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Die deutschen Volks-Bücher


wiedererzählt von Gustav Schwab


Die schöne Magelone

Mit Bildern von Theodor Grosse



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In der Zeit, da die Provence mit andern Landen Frankreichs schon dem christlichen Glauben zugekehrt war, herrschte dort ein edler Graf, der von seiner Frau einen einzigen Sohn hatte, mit Namen Peter. Dieser Jüngling übertraf alle seines Alters in Waffenübung. Ritterspiel und andern Dingen. Er war nicht nur dem Adel wert, sondern auch dem ganzen Lande; ja, die Untertanen dankten dem allmächtigen Gott, daß sie einst einen solchen Oberherrn bekommen sollten. Auch hatten der Graf, sein Vater, und die Gräfin keine andere Freude denn ihren Sohn, und ihm zulieb wurde mancherlei Kurzweil am Hofe angestellt. So hielten auch eines Tags die Freiherrn und Edlen des Landes ein Turnier, in welchem Peter vor allen andern den Preis erlangte, wiewohl viel fremde und geübte Ritter auch dabei waren. Sein Gerücht erscholl weit umher, als ob es seinesgleichen nimmer gäbe. Nach dem Turniere wurden die Ritter festlich von dem Grafen bewirtet und redeten mancherlei untereinander. Insonderheit ließ sich einer vernehmen von der schönen Magelone, der Tochter des Königs von Neapolis, derengleichen an Schönheit und Tugend nicht gefunden werden sollte, und der zu Gefallen sich viele Jünglinge in Ritterspielen übten. und ein anderer Ritter sagte zu Peter: "Junger Herr Graf, Ihr solltet wandern und die Welt suchen und Euch in ritterlichen Spielen üben. Gewiß, Ihr



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würdet weit und breit bekannt werden und am Ende eine schöne Buhle heimführen!"

Dem Grafen Peter gefiel dies wohl, zumal da er soviel von der schönen Magelone gehört hatte; er setzte sich im Herzen vor, Urlaub von seinen Eltern zu begehren und in die Welt hinauszureiten. Als daher das Festspiel vorüber war und er Vater und Mutter eines Tages allein beieinander sitzen fand, ließ er sich vor ihnen auf sein Knie nieder und sprach: "Gnädige Eltern, höret mich als euren gehorsamen Sohn: ich weiß und erkenne es mit Dank, wie ihr mich bisher erzogen, wieviel Freude ihr mir gemacht, wieviel Ehre ihr mir angetan habt. Daran aber habt ihr noch nicht gedacht, wie es anzufangen wäre, daß ich der Welt auch bekannt würde wie andere Herren und Ritter. Seid mir daher nicht entgegen, wenn ich euch demütig bitte, mir zu erlauben, daß ich reisen und der Welt Lauf erfahren darf. Ich glaube gewiß, es würde eure Ehre und mein großer Nutzen sein." Als Peters Eltern den Wunsch ihres Sohnes vernahmen, fiel es ihnen schwer aufs Herz, und sie wurden traurig: "Peter, lieber Sohn", antwortete ihm der Vater, "du weißest ja wohl, daß wir kein anderes Kind mehr haben als dich allein, keinen Erben im Hause denn dich. Alle unsere Hoffnung und unser Trost beruht auf dir. Wenn es dir mißlänge, wovor dich Gott behüten wolle, so wäre unsere Herrschaft für unser Haus verloren!" Seine Mutter sagte ihm: "Liebster Sohn, was hast du nötig, die Welt zu suchen? Diejenigen, die darnach verlangen, tun es, um Geld oder Herrengunst zu erwerben. Du aber hast an Reichtum, Waffenehre, Wissenschaft, Adel, Schönheit und Anmut so viel als irgendein Fürst in dieser Welt. Berühmt bist du auch schon allenthalben; die Landschaft, die du erben wirst, ist so schön; was begehrst du denn, anderes Gut zu erwerbens Welche Ursache kannst du haben, uns zu verlassen? Sieh doch deines Vaters Alter ja, selbst das meine an; bedenke, daß du unsere einzige Freude bist; sieh, ich bitte dich wie eine Mutter ihr Kind, daß du nicht ferner des Wegscheide erwähnest."Peter erschrak über diese Einwendung nicht wenig, doch fing er, noch immer auf den Knien liegend und mit niedergeschlagenen Augen, von neuem an und sprach: "Liebe Eltern, ich will euch in allen Dingen gehorsam sein. Aber bedenket doch, daß ein junger Mensch nichts Besseres tun kann als sich im Leben versuchen und die Welt beschauen! Darum wiederhole ich mein flehentliches Begehren und bitte euch, es nicht übel aufzunehmen und mir nicht abzuschlagen!"

Der Graf und die Gräfin sahen wohl, daß der Vorsatz in der Seele .



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ihres Sohnes feste Wurzel gefaßt hatte; sie wußten nicht, was sie tun sollten ; denn Peter lag noch immer auf den Knien, ihre Antwort zu vernehmen. Da sie nun so lange still schwiegen, fing er noch einmal so dringend an zu bitten, daß Vater und Mutter endlich ihre Einwilligung gaben. "Nur denke darauf", schloß der Vater seine Rede, "daß du nichts tust, was deinem Adel entgegen sei: und vor allen Dingen habe Gott, den Allmächtigen, lieb und diene ihm. Endlich mach auch, daß du zeitlich wieder zurückkommest. Nimm dir Pferde, Harnisch, Gold und Silber von dem Meinen, soviel dir vonnöten ist."

Peter dankte seinen Eltern aufs gerührteste. Dann nahm ihn seine Mutter beiseite und gab ihm drei köstliche Ringe, welche vom höchsten Werte waren. "Suche gute Gesellschaft", sprach sie weinend, "fliehe die böse; gedenke unser." So bereitete sich Peter auf die Fahrt, beurlaubte sich und nahm Adelige und Unadelige mit, ihm zu dienen. Seinen Zug richtete er so heimlich ein als möglich, so daß er ganz unerwartet nach der Stadt Neapolis kam, wo der Vater der schönen Magelone, der König von Neapel, mit Gemahlin und Tochter Hof hielt. In dieser Stadt bezog der Graf Peter eine Herberge auf dem Fürstenplatz; erfragte alsbald seinen Wirt nach den Gewohnheiten des königlichen Hofes, und ob sonst auch fremde und namhafte Ritter am Hofe wären. Der Wirt zeigte ihm



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an, daß vor kurzem ein angesehener Ritter, Herr Heinrich von Carpona, an den Hof gekommen sei, dem zu Gefallen der König ein Nennen und Turnier auf den Sonntag anstellen wolle. Zugleich sagte ihm der Wirt, daß auch fremde Ritter, wenn sie gerüstet auf die Bahn kämen, Zutritt zu dem Turniere erhalten könnte

Als der Sonntag angebrochen war, stand Peter frühe auf, ließ sein Pferd mit aller Zubehör versehen und legte seine schönsten Kleider an; denn er gedachte, Ehre an diesem Tage einzulegen, und brannte vor Begierde, die schöne Magelone zu sehen und sich vor ihr zu zeigen. Auf seinen Helm hatte er sich zwei kostbare silberne Schlüssel machen lassen, um daran kenntlich zu sein, zu Ehren des Himmelsfürsten, St. Peters, des Apostels, dessen Namen er trug. Auch alle Decken seiner Pferde ließ er mit Schlüsseln zieren.

Die Bahn ward eröffnet, und der König mit seiner Gemahlin und Tochter, auch vielen andern Frauen und Jungfrauen, betraten das Schaugerüste . Da kam auch Peter mit einem Knecht und einem Knaben auf die Bahn gezogen: er stellte sich aber an dem niedrigsten Orte auf, denn er war fremd und unbekannt; niemand war auf ihn aufmerksam, der ihn hervorgezogen und obenangestellt hätte. Nun kam die Zeit, in voller Rüstung den Jungfrauen und Frauen Ehre zu erzeigen; ein Herold trat auf und rief auf Befehl des Königs: Wer da willens wäre, um der Jungfrauen und Frauen willen eine Lanze zu brechen, der solle auf die Bahn ziehen. Da trat zuerst Herr Heinrich von Carpona in die Schranken , und gegen ihn zog ein Diener des Königs; diesen traf Herr Heinrich so gut, daß er bügellos im Sattel hing und vor Schrecken und von der Erschütterung den Spieß von sich warf. Dieser kam zufällig dem Rosse des Herrn Heinrich vor die Füße, daß es strauchelte und mitsamt seinem Herrn zu Boden fiel. Da buben die Freunde des Hofdieners zu sagen an, daß Herr Heinrich redlich gefallen wäre, und so wurde dem königlichen Ritter der Sieg zugesprochen. Dies verdroß den Herrn Heinrich von Carpona, daß er nicht mehr rennen wollte, und war auch dem Grafen Peter leid, der wohl sah, welch ein tapferer Ritter Herr Heinrich war. Als nun der Herold zum zweitenmal auf Befehl des Königs rief: Wenn ein anderer wäre, der eine Lanze zu brechen Lust hätte, der sollte auf die Bahn ziehen; da trat Peter in die Schranken gegen den Königlichen und traf ihn bald so, daß Mann und Roß zu Boden fielen und alle Zuschauer staunten. Auch der König lobte den Ritter mit den silbernen Schlüsseln und hätte gern erfahren, wer und von wannen er sei. Des



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wegen schickte er einen Herold zu ihm mit diesen Fragen. Peter antwortete dem Herold: "Sage dem Herrn, deinem König, daß er kein Mißfallen darüber haben möge, wenn ich ihm meinen Namen vorenthalte; denn ich
habe ein Gelübde getan, keinem Menschen zu bekennen, wie ich heiße. Doch soviel kannst du deinem Könige sagen, ich sei ein armer Edelmann aus Frankreich und suche in der Welt bei Jungfrauen und Frauen Preis und Lob zu erlangen."Der König begnügte sich mit dieser Antwort und schrieb sie auf Rechnung der Bescheidenheit.



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Jetzt fing Peter erst recht an, seine Kunst zu zeigen; denn jeder Ritter wollte sein Bestes tun und sich mit ihm messen, aber der Peter rannte die Fremden alle schmählich ab. Der König und alle erkannten, daß er das Beste getan, und Peter erhielt den Preis. Unter den Jungfrauen und Frauen ging ein Flüstern über den Ritter mit den silbernen Schlüsseln, und die schöne Magelone, die Peter in der großen Ferne nicht recht gesehen hatte, konnte seine Taten und seine Gestalt nicht vergessen. Herr Heinrich von Carpona, der tapfere Ritter, begleitete den Sieger mit einigen andern in die Herberge, um ihn recht zu ehren.

Bald darauf lag die schöne Magelone ihrem Vater gar sehr an, wieder ein Turnier zu halten. Sie tat dies aber, ohne es selbst zu wissen, aus verborgener Liebe zu dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln. Denn sie freute sich, bis sie seiner wieder ansichtig werden möchte, und als Peter in seiner kenntlichen Waffenrüstung in die Schranken trat, die Trompeten schmetterten und die Spieße an den Schilden krachten, wurde sie ganz rot. Unverwandt blickte sie auf Peter, obgleich sie sein Angesicht noch nicht erkennen konnte, so wie er selbst auch die schöne Magelone nur aus der Ferne sah und von ihren Frauen noch nicht zu unterscheiden vermochte . Auch dem König, sooft er den Ritter mit den silbernen Schlüsseln erblickte, gefiel er in jeder Beziehung wohl, besonders von seiten seiner Jugend und seines edlen und höflichen Benehmens. Zuweilen sprach er zu sich selbst: "Dieser Ritter kann von keinem niedern Geschlechte sein; all sein Wesen spricht vom Gegenteil, er ist auch würdig, daß wir ihm mehr Ehre erzeigen, als ihm bisher von uns widerfahren ist."

