schönste Vorbild der Tugend und der Frömmigkeit.



***
Ehe ein Jahr zu Ende gegangen war; gebar Griseldis zur höchsten Freude aller adeligen Dienstmannen des Grafen, ihres eigenen Vaters und des gesamten Landes ein gar schönes Fräulein. Nur mit ihrem Eheherrn selbst schien eine Veränderung vorgegangen zu sein. Er bezeigte über diese Geburt keine sonderliche Freude, vielmehr einen Verdruß und Widerwillen, so daß es schien, als wäre ihm ein junger Sohn viel lieber gewesen als eine Tochter. Nun merkte zwar die gute Gräfin, daß ihr Herr sich nicht mehr so gütig gegen sie erwies, als er bisher zu tun gewohnt war; dennoch litt sie dieses mit großer Geduld und befleißigte sich, durch doppelte Freundlichkeit sein Gemüt zu gewinnen. Der Graf aber ließ sich dadurch nicht bewegen; er gedachte vielmehr, durch seine Handlungsweise die Treue seines Weibes auf die Probe zu stellen. Als das Kind von der Mutterbrust entwöhnt war, berief er Griseldis allein zu sich



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in sein Zimmer. Hier stellte er sich keineswegs freundlich gegen sie an, sondern begann mit ernsthaften Worten so zu sprechen: "Du weißest, o Griseldis, in welchem Stande du früher gelebt hast, und auf welche Weise du in mein Haus gekommen bist. Nun bist du mir zwar lieb und angenehm; ; aber meine adeligen Freunde haben ein großes Mißfallen an dir, und meine Untertanen wollen dir, als einer armen Bäurin, auch nicht unterworfen sein, zumal da du mir eine Tochter geboren hast; während doch alle vielmehr einen Sohn verlangt hätten. Ja, selbst wenn es ein Sohn wäre, so möchten sie ihm dennoch nicht untertan sein, darum daß er von einer schlechten Bäurin geboren worden. Und weil ich gerne mit meinen Freunden und Untertanen in Frieden leben möchte, so sehe ich mich genötigt, vielmehr ihrem als meinem eigenen Urteile zu folgen und dasjenige zu tun, was meiner Natur ganz zuwider ist. Jedoch wollte ich nichts ohne dein Vorwissen unternehmen, sondern dir alles zuvor offenbaren. Zugleich frage ich dich, ob du noch desselben Sinnes seiest, wie du von Anfang unsers Ehestandes an gewesen hifi, als du mir versprachest, nichts zu tun noch zu denken, was wider meinen Willen wäre, und nichts übel aufzunehmen, was ich dir befehlen oder mit dir beginnen würde."

Man hätte meinen sollen, auch das allerstandhafteste Gemüt müsse sich über eine so unverhoffte Rede billig entsetzen. Griseldis aber sprach mit unerschrockenen Worten: "Du bist mein gnädiger Herr, und ich mit meinem kleinen Töchterlein sind in deiner Gewalt; tue deswegen mit uns, als deinen Leibeigenen, was dir gefällt. Dir kann nichts gefallen, was mir mißfallen möge; denn ich habe nichts anderes zu begehren und fürchte nichts zu verlieren als eben dich; ich habe dich so tief in mein Herz eingedrückt; daß du zu keiner Zeit, auch nicht durch den Tod, aus demselben gerissen werden kannst. Eher wird alles geschehen, als daß dieses mein Gemüt könnte verändert werden." über diese Antwort wurde der Graf innerlich so bewegt, daß sein Herz im Leibe sich umwendete und er sich der Tränen kaum erwehren konnte. Dennoch blieb er äußerlich ganz ernst und sprach zu ihr mit strengen Worten: "Ob dir diese Antwort von Herzen gehe, wird sich bald zeigen!" Mit diesem kurzen Worte ging er davon und ließ sich nichts von seinem innern Schmerze merken. Alsobald berief er einen seiner getreuesten Diener und wendete sich an ihn mit dem Befehle: "Gehe hin zu meiner Gemahlin und fordere von ihr das kleine Töchterlein. Wenn sie es dir nicht gutwillig gibt, so nimm es mit Gewalt aus ihren Händen. Sag ihr ohne Scheu, ich habe befohlen, daß du es nehmen sollest; damit es hinweggetragen und umgebracht werde. Dabei



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gib genau Achtung, wie sich die Mutter benimmt, und berichte mir sofort gründlich, wie sie sich angestellt habe." Der Diener erschrak über diesen Befehl heftig und sprach mit beweglichen Worten: "O Herr, was hat denn das unschuldige Kind getan, daß Ihr es hinrichten wollet, oder womit hat seine Mutter sich versündiget, daß Ihr sie so schwer betrüben wollet? Schonet doch des unschuldigen Lammes und vergießet nicht das edle Blut,
das Ihr selbst gezeugt habt!" Aber der Graf ergrimmte und hieß ihn mit zornigen Worten tun, wie er befohlen. So ging der Diener denn zu dem Gemache der Gräfin und sprach traurig zu ihr: "Gnädige Frau! Ich bin leider der Träger einer gar schlechten Botschaft. Unser Herr muß sehr erzürnt über Euch sein; denn er hat mir ernstlich befohlen, Euer Kind von Euch zu nehmen und es zum Scharfrichter zu tragen, damit es umgebracht werde. habe zwar für Euch und das arme Töchterlein gebeten, aber



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seinen Zorn dadurch nur größer gemacht. Gebet mir darum Euer Kind!" Wer hätte nicht erwartet, Griseldis werde über diesen grausamen Befehl in lauten Jammer ausbrechen? Sie aber tat gerade das Widerspiel und bewies in diesem schweren Augenblicke die übernatürliche Stärke ihres Gemütes . Deswegen sprach sie zum Diener ganz unerschrocken: "Das kleine Geschöpf ist unseres Herrn, mache er damit, was ihm gefällig ist; nimm es hin und trag es ihm zu; ich will mich seinem Befehl nicht im geringsten widersetzen." Hierauf nahm sie ihr liebes Töchterlein aus der Wiege, sah es eine Weile freundlich an, küßte es recht herziglich, bezeichnete es mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und gab es dann dem Diener mit freundlicher Gebärde und ohne eine Zähre zu vergießen. Der Diener selbst konnte sich des Weinens nicht enthalten und fing an, das unschuldige Kind so schmerzlich zu beklagen, daß endlich der standhaften Mutter das Herz selbst weich wurde. "Trage das liebe Engelein nur eilig hinweg", sprach sie, "ich befehle es mit Leib und Seele dem höchsten Gott, der mag nach seinem Willen darüber verfügen." Also verabschiedete sich der Diener und trug das Kind zu seinem Vater, dem er genau erzählte, wie bereitwillig Griseldis ihr Kind hergegeben; daher sich der Graf nicht wenig verwunderte und bei sich selbst bekennen mußte, daß sein Weib noch viel tugendsamer sei, als er es selbst vermeint hatte.

Dennoch wollte er nicht aufhören, ihren Gehorsam auf die Probe zu stellen und in dem vorgenommenen Werke fortzufahren. Er hatte nämlich keineswegs im Sinne, dem Kind ein Leid zuzufügen, vielmehr wollte er dasselbe anderswo heimlich erziehen lassen. Er hatte eine leibliche Schwester zu Bologna in Italien, welche mit einem dortigen Grafen vermählt und ihrem Bruder herzlich zugetan war. Ihr gedachte er das Kind zu schicken, daß sie es ihm in der Stille standesgemäß erzöge: deswegen hieß er dasselbe sanft einwickeln, wohl in einer Wiege verwahren und durch ebenjenen Diener, dem er es zu rauben befohlen hatte, seiner Schwester zutragen. Zu dem Ende schrieb er an sie einen Brief, in welchem der ganze Verlauf der Sachen ausführlich erklärt war und sie um Erziehung des Kindes freundlich ersucht wurde, mit beigefügter Bitte, daß sie das edle Fräulein nach seinem gräflichen Stande aufziehen und unterrichten, zugleich aber allen Fleiß anwenden möchte, daß niemand erführe, welchen Eltern das Kind zugehöre. Die Gräfin nahm das Kind ihres Bruders mit bestem Willen aus des Dieners Armen und antwortete jenem durch diesen, wie sie allen möglichen Fleiß anwenden werde, daß das Fräulein aufs sorgfältigste erzogen und seine Abkunft geheimgehalten werde. Und was



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sie schriftlich versprochen, das setzte sie treulich ins Werk: denn sie verhielt sich gegen das Kind nicht anders, als wenn sie seine leibliche Mutter wäre.

Inzwischen konnte Griseldis nicht erfahren, wo ihr liebes Töchterlein hingekommen, weil außer dem Diener niemand Kunde davon hatte; sie glaubte deswegen nichts anders, als daß das unschuldige Kind getötet worden sei. So unsäglich sie dieses schmerzte, so ließ sie doch ihr inneres Herzeleid äußerlich gar nicht merken: sie zeigte gegen ihren Herrn allezeit ein freundliches Angesicht und erwies ihm so treue Liebe, als wenn sie gar nichts Widerwärtiges von ihm erfahren hätte, so daß sich der Graf nicht genugsam verwundern konnte, wie es möglich sei, daß sie den Schmerz um ihr eingeborenes Kind also niederzuhalten vermöge, daß ihr auch kein Seufzer über die zugefügte Unbild entschlüpfe. Er fing an, ihre Tugend; je länger, je höher, zu schätzen und sie, je länger, je mehr, zu lieben.

Unterdessen vergingen vier Jahre, während welcher der Graf und seine Gemahlin in ehelicher Liebe beständig verharrten und des entführten Kindes niemals Meldung getan wurde. Da ward die Gräfin abermals von Gott gesegnet und gebar einen überaus schönen Sohn, worüber nicht nur die Eltern des Kindes, sondern auch alle ihre Gefreundte und Untertanen sich höchlich erfreuten und dieses glückliche Ereignis mit einem Feste feierten . Besonders freute sich der gute alte Janicula und seine liebe Tochter Griseldis; beide zweifelten nicht, daß der Graf diese jetzt mit beständigerer Neigung lieben werde. Es geschah aber gerade das Gegenteil, und die fromme Gräfin geriet in größeres Leid als zuvor. Als nämlich das Kind zwei Jahre alt geworden und schon entwöhnt war, auch jedermann, wer es sah, über seine Schönheit eine besondere Freude hatte, da trat der Graf, der das beständige Gemüt seiner Gemahlin noch weiter auf die Probe setzen und sie noch schärfer in der Geduld prüfen wollte, abermal zu ihr in das Zimmer und erzeigte sich zwar diesmal ganz freundlich gegen sie; zuletzt aber sprach er mit betrübten Worten: "Mein liebes Weib, ich habe geglaubt , wir würden nun mit Freuden beieinander leben können, und unsere Untertanen würden sich wegen des neugebornen Sohnes völlig vergnügen . Leider aber sind sie jetzt übler zufrieden als zuvor; sie machen mir große Unlust, erheben sich wider mich und sagen mir rundheraus: sie wollen den Enkel des Bauern Janicula nicht zum Herrn haben und ihm nach meinem Tode keineswegs unterworfen sein. So nötigten sie mich, dasjenige zu tun, was mir wider mein Herz und Gemüt ist. Denn weil ich, solange das Kind lebt, keine Ruhe und keinen Frieden mit ihnen haben werde, so muß ich das unschuldige Blut hinwegnehmen und es heimlich



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um sein Leben bringen lassen. Ich wollte es dir aber zuvor ansagen, damit dich nicht nachher der Schmerz allzu stark überfalle."

Von diesem harten Streiche hätte das Herz der Gräfin tödlich getroffen sein sollen. Gleichwohl äußerte sie nicht die geringste Traurigkeit, sondern sprach mit unerschrockenem Gemüte zu dem Grafen also: "Mein Herr! habe es Euch gesagt und wiederhole es, daß ich nichts anderes wollen oder nicht wollen kann, als was Ihr, mein Herr, mir befehlen werdet; denn gleichwie ich beim Eingehen in Euren Palast meine schlechten Kleider ausgezogen und gräfliche Gewande angelegt habe, also habe ich auch meinen eigenen Willen und alle Neigungen abgelegt und die Eurigen angezogen. Was Ihr deswegen mit mir und meinem Söhnlein zu tun gesonnen seid, das möget Ihr ohne Hindernis frei vollbringen; denn ich werde Euch nicht im geringsten widersprechen."

Der Graf konnte sich über diese unglaubliche Standhaftigkeit seiner Gemahlin nicht genugsam verwundern, vermochte auch aus Betrübnis seines Herzens kein weiteres Wort zu ihr zu reden, sondern ging ganz bewegt von ihr hinaus und vergoß, als er allein war, mildiglich viel bittere Zähren. Damit gleichwohl die hohe Tugend seines Ehegemahls allen Frauen zum Vorbild an den Tag kommen möchte, fuhr er fort, sein Vorhaben ins Werk zu richten. Der Diener ward gerufen und wieder zur Gräfin geschickt, um abermals ihr das Kind abzunehmen. Diesmal aber richtete dieser den Befehl mit viel leichterem Hergen aus; denn er wußte ja, daß dem Kinde kein Leid widerfahren werde. Er ging hinein zur Gräfin und sprach: "Gnädige Frau, Ihr werdet ohne Zweifel schon wissen, warum ich zu Euch komme; es ist unsers Herrn Wille, daß das junge Herrlein hingerichtet werde. Darum sollt Ihr mir es gutwillig geben, damit ich es demjenigen überliefere, welchem ich vor sechs Jahren auch das Fräulein übergeben habe. Ich bitte Euch aber, Ihr wollet Euch hierüber nicht allzusehr verstören und mir selbst mein Begehren nicht verdenken; denn mein Herr wird genötigt, diese Untat gegen seines Herzens Neigung zu verrichten, und mir liegt ob, ihm in allem treulich zu gehorsamen."

Die fromme Gräfin wurde über diese Worte nicht bestürzt, sondern, ohne ein Wort zu sprechen, trat sie zu der Wiege, nahm das liebe Söhnlein in ihre Arme, sah es eine Weile freundlich an, drückte es innig an ihr Herz, küßte es wiederholt auf den roten Mund und bezeichnete es mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes; dann übergab sie es in die Hände des Dieners und sagte: "Nimm hin dieses unschuldige liebe Kind und trage es zu seinem Vater. Ich hoffe, sein väterliches Herz werde sich über das



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selbe erbarmen, und er werde vielleicht noch Mittel finden, es vor dem Tode zu bewahren. Kann aber das nicht sein, so opfere ich auch diesen Schatz dem höchsten Gott, von dem ich ihn aus Gnaden empfangen habe." Mit betrübtem Herzen nahm der Diener das Kind von ihr, und als er das Zimmer verlassen hatte, fing er an, bitterlich zu weinen, und so kam er weinend und seufzend zu seinem Herrn und erzählte ihm voll Mitleid, wie starkmütig die Gräfin sich bei übergabe ihres Kindes betragen habe. Der Graf vernahm dieses mit großer Verwunderung und konnte es kaum über sein Herz bringen, seine Gemahlin weiter zu betrüben. Dennoch, weil er ihre Tugend kundbar machen wollte, tat er seinem Herzen Gewalt an: er küßte sein liebes Söhnchen voll väterlicher Liebe; dann befahl er dem Diener, es wohlverwahrt zu seiner Schwester nach Bologna zu tragen. Dieser schrieb er aufs neue einen freundlichen Brief, in welchem er ihr die Ursache meldete, warum er seiner Frau beide Kinder abgenommen habe, und bat sie dringend, dieselben so zu erziehen, wie sich für Grafenkinder schicke. Seine Schwester leistete ihm auch treulich Folge; jedoch verwunderte sie sich oft im stillen, was wohl ihr Bruder mit den Kindern weiter vorzunehmen gedenke. Der Graf aber sprach jetzt nicht selten mit seinem Weibe von ihren zwei lieben Kindern, doch konnte er nicht so viel damit erwirken, daß sie einen einzigen Seufzer hätte hören lassen oder auf ihrem Angesicht einige Betrübnis sichtbar geworden wäre. Wenn er anfing, die unschuldigen Kinder zu bedauern, so bedauerte sie dieselben mit ihm; und so in allem: wie er sich verhielt, also verhielt sie sich auch.

Je mehr nun der Graf sie in allen Dingen beständig erfand und in der Tat inneward, daß ihr Wille mit dem seinigen vereiniget sei, desto mehr kam ihn die Begierde an, sie weiter auf die Probe zu sehen und sich so gegen sie zu gebärden, daß sie sich betrüben mußte. Daher fing er an, sich äußerlich so gegen sie zu erzeigen, als ob er ihrer müde wäre, und als ob es ihn sehr gereue, daß er eine arme Bäurin geheiratet habe; und dies tat er nicht heimlich, sondern so öffentlich, daß jedermann es leicht abnehmen konnte. So verbreitete sich denn bald ein übles Gerücht in der ganzen Markgrafschaft, als wolle der Graf sich von seinem Weibe scheiden und eine andere heiraten, die ihm an Stand und Reichtümern gleich sei. Beim gemeinen Volk aber entstand ein großes Murren wegen der beiden verlorenen Kinder, weil niemand wußte, wohin sie gekommen, oder wer sie hinweggeführt. Der meiste Argwohn fiel auf den Grafen selbst, als ob er die Kinder mit Gewalt der Mutter genommen hätte, weil er sie nicht als rechtmäßige Erben anerkennen möge. Dieses Gerücht konnte vor der



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Gräfin nicht verborgen bleiben; vielmehr wurde ihr gerade auf Anstiftung des Grafen sein ganzes Vorhaben genau erzählt. Sie aber ließ sich dadurch gar nicht irremachen, sondern litt alles mit großer Geduld, indem sie es der Fürsehung des allmächtigen Gottes empfahl.

Weil nun alles dieses die fromme Gräfin nicht aus ihrer heiligen Gemütsruhe aufzustören vermochte, so sann der Graf auf eine andere List. Er ließ aussprengen, als wenn er einen Gesandten nach Rom abzuschicken im Sinne hätte und bei dem Heiligen Vater selbst anhalten lassen wollte, daß ihm wegen hochwichtiger Ursachen, und um die Aufregung seiner Untertanen zu stillen, gestattet werden möchte, seine jetzige Ehefrau zu entlassen und standesgemäß eine andere zu heiraten. Diese Sage zu befördern , sandte er einen seiner vornehmsten Diener aus: freilich nicht nach Rom, sondern anderswohin; nachdem aber dieser ein Vierteljahr aus gewesen war, kam er zurück und verbreitete allerorten die Sage; als wenn durch ihn die begehrte Dispensation zu Rom ausgewirkt worden wäre. Dies wurde auch bald im ganzen Lande ruchbar und verursachte vieles Gerede bei großen Herren und gemeinen Leuten. Auch der frommen Griseldis kam es zu Ohren. Diese seufzte zwar darüber aus dem innersten Grund ihres Herzens; dennoch ergab sie sich alsbald in den Willen Gottes und befahl ihm ihr ganzes Anliegen. Doch erwartete sie nicht ohne Angst, was der Markgraf über sie beschließen würde.

Bald darauf berief der Graf die vornehmsten Hofleute zu sich, bewirtete sie herrlich und setzte ihnen unter der Mahlzeit die ganze Angelegenheit auseinander, indem er vorgab, daß ihm von Rom die Erlaubnis zugekommen sei, seine Gemahlin fortzuschicken und eine andere zu heiraten; er habe sie deswegen rufen lassen, dieser Verabschiedung beizuwohnen und sie mit ihrem Ansehen zu bekräftigen. Die hochadeligen Herren waren damit wohl zufrieden; daher befahl der Graf einigen Dienern, seiner Gemahlin solches anzusagen und sie vor die versammelten Herren zu führen. Die arme Griseldis ward über diese Nachricht tief betrübt und beklagte bei sich selbst ihr Unglück mit herzlichen Seufzern. Äußerlich aber ließ sie kein Zeichen der Traurigkeit merken, sondern zeigte großen Starkmut und ein unverstörtes Gemüt. Als sie nun in den Saal geführt worden und voll Schamhaftigkeit vor sämtlichen Herren stand, da redete sie der Graf Walter auf folgende Weise an: "Meine liebe Griseldis, ich bin bis hieher deiner treuen Liebe gegen mich wohl innegeworden und habe dich als meine wahre Gemahlin geliebt. Dennoch gebietet mir eine besondere Schickung Gottes, diese meine Liebe von dir abzuwenden und einer andern zuzukehren.



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Dazu nötigen mich diese meine Freunde und Untertanen, dies bewilligt mir der Papst selbst. Sie wollen, weil du meinesgleichen nicht bist, so soll ich dich verabschieden und an deiner Stelle eine andere mir ebenbürtige Gemahlin an meine Seite nehmen, damit meine Grafschaft von rechtmäßigen Erben nach meinem Tode besessen und regiert werden möge. Ich habe dir deswegen solches in Gegenwart dieser hochadeligen Herren ansagen wollen, und hiermit kündige ich dir unsere bisher bestandene Ehe auf. So sollst du denn von dieser Stunde an meinen markgraf Hof meiden und nicht mehr mit dir wegnehmen, als du mir zugebracht hast."

Diese Worte waren ein Donnerkeil, der auch das allerstärkste Weib hätte zu Boden schlagen sollen. Was meint ihr nun, daß die geduldige Griseldis auf das Vorbringen des Grafen geantwortet, und wie sie sich äußerlich vor den hohen Herren gezeigt habe? In ihrem Antlitz wurde gar keine Verstörung sichtbar, sondern sie sprach mit demütigen Worten also zu ihm: "Gnädiger Herr ! Ich habe immer erkannt, daß zwischen Eurer Hoheit und meiner Niedrigkeit keine Vergleichung stattfinden könne; deswegen habe ich mich nie für Euer Ehegemahl, sondern immer nur für Eure Dienerin geachtet. Und wiewohl Ihr mich in diesem gräflichen Hause zu einer gnädigen Frau eingesetzt habt, so bezeuge ich es dennoch vor Gott, daß ich allezeit eine Magd gewesen bin. Darum sage ich Gott und Euch Dank für die große Ehre, die mir in diesem Hause ohne mein eigenes Verdienst widerfahren ist; im übrigen bin ich bereit mit ruhigem Herzen in das arme Haus meines Vaters zurückzukehren und da meine späten Tage hinzubringen, wo ich meine Jugend verlebt habe. Gleichwohl achte ich mich als eine glückselige, ehrwürdige Witwe, weil ich gewürdigt worden bin, eines so hohen Grafen Eheweib zu sein. Eurer künftigen Gemahlin will ich von Herzen gerne meinen Platz einräumen und ich wünsche, daß mein Herr mit derselben in größerer Zufriedenheit lebe, als er mit mir gelebt hat. Wenn Ihr mir aber befehlet, daß ich nicht mehr mit mir hinausnehmen soll, als was ich hergebracht habe, so nehme ich daraus leichtlich ab, daß ich nichts mit mir tragen soll als meine Treue und meine Blöße. Wenn dies Euer gebieterischer Wille ist, so bin ich bereit, zu folgen und alles, was ich habe, Euch zu hinterlassen."

Nach solchem Worte zog sie in Gegenwart aller der Herren ihre köstlichen Kleider; eins um das andere, aus, beraubte sich aller Zieraten und behielt nur das letzte Gewand. Endlich zog sie auch ihren Trauring von dem Finger und reichte ihn dem Grafen zugleich mit allen anda Kostbarkeiten dar und sprach: "Nackt bin ich aus meines Vaters Hause gegangen,



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ich will auch nackt wieder dahin zurückkehren. Das allein bitte ich, Ihr wollet mir dieses leinene Gewand zur Bedeckung des Leibes, der Eure Kinder geboren hat, überlassen, damit ich in Ehrbarkeit von dannen ziehen könne."

Dieser klägliche Anblick nötigte allen Gegenwärtigen Tränen ab; auch das harte Herz des Grafen bewegte er so sehr, daß er vor überfließenden Tränen kein Wort mit ihr reden und sie vor Mitleid in solcher Armseligkeit nicht ansehen konnte. Dennoch hielt er sich mit Gewalt zurück; daß er ihr kein weiteres Erbarmen zeigte, sondern sie in solchem Aufzug von sich gehen ließ. Alle Anwesenden wunderten sich über diese Hartherzigkeit und schalten den Grafen in ihrem Innern einen Tyrannen. Mit der Frau aber trugen sie großes Erbarmen und konnten diesem Schauspiele nicht länger zusehen, sondern verließen das Schloß des Grafen mit weinenden Augen.

So ging die arme Griseldis fast ganz entkleidet; barfuß mit bloßem Haupte zum Schloßtor hinaus, und alles Gesinde im Schlosse folgte ihr trauernd und weinend nach; denn allen war sie wegen ihrer Demut und ihres tugendsamen Wesens lieb und wert, und darum konnten sie sich nicht getrösten, daß sie eine so liebreiche Herrin und treue Landesmutter verlieren sollten. Und jetzt konnte die standhafte Griseldis, die sich wegen ihres eigenen Unglückes nie betrübte, aus Mitleid mit den Ihrigen sich des Weinens nicht enthalten. Ihr Vater und alle Nachbarn ihres Dorfes wurden auch dieses Elend bald gewahr und gingen ihr laut klagend entgegen. Der betrübte Janicula fiel seiner Tochter um den Hals und konnte vor Weinen kein Wort mit ihr sprechen; sie aber, nachdem sie ihren eigenen Zähren Einhalt getan, sagte



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ganz freundlich zu ihm: "Betrübet Euch doch nicht so sehr um mein Unglück , Vater t Vergesset nicht, daß das alles nicht ohne Gottes besondere Schickung geschehen sein kann." Der Alte aber sprach: "Wie sollte mein Herz nicht vor Leid zerspringen, Tochter, wenn ich deinen elenden Zustand ansehe und weiß, daß du ohne deine Schuld darein gekommen hifi! Oh,
wie falsch ist die Liebe des Grafen, der dich nur ehelichen wollte, um dich zu betrüben! Mir hat diese Heirat nie recht gefallen; immer habe ich das gefürchtet, was ich jetzt zu meinem tiefen Leid erfahren muß. Dennoch, meine liebe Tochter, wollen wir uns freuen, weil wir diese große Kränkung nicht wegen unseres Übelverhaltens, sondern nur wegen unserer Armut und Niedrigkeit erdulden müssen!" So führte der alte Vater seine verstoßene Tochter an der Hand seiner Strohhütte zu. Dort öffnete er



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einen Schrank; wo die Bauernkleider, die Griseldis am Tage ihrer Vermählung ausgezogen hatte, noch wohlverwahrt lagen; diese nahm er heraus und bekleidete seine Tochter damit ganz nach ihrem vorigen Stande.

Nun wohnte Griseldis wieder bei ihrem Vater in Geduld und Demut; mit keinem Worte klagte sie über den Grafen und ihr eigenes Unglück. Der Graf aber hatte sein geliebtes Weib hinreichend geprüft und konnte ihre Abwesenheit nicht länger ertragen. Er schickte daher alsbald einen Diener nach Bologna ab mit der Meldung an seinen Schwager, daß es ihm gefallen möge, eilend mit seiner Schwester zu ihm nach Piemont zu kommen und ihm seine, des Grafen, leibliche Kinder zurückzubringen. Inzwischen
ließ er das Gerücht verbreiten, als wenn seine neue Braut schon unterwegs wäre, und es durchlief diese Sage die ganze Grafschaft, daher denn alles zur neuen Hochzeit aufs beste bereitet wurde. Die Hochzeitgäste waren auch schon geladen und einen Tag zuvor ehe der Schwager des Grafen aus Bologna ankam, auf dem Schlosse versammelt.

Jetzt ließ Graf Walter seine vorige Frau, Griseldis, aus ihrem Dorfe holen, und als sie bereitwillig erschienen, redete erste also an: "Griseldis! Wisse, daß meine Braut morgen schon ankommt, und daß ich sofort mit ihr Hochzeit halten werde. Niemand kennt mein Haus so gut wie du; reinige daher mein Schloß und schmücke es aus und bereite alles, was nötig ist, hohe Gäste zu beherbergen." Griseldis verneigte sich vor ihrem



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früheren Gemahl und sprach: "Gar gerne, gnädiger Herr, will ich dieses verrichten; ich achte es für eine besondere Ehre, daß ich Euch aufwarten darf; ja, solange ich lebe, werde ich nicht unterlassen, Euch zu dienen; denn ich erkenne mich dazu verpflichtet, um der vielen Wohltaten willen, die ich von Euch empfangen habe." Sobald sie dies geredet, ergriff sie einen Besen, scheuerte das ganze Schloß von oben bis unten, rüstete das Lager zu, schmückte die Zimmer aus und gebärdete sich in allem als eine treue und eifrige Magd des Hauses.

Am andern Nachmittage langte der Graf mit seiner Frau und mit der vermeintlichen neuen Braut aus Bologna an, und Markgraf Walter ritt ihnen mit allen geladenen Gästen feierlich entgegen. Sie empfingen einander mit großen Freuden; jedermann wünschte der neuen Braut Glück und Heil. Diese war ein Fräulein von überaus schöner Gestalt und großer Sittsamkeit, aber noch ganz jung von Jahren und gar zartem Gliederbau ; denn sie war kaum zwölf Jahre alt und schien zum Heiraten noch viel zu jung. Indessen, weil sie dem Grafen gefiel, so mußte sie auch allen



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Gästen gefallen und wurde von ihnen als eine Grafenbraut gepriesen und geehrt, mit großer Festlichkeit in das Schloß geleitet und von allen Bewohnern desselben bewillkommt. Jeder Diener und jede Magd mußten hinzutreten und ihrer künftigen Gebieterin Glück und Heil wünschen. Weil denn Griseldis noch in dem Schlosse war, so kam auch sie herzu, die letzte unter allen, und warf sich in ihren Bauernkleidern demütig auf die Knie, küßte der Braut die Hand und wünschte ihr zu ihrer künftigen Ehe Glück und Segen. Darauf setzten sich sämtliche Gäste zu Tische; Griseldis aber trat in die Reihe der Mägde zurück und war emsig beschäftigt mit Auftragen und Aufwarten.

Lange verwunderte sich der Graf über die unbegreifliche Demut und Geduld seiner Gemahlin; da beschloß er, ihrem Elend ein Ende zu machen und sie nach ihrer langen Betrübnis völlig zu erfreuen. Wie sie nun gleich einer sorglichen Martha hin und her lief, rief er sie herbei und sprach zu ihr: "Was dünket dich, Griseldis, von meiner neuen Braut; ist sie schön und ehrbar genug?" —"Ja, freilich", erwiderte sie, "ich meine, eine schönere und sittsamere könne nicht gefunden werden. Darum wünsche ich Euch von Herzen die größte Wohlfahrt, hoffe auch, daß es dem Fräulein nicht so übel ergehen soll, als es Eurer ersten Braut ergangen ist. Denn diese war gar zu bäurisch, das Fräulein aber ist gar zart und von edlem Geblüt. Daher wird sie keine Gefahr laufen, jemals von Euch verstoßen zu werden."

Jetzt vermochte der Graf sich nicht länger zu halten und sprach: "Sieh aber doch diese meine Braut auch recht an, Griseldis, und besinne dich, ob du sie nicht kennest." Griseldis tat ihre Augen weit auf und blickte das Fräulein lange an, vermochte jedoch nicht, sich ihrer zu entsinnen. Da sprach der Graf: "Griseldis, kennst du denn deine Tochter nicht mehr, welche du mir vor zwölf Jahren geboren hast?" über diese Rede erstarrte Griseldis und wußte nicht, was sie dazu denken sollte. Und als sie lange in Verwunderung dagestanden, sprach der Graf weiter: "Meine herzgeliebte Griseldis! Nicht verstöre dich diese meine Rede; denn jene vermeinte Braut ist deine und meine Tochter, und dieser junge Herr ist dein und mein geliebter Sohn; du aber bist meine einzige auserwählte und geliebteste Gemahlin, außer welcher ich keine andere je gehabt habe, noch zu haben begehre."

Mit diesen Worten erhub er sich vom Tische, fiel zuerst seiner Griseldis und dann seinen beiden Kindern um den Hals und küßte ein jedes unter vielen Zähren. Griseldis aber ward vor innerer Wonne von ihren Sinnen



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verlassen. Als sie wieder zu sich selbst gekommen war, fiel sie zuerst ihrer Tochter, hernach ihrem Söhnchen um den Hals und sprach unter Freudentränen: "Nun will ich gerne sterben, seit ich meine geliebten Kinder wieder lebendig gesehen! Gebenedeit sei die göttliche Gnade, die mir euch, die ich längst für tot beweinet, gesund erhalten und jetzt wieder in Fröhlichkeit zugeführt hat." Während sie sich so mit dem Umfangen ihrer Kinder erlustigte , hatte der Graf ihre besten Gewande herbeibringen lassen. Die
Edelfrauen umringten sie wieder wie einst in ihrem Dorfe, beraubten sie der Bauernkleider und zierten sie aufs herrlichste. So trat sie wie einst aus dem Kreise hervor, mit unverwelkter Schönheit geschmückt, und wurde von den Frauen dem Grafen zugeführt. Die Hochzeitgäste standen um diese beiden herum, der Graf Walter aber hielt seine Gemahlin an der Hand und sprach vor allen Anwesenden feierlich also: "Meine geliebteste Griseldis! Ich bezeuge hier vor Gott und allen Gegenwärtigen, daß das, was ich mit Euch vorgenommen, nicht aus bösem Willen geschehen ist, sondern



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aus guter Meinung, um Eure große Geduld zu erproben und Eure hohen Tugenden der Welt kundbar zu machen. Nun aber habe ich an Euch mehr Frömmigkeit befunden, als ich mir einzubilden wagte; ja, ich glaube, daß im ganzen Lande Euresgleichen nicht gefunden werden könne. Darum will ich Euch hinfort nicht mehr auf die Probe stellen, vielmehr will ich von nun an Euer treuer Gatte, ja, Euer demütiger Diener bleiben . Eure lieben Kinder, welche ich eine Zeitlang von Euch genommen habe, stelle ich Euch hier wohlerzogen wieder zu, damit Ihr Euch ihrer vollkommen erfreuen möget. Weil aber alles zu einem Hochzeitfeste bereitet ist, begehre ich, mich aufs neue mit Euch zu vermählen und durch das Band einer ewigen Liebe zu verknüpfen." Hiermit steckte er ihr den Trauring wieder an den Finger und gelobte ihr aufs neue eheliche Treue. Der Priester sprach den Segen über das Paar, alle Anwesenden wünschten ihnen Glück und waren noch fröhlicher als auf der ersten Hochzeit. Der Graf ließ auch den Vater der Neuvermählten, Salten Zanicula, aus seinem Dorfe holen und ihn als seinen werten Schwiegervater mit köstlichen Kleidern zieren und von Stunde an in seinem gräflichen Schlosse wohnen; er zog ihn an die Tafel und ehrte ihn wie einen leiblichen Vater. Die Tochter, die ihm Griseldis geboren hatte, heiratete einen angesehenen Grafen; er selbst lebte mit seiner Gemahlin in großer Liebe und Einigkeit noch viele Jahre und hinterließ seinem Sohn das ganze Erbe von stattlichen Gütern und Herrschaften.


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