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Die deutschen Volks-Bücher


wiedererzählt von Gustav Schwab


Das Schloß in der Höhle Xa Xa

Mit Bildern von Oskar Pletsch



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Es lebte einst in Europa ein jüdischer Zauberer, namens Mattetai, der es in seiner Kunst so weit gebracht hatte, daß er alle verborgenen Schätze ergründen und sie nach Belieben gebrauchen konnte. Doch hatte er daran noch nicht genug, sondern da er in einem alten Buche gelesen hatte, daß in der afrikanischen Höhle Xa Xa ein Schlüsselschloß versteckt liege, welches die Eigenschaft habe, daß sein Besitzer der glückseligste Mensch werden und alles erlangen könne, weil die Erdgeister daran gebunden wären und demjenigen zu Willen sein müßten, der das Schloß in seiner Gewalt hätte: so wässerte ihm der Mund schon lange auch nach diesem seltenen Schatz. Da aber, um dieses Schloß abzuholen, allerlei Förmlichkeiten beobachtet werden mußten, die Mattetai noch nicht kannte, so wollte er darüber erst den rechten Bericht einziehen. Weil er nun unter andern Dingen auch einen Ring besaß, an welchen die Luftgeister gefesselt waren, so berief er diese, indem er den Ring um seinen Finger drehte. Alsobald kamen drei Luftgeister herangeflogen und fragten Mattetai, was sein Begehren wäre. Dieser antwortete: "Ich möchte gerne das unschätzbare Schloß in der Höhle Xa Xa haben und berufe euch zu dem Ende, daß ihr mir zu Hilfe kommen sollt." Die Luftgeister antworteten: "Mit Gewalt, Herr, können wir Euch in dieser Sache nicht dienen; denn das Schloß wird von Erdgeistern bewacht, welche stärker sind als wir, und gegen die wir wenig ausrichten können. Bedienet Euch aber einer List, so werdet Ihr vielleicht von selbst obsiegen und das Schloß in Eure Gewalt bekommen!"—"Wohl gut", erwiderte Mattetai, "wie muß ich's aber angreifen?" —"Ganz so", sagten sie, "wie es in Eurem großen Buche geschrieben steht! Vor allen Dingen müßt Ihr einen türkischen Knaben dazu haben, der noch ein unschuldiges Kind ist und Euch in allem folgt, was Ihr ihm nach Anzeige des Buches befehlen werdet." Mattetai griff nach dem Buche, sah sich genau darin um, sprang endlich auf und sagte zu den Luftgeistern: "Gut, bringt mich nach Konstantinopel; dort hoffe ich anzutreffen, was ich suche."

Flugs ergriffen ihn die willigen Luftgeister und führten ihn durch die Luft in ein paar Augenblicken nach Asien hinüber, wo sie ihn nahe bei der Stadt Konstantinopel auf den Erdboden niedersetzten. Hier entließ er die



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Geister; ging hinein in die Stadt und durchwanderte viele Straßen, bis er endlich einen Knaben antraf, der ihm diejenigen Eigenschaften zu haben deuchte, die dazu nötig waren, das Werk, das er vorhatte, glücklich auszuführen . Es war ein armer mutterloser Taglöhnerssohn, namens Lameth; diesem nahte sich Mattetai, während er gerade mit andern Jungen seinesgleichen auf der Straße spielte, grüßte ihn freundlich und fragte: "Wo wohnt dein Vater?" —"Nicht weit von hier", antwortete Lameth. Mattetai
bat, ihn zu seinem Vater zu führen; das tat Lameth und brachte ihn zu seinem Vater, welcher Achim hieß. Diesen redete Mattetai ganz höflich an und richtete die Bitte an ihn, ob er ihm nicht seinen Sohn, solang er hierbleiben würde, um ein bestimmtes Geld des Tages zur Bedienung überlassen wolle, damit er ihm die Straßen zeige, die er in seinen Geschäften zu gehen hätte; denn als ein Fremder wisse er gar keinen Bescheid in dieser ungeheuren Stadt. Auf die Frage Achims, wo denn der Fremde wohne, gab dieser zur Antwort: "Ich komme eben zum Tore herein und will gerade von Euch vernehmen, wo ich wohl unterkommen könnte."Achim zeigte ihm ein Haus in der Nachbarschaft und sagte: "Hier werdet Ihr in allem wohlbedient werden, und weil es in unserer Nähe ist, kann auch mein Sohn um so besser zu Euren Diensten sein."

Mattetai bedankte sich für den guten Rat, schenkte dem Taglöhner einen



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Dukaten, bestimmte des Knaben Lohn und erklärte sich noch überdies bereit, für seinen Unterhalt sorgen zu wollen, wenn er ihm getreu dienen würde. Achim, als er von soviel Geld hörte, das er durch seine harte Arbeit in Monatsfrist nicht zu verdienen wußte, und das der Knabe alle Tage für so geringe Mühe bekommen sollte, dankte dem Gott Mahomets in seinem Herzen und wünschte nur, daß Mattetai recht lang in Konstantinopel verweilen möchte. Er übergab ihm seinen Sohn und prägte demselben ernstlich ein, seinem neuen Herrn in allem gehorsam zu sein und treulich zu dienen. Mattetai dankte noch einmal und begab sich mit Lameth in das angewiesene Haus, ließ sich dort ein gutes Mahl zurichten, das der Knabe mit ihm teilen und noch dazu die Brocken in seines Vaters Haus tragen durfte. Gleich für den ersten Tag gab ihm der Zauberer einen Dukaten Lohn, obgleich er ihm noch wenig gedient und nur etliche Stunden bei ihm geblieben war. Er schickte ihn damit beizeiten fort, weil er vorgab, reisemüde zu sein, und nicht mehr ausgehen möge, sondern ruhen wolle.

Lameth überbrachte seinem Vater alles mit Freuden, und dieser kam ganz außer sich, als er auf einmal soviel Geld vor sich sah; er befahl seinem Sohn, dem Herrn zu tun, was er ihm an den Augen absehen könnte, und schickte ihn am Morgen in aller Frühe zu dem Fremden. Mattetai ließ nun sogleich einen Kleiderhändler rufen, der ein sauberes Kleid für den Knaben bringen mußte; darauf befahl er ihm, zwei gute Pferde zu mieten. Auf diese setzten sie sich und ritten so in Konstantinopel herum, alle Seltenheiten zu besehen. Des Abends kehrten sie wieder heim, speisten zu Nacht, und Lameth erhielt wieder den versprochenen Taglohn und wurde mit den übriggebliebenen Speisen beladen zum Vater heimgesandt. So hatte auch Achim rechte Herrentage, dachte fast an kein Arbeiten mehr und wünschte nur, daß Mattetai sein Lebenlang dableiben möchte. Vierzehn ganzer Tage währte es so, und Vater und Sohn hätten dem Fremden gerne die Hände unter die Füße gebreitet; allein Mattetai mußte sich ganz wider seinen Willen so lang in Konstantinopel aufhalten, um den rechten Tag abzuwarten, an dem das große Geschäft unternommen werden könnte.

Den Abend, ehe dieser Tag erschien, befahl der Zauberer dem Lameth, die besten Pferde, die er bekommen könnte, zu mieten und gleich bei Anbruch des Tages mit denselben zu ihm zu kommen; denn er sei willens, nachdem er alles Schöne in der Stadt eingesehen, morgen auf das Land zu gehen, die Gegend außerhalb der Stadt zu besichtigen und ihre Annehmlichkeiten



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zu genießen. Lameth tat mit Freuden, was ihm Mattetai befohlen , und kam am andern Tag in aller Frühe mit zwei der besten Pferde, die er hatte bekommen können. Auf das eine setzte sich Mattetai, Lameth folgte ihm auf dem andern willig nach. Als sie ein paar Meilen von der Stadt entfernt waren, verließ der sauberer auf einmal die ordentliche Straße und ritt in das Gebüsch hinein. "Herr", sagte Lameth, "wir wollen der Landstraße folgen, sonst könnten wir uns verirren." Aber Mattetai sagte: "Folge mir nur nach; weil die Sonne so heiß scheint, will ich lieber im Waldesschatten retten; nachher werde ich den Weg auf die Landstraße schon wieder zu finden wissen." Er gab mit diesen Worten seinem Pferde die Sporen und ritt so scharf zu, daß Lameth ihm fast nicht nachfolgen konnte, da Mattetai durch Hecken und Stauden, über dick und dünn dahinsprengte. Endlich vermochte der Knabe nicht länger es auszuhalten; er rief deswegen dem Zauberer nach und bat ihn innezuhalten. Dies tat jener endlich; an einer öden Stelle angekommen, stieg er vom Pferde, band dasselbe an einen Baum und befahl dem Lameth, ein gleiches zu tun und mit ihm ein wenig auszuruhen. Lameth war recht froh darüber; sobald er sein Pferd auch angebunden, lagerte er sich und verschnaubte ein wenig.

Indessen zog Mattetai ein großes Buch aus seiner Manteltasche, schlug es im Grase auf und las eine Weile darin. Nachher drehte er seinen Ring am Finger um und murmelte etwas in seinen Bart; und siehe da, im Augenblick standen drei Luftgeister vor ihm, die fragten, was er zu befehlen hätte. Lameth, der dergleichen noch niemals gesehen hatte, erschrak darüber so sehr, daß er fast vor Schrecken gestorben wäre. Aber Mattetai richtete ihn bald wieder auf, und sagte: "Fürchte dich nicht, mein Sohn, es soll dir kein Haar gekrümmt werden! Folge mir nur; ich versichere dich, es soll dich nicht gereuen; ich will dich so reich machen, daß du mir's dein Lebtag danken wirst." Mit diesen und andern Worten beruhigte er den Knaben; dann wendete er sich zu seinen Luftgeistern und sagte zu dem einen: "Da, nimm diese zwei Pferde und überbring sie ihrem Herrn wieder! Ihr aber" —sagte er zu den zwei andern —"ihr bringet mich und meinen getreuen Diener hier unversehrt nach Afrika, zu der berühmten Höhle Xa Xa."

Im Augenblick wurden beide von den Geistern ergriffen, durch die Luft entrückt und in einem Nu nach Afrika hinübergebracht, wo die Geister sie vor einem großen Hügel niedersetzten. Mattetai verabschiedete hier seine Luftgeister, zog sein Buch wieder heraus und las darin. Dann holte



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ein Feuerzeug, das er mit sich trug, hervor, zündete ein Feuer an und beschrieb einen Kreis darum. Hernach streute er Weihrauch ins Feuer und murmelte einige unverständliche Worte. Während er dies tat, entstand in dem Hügel ein großes Getöse, wie wenn es donnerte; alsdann geschah ein entsetzlicher Knall, mit dem sich der Hügel öffnete und viel feurige Flammen aus der Höhle herausführen. Als dies geschehen war, ging Mattetai aus dem Kreise und auf Lameth zu, der vor Furcht und Schrecken
nicht wußte, ob er noch lebe oder gestorben sei. Mattetai aber ergriff ihn beim Arm, richtete den Zusammengesunkenen empor und sagte zu ihm: "Lieber Lameth, jetzt ist die Stunde gekommen, wo du mich und dich auf unser ganzes Leben glücklich machen kannst. Merke deswegen genau auf alles, was ich dir sagen will: du siehst hier die Öffnung dieses Hügels; in ihn hinein mußt du dich begeben; fürchte dich nicht, es wird dir, wenn du mir in allem folgst, nichts Widriges begegnen. Erstlich nimm hier diesen Ring (mit diesen Worten steckte er ihm einen Ring an den Finger) und gib acht, so lieb dir dein Leben ist, daß du ihn nicht verlierest, noch ihn dir von jemand nehmen lassest; denn solang du ihn am Finger trägst, wird dir niemand etwas anhaben können. Darauf geh nur freudig in die



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Höhle; wandere den langen, finstern Gang gerade durch; kehre dich weder zur rechten noch zur linken Hand; und wenn man dir ruft, so sieh nicht einmal hinter dich. Wenn du aus dem finstern Gang herausgetreten bist, wirst du durch drei Zimmer kommen, die alle voll von Gold, Silber, Edelgestein und andern köstlichen Sachen sind. Rühre beileibe nichts davon an, sondern gehe geradenweges fort, dann kommst du in einen schönen Garten , der voll Bäume mit süßen Früchten ist; von denen kannst du, wenn es dich nach etwas lüstet, pflücken, soviel du willst; doch halte dich nicht zu lange auf, denn sonst würde die Zeit vergehen, während welcher die Kluft offen bleibt; eile deshalb nur weiter vorwärts; dann wirst du endlich an einer marmornen Säule ein großes Schloß mit einem Schlüssel an einer Perlenschnur angehängt finden. Schneide die Schnur entzwei, schiebe sie mit Schloß und Schlüssel geschwind in die Tasche und laufe geradenweges wieder zu mir heraus; laß dich durch nichts, was in der Welt es auch sein mag, an deiner Rückkehr hindern, sondern eile den Weg, den du gekommen bist, zurück, ohne ein Wort zu reden."

