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Die deutschen Volks-Bücher


wiedererzählt von Gustav Schwab


Der gehörnte Siegfried

Mit Bildern von Oskar Pletsch



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In jener alten Heldenzeit, da König Artus in Britannien mit seinen edlen Rittern Tafelrunde hielt, wohnte in den Niederlanden ein König, mit Namen Sieghard, dessen Gemahlin einen einzigen Sohn, Siegfried, hatte. Was dieser getan und ausgestanden, will die nachfolgende Geschichte erzählen.

Der Knabe Siegfried war groß und stark, gab nichts auf Vater und Mutter, sondern dachte nur darauf, wie er ein freier Mann werden möchte. Er machte damit seinen Eltern große Sorge, und der König pflog mit seinen Vertrauten Rat, wie man den Knaben in die Fremde ziehen lassen könnte, wo er etwas zu erstehen hätte; ob nicht vielleicht noch ein tapferer Held aus ihm werden könnte. Aber Siegfried konnte die Zeit nicht erwarten, , bis ihn der Vater ausgestattet hätte, sondern er ging ohne Urlaub davon, seine Abenteuer zu versuchen. Indem er nun durch Gehölz und



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Wildnis zog und der Hunger ihn allmählich zu quälen anfing, sah er vor einem dichten Walde ein Dorf liegen und richtete seine Schritte nach demselben. Zunächst vor dem Dorfe wohnte ein Schmied; ihn sprach Siegfried an, ob er einen Jungen oder Knecht nötig habe; denn er hatte zwei Tage nichts gegessen und war zu Fuß eine große Strecke gegangen; nach Hause zurückzukehren, schämte er sich, und der Weg war auch sehr weit. Als der Schmied sah, daß Siegfried ein wackeres und gesundes Aussehen hatte, ließ er sich's gefallen und gab dem Knaben zu essen und zu trinken, dessen Siegfried wohl bedurfte. Weil es nun spät am Tage war, ließ er ihn zu Bette weisen, und am andern Morgen stellte er ihn als seinen Jungen an und führte ihn zur Arbeit; denn er wollte sehen, ob er sich auch zum Handwerk schicke. Als er ihm aber den Hammer in die Hand gegeben, da schlug Siegfried mit so grausamer Stärke auf das Eisen, daß dieses entzweiging und der Amboß beinahe in die Erde sank. Der Meister erschrak darüber und wurde ärgerlich; er nahm den jungen Siegfried beim Haare und zausete ihn ein wenig. Dieser aber, der solchen Dinges nicht gewohnt und erst kürzlich deshalb seinen Eltern entlaufen war, weil er auch den kleinsten Zwang nicht leiden konnte, nahm den Meister beim Kragen und warf ihn auf Gottes Erdboden nieder, daß er sich geraume Zeit nicht besinnen konnte. Sowie er aber zu sich selber kam, rief er seinem Knecht, daß er ihm zu Hilfe kommen sollte. Diesen empfing jedoch Siegfried wie seinen Herrn; so daß der Meister nur auf Mittel und Wege sann, wie er den ungefügen Jungen wieder loswerden möchte.

Deswegen berief er am nächsten Morgen den Siegfried zu sich und sprach zu ihm: "Da ich gerade jetzt der Kohlen sehr benötigt bin, so mußt du in den Wald gehen und mir einen Sack voll holen; denn es wohnt dort ein Köhler, mit dem ich allezeit Geschäfte habe." Des Schmiedes heimliche Meinung aber war, der furchtbare Drache, der sich in dem Wald bei einer Linde aufhielt, — eben an der Stelle, wohin Siegfried von ihm gewiesen wurde — sollte ihn töten. Siegfried geht ohne alle Sorge in den Wald, denkt nichts anders, als daß er Kohlen holen soll. Wie er aber zu der Linde kommt, schießt der ungeheure Drache auf ihn daher und sperrt den Rachen auf, ihn zu verschlingen. Siegfried bedenkt sich nicht lange; den ersten Baum, der ihm zu Händen kommt, reißt er aus der Erde und wirft denselben auf den Drachen. Dieser verwickelte sich mit seinem Schweif in die Aste und Zweige des Baumes und verstrickte sich so, daß er nicht ledig werden konnte. Siegfried riß nun einen Baum nach dem andern heraus und warf sie auf den Drachen; dann lief er schnell in



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des Köhlers Hütte und holte sich Feuer; mit diesem zündete er die Bäume über dem Untier an, daß sie alle mitsamt dem Drachen verbrannten. Da floß unter den brennenden Stämmen und Ästen das Fett wie ein Bächlein dahin. Siegfried tauchte den Finger in das Fett; und wie es erkaltet war, da wurde es hartes Horn. Als er solches gewahr wurde, zog er sich sogleich aus und überstrich mit dem Drachenfett seinen ganzen Leib, mit Ausnahme zweier Flecke an der Schulter, wohin er nicht gelangen konnte. Und dies ist die Ursache, warum er später der gehörnte Siegfried genannt ward.

Wie nun Siegfried allenthalben sich mit Horn gewaffnet fühlte, so dachte er: "Jetzt bist du gepanzert, jetzt kannst du wie ein anderer Ritter



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hingehen, wohin dich gelüstet." So begab er sich denn an den Hof eines weitberühmten Königes, der hieß Gilbald und hielt Hof zu Worms am Rheine. Dieser König hatte drei Söhne und eine überaus schöne Tochter, mit Namen Florigunde. Nun begab es sich einmal an einem heißen Mittage , daß die Jungfrau sich an ein Fenster stellte, um frische Luft zu schöpfen. Da kam ein ungeheurer Drache herangeflogen, der verbreitete einen solchen Flammenschein, daß es nicht anders aussah, denn als ob die Burg in Feuer stünde. Dieser faßte die schöne Jungfrau und führte sie mit sich in die Luft, hoch über das nahe Gebirge hinweg, daß man seinen Schatten eine halbe Stunde lang auf den Bergen sehen konnte. Der Vater und die Mutter der Jungfrau vergingen in Ängsten; die Mutter weinte Tag und Nacht, bis ihre Augen blöde wurden. Derweil hatte das Ungeheuer die Jungfrau auf den Drachenstein gebracht, und da er von dem Flug müde war, so legte er sein Haupt in ihren Schoß und entschlief. Er fing an zu schnarchen, und über seinem Atemholen erzitterte der Drachenstein . Da könnet ihr denken, wie der Jungfrau zumute sein mußte, die nichts anders vor sich sah, als von diesem Ungetüm zerrissen zu werden oder, da sie aller Wege in diesem Gebirge unkundig war, bei dem scheußlichen Drachen hausen zu müssen.

Inzwischen kam das Fest der Ostern heran, und an dem heiligen Ostertage verwandelte sich der Drache in eine gewaltige Menschengestalt. Die Jungfrau wußte nicht, ob sie hoffen oder noch Ärgeres erwarten sollte. Sie sprach daher zu dem Unbekannten: "Werter Herr! Wie übel habt Ihr an mir, meinem Vater, meiner herzlieben Mutter und allen den Meinigen getan! So viele Tage sind es, daß Ihr mich hergeführt habt und ich mit Wurzeln und Kräutern mein Leben fristen mußte. Wolltet Ihr mir nun vergönnen, mit meinen Eltern und Geschwistern zu sprechen und mich zu Ihnen führen, so will ich Euch hier unverbrüchlich angeloben, daß ich wieder auf diesen Stein und an diese Stelle zu Euch kommen will, auch Euch gerne folgen, wohin Ihr sonst mich führen wollet." Aber das Ungeheuer sprach zu der Jungfrau: "Du bittest vergeblich; du wirst nicht allein Vater, Mutter und Brüder nicht wiedersehen, sondern auch keinen einzigen Menschen jemals wieder." Dies war der Jungfrau ein Donnerschlag in Seele und Herz. Als sie nun in Todesschrecken niedergesunken saß und kein Wort mehr reden konnte, da sprach der Mensch, der ein Drache gewesen war, zu ihr: "Du darfst dich nicht so sehr kümmern, noch viel weniger hast du dich meiner zu schämen. Ich verwandle mich zwar jetzt wieder in einen Drachen, und du mußt harren bei mir fünf Jahre



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und einen Tag; dann aber werde ich wieder zu einem Manne, und wirst meine Frau. Am Ende wirst du freilich mit mir zur Hölle fahren, und da wird ein einziger Tag sein wie ein ganzes Jahr." Als die Jungfrau diese erschrecklichen Worte hörte, so erzitterte sie an Leib und Seele. Bald betete
sie zu Gott, bald schrie sie zu ihren Eltern und Geschwistern hinaus in die leere Luft, Tag und Nacht, daß sie oft kraftlos in tiefe Ohnmacht darniedersank. Der Mann aber war wieder zum Drachen geworden und hütete sie.

Der König und die Königin zu Worms, nachdem sie sich genug gehärmt und Leid getragen, besannen sich endlich und schickten Boten in alle Lande



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hinaus, die ihre Tochter Florigunde aufsuchen sollten. Da erlangten sie zuletzt eine unsichere Kunde, daß sie auf dem Drachenstein von einem Drachen verwahrt gehalten werde; zugleich brachten die Boten einen Spruch von frommen Leuten, die der Zukunft kundig waren, daß niemand als ein einziger Ritter die Jungfrau unter unerhörten Abenteuern und Gefahren erlösen könne.