Sowie nun die Feierlichkeit zu Ende war, ließ ihn der König an seine Tafel laden, worüber Peter sehr erfreut war; denn nun durfte er doch hoffen, die schöne Magelone einmal in der Nähe zu sehen. Der Ritter erschien zur bestimmten Stunde, und als der König, seine Gemahlin und seine Tochter sich zu Tische setzten, wurde er der Prinzessin gegenübergesetzt . Die Mahlzeit war mit fremden Gerichten auf das beste bestellt; aber der Ritter achtete des Essens wenig. Die unübertreffliche Schönheit der Jungfrau beschäftigte ihn so ganz, daß er nichts tun konnte als sie anschauen. Da sättigte er denn seinen Geist mit Blicken und mußte sich gestehen, daß es auf Erden kein schöneres Weib gebe als die schöne Magelone . Diese aber blickte immer freundlich nach ihm hin, und so wurde er in Liebe entzündet und sprach zu sich selbst: "Der ist glückselig, der ihrer Liebe teilhaftig werden möchte."Doch dachte er dabei nicht an sich selbst; er hielt es für unmöglich, daß ihm ein solches Glück begegnen könnte,



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Auch zwang er sich, munter und klug mit dem Könige zu reden, was diesem wohl gefiel; wie denn sein edler und kräftiger Anstand das ganze Hofgesinde in Staunen setzte. Als sie gegessen hatten, ward allerlei Spiel in dem königlichen Saale angestellt, und als der König die Gesellschaft verließ, gab er seiner Tochter die Erlaubnis, noch länger mit dem Ritter in dem Saale zu reden.

Die schöne Magelone rief dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln gar freundlich, und er eilte auf den süßen Laut ihrer Stimme schnell ihr entgegen. "Edler Ritter", sprach sie zu ihm, "mein Vater und wir andern alle, die hier sind, haben an Eurem bescheidenen Wesen, Euren ritterlichen Taten und Eurem redlichen Gemüt großen Gefallen; ich soll Euch darum bitten, daß Ihr, sooft Ihr möget, zu uns kommet und Euch im Hause meines Vaters Kurzweil schaffet."Peter dankte ihr in ehrerbietigen Worten, und sein Herz war voll Freuden. Indem rief die Königin ihre Tochter, mit ihr den Saal zu verlassen, und Magelone nahm, wiewohl ungern, von dem Ritter Abschied; doch sagte sie noch beim Scheiden: "Kommet ja oft, Euch zu kurzweilen, edler Ritter! Ich hätte noch gar zu gerne von Ritterspielen und anderem, was in Eurer Heimat vorgehen mag, mit Euch gesprochen. Es beschwert mich, daß ich diesmal nicht Zeit habe, mit Euch zu reden." So nahm sie von ihm Urlaub und sah ihn so freundlich an, daß er noch tiefer in seinem Herzen verwundet wurde, als er zuvor schon gewesen.

Die Fürstin war mit ihren andern Jungfrauen in ihre Kammer gegangen, als der König wieder in den Saal trat und mancherlei mit den Herren sprach, die am Hofe zugegen waren. Da trat er auch zu .dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln und bat ihn freundlich, wenn es ihm nicht entgegen wäre, so sollte er ihm seinen Namen und seinen Stand anzeigen. Aber er konnte von Peter nichts anderes erfahren, als daß er ein armer Edelmann sei und die Welt durchziehe, um sie zu beschauen und Ritterspiele zu üben. Der König erkundigte sich auch nicht weiter, er bewunderte vielmehr die Bescheidenheit und Standhaftigkeit des Jünglings und beurlaubte ihn sehr gütig. So verließ der Ritter den Hof mit andern Herren und wandelte nach seiner Herberge.



***
Sobald er sich allein sah, ging Peter an den verborgensten Ort; seine Gedanken vertieften sich in die unvergleichliche Schönheit der Jungfrau Magelone, und sein Herz wiederholte alle freundlichen Reden und jeden huldvollen Blick der Geliebten. Und sobald die schöne Magelone in ihre



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Kammer gekommen war, dachte sie an niemand anders mehr als an den Ritter und müdete sich in ihrem Innern ab, woher er wohl stammte, und wie er hieße; denn sie konnte nicht glauben, daß er so geringen Geschlechts sei, als er vorgab. Endlich nahm sie sich vor; ihre Zuneigung zu dem Ritter, die sie allein nicht mehr zu tragen vermochte, ihrer Amme zu offenbaren, die sie besonders lieb hatte, und von deren Treue sie überzeugt war. Eines Tags nahm sie dieselbe heimlich in ihr Gemach und sagte zu ihr: "Liebe Amme, du hast mir in meinem ganzen Leben solche Treue bewiesen, daß ich auf keinen Menschen in der Welt ein so großes Vertrauen setze als auf dich. So will ich dir denn auch etwas sagen, das du keiner Seele mitteilen darfst, aber wenn du es geheimhältst und mir deinen getreuen Rat mitteilst, so will ich dir's nimmermehr vergessen." Die Amme antwortete: "Liebe Tochter, ich weiß in der Welt nichts, das ich nicht gerne täte, wenn du es begehrest, und sollte ich darum sterben; öffne mir daher dein Gemüt ohne alle Furcht!" Da sprach die schöne Magelone voll Zutrauen zu ihr: "Hast du den jungen Ritter gesehen, der vor wenigen Tagen den Preis im Turnier erlangt hat? Sieh, an diesem hängt mein Herz, und ich kann davor nicht essen, trinken und schlafen. Ja, erführe ich, daß er von hohem Geschlechte ist, so wollte ich alle meine Hoffnung auf ihn setzen und ihn zu meinem Gemahl machen. Nun rate mir, liebe Amme, und wenn du kannst, so erfahre mir, woher er stammt, und wer er ist."

Die Amme erschrak nicht wenig, als sie diese Rede vernommen hatte; sie wußte nicht, was sie antworten sollte; doch erwiderte sie endlich: "Liebes Sind, was sagest du? Mir ist dein hoher Stand wohl bewußt. Und wenn der mächtigste Herr der Welt dich bekäme, so müßte er sich freuen! Dennoch setzest du deine Hoffnung auf einen jungen, fremden Ritter, der dir mitsamt den Seinen unbekannt ist; der, wenn er nach dir begehrt, vielleicht nur deinen Spott und deine Schande begehrt! Liebe Tochter, schlage dir doch solche Gedanken aus deinem Herzen!"Magelone verstand die Alte wohl und wurde ganz traurig in ihrem Gemüt. Die Neigung zu dem Fremden hatte sie umstrickt, daß sie ihrer selbst nicht mehr mächtig war. "Amme, ist das die Liebe, die du zu mir getragen hafis Willst du, daß ich elendiglich sterbe! Und was verlange ich denn von dir! Ist denn die Arzenei, die du mir holen sollst, so ferne? Schicke ich dich denn weit fort von mir? Braucht dir denn über dem, was ich dich heiße, vor meinem Vater und meiner Mutter oder vor mir zu bangens Siehe, wenn du tust, um was ich dich bitte, so ist mir geholfen; folgst du mir nicht,



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so wirst du mich in kurzer Zeit vor deinen Augen an Kummer und Schmerzen sterben sehen." Mit diesen Worten fiel sie ohnmächtig auf ihr Lager, und als sie endlich wieder zu sich kam, fuhr sie fort: "Liebe Amme, wisse nur, daß er von hohem Geschlechte ist; wie wäre es auch anders möglich bei solchen Tugenden? Und ebendarum will er seinen Namen nicht nennen. Ich bin aber gewiß, wenn du ihn wolltest in meinem Auftrage nach seinem Namen und Stande fragen, er würde ihn dir nicht vorenthalten." Als die Amme sah, wie groß die Liebe der schönen Magelone zu dem jungen Ritter war, brachte sie es nicht über ihr Herz, der Jungfrau ihre Bitte abzuschlagen; sie tröstete sie und versprach ihr, erfahren zu wollen, was sie zu wissen begehre.

Sowie der Morgen kam, ging die Amme in die Kirche, den Ritter zu suchen. Denn kein frommer Ritter versäumte damals sein Morgengebet. Sie fand ihn auch dort allein und betend, kniete neben ihm nieder und verrichtete auch ihr Gebet. Als beide fertig waren, begrüßte sie der Ritter; er hatte sie schon am Hofe gesehen. Und nun nahm die Amme des Augenblicks wahr und sprach: "Herr Ritter, ich muß mich wundern, daß Ihr Euern Stand und Euer Herkommen so heimlich haltet: ich weiß gewiß, daß der König und die Königin, besonders aber die schöne Magelone eine große Freude hätten, wenn sie erfahren könnten, von mannen und wer Ihr seid. Ja, wäret Ihr geneigt, der Prinzessin dieses zu bekennen, ich versichere Euch, Ihr tatet ihr einen großen Gefallen." Als der Ritter die Frau so reden hörte, verlor er sich in Gedanken; doch deuchte ihm, solche Reden verrieten wirklich den Wunsch Magelonens, und das Herz schlug ihm höher, weil er daraus schloß, daß sie ihn liebe. Daher antwortete er: "Liebe Frau, seit ich von Hause weg bin, habe ich mich keinem Menschen zu erkennen gegeben; aber weil niemand auf der ganzen Welt ist, dem ich Besseres gönnte und lieber gehorsam sein möchte als Eurer schönen Gebieterin, so saget Ihr, wenn sie ja herzlich meinen Namen zu wissen begehrt, daß mein Geschlecht groß und hochgeadelt ist; bittet sie aber in meinem Namen freundlich, sie wolle sich an dem genügen lassen; auch bitte ich Euch, nehmet von meiner kleinen Habe dieses Angedenken mit!" Er übergab hierauf der Amme einen von den drei Ringen, welche ihm seine Mutter, die Herzogin von Provence, mit auf die Reise gegeben hatte. Dann schieden beide voneinander.

Die Amme ging fröhlich dem Schlosse zu. "Er muß wohl, wie Magelone sagt, hohen Geschlechtes sein", sprach sie zu sich selbst, "denn er ist aller sucht und Ehren voll." Magelone harrte auf ihre Zurückkunft



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mit großem Verlangen. Die Eintretende zog den Ring hervor, hielt ihn ihr entgegen und berichtete ihr alles, was der Ritter geredet hatte. Magelone griff freudig nach dem Ringe, betrachtete ihn und rief: "Siehest du nun, Amme! Habe ich dir nicht vorlängst gesagt, er müßte hohen Geschlechtes sein? Meinst du, ein so kostbarer Ring könne einem Armen und Niedrigen gehören? Ja, diese Liebe wird mein Glück sein! Ich will ihn besitzen, und kein Gedanke soll je in mein Herz steigen, einen andern zu lieben und zu begehren! Als ich ihn das erstemal gesehen, ergab sich ihm mein Herz, und ich erkenne wohl, daß er mir zu Gefallen hieher gekommen ist. Ich bitte dich aber, laß mir diesen Ring, der von ihm kommt, und nimm ein anderes Kleinod dafür!" Hierein willigte die Amme gern; als aber Magelone verlangte, sie solle gehen und dem Ritter ihr ganges Gemüt und ihren Willen entdecken, da erschrak jene und bat sie, diesen Vorsatz in ihrem edeln Herzen nicht länger zu hegen und ihre Liebe doch nicht so schnell auf einen fremden, unbekannten Ritter zu werfen. Das Wort konnte die schöne Magelone nicht dulden, sie sprach mit bewegter Stimme: "Du sollst mir ihn hinfort keinen Fremden nennen; ich habe auf der ganzen Erde niemand, der mir lieber wäre!" Die Amme sah die große Bewegung in der Jungfrau Gemüt und mochte nicht mehr dawider reden. "Teures Kind", sagte sie, "alles, was ich tue, tu' ich ja um deinetwillen und dir zu Ehren. Glaube mir aber, alles, was auf unordentliche und unbedächtliche Weise geschieht, kann dir nicht zur Ehre gereichen. Ich zweifle nicht daran, daß du ihn liebhast, und er ist es auch wohl wert, nur muß es auf züchtige und anständige Weise geschehen, dann will ich dir gewiß guten Rat geben und getreulich helfen. Auch hoffe ich ja zu Gott, daß er noch alles wohl geraten lassen werdet" Durch diese Reden wurde die schöne Magelone ein wenig beruhigt. Sie legte sich, ihren Ring am Finger, zu Bette, küßte diesen zum öftern, dachte mit herzlichen Seufzern an ihren Freund und schlief endlich ganz sanft ein.

Da kam es ihr im Traume vor, als wären der Ritter und sie beide allein beieinander in einem lustigen Garten, und sie sagte zu ihm: "Ich bitte Euch freundlich, Herr Ritter, um der Liebe willen, die ich zu Euch trage, sagt mir, von wannen Ihr seid und welchen Geschlechtes." Aber der Ritter bäte sie, nicht weiter zu fragen, und sagte ihr, sie sollte es in kurzem erfahren; und dann schenkte er ihr einen Ring, der noch köstlicher war als der erste, den er der Amme geschenkt hatte; und sie waren in großen Freuden beieinander. So lag die schöne Magelone schlafend in süßen Träumen bis zur andern Frühe. Als sie erwachte, erzählte sie den



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Traum .ihrer Amme, und diese sah jetzt, daß sie ihr ganzes Herz auf den Ritter geworfen, und dachte nicht länger darauf, sie von ihm abzubringen.

Indessen wandte der Ritter allen Fleiß an, wie er die Amme der schönen Magelone wiedersehen könnte, und da auch sie alle Lust hatte, ihm zu begegnen, so stand es nicht lange an, daß beide einander in der Kirche trafen. Dort machte ihr Peter ein Zeichen, daß er etwas heimlich mit ihr reden wolle. Die Amme, die dies gleich verstand, ging hin zu ihm und erzählte ihm leise, welche Freude Magelone an dem Ringe gehabt, den der Ritter der Amme geschenkt, und den sie ihr hätte abtreten müssen. "Liebe Frau", antwortete da der Ritter, "ich habe den Ring Euch gegeben, nicht der schönen Magelone; denn ich weiß wohl, daß eine solche kleine Gabe nicht würdig ist, einer so mächtigen Fürstin übersandt zu werden. Aber alles, mein Leib und mein Gut gehört ihr. Wisset, ihre Schönheit hat mein Herz so verwundet, daß ich Euch anvertrauen muß, wie ich ohne ihre Gunst nicht leben kann und mich für den unglücklichsten Ritter auf der Welt halte. Meldet Ihr dieses, ich bitte Euch; denn ich weiß, daß die



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Fürstin keine vertrautere Freundin hat als Euch!" Die Amme sagte zu ihm: "Ich will alles tun, was Ihr befehlet, und es meiner Gebieterin treulich anzeigen; auch hoffe ich, Euch eine günstige Antwort zurückzubringen ; nur möchte ich wissen, wie Ihr es mit Eurer Liebe meinet; denn verstündet Ihr darunter eine törichte und unreine Liebe, so schweiget nur hinfort und redet mir nichts mehr davon." Da sprach der edle Ritter: "Ich will eines unglücklichen, bösen Todes sterben, wenn ich je an eine solche Liebe oder vielmehr Schande gedacht habe; eine ehrliche, treue, aufrichtige Herzensliebe ist es, mit der ich die Jungfrau liebe und ihr bescheidentlich dienen will."

Mit dieser Erklärung war die Amme sehr zufrieden, doch fragte sie: "Weil Ihr mir nun beteuret, daß Ihr sie mit getreuer Liebe lieben wollet, warum verberget Ihr doch immer noch Euren Namen und Euer Geschlecht vor ihr? Denn wenn Ihr nachweisen könnet, daß Ihr von hohem Adel entsprossen seid, so dürfte mit Gottes Hilfe wohl die Ehe zwischen Euch beiden zustande kommen; denn es ist wahr, Ihr liebet einander von Herzen!" Bei diesen Worten flammte die Liebe Peters hoch auf. "Ich bitte Euch, Amme", rief er, "helfet mir dazu, daß ich mich mit der Jungfrau unterreden kann: dann will ich ihr mein Geschlecht anvertrauen und alles, was sie von mir zu wissen begehrt." Die Amme sagte ihm auch dieses zu, und nun gab er ihr den zweiten Ring für Magelone mit und verabschiedete sich von ihr vergnügten Herzens. Die Amme verließ die Kirche und ging den nächsten Weg nach den Gemächern der schönen Magelone, die sehr krank vor großer Liebe war und auf ihrem Ruhebette lag. Sobald sie aber die Amme erblickte, sprang sie auf und lief ihr entgegen. "Sei mir willkommen, liebe Freundin", rief sie. "Wehe mir, bringst du mir nicht gute Botschaft von ihm, den meine Seele liebt? Ach, liebe Amme, wenn du mir nicht einen Rat gibst; wie ich ihn sehen und sprechen könne, so muß ich sterben!" — "Sei getrost, liebes Kind, ich bringe dir günstige Zeitung", sprach die Amme; da fiel ihr Magelone an den Hals und herzte sie und erfuhr nun alles, was der Ritter gesagt hatte. "Glaubet mir", sagte die Alte, "wenn Ihr seinetwegen große Schmerzen duldet, so trägt er um Euretwillen nicht kleinere, und alle seine Liebe ist getreu, züchtig und ehrbar; worüber ich sehr erfreut bin. Ja, ich kann Euch sagen, Tochter, daß ich nie einen jungen Ritter gekannt habe, der so weise geredet hätte. Und nun begehrt er, heimlich mit Euch zu sprechen, und will Euch seine Geburt und seinen Stand entdecken. Auch bittet er Euch, diesen Ring aus seiner Hand anzunehmen." Bei dieser



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guten Nachricht färbte sich das schöne Gesicht Magelonens mit noch höherer Röte, sie betrachtete den Ring und sagte zu der Amme: "Ach, das ist ja ganz derselbe Ring, den ich heute nacht im Traume gesehen habe. Ja, mein Herz sagt mir alles, was geschehen wird. Nun glaube ich auch, daß dieser Ritter mein Gemahl werden soll! Darum, Amme, suche nur immerhin Mittel, wie ich ihn sehen und mit ihm reden kann." Die Amme versprach ihr, keine Mühe zu sparen, daß ihr Verlangen erfüllt werde. Und nun war Magelone den ganzen Tag fröhlich wie ein Kind, sah den einen Ring an und dann wieder den andern, spielte mit ihnen, steckte sie jetzt an diesen Finger; jetzt an jenen, küßte sie und dankte im Herzen ihrem Freunde vielhundertmal für diese Gaben seiner Liebe.

Am andern Tage fand die Amme den Ritter in einer Kapelle, in welche er zu gehen pflegte; sowie er sie ersah, eilte auf sie zu und fragte, was die schöne Magelone beginne, und ob er in ihrer Gnade stünde. Die Amme antwortete ihm: "Edler Herr, glaubet mir, daß kein Ritter jetzt in der Welt ist, der den Harnisch führt und Ritterspiel übt, welcher so glücklich sei wie Ihr. Zur guten Stunde seid Ihr in dieses Land gekommen, durch Eure Tapferkeit erlanget Ihr die schönste Jungfrau auf der Erde. Wisset nur, sie begehrt herzlich, Euch zu sehen und freundlich mit Euch zu reden, und ich will mich ihr nicht widersetzen. Nur müßt Ihr mir bei Edelmanns Treue und Glauben verheißen, daß, wie es Eurem Bohin Stande ziemt, Eure Liebe nichts anderes sei denn Zucht und Ehre." Der Ritter kniete vor der Amme auf die Erde nieder und schwur ihr vor seinem Schöpfer, daß er nichts anderes zu erlangen begehre als das heilige Sakrament der Ehe, daß sonst Gott in dieser Welt ihm nicht helfen möge. Da gab ihm das Weib die Hand, erhub ihn und sprach: "So schicket Euch an und kommt morgen nachmittags durch das kleine Pförtchen unsers Gartens zu meiner schönen Herrin in ihre Kammer, welche mit mir allein darin sein wird. Dann will auch ich die Kammer verlassen, daß Ihr beide allein miteinander seid; da mögt Ihr reden und einander Euer Anliegen nach Herzenswunsch erzählen." Mit dieser Hoffnung schied der Ritter von der Amme.

Tags darauf, als Zeit und Stunde vorhanden war, fand er das Pförtlein offen, eilte durch den Garten und hinauf zur Kammer der schönen Magelone mit großer Begierde seines Herzens. Hier fand er die Jungfrau mit der Amme allein; als sie ihn erblickte, verwandelte sich all ihre Farbe, und sie ward im Antlitz so rot wie eine Rose; hätte sie der Vernunft , welche jedes adelige Herz regieren soll, nicht gefolgt, so hätte die



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Liebe sie ihm in die Arme geführt; so ließ nur ihr holdes Antlitz und ihr liebliches, freundliches Auge die Neigung durchschimmern, die sie für den Ritter im Herzen trug, das ihr vor Freude im Leibe hüpfte. Auch der Ritter wandelte seine Farbe, als er so plötzlich die Geliebte seines Herzens vor sich stehen sah; er wußte nicht, wie er zu reden anfangen sollte, wußte auch nicht, ob er in den Lüften oder auf dem Erdboden sei. Endlich kniete er ganz verschämt vor ihr nieder und sprach: "Hochgeborne Fürstin, der allmächtige Gott verleihe Euch Ehre und alles, was Euer Herz begehrt." Da faßte ihn Magelone bei der Hand und sagte mit leiser Stimme zu ihm: "Seid mir willkommen, edler Ritters" setzte sich und hieß ihn neben ihr seinen Sitz nehmen. Und nun ging die Amme in die Nebenkammer. Darauf fing die schöne Magelone also zu reden an: "Wohl ziemte es sich für ein so junges Mädchen, wie ich bin, nicht; mit einem Ritter heimlich zu reden, wie ich mich nun solches unterstehe; doch als ich wieder Euer adeliges Gemüt bedachte, wurde ich sicher und keck, mein Verlangen zu erfüllen. Wisset auch, als ich Euch den ersten Tag gesehen, hat Euch mein Herz alsbald Gutes gegönnt; ja, es ist kein Mensch auf der Erde, dem ich wohler wollte als Euch. Darum möchte ich gerne erfahren, wer Ihr seid und welcher Landesart; und warum Ihr hierher gekommen seid." Da stand der Ritter in Freuden auf und sprach: "Dank sei Euch, gnädigste Fürstin, für die Freundlichkeit Eures Gemütes, wiewohl in mir keine Tugend ist, die solches um Euch verdient hätte. Ja, es ist billig, daß Ihr erfahret, wer ich sei, und warum ich hieher gekommen; doch war mein Vorsatz, es niemand zu offenbaren, und ich bitte Euch daher, es vor jedermann geheimzuhalten. Wisset; edle Fürstin, ich bin der einzige Sohn des Grafen von Provence, der ein Oheim des Königs von Frankreich ist. Ich bin allein darum von Vater und Mutter weggezogen, um Eure Liebe zu erlangen; denn ich hörte sagen, daß keine schönere Fürstin sein sollte denn Ihr, welches auch wahr ist: Eure Schöne ist unaussprechlich. So bin ich denn nicht hieher gekommen, edler Ritter Gesellschaft zu suchen und mit ihnen um den Preis zu werben; denn ich weiß, daß sie in allen Dingen geschickter sind als ich: sondern, wiewohl ich unter ihnen der Geringste bin, habe ich mir in meinem Herzen vorgesetzt, ob ich Eure Gunst und Liebe erlangen könnte. Das ist die ganze Wahrheit, wie Ihr sie von mir zu erfahren begehret. In meinem Herzen ist beschlossen, niemand lieber zu haben denn Euch bis an meinen Tod." Auf diese Worte des Ritters erwiderte Magelone: "Mein edler Ritter und Herr, ich danke dem gütigen Gott, daß er uns einen so glücklichen Tag verliehen hat; denn ich schätze



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mich für das glücklichste Wesen der Welt, daß ich einen so edlen Menschen gefunden habe, der an Hoheit des Geschlechts, an Tapferkeit, Zucht und Weisheit seinesgleichen nicht hat. Nein, Ihr sollt Eure Mühe nicht verlieren, die Ihr so treulich an mich gesetzt habt. Und weil Ihr mir Euer Herz und Gemüt aufgedeckt, so ist es billig, daß ich vor Euch das gleiche tue. Darum sehet hier Eure Magelone; sie ist ganz und gar Euer. Ich setze Euch zum Meister und Herrn meines Herzens: nur bitte ich Euch, solches bis zur Zeit unseres Verlöbnisses geheimzuhalten; meinesteils seid versichert, daß ich lieber den Tod sehen wollte als mich und mein Herz einem andern bewilligen."

Magelone nahm nun eine goldene Kette, daran ein köstliches Schloß war, von ihrem Hals. "Mit dieser Kette", sprach sie, "geliebter Freund und Bräutigam, setze ich Euch in den Besitz meines Lebens und verheiße Euch treulich, wie einem Königskinde geziemt, keinen andern zu ehelichen denn Euch." Mit diesen Worten schloß sie ihn freundlich in die Arme. Peter senkte sich vor seiner Geliebten ins Knie, dankte ihr, versprach sich ihr ganz zu eigen und steckte ihr den dritten und köstlichsten Ring, den er von seiner Mutter empfangen, an den Finger; sie neigte sich gegen ihn, und er gab ihr den ersten Kuß als seiner Braut. Dann riefen sie die Amme zurück in die Kammer.

Hierauf beurlaubte sich Peter von seiner schönen Freundin und ging zurück in die Herberge viel fröhlicher, als er gewohnt war. Magelone aber



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ließ sich gegen niemand merken, was vorgegangen. Nur mit der Amme sprach sie von nichts anderem als ihrem Ritter. Die Amme aber sagte: "ES ist alles wahr, was Ihr Gutes und Liebes von ihm sagt. Nur, liebstes Fräulein, bitte ich Euch, seid nicht leichtsinnig in der Liebe. Wenn Ihr zu Hofe bei andern Jungfrauen oder in der Ritter Gesellschaft sein werdet, so laßt Euch nichts merken. Würden Vater oder Mutter es inne, so würde daraus dreierlei übel entstehen. Erstens würdet Ihr schamrot werden und die Gunst Eurer Eltern verlieren; zum andern möchte der Ritter getötet werden, und Ihr wäret die Ursache am Tode dessen, der Euch lieber hat denn sich selbst; und drittens endlich würde auch ich gestraft werden, was Ihr gewiß nicht haben wollt." Magelone versprach, der Amme in allem treulich zu folgen. "Siehst du an mir etwas, das mir zu tun nicht geziemt" , sagte sie, "so sage mir's oder mach mir ein Zeichen. Aber wenn wir zwei allein beieinander sind, dann bitte ich, du wollest mir vergönnen , von dem liebsten Menschen zu reden; so wird die lange Zeit, bis wir uns wiedersehen, etwas schneller verfließen."

Als der Ritter wieder zu Hause war, dachte er an nichts anders als an Magelonens Freundlichkeit und Schöne: es trieb ihn, eher wieder an den Hof zu gehen, als er sich vorgenommen hatte. Doch hielt er sich weislich ganz stille vor dem König und allen andern, wodurch ihn um seiner Bescheidenheit willen jedermann um so lieber gewann, nicht nur die großen Herren, sondern auch das gemeine Hofgesinde. Wenn er aber den Augenblick erhaschen konnte, wo er unvermerkt seine Augen speisen mochte, warf er der schönen Magelone einen freundlichen Blick zu; doch geschah das immer vorsichtig und ganz verborgen. Nur wenn er von dem König oder der Königin Befehl erhielt, mit der Fürstin zu reden, nahte er sich ihr. Und dann vertrieben sie mit holdem Gespräch ihre Zeit.

Zu dieser Zeit lebte in der Normandie ein reicher und edler Ritter, der wegen seiner Macht und Redlichkeit überall gepriesen und beliebt war, der hieß Friedrich von der Krone. Dieser gewann die schöne Magelone auch lieb; denn er hatte sie vorzeiten gesehen, sie aber seiner nicht geachtet. Nun nahm er sich einsmals vor, Ritterspiel in der Stadt Neapolis zu treiben: er vertraute dabei auf seine Stärke, die ihm den Preis und damit vielleicht die Huld der schönen Magelone gewinnen könnte. Daher tat er die Bitte an den König von Frankreich, in Neapel turnieren zu dürfen. Und nun wurde in Frankreich und allen Landen ausgerufen: Welche Ritter, Lanzen zu brechen, willens wären aus Liebe zu Jungfrauen oder Frauen,



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sie sollten am Tage von Mariens Geburt in der Stadt Neapel erscheinen; da würde man sehen, wen sie liebhätten.

Dies bewog viele Fürsten und Herren zu erscheinen, aus Savoyen, aus England, aus Böhmen und Rußland. Auch Jakob, der Bruder des Grafen von Provence, der Oheim des Ritters mit den silbernen Schlüsseln, kam, wiewohl er diesmal seinen Neffen nicht erkannte. Herr Friedrich von der Krone, Herr Heinrich von Carpona und andre Edle hatten sich auch eingefunden, und der Ritter mit den silbernen Schlüsseln war ohnehin auf dem Platze.

Sechs Tage lagen die zusammengekommenen Fürsten und Herren in der Stadt stille, bis der anberaumte Tag erschien. Da standen sie frühe auf und hörten alle die Messe, dann rüsteten sie sich, ein jeglicher, so herrlich er mochte, und zogen auf den Ritterplatz, wo der König und die Königin mit ihrer Tochter, der schönen Magelone, und andern Jungfrauen und Frauen auf einer Schaubühne saßen, dem Stechen zuzusehen. Es war ein gar lustiger Kranz; aber unter soviel schönen Frauen leuchtete Magelone wie der Morgenstern im Aufgang des Tages hervor. Die Ritter alle warteten auf den königlichen Befehl. Der erste, der sich mit aller Pracht sehen ließ, war Herr Friedrich von der Krone, und nach ihm viele andere, jeder in seiner Ordnung; aber die schöne Magelone wandte ihr Auge nur nach Peter, der zu allerletzt kam. Dann befahl der König seinem Herold, auszurufen daß das Turnier geschehen solle freundlich und mit Liebe, aber auch ohne Scheu des andern. Darauf rief Herr Friedrich von der Krone laut: "Auf den heutigen Tag will ich meine Stärke und Mannheit beweisen , der edeln und allerschönsten Magelone zu Ehren." Und nun zog er als der erste auf die Bahn. Wider ihn trat Herr Heinrich auf, des Königs von England Sohn, ein schöner Ritter; und sie trafen sich so gut, daß beider Spieße brachen. Nach ihm kam der Ritter Lancelot von Valois, der stach gleich im ersten Zusammentreffen Herrn Friedrich aus dem Sattel.

Nun ritt Peter von Provence in die Schranken wider Lancelot; denn sein mutiges Herz konnte nicht länger verziehen. Diese trafen so heftig aufeinander, daß die Pferde mit ihnen beiden fielen und sie auf Befehl des Königs mit den Pferden wechseln und noch einmal rennen mußten. Die schöne Magelone war schon ganz traurig geworden, als sie das Roß ihres Geliebten fallen sah. Nun aber zogen sie abermals auf die Bahn, und Peter rannte mit solcher Gewalt wider seinen Gegner, daß er ihm einen Arm entzweibrach und Lancelot wie tot auf die Erde fiel und



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durch die Seinen von der Bahn weg in seine Herberge getragen werden mußte.

Darauf trat Herr Jakob von Provence gegen Peter hervor; dieser erkannte ihn sogleich, wurde aber von jenem nicht erkannt. Wie nun der edle Peter seines Vaters Bruder sich zum Streite gegen ihn rüsten sah, sandte er den Herold zu ihm und sprach: "Saget jenem Ritter, daß er nicht wider mich auftrete; denn er habe mir einsmals einen Dienst in der Ritterschaft erwiesen, daher sei ich schuldig, ihm wieder zu dienen. Sagt ihm auch, ich lasse ihn bitten, meiner zu schonen, so wolle ich willig bekennen , daß er ein besserer Ritter sei denn ich." Als Herr Jakob dies hörte, wurde er zornig; denn er war ein tüchtiger Ritter; und er war es, der mit eigener Hand seinen Neffen Peter einst zum Ritter geschlagen hatte, daher Peter jetzt aus Ehrerbietung sich scheute, mit ihm zu kämpfen. Davon ahnete aber Herr Jakob von Provence jetzt nichts. "Saget dem Ritter", sprach er, "wenn ich ihm Liebes erwiesen habe, so sollte er um so mehr wider mich rennen, um auch mir zu Gefallen zu leben; denn er wird hier für einen tapfern Ritter geachtet. Ich fürchte aber, daß dem nicht so sei, und daß er nicht genug Kraft in sich fühle, sich gegen mich zu wehren!" Der Herold hinterbrachte das Herrn Peter wieder, und so schwer es diesem fiel, gegen seinen Ohm zu kämpfen, mußte er es doch tun, um von den Leuten nicht verkannt zu werden. Als es nun ans Treffen kam, da hielt Peter seinen Speer querüber; denn er mochte seinen Vetter nicht treffen; dieser hingegen schonte seiner nicht, sondern er traf seine Brust; der Stoß war aber so heftig, daß Herrn Jakobs Speer davon zerbrach und er selbst aus dem Sattel seines Rosses gehoben ward. Peter jedoch rührte sich nicht: es war ihm nur, wie wenn eine Flamme an ihm vorübergegangen wäre und ihn kaum berührt hätte. Der König, der dies gewahr wurde, sah wohl, daß der Ritter mit den silbernen Schlüsseln nur aus Höflichkeit so handelte, begriff jedoch nicht, warum es geschah. Die schöne Magelone aber wußte wohl, warum es Peter tat. Indessen schickten sich beide zu einem zweiten Kampfe, und Peter machte es wieder wie das erstemal. Sein Vetter hingegen sparte keine Kraft und stach so heftig, daß er selbst über dem Stoße vom Pferde fiel. Peter aber hatte sich nicht im Steigbügel gerührt und war zu keinem Gegenstoß zu bewegen. Hierüber verwunderte sich jedermann, und Herr Jakob selbst, der seine Stärke empfunden hatte und doch sah, daß der Ritter sich nicht Mühe gab, ihn zu treffen, verwunderte sich sehr und wollte nicht wiederkommen. So zog er ab und wußte nicht, daß sein Gegner Peter sein edler Neffe gewesen



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war. Es kamen nun noch viele andere Herren, die alle schonte der Ritter mit den silbernen Schlüsseln nicht, sondern hub einen um den andern aus dem Sattel.

Als nun niemand mehr vorhanden war, der es mit ihm wagen wollte, schlug er sein Visier auf und ritt zum König. Dieser ließ ihn durch den Herold als Sieger ausrufen, und die Königin, die schöne Magelone und alle übrigen Frauen und Jungfrauen sagten ihm großen Dank.' Der König erwies den Rittern noch große Ehre, dem mit den silbernen Schlüsseln aber ging er entgegen, umarmte ihn und sprach: "Lieber Freund, ich danke Euch für die Ehre, die Ihr mir heute bewiesen habt; ich darf mich wohl rühmen, daß kein Fürst auf Erden ist, der einen so guten Ritter an seinem Hofe hätte, als ich an Euch einen habe, so voll Zucht, Ehre und Tapferkeit. Eure Werke loben Euch mehr, als ich selbst es kann. Gott lasse Euch finden, was Euer Herz begehrt; denn Ihr seid es würdig!" Von diesem Tag an wurde der Ritter von dem König und allen andern hochgeschätzt; wer mit ihm in ein Gespräch kommen konnte, freute sich seiner Gesellschaft; je mehr man ihn sah, je lieber hatte man ihn. Er war aber auch ein schöner, holdseliger; junger Geselle, war weiß wie eine Lilie, hatte freundliche Augen, Haar wie Gold, und jedermann sagte, Gott habe ihm besondere Tugenden und Gaben verliehen. Und obgleich auch der Verwundeten nicht vergessen wurde, und besonders Herr Lancelot von einem Arzte des Königs besucht und sorgfältig geheilt ward, auch alle andern Fürsten und Herren sünfzen Tage lang köstlich am Hofe gehalten wurden, so wurde doch von nichts als von dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln gesprochen. Und sooft es die schöne Magelone hörte, war sie hocherfreut, doch ließ sie sich nicht das Kleinste merken.

Die andern Fürsten und Edlen zogen endlich heim, wiewohl ziemlich ärgerlich, weniger, weil sie besiegt worden waren, als weil sie durchaus nicht erfahren konnten, wer der siegreiche Ritter sei, der bei dem Turnier unter so vielen Tapfern das Beste getan hatte. Als alles vorüber war, kam der Ritter auch wieder mit seiner schönen Magelone zusammen; und als sie genug miteinander geredet hatten, wollte Peter sie versuchen und sprach zu ihr: "Edelste, schönste, liebste Magelone! Ihr wißt, wie lange ich Euretwegen von Eltern und Heimat ferne bin; darum, allerliebste Liebe, weil Ihr die einzige Ursache seid, so bitte ich Euch, erlaubet mir, nach Hause zu reiten; denn ich bin gewiß, daß Vater und Mutter große Sorge um mich tragen, und das beschwert mein Gewissen." Als dies Magelone hörte, standen ihr sogleich die Augen voll Wasser, und bald rannen heiße



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Tränen über ihr schönes Angesicht, und sie schwieg lange ganz schwermütig. Endlich begann sie unter Seufzen: "Ja, gehet nur, ich weiß ja, daß ein Sohn Vater und Mutter gehorsam sein soll! Aber das schmerzt mich, daß Ihr Eure Geliebte zurücklassen wollt, die doch ohne Euch weder Rast noch Ruhe in dieser Welt haben kann. Glaubet nur, wenn Ihr von mir hinwegziehet, so werdet Ihr bald von meinem Tode hörens" Diese Klagen gingen dem Grafen Peter sehr zu Herzen und er sagte zu ihr: "Ach, Magelone, geliebte Liebel Weinet nicht und bekümmert Euch nicht mehr; glaubet, daß ich lieber den Tod leiden will als Euch lassen; wollet Ihr aber mit mir ziehen, so seid versichert, daß ich Euch in Zucht und Ehren führen werde und meinem Versprechen in allem Genüge tun!"

Als Magelone diese Worte ihres Geliebten hörte, wurde sie voll Freuden und machte ihm selbst den Vorschlag, so bald und so heimlich als möglich von dannen zu ziehen. "Höret, was ich Euch bisher verschwiegen habe", sagte sie, "mein Vater hat mir seinen Willen angezeigt, mich nächstens mit Herrn Heinrich von Carpona zu vermählen. Mir aber ward nicht anders, denn als ob er mir den Tod drohete." —Darauf beschlossen sie, am dritten Tage, wenn die Welt im ersten Schlafe läge, miteinander zu ziehen. Peter sollte sich mit allem Nötigen versehen, und mit den Pferden zu dem kleinen Pförtchen bei dem Garten kommen. Magelone bat ihn inständig, doch gute und starke Pferde mitzubringen, damit sie aufs geschwindeste aus dem Lande kämen. "Denn wenn mein Vater uns einholte", sprach sie, "so würde er uns beide töten."

Von diesem Entschlusse sagte die schöne Magelone sogar ihrer Amme nichts; sie fürchtete doch, daß sie diesen Schritt verhindern oder gar anzeigen möchte. So harrte sie allein mit ihrem Geheimnis, als Peter sie verlassen hatte, den Tag und den Anfang der Nacht hindurch. Nach dem ersten Schlafe kam Peter vor das Gartenpförtchen mit drei wohlbeschlagenen Pferden, wovon eines mit Brot und anderer Speise auf zwei Tage beladen war, damit sie nicht Essen und Trinken der Herberge suchen dürften. Die schöne Magelone hatte inzwischen Gold, Silber, und was ihr sonst vonnöten war, zu sich genommen und setzte sich auf einen schmucken englischen Zelter, der sehr sanft ging; Peter saß auch auf einem herrlichen Roß, und so ritten sie die ganze stille Nacht über, bis der Tag anbrach. Peter suchte die dichtesten Hölzer aus, gegen das Meer zu, damit sie von niemand gesehen würden. Als sie tief genug in den Wald hineingekommen waren, hub er die schöne Magelone vom Pferd, wies den Rossen eine Stelle an und ließ sie grasen. Sie selbst saßen ins grüne Gras unter den



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Schatten eines Baumes, redeten von ihrer Liebe und baten Gott, sie zu beschirmen. Als sie so beide lange miteinander zärtlich geredet, überkam Müdigkeit und Schlaf die schöne Magelone, weil sie die ganze Nacht nicht geruht hatte. So legte sie denn ihr Haupt in Peters Schoß und schlief bald recht sanft ein, und Peter hütete sie.

Inzwischen kam zu Neapel, als es Tag geworden war, die Amme in die Kammer der schönen Magelone und blieb eine gute Weile da; denn sie meinte, ihre Herrin schliefe noch; als aber die Zeit, wo sie aufzustehen pflegte, vorüberging und sich immer nichts rührte, trat die Amme vor das Bett und entsetzte sich. Denn sie fand es leer, und die Linnen und Kissen frisch und unberührt, als wenn niemand darin gelegen wäre. Ihr erster Gedanke war, daß Peter die schöne Magelone entführt habe. Sie eilte in die Herberge des Ritters und fragte dort nach ihm, und da erfuhr sie, daß er mit allen seinen Rossen fortgeritten sei. Jetzt hub die Amme an zu jammern, als wollte sie sterben; sogleich ging sie in das Gemach der Königin und meldete derselben, daß sie ihre Tochter im Bette gesucht und nicht gefunden habe. Die Königin erschrak sehr und wurde zornig; sie ließ überall suchen, bis auch der König aufmerksam wurde und endlich sich das Gerücht verbreitete, der Ritter mit den silbernen Schlüsseln sei verschwunden. Da dachte der König sogleich, dieser werde seine Tochter entführt



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haben. Nun ließ er eine große Macht aufbieten, ihr nachzufolgen und sie aufzusuchen; wenn man den Ritter fänge, so sollte man ihn lebendig einliefern; er wolle ihn bestrafen, daß die Welt davon zu sagen wisse. Während nun Geharnischte sich auf dem ganzen Weg verteilten, blieben der König und die Königin in großem Unmut beieinander; besonders meinte die Königin verzweifeln zu müssen. Als sie nun so gar jammerte, schickte der König nach der Amme, und als sie herbeieilte, rief er ihr zornig zu: "ES ist nicht anders möglich; wenn sonst kein Mensch, so mußt du etwas davon wissen Da warf sich die arme Amme dem Könige zu Füßen und sprach: "Gnädigster Herr! wenn Ihr in dieser Sache an mir eine Schuld findet, so bin ich bereit, des grausamsten Todes zu sterben, der über mich erkannt werden mag. Vielmehr habe ich, sobald ich die Flucht erfahren, dieselbe der Königin gemeldet." Der König glaubte ihr, ging in sein Zimmer; ass und trank nichts den ganzen Tag vor Trauer. Die Königin, alle Jungfrauen des Hofes, die Stadt Neapel selbst, alles war ein Anblick des Jammers.

Die Bewaffneten, die ausgesandt waren, kamen, die einen nach sechs, die andern nach mehreren, einige erst nach fünfzehn Tagen wieder; alle hatten nichts gefunden und nichts erfahren, so daß der König von neuem ergrimmt wurde, bis er mit der Königin und allen in die vorige stumme Trauer versank.



***
Die schöne Magelone schlief im tiefen Wald im Schoße Peters, der keine größere Lust kannte, als seine Geliebte anzuschauen, und am Anblick ihres roten Mundes und rosenfarbigen Angesichts sich nicht ersättigen konnte. Als sie nun im Traume ängstlich und schwer atmete, schnürte er sie etwas auf, daß ihr Hals frei ward. Peter war über ihre unaussprechliche Schönheit entzückt, er glaubte, im Himmel zu sein, und alle seine Sinne wandten sich um. Er meinte, durch diesen Anblick sei er gefeit, und kein Unglück könne ihm fürder schaden. Nun bemerkte er erst auf ihrer Herzgrube einen roten Zindel. Darüber bekam er große Lust zu erfahren, was es wäre, nahm den Zindel heraus und wickelte ihn auseinander. Da fand er die drei kostbaren Ringe, die er seiner Geliebten geschenkt hatte, und freute sich innig darüber, daß sie dieselben so wert hielt und seinetwegen so gut bewahrte. Er wickelte sie wieder ein und legte sie neben sich auf das moosichte Gestein; dann begann er die schöne Magelone wieder anzusehen, und ward in Liebe so entzückt, daß er nicht wußte, wo er war, und auch die Ringe ganz vergaß. Da zeigte ihm Gott, daß in der Welt mehr Traurigkeit sei denn Freude. Denn es schoß ein Raubvogel herab, der den



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Zindel erblickt hatte und für ein Stück Fleisch halten mochte; dieser faßte den Zindel mit dem Schnabel und trug ihn in den Lüften davon. Bei diesem Anblick erwachte Peter aus seinem Traum: erschreckt fuhr er auf;
er fürchtete, Magelone möchte zürnen, wenn ihr beim Erwachen die Ringe fehlten. Er legte daher seiner Geliebten sorglich den Mantel unter das Haupt, damit sie ruhig fortschlafen könnte; dann verfolgte er den Vogel und warf mit Steinen nach ihm, aber keiner wollte ihn treffen. So war



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ihm Peter eine Weile nachgegangen und kam endlich ans Meeresufer; hier setzte sich der Raubvogel auf eine kleine spitze Klippe am Meer; da warf Peter einen Stein so wohlgezielt nach ihm, daß der Vogel erschrak und im Auffliegen die Ringe ins Meer fallen ließ. Da sah Peter den Zindel auf dem Wasser hinschwimmen, weit vom Ufer hinaus. Er konnte nicht hoffen, ihm durch Schwimmen beizukommen; vergebens suchte er am Ufer hin und her, ob er etwas finden möchte, das ihm anstatt eines Fahrzeugs dienen könnte. Ihn peinigte der Gedanke, daß die Ringe nicht verlorengegangen wären, wenn er sie an dem Orte, wo sie so wohl bewahrt und sicher ruhten, liegengelassen hätte. Endlich fand er ein kleines altes Schifflein, das die Fischer verlassen hatten, und wurde wieder erfreut. Aber diese Freude währte nicht lange; denn kaum war er eingestiegen und hatte mit einem Waldstecken, den er sich unterwegs geschnitten, zu rudern angefangen, um nach der Klippe, wo der Zindel schwamm, den kleinen Nachen hinzuleiten, so erhub sich ein großer Wind, der den Schiffer mit Gewalt und wider seinen Willen auf das hohe Meer führte. Derselbe Wind hatte auch den Zindel fortgenommen, so daß er dem Nachschiffenden bald aus den Augen verschwand. Peter war in Verzweiflung; er sah den eigenen Tod vor Augen, und dann dachte er wieder an die schöne Magelone, die er im Walde schlafend verlassen und doch mehr liebte als sich selbst, und die nun, wie er fürchten mußte, in Verzweiflung sterben würde. Ohne Hilfe und Rat dachte er einen Augenblick daran, sich selbst ins Meer zu stürzen; bald aber kam er wieder zu sich selbst und sagte bei sich: "Ach, wie töricht bin ich! Warum wollte ich mich denn selbst töten, da ich doch dem Tode so gar nahe bin; er läuft mir ja nach, mich zu sahen; ich darf ihn nicht suchen. Vergib mir meine Sünde, gnädiger Gott! Ich will ja gerne alles leiden, wenn nur meine geliebte Magelone der Gefahr entgeht! Ach, was wird sie zu dulden haben, die Tochter des mächtigen Königes, wenn sie sich auf einmal so allein in der Wüste findet! —Welch ein falscher, ungetreuer Mensch bin ich, daß ich dich aus dem Lande deines Vaters und deiner Mutter geführt habe, wo du in Herrlichkeit und zärtlicher Pflege auferzogen worden bist l Jetzt erst bin ich des Todes und kann ihm nicht entgehen. Doch um mich ist es ein kleiner Schade, aber daß Magelone sterben soll, die allerschönste Jungfrau auf Erden! Oh, gütiger Gott, bewahre sie vor allem Ubel. Du weißt ja, daß keine unordentliche Liebe zwischen uns beiden gewesen ist; darum erbarme dich doch nur ihrer, denn sie ist unschuldig!"

So sprach Peter zu sich selbst. Er saß in der Mitte des lecken Schiff:



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leins und erwartete, wo ihn das Meer hinwürfe, oder den Augenblick, wo der Sachen untersänke; denn er hatte Wassers genug darinnen. In solcher Todesangst mußte er ausharren vom Morgen bis zum Mittage. Da kam ein Schiff herangesegelt, es war ein Raubschiff der Mohren; die sahen ihn so allein dahertreiben, wie der Wind ihn führte, nahmen ihn aus Mitleid auf und setzten ihn in ihr Schiff. Peter aber war vor Liebesschmerz halbtot und wußte nicht, wie ihm geschah. Als der Patron des Schiffs Petern recht ansah, gefiel dieser ihm wohl, denn er war gut gekleidet und schön; da dachte der Seeräuber bei sich selbst, er wolle ihn dem Sultan schenken. Darauf segelten sie weiter, viele Tage, bis sie gen Alexandrien kamen. Und dort machte der Schiffspatron wirklich den Peter dem Sultan von Babylon zum Geschenk. Auch diesem gefiel der junge Mann, und er dankte dem Geber. Und weil Peter immer die goldene Kette um den Hals trug, die Magelone ihm gegeben hatte, so schloß der Sultan daraus, daß er eines hohen Geschlechtes sein müsse. Er ließ ihn deswegen durch seinen Dolmetscher fragen: ob er verstünde, zu Tische aufzuwarten; ; und als Peter die Frage bejahte, so ließ der Sultan ihm in der türkischen Weise Unterricht erteilen, und er lernte es so gut, daß er es bald allen andern darin zuvortat. Ja, der Sultan gewann ihn so lieb, als wäre es sein eigener Sohn. In kurzem erlernte Peter die griechische und türkische Sprache und bezeigte sich gegen jedermann so höflich und freundlich, daß alle Leute am Hofe ihn so gerne sahen, als wäre er ihr eigener Sohn oder Bruder gewesen. Er selbst schickte sich auch in seine Lage: was ihm bei dem Sultan zu tun und auszurichten befohlen war, das tat er mit ganzem Fleiße; und dies war der Grund, warum er hervorgezogen wurde. Doch konnte alle diese Ehre den armen Peter nicht fröhlich machen ; sein Herz war ihm immer schwer, es mußte beständig an seine unglückliche Magelone denken; ja, er wünschte, lieber im Meer ertrunken zu sein, weil er dann seines Schmerzes los wäre. Doch ließ er sich nichts merken, so betrübt er war. Er bat nur Gott, daß er ihn als einen Christenmenschen sterben lassen und ihm den Genuß des heiligen Sakramentes vor dem Tode nicht entziehen wolle.



***
Als die schöne Magelone im grünen Walde nach Lust geschlafen hatte, weil sie müde gewesen und die ganze Nacht ohne Schlummer verblieben war, so wachte sie endlich auf, erhub ihr Haupt und meinte, sie sei noch bei ihrem geliebten Peter, in dessen Schoß sie es niedergelegt hatte. "Mein liebster Freund", rief sie emporschauend, "ich habe recht gut geschlafen,



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aber Ihr schweiget; ich glaube, ich habe Euch verdrießlich gemacht! " Und nun sah sie um sich und gewahrte niemand; sie erschrak und sprang auf. Mit lauter Stimme fing sie an durch den Wald zu rufen: "Peter; Peter!" aber niemand wollte ihr antworten. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sie von Sinnen gekommen wäre, als sie so gar niemand hörte und sah. Endlich fing sie an zu weinen und ging rufend und jammernd durch den Wald, bis ihr der Schmerz und das Weh in das Haupt stieg und sie ohnmächtig niedersank. Als sie nach langer Zeit wieder zu sich kam und sich erhoben hatte, fing sie kläglich zu jammern an und rief: "Peter, ach geliebter Peter, du meine Liebe und Hoffnung, hab ' ich dich denn verloren? Oh, warum bist du von deiner treuen Genossin geschieden? Du wußtest ja, daß ich ohne dich in meines Vaters Hause nicht leben wollte; meinst du denn, ich könne leben ohne dich, in dieser Wildnis und Wüstenei, in diesen rauhen Büschen, wo ich eines jämmerlichen Todes sterben muß? Was habe ich dir zuleide getan, daß du mich so ängstest Ach, ich habe mich dir nur zu viel entdeckt; aber wenn es auch so ist, so habe ich es ja nur aus allzugroßer Liebe getan. Denn nie ist mir ein Mensch so tief ins Herz gekommen wie du. O Peter; wo ist deine Treue und dein Wort? Fürwahr, du bist der elendeste Mann auf Erden, der je von einer Mutter geboren worden ist — und doch weiß und vermag mein Herz nichts Böses von dir zu sagen! Gewiß, du bist nicht mit deinem Willen von mir geschieden; du bist der Getreue, und ich bin untreu, daß ich dich so geschmäht habe. Ach, darüber ist mein Herz in den Tod betrübt! Welch Abenteuer hat uns voneinander geschiedene Peter, bist du tot? Warum bin ich nicht mit dir tot? Ach, keinem Menschen ist je ein so großes Unglück widerfahren als mir O Gott, behüte mir nur meine Sinne und meinen Verstand, damit ich nicht Leib und Seele verliere ; und laß mich meinen Bräutigam sehen, ehe denn ich sterbet"

So sprach die schöne Magelone zu sich selbst und lief verzweifelnd in dem Holze hin und her, horchte, ob sie nicht etwas hören könnte, stieg auf einen Baum, um in die Ferne zu sehen; aber sie sah nichts um sich als Einöde und Wüstenei und in der Ferne das große, tiefe Meer. So blieb sie den ganzen Tag traurig, ohne Essen und Trinken. Als die Nacht herbeikam , suchte sie sich einen starken, hohen Baum aus, den bestieg sie mit vieler Mühe und blieb die ganze Nacht auf seinen breiten Ästen sitzen, doch schlief und ruhte sie wenig; denn sie hatte große Furcht vor den wilden Tieren. Da hatte sie Zeit, über ihr Schicksal nachzudenken. Daß sie nicht mehr nach Hause zu ihren Eltern zurückgehen könne, sah sie klar ein; denn



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sie fürchtete den Zorn ihres strengen Vaters. Endlich beschloß sie bei sich selbst, ihren Geliebten in der weiten Welt suchen zu gehen. Sobald daher der Tag anbrach, stieg sie von dem Baume herab und ging an den Ort, wo sie die Pferde noch angebunden fand. Unter Tränen löste sie ihnen die Fesseln und sagte zu ihnen, indem sie sie streichelte: "Weil euer Herr verloren ist und mich in der Welt sucht, so möget auch ihr hinlaufen, wohin ihr wollet." Mit diesem Wort zog sie ihnen die säume ab und ließ sie laufen, wohin sie wollten. Dann ging sie selbst zu Fuße lang im Walde fort und fand endlich die Landstraße, die nach Rom führte; in der Nähe war eine steile Anhöhe, die bestieg sie, um zu sehen, ob sie nicht aus der Ferne einen Wanderer gewahr werden könnte. Endlich nach langer Zeit erblickte sie eine arme Pilgerin. Diese rief sie herbei und bat sie um ihren Pilgerrock und ihre übrigen Kleider. Die Frau meinte, eine so schön gekleidete Jungfrau könne nicht allein im Walde sein und nichts dergleichen begehren. Sie glaubte also, die schöne Magelone spotte ihrer, und sagte: "Gnädige Frau, Ihr seid freilich köstlich geschmückt, aber deswegen solltet Ihr die Leute Christi nicht verhöhnen; ein so schöner Rock, wie Ihr ihn traget, ziert nur den Leib; aber mein Rock, hoffe ich, soll meine Seele zieren!" — "Liebe Schwester", sprach darauf die schöne Magelone, "ich bitte dich, laß dich meine Rede nicht verdrießen; ich rede aus gutem Herzen und will frei mit dir tauschen." Die Pilgerin überzeugte sich bald, daß die schöne Jungfrau von Herzensgrunde rede. Voll Verwunderung zog sie ihre Pilgerkleider aus, und Magelone tat dasselbe mit den ihrigen. Sie bekleidete sich dann mit den Gewanden der Pilgerin so, daß man ihr nicht recht ins Gesicht sehen konnte, und machte sich auch sonst auf mancherlei Weise unkenntlich.

In dieser Kleidung nahm die schöne Magelone ihren Weg nach Rom und ging so lange, bis sie diese Stadt erreicht hatte. Ihr erster Gang dort war in Sankt Peters Kirche. Hier kniete sie vor dem Hochaltare nieder und verrichtete ihr Gebet für sich und Peter unter bitteren Zähren. Als sie nun eben den Dom verlassen wollte, um nach einer Herberge zu gehen, sah sie zu ihrem großen Schrecken ihrer Mutter Bruder mit großem Gepränge und vielem Gefolge in die Kirche treten. Dieser war auch ausgezogen, seine entflohene Nichte zu suchen. Aber in den schlechten Pilgerkleidern erkannte er sie nicht; ja, weder er noch seine Begleiter bemerkten auch nur die Gegenwart der armen Pilgerin. Magelone aber meldete sich als Pilgersfrau in dem Spitale, blieb dort fünfzehn Tage in großer Niedrigkeit und Demut, besuchte nun alltäglich die Kirche in St. Peter; wo



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sie in tiefer Trauer zum Allmächtigen um Erhörung flehte. Dann gedachte sie, nach Frankreich in die Grafschaft Provence zu wandern, weil sie dort am ehesten etwas von ihrem Geliebten zu erfahren hoffte. So machte sie sich denn auf den Weg, und als sie in die Stadt Genua kam, erfragte sie den nächsten Pfad nach dem Meere. Hier fand sie zum Glück ein Schiff segelfertig, das nach Aiguesmortes segeln wollte, und mit welchem sie dorthin fahren konnte. In dieser Stadt wurde sie von einer frommen Frau aus Mitleiden ins Haus aufgenommen; die gab ihr zu essen
und zu trinken und legte sie in ein gutes Bett. Sie mußte der alten Frau viel von Rom und ihrer Wallfahrt erzählen und fragte dagegen sie wieder nach der Beschaffenheit der Länder, durch welche sie zu reisen hatte, und nach der Grafschaft Provence. Da erzählte ihr die Frau viel Gutes von dem alten Grafen von Provence, wie mächtig er sei, wie er sein Land im Frieden halte, wie nie ein Mensch gehört habe, daß jemand ein Leid widerfahren sei. So seien er und die Gräfin auch besonders freundlich gegen arme Leute. Aber sie seien auch sehr betrübt und traurig um ihres Sohnes willen, der Peter heiße und der edelste Ritter in der Welt sei; denn er sei vor zwei Jahren weggezogen dem Ritterspiele nach und nicht mehr heimgekommen ; ja, niemand wisse, was aus ihm geworden sei. Da mußte Magelone



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laut aufschluchzen, als sie die fromme Frau von Peter erzählen hörte. und weil diese glaubte, sie weine aus Mitleiden mit den alten Eltern des Grafen, so hatte sie die fremde Pilgerin nur um so mehr lieb.

Gleich in jener ersten Nacht nahm sich jedoch die schöne Magelone vor; einen Ort zu suchen, wo sie Gott täglich dienen und in sicherer Zucht leben könnte. Am andern Morgen erkundigte sie sich bei ihrer Wirtin und erfuhr von dieser, daß in der Nähe in dem Hafen, der der Heiden Port heiße, eine kleine Insel sei, wohin aus allen Landen die Kaufleute mit ihren Waren kämen, und wo sich auch viele arme und kranke Leute befänden . Diesen Ort besuchte Magelone, und da er ihr wohl gefiel, ließ sie von den Schätzen, die sie aus Neapel mitgenommen und sorgfältig verborgen hatte, ein kleines Kirchlein zu St. Peters Ehren und ihrem geliebten Peter zu Gefallen nebst einem Spitale bauen, in welchem sie der Armen mit großer Treue pflegte und ein so strenges Leben führte; daß alle Leute der Insel und Umgegend sie nur die heilige Pilgerin nannten. Von allen Seiten her bekam das Kirchlein Opfer und Schenkungen und wurde weit und breit bekannt, so daß zuletzt auch Peters Eltern, der Graf und die Gräfin von Provence; kamen, ihre Andacht dort zu halten. Diesen ging die fremde Pilgerin entgegen und erzeigte ihnen große Ehrerbietung , ward auch von beiden als eine heilige Frau wohl aufgenommen. Die Gräfin redete mit ihr von mancherlei und endlich auch, wie betrübt sie um ihren verlorenen Sohn sei; und da fing sie an, herzlich zu weinen. Die schöne Magelone versuchte, sie zu trösten, obwohl ihr die Tränen ebenso nahe waren und der Trost noch nötiger gewesen wäre. Doch stillten ihre sanften Worte das Gemüt der Gräfin; sie hatte großes Gefallen an ihren Reden und sagte ihr, was sie für ihren Spital bedürfte, das sollte sie doch begehren; nichts solle ihr versagt werden. Auch bat sie die Pilgerin beim Abschied, für die Heimkehr ihres Sohnes Peter fleißig zu Gott zu beten, und das versprach Magelone gern und wurde ihr nicht schwer zu halten.



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Eines Tages aber begab es sich, daß die Fischer der Insel im Meere fischten und einen schönen Fisch fingen, den man Meerwolf nennt; den brachten sie dem Grafen von Provence zum Geschenk. Als nun der Fisch durch die Diener in die Küche getragen wurde, um ihn zu bereiten, da fand man in dem Bauch des Fisches einen roten Zindel, und der Köche einer eilte, das wunderliche Ding der Gräfin zu bringen. Wie die Gräfin den Zindel aufwickelt, findet sie darin die drei Ringe, die sie ihrem Sohn mit



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gegeben, als er in die Ferne zog. Sobald sie dieselben erkannt, fing sie an bitterlich zu weinen und rief: "Allmächtiger Gott; was will ich weiter Zeugnis, daß mein geliebter Sohn tot ist! Nun bin ich aller Hoffnung beraubt." Auf ihr Jammern kam der Graf herbei, erkannte die Ringe auch, legte sein Haupt in den Pfühl und weinte. Dann befahl er seinen Dienern, die köstlichen Teppiche seines Palastes hinwegzunehmen und das ganze Haus mit schwarzen Tüchern zu behängen. Seine Untertanen, die dies sahen, trauerten mit ihm; denn sie hatten ibn sehr lieb.

Die Gräfin aber suchte Trost bei der frommen Pilgerin. Sie kam auf die Insel, und nachdem sie ihr Gebet in der Kirche vollbracht, ging sie in den Spital, nahm die schöne Magelone bei der Hand, führte sie in einen Betstuhl und erzählte ihr mit großen Schmerzen, wie es ihr ergangen und sie jetzt gar keine Hoffnung mehr habe, ihren Sohn zu sehen. Magelone; die über Peters Verschwinden ihre Ringe vergessen und nicht mehr an sie gedacht hatte, fing inniglich mit ihr weinen an und bat sie, wenn sie die Ringe mit sich führte, sie ihr zu zeigen. Die Gräfin holte die Ringe mit Seufzen hervor und gab ihr sie zu besehen. Da erkannte die schöne Magelone freilich, daß es Peters Ringe waren, und kein Wunder wäre gewesen, wenn ihr das Herz im Leibe gebrochen wäre. Aber ihr frommer Wandel im Spital hatte sie im Dulden gestärkt, und so sprach sie mit Fassung: "Gnädige Frau, kümmert Euch nicht über Dinge, die noch ungewiß sind. Seien es immerhin die Ringe, die Ihr Eurem lieben Sohn



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Peter gegeben habt; er kann sie ja wohl verloren oder einer andern Person gegeben haben. Darum lindert Eure Schmerzen, tut es Eurem Gemahl zuliebe; denn wenn er Euch so betrübt sieht, so wird er auch traurig; darum kehret Euch zu Gott dem Allmächtigen und bittet ihn um Hilfe!"

So tröstete Magelone die Gräfin; aber als sie allein war in der Kirche, fiel sie vor dem Altare nieder, und die Tränen strömten ihr über das Angesicht. Da bat sie Gott, wenn Peter lebendig wäre, so möge er ihn wohlbewahrt und glücklich seinen Freunden zuführen; wäre er aber tot, so wolle er sich seiner Seele erbarmen und sie selbst bald im Tode mit ihm vereinigen.



***
Während dieses mit der schönen Magelone vorging, blieb Peter am Hofe des Sultans zu Babylon und wurde von ihm geliebt, als wäre es sein eigener Sohn. Der Sultan hatte keine Freude, wenn sie Peter nicht mitgenoß, aber Peters Herz und Sinn war bei seiner armen Magelone, von welcher er nichts erfahren konnte, und bei seinen Eltern, von welchen er auch nichts hörte. Nun gab einst der Sultan ein großes Fest; war fröhlich und teilte große Gaben aus. Jetzt gedachte Peter, sich auch seinen Anteil zu holen, fiel vor dem Sultan auf die Knie und sprach: "Herr, ich bin lange Zeit an Eurem Hofe gewesen, habe Euch die wichtigsten Sachen vortragen dürfen, habe vieler andern Leute Angelegenheiten betrieben, für mich selbst aber noch nie etwas begehrt oder erbeten. Jetzt wag ' ich, von Euch etwas zu erbitten, was Ihr mir nicht abschlagen wollet!" Als der Sultan ihn so demütig bitten sah, sprach er freundlich: "Lieber Peter, habe ich dir gewährt, was du von mir für andere gebeten hast, wieviel mehr werde ich dir mit fröhlichem Herzen gewähren, was du für dich begehrst !" Wie ihm aber Peter sein Gesuch vortrug, Vater und Mutter in Frankreich besuchen zu dürfen, da wurde der Sultan unwillig und sagte: "Guter Freund, an dein Hinwegziehen denke nicht mehr; wo du auch hinkommen magst; so gut bekommst du es nirgends mehr, und einen Freund, der dir soviel Gutes erweise wie ich, findest du auch nicht; denn ich will dich zu dem gewaltigsten Mann im ganzen Lande machen." Peter aber ließ nicht nach, zu bitten, bis der Sultan sprach: "Nun, weil ich dir's zugesagt habe, so will ich es auch halten; du aber versprich mir, wieder zu mir zu kommen, wenn du deine Eltern besucht hast." Peter versprach ihm dieses, und nun ließ der Sultan in seinem ganzen Land einen Befehl ausgehen, wohin Peter im Mohrenreiche käme, da solle man ihn halten wie den Sultan selbst und ihm in allem, was er begehre, behilflich



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sein. Auch gab ihm der Sultan eine Menge Golds, Silbers und anderer Kleinode zum Geschenke mit.

So zog Peter fort, und viele weinten, die ihn liebhatten. Er kam in kurzer Zeit nach Alexandria, wo er seinen Brief dem Statthalter des Sultans zeigte. Dieser erwies ihm große Ehre und führte ihn in eine köstliche Herberge. Peter versah sich mit allem Nötigen und ließ vierzehn Fässer machen, die er oben und unten mit Salz füllte, in der Mitte aber war sein Schatz. Als alles zugerüstet war, ging er an das Meer und war so glücklich, ein Schiff zu finden, das eben nach der Provence fahren wollte. Er wurde bald mit dem Schiffsherrn einig, nur lachte dieser; als er die vierzehn Salzfässer herbeibringen sah. "Die könntet Ihr zu Hause lassen", sprach er, "denn wenn Ihr in die Provence kommet, so findet Ihr dort überall Salz zu gutem Kaufe und werdet wenig Gewinn davon haben." Aber Peter erklärte, die Fracht gut bezahlen zu wollen, und so war der Patron auch zufrieden. Noch in der Nacht stellte sich guter Wind ein, die Segel wurden aufgezogen, die Anker gelichtet, und sie fuhren fröhlich dahin. Unterwegs legten sie bei einer Insel namens Sagona an, um süßes Wasser einzunehmen. Peter stieg ans Land und durchwandelte die Insel, er fand die schönsten Brünnlein, lagerte sich ins grüne Gras unter den Baumschatten, und vergaß einen Teil seiner Leiden , nur die schöne Magelone nicht, der er mit großen Schmerzen gedachte Wie er so sann, überkam ihn der Schlaf, dem er sich sorglos überließ . Mittlerweile hatte sich ein frischer Wind erhoben, und der Schiffsherr ließ ausrufen, man solle zu Schiffe gehen. Als er sah, daß Peter nicht zugegen war, hieß er ihn am Strande suchen. Die Leute fanden ihn nicht; sie riefen laut ins Gebüsch hinein, aber er hörte es nicht; denn er schlief zu fest. Der Schiffspatron mochte den Wind nicht versäumen, ließ die Segel ausspannen und fuhr davon; Peter aber blieb schlafend liegen.

Jene schifften so lange, bis sie in den Heidenport in der Provence gelangten. Hier gingen sie vor Anker und luden aus. Als sie die vierzehn Fässer fanden, sprach der Schiffsherr: "Was sollen wir nun mit dem Salz des Edelmanns tun, der auf der Insel Sagona zurückgeblieben ist und sein Schiffsgeld so gut bezahlt hat?" Ein Ende wurden sie einig darüber, das Gut dem Spital St. Peters zu übergeben; besser dachten sie, könne es nicht angewendet werden. Der Patron ging zu der Vorsteherin, welches die schöne Magelone war, und sagte ihr: der Herr der Fässer sei verloren gegangen; er übergebe sein Gut dem Hospital; sie möge für seine Seele Gott um Gnade bitten. — Nun fehlte es eines



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Tages in dem Spital an Salz, und Magelone eröffnete eines der Fässer . Da fand sie in der Mitte des Fasses einen großen Schatz, worüber sie gewaltig erschrak; sie nahm die andern Fässer, erbrach sie und fand alle wie das erste. Da sagte sie bei sich selbst: "Ach, du armer Menschl Wer bist du gewesen? Gott der Allmächtige erbarme sich über deine Seele!"

Auf diese Weise war die Pilgerin in den Besitz eines großen Schatzes gekommen. Sie ließ sogleich Maurer und andere Werkleute berufen, um die Kirche und den Hospital größer zu bauen. Das Volk, das zum Schauspiel herbeiströmte, verwunderte sich über die Zurüstungen und konnte sich nicht denken, wer das Geld dazu herschieße. Auch der Graf und die Gräfin kamen, die Kirche mit großer Andacht zu besuchen; dann holten sie wieder Trost bei der frommen Pilgerin, die ihnen Hoffnung einsprach, während sie selbst um Bräutigam, Vater Mutter und Königreich hoffnungslos trauerte.



***
Peter hatte auf der grünen Insel eine gute Zeit geschlafen; als er erwachte , war es Nacht. Erschrocken eilte er nach dem Meere und an die Stelle, wo er das Schiff verlassen hatte. Anfangs glaubte er nur, vor der Dunkelheit es nicht zu erkennen, und fing daher an, laut zu rufen; aber kein Mensch antwortete ihm. Da warf er sich vor großem Kummer auf die Erde und schrie: "O barmherziger Gott, wann werde ich denn endlich meiner bösen Tage ledig? Kann ich denn nicht sterben? Ist es nicht genug gewesen, daß ich meine Geliebte, die schöne Magelone, verloren habe? Daß ich der Dienstbarkeit eines Heiden unterworfen worden bin? Jetzt hatte ich wenigstens gehofft, Vater und Mutter trösten zu können, und nun bin ich in eine Wüstenei verbannt, wo ich selbst keinen menschlichen Trost finde, wo mir der Tod nützlicher wäre als das Leben!" Unter seinen Klagen wurde es Tag und wieder Nacht. Er lief hin und her und blickte auf allen Seiten nach dem Meere hinaus, ob er nicht irgendwo ein Schiff erspähen könnte, das ihn von der Insel wegtrüge; aber seine Mühe war vergebens. Endlich fiel er vor Müdigkeit und Hunger ohnmächtig auf den Boden nieder.

Da fügte es Gott, daß ein kleiner Fischerkahn an der Insel beilegte, um frisches Wasser einzunehmen. Einige der Fischer betraten zu dem Ende die Insel und fanden Peter ausgestreckt auf der Erde liegen. Sie hatten großes Mitleiden mit ihm, erquickten ihn mit stärkendem Trank und brachten ihn so wieder zu sich selbst mit großer Mühe. Dann trugen



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sie ihn in das Schifflein und fuhren nach einer Stadt mit Namen Cragona; dort übergaben sie den Kranken dem Spitalmeister zur Pflege und gingen fort. Peter blieb hier neun Monate liegen, wohl gewartet. Aber er konnte nicht gesunden; denn der Kummer nagte an seinem Herzen. Als er wieder so weit hergestellt war, daß er langsam am Meere auf und ab zu wandeln vermochte, erblickte er einsmals ein Schiff im Hafen, und als er näher ging, hörte er die Schiffsleute die Sprache seines Vaterlandes reden. Peter zitterte vor Freuden bei diesen Lauten. Er fragte sie, wann sie wieder gen Frankreich fahren wollten. "Spätestens in zwei Tagen", erwiderten sie. Da ging Peter zu dem Schiffsherrn und bat
ihn um Gottes willen, er solle ihn doch mitnehmen; denn er sei aus diesem Lande und lange Zeit hier in der Fremde krank gelegen. Der Patron erklärte sich bereit, ihm, weil er sein Landsmann wäre, diesen Dienst zu erweisen; nur müßte er mit ihm fahren, wohin er steure, nach Aiguesmortes in den Heidenport.

Peter war dies wohl zufrieden und saß in das Schiff. Unterwegs sprachen die Schiffsgesellen von allerlei und einmal auch von der schönen Kirche St. Peters, von Magelone und ihrem Spital. Als Peter diesen Namen hörte, fuhr er wie aus dem Schlafe auf und fragte verwundert, wo in der Welt eine Kirche wäre, die diesen Namen hätte. Da sagten ihm die Schiffer: "In dem Heidenport, dahin wir fahren, auf der Insel, da liegt eine schöne Kirche und ein Spital, gar köstlich gebaut;



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die führen diesen Namen, und Gott tut dort viel Zeichen an den Kram ken. Auch Euch raten wir, daß Ihr dahin wallfahret und dort für Eure Genesung ein Gelübde tut!" Da gelobte Peter bei sich selbst, in dem Spital, das denselben Namen trage wie seine Geliebte, einen ganzen Monat zu bleiben, ehe er sich Vater und Mutter zu erkennen gäbe, bis er wieder gesund würde und vielleicht etwas von seiner schönen Magelone hören könnte, wiewohl er glaubte, sie sei schon lange tot. So schifften sie dahin und kamen in den Heidenport.

Sobald Peter sich auf dem Lande fand, eilte er in die Kirche und dankte dem allmächtigen Gott, daß er ihm sicher in die Heimat geholfen. Dann begab er sich als ein Kranker in das Spital, daselbst auszuruhen und sein Gelübde zu erfüllen. Als nun die Pilgerin nach ihrer Gewohnheit herumging, die Kranken zu besuchen, sah sie auch den neuen Ankömmling, hieß ihn aufstehen und wusch ihm das müde Haupt, gab ihm den Schwesterkuß , wie sie gewohnt war, und brachte ihm zu essen; dann legte sie ihm schöne, weiße Tücher unter und versprach, ihm alles zu geben, was er bedürfe und begehre, damit er recht bald wieder gesunden möchte. Aber Magelone hatte ihn nicht genauer angesehen als alle andere Kranke und ihn nicht wieder erkannt. So war auch sein Auge von Mattigkeit und Krankheit verdunkelt, daß er sie, zumal in ihrer Pilgertracht und Verschleierung , nicht zu erkennen vermochte. Nun ruhte er eine gute Zeit im Spitale aus und kam bald wieder zu Kräften; denn Magelone



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pflegte ihn so gut, daß er sich oft darüber verwunderte und bei sich selbst sprach: "Diese Vorsteherin muß eine recht heilige Frau sein!" Einmal dachte er recht sehnlich an seine schöne Geliebte und seufzte im Verlangen nach ihr laut auf, als eben Magelone nach ihrer Gewohnheit von einem Kranken zum andern ging; sie hörte sein lautes Seufzen, und weil sie meinte, er habe ein leibliches Anliegen, so trat sie zu seinem Bette und sprach zu ihm: "Lieber, guter Mann, was fehlt Euch? Sagt mir, wenn Ihr einen Wunsch habt: er soll Euch werden, und ich will kein Geld sparen." Peter dankte ihr und sagte: "Es fehlt mir gar nichts, ich tue nur wie alle Kranken und Betrübten: wenn sie an ihr Unglück denken, so wird es ihnen schwer um das Herz, und sie seufzen." Als die Pilgerin ihn von Unglück reden hörte, wurde sie aufmerksam und sprach ihm freundlich zu, ihr seine Trübsal zu entdecken. Ihre Bitte lautete so süß, daß Peter sein Anliegen nicht länger vor ihr verbergen konnte; doch nannte er niemand, sondern erzählte nur so:

"Es ist ein reicher Sohn gewesen, der hörte von einer schönen Jungfrau in fremden Landen reden; deswegen verließ er Vater und Mutter und zog weg, dieselbe zu sehen. Gott gab ihm das Glück, daß er ihre Liebe erlangte, doch ganz heimlich, daß es niemand merkte; sie versprachen sich miteinander, er führte sie ohne der Eltern Wissen hinweg; dann ließ er sie in einem großen Walde schlafend liegen, um einer verlorenen Sache nachzugehen." Und so erzählte er weiter seine ganze Geschichte bis auf die Zeit, da er in den Spital gekommen war. Die schöne Magelone merkte bald, mit wem sie sprach; ja, sie erkannte ihn nicht nur an seinen Worten, sondern an allen seinen Gebärden, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Doch verbarg sie dieses, sammelte sich und sprach aufs freundlichste zu ihm: "Lieber, guter Freund! Tröstet Euch, wendet Euch zu Gott dem Allmächtigen. Glaubt es, wenn Ihr ihn anrufet, seid Ihr nicht verlassen. Ihr werdet erhört werden und erlangen, was Ihr begehret; gewiß, Ihr werdet Eure Braut, die Ihr so treu und herzlich geliebt habt, wiederbekommen!" Als Peter solche Tröstungen hörte, stand er vom Lager auf und dankte ihr. Sie aber floh aus der Stube und in die Kirche und warf sich vor den Altar und weinte sich da in großen Freuden satt. Als sie ihr stilles Gebet vollendet hatte, ließ sie sich königliche Kleider machen; denn sie hatte des Geldes genug. Dann befahl sie, ihr Frauengemach aufs herrlichste und köstlichste zuzurichten und auszuschmücken.

Und als alles dies zubereitet war, ging sie zu Peter und sagte zu ihm:



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"Mein lieber Freund, kommt mit mir; ich habe Euch ein Bad bestellt, Eure Hände und Füße zu waschen; das wird Euch wohltun; denn ich habe die Zuversicht zu Gott, er werde Euch erhören und frisch und gesund machen." Da ging er mit ihr in die Kammer, und sie hieß ihn niedersitzen und verziehen, bis sie wieder zu ihm käme. Magelone ging nun in ihr Gemach und kleidete sich in die herrlichen Gewande; vor das Gesicht aber hängte sie den Schleier wieder, damit er sie nicht sogleich erkennen sollte; unter dem Schleier aber hatte sie ihr goldgelbes langes Haar schön in Locken gelegt. So ging sie zu Peter und sprach: "Edler Ritter, seid fröhlich! Eure Freundin steht vor Euch, Eure treue Magelone, um welcher willen Ihr so vieles gelitten habt! Aber ich habe nicht weniger gelitten um Euch; ich bin diejenige, die Ihr allein im wilden Holze schlafend liegengelassen habt; Ihr seid der, der mich aus dem Hause des Königs von Neapolis, meines Vaters, geführt hat. Hier sehet Ihr die, der Ihr Zucht und Ehre bis zum Abschluß unserer Ehe verheißen habt; ich bin es, die Euch diese goldene Kette um den Hals gehängt, und der Ihr drei kostbare Ringe geschenkt habt. Ja, sehet zu, ob ich es bin oder nicht, nach der Ihr so von Herzen begehret!"

Und ehe sich Peter besinnen konnte, warf sie ihren Schleier zurück; da fiel ihr schönes Haar herab wie wallendes Gold. Als nun Peter von Provence die schöne Magelone ohne Schleier sah, da erkannte er erst recht, daß sie die war, die er so lange gesucht; er stand auf, fiel ihr um den Hals und küßte sie wieder und wieder aus inniger Liebe; und beide weinten und konnten lange kein Wort vorbringen; endlich aber setzten sie sich noch einmal zusammen und erzählten einander ihr Unglück und konnten sich nicht ersättigen mit Klagen und mit Küssen.



***
Vier Tage fehlten noch, da hatte Peters Gelübde, vermöge dessen er einen Monat in St. Peters Spital bleiben wollte, ein Ende. Als der letzte Tag gekommen war, bekleidete sich die schöne Magelone wieder mit den Kleidern, die sie im Spital zu tragen gewohnt war, und an denen sie Peter wohl als die fromme Vorsteherin erkannte: so beurlaubte sie sich von ihrem Freunde und zog zu dem Grafen und der Gräfin von Provence. Diese empfingen ihre liebe Pilgerin gar freundlich und erwiesen ihr große Ehre, weil sie dieselbe gar liebhatten. Da fing denn Magelone also zu reden an: "Gnädiger Herr, gnädige Frau! Ich bin zu euch gekommen, euch eine Geschichte zu eröffnen, welche ich die vergangne Nacht im Gesichte geschaut habe. Mir ist ein Engel vom Himmel er



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schienen, der führte einen schönen jungen Ritter an seiner Hand und sprach zu mir: ,Siehe hier denjenigen, um den dein Herr und deine Frau, sowie du selber, Gott so lange gebeten haben. ' Solches habe ich euch nicht verschweigen wollen; denn ich weiß ja, wie sehr ihr um euren geliebten Sohn betrübt seid; glaubet es aber, ihr werdet ihn sicherlich in kurzer Zeit frisch und gesund wiedersehent Darum bitte ich euch, lasset die schwarzen Trauerteppiche hinwegnehmen und hänget eurem Hause Freudentücher um!"

So schwer es dem Grafen und der Gräfin zu glauben schien, was die Pilgerin berichtete, so befahlen sie doch, ihr zu Gefallen die schwarze Trauerbekleidung hinwegzunehmen, und baten sie, das Frühstück mit ihnen zu genießen, aber ihr liebendes Herz vermochte nicht über sich, ihnen dieses zuzusagen; sie schützte deswegen Verrichtungen vor und bat dagegen den Grafen und seine Gemahlin freundlich, auf nächsten Sonntag bei ihr in St. Peters Kirche zu erscheinen; denn sie hege gutes Vertrauen auf den allmächtigen Gott, daß sie erfreut werden würden, ehe sie wieder von ihr schieden. Und sie verhießen ihr zu kommen.

Peter wartete indessen auf Magelone mit großer Begierde. Als sie zurückkam, erzählte sie ihm ganz, wie sie die Sache veranstaltet habe; und versprach ihm einen baldigen Besuch seiner Eltern. Und wirklich, sowie der Sonntag kam, brach das gräfliche Paar mit seinem Gesinde auf und zog nach St. Peter zu Magelone. Dort hörten sie vor allen Dingen die Messe in der Kirche. Als diese zu Ende war nahm die Pilgerin den Grafen und die Gräfin beiseite, erklärte ihnen, etwas Geheimes mit ihnen sprechen zu müssen, und bat sie, mit ihr in die Kammer zu kommen, worein sie auch gerne willigten. Als sie hier waren, sprach die Pilgerin zu ihnen: "Wenn ihr euren Sohn vor Augen sehet, würdet ihr ihn wohl kennen?" "Ja!" sprachen sie; da trat plötzlich Herr Peter in die Kammer und kniete vor Vater und Mutter nieder. Da sahen und erkannten sie ihn und fielen ihm mit einem Freudenschrei um den Hals. Und unbegreiflich schnell verbreitete sich das Gerücht, des Grafen Sohn sei wiedergekommen. Edle und Unedle strömten herbei und erwiesen ihm große Ehre. Jedermann war fröhlich, und Peter konnte seinen Eltern nicht genug erzählen.

Inzwischen war die schöne Magelone in ihre Kammer gegangen und hatte sich aufs kostbarste bekleidet. So königlich angetan, trat sie wieder zu ihnen ein. Der Graf und die Gräfin verwunderten sich, woher die wunderschöne Jungfrau käme, deren Angesicht sie nie zuvor in ihrem



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Leben gesehen hätten. Aber Peter ging auf sie zu als auf eine Altbekannte , grüßte sie, ja, küßte die Jungfrau vor seiner Eltern Augen. Als das die Leute sahen, waren alle voll Staunens. Dann nahm sie Peter bei der Hand und sprach: "Gnädige Eltern! Diese Jungfrau ist diejenige, um derenwillen ich von euch gezogen bin, und wisset, daß sie eine Tochter des Königs von Neapolis ist." Da ging der Graf und die Gräfin auf die schöne Magelone zu, umarmten sie zärtlich und dankten Gott für alles, was geschehen war.

Zu Roß und zu Fuß kam auf das immer weiter sich verbreitende Gerücht von Peters Zurückkunft alles aus dem ganzen Lande herbei. Der Adel turnierte, die andern tanzten und waren fröhlich. Und als die Eltern die ganze Geschichte seiner Liebe vernommen hatten, da nahm der Graf seinen Sohn bei der Hand und führte ihn in die Kirche St. Peters vor den Altar; dasselbe tat die Gräfin mit der schönen Magelone. Dort knieten alle nieder und dankten Gott dem Allmächtigen. Dann sprach der Graf unerbeten: "Sohn, ich will, daß du die Jungfrau, die um deinetwillen so viel gelitten, zur Ehe nehmest!" — "Ach, liebster Vater", fiel Peter ein, "das war auch mein Wille, schon als ich sie aus dem



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Hause ihres Vaters führte; urteilet, welche Freude mir Euer Befehl macht!" So zogen sie in die Kirche, und der Bischof vollzog die Trauung. Und die Gräfin gab dem Peter den schönsten Ring von den dreien, die in dem Bauche des Fisches gefunden worden waren. Peter nahm ihn mit Verwunderung und steckte ihn der nicht minder staunenden Braut an den Finger.

Vierzehn Tage dauerte die Hochzeit und Fröhlichkeit; dann verloren sich die Gäste, und der Graf und die Gräfin lebten noch viele Jahre in Frieden und Wonne mit dem jungen Paare. Einmal aber machte Peter mit seiner Frau eine weite Reise nach Babylon zu dem Sultan, der schalt ihn freundlich und verzieh ihm und ließ ihn heimziehen mit reichlichen Geschenken.

Peter und Magelone führten ein langes und glückliches Leben miteinander Sie zeugten einen schönen Sohn, der wurde König von Neapolis und Graf von Provence. Sie selber liegen in St. Peter auf der Insel begraben, und die schöne Kirche und das Spital, die Magelone gegründet , schauen noch heute vom Heidenport weit in das Meer hinaus.


Copyright: arpa, 2015.

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