Lameth entsetzte sich über des Fremden Worte; er war blöde und konnte sich nicht entschließen, ein so gefährliches Werk zu unternehmen. Mattetai redete ihm indessen aufs ernstlichste zu und ließ ihn einen Blick in das glänzende Leben tun, das er ihm bereiten wolle. Als aber Lameth noch immerfort zitterte und bebte und sich zu nichts willig zeigte, da fürchtete der Zauberer, wenn die rechte Stunde verlaufen sei, so möchte er mit aller Welt Hilfe das, was er suchte, nicht mehr erlangen. Er wurde daher zornig, ergriff Lameth beim Kragen, warf ihn zu Boden und sagte: bringe dich um, wenn du nicht vollführst; was ich dir befehle!" Da bat ihn Lameth um Gnade und versprach tun zu wollen, was er verlange. Jetzt wurde der Zauberer wieder ganz freundlich, wischte ihm den Staub ab, stärkte ihn mit kräftigen Arzneien, die er bei sich hatte, und begleitete ihn bis an den Hügel. Hier hieß er ihn in die gespaltene Höhle hineingehen, und als der Knabe den Eingang überschritten, setzte er sich an demselben nieder und erwartete vor der Höhle mit Schmerzen seine Zurückkunft.

Wie Lameth sich im Eingang der Höhle befand, folgte er der Angabe seines Meisters; er ging emsig, doch mit Furcht und Behutsamkeit vorwärts , denn es war so finster, daß er gar nichts um sich gewahren konnte; jedoch, eingedenk der Warnungen seines Meisters, ließ er sich nicht hindern sondern ging seines geraden Weges fort. Da wurde es denn plötzlich hell, und er kam in ein Zimmer, in dem lauter silberne Gefäße standen, mit Blumen schön geziert. Doch verstand Lameth ihre Kostbarkeit



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nicht; er hielt sie nicht für besser als gewöhnliches Metall, sah sie mit Verwunderung an, berührte jedoch nicht das Geringste davon, sondern ging vorwärts. Da kam er in ein anderes Zimmer, wo Körbe und Schalen aus lauterem Golde gefertigt standen, darin nichts als Edelsteine, Perlen und andere Kleinodien waren. Diese Dinge kannte Lameth noch weniger; er hielt sie für schöne Spielsachen und achtete ihrer nicht, sondern ging seines Weges fort. So kam er in ein drittes Zimmer, das mit silbernen und goldenen Münzen ganz gefüllt war; denn sie waren in Haufen aufgeschüttet, als wäre es Korn. Was Münzen sind, wußte Lameth wohl: fast hätte ihn die Lust überwunden, seine Taschen damit anzufüllen; doch noch zu rechter Zeit fielen ihm Mattetais Drohungen ein; er fürchtete, sein Gelüste mit dem Tode bezahlen zu müssen, und so eilte er weiter fort. Jetzt kam er in den schönen lachenden Garten, von dem ihm gesagt war; da standen viele Bäume, alle mit weißen, gelben, grünen , roten Früchten, die wie durchsichtig schimmerten, geziert. Er sah sie mit Erstaunen an und mit Verlangen. Wußte er doch, daß er von ihnen zu sich nehmen durfte, wieviel er wollte. Doch hielt er es für keine rechte Früchte, sondern glaubte, es seien bunte, schön geschliffene Gläser: nun begann er, seine Taschen damit zu füllen; da fiel ihm plötzlich ein, daß der Fremde ihn gewarnt hatte, nicht viel Zeit damit zu versäumen, damit die Höhle nicht geschlossen werden möchte. So eilte er weiter und erblickte bald eine marmorne Säule; an dieser hing an einer Perlenschnur das wunderbare Schloß. Sowie er dieses ersah, lief er darauf zu, schnitt es geschwind ab und wollte es in die Tasche stecken. Aber seine breiten Taschen waren voll von den Wunderfrüchten, die er gepflückt hatte. Da besann er sich nicht lange, nahm seinen Turban ab, rollte ihn auf und verbarg das Schloß samt Perlenschnur sorgfältig darin; dann wand er ihn wieder fest um seinen Kopf und rannte schneller, als er hineingegangen war, den geraden Weg wieder zurück. Da umtönte ihn in dem Garten und den Zimmern, welche er zu durchlaufen hatte, ein solches Geheul, Gepolter und Geprassel, daß ihm alle Haare gen Berg standen und er meinte, die Höhle würde zusammenstürzen und das Firmament darüber. Er war deswegen froh, als er den engen Gang wieder erreichte; aber dieser, der vorhin stockfinster gewesen war, gab jetzt einen ganz feurigen Widerschein von sich, und Lameth getraute sich deswegen lange nicht, dem Feuer zu nahen; als er sich aber fürchtete, länger zu zögern, lief er mitten in die Flammen; da empfand er, daß sie nicht brannten, sondern ganz kühlend waren, und so freute er sich sehr; denn schon leuchtete ihm durch



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die Öffnung das Tageslicht entgegen, und in wenigen Minuten hoffte er aus seinem Jammer befreit und wieder bei seinem Meister zu sein. Da ließ sich plötzlich ein großer Knall hören, wie ein mächtiger Donnerschlag, und mit diesem verschloß sich die Höhle, und es wurde so finster; daß man gar nichts mehr sehen konnte. Lameth tappte herum und seinem Pfade nach. Endlich kam er an die Stelle, wo zuvor die Öffnung gewesen war. Allein jetzt fand er keine Spur mehr von ihr, und bald mußte er sich sagen, daß er lebendig in der Erde begraben sei.

Während Lameth in der Höhle war, wartete Mattetai draußen mit Verlangen , bis er wiederkommen und ihm das Schloß aus der Höhle bringen würde. Allein schon war die meiste Zeit verflossen, nach der die Höhle sich wieder schließen mußte, und als er den Knaben nicht wiederkommen sah, geriet er fast in Verzweiflung, weil er wohl wußte, daß in wenigen Augenblicken alle seine Hoffnung verloren sein würde. Darum jammerte er kläglich und schrie immer: "Lameth, o Lameth, komm, eile, erfreue den unglücklichen Mattetai mit deiner Gegenwart!" Aber dieser wollte nicht kommen, und der Zauberer gab sich seiner Trostlosigkeit hin; er hatte nicht nur das Schloß von Xa Xa, sondern seinen herrlichen Ring dazu verloren und damit seine ganze zeitliche Glückseligkeit verschenkt. Noch rief er: "Lameth, Lameth", als plötzlich jener entsetzliche Knall sich hören ließ und eine feurige Flamme aus der Höhle herausfuhr, mit welcher



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sie sich schloß. Die Flamme ergriff den Zauberer, schleifte ihn eine Meile Weges von dannen und warf ihn in einen großen Wassersumpf, in dem er wie ein Frosch ausgestreckt lag, ohne Besinnung und Empfindung , bis die Sonne unterging und er an der Kühle erwachte, wie aus einem Traume. Aber noch wußte er nicht, wo er war, noch wie er dahin gekommen. Nach und nach fiel ihm sein unglückseliges Schicksal wieder ein, und er bejammerte aufs neue den Verlust seines Ringes, denn mit dessen Hilfe hätte er sich leicht durch den Dienst der Luftgeister aus diesem Elende gerettet und nach Europa zurückbringen lassen können. Jetzt aber war ihm Hoffnung und Besitz entschwunden. Aus dem Sumpf hatte er sich zwar emporgearbeitet, aber in der tiefsten Finsternis lag er, und um ihn brüllten die wilden Tiere, daß ihm die Haut schauerte. Doch schlug er mit seinem Feuerzeug ein Licht, und da er zu seinem einzigen Troste das Buch bei sich hatte, in dem noch große Geheimnisse standen, so durchblätterte er es. Da stieß er denn zu seiner Freude auf eine Anweisung, wie man die Wassergeister berufen könnte. Keinen Augenblick zögerte er, sie zu zitieren. Und siehe, auf der Stelle erschienen zwei dienstbare Geister der Art vor ihm, pudelnaß; sie schüttelten sich heftig und fragten, was er verlange. "Sagt mir", rief sie Mattetai an, "in welchem Teile der Welt ich mich dermal befindet" — "In Afrika", erwiderten sie. — "Nun, so befehle ich, daß ihr mich auf der Stelle unbeschädigt nach Europa hinüberbringet!" Die Geister setzten Mattetai auf ihre Achseln, fuhren mit ihm wie der Blitz durch das Meer und setzten ihn in Europa auf das Trockene.

Mattetai war froh, daß er wieder in den Teil der Welt gebracht worden, in welchem er geboren war, und wo er seinen bleibenden Aufenthalt hatte. Er verfolgte also, unter schweren Gedanken seinem Verluste nachhängend , mit vieler Unbequemlichkeit seine Reise, bis er wieder in sein Vaterland gelangte. Hier wandte er alle seine Kräfte an, den erlittenen Verlust seines Ringes mit Geduld zu verschmerzen. Auch konnte er sich wirklich darüber wohl trösten, denn seine große Kunst machte ihn zum Herrn über alle Schätze; er konnte sich ihrer nach Belieben bedienen und sich dabei wohl sein lassen.



***
Zu Konstantinopel war der ehrliche Taglöhner Achim in großer Not. Er forschte allerorten nach seinem Sohne Lameth, und niemand konnte ihm etwas von ihm sagen. Er ging zu dem Manne, wo Lameth die Pferde gemietet; hier erfuhr er nur so viel, daß die Pferde wieder gekommen, ohne daß jemand darauf gesessen. Man habe sie ledig an das Haus angebunden



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gefunden. Darüber machte sich Achim ängstliche Grillen; er ging nach Mattetais Wohnung, traf aber weder Herrn noch Diener. Noch hoffte er, sie würden sich am Abend einstellen; als aber der zweite und dritte Tag verflossen war, ahne daß er von seinem Sohn etwas erfahren hatte, da wurde er ganz kleinmütig, schalt den Mattetai einen Betrüger und Verführer und wünschte ihm die Pest auf den Hals. —

Lameth war noch immer in der Höhle Xa Xa verschlossen und wehklagte laut als ein lebendig Begrabener, der nicht wußte, wie er aus seiner Gruft herauskommen sollte. Er lief endlich in die Höhle zurück; denn er hoffte wieder in die schönen Zimmer und in den Garten zu gelangen, um dort vielleicht einen andern Ausweg zu finden; allein er betrog sich sehr: die Türen waren fest zugeriegelt, und er mußte unverrichteter Dinge wieder zurückkehren. Weil er von dem Hinundherrennen ganz müde geworden war, setzte er sich nun auf einen Stein in der Höhle; es begann ihn zu hungern und zu dürsten, darüber wurde er sehr kleinmütig, bis ihm einfiel, daß er noch etwas von den Labungen bei sich hatte, die ihm Mattetai mitgegeben. Er langte sie aus seiner Rocktasche hervor und erquickte sich damit, und da ihn sehr schläferte, so suchte er sich einen geschickteren Ort zum Schlummern aus, fand auch bald einen höheren Stein, der ihm zum Kopfkissen diente, legte sich zu Boden und sein Haupt darauf nieder. So schlief er sanft ein und hatte einen süßen Traum, als wäre er seinem Grab entronnen und wieder daheim bei seinem Vater. Wie er erwachte, hatte er keine Ahnung davon, daß er dreimal vierundzwanzig Stunden verschlafen. Er weinte nur um so lauter, als er sich noch in seinem finstern Kerker eingeschlossen fand, rief nach seinem Vater und rang die Hände. Ohne es zu wollen und zu ahnen, drehte er dabei den Ring um, den ihm Mattetai an den Finger gesteckt hatte. Im Augenblicke wurde die Höhle ganz hell, und zwei Lustgeister, die vorher in des Zauberers Dienste gewesen waren, standen vor Lameths Augen. Dieser erschrak zwar ein wenig; doch weil er früher schon die Unschädlichkeit jener Geister erfahren hatte, so ermannte er sich bald wieder, zumal als er die Geister zu sich sprechen hörte: "Was verlangst du von uns? Womit können wir dir dienen?" — "Ach", seufzte Lameth, "aus meinem Gefängnis wäre ich gerne und bei meinem Vater!" —"Lameth, Lameth", antwortete da einer der Geister, "wenn du das Glück kenntest, das in deinen Händen ist; du schätzetest dich höher als der türkische Kaisers Aber sei zufrieden; da du jetzt die Erdgeister gebunden hast, so können wir dir zu Diensten sein, und dein Wille soll erfüllt werden." Darauf öffnete sich in einem Nu und mit



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großem Krachen die Höhle; die Luftgeister erfaßten den Knaben und führten ihn wie der Wind nach Konstantinopel hinüber, wo sie ihn vor seines Vaters Hause niedersetzten. Er dankte den dienstbaren Geistern herzlich und ging getrost in das Haus hinein.

Hier saß der alte Achim sehr traurig über den Verlust seines Sohnes. Als dieser nun plötzlich vor ihm stand, da war seine Freude unbeschreiblich, er fiel ihm um den Hals und rief das einemal um das andere: "Lameth, ach lieber Lameth, wo bist du so lange geblieben, und wo ist dem guter Herr hingekommen?" — "Lieber Vater", sprach der Sohn, "sagt mir von dem Schelmen und Zauberer Mattetai nichts mehr, sondern schafft mir etwas zu essen; denn mich hungert sehr. Seit ich von Euch gekommen bin, habe ich nichts als ein paar Zuckerstengel über meine Zunge genommen!" Achim, der noch Geld von Mattetais Lohn im Vorrate hatte, lief in die Wirtsküche und brachte zu essen und zu trinken. Nachdem sich nun Lameth gütlich getan, erzählte er seinem Vater die ganze Geschichte umständlich; aber Achim wollte ihm keinen Glauben schenken: er meinte vielmehr, sein Sohn fable, oder es habe ihm geträumt. Als aber Lameth seinen Turban auflöste und aus demselben das Schloß nebst der schönen Perlenschnur hervorbrachte, überdies seine Taschen ausleerte und die schönen durchsichtigen Früchte zeigte, die er in dem unterirdischen Zaubergarten von den Bäumen gepflückt hatte: da mußte Achim wohl glauben, daß es seinem Sohne nicht geträumt habe, sondern daß ihm alles so widerfahren sei, wie er es erzählt hatte.

Indessen achteten sie die schönen Früchte nicht höher als bunte Gläser, schätzten auch das Schloß nicht höher als ein anderes gemeines Vorlegeschloß, so daß Lameth alles zusammen in seine Kammer legte und wenig Sorge dafür trug. Weil aber Vater und Sohn von dem vielen Gelde her, das ihnen Mattetai gegeben hatte, an gute Tage gewöhnt waren, so dachten sie auch ferner an kein Arbeiten und zehrten so lange, als es währen mochte. Als jedoch alles aufgezehrt war, da kam sie das Arbeiten blutsauer an. Eines Tages holte Lameth sein Schloß hervor, zeigte es seinem Vater und sagte: "Mattetai muß doch ein rechter Tor gewesen sein, daß er um eines solchen Quarks willen sich so viele Mühe gegeben und mich darum so großer Gefahr ausgesetzt hat!"Auch der Vater lachte und sagte: "Ja, um des rostigen Schlosses willen ist es wohl auch der Mühe wert gewesen, soviel Lärm zu machen!" Er nahm das Schloß dem Sohn aus der Hand, wischte den Staub davon ab und drehte den Schlüssel herum. Es war aber so stark verschlossen, daß er seine gange Kraft



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anstrengen mußte, es zu eröffnen. Wie es nun endlich mit einem lauten Schnapper aufging, siehe, da stand augenblicks ein riesenmäßiger Geist vor ihnen, der fragte: "Was verlanget ihr von mir?"

Achim erschrak über diesen Anblick so, daß er rücklings in Ohnmacht zu Boden fiel. Lameth aber hatte zu seinem Glück das unschätzbare Schloß zur Hand genommen, und weil er Geister zu sehen schon vorher gewohnt
war, erschrak er nicht so sehr, sondern sagte zu dem Riesengeist: "Mich hungert, bring mir etwas zu essen!" Der Geist verschwand im Augenblick und gleich darauf brachte er zwei große silberne Schalen mit frischen und eingemachten Früchten, setzte sie vor Lameth nieder und sagte: "Steht nichts mehr zu Diensten?" — so", antwortete der Knabe, "zu trinken möchte ich auch etwas haben!" Im Nu brachte der Geist ein Dutzend Flaschen des besten Weines in einem großen silbernen Kessel und fragte, was er weiteres verlange. Lameth sagte: "Für jetzt nichts mehr"; er machte sein Schloß wieder zu und legte es wieder an seinen Ort. Doch machte



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er sich allerlei Gedanken über dasselbe, konnte jedoch in der Einfalt seines Geistes 'nicht auf den rechten Grund der Sache kommen.

Der erschrockene Achim lag indessen immer noch in tiefer Ohnmacht darnieder . Da griff Lameth zu einer der Weinflaschen und spritzte ihm damit über das Gesicht. Dadurch brachte er ihn wieder zur Besinnung; als Achim nun die Augen öffnete, fiel sein erster Blick auf die silbernen Becken mit Essen und Trinken, und er konnte nicht begreifen, wie sie hergekommen, bis sein Sohn ihn belehrte, daß der erschienene Geist alles gebracht habe. Achim, dem das Ding nicht natürlich vorkam, wollte nichts davon anrühren; Lameth aber, den hungerte, fragte nichts darnach, sondern ließ es sich wohlschmecken und machte dadurch seinem Vater auch Appetit. Dieser kostete anfangs nur wenig; da er aber fand, daß es gar nicht so schlimm war, griff er zu und bediente sich namentlich mit dem guten Weine reichlich. So lebten Vater und Sohn von dem, was der Geist gebracht hatte, bis es aufgezehrt war. Weil sie aber das Arbeiten ganz und gar verlernt hatten, so sagte der Vater: "Lameth, weißt du was, gehe hin und verkaufe eine von den Schalen, die wir ja doch nicht mit aufspeisen können." Lameth war dazu willig, steckte die Schale in sein Oberkleid und wollte damit zu einem Zinngießer gehen, indem er meinte, daß dieselbe von so geringem Metalle sei. Allein unterwegs begegnete ihm ein Jude: der fragte ihn, wo er mit der Schale hin wolle. Lameth antwortete: "Ich will sie verkaufen." Der Jude führte ihn in einen offenen Durchgang, ließ sich die Schale vorzeigen und fragte, wie hoch er sie hielte. "Ihr werdet selbst am besten wissen, was sie wert ist; sagt mir, was Ihr mir dafür geben wollt !" Der Jude besah die Schale von vorn und von hinten, endlich bot er ihm zwölf Löwentaler dafür. "Sie ist eigentlich nicht so viel wert", setzte er hinzu, "aber die Arbeit daran gefällt mir!" Lameth lief ganz vergnügt mit dem vielen Gelde zu seinem Vater zurück, und Achim, der so wenig wie sein Sohn den wahren Wert der Schale kannte, freute sich ebenfalls über den so guten Verkauf. Nun schmeckte ihnen beiden der Müßiggang immer besser, bald kam die zweite Schale dran, und der Jude, der aus der vorigen so guten Nutzen gezogen hatte, lauerte schon wieder auf Lameth und fragte ihn, ob er noch eine Schale zu verkaufen hätte. Lameth war schlau genug, zu sagen: "Ja, aber die vorige habe ich Euch zu wohlfeil gegeben; mein Vater hat mich darüber hart gescholten; Ihr sollt mir mehr darum geben, sonst muß ich die Schale weitertragen t" Der Jud ' erwiderte: "Junge, sie ist nicht mehr wert gewesen; aber weil mir eine Schale ohne die andere nichts nütz ist



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und ich deren zwei haben muß, wenn ich sie wieder verkaufen will, so komm her, ich will dir zwanzig Taler um diese da geben." Lameth war sehr froh, solches zu hören, gab ihm die Schale, lief mit dem Gelde zu seinem Vater und rief ihm freudig entgegen: "Dieser Jude muß wohl ein ehrlicher Jude sein, daß er mir soviel Geld für die Schale gegeben hat!" Achim bejahte und war froh, wieder einige Zeit ohne Arbeit sich wohl sein lassen zu können. Aber das Geld währte nicht lange, und so sollte endlich auch der große Kessel, in welchem der Geist die Weinflaschen gebracht
hatte, zum Juden wandern. Weil aber der Kessel so schwer war, nahm ihn Lameth auf den Kopf und trug ihn öffentlich davon. Da begegnete ihm ein Goldschmied und fragte ihn, wohin er mit dem Kessel wolle. "Ich will einen Juden suchen, der ihn mir abkauft", sagte Lameth. "Ja", erwiderte der Goldschmied, "ein solcher Schelm wird dir viel dafür geben; ich habe dich schon zweimal mit einer Schale bei mir vorbeigehen sehen. Was hat dir denn der Jude jedesmal dafür gegeben?"Lameth gestand in seiner Einfalt, was er empfangen hatte; da versetzte der Goldschmied: "Nun, siehst du wohl, wie der schelmische Jude dich betrogen hat? Jede dieser Schalen war wenigstens hundert Löwentaler wert!"Lameth meinte,



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der Goldschmied treibe seinen Spott mit ihm, und fragte: "Ei nun, wieviel ist denn alsdann dieser Kessel wert? Der Goldschmied wiegte ihn in den Händen, untersuchte ihn genau und sagte endlich: "Ich will dir fünfhundert Löwentaler dafür geben!" Lameth wußte nicht, ob er noch in seiner Haut stecke, da er von der großen Summe hörte, und als der Goldschmied sagte, er sollte den Kessel noch einen andern Goldschmied sehen lassen; wenn der ihm mehr dafür geben wollte, so sei er es auch bereit; da mochte Lameth keinen Schritt weiter tun, sondern übergab ihm den Kessel, stopfte die fünfhundert Löwentaler in einen Sack, trug das Geld in aller Eile auf dem Kopf nach Hause und jagte davon wie ein Windspiel . Als er zu seinem Vater kam, konnte er vor Atem kaum reden. Er warf den Geldsack auf den Tisch, daß er entzwei borst und die Taler im Zimmer herumrollten. "Vater, sehet nur, was ich für einen Fang getan habe", rief er, "der schelmische Jude hat uns recht betrogen; wäre ich nur gleich zu dem ehrlichen Manne, dem Goldschmied, gegangen, da hätte ich für meine zwei Schalen weit mehr bekommen!" Aber der alte Achim sagte: "Erzürne dich nicht, mein Sohn; sei froh, daß du das größte Stück so gut angebracht hast l Jetzt wollen wir klüger mit dem Geld umgehen; denn ein solches Glück wird uns wohl nimmermehr zuteil werden." Lameth war zufrieden damit, nur bat er sich von dem Gelde so viel aus, um sich etwas besser zu kleiden; vierhundert Löwentaler aber legte er davon zurück, damit er in Zukunft etwas davon kaufen könnte; was übrigblieb, gebrauchten sie für ihre nächsten Bedürfnisse und ließen sich's dabei wohl sein.



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Einst kam Lameth die Lust an, ein wenig aufs Land zu gehen. Während er nun vor der Stadt Konstantinopel draußen die Lusthäuser des türkischen Kaisers beschaute, hörte er von ferne die Kanonen donnern. Dies war das Zeichen, daß sich alle Männer zurückziehen sollten, weil die Frauen des Großsultans auf dem Wege nach den Lustgärten begriffen seien. Lameth, der wohl wußte, daß auf Übertretung dieses Befehls Todesstrafe stehe, fühlte sich doch vom Vorwitz getrieben, diesen Zug unvermerkt zu beobachten. Und weil er gerade einen hohlen Baum am Wege erblickte, in dem er sich verbergen



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kannte, stieg er hinein und erwartete daselbst den Zug so wohlverborgen , daß ihn niemand in seinem Versteck gewahr wurde und er deswegen alles miteinander an sich vorübergehen sehen konnte. Da mußte wider alles Vermuten zunächst an jenem Baume die Sänfte der älteren Prinzessin des Sultans, Bellastra, zerbrechen, so daß sie mit dem Tragstuhl zur Erde stürzte und in Ohnmacht fiel. Sogleich umringten Diener und Frauen die Sänfte und beschäftigten sich mit der Fürstin; der Schleier wurde ihr abgenommen, man träufelte ihr köstliche Wasser auf die Schläfe, und so wurde sie endlich wieder zur Besinnung gebracht.

Dies alles konnte Lameth mitansehen; die Schönheit der Prinzessin Bellafira war so nahe vor seinen Augen, daß er alles um sich her vergaß; er streckte beständig den Kopf aus dem Baume heraus, und hätten nicht diejenigen, die der Prinzessin zu Hilfe geeilt waren, genug mit ihr selbst zu tun gehabt, so wäre er gewiß entdeckt worden und verloren gewesen. So aber fügte es das Glück, daß, nachdem Bellafira sich erholt hatte, der ganze Zug zurückging, um die Prinzessin wieder in ihres Vaters Palast zu bringen. Lameth saß noch immer in seinem hohlen Baum und sah der Prinzessin nach, solange er nachsehen konnte. Als er sie aus den Augen verloren hatte, rang er die Hände und rief: "Bellastra, Bellasira, mein Leitstern! Wohin entschwindest du? Ohne dich muß ich sterben!" wer diesem Händeringen drehte sich der Ring an seinem Finger wieder; auf der Stelle erschien ein Luftgeist und fragte: "Lameth, was ist dein Begehrens " So verwundert Lameth über diese Erscheinung war, so faßte er sich doch bald und sagte freimütig: "Ach, ich bin sterblich verliebt in die Prinzessin Bellastra! Kannst du mir nicht zu ihrem Besitze verhelfen?" — "Nein", antwortete der Luftgeist, "das steht nicht in meinen und meiner Gesellen Kräften. Aber verzage deswegen nicht, Lameth! Du besitzest ja das herrliche Schloß aus der Höhle Xa Xa durch welches du des Dienstes der Erdgeister sicher hifi; diese können dir dazu behilflich sein, wenn du die Sache recht anzugreifen weißest."

Bei diesen Worten des Geistes erwachte Lameth wie aus einem Traum; jetzt erst begriff er, was für einen herrlichen Schatz er an dem Schloß besitze, das er bisher so wenig geachtet hatte. Auch merkte er jetzt erst, daß sein Ring über die Luftgeister eine Herrschaft übe. Er verabschiedete daher den Geist ganz wohlgemut und ging um ein vieles vergnügter nach der Stadt zurück. Doch dachte er immer darüber nach, wie er seine Sachen klüglich angreifen wollte; deswegen wurde er wider seine Gewohnheit ganz stille, so daß sein Vater eines Tages ihn befragte, was ihm denn



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fehle. Da gestand Lameth, daß er in Bellastra, die Tochter des Sultans, verliebt sei und nun darüber nachdenke, wie er dieselbe erlangen könnte. Achim meinte, sein Sohn sei hirnwund geworden, und redete ihm zu, sich solche Narrheiten aus dem Sinne zu schlagen und auf etwas anderes zu denken; aber Lameth ließ sich nicht abwendig machen und verlangte von seinem Vater, er sollte bei dem Großsultan eine Audienz zu erhalten suchen und für ihn um die Prinzessin werben. "Du Tor", antwortete ihm sein Vater ganz aufgebracht, "wie sollte ich vor Seiner Hoheit erscheinen und ein so lächerliches Begehren vorbringen l Zudem weißest du, daß man vor dem Sultan nicht ohne ein Geschenk erscheinen darf; und wenn wir auch all unser Geld darauf verwenden wollten, so würde es doch für nichts geachtet werden. Was hätten wir dann davon?" — "Vater", erwiderte Lameth, "kümmert Euch darüber nicht; ich bin jetzt älter und klüger geworden und weiß, daß ich derlei Dinge in meiner Gewalt habe. Die Steine, die ich besitze, und die ich vorhin so gering geachtet habe, sind keine Gläser; es sind die Edelsteine, die von großen Herren wertgeschätzt werden; denn aller Schmuck, den die Prinzessin Bellastra in den Haaren und an der Brust trug, kam mir wie Kindersteine vor gegen die meinigen! Drum, lieber Vater, wenn Ihr nicht wollt, daß ich sterben soll, so tut mir den Gefallen und bringt meine Bitte für mich an und laßt mich für das Weitere sorgen!"

Achim, der seinen Sohn lieb hatte, gab ihm endlich nach, verwahrte sich aber zum voraus, daß Lameth ihm keine Schuld geben dürfe, wenn die Sache, wie er vorauszusehen glaubte, ein unglückliches Ende nähme. Doch Lameth war voll guten Mutes und trieb nur immer an seinem Vater. Dieser machte sich auch wirklich am folgenden Morgen auf, zu dem Sultan zu gehen, und sein Sohn übergab ihm zu dem Ende zwölf von den mittlern Sorten seiner Steine von allerlei Farben. Er legte sie in schöner Ordnung in ein Körbchen, deckte ein sauberes Tuch darauf und bändigte sie seinem Vater ein. Dabei unterrichtete er ihn, was er reden und auf des Sultans mutmaßliche Fragen antworten sollte. Außerdem gab er ihm noch einen schönen roten Stein mit, den sollte er dem in die Hände drücken, der die Leute bei dem Großsultan zur Audienz zu führen hätte. Der alte Vater ging voll Bekümmernis hin; er bildete es sich zum voraus recht lebhaft ein, wie übel er empfangen werden würde, wenn er nun Lameths törichtes Vorbringen an den Tag zu legen hätte; aber die Liebe zu seinem Sohn überwand alles. So gelangte er in den Audienzsaal; hier stand er lange und sah, wie andere in die Audienz geführt wurden; bei ihm aber



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ging man vorüber, gerade als ob er nicht da wäre. Endlich erwischte er einen der Hofbedienten, welche die Leute vor den Sultan riefen, beim Ärmel und drückte ihm geschwind den Stein in die Hand und bat um Audienz. Der Diener betrachtete den Stein in seiner hohlen Hand heimlich und erkannte bald, daß es ein Rubin von großem Werte war. Gleich sah er den alten Achim viel freundlicher an, ließ alle andere Vornehme stehen und brachte den Taglöhner vor den Großsultan. Dieser warf sich vor dessen Füßen nieder und sagte: "Großmächtigster Sultan, hier über
bringe ich Euer Hoheit ein kleines Geschenk von meinem Sohn, der sich in seines Herren Huld empfehlen möchte." Der Großsultan ließ sich das Körbchen zeigen, und als das Tuch hinweggenommen war, funkelten ihm zwölf herrliche Kleinodien entgegen. Er wußte vor Verwunderung nicht, was er sagen sollte; denn obgleich er den größten Schatz in der Welt hatte, so besaß er doch solche Herrlichkeiten nicht; ja, er hatte so vollkommene Edelsteine nie gesehen. Er hieß daher jedermann abtreten und fragte seinen Großwesir, indem er ihm das Körbchen zeigte: "Was hältst du von diesem Geschenk?" Der Großwesir verstummte, als er die Herrlichkeit sah; er mußte nur immer den Mann ansehen, der die Gabe überliefert hatte,



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und endlich sagte er zu dem Sultan leise: "Herr, ich kann mich nicht darein finden, wie dieser Mann zu solchen Schätzen gekommen ist." Darauf fragte der Sultan den Achim, wer denn sein Sohn wäre. "Mein Sohn", erwiderte dieser, "hat seine Schätze aus Afrika geholt; er besitzt deren so viel, daß Euer Majestät nur befehlen dürfen, was Ihr Begehr ist." — "Hast du nichts weiter anzubringen", fragte der Großsultan mit sichtbarem Staunen. Achim zuckte die Achseln und sagte mit stammelnder Zunge: "Großmächtigster Monarch! Wenn Eure Hoheit das, was ich vortragen will, nicht ungnädig aufnehmen wollte, so möchte ich wohl in Untertänigkeit eine Bitte meines Sohnes vortragen." —"Sage", sprach der Sultan, "was er von mir verlangt, es soll dir darum nichts Widriges widerfahren. Rede deswegen mit aller Freiheit!"

Da hub Achim an: "Großer Monarch! Die äußerste Not zwingt mich dazu, daß ich Euer Majestät bekennen muß, daß mein Sohn, Lameth mit Namen, in Eurer Hoheit älteste Tochter, die Prinzessin Bellastra, verliebt ist und bei ihrem hohen Vater durch mich untertänigste Anwerbung tun läßt, mit seiner Versicherung, daß derselbe sich angelegen sein lassen wird, einen Brautschatz herbeizuschaffen, wie sich ihn Ihre Hoheit nur wünschen kann." Die anwesenden Hofleute konnten sich des Lachens bei dieser Freiwerbung nicht enthalten, und der Großwesir, dessen Sohn schon lange die gewisse Hoffnung hegte, die Hand der Prinzessin zu erhalten, flüsterte seinem Herrn ins Ohr: "Großmächtigster Monarch, das ist doch eine schöne Zumutung, daß Eure Hoheit Ihre erstgeborne Tochter dem nächsten besten Landläufer zur Ehe geben soll!" Aber der Sultan warf einen Blick auf das Körbchen und antwortete: "Achim, sage deinem Sohn, daß er sich nach sechs Monaten bei mir wieder anmelden lassen soll." Mit dieser huldreichen Antwort war Achim sehr zufrieden; Lameth begnügte sich auch damit und beschloß, die vorgeschriebene Zeit ruhig abzuwarten. —

Es läßt sich denken, daß der Großwesir auch nicht feierte; er wußte es so anzulegen, daß der Großsultan, der an den seltsamen Achim und das ihm gegebene Wort nicht mehr dachte, in die Vermählung seiner Tochter mit dem Sohne des Wesirs willigte, und nun wurden große Vorbereitungen zu Bellastras baldigem Verlöbnisse gemacht. Das hörte Achim und wurde sehr betrübt, doch Lameth blieb unbekümmert und flößte seinem Vater Mut ein. Indessen rückte der Tag heran, an welchem Bellastra mit dem Sohne des Großwesirs nach türkischer Weise getraut werden sollte. Lameth erfuhr dieses auch; er blieb aber so sorglos, daß sein Vater nicht anders dachte, als sein Sohn sei von der närrischen Einbindung,



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die Prinzessin heiraten zu wollen, genesen und habe es sich gänzlich aus dem Sinne geschlagen.

Lameth aber hatte ganz andere Gedanken. Er wartete bis zum Abend; da verschloß er sich in seine Kammer, berief mit Hilfe seines Ringes einen Luftgeist und sprach zu dem augenblicks erschienenen: "Ich will, daß du in des Großsultans Palast gehest, und wenn der Sohn des Großwesirs in das Gemach seiner Braut treten will, so nimm ihn und entführe ihn nach Damaskus. Dort sollst du ihn in den Lorbeerwald niedersetzen und so lange verwahren, bis ich es anders befehlen werde." Der Geist richtete aus, was ihm Lameth befohlen hatte. Bellastra erwartete vergebens ihren Bräutigam; am Morgen fand sie der Sultan allein, und Bellastra schwur bei Mahomet, daß sie den Sohn des Großwesirs seit gestern abend nicht gesehen habe. Der Großsultan war hierüber höchst aufgebracht, beschickte den Großwesir und redete ihn zornig an: "Wie, achtet Euer Sohn, der Sklave, meine Tochter so unwert, daß er sie in der ersten Stunde verläßt? " Der Großwesir begriff nichts von diesen Vorwürfen; er versicherte, daß sein Sohn ihn verlassen habe, um zu seiner vermählten Braut zu gehen, und daß er ihn, seit er Abschied genommen, mit keinem Auge wieder gesehen habe. Traurig verließ der Wesir den Sultan und erkundigte sich allerorten nach seinem Sohne; aber er konnte keine Spur von ihm entdecken, und so ging der Tag nach der Hochzeit in allgemeinem Mißvergnügen und großer Stille hin, und Bellastras Verlöbnis wurde für nichtig erklärt.

Ein Vierteljahr war vergangen, ohne daß man etwas von des Großwesirs Sohne hätte erfahren können; da erkühnte sich des Großadmirals Sohn, um Bellastra zu werben, und erhielt das Jawort des Sultans, und neue Anstalten zum Beilager wurden getroffen. Lameth, der von allem sichere Nachrichten hatte, war wieder ganz unbekümmert und ließ die Trauung vorübergehen. Abends berief er abermals einen Luftgeist, und als dieser erschien, befahl er ihm, wenn der Bräutigam sich zu seiner Braut verfügen wollte, so sollte er ihn ergreifen, ihn gen Ägypten nach Kairo führen, dort in einen Orangenwald niedersetzen und gleich dem Sohne des Großwesirs dort lassen, bis er ihm andern Befehl geben würde. Der Geist war gehorsam, faßte den Bräutigam und trug ihn davon. Bellastra aber wartete wieder vergebens und härmte sich ab. Am andern Morgen fand sie der Großsultan ganz in Tränen schwimmend auf ihrem Ruhebette liegen, , und auf seine Frage, wie es ihr gehe, antwortete sie mit Seufzen: "Ich Unglückselige muß wohl von jedermann verspottet sein, da mich nun



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schon der zweite Bräutigam wie der erste verhöhnt hat und allein läßt." Der Großsultan schüttelte den Kopf und sprach: "Liebe Tochter, hierunter muß etwas verborgen liegen; denn eben jetzt ist der Großadmiral bei mir gewesen und hat mir berichtet, daß er aus Vorsicht einige bewährte Diener seinem Sohne zu Aufsehern bestellt und von weitem hinter ihm hergeschickt habe. Diese hätten ihm hinterbracht, wie der Bräutigam glücklich bis vor Eure Kammertüre gekommen sei, dort aber sei er vor ihrer aller Augen verschwunden; und noch wisse er nichts von seinem Sohn, indem
er ihn bis auf diese Stunde allerorten vergebens habe suchen lassen." Diese Worte gaben der Prinzessin wenig Trost, und es wagte auch fortan niemand mehr, sich um sie zu bewerben.



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Nachdem aber die sechs Monate verstrichen waren, sagte Lameth zu seinem Vater: "Jetzt ist es Zeit, daß Ihr den Großsultan an sein Wort erinnert , um zu vernehmen, zu was er sich meinetwegen entschlossen hat." Und nun legte ihm Lameth wieder in ein Körbchen zwölf andere Steine, die schönsten und größten, die er hatte; zugleich fügte er die Perlenschnur,



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an der das Schloß gehangen, hinzu: diese sandte er der schönen Bellastra zum Geschenk. "Und nun gehet", sprach er, "lieber Vater, und erfreuet mich bald mit einer vergnüglichen Antwort!" Der Alte ging getrost fort; und, sowie ihn der Sultan im Audienzsaal erblickte, gedachte er sogleich seines früher getanen Versprechens, befahl allen außer Achim abzutreten, ließ ihn vor sich kommen und fragte ihn, was sein Anbringen wäre. Achim warf sich vor dem Großsultan nieder und sagte: "Großer Monarch, mein Sohn Lameth empfiehlt sich Eurer Hoheit besonderer Gnade, und da die sechs Monate vorbei sind, nach welchen unser Herr versprochen, eine beliebige Antwort auf sein untertäniges Ansuchen zu erteilen, so sendet er mich deswegen hierher und überschickt Eurer Hoheit das Mitfolgende als geringes Geschenk; zugleich wagt er es, der Prinzessin Bellastra diese Perlenschnur zu Füßen zu legen."

Der Sultan ließ sich das Körbchen übergeben, und als er die köstlichen Steine sah, fuhr er auf und rief: "Welcher König kann mir solche Dinge senden?" Darauf berief er seine Räte und beratschlagte mit ihnen, was in der Sache zu tun sei. Er stellte ihnen vor, obgleich er den Menschen nicht kenne, von welchem die herrlichen Geschenke herrührten, so ersehe er doch aus ihnen, daß derselbe der Reichste in seinem ganzen Lande sein müsse. Der Großwesir aber, der noch immer unzufrieden war, daß die Prinzessin Bellastra seinem Sohne nicht zuteil geworden, sagte: "Großmächtigster Monarch, es steht in Eurer Willkür, in dieser Sache nach Belieben zu verfahren; doch, weil der Menschen Tun so gar betrüglich ist, so wäre ich der Meinung, Eure Hoheit täte nicht übel, wenn Sie denjenigen, dem Sie Ihre Tochter zu geben entschlossen ist, vorher recht auf die Probe stellte; zumal da er sich erboten hat, alles mögliche, was zu einem Brautschatz gehöre, herbeizuschaffen. So werdet Ihr bald erfahren, was hinter ihm ist!" Dem Sultan gefiel dieser Vorschlag; er kehrte in den Audienzsaal zurück, wandte sich zu Achim und sagte zu ihm: "Gehe hin und sage deinem Sohne, daß ich mir seine Geschenke in Gnaden gefallen lasse; und wenn er mir zum Brautschatze für meine Tochter sechs Kamele mit Gold und sechs mit Silber beladen, dann sechs weiße Sklaven, jeden mit einem Sack der schönsten persischen Stoffe, und sechs schwarze Sklaven, jeden mit einem Korb voll solcher Juwelen, übersenden wird, so soll er mein Eidam werden."



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Als Achim dieses hörte, machte er eine traurige Verbeugung und ging in schwermütigen Gedanken nach Hause; der Großsultan aber verfügte



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sich zu Bellastra, und indem er ihr die herrliche Perlenschnur übergab, sprach er: "Ein unbekannter Mensch läßt um dich werben; er hat mir die kostbarsten Geschenke gemacht, wie ich deren nie gesehen habe, und heute überschickt er mir diese Perlenschnur, was dünkt dir davon?" Bellastra nahm die Perlen und betrachtete sie; die Schnur fand sich so groß, daß sie ihr sechsmal um den Hals ging und noch dazu sechsmal um beide Hände; jede Perle war schön, groß, rund und ohne Tadel. Da sagte die Prinzessin zu ihrem Vater: "Ich möchte den Menschen wohl kennen, der solche Kleinodien hat; ich glaube, es gibt eine gleiche Perlenschnur auf der Welt nicht." Der Sultan bejahte dies und sagte zugleich: "Es reut mich, daß ich ihm eine Antwort erteilt habe, die ihn im Grunde abweist; denn ich habe ihm Dinge zum Brautschatze zugemutet, die er unmöglich herbeischaffen kann." Als die Prinzessin hörte, was gefordert worden war, wurde sie ganz traurig und sagte: "Nun werde ich wohl mein Leben lang unvermählt bleiben müssen!"


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Lameth wartete inzwischen mit Verlangen auf seines Vaters Zurückkunft , und als er ihn erblickte, fragte er mit großer Begierde: "Vater, habt Ihr Gutes ausgerichtet?" Achim antwortete: "Sohn, laß dir doch die Grillen wegen Bellastra vergehen; sowenig du die Sterne am Himmel mit deinen Händen langen kannst, so wenig wirst du die Prinzessin zur Braut erhalten!" Darauf erzählte er ihm, was der Sultan zum Brautschatz verlange. Lameth hörte ganz geduldig zu, und als sein Vater ausgeredet hatte, fragte er ihn: "Verlangt der Sultan sonst nichts mehr als dieses?" — "Ich glaube, du bist von Sinnen gekommen", erwiderte Achim, "und wenn du alle Pflastersteine von Konstantinopel zu Gold, Silber und Juwelen machen würdest, so hättest du nicht genug, des Sultans Bedingungen zu erfüllen!" Lameth aber lachte nur darüber und sagte: "Geduldet Euch nur ein klein wenig; morgen werdet Ihr gewiß anders reden!" Und nun legte er sich, da der Tag zu Ende ging, ruhig schlafen und hieß seinen Vater morgen recht frühe aufstehen. Er selbst erhob sich vor Tagesanbruch, nahm sein treffliches Schloß zur Hand, drehte den Schlüssel um und rief dadurch die Erdgeister zu sich, die ganz willig erschienen. "Würdiger Besitzer des vortrefflichen Schlosses", sagten sie, "was ist dein Verlangen?" Lameth antwortete schnell: "Daß ihr alsbald sechs Kamele mit Silber, sechs mit Gold beladen, dann sechs schwarze Sklaven, jeden mit einem silbernen Becken voll Kleinodien, und sechs weiße Sklaven, jeden mit einem Sack voll persischer Stoffe, Decken, europäischer



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Spitzen, alles aus der Höhle M herbeischaffet!" - "Alsobald!" antworteten die Erdgeister freudig, und noch vor dem völligen Anbruche des Tages waren sie wieder da und brachten alles mit, wie es Lameth verlangt hatte. der noch schlief, wurde durch das Getümmel der Sklaven und Kamele aufgeweckt, öffnete das Fenster und erstaunte nicht wenig, wie er alles, was der Sul tan verlangt hatte, vor sich sah. Atemlos lief Sohne die Stiege hin auf und verkündigte ihm solches mit Freuden. Lameth lachte und sprach: "Nun, Achim, er zu seinem sagt, ob es mich viel Mühe gekostet hat, das Verlangen des Großsultans zu erfüllen? Macht Euch darum nur auf, überliefert dem Sultan das Verlangte und sagt ihm, daß ich alles das viel geringer schätze als das Glück, die schöne Bellastra zu besitzen!" Achim meinte immer, es träume ihm. Als er aber auf die Straße hinabging und alles noch vorhanden traf, so machte er sich eilig auf die Beine und ließ den Zug nachfolgen. Alles Volk erstaunte über diesen Anblick und jagte den beladenen Tieren und Sklaven nach. Als sie daher nahe an dem Palaste des Sultans waren und die Wache das Laufen der vielen Leute gewahr wurde, glaubte diese, es sei ein Aufruhr, schloß das Tor zu und sorgte, daß dem Großsultan Meldung von dem Auflaufe getan ward. Dieser blickte mit Besorgnis zu einem Fenster seines Palastes hinaus, da sah er, wie der versprochene Brautschatz, den er für seine Tochter verlangt hatte, Sogleich ließ er den Achim vor sich kommen; der stellte ihm in seines Sohnes Lameth Namen alles vor und empfahl sich in seine hohe Huld und Gnade.


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Der Sultan ließ seine Tochter Bellastra rufen, und nun traten die Sklaven hervor und legten alles zu seinen Füßen nieder. Die mit Gold und Silber gefüllten Kisten waren zu schwer, um alsbald vor dem König abgeladen zu werden, sie wurden daher von den Kamelen fortgetragen und der Schatzkammer übersendet. Der Sultan besah die edeln Steine und daherzog.



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kostbaren Stoffe, die zum größten Teil ihm unbekannt und alle von unbegrenztem Werte waren, und sprach endlich zu seiner Tochter: "Nun, was dünkt dir von deinem Bräutigam, meinst du, daß er diesmal deiner würdig sei?" Bellastra antwortete: "Nach dem zu urteilen, was ich hier vor mir sehe, muß er der reichste und glücklichste Mann von der Welt sein!" Und nun versammelte der Großsultan auch seine Räte und zeigte ihnen den Brautschatz. Sie verstummten alle, und keiner, selbst der Großwesir nicht, getraute sich, ein Wort zu reden. Da brach der Sultan das Stillschweigen, ging zu Achim hin und sprach: "Macht Euch auf und saget Eurem Sohn, ich lasse dem künftigen Bräutigam meiner Tochter meinen Gruß vermelden; er soll nicht säumen und, je eher, je lieber, kommen und mich mit seiner Gegenwart erfreuen."

Achim kam vor Freude ganz außer sich, er verbeugte sich zum Abschied; der alte Mann lief wie ein junges Reh nach Hause und verkündigte seinem Sohne die Botschaft. Dieser konnte sich auch kaum fassen vor Freude. "Vater", sagte er, "jetzt müssen wir uns vor allen Dingen standesmäßig ausrüsten, dem Großsultan aufzuwarten." So ging er in seine Kammer, rief mit Hilfe seines Schlosses die Erdgeister und sprach: "Schafft mir vor allem ein schönes englisches Pferd, darauf zu reiten; dann so schmucke Kleider, wie sie dem Schwiegersohn eines Sultans ziemen; hernach eine vornehme Begleitung, daß ich unter Pauken- und Trompetenschall meinen Einzug halten kann."



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Die Erdgeister taten solches mit Eifer. Vor allem aber führten sie den Herrn des Schlosses unaufgefordert in das Bad der Weisheit. Hier untergetaucht , wurde er alsbald so verändert, daß er an Gestalt, Sitte, Tugend und Weisheit nicht mehr einer seinesgleichen war und auf einmal alle Eigenschaften an sich hatte, die ein großer Herr von Rechts wegen an sich haben soll. Dann führten sie ihn wieder nach Hause, da schon alles zubereitet war, womit Lameth und Achim sich schmücken konnten, und, von den dienstbaren Geistern bedient, waren sie in gang kurzer Zeit fertig. Lameth hatte einen herrlichen Kaftan mit Hermelinfutter und Diamantknöpfen an, wie ihn der Sultan selbst noch nicht getragen hatte; er setzte sich mit vielem Anstand auf das treffliche englische Pferd, das seiner wartete ; eine Menge Sklaven zu Roß und zu Fuß umgaben ihn, und mit solchem Gefolge ritt er an des Sultans Hof. Achim mußte mit einigen Vorreitern den Zug eröffnen. Gans in der Mitte desselben befand sich Lameth und tanzte auf seinem englischen Pferde, das sich in den schönste



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Sätzen gefiel, wie der ansehnlichste Ritter daher, so daß aller Augen sich auf ihn richteten und gestehen mußten, daß sie dergleichen noch nicht gesehen . Hinter ihm beschloß den Zug eine Menge von Dienern, welche Stirnbänder von Gold und Silberblech hatten, darein der Name Lameths gegraben war, und auf denen sich die Sonne spiegelte, daß die Blicke wegwenden mußte, wer sie ansah.

Der Sultan hörte von ferne den Schall der Pauken und Trompeten; endlich sah er auch den Zug sich nahen, konnte jedoch den alten Taglöhner Achim in seiner verwandelten Kleidung nicht erkennen, bis derselbe vom Pferde stieg, vor dem Großsultan sich niederwarf und seines Sohnes Ankunft verkündigte. Jetzt hub der Sultan ihn auf und hieß ihn freundlich willkommen sein. Lameth näherte sich indessen dem Schloß und wollte vor dem Tore absteigen; aber zwei Hofbediente, die sich ihm ehrfurchtsvoll nahten, duldeten dies nicht, sondern führten ihn zu Pferde in den Schloßhof und halfen ihm hier vom Rosse. Als er die Treppe hinaufgestiegen war, empfing ihn der Großsultan mit einer Umarmung und führte ihn in ein Zimmer, wo er die von Schönheit strahlende Prinzessin Bellastra fand. Lameth warf sich ihr zu Füßen und sprach: "Auf Eures großmächtigsten Vaters Erlaubnis untersteht sich ein Sklave, sich vor Eure Füße zu werfen, anbetungswürdige Schönheit, Euch die demütigen Dienste seiner Liebe anzubieten und um Eure Gegenliebe zu flehen!"Bellastra reichte ihm verschämt ihre Hand und sprach: "Was mein Vater zugesagt hat, bin ich zu erfüllen schuldig. Doch versichere ich, daß es ohne Zwang geschieht, und wünsche Euch, daß Ihr glücklicher sein möget als meine früheren Bewerber." Lameth verstand diese letzten Worte nur allzuwohl und war daher ein wenig bestürzt, doch behielt er die Fassung, sich in Bellastras Huld und Gnade zu empfehlen.

Nun wurde zur Tafel geblasen. Der Sultan und der Taglöhner saßen auf der einen, Lameth und Bellastra auf der andern Seite; die Großen des Hofes bedienten sie. Lameth hatte unter seiner Bedienung allerlei Musikanten, die bald afrikanische, bald indische, bald europäische Weisen aufspielen mußten, worüber sich der Sultan und Bellastra so ergötzten, daß sie Essen und Trinken darüber vergaßen. Lameth selbst betrug sich gegen seine Geliebte und gegen den Sultan aufs feinste und wußte auf alle Fragen des letztern so klug zu antworten, daß dieser ihm recht wogen wurde. Bellasira aber seufzte öfters in ihrem Herzen: "Möge es doch meinem Bräutigam nicht so ergehen wie meinen beiden vorigen!" Während der Tafel besprach sich der Sultan auch mit Lameth über den



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Tag der Vermählung; da erbat sich Lameth zuvor die Erlaubnis, einen anständigen Wohnsitz für sich und seine Gemahlin erbauen zu dürfen. Als darauf der Sultan seinem Eidam eine Wohnung in seinem eigenen Palaste anbot, bis diesem gegenüber ein gleicher für Lameth gebaut sein würde, dankte dieser für ein so gütiges Anerbieten und erklärte, er werde mit seinem Bau nicht viel Zeit verlieren; denn alle Materialien seien schon beisammen; er bitte deswegen, so lange mit der Vermählung zu warten.



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Der Sultan stellte alles seinem Willen anheim, und Lameth verabschiedete sich mit seiner ganzen Begleitung, als es Abend geworden war. Der Zug setzte sich, mit Windlichtern versehen, in Bewegung und verteilte sich bald in der Nachbarschaft, wo ihnen allen vom Sultan Quartiere angewiesen waren. Ehe Lameth zu Bette ging, hielt er kraft seines Schlosses und Ringes eine Versammlung von Erd- und Luftgeistern bei sich und sagte zu ihnen: "Ich befehle euch hiermit, daß Ihr ohne alles Geräusch, ganz in der Stille, heute nacht, dem Palaste des Sultans gegenüber mir einen neuen Palast erbauet, der an Herrlichkeit seinesgleichen nicht haben soll. Er muß mit vier Toren und inwendig mit einem geräumigen Hofe versehen sein; die Zimmer und Säle sollen alle regelmäßig und wohlausgestattet , die Ställe mit schönen und guten Pferden, Küche und Keller mit allem erforderlichen Geräte, mit Speisen und Weinen, die Schatzkammer mit hinreichendem Gelde versehen sein. Was zu einem königlichen Hofstaate gehört, muß darin im überfluß angetroffen werden. Wenn Ihr dieses tut, werde ich ein besonderes Wohlgefallen daran haben."

Die Geister gingen hin und taten, wie ihnen Lameth befohlen hatte. Ein herrlicher Palast aus weiß, blau, rot und grün gestreiften Marmelsteinen stieg empor; was sonst von Eisen ist, war daran aus Gold und Silber künstlich gearbeitet zu sehen. Inwendig die Zimmer waren mit köstlichem Geräte versehen, wie sonst nirgends zu erblicken ist. Und dieser ganze große Palast wurde mit solcher Stille erbaut, daß die Schildwache, die vor des Sultans Palasttore stand und so zunächst dabei war, nicht das geringste davon sah oder verspürte, und weil eben eine sehr finstere Nacht war, auch nichts davon sehen konnte,



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Nun war der Sultan schon ein alter Herr, der wenig schlafen konnte und deswegen die Gewohnheit hatte, wenn er morgens in der Frühe erwachte, sich sogleich an das Fenster zu begeben, um die kühle Morgenluft und die schöne Aussicht zu genießen; denn er konnte von seinem Schloß aus ganz Konstantinopel übersehen. So erhob er sich auch an diesem Morgen, als es noch halbdunkel war, und sah zum Fenster hinaus. Da erblickte er in der Dämmerung etwas, das ihm gegenüberstand und die gewohnte Fernsicht benahm. Er wischte sich die Augen und meinte, der Nachtnebel schwimme ihm noch vor denselben. Als er aber wieder stark nach jener Stelle sah, so dünkte ihm, als ob ein großes Haus oder ein Schloß vor seinen Augen stehe. Da nun am vorigen Abende noch nichts daselbst gewesen war, so rief er der unten stehenden Schildwache fragend zu, was da gegenüber auf dem großen Platze stehe. Diese antwortete, es scheine ein großer und herrlicher Palast da zu sein. Voll Verwunderung schickte der Sultan einen seiner Trabanten an Ort und Stelle, und dieser kam bald zurück und erzählte, daß wirklich ein so prächtiges Schloß dastehe , als Menschenaugen nie gesehen hätten. Aber niemand hatte ihm sagen können, wie es hergekommen wäre; denn die Nacht über sei alles stille gewesen. Doch konnte der Trabant nicht genug rühmen, wie alles von Marmor, Jaspis, Porphyr und anderen schön polierten Steinen glänze, alle Rahmen und Fenstereinfassungen von Silber, alle Fenstergläser von Kristall seien.

Der Sultan staunte darüber, zumal da, wie es allmählich heller wurde, die Pracht des Palastes ihm in die Augen drang. Er ließ deswegen seine Tochter Bellastra rufen und sagte ihr: "Du wirst gewiß nicht lange mehr auf deine Vermählung warten dürfen; denn siehe, hier steht das Haus schon, das für dich und deinen Gemahl in dieser einen Nacht erbaut



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worden ist." Indem warf die aufgegangene Sonne ihre ersten Strahlen auf den Palast, und man konnte ihn vor Glanz kaum ansehen. Bellastra staunte nicht wenig über diesen Anblick, doch war sie auch von Herzen froh darüber, daß sie nun so bald mit ihrem Geliebten vereinigt werden sollte. Indessen kam auch Lameth mit seiner prächtigen Begleitung angezogen, quartierte sich in seinem neuerbauten Palaste ein und fand darin alles so wohlgeordnet, als er es nur irgend wünschen konnte. Deswegen war er auch mit allem vergnügt und lobte seine dienstbaren Geister . Dann schickte er seinen Haushofmeister zu dem Sultan, ließ ihm seinen untertänigen Morgengruß vermelden und ihn ersuchen, da sein neues Schloß fertig und in demselben alles in Bereitschaft sei, so möchte es sich Seine Hoheit gefallen lassen, daß jetzt die Zeremonie der Trauung in dem neuen Gebäude verrichtet werde. Um weiteres sollte sich der Sultan nicht bekümmern und sich die geringe Aufwartung, mit welcher er ihn bedienen werde, gefallen lassen.

Der Sultan gab seinen vergnügten Gegengruß zurück und befahl, alles zur Vollziehung des Trauungsaktes bereit zu machen. Als Lameth erfuhr, daß Bellastra gerüstet sei, holte er sie mit einem weit prächtigeren Zug, als der frühere war, ab und führte sie mit dem Großsultan und seinem ganzen Hofstaate in den neuen Palast, dessen Herrlichkeit sie nicht genug bewundern konnten. Hier wurde die Trauung vollzogen und ein kostbares Mahl abgehalten, bei welchem des Sultans Tafel in lauterem Golde, der Hofstaat aber in Silber bedient wurde. Hierüber erstaunte der Sultan hoch und gestand sich, daß er solches nachzutun nicht imstande sei. Die anmutigsten Musikchöre ließen sich abwechslungsweise vernehmen, und ein eigner Sängerchor sang zu Saitenspielen von Bellastras Tugenden und Schönheit. So verstrich der Tag unter lauter Ergötzlichkeiten. Lameth war glückselig an der Seite seiner engelschönen Braut, und diese wäre es auch gewesen, wenn sie nicht die geheime Sorge gequält hätte, daß ihr Bräutigam ihr am Abend des Tages geraubt werden könnte. Aber nichts dergleichen ereignete sich. Ihr Gemahl kam nicht von ihrer Seite, und das junge Ehepaar begann ein glückliches und ungetrübtes Leben. Bellastra liebte ihren Freund wie sich selbst, und er liebte und ehrte sie als die hohe Fürstentochter und tat, was er ihr an den Augen absehen konnte. Der Sultan war Lameths bester Freund; Große und Kleine am Hofe gewann er für sich durch sein gütiges Bezeigen; Armen und Notleidenden half er, und niemand tat bei ihm je eine Fehlbitte, daher denn auch Lameths Palast nur schlechtweg die Burg der Hilfe genannt wurde.



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Aber mit allem dem war Lameth in seinem Glücke doch nicht so befestigt , daß ihm dasselbe nicht noch einen harten Streich versetzt hätte. Es lebte nämlich der böse Zauberer Mattetai noch immer in Europa nach Herzenslust und übte täglich viele Bosheiten aus. Am Ende brachte er es so weit in seiner Kunst, daß er, wie ihm früher Luft- und Erdgeister untertänig gewesen waren und die Wassergeister ihm noch dienten, so nun die Feuergeister zu seinem Dienste zwingen konnte. Als ihm nun einmal auch wieder sein verlorner herrlicher Ring in den Sinn kam und er auch wissen wollte, wie es mit dem Schloß in der Höhle beschaffen wäre, und ob er solches nicht noch bekommen könnte, so berief er die Feuergeister zu sich, die in ziemlich zorniger Gestalt erschienen, und sich ungebärdig darüber stellten, daß man sie beunruhige. Sie schüttelten sich, daß die Funken stoben, und schrien den Zauberer mit gräßlicher Stimme an: "Was willst du von uns?" Mattetai sprach: "Sagt mir, ob es nicht möglich ist, daß ich meinen verlorenen köstlichen Ring wiedererhalte und das treffliche Schloß in der Höhle Xa Xa in meine Gewalt bekomme." Die Geister antworteten: "Das kann nicht wohl sein; wir sind nicht mächtig genug dazu. Beide besitzt Lameth und mißbraucht sie auch nicht. Und weil er Erd- und Luftgeister in seinen Diensten hat, so können wir ihm öffentlich nichts abgewinnen."

Als Mattetai dies hörte, staunte er nicht wenig. Er hatte schon lange nicht mehr an Lameth gedacht und gemeint, dieser werde längst zu Staub und Asche vermodert sein. Deswegen rief er: "Wie? Lameth lebt noch? Und er besitzt die zwei größten Schätze der Welt? Was muß ich hören! Ich Unglückseliger, ich habe mit aller meiner Kunst, Mühe und Arbeit nicht so viel zuwege bringen können! Der Lotterbube hat mich hintergangen und um beide Schätze gebracht!"So gebärdete er sich wie ein Rasender, daß selbst die Feuergeister Mitleid mit ihm hatten und zu ihm sagten: "Mattetai, dem Lameth hat sich das Glück zugewendet, das du mit aller deiner Kunst nicht hast erlangen können. Doch verzweifle darum nicht; vielleicht kannst du mit List gewinnen, was du so sehnlich wünschest. Lameth lebt nun dem Vergnügen in aller Sicherheit, er denkt wenig mehr an sein Schloß und läßt es in einem Winkel in guter Ruhe liegen. Versuch es daher, ihm dasselbe zu entwenden: was wir dazu beitragen können, wollen wir gerne tun."Mattetai war froh, verabschiedete die Feuergeister und dachte darüber nach, wie er den herrlichen Schatz erlangen könnte. Er berief die Wassergeister, die ihm auch noch dienstbar waren, und ließ sich von ihnen durch das Meer schnell nach Konstantinopel tragen. Hier suchte



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er sich eine bequeme Wohnung aus und erkundigte sich nach Lameths Zustande . Jedermann sagte Gutes von ihm, lobte seine Gütigkeit und übrige Tugend, erzählte, daß er von seiner Gemahlin Bellafira geliebt, von dem Großsultan, seinem Schwäher, und allen Großen des Hofes hochgeachtet, von aller Welt in Konstantinopel geehrt werde. Mattetai biß die Zähne über diese Nachricht zusammen; doch überwand er seinen Kummer und ließ sich nach dem Platze führen, wo Lameths schöner Palast stand.

Zu ihrem Unglücke sah Bellasira gerade zum Fenster heraus, und der alte Zauberer wurde von ihrer Schönheit so entzückt, daß er jetzt nicht mehr bloß daran dachte, wie er den armen Lameth seines Rings und Schlosses berauben, sondern mehr als an alles, wie er ihm seine engelgleiche Gemahlin entführen wolle. Doch freilich, ebendazu hatte er das Schloß nötig. Mit diesen Gedanken eilte er in sein Quartier zurück, genoß das Abendessen und schloß sich frühzeitig, als wäre er von der weiten Reise schläfrig, in seine Kammer ein. Hier berief er die Feuergeister und bat sie dringender, ihm zur Erlangung des Schlosses behilflich zu sein. Da sie sich willig zeigten, sandte er sie auf Kundschaft in das Schloß, und bald brachten sie die gelegene Botschaft, daß Lameth nicht zu Hause, sondern auf einer Jagd abwesend sei und vor mehreren Tagen nicht heimkommen werde. Auch berichteten sie ihm, daß das treffliche Schloß in der Schlafkammer auf einem Sammetkissen liege. Mattetai schalt seine Geister, daß sie ihm das Kleinod nicht sogleich mitgebracht hätten. Die Geister antworteten, das sei nicht in ihrer Macht gestanden, denn sie dürften sich dem Schlosse nicht nähern. Da legte er den Kopf in beide Hände und sann lange nach; endlich sprach er zu den Geistern: "Höret, morgen früh verschaffet mir eine schmucke Begleitung von Dienern und für mich selbst ein herrliches persisches Kleid mit einem guten Reitpferde; dann will ich mein Glück versuchen."



***
Die Geister versprachen, alles beizuschaffen, und am andern Morgen erschienen zehn persische Trabanten, die ein prächtiges Kleid und ein treffliches Roß für Mattetai brachten. Mattetai rüstete sich nun aus, und nachdem er seinen dienstbaren Geistern das Nötige aufgetragen, ritt er auf den Palast zu. Davor angekommen, sandte Mattetai einen Diener voraus und ließ sich als persischer Gesandter anmelden, der mit Lameth, als seinem alten Bekannten, sich unterreden begehre. Bellastra ließ dem Fremden bedeuten, wie leid es ihr tue, daß ihr Gemahl abwesend sei und das Glück nicht haben sollte, seinen Besuch anzunehmen; wenn



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sich aber der Gesandte ein paar Tage gedulden wollte, so werde sie ihrem Gemahle Boten senden, damit er einem alten Freunde seine Ergebenheit bezeigen könnte. Der abgeordnete Diener, ein wohlunterrichteter Feuergeist; erwiderte, so unlieb diese Botschaft seinem Herrn zu vernehmen sein werde, so habe derselbe, auf der Durchreise begriffen, doch zu sehr Eile, um sich länger als bis zum Abende verweilen zu können; jedoch bäte er sich die Ehre aus, den herrlichen Palast seines Freundes, dessen Ruf bis nach Persien erschollen sei, betrachten zu dürfen; es habe ihm nämlich der König, sein Herr, aufgetragen, Augenschein davon zu nehmen und eine genaue Beschreibung und Zeichnung davon mitzubringen.

Bellastra glaubte, nichts Unrechtes zu tun, wenn sie dem Fremden dieses Ansuchen bewilligte, sandte ihm also ihren Haushofmeister entgegen und ließ ihn abholen und im ganzen Palaste herumführen. Als Mattetai in das Zimmer kam, in welchem Bellastra war, bezeigte er derselben alle mögliche Ehrerbietung, küßte den Saum ihres Kleides und entschuldigte sich, daß er so viele Unruhe verursache. Bellafira begegnete ihm hinwiederum freundlich, und da sich Mattetai als ein rechter Hofmann zu benehmen wußte, so ließ sie ihn alle Zimmer nach seinem Wunsche sehen; als sie aber vor Lameths Schlafgemach kamen, scheuten sich die Diener des Palastes, ihm auch dieses zu eröffnen, und entschuldigten sich damit, daß dieses Zimmer nicht ganz in Ordnung sei. Aber Mattetai bestand darauf, auch dieses Gemach sehen zu wollen, weil er einen Abriß des ganzen Palastes mit allen seinen Teilen für seinen Herrn zu fertigen habe, wie er denn zum Schein immer die Schreibtafel in der Hand hatte und bei jedem Zimmer seine Anmerkungen darein zeichnete. Er würde, sprach er, wenig Ehre einlegen, wenn er das Werk unvollendet überlieferte. So wurde ihm endlich auch dieses Zimmer aufgeschlossen, auf welches er freilich wenig Aufmerksamkeit richtete; denn seine Augen schweiften nur umher , das Schloß zu entdecken. Sobald er desselben ansichtig wurde, gab er mit einem starken Husten seinen Geistern das verabredete Zeichen, und in dem Augenblick entstand im Hof unten ein Geschrei: "Feuer, Feuer!" Und wirklich sah man allerorten die Flammen in die Höhe flackern, denn obgleich der Palast von lauter Steinen erbaut war, so schienen doch dieselben über und über zu brennen, als wenn es Holz oder andere feuerfangende Materie wäre. Jedermann lief hinab, das Feuer zu löschen: in dieser allgemeinen Verwirrung ergriff Mattetai das treffliche Schloß aus der Höhle Xa Xa und steckte es geschwind in die Tasche; dann lief er mit seinen dienstbaren Geistern dem Feuer zu und half löschen, so daß man nach



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Stillung des Brandes dem persischen Gesandten und seinen Leuten den höflichsten Dank für ihre wirksame Hilfe abstattete. Nun verzog der Zauberer nicht mehr lange: er nahm ehrerbietigen Abschied und ging vergnügt seines Weges; denn er hatte den ersehnten Schatz in der Tasche. Er ritt in seine Behausung, bezahlte, was er verzehrt hatte, eilte mit seinem Zuge wieder zum Tore hinaus und verabschiedete, sobald er in einem Walde war, seine verkappte Geisterschar. Dann nahm er seine Einkehr im nächsten Dorfe und erwartete da mit Schmerzen die Nacht. Sowie es Mitternacht
war, verschloß er sich in seinem Zimmer, zog sein liebes Schloß heraus und küßte es vor Freuden. Darauf drehte er den Schlüssel um und rief die daran gebundenen Erdgeister.

Es erschienen deren viere; sie stellten sich aber sehr unwillig, brummten wie die Bären und sprachen: "Unwürdiger Besitzer des vortrefflichen Schlosses, was willst du von uns?" Mattetai antwortete: "Geschwind, nehmet Lameths herrlichen Palast mit Bellastra und allem, was darinnen ist, und traget ihn mit mir unversehrt nach Amerika; dort setzet ihn in einer lustigen Gegend niederl" Als die Geister dies hörten, schäumten sie vor Zorn, stampften mit den Füßen auf die Erde, daß alles erzitterte, und antworteten: "Unwürdiger Besitzer des trefflichen Schlosses, wisse,



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daß wir dir zwar dermalen gehorchen müssen; aber glaube sicherlich, deine Bosheit wird zu rechter Zeit gestraft werden!" Trotz dieser unwilligen Rede faßte ein Erdgeist den Zauberer am Schopf und führte ihn seinem Willen gemäß nach Amerika. Die andern Geister entrückten Lameths schönen Palast nebst Bellafira und ihrem Gesinde ebenfalls dahin und setzten ihn in einer schönen Ebene neben einem grünenden Palmwalde nieder. Mattetai entließ nun seine Erdgeister, dagegen rief er die Feuergeister und befahl ihnen, alle diejenigen, die mit Bellastra hergekommen waren, zu nehmen und in eine wohnungslose Einöde zu tragen, was auch im Augenblicke geschah. Nur Bellastra und ihre Kammerfrau blieben nach des Zauberers Willen zurück.

Der Morgen brach an, und als Bellastra erwachte und in ihrem Palaste alles so stille fand, als wenn er ausgestorben wäre, wußte sie nicht, was dies bedeuten sollte; als sie aufstand und einen Blick ins Freie warf, zweifelte sie lang, ob sie schlafe oder wache. Sie sah wohl, daß sie in ihrem Palaste war, aber anstatt wie sonst die rauschende Stadt Konstantinopel zu übersehen, blickte sie in eine fremde, ihr ganz unbekannte Gegend, in eine stille, grüne Einöde hinaus. Sie rief angstvoll ihrer Kammerfrau, aber diese antwortete ihr ebenso erschrocken: im gangen Schlosse sei kein Mensch anzutreffen, und alle Türen seien versperrt. Bellastra betrübte sich nicht wenig. Noch während sie miteinander redeten, trat der Zauberer Mattetai ins Zimmer, machte eine tiefe Verbeugung und wollte eine Entschuldigung gegen die Fürstin vorbringen. Allein diese war über sein Erscheinen so verwirrt, daß sie mit ihrer Kammerfrau in ein anderes Zimmer eilte und den Riegel hinter sich zuschob, um der widerwärtigen Erscheinung überhoben zu sein.



***
In Konstantinopel konnte in jener Nacht, da der Palast seiner Tochter entführt wurde, der Sultan auch einmal wieder nicht schlafen. Er warf sich hin und her, und es wurde ihm verdrießlich, länger zu liegen; weil denn der Mond so klar schien, so stand er auf und sah zum Fenster hinaus , in der Richtung von Lameths Palaste. Wie riß er nun die Augen auf; als er keinen Palast mehr auf jener Stelle, sondern den Platz leer sah! Anfangs meinte er, ihm träume nur so; als er aber das Fenster öffnete und genauer hinsah und den Palast immer noch nicht erblicken konnte, rief er dem Leibdiener, der in dem nächsten Zimmer die Wache hatte, und befahl ihm, zum Fenster hinauszuschauen und zu sagen, was er gesehen hätte. Sobald dieser einen Blick hinausgetan, rief er: "Hilf



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Himmel, ich sehe kein Schloß mehr; ich weiß nicht, ist es unter die Erde versunken, oder wo ist's hingekommen!" Nun ließ der Sultan Lärm schlagen; der Großwesir und die übrigen Minister wurden gerufen, und er fragte sie, wie sich das Verschwinden des Palastes mit seiner Tochter erklären lasse. Der Wesir, der, obgleich er sich äußerlich immer ganz anders gezeigt hatte, in seinem Herzen dem Lameth doch gram war und ihn im Verdacht hatte, daß er seinen Sohn entführen lassen, sagte: "Gewiß, dieser Lameth muß ein Erzzauberer gewesen sein, der sich verstellen konnte, wie er mochte, um die weisesten und schönsten Personen in der Welt zu betrügen und, wenn er ihrer satt ist, sie aus dem Wege zu räumen!"

Der Sultan entbrannte in Zorn; er gab seinem Gardehauptmann Befehl , den Fürsten Lameth aufzusuchen, wo er der Jagd nachzugehen pflegte, ihn gefangenzunehmen und unter sicherer Begleitung nach Hofe zu liefern. Der Hauptmann tat dieses ungerne; denn Lameth war ihm sehr lieb, doch konnte er nicht umhin, den Befehl zu vollziehen; er ritt daher mit seinen Leuten aus, denselben aufzusuchen. Er durfte nicht lange suchen, so traf er ihn: denn Lameth war von einer ihm selbst unerklärlichen Schwermut befallen worden, hatte sich viel eher, als er willens gewesen war, der Jagdlust entschlagen und eilte gerade nach Konstantinopel zurück. Als er den Hauptmann der Garde gewahr wurde, fragte er ihn, was es gutes Neue in Konstantinopel gebe. Dieser aber zuckte die Achseln und antwortete: "Wenig, o Herr! Ich habe den Befehl, Euch gefangenzunehmen, und wollte, der Auftrag hätte einen andern betroffen." Lameth, der sich nichts Böses bewußt war, fragte nach dem Grund seiner Ungnade. Der Hauptmann aber sagte, solches würde er von dem Sultan selbst erfahren. Da überreichte ihm Lameth willig seinen Degen. "Freund", sagte er dabei, "ich habe ein gutes Gewissen und fürchte mich vor nichts!" So ritt er mit dem Hauptmann und van dessen Leuten umringt in die Stadt zurück und von der Hinterseite her in die Burg des Großsultans hinein.

Dieser blickte Lameth mit zornigen Augen an, ergriff ihn bei der Hand, führte ihn zum Fenster und sprach: "Nun sage mir, wo ist dein zauberischer Palast, wo hast du meine Tochter Bellastra hingebracht?" Lameth sah zum Fenster hinaus, und als er seinen Palast nicht mehr erblickte, erschrak er so sehr, daß er, ohne ein Wort zu sprechen, rücklings in Ohnmacht fiel. Man brachte ihn durch allerlei Mittel wieder zur Besinnung, und nun brach er in Klagen um den Verlust seiner geliebten Bellastra aus, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Aber der Großsultan blieb ungerührt und war so erbittert, daß er ihm nur drei Tage Frist vergönnte, in



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welcher er seine Tochter wiederschaffen oder des Todes sterben sollte. Lameth war durch sein Unglück von Sinnen gekommen; er wünschte sich selbst recht bald die Stunde, in welcher er das verdrießliche Sehen enden könnte. Indessen kamen des Großwesirs und Großadmirals Söhne unvermutet wieder zum Vorschein. Sie berichteten, wie sie von unsichtbaren Kreaturen hinweggeführt und bis auf diese Stunde gleichsam in Verhaft gehalten worden und, übrigens wohl versorgt, der eine in einem Olivenwald , der andere in einem Pomeranzenham bleiben mußten, bis sie sich beide wieder zugleich hierher gebracht sahen. Weil nämlich die Erdgeister nicht mehr unter Lameths Gewalt waren, so hatte auch sein Befehl ein Ende, und die Geister mußten dem dienen, der das Wunderschloß in seinen Händen hatte. Die ehrlichen Geister aber glaubten, Lameth selbst zu dienen, wenn sie jene beiden nicht in der Einsamkeit zurückließen, sondern wieder an den Ort brachten, wo sie dieselben genommen hatten. Nun schrien aber der Wesir und der Admiral über Lameth und sagten, daß kein anderer es sei, der ihre Söhne bezaubert habe. Sie ließen daher dem Sultan keine Ruhe, bis dieser, als nun der dritte Tag erschien und Lameth unter Seufzern und Tränen schweigend vor ihm stand, befahl, daß man denselben im Hofe des Schlosses aufhängen solle.

Aber die Soldaten, die dem Lameth sehr gewogen waren, widersetzten sich diesem grausamen Befehl. Einige rannten hinaus aus der Hofburg und machten es dem Volke kund. Da entstand ein gewaltiger Auflauf, die Schloßtore wurden eingeschlagen, die Masse drang mit Wut herein und schrie: wenn Lameth sterben sollte, so wollten sie mitsterben oder aber allen die Hälse brechen, die an seinem Tode schuld wären. Da besannen sich der Sultan und die Großen des Hofes anders; der Sultan rief in den Hof hinab, das Volk sollte sich zufrieden geben; Lameths Leben sollte ihm geschenkt sein; er befahl auch auf der Stelle, ihn freizulassen. Und wirklich führten einige Vornehme, von vielem Volke begleitet, den trauernden Lameth zum Tore hinaus. Dieser ging ohne Freude über seine Rettung wie ein Trunkener taumelnd fort, bis er, vom Volk entlassen, in einen tiefen Wald kam, wo er sich im Gebüsche niedersetzte und sein unglückseliges Schicksal überlegte. Da fiel ihm auf einmal ein, daß er den trefflichen Ring noch am Finger trage, durch dessen Kraft er die Luftgeister in seiner Gewalt hatte. Schnell drehte erden Ring herum, und ein Luftgeist erschien. "Treuer Nebendiener", sprach Lameth zu ihm, "dir wird bekannt sein, daß mir ein Bösewicht das unvergleichliche Schloß geraubt und dadurch bewirkt hat, daß mein neugebauter Palast nebst meiner



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geliebten Bellastra hinweggeführt worden ist. Gewiß weißest du, wo beide sich derzeit befinden. Ich bitte dich, sage mir, wo ich sie antreffen und ob ich meine teure Gemahlin nicht wiederbekommen kann?" Der Luftgeist antwortete: "ES ist der Verräter Mattetai, der dich durch List um das Schloß gebracht und sofort Bellastra in ihrem Palaste nach Amerika entführt hat; dort hat sie viel Verfolgung von diesem Bösewicht auszustehen . Dennoch sei guten Mutes, Lameth! Die Erdgeister dienen dem Zauberer nur aus Zwang und werden selbst froh sein, wenn sie von seinem Dienst erlöst werden. Wenn du daher willst, so bringe ich dich nach Amerika und dahin, wo Mattetai deine Gemahlin eingeschlossen hält, dann mußt du ihn wieder mit List hintergehen, wie er dich hintergangen hat!"

Lameth war wieder lebendiger geworden, weil er nun wußte, wo seine Bellastra anzutreffen sei. Er bat den Geist, ihn auf der Stelle nach Amerika zu bringen; dieser ergriff ihn, führte ihn dahin und setzte ihn in dem Palmenhaine nieder, von wo aus er seinen wohlbekannten herrlichen Palast erblicken konnte. Nun befahl Lameth seinem Luftgeist, ihm Bettlerkleider zu bringen und ihn so zu entstellen, daß ihn niemand erkennen möchte. Der Geist gehorchte, und bald war Lameth in einen armen, abgezehrten, hinkenden Bettler verwandelt, so daß sein leiblicher Vater ihn nicht wiedererkannt haben würde. In dieser Jammergestalt wankte er



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aus dem Walde heraus und dem Palaste zu. Sein Herz hätte ihm brechen mögen, als er Bellastra erblickte, wie sie ganz traurig zum Fenster hinaussah, den Kopf in beide Hände gestützt, in tiefe Gedanken versunken; so daß sie den Bettler nicht eher gewahr wurde, als bis er vor ihr stand und sie um ein Almosen anflehte. Bellafira warf ihm eine Silbermünze hinunter und sagte dabei: "Betet für mich, Alter, daß ich aus meinem Elend endlich erlöst werden möge!" Der verstellte Lameth erwiderte: "Ja, schöne Frau, das will ich tun; ich versichere Euch, es soll nicht lange anstehen, so
wird Euer Wunsch in Erfüllung gehen!" Bellastra sah den Alten vom Kopfe bis zu den Füßen an, seufzte und sprach: Ach wenn du recht hättest, ich wollte für dich sorgen, daß du nimmermehr betteln solltest!" — "Ja", antwortete der verwandelte Lameth, "wenn Ihr mir erlauben wollt, ein paar Minuten mit Euch allein zu sprechen, so könnte ich Euch gewiß dienen; denn ich weiß Euer ganzes Geheimnis." Bellasira betrachtete den alten Bettler immer aufmerksamer, und da ihr seine Reden so bedeutsam vorkamen, sagte sie zu ihm: "Komm heute abend, wenn es dunkel ist, meine Kammerfrau soll dich zu mir geleiten!"



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Lameth machte eine hinkende Verbeugung und sagte: Ja, ja, es soll dich nicht gereuen; die Tat soll meine Worte erfüllen!" Er hinkte seinen Weg in den Palmenwald zurück und wartete, bis es recht finster wurde. Unterdessen berief er seinen Luftgeist und verabredete mit ihm das Nötige. Dieser entdeckte ihm, daß Mattetai das Schloß aus der Höhle allezeit an einer starken goldenen Kette am Halse hangen habe; solange er dieses besitze, sei er nicht mit Schwert, Gift, Feuer und Strick ums Leben zu bringen; ja, wenn er zwischen zwei Mühlsteine geworfen würde, müßten eher diese in Stücke springen, als daß sie ihm einen Schaden zufügen könnten. Lameth müßte sich daher nach einer Lisi umsehen und den alten Zauberer durch ein starkes Getränk berauscht zu machen suchen, damit er alsdann, wenn er besinnungslos wäre, das Schloß von seinem Halse lösen und über sein Leben verfügen könnte. Weil nun Mattetai den Wein aus Kalabrien am meisten liebe, so versprach der Geist, ihm dergleichen zu verschaffen; zugleich wolle er ein Gegenmittel bringen, das für den, welcher sich desselben bediente, denselben Wein unschädlich machen sollte, er möchte davon trinken, soviel er wollte. Dieses alles sollte Lameth in Bettlersgestalt seiner Gemahlin Bellastra überbringen und ihr anzeigen, wie sie sich dabei klüglich zu verhalten hätte, um den Zauberer in die Falle zu locken.

Hocherfreut über des dienenden Geistes guten Rat ging Lameth, sobald jener sechs Flaschen kalabrischen Weines und das wirksame Gegenmittel herbeigeschafft hatte, in der Dunkelheit, beides in einem Korbe verborgen, nach Bellastras Palaste zu, die auf ein verabredetes Zeichen die Kammerfrau hinabschickte, ihn heraufzugeleiten. Dies konnte um so leichter geschehen da der jüdische Bösewicht auf einige Tage verreist war. Als der geheuchelte Bettler in Bellastras Zimmer trat, fand er sie traurig auf ihrem Ruhepolster sitzen. Sie redete ihn also an: "Wie ist's, guter Alter, kommt Ihr, Euer Wort zu erfüllen und mir ein Mittel an die Hand zu geben, wie ich von meinem Elende loskommen mögen" —"Tut, was ich Euch sage", erwiderte Lameth; "wenn morgen Mattetai zurückkehrt, so trachtet dahin, daß er sich in diesem Weine berausche, welchen ich hier mitbringe . Seht, da sind sechs Flaschen des besten kalabrischen Weines; den trinkt er am liebsten; sprecht ihm zu, ja, muntert ihn durch Euer eigenes Beispiel auf, zu trinken, bis seine Sinne ihn verlassen; ihr selbst, ehe Ihr zu trinken anfanget, nehmet dieses Gegenmittel ein, das ich Euch hier übergebe und das Euch vor den Wirkungen des Weines beschützen soll. Ist Mattetai betrunken, so gebet mir mit einem weißen Tuche ein Zeichen



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zum Fenster hinaus; dann will ich kommen und Eurem Elend ein Ende machen." Bellastra hörte dem allem mit Freuden zu und versprach, allen Verstand zusammenzunehmen, um den Anschlag glücklich auszuführen. Der Bettler stellte die Flaschen Weines und das Fläschchen mit dem Gegenmittel auf den Tisch, wünschte ihr Glück zu ihrem Vorhaben und ging seines Weges.



***
Bellastra sann die ganze Nacht über das Spiel nach, das sie vorhatte. Als es Tag ward, legte sie ihre schönsten Kleider an und erwartete die Ankunft des Zauberers, welche bald erfolgte. Sie ließ ihn sogleich durch ihre Kammerfrau rufen und redete ihn bei seinem Eintritte ganz freundlich so an: "Mein Freund l Da ich mich so lange vergeblich gegrämt habe und doch nicht zu den Meinigen zurückgelangen kann, so habe ich mich nun entschlossen, mein übriges Leben nicht in gleicher Traurigkeit hinzubringen. Wenn Ihr Euch daher künftig in meine Launen schicken und meine gewohnte Lebensart annehmen wollet, so erbiete ich mich, Euch zu meinem Gemahl anzunehmen." Mattetai wallte das Herz im Leibe vor Freuden, als er die Prinzessin so sprechen hörte; denn früher war sie allezeit vor ihm geflohen und hatte mit Wort und Tat auf alle Weise ihren Widerwillen gegen den Bösewicht ausgedrückt. Er konnte nicht Worte genug finden, Bellastra zu versichern, daß er sich in allem ihrem Befehl unterwerfen werde, und brachte dabei einen närrischen Haufen von Worten untereinander her, so daß sie sich kaum des Lachens enthalten konnte. Sie unterbrach ihn daher und sprach: "Ich glaube alles, was Ihr mir sagt; nur eines macht mir Zweifel. Ihr wisset, daß ich am türkischen Hof auferzogen worden bin, wo man heimlich allezeit wacker zu trinken pflegt. Da möchte ich denn wissen, ob Ihr mir solches auch zulassen und, wenn mich die Lust ankommen wird, mir wacker Bescheid tun werdet." — "Oho", antwortete Mattetai lachend, "wenn es nichts weiter ist als dieses, so werden wir bald miteinander einig werden. Ich hasse den Trunk auch nicht, und Euch zuliebe wollte ich einen ganzen Becher voll Gift austrinken , warum sollte ich Euch nicht bei einem guten Glase Weins Bescheid tun; denn Schlechtes werde ich bei Euch doch nicht zu trinken bekommen!" —"Nein, schlechte Weine mag ich auch nicht", erwiderte Bellastra , "aber der Wein aus Kalabrien ist mein Leibtrunk." Da lachte Mattetai wieder und sprach: "Beim Element, da taugen wir gut zusammen; den Wein aus Kalabrien liebe ich mehr als alle andere!"

"Nun so kommet her und setzt Euch zu mir", sagte Bellafira, indem



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sie aufstand und die sechs Flaschen, eine nach der andern, aus einem Schranke nahm. "Laßt uns in die Wette zechen! Aber es fehlt an einem Glase." Mattetai erhub sich, warf einen zärtlichen Blick auf die Fürstin und ging, schöne Becher zu holen. Diesen Augenblick hatte sich Bellastra ersehen, nahm das Fläschchen mit dem Gegenmittel aus dem Schranke und tat geschwind einen Zug daraus. Gleich darauf kam der Zauberer mit den Pokalen, und Bellastra schenkte ihm ein. "Dies auf mein Wohlsein getrunken, Freund!"sprach sie, und Mattetai ließ sich nicht lange bitten. So leerten sie eine Flasche nach der andern, und der Zauberer konnte sich über die Ausdauer seiner Geliebten nicht genug wundern; denn als sie an die vierte Flasche kamen, wurde ihm bereits taumelig im Kopfe. Bellastra schien zu bedauern, daß sie nur noch zwei Flaschen übrig habe, sprach und trank ihm dabei wacker zu. Die letzte Flasche goß sie gar nicht in den Pokal, sondern setzte dieselbe an den Mund und trank sie zur Hälfte auf Mattetais Gesundheit aus, stellte ihm den Rest zu und sprach: "Trinkt das auf meine Gesundheit, Lieber! Dann wollen wir schlafen gehen!" Mattetai, von Liebe und Wein trunken, ergriff die Flasche; ehe er sie jedoch an den Mund setzen konnte, fiel er im Rausche zu Boden und ließ auch die Flasche fallen, daß sie in tausend Stücke zersprang.

Bellastra rüttelte den Liegenden, als wollte sie ihm helfen, eigentlich aber nur um zu sehen, ob er auch tief genug berauscht sei, und als sie gar keine Empfindung an ihm spürte, öffnete sie das Fenster und gab das Zeichen mit dem Tuche. Der lahme Bettler flog die Treppe hinauf und wurde von der Kammerfrau in das Gemach geführt, wo der böse Mattetai wie ein Stein auf dem Boden lag. Lameth ließ nun seine Gemahlin und ihre Kammerfrau abtreten, fiel über den Zauberer her, riß ihm das Oberkleid ab und suchte das Schloß, das er auch sogleich an seinem Busen fand. Er zog ihm dasselbe samt der Kette ab und drehte den Schlüssel schnell um; die Erdgeister erschienen und fragten tanzend und springend vor Freuden: "Würdiger Besitzer des unschätzbaren Schlosses, was befehlet Ihr?" Lameth sagte: "Nehmet hier dem boshaften Zauberer das Leben!" Keinen angenehmeren Befehl hätte Lameth seinen dienstbaren Geistern geben können. Zwei ergriffen ihn bei den Händen, zwei bei den Füßen und zerrissen ihn in vier Stücke. Schnell drehte Lameth seinen Ring um; die Luftgeister kamen und trugen auf seinen Befehl die zerrissenen Glieder des Zauberers hinaus in alle vier Teile der Welt. Dann mußten sie das Zimmer reinigen, ihm selbst seine vorige Gestalt wiedergeben und die früher getragenen Fürstenkleider wiederanlegen; dann den



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Palast mit allem, was darin war, auf der Stelle wieder nach Konstantinopel versetzen und die von Mattetai verbannte Dienerschaft wieder herbeischaffen.

Nachdem alles geschehen und die Diener wieder zur Stelle waren, berief Lameth seine geliebte Bellastra. Als diese in das Zimmer trat, erwartete sie den hinkenden Bettler wiederzufinden, da erblickte sie ihren schönen Gemahl und warf sich ihm in die Arme. Lameth erzählte ihr, daß er den Bettler vorgestellt, und wie alles ergangen sei. Die Diener stürzten herbei , ihren Herrn zu grüßen; ein gutes Nachtmahl ward bereitet, alle waren guter Dinge.

Als Bellastra in der Frühe erwachte, fiel ihr erster Blick zum Fenster hinaus wieder auf die Stadt Konstantinopel. Der Sultan aber, der nach seiner Gewohnheit früh aufstand und an das Fenster trat, sah den Palast wieder an der alten Stelle stehen. Außer sich vor Freuden, kleidete er sich eiligst an und begab sich mit seiner Leibwache nach dem Ort. Hier flog ihm seine Tochter Bellafira entgegen, bewillkommte ihren Vater mit kindlicher Freude und reinigte ihren Gemahl von aller Schuld, indem sie die Begebenheit nach der Wahrheit berichtete. Der Großsultan schämte sich seiner Übereilung und empfing den zu seiner Begrüßung herbeigeeilten Lameth aufs zärtlichste. Großwesir und Admiral, die ihn hatten töten wollen, warfen sich dem Wiedergekehrten zu Füßen und erhielten Verzeihung . Lameth und Bellasira lebten viele Jahre in Glück und Frieden. Das Schloß aus der afrikanischen Höhle Xa Xa aber wurde von Lameth in besserer Verwahrung gehalten als zuvor, und er blieb des unschätzbaren Kleinods ruhiger Besitzer bis an sein Ende.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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