Indessen verliefen bei vier Jahre, während welcher die Jungfrau hilflos auf dem Steine verharren mußte. Und wäre das fünfte Jahr hinzugeschlichen, so wäre es für sie nicht zum besten gegangen. Siegfried aber war nunmehr zu seinen männlichen Jahren gekommen. Er ging in das Land hinaus, fing Bären und Löwen und hing sie zum Gespötte an die Bäume auf, worüber sich jedermann verwunderte. Eines Tages war König Gilbald mit seinem Hofgesinde auf die Jagd geritten, sich seine trübseligen Gedanken etwas zu vertreiben. Er hatte sich im Dickicht des Waldes von seiner Gesellschaft verloren, so daß niemand mehr bei ihm war als Siegfried, , der ihn nie verließ. Da begab sich's, daß ein großmächtiger Eber auf den König zugerannt kam. Dieser wollte mit seinem Spieße nach dem Tiere stechen, Siegfried aber kam ihm zuvor und schlug dem Eber mit seinem Schwerte den Kopf voneinander, daß er tot zur Erde fiel. Der König wunderte sich nicht wenig über seine seltene Stärke und wurde ihm immer mehr gewogen, auch verbreitete sich sein Ruhm durch alle Lande.

Nicht lange darnach kamen Könige von allen Enden der Welt nach Worms, den König Gilbald und seine Gemahlin wegen ihrer verlornen Tochter zu trösten. Da ließ der König ein Turnier und Lanzenstechen ausschreiben , damit er sähe, wie sich Siegfried dazu schickte; denn er setzte alle seine Hoffnung auf den Jüngling. Als nun der festgesetzte Tag herannahte , kam ein jeder wohlbewaffnet und gerüstet auf den Kampfplatz; da wurde die Bahn gleichgeteilt, damit keiner vor dem andern einen Vorteil hätte. Dann wurde so wacker gestochen, daß mancher Ritter den Sattel räumen mußte. Siegfried aber war nie im Sattel bewegt worden, so daß nach vollendetem Turnier ihm der Preis zuerkannt wurde und er eine schöne, güldene Kette erhielt, an der ein köstliches Kleinod von sehr großem Werte hing. Da dies die anwesenden Könige, Fürsten und Herren sahen, wurde der edle Siegfried hoch geehrt und mit aller Einwilligung feierlich zum Ritter geschlagen. Und als die ganze werte Ritterschaft Urlaub nahm, ward ihm die Ehre zuteil, den Herren auf mehrere Meilen Weges das Geleite zu geben.

Als er zurückgekehrt war, fand er den König und die Königin in großer



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Traurigkeit; denn sie hatten sich wieder von ihrer Tochter Florigunde unterhalten und ihr Herz war darüber in große Ängste geraten. Da tröstete sie Siegfried aufs beste, hieß sie ihre Betrübnis mäßigen und sprach mit Zuversicht die Hoffnung aus, daß es ihm beschieden sei, mit Gottes Hilfe ihre Tochter zu erlösen. Wie sie nun wieder ein wenig bessern Muts waren, genossen sie zusammen die Abendmahlzeit und legten sich dann schlafen. Zu Nacht aber hatte Siegfried einen hellen Traum. Die schöne Jungfrau Florigunde stand, wie sie leibte und lebte, vor ihm, worüber
er sehr erfreut war. Als er erwacht und der Tag angebrochen, kommt ihn eine Lust zu tagen an: er nimmt seine Hunde und reitet mit ihnen hinaus. So gelangen sie in einen dichten Wald, wo sich kein Wild blicken ließ. Siehe, da läuft seiner besten Spürhunde einer in das Gehölz, dem eilet Siegfried mit Begierde nach, und so bringt ihn das Ungefähr auf die Spur, die zu dem Orte führte, wo der Drache mit der Jungfrau sich aufhielt . Bis in den vierten Tag verfolgte er mit seinem Hunde diese Spur, ohne an Essen und Trinken zu denken; denn stets schwebte ihm die schöne Florigunde vor Augen.

Wie er nun merkte, daß sein Pferd matt wurde, ließ er es ein wenig grasen, weil nichts Besseres zur Stelle war; er selbst fühlte sich auch er



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müdet und wollte ein wenig ruhen; da lief aus dem Walde ein großer Löwe auf ihn zu. "Hier ist nicht lange Zeit zu spaßen", dachte Siegfried; er griff, wie einst Simson, dem wilden Tiere beherzt in den Rachen und riß ihn voneinander, so daß der Löwe tot vor ihm dalag. Dann nahm er den Erlegten, hängte ihn an einem Baume auf, sattelte sein Pferd und eilte seinem Hunde nach, der ein getreuer Wegweiser war.

Er war noch nicht weit geritten, als ihm ein gewappneter Ritter begegnete , der ihn ganz barsch anredete: "Junger Mann, wer du auch seist, ich sage dir, du kommst ohne Schwertstreich nicht von hier, du gehest dich mir denn gefangen. Wo nicht, so mußt du von meinen Händen sterben!" Mit diesen Worten zog er sein Schwert. Aber Siegfried bedachte sich nicht lange, auch er griff zu seinem guten Schwerte und sprach: "Du viel kühner Ritter, wer du auch seiest, wehre dich männlich, denn dies wird not sein, da ich dich bald zu lehren gedenke, daß man einen beherzten Ritter nicht ungestraft auf freier Straße anfällt." Damit schlugen sie kräftig zusammen, daß die Funken stoben. Da sprach der gewappnete Ritter zu Siegfried: "Ich sage dir, Held, gib dich mir gefangen; du bist ja nicht gewappnet, so kannst du mich nicht bestehen!" Siegfried erwiderte: "Ich will dir deine Waffen bald auflösen!" Dazu führte er einen solchen Streich auf den Ritter, daß er ihm sein Visier wegschlug. "Das soll dir übel bekommen!" schrie der Ritter, "denn bisher habe ich dich nur aus gutem Willen verschont!" Er holte zugleich zu einem gewaltigen Streiche aus, um Siegfried das Haupt zu spalten. Dieser aber fing den Hieb behende auf und traf seinen Gegner in den Hals, daß er vom Pferd in die Erde sank; dann schwang sich auch Siegfried von seinem Roß, neigte sich über den Ritter und betrachtete seine Wunden. Als er sah, daß sie tödlich seien, gereuete es ihn, seinen Feind so hart getroffen zu haben; er zog ihm deswegen den Harnisch ab und hoffte, wenn er nur frische Luft schöpfte, so würde er wieder zu sich kommen. Es fruchtete aber nur so viel, daß der sterbende Ritter noch einige Worte sprechen konnte. So fragte ihn denn Siegfried: "Sage mir, edler Ritter, von wannen hifi du? Wie ist dein Name? Was ist die Ursache, daß du mich so freventlich angerannt hast?" Der Ritter antwortete: "Ich wollte dir gern auf alles Bescheid geben, wenn ich nur noch Kraft genug besäße; so aber sage mir, wer du bist." "Sie heißen mich den gehörnten Siegfried", erwiderte Siegfried. Als der Ritter dieses hörte, richtete er sich auf und sprach: "Wenn du der bist, mein edler Ritter, so bin ich von eines berühmten Mannes hand gefallen . Aber es geht aus mit mir, darum vermache ich dir meinen Harnisch



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und meinen Schild, denn du wirst sie nötig haben. Hier in diesem Walde wohnt nämlich ein gewaltiger Riese, Wolfgrambär genannt; dieser hat auch mich bezwungen und zu seinem Gefangenen gemacht, als ich in diesen Wald kam. Denn ich bin aus Sizilien gebürtig und in die Fremde gegangen, Abenteuer zu suchen. Da überwand mich der Riese und wollte mich behalten, bis ich ihm fünf Ritter unterwürfig gemacht hätte; dann sollte ich meine Freiheit wiedererhalten. Nun habe ich aber nur einen zu Falle gebracht, und der bin ich selber, und hinfort wird kein anderer Kämpe mehr durch mich fallen. Gerne möchte ich dir, gestrenger Ritter Siegfried, noch von einem andern Abenteuer erzählen, das dieser Wald verbirgt, von einem Drachen, der eine schöne Jungfrau gefangenhält, aber ach —- ich muß scheiden!" Er winkte ihm Abschied mit der Hand zu, da
brach sein Auge, und er gab den Geist auf. Als Siegfried ihn so dahinsinken sah, beklagte er ihn schmerzlich und jammerte auch, daß ihm die Nachricht von der schönen Florigunde so nahe gewesen und jetzt zunichte geworden. Aber er konnte es nicht mehr ändern. Darum nahm er von



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dem toten Ritter den Schild und die Sturmhaube. Den Panzer, der ihm auch vermacht war, zog er dem Toten nicht ab; denn seine gehörnte Haut bedurfte keines Harnisches; auch war er vom langen Fasten und Wachen so matt, daß er die Last nicht hätte tragen mögen.

So setzte sich Siegfried wieder auf sein Roß und ritt aufs ungewisse fürbaß in den Wald. Da kam mit einemmal ein Zwerglein auf einem kohlschwarzen Rosse dahergeritten, mit köstlichen Kleidern angetan, wie ihm dies auch wohl geziemte. Denn der Zwerg Egwald war ein König von großem Reichtum. Als dieser des gehörnten Siegfrieds ansichtig ward, grüßte er ihn ganz tugendlich. Siegfried bedankte sich mit allen Sitten und staunte die kostbare Kleidung, die überaus köstliche Krone und das herrliche Gefolge des Königs lange an. Denn derselbe hatte nicht weniger denn tausend Zwerge bei sich, alle wohl geputzt und bewaffnet, die sich sofort mitsamt dem Könige zu seinen Diensten erboten. Der König Egwald hatte nämlich den Ritter Siegfried sogleich erkannt. Er konnte sich nicht genugsam verwundern, wie und warum er doch an diesen abwegsamen Ort gekommen, zumal es hier der Gefahren so mancherlei gebe. Siegfried dankte Gott, daß er ihm Mittel und Wege zugeschickt, sein Vorhaben weiter ins Werk zu setzen; er bat den König, ihn doch seiner Treue und Tugend genießen zu lassen, und ihm zu sagen, wie er am füglichsten nach dem Sitze des Drachen gelangen könnte. Daß aber der Zwerg Siegfried mit Namen genannt und so zutraulich mit ihm, wie mit einem alten Bekannten, geredet, darüber verwunderte sich dieser und sagte zu dem Zwergenkönig: "Wenn du mich so gut kennst, so mußt du auch wohl wissen, wie mein Vater und meine Mutter heißen, und ob sie noch am Leben sind." Der Zwerg antwortete und sprach: "Dein Vater heißt Sieghard und ist König in den Niederlanden, deine Mutter heißt Adelgunde, und beide leben noch." Wie Siegfried vernahm, daß der Zwerg von allem so gut Bescheid wußte, dachte er: "Meine Sache wird noch gut werden", und verließ sich auf seine Stärke. Er bat daher den König, daß er ihm den Weg nach dem Drachenstein zeigen möchte. Darüber erschrak der König Egwald sehr und sagte zu ihm: "Wolle doch solches nicht begehren; denn es wohnt dort ein entsetzlicher Drache, der hält eine schöne Jungfrau, eines Königs Tochter, gefangen, welche kein Mensch erlösen kann! Ihr Vater heißt Gilbald, und die Jungfrau Florigunde." So erschrocken der Zwerg war, so froh ward Siegfried über seine Worte. "Es genügt mir", sprach er, "und nun bedarf es weiter nichts, als daß ich die schöne Jungfrau von dem Drachen errette." Als der König vernahm, daß Siegfried



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von seinem Vorhaben nicht lassen wolle, entsetzte er sich und bat ihn dringend, nicht das furchtbare Wagstück zu unternehmen, sondern ungefährdet von hinnen zu scheiden. Da stieß Siegfried sein Schwert in die Erde und schwur einen dreifachen Eid: er wolle nicht von dannen weichen, er habe denn die schöne Jungfrau erlöset. "Und wenn du noch drei Eide schwören", sagte der Zwerg, "so ist doch alles vergebens; dein Leben ist verloren, wenn du dich nicht von hinnen begibst!" Siegfried aber sprach: "Ach, lieber König Egwald, das geschieht nimmermehr; und anstatt mich abzuschrecken , solltest du mir viel lieber die Jungfrau erretten helfen!" Aber das Zwerglein fürchtete sich sehr vor dem Abenteuer und dachte darauf, wie es entfliehen möchte. Da ergriff Siegfried den Kleinen bei den Haaren und schmiß ihn an eine Felswand, daß ihm seine schöne Krone in Stücken brach. Jetzt sprach der Zwerg mit Flehen: "Lieber Ritter Siegfried , stille deinen Zorn und schone meines Lebens; ich will dir raten und helfen, so gut ich kann!" "Das danke dir der Satan, daß du jetzt erst so sprichst", erwiderte Siegfried. Aber der Zwergenkönig sagte: "Hier ganz in unsrer Nähe wohnt der Riese Wolfgrambär, dem gehört die ganze Gegend , der hat tausend Mann unter sich, die ihm alle zu Gebote stehen. Der hat den Schlüssel zum Drachenstein!"

Als Siegfried dieses hörte, freute er sich über die Maßen und sprach: "Nun, Zwerg, so zeige mir alsbald den Weg zu ihm, damit ich der Jungfrau zu Hilfe komme und sie errettet Wo nicht, so mußt du sterben!"Der Zwerg zitterte vor Angst und wies den Ritter vorwärts nach einem Berge bei einer steinernen Wand, wo der Riese seine Wohnung hatte. Nachdem Siegfried dahin gelangt, pochte er an die Türe des Felsenhauses, rief dem Riesen mit Namen und hieß ihn zu sich herauskommen. Sobald der Riese das vernahm, sprang er mit Zorn und Grimm heraus, mit einer eisernen Stange in der Hand, und als er Siegfrieds ansichtig wurde, sprach er: "Welcher Teufel hat dich hierher gebracht? Gedenke nur nicht; daß dich deine Füße wieder hinwegtragen werden!"Siegfried sprach: "ES ist nun schon vier Jahre, daß du die schöne Jungfrau Florigunde auf dem Drachenstein in so großer Trübsal verschlossen hältst; darum begehre ich von dir, daß du mir die Jungfrau herausgebestl" Als der Riese diese Worte hörte, wurde er noch grimmiger, schwang die eiserne Stange und führte einen so ungeheuren Streich nach Siegfried, daß die Aste von den Bäumen umherflogen und die Stange tief in die Erde fuhr. Aber der Schlag hatte gefehlt, so daß er dem Helden nicht schadete; denn Siegfried war ihm aus dem Wege gesprungen. Der Riese aber, als er sah, daß erden



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Ritter verfehlt hatte, wurde immer wilder und schlug so mächtig auf den Helden, als ob er ihn zerscheitern wollte. Siegfried jedoch, hurtig und gelenk, sprang wohl drei Klafter hinter sich und faßte sein gutes Schwert zur Hand. Und weil der Riese von dem ungeheuren Schlag die Stange fallen ließ, so sprang Siegfried wieder vorwärts und schlug dem Riesen eine so tiefe Wunde, daß das Blut stromweise von ihm lief. Da sprach der Verwundete voll Ingrimm: "Du junger Fant, darfst du dich erkühnen, wider den zu streiten, vor dem sich ein ganzes Heer gefürchtet? Du sollst dich tausend Meilen von dannen wünschen!" Und damit tat er aufs neue einen so kräftigen Schlag nach dem Helden, daß die Stange in die Erde fuhr und jenen ohne Zweifel zu Boden geschlagen hätte, wenn ihm nicht seine Behendigkeit abermals zu Hilfe gekommen wäre. Das verdroß den Riesen über die Maßen, und er entfloh in seine steinerne Wand. Dort verband er seine Wunden, so gut er konnte. Da stand nun Siegfried allein und besann sich, wie er die Jungfrau erretten könnte. Demnach pochte er aufs neue an des Riesen Haus. Dieser gab ihm zur Antwort:



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"Werde nur nicht ungeduldige Bald will ich wieder bei dir sein und dir den Garaus machen!" Inzwischen hatte sich der Riese mit einem vergoldeten Harnisch bewaffnet, der mit Drachenblut gehärtet war. Auch sein Helm war überaus stark und künstlich ausgearbeitet. Sein Schild war von blankem Stahl, schuhesdick; auch trug er eine andere Stange, als die vorige war, in der Hand, die war an allen vier Ecken so scharf, daß er damit ein Wagenrad, wie stark es auch mit Eisen beschlagen war, auf einen Streich entzweischlagen konnte. überdem hatte er ein großes, starkes Schwert an seiner Seite. So ausgerüstet, sprang er wieder hervor aus der steinernen Wand, voll Zorn und Grimm und auch voll Zuversicht: denn wenn der Riese diese Waffen angelegt, so getraute er sich, einem ganzen Heere zu widerstehen. Und jetzt sprach er zum Ritter Siegfried: "Nun sage mir, du kleiner Bösewicht, welcher Teufel dich hieher geführt hat, daß du mich in meinem eigenen Hause ermorden willst?"Siegfried sprach: "Das leugst du in deinen Hals; ich habe dich nur heißen zu mir herausgehen!" — "Was?"sagte der Riese, "du willst noch pochen? Du sollst wünschen, niemals hierher gekommen zu sein! An einen Baum will ich dich henken!" — "Du Ungeheuer", sagte Siegfried, "meinst du, ich sei hergekommen, mich henken zu lassen? Nein, das wird dir Gott verbieten t Und ich sage dir: fürwahr, wofern du mir nicht die Jungfrau vom Drachenstein gewinnen hilfst, so will ich dir dein Leben nehmen, und wenn du der Teufel selber wärst. Gott ist doch stärker als du; der wird mich nicht in deine Hände geben." —"Ich sollte dir die Magd gewinnen helfen? Nimmermehr geschiehet das l Es scheint, du kennest meine Kraft und Stärke nicht! Ich will dich lehren, daß du dich nicht nach Jungfrauen gelüsten lassen sollst!" — "Du Schnarcher", sprach Siegfried, "ich sage dir, hilf mir die Jungfrau gewinnen, oder ich will dir zeigen, wer ich bin, und was ich vermag!" Damit schlugen beide so grimmig aufeinander, daß das wilde Feuer aus ihren Helmen und Schilden fuhr. Siegfrieden war es nicht anders zumut, denn als ob er noch bei seinem Meister Schmied auf den Amboß schlüge, und es fehlte wenig, so hätte er den Riesen in die Erde hineingeschlagen. Als er ihn nun zu Boden geworfen, so schwang er sich auf sein Pferd, weil er sonst gegen seinen Feind zu klein war, und stach und schlug den Riesen bis auf den Tod; so daß er sich auf den Boden streckte und das Blut in Strömen von ihm floß.

Wie nun der Riese sechzehn tiefe Wunden empfangen hatte, da begann er, um sein Leben zu bitten, und mußte dem kühnen Ritter wider seinen Willen den Preis geben. Daher sprach er: "Du magst wohl mit allen



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Ehren den Ritternamen führen; denn du bist ein kleiner Mann und gegen mich für ein Kind zu rechnen, und gleichwohl hast du mich überwunden! Wenn du mir aber mein Leben schenken wirst, so will ich dir alle meine Rüstung und mich selbst zum Pfand meiner Treue übergeben!" Da sprach Siegfried: "Ja, es soll dir gewährt sein, daferne du mir die Jungfrau Florigunde vom Drachenstein gewinnen helfen willst!"



***
Da schwur der Riese Wolfgrambär dem Ritter Siegfried einen teuren Eid, er wolle ihm die Jungfrau gewinnen helfen. "So schwöre ich dir auch", sagte Siegfried, "dein Leben zu erhalten"; verband dem Riesen seine Wunden und sprach dabei: "Der Wunden hättest du können wohl überhoben sein; denn mit dem, was wir beide in unserm Streit von Kräften aufgewendet haben, hätten wir die Jungfrau gewinnen können! Nun aber sage mir, Gesell", fuhr Siegfried weiter fort, "wie kommen wir am füglichsten auf den Drachenstein?" — "Das will ich dir sogleich sagen", antwortete der meineidige Riese und wies den Ritter in ein finsteres Tal, durch das ein wildes Bergwasser dahinfloß, dessen Geräusch und häßliches Geheul den Widerhall zwischen dem Gebirge und dem Drachenstein aufweckte. Wie sie nun einhergingen und Siegfried sich keines wels versah, sondern nur mit Verlangen auf den Augenblick wartete, wo er der schönen Jungfrau und des Drachens ansichtig werden sollte; und daher in tiefen Gedanken dahinschritt, da dachte der Riese bei sich selbst: "Jetzt wird es Zeit sein, deine Scharten auszuwetzen!" und gab dem edlen Ritter von hinten einen so ungeheuren Schlag, daß er davon zur Erde sank und ihm das Blut aus Mund und Nase floß, so daß es auch einen Heiden hätte erbarmen mögen. Nie hatte Siegfried einen so harten Streich von einer Mannesfaust bekommen, wie dieser Schelm ihm einen versetzte. Und ohne Zweifel wäre er unter des Riesen Hand verloren gewesen, wenn nicht das Zwerglein Egwald dazwischengekommen wäre und mit seinen Künsten dem Siegfried das Leben gerettet hätte; denn dieser war von dem Schlage zur Erde niedergefallen und konnte nur noch seinen Schild über sich decken, um sich vor mehreren Schlägen zu behüten; dann verlor er die Besinnung und lag in Ohnmacht darnieder.

Wie er nun so unter seinem Schilde auf der Erde lag, da kam der Zwerg Egwald herbei und setzte ihm eine Nebelkappe auf, die ihn sofort dem Anblick des Riesen entzog. Der Riese aber dreht sich rechts und links wie toll und unsinnig herum und weiß nicht, wie es zugeht, daß er seinen Gegner, den er doch zu Boden geschlagen, nicht mehr erblickt. "Hat dich



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denn der Böse von hinnen geführt", sprach er, "oder hat es Gott getan? Erst lagst du vor mir ausgestreckt auf der Erde, und jetzt bist du nicht mehr da!" Darüber mußte das Zwerglein heimlich lachen, richtete Siegfrieden auf und setzte ihn neben sich. Als dieser wieder zu sich gekommen war, dankte er dem Zwerg von ganzem Herzen: "Gott", sprach er "wird dir's vergelten, daß du so treulich an mir gehandelt hast, da ich es doch nicht um dich verdient habe." "Ja", sagte das Zwerglein, "wohl hast du Ursache , Gott zu danken, edler Ritter; denn wenn ich dir nicht zu Hilfe gekommen wäre, so wärest du verloren gewesen. Jetzt aber bitte ich dich, du wollest dich um die Jungfrau nicht mehr bekümmern noch bemühen, damit dir nicht noch Schlimmeres widerfahre. Denn jetzo kannst du noch ohne alle Gefahr unter dieser meiner Nebelkappe von hinnen kommen." Da sprach Siegfried: "Zwerg, deine Bitten sind vergebens! Wie sollt' ich Arbeit und Mühe umsonst aufgewendet haben? Das sei ferne; und hätte ich tausend Leben, ich wollte sie gerne alle daran wagen, und sollte mir auch kein einziges übrigbleiben!" Und mit diesen Worten riß er die Nebelkappe von sich, daß er wieder sichtbar wurde, nahm sein Schwert in die beiden Hände, lief voll Grimm den Riesen mannlich an und hieb ihm noch acht weitere tiefe Wunden. Da schrie der Riese laut auf: "Du bist ein so kleiner Mann und schlägst so kräftiglich auf mich! Was nützet dich denn mein Tod, da ja nach mir doch kein Mensch auf der Welt vorhanden ist, der dir kann die Jungfrau gewinnen helfen!" Jetzt gedachte Siegfried an die große Liebe, die er zu der Jungfrau trug; er ließ daher den Riesen beim Leben und sprach: "So hebe dich von dannen und gehe immerhin voran, mir den Weg zur Jungfrau zu zeigen. Tust du dies nicht, so schlage ich dir dein Haupt ab, und sollte zugleich die ganze Welt untergehen."

Da nun der Riese den Ernst an dem Ritter sah, so nahm er seinen Schlüssel in die Hand, ging voran, bis sie zu einer Türe kamen, die acht Klafter tief unter der Erde verborgen und verschlossen war. Diese schloß der Riese auf, und wie sie aufgesperrt war, riß Siegfried den Schlüssel an sich und sprach: "Jetzt hebe dich fort, du nichtswürdiger, treuloser Bösewicht, und zeige mir den Weg zu der Jungfrau, oder ich will dir deine Untreue auf deinen Kopf vergelten!"

Als sie nun beide die ungeheure Tiefe des Gesteines hinabstiegen, wurden sie sehr müde, zumal der Riese, der wäre gern niedergesessen, weil er seine Wunden wohl empfand; aber Siegfried trieb ihn mit Gewalt fort. Und jetzt endlich wurde der edle Ritter die Jungfrau gewahr, und dessen freute sich sein Herz. Auch Florigunde brach vor Freude in Tränen aus,



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als sie den tapfern Siegfried sah, und sprach: "Diesen Ritter habe ich öfters bei meinem Vater gesehen!" Sie hieß ihn willkommen und wollte wissen, wie es ihrem Vater, ihrer Mutter und ihren drei Brüdern zu Worms ginge. Siegfried berichtete ihr mit wenigen Worten, daß er sie bei seiner Abreise vor vier Tagen alle in guter Gesundheit verlassen habe. Dann sprach er: "Viel tugendreiche Jungfrau! Laßt von Eurem Trauern ab und schicket Euch zur Reise an; denn unseres Bleibens wird hier nicht lange sein." —"Ach, mein edler Ritter", sprach die Jungfrau, "ich habe große Sorge um Euch: Ihr werdet mich nicht ohne Streit von hinnen bringen; und ich fürchte sehr, Ihr möchtet, so tapfer Ihr seid, dem ungeheuren Drachen nicht Widerstand leisten können; denn er ist der leibhaftige Satan." — "Und wenn er auch der Satan wäre", sprach Siegfried , "tugendsame Jungfrau, sollte ich darum meine Arbeit und Mühe umsonst aufgewendet haben? Nein, entweder muß ich Euch erretten, oder will ich mein Leben verlieren. Helfet mir Gott im Himmel mit Herz und Mund anrufen, daß er mir Stärke verleihe t"

Die Jungfrau betete darauf von Herzen recht inniglich zu Gott, daß er dem Ritter Kraft und Stärke verleihen wolle, damit sie doch einmal von dem gräßlichen Drachen erlöset würde. Sie sagte auch dem Ritter aus dem Grund ihres Herzens Dank, daß er so große Gefahr um ihretwillen bestanden und bestehen wolle; endlich gelobte sie ihm ewige Treue, wenn er sie erretten würde, wie denn dies nicht mehr als billig war. Da wurde Siegfried hoch erfreut und hieß die Jungfrau guten Mutes sein; er werde, so Gott wolle, den Drachen wohl bestehen oder sein Leben für sie lassen.

Darauf sagte der Riese Wolfgrambär zu Siegfried: "Siehe da vor dich; dort in der steinernen Wand wirst du eine überaus schöne Klinge finden, die der berühmteste Meister in der Welt mit Künsten zugerichtet hat; außer ihr ist keine zu finden, mit welcher der Drache überwunden werden könnte." Siegfried, sehr begierig, griff gleich nach dem Schwerte, ohne ein Übel zu besorgen. Da schlägt der treulose Bube, der nicht wert ist, daß man ihn nenne, dem edeln Siegfried eine tiefe Wunde, so daß er kaum auf einem Fuße in dem Drachenstein zu stehen vermochte. Doch ermannte er sich und kehrte sich dem Ungetreuen mit Ingrimm und Entrüstung zu. Nun fing von neuem ein solches Ringen an, daß der Drachenstein davon erzitterte. Die Jungfrau rang ihre Hände und raufte ihr goldenes Haar aus dem Haupt; sie schrie flehentlich zu Gott, daß er doch dem Gerechten beistehen wolle. Dem Ritter aber rief sie zu: "Du vielkühner Held l streite männlich für dein Leben und rette mich armes Magdlein!



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Gedenke der großen Arbeit, die du bereits um meinetwillen ausgestanden hast!" Als Siegfried sie so klagen hörte, sprach er: "Sei getrost , meine Schöne, es hat keine Not!" Der Riese aber dachte: "Jetzt muß es gewonnen oder verloren sein!" Doch Siegfried faßte den Riesen in seine Wunden und riß sie ihm voneinander, daß das Blut vom Steine hinabfloß. Da sank der Riese zur Erde und bat flehentlich mit bebender Stimme, der Ritter wolle ihn doch seines Edelmutes genießen lassen und ihm das Leben schenken. Er bekannte dabei, daß er nun zu dreien Malen treulos an ihm geworden sei. "Weil Ihr denn sehet", sagte er, "daß ich so kraftlos daliege, so werdet Ihr Euch desto weniger vor mir zu fürchten haben!" Siegfried aber, der nunmehr die Jungfrau in seiner Gewalt



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sah und den Schlüssel zu dem Drachenstein bei sich hatte, achtete seiner Bitten nicht, sondern er packte den ungeheuren Riesen und stürzte ihn vom Drachenstein hinab, daß sein Gebein in der Felsenkluft zerschmettert ward.



***
Als Florigunde dieses sah, brach sie in ein lautes Freudengeschrei aus und dankte Gott, daß er dem Ritter so große Stärke gegeben. Siegfried aber nahte sich der Jungfrau, umfing sie züchtiglich und sprach zu ihr: "Nur guten Mutes, meine Geliebte! Euer Leid soll bald in Freude verwandelt werden." Die Jungfrau dankte dem Ritter von Herzen mit vielen beweglichen Worten; sie erinnerte ihn jedoch, daß dies alles noch nicht genug sei; denn sie dachte an den Drachen und fürchtete, daß ihm dieser noch größeres Ungemach antun möchte als der Riese. "Dies ist mein geringster Kummer", sagte der Ritter lächelnd, "jetzt bekümmert mich nur eines: nämlich, daß ich seit vier Tagen und Nächten weder gegessen noch getrunken, viel weniger der Ruhe gepflogen habe."

Das hörte das Zwerglein Egwald, das dem Ritter gefolgt war, und erschrak mit der Jungfrau nicht wenig; sorgte auch alsbald dafür; daß seine Vasallen, die Zwerge, dem Helden zu essen brachten, und erbot sich, ihn und seine Geliebte zum wenigsten zwei Wochen lang mit Speise und Trank wohl zu versorgen und mit allen seinen Zwergen ihnen dienstbar zu sein und aufzuwarten. Als nun das Essen, so gut es in der Eile zubereitet werden konnte, aufgetragen war, setzte sich Siegfried mit der Jungfrau zu Tische, sich mit Speisen zu erlaben, damit er wieder zu Kräften käme. Ehe sie aber noch angefangen, siehe, da kam der ungeheure Drache über die Berge dahergeflogen und neun junge Drachen mit ihm. Von ihrem Fluge wurde das Gebirge erschüttert, als wenn es zusammenstürzen wollte, so daß es kein Wunder gewesen wäre, wenn ein Mensch vor Schrecken gestorben wäre. Auch entsetzte sich die Jungfrau so, daß ihr der kalte Angstschweiß über das Angesicht lief, und alle Zwerge, die den Tisch bedienten, liefen davon. Siegfried aber nahm, in Ermanglung eines Trockentüchleins, sein seidenes Gewand und wischte der Jungfrau sorglich den Schweiß ab; dann sprach er zu ihr: "Verzage nicht, meine Geliebte, Gott wird schon helfen!" —"Ach, mein lieber Herr", erwiderte die Jungfrau, "wenn Euch auch die ganze Welt betstunde, so wäre es jetzt doch um Euch geschehen!" — "Nein", sagte der Held, "so pflegen wohl die Frauen zu reden, aber ein Rittersmann denkt anders. Solange Gott und ich bei dir sind, hat es keine Not. Wenn Gott es nicht will, wer will uns das Leben nehmen, das uns Gott gegeben hat?"



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Während die zwei Liebenden noch in solchem Gespräche waren, siehe, da kam der Drache dahergefahren, und das Feuer flog dreier brennenden Riesenspieße lang vor ihm her, so daß ringsum davon der Fels erhitzt und in Flammen gesetzt wurde. In seinem Fluge stieß der Drache mit solcher Wut an einen Stein, daß dieser borst und zitterte, als wollte er ganz zerbröckeln, so daß Siegfried und die Jungfrau, die unter dem Felsen in der Kluft saßen, meinten, er würde zusammenfallen und sie bedecken; denn sie hatten sich vor der großen Hitze tief unter die Höhle begeben, bis das höllische Feuer des Drachen ein wenig verglommen und verdampft wäre.

Dieser Drache war vorzeiten ein schmucker Jüngling gewesen und von einem Zauberweibe verwünscht worden, so daß der leibhaftige Satan in ihm war, dem er auch mit Leib und Seele dienen mußte. Doch hatte er menschlichen Verstand behalten und besaß seltene Fähigkeiten des Geistes. Die Jungfrau hatte er geraubt in der Absicht, sie nach fünf Jahren, wo seine Verzauberung vorüber und er wieder ein Mensch geworden wäre, zu heiraten. Nun lebte zwar Florigunde der Hoffnung, daß er endlich seine gräßliche Drachengestalt verlieren würde; dennoch graute ihr vor ihm wie vor dem Bösen selbst, und sie hätte ihm in Ewigkeit nicht hold werden können. Der Drache aber erhob sich in ungeheurem Grimm, daß er seiner schönen Jungfrau beraubt werden sollte, die er nun über vier Jahre ernährt hatte, und die er Winters mit seiner Hitze so sorglich erwähnte; denn alsdann legte er sich von fern in die Steinkluft und hielt Wind, Frost und Kälte auf. Diesen Platz verließ er nur, wenn er ihr Speise zu holen hinausging. Kurz, er zeigte sich in allein als ein zärtlicher Liebhaber und aufmerksamer Bräutigam. Daher er auch jetzt vor Zorn hätte sterben mögen.

Siegfried konnte in der Höhle nun nicht länger mehr verharren; er waffnete sich aufs beste, nahm das Schwert sich, das ihm der Riese auf dem Drachenstein gezeigt hatte, und ging damit den Felsen hinan. Als der Drache Siegfried gewahr wurde, griff er ihn mit solcher Gewalt an, daß der Stein davon erzitterte, als ob er zerfallen wollte. Siegfried wehrte sich, so gut er immer mochte, doch konnte er es nicht verhindern, daß ihm der Drache mit seinen ungeheuren Klauen den Schild aus der Hand riß. Zudem verursachte er eine solche Hitze, daß die ganze Felsenkluft wie eine Schmiedesse anzusehen war und dem Ritter der Schweiß über den ganzen Leib floß. Bei dem Tosen dieses Kampfes machten sich alle Zwerge auf, tief in die Wälder zu fliehen; denn sie fürchteten, der Fels möchte einfallen und sie alle zerschmettern. Nun hatten sich in dem



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Gebirge auch zwei Brüder des Zwergenkönigs Egwald aufgehalten, welche den großen Schatz ihres Vaters daselbst hüteten. Als nun die Zwerge alle davonflohen, versteckten sie den Schatz in ein hohles Gestein, dicht an der steinernen Wand, unter dem Drachenstein. Der Zwergenkönig Egwald aber wußte ebensowenig, daß das Zwergenvolk geflohen war, als daß seine Brüder den Schatz versteckt hätten; denn er hatte sich schon früher verborgen, um abzuwarten, wie der erschreckliche Kampf ablaufen würde, um im Falle der Not Siegfrieden mit seiner Kunst dienen zu können. Denn wenn der Held überwunden worden wäre, so wären auch die Zwerge alle des Todes gewesen, weil der Drache wußte, daß sie Kundschaft von seinem Steine hatten.

Wie nun Siegfried die große Hitze, die von dem Drachen ausging, nicht länger ausstehen konnte, weil ihm sein Hornüberzug am Leibe weich zu werden anfing, da floh er zu der Jungfrau in die Tiefe des Geklüstes, bis sein Horn wieder erhartet war und sich die große Glut auf dem Stein etwas vermindert hatte. In der Zeit nun entdeckte er den überaus reichen Schatz, den die Zwerge da versteckt hatten. Er war aber der Meinung, der Lindwurm oder Drache werde denselben hier verborgen haben, um ihn zu sich zu nehmen, wenn er wieder zum Menschen geworden wäre; oder aber, der Schatz könnte dem erschlagenen Riesen zugehört haben; daß die Herrlichkeiten des Zwergenkönigs Egwald Eigentum seien, das kam ihm nicht in den Sinn.



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Inzwischen trat die Jungfrau Florigunde zu ihrem Geliebten und brachte ihm die entsetzliche Botschaft, die ihr Egwald, der Zwerg, gemeldet hatte: daß nämlich der Drache noch sechzig junge Drachen an sich gezogen habe, und daß es um sie geschehen sein würde. Siegfried dachte: "Ich muß dennoch mein Heil versuchen: wer weiß, wenn die Not am allergrößten, ist oft Gottes Hilfe am allernächsten!" Mit diesem Gedanken warf er sich aufs Knie und betete kurz, aber brünstig. Dann erhub er sich und stieg den Drachenstein unverzagt abermals hinan. Nachdem er den Drachen mit seinen Jungen ins Auge gefaßt, nahm er sein Schwert mit beiden Händen und hieb mit allen seinen Kräften so grimmig auf den Drachen ein, als ob er ihn in Splitter schlagen wollte. Während des Gefechts flogen die jungen Drachen alle wieder davon, woher sie gekommen waren; nur der alte Drache blieb und spie aus seinem abscheulichen Rachen die Flammen blau und rot über Siegfried hinab in solcher Menge, daß er ihn damit einigemale beinahe zu Boden geworfen. Überdies bediente er sich seines Schweifes mit solcher List, daß er den Ritter mehr als einmal darein verflocht, um ihn mit demselben vom Drachenstein hinunterzuschleudern. Siegfried aber, der sich Gott anbefohlen hatte, sprang aus der Schlinge und trachtete, wie er den Lindwurm des Schweifes berauben wollte. Er faßte deswegen sein Schwert und führte einen so glücklichen Streich auf den Drachen, daß er seinen Schweif vom Leibe absonderte, als wäre derselbe nie dagewesen. Der Drache, seines Schweifes beraubt, geriet in fürchterlichen Zorn und überschüttete den Ritter mit soviel Glut; als ob ein ganzes Fuder Kohlen auf den Stein geworfen würde. Siegfried jedoch, der die Entdeckung gemacht hatte, daß sein Schwert im Leibe des Drachen zu haften vermögend war, faßte sich ein mutiges Herz und neue Kraft und führte einen so harten Streich, daß er mit demselben den Drachen in zwei Stücke mitten voneinander hieb, daß die eine Hälfte von dem Steine hinabfiel. Die andere Hälfte faßte Siegfried und Süess sie auch hinab.



***
Die Jungfrau, die sich in der Tiefe der Felsenhöhle verborgen hielt, schloß aus dem fürchterlichen Getöse und dem Fall des Drachen, daß derselbe überwunden sein müsse; daher lief sie voll Freude, Furcht und Schrecken den Stein hinan. Aber weh ihr! da lag ihr Erretter; von der großen Anstrengung ganz erbleicht, auf dem Boden ausgestreckt. Seine Lippen waren kohlschwarz von der Hitze, und kein Zeichen des Lebens war an ihm zu entdecken. Nun hielt sich Florigunde aufs neue für verloren;



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sie meinte, die jungen Drachen würden zurückkommen, den alten Lindwurm zu rächen. Da fiel ihr noch als einzige Hoffnung das Zwerglein Egwald ein. Diesen zu rufen, wollte sie davonfliehen. Aber die erschöpfte und geängstete Jungfrau fiel auch in Ohnmacht, nachdem sie nur wenige Schritte getan hatte.

Der edle Ritter, nachdem er eine gute Weile besinnungslos gelegen hatte, sammelte seine Lebensgeister wieder und schöpfte neuen Atem. Er richtete sich allmählich auf, erhob seine Augen und begann sich umzusehen. Da fiel sein Blick auf die schöne Jungfrau, die nicht ferne von ihm auf der Erde lag. Von Herzen erschrocken, raffte er sich auf und eilte hin zu ihr; er faßte sie in seine Anne, rüttelte und schüttelte sie, ob sie nicht
ein Lebenszeichen von sich geben möchte, und rief endlich voll Verzweiflung aus: "Ach, daß es Gott im Himmel erbarme! So soll ich für alle meine Mühsal und Gefahr nichts davontragen als eine tote Jungfrau? Oh, welche schlechte Freude werde ich ihren Eltern bereiten! Wehe mir, daß ich hieher gekommen bin!"

Während er so jammerte, kam zu allem Glücke der Zwerg Egwald dahergelaufen und brachte eine Wurzel mit sich; die gab er Siegfrieden, daß er sie der Jungfrau in den Mund steckte. Von Stunde an erholte sich Florigunde; sie schlug die Augen auf, richtete sich empor und umfing den Helden mit freundlichen Gebärden und unter Zähren des Dankes.



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Jetzt sprach der Zwergenkönig Egwald zu dem Helden: "Der böse Riese Wolfgrambär hatte uns Zwerge, deren über tausend sind, in diesem Berge bezwungen, daß wir unser eigen Land ihm verzinsen mußten. Davon habt Ihr uns freigemacht, tapferer Ritter! Des wissen wir Euch viel großen Dank und erbieten uns, Euch zu dienen, soviel unser sind. Wir wollen Euch bis gen Worms am Rhein begleiten; denn wir sind der Wege gar wohl kundig." Siegfried bedankte sich höchlich für diese Freundschaft. Unterdessen bat ihn der Zwerg, sich mit der Jungfrau zu ihnen tiefer hinein in den Berg zu begeben und sich bei ihnen mit Speise und Trank zu erlaben , dessen sie beide sehr bedürftig waren. Dort fanden sie alles aufs beste zugerichtet und erquickten sich nicht wenig. Die Zwerge waren sehr geschäftig, sie trugen das Köstlichste herbei, was sie in der Eile zuwege bringen konnten. Der König Egwald veranstaltete auch eine schöne Zwergenmusik, , die recht lustig anzuhören war. Und als die Mahlzeit vollendet war, da trug man allerlei Backwerk in vergoldeten Schüsseln auf, und die Gesundheit des edlen Ritters Siegfried und seiner Geliebten wurde von den Zwergen weidlich herumgetrunken. Die kleinen Kreaturen waren recht fröhlich, tanzten und sprangen nach Herzenslust. Aber Siegfried war von Herzen müde; denn er hatte in vier Tagen und drei Nächten nicht geruhet; darum bat er, daß man sowohl der Jungfrau als ihm ihre Ruhe zubereiten möchte. Wie das der König Egwald hörte, sorgte er dafür, daß die köstlichsten Betten zugerichtet würden.

Mittlerweile nahm Siegfried die schöne Florigunde bei der Hand und sprach zu ihr: "Allerschönste Jungfrau, nun saget mir, wie war es Euch möglich, so lange bei dem ungeheuren Drachen zu leben?" Die Jungfrau aber sprach: "Und Ihr; mein edler Ritter, saget mir, wie seid Ihr auf diese Reise gekommen, daß Ihr Euer Leben so frisch für mich gewagt habt?" Da erzählten sie eines dem andern nach Herzenslust ihre Abenteuer, und als die Jungfrau erfuhr, daß es einzig und allein ihr junges Leben gewesen sei, das den Helden zu dieser gefährlichen Reise bewogen, da flossen ihr die Zähren über die Wangen; sie zog einen schönen Ring mit köstlichen Diamanten von ihrer Hand und steckte ihn dem Ritter an seinen Finger. Er aber, der eine so edle Gabe nicht unvergolten lassen wollte, nahm die goldene Kette, die ihm an König Gilbalds Hofe im Turnier zuteil geworden war, von seinem Halse und hing sie der Jungfrau um. Mit diesen Geschenken ward ihrer beider Liebe bestätigt.

Unter den Gesprächen war bereits die Sonne hinter dem Gebirge untergegangen ; die schwarzen Nachtwolken überzogen den blauen Himmel,



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und Siegfrieds Augen fingen an zuzufallen. Wie die schöne Florigunde dieses sah, wendete sie sich an den Zwerg Egwald und bat ihn, dafür zu sorgen, daß der Ritter zur Ruhe kommen möchte. Da wurde Siegfried vor ein köstliches Bett geführt, das mit einer schönen samtenen Decke zugedeckt war, auf der sich die Gestirne des Himmels kunstreich eingewirkt befanden. Der Ritter lächelte und sprach: "Bisher habe ich unter dem gestirnten Himmel geschlafen, wie wohl wird es mir nun unter diesem samtenen Himmel schmecken!" An einer andern Stelle war Florigunden ein ebenso köstliches Lager bereitet. Da sagten sich die beiden gute Nacht, und als jedes sein Gebet getan und sich Gott befohlen, schliefen sie ruhig bis an den Morgen. Als nun der herannahte und die Sonne ihre Strahlen über das Gebirge zu strecken begann, erwachte Florigunde zuerst, stund auf, schmückte sich, betete und dankte Gott, und als sie sah, daß der Ritter noch ruhig schlief, setzte sie sich abseits von ihm und sang einen gar lieblichen Morgenpsalm. Von ihrem Singen erwachte der Held, und obwohl er sich ein gutes Recht auf lange Nachtruhe erworben hatte, so schämte er sich doch, so lange geschlafen zu haben; er legte daher eilig seine Rüstung an und ging, die Jungfrau in Züchten zu grüßen. Bald stellte sich auch der Zwergenkönig ein und fragte seine Gäste freundlich, wie sie geschlafen hätten. Dann bat er sie recht dringend, doch länger bei ihm verweilen zu wollen. Aber Siegfried hatte keine Ruhe mehr, sondern bat um Urlaub. Sogleich ließ der Zwerg ein Frühstück bereiten, und nachdem sie sich ein wenig mit Speise gestärkt hatten, nahm Siegfried höflichen Abschied vom König Egwald und seinen Brüdern. Die aber erwiderten den Abschied nicht, sondern um ihr dankbares Gemüt zu beweisen, erklärten sie sich bereit, ihrer hundert den edlen Gästen das Geleite nach Worms zu geben, damit ihnen unterwegs kein Unfall zustieße. Aber Siegfried nahm keines andern Zwerges Begleitung an denn allein des Königs Egwald. Dieser setzte sich auf sein prächtiges Pferd und ritt vor ihnen her. Wie sie nun so des Weges ritten, da sagte Siegfried zu dem Zwerge: "Ich habe auf dem Drachenstein gesehen, daß du auch in der Sternkunde wohl erfahren bist! So bitte ich dich, du wollest mir sagen, wie es mir denn auch künftig im Leben ergehen wird." Da wollte der Zwerg lange nicht antworten, aber Siegfried drang so lange in ihn, bis er in sein Begehren willigte. "Ich fürchte sehr, es wird dir nicht zum besten gefallen, was ich dir zu sagen habe", sprach Egwald. "Wisse, daß du das schöne Weib, welches du da heimführest, nur acht Jahre besitzen wirst; alsdann wird dir auf mörderische Weise dein Leben genommen werden. Aber dein Weib .



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wird deinen Tod rächen, und wird mancher tapfere Held darüber das Leben verlieren! Zuletzt wird auch dein Weib im Kampfe verscheiden.""Was Gott will, das geschehe!"sagte Siegfried. "Da mein Tod so wohl gerächt werden soll, so begehre ich auch den Täter nicht zu erfahren und frage dich nicht weiter." Dieses Gespräch hatte die schöne Florigunde nicht gehört ; denn sie ritt vor ihnen eine gute Strecke. Als sie aber die Jungfrau eingeholt hatten, da duldete Siegfried nicht, daß ihn der Zwerg länger begleite, sondern beurlaubte sich von ihm, der dann mit weinenden Augen Abschied nahm und zurück in seinen Berg ging.

Siegfried aber gedachte jetzt des Schatzes, den er im hohlen Gestein entdeckt hatte, und von dem er glaubte, daß er des Drachen oder des Riesen sei, daher er ihn als einen guten Fund betrachtete. Denn an die Zwerge dachte er dabei gar nicht. Er kehrte daher mit der Jungfrau um und sagte: "Den Schatz wollen wir doch nicht dahinten lassen; habe ich den Drachenstein mit Gefahr meines Lebens gewonnen, so kann auch der Schatz niemand füglicher zukommen als mir." So nahm er denselben und legte ihn vorn auf sein Pferd, trieb dieses vor sich hin und zog die Straße, auf der er am vorigen Tage den Ritter erschlagen hatte. Da sah er des Toten Pferd dort auf der Weide gehen; nun band er sein eigenes Roß an einen Baum, legte sich ein wenig ins Grüne, und die Jungfrau hielt Wache über ihm. Als er wieder aufgewacht war, fing er des toten Ritters grasendes Pferd ein, legte ihm den Schatz auf, bestieg sein eigenes Pferd wieder und führte jenes mit dem Schatze neben sich und Florigunden her.

Sie buben an, Gottes Fürsehung, deren sie sich auch hier wieder erfreuen durften, zu preisen, und kamen unter solchem Gespräch aus dem offenen Walde bald in ein dichtes Gesträuch. Hier waren sie nicht lange geritten, als unversehens aus dem Dickicht eine Rotte Mörder hervorbrach und sie umringte. "O mein edler Ritter", rief Florigunde, "wie wird es uns ergehen!" Aber Siegfried blieb ganz ruhig und sprach: "Sei zufrieden, Geliebte, die beißen uns nicht." Indem umgaben ihn sechs derselben, denn im ganzen waren ihrer dreizehn. Der Ritter aber lachte dazu. "Wir wollen ihnen den Schatz geben", sagte die Jungfrau, "so werden sie uns wohl ziehen lassen!" "Ich achte des Schatzes wenig", sagte Siegfried, "aber den Schimpf möchte ich um aller Welt Schätze nicht nehmen, daß ich mich vor solchen Burschen fürchten sollte!" Indessen umringten sechs andere Mörder die Jungfrau; der dreizehnte nahm das Saumroß am Zaum und wollte mit dem Schatze davon. Bisher hatte der Ritter nicht geglaubt, daß es ihr Ernst sei; als er sich aber nun



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eines andern überzeugte, da sprach er mit strengen Worten zu ihnen: "Ihr leichtfertigen Straßenräuber, was habt ihr im Sinne?" "Da hast du die Antwort auf deine Frage", schrie einer der Räuber und schlug damit gewaltig auf den Ritter los. Siegfried säumte nicht lange und schlug dem trotzigsten der Wegelagerer mit dem ersten Streiche des Schwertes, mit welchem er den Drachen getötet hatte, den Kopf ab. Mit einem andern Hiebe spaltete er dem zweiten den Kopf bis auf die Zähne. Als sie so den großen Ernst des Ritters sahen, wichen ihrer viere zurück. Die andern sechse, welche die Jungfrau umringt hielten, wollten nun ihren Gesellen zu Hilfe kommen; aber sie wurden auch so empfangen, daß ihrer drei auf dem Platze blieben. Inzwischen war der Räuber, der das Pferd mit dem Schatz führte, weit vorangekommen; aber Siegfried mit seinem guten Pferde holte ihn bald wieder ein und, diesen niederzuhauen, machte ihm gar keine Mühe. Als er sich darauf wieder umwendete, um zu seiner Geliebten, die er seiner wartend hinter sich gelassen hatte, wieder zurückzukehren, da hatten die Räuber, die indessen flüchtig geworden waren, die Jungfrau mit sich geführt. Als der Ritter dieses wahrnahm, säumte er nicht lange, ließ das Pferd mit dem Schatze laufen und eilte der Stätte zu, wo er die schöne Florigunde gelassen hatte, um auf den Hufschlag ihres Pferdes zu kommen; denn die Zwerge hatten das Pferd so künstlich beschlagen, daß er den Hufschlag wohl kennen konnte. Sobald er nun denselben entdeckte, eilte er ihm nach und traf auch wirklich die Mörder in einem dichten Gesträuche an. Er setzte unter sie mit grimmigem Zorn und machte sie alle nieder bis auf einen einzigen; denn dieser lief in einen nahen Sumpf bis an den Hals. Siegfried hielt es nicht für der Mühe wert, um dieses einen willen nur noch einen Schritt zu tun, sondern rief ihm zu: "Wenn du einem Wandrer begegnest, Geselle, so sage ihm, daß du den gehörnten Siegfried gesehen, der die schöne Florigunde vom Drachenstein errettet hat, und daß er deine zwölf Helfershelfer gesäubert, daß ihnen der Bart nicht mehr wachsen wird!" Und so ritt er mit seiner schönen Florigunde davon. Als sie den Sumpf im Rücken hatten, sprach er zu ihr: "Schönste; wie hat Euch diese Kurzweil gefallen?" "Werter Ritter", erwiderte sie, "wenn das Eure Kurzweil ist, wer möchte dann im Ernste mit Euch fechten?" Nun kamen sie an den Ort, wo der Streit zuerst angefangen hatte, da fiel der Jungfrau das Pferd mit dem Schatze ein, und sie fragte ihren Geliebten, , ob er das Saumroß nicht wieder angetroffen habe. "Freilich", erwiderte der Ritter, "habe ich es dem Bösewicht, der es gestohlen, wieder.



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abgesagt und ihm so viel dafür gegeben, daß er keines Geldes weiter bedarf. Als ich aber wieder zurückkam und Euch, schönste Jungfrau, nicht mehr auf der Stelle traf, da merkte ich bald, daß es schlimm stehe; ich vergaß des Schatzes, und meine Liebe zu Euch zwang mich, dem Hufschlag Eures Pferdes nachzugehen und Euch vor allem zu retten. Was fragte ich nach dem Schatze; Ihr, Allerschönste, habt mich doch viel mehr gekostet!" "Nun", sagte Florigunde zärtlich, "dann sollt Ihr auch nicht weiter des Schatzes wegen Euch in Gefahr begeben und das Pferd nicht länger aufsuchen."Darein ergab sich Siegfried; "denn", dachte er, "wenn
ich nur noch acht Jahre leben soll, was nützet mich dann der Schatz?" Und nun ritten beide fort und fort, bis ihnen der Rhein mit seinem grünen Wasser entgegenschimmerte. —

Jetzt kam zu König Gilbald und seiner Gemahlin die freudige Botschaft, daß ihre geliebte Tochter Florigunde von dem Drachenstein erlöst und auf der Heimreise mit dem kühnen Ritter Siegfried nicht mehr weit entfernt sei. Der König ließ deswegen seine ganze Ritterschaft aufbieten, damit sie seiner Tochter und dem Helden alle gebührende Ehre antaten, ihnen entgegenzögen und sie mit großem Gepränge einholten. Zugleich lud er sie alle auf die bevorstehende Hochzeit ein; denn er wußte wohl, daß er seine Tochter dem Ritter Siegfried, welcher sie mit Gefahr seines Heldenlebens so teuer erworben hatte, nicht abschlagen durfte. Nachdem



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sie nun mit Freuden eingeholt und mit Jubel empfangen worden, da wurde mit der Vermählung nicht lange gezögert. Sieghard, Siegfrieds alter Vater, kam geladen zu seines lieben Sohnes Hochzeit. Kaiser, Könige und fünfzehn Fürsten, dazu Ritterschaft und Adel ohne Zahl, fanden sich zusammen. Alle wurden wohl empfangen und herrlich gehalten und bewirtet, wie dies an Königshofen Sitte ist. Siegfried und die schöne Florigunde wurden in das Münster geführt und mit vielem Gepränge in Gegenwart aller Fürsten und Großen getraut.

Unter der mannigfaltigen Kurzweil, die auf dieser Hochzeit getrieben wurde, kam auch ein gar feines Stückchen vor, welches wohl wert ist, erwähnt zu werden. Es wohnte nämlich zunächst an des Königs Palast ein Bauer mit Namen Jorcus; dieser hatte einst dem Könige Gilbald, als er auf einer Jagd irregegangen war, den rechten Weg gezeigt und war von dem Könige dafür zum Verwalter über seine Viehherden gesetzt worden. Dieser Jorcus war so verzagt und so blöder Natur, daß er wohl vor einem bloßen Degen, wenn es möglich gewesen, in die Erde gekrochen wäre. Nun lebte an des Königs Hofe ein Edelmann, ein verschlagener, listiger Schalk, der manchen Scherz zu veranstalten wußte; dieser redete mit dem Bauer und machte ihn glauben, daß jetzt eine so gute Gelegenheit vorhanden sei, sich bei dem Könige beliebt zu machen, als er seine Lebtage eine wünschen möchte. "ES ist", sagte er zu ihm, "unter den fremden Fürsten einer, der hat einen Soldknecht; namens Zivilles, bei sich; dieser ist so verzagt, daß man ihn mit einem Erbsenrohr verjagen könnte. Den sollst du zum Kampf um Leib und Leben herausfordern! Wenn er dieses hört, glaube mir, so wird er vor Schrecken nicht erscheinen; alsdann hast du schon Ehre genug! Oder, wenn er je käme, so wird er doch, sobald er dich gewappnet sieht, vor Furcht die Flucht ergreifen, und dann kommst du zu hohen Ehren bei dem König." Der Bauer ließ sich betören und sagte dem Edelmann zu, daß er den Soldknecht fordern lassen wolle. Als der Edelmann sah, daß Jorcus in die Falle gegangen sei, meldete er dem Könige alles und bat Seine Majestät , doch ja diese Kurzweil zu gestatten; er selbst wolle schon dafür sorgen, daß keiner der beiden Kämpen Schaden nehme. Der König aber dachte, weil seine Tochter doch so viele Jahre lang Ungemach geduldet, so wolle er ihr, ihrem Gemahl und allen Anwesenden eine solche Ergötzlichkeit immerhin gönnen. So erlaubte er es denn Edelmann. Dieser ging hin zu dem Könige Sieghard und erbat sich von ihm seinen Söldner Zivilles, indem er ihm vortrug, welchen Scherz,



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er mit demselben vorhatte. Der König Sieghard willigte gern in die Bitte, und der Edelmann suchte den fremden Kriegsmann auf und sagte ihm nach langen Umschweifen, daß er zu keinem andern Ende gekommen sei, als ihm anzukündigen, daß Jorcus, der Verwalter des Königs Gilbald, ihn auf den morgenden Tag auf Leib und Leben zum Kampfe herausfördere . Zivilles erschrak über alle Maßen, fing an zu zittern und gab mit stammelnder Zunge die Antwort: "Ich habe mit diesem Jorcus nichts zu tun; wie kommt er denn dazu, daß er mich fordern läßt?""Dem sei, wie ihm wolle", erwiderte der Edelmann, "er hält Euch einmal für keinen redlichen Kerl; deswegen verlangt er von Euch, Ihr sollet mit guter Rüstung versehen, morgen zu der und der Stunde auf dem Kampfplatz erscheinen; dort will er Euer warten." Damit ging der Edelmann seiner Wege. Der König Sieghard und seine Leute, welche den Schrecken des Söldlings sahen, redeten ihm Mut ein und munterten ihn zum Kampfe auf. Da rief Zivilles den Edelmann endlich zurück, und sagte zu ihm: "Mein Freund, ich will mich bis morgen bedenken!" Mit dieser Antwort ging der Edelmann zu dem Bauern, der sehr erfreut darüber war; denn er schloß daraus, daß der Kriegsknecht nimmermehr kommen würde, weil ihm der Edelmann noch dazu erzählt hatte, wie erschrocken Zivilles über seine Forderung gewesen sei.

Am andern Morgen aber redeten des Königs Leute ernstlich mit Zivilles und sagten, es wäre ihm eine ewige Schande, wenn er den Kampf ausschlüge; denn sie hätten wohl gehört, daß Jorcus ein verzagter Bursche wäre; sobald dieser einen bloßen Degen sehe, so würde er die Flucht ergreifen . Dadurch ließ sich Zivilles überreden, schickte früh morgens zu dem Bauern und ließ ihm sagen, daß er um ein Uhr des Nachmittags auf dem Kampfplatze in guter Rüstung zu Pferd erscheinen werde; da wollte er ihn lehren, was es hieße, einen redlichen Reitersmann ohne vorangegangene Beleidigung zum Kampfe herausfordern! "Und wiewohl es mir, als einem versuchten Kriegsmann, nicht wohl ansteht, mich mit einem groben Bauernlümmel zu balgen, so will ich dich dennoch lehren, daß du ein andermal dich nicht unterstehen sollst t"

So wurden denn beide mit Rüstung wohl versehen und kamen zur bestimmten Zeit auf den Kampfplatz. Da hätten alle, die dieses lesen, selbst sollen zugegen sein und die Kurzweil mitansehen! Denn sobald Jorcus, der Bauer, auf den Kampfplatz kam, sah er sich nach allen Seiten um, wo er am füglichsten Reißaus nehmen konnte, und verwünschte den Ort; weil er ihn so wohl verwahrt sah. Er war nämlich an drei Seiten mit



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hohen Brettern umgeben, an der vierten Seite floß ein Wasser, und die Pforten wurden alle versperrt, so daß ein jeder ausharren mußte. Als nun Zivilles, der Kriegsknecht, des Jorcus ansichtig wurde und sah, daß er ein so mutiges Pferd hatte, da fehlte wenig, daß er davongeritten wäre, wenn er nur gekonnt hätte. Und schon war er willens, sich dem Feinde zu ergeben. Aber mit demselben Entschlusse ging auch Jorcus um. Indem teilten die Ritter den Kampfplatz, und die Trompeten bliesen. Als nun des Jorcus Pferd die Trompeten schmettern hörte, ließ es sich nicht länger halten; denn es war Siegfrieds Roß und des Turnierens wohl gewohnt; sondern es begann den Lauf und schoß dahin wie ein Pfeil. Gerne hätte es Jorcus aufgehalten, aber es war vergebens; denn es durchlief die wohlbekannte Bahn in vollem Laufe bis zu Ende. Seine Eile zwang den Reiter, die Lanze fallen zu lassen und sich mit beiden Händen an der Mähne des Pferdes zu halten, daß er nicht herunterfiel. Dagegen mußte des Zivilles Pferd mit Spießruten ermuntert werden, bis es in Gang kam. Der Kriegsknecht aber legte seine Lanze alsbald ein, noch ehe es Zeit war: diese trieb der Wind immer auf die eine Seite, so daß er, ohne es zu wissen und zu wollen, den Jorcus damit berührte. Und weil dieser ohnedem nur kümmerlich im Sattel hing, so fiel er herunter auf die Erde. Zivilles, der dessen nicht inne ward, ließ sein Pferd bis ans Ende der Rennbahn auslaufen. Erst als er sein Roß umwendete, sah er den Jorcus dort auf dem Boden liegen; da dachte er: "Nun ist es Zeit, daß du deinem Feinde den Rest gibst und ihm mit dem Pferde den Kopf zerknirschest und ihn mit der Lanze durchstoßest." Während er sich ihm jedoch allgemach näherte, hatte der Bauer sich wieder auf die Beine gemacht: bis aber Zivilles zu ihm kam, strauchelte sein eigenes Pferd, dem er mit der Lanze, welche er alle Zeit sehr niedrig hielt, zwischen die Vorderbeine gekommen war, und fiel unter ihm nieder.

Da dachte Jorcus: "Jetzt ist es Zeit; ein Ritter an dem Feinde zu werden", und hieb so grimmig von ferne auf ihn ein, als ob er ihn in Stücke hauen wollte. Aber das Pferd zappelte so grausam mit den Füßen, daß er ihm nicht beizukommen vermochte; und wie es sich endlich emporarbeitete und auf seine Füße zu stehen kam, da schnaubte es und schlug so zornig um sich, daß der Bauer besorgte, es möchte ihn treffen, und in aller Furcht von dannen floh. Indessen hatte Zivilles Zeit gefunden, sich wieder aufzurichten und auf seine Füße zu stehen; sein Leib war aber so zertreten und so bebend, daß er ernstlich darauf dachte, sich dem Gegner zu ergeben. Er zog daher sein Schwert aus der Scheide, in der



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Absicht es an der Spitze zu fassen und so dem Feinde darzureichen. Aber Jorcus ging mit demselben Entschlusse um. Wie Zivilles mit bloßem Schwerte daherkommt, sich zu ergeben, da dachte er: "Das wird übel ablaufen!" und floh so schnell und weit, als sein gutes Pferd ihn trug. Nun Zivilles dies gewahr wird, will er an seiner Viktorie nicht gänzlich verzweifeln, faßt wieder ein Herz und verfolgt den Gegner so gut, als dies ein verzagter Mann auf einem schlechten Klepper zu tun vermag. Er erreichte ihn auch und schlug mit vollem Grimm auf ihn ein. Als Jorcus den ersten Streich fühlte, schrie er überlaut und bat ihn, einzuhalten, sonst würde er es dem Könige Gilbald und dem Ritter Siegfried klagen. Da aber jener nicht nachließ, so wich er zurück, soweit er nur konnte. So war er bis an das Wasser gekommen, daß er nicht weiter rückwärts konnte; da war seine Furcht gedoppelt. "Weichst du weiter", dachte er, "so mußt du im Wasser ersaufen; gehst du vorwärts, so mußt du unter deines Feindes Waffen sterben." Dem Feinde sich zu ergeben, schämte er sich auch, da er seiner Meinung nach eben noch den Sieg in den Händen gehabt. Diese vielfache Angst brachte ihn endlich zur Verzweiflung, so daß er beschloß, festen Fuß zu fassen, weil es ja nicht anders sein könnte. Darum nahm er sein Schwert in beide Hände, drückte die Augen fest zu und fing an, grimmig um sich zu hauen, so daß Zivilles mit Schrecken die Flucht nahm und überlaut schrie: "Laß mich leben, laß mich leben, so will ich mich dir ergeben!" Er bildete sich nämlich ein, schon viele Wunden empfangen zu haben, obgleich er noch keine einzige bekommen hatte.

Als Jorcus dieses Geschrei hörte, wagte er es, die Augen wieder aufzuschlagen, und sah, wie sein Gegner weit von ihm gewichen war. Da faßte er wieder Mut und verfolgte seinen Feind, so gut er konnte. Da schrie Zivilles noch viel lauter: "Schenke mir doch das Leben, ich will mein Lebtage nicht daran denken, mich zu rächen!" — "So wirf deine Wehr von dir!" rief Jorcus. Der arme Tropf tat, wie ihm befohlen war. Obwohl nun Jorcus seinen Feind ganz wehrlos sah und nichts mehr von ihm zu fürchten hatte, traute er dennoch nicht, sondern sagte zu ihm: "Hebe dich weit von mir und lege dich auf die Erde nieder!" Zivilles gehorchte abermals der Stimme seines Feindes, lief weit zurück, legte sich ganz ausgestreckt auf den Boden und erwartete wie ein Lämmlein sein Ende. Jorcus aber besann sich noch immer; wie er sich gang vor seinem Feinde sicher stellen könnte, und meinte, daß dies nicht möglich wäre, wenn er ihn am Leben ließe. "Aber wie sollst du ihm beikommen?"



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sprach er zu sich selber. "Gehst du mit dem Schwert auf ihn los, so möchte er sich aufrichten und es dir aus der Hand reißen!" So beschloß er, ohne das Schwert auf ihn loszugehen, suchte ein großes Messer, mit dem er seine Kühe abzustechen gewohnt war, unter der Rüstung hervor und schickte sich an, ihm damit die Gurgel abzuschneiden. Als die Richter dieses sein Beginnen wahrnahmen, traten sie ins Mittel und hießen den
Jorcus einhalten und sich mit seinem Siege begnügen. Denn so mit einem überwundenen Feinde zu verfahren, wäre der Waffenordnung schnurstracks zuwider. Jorcus ließ seinen Feind, weil er ihn überwunden hatte, ungern aus den Händen. Doch mußte er ihren vernünftigen Reden nachgeben, weil sie ihm überdies zusagten, daß Zivilles sich nimmermehr wider ihn auflehnen sollte. So hieß der Bauer den Soldknecht aufstehen und ein andermal besser bedenken, mit wem er es zu tun hätte. Auf solche Weise endete der Kampf dieser beiden Hasen, und jeder war froh, daß er mit dem Leben davongekommen. Kein lustigeres Stück war auf Siegfrieds Hochzeit vorgekommen.



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Nun war Ritterspiel und Kurzweil vorüber; und alle Gäste kehrten wieder heim. Siegfried gab ihnen so sicheres Geleite, daß man ohne alle Gefahr Gold hätte mögen auf dem Haupte tragen. —

Zu Hause hatten indessen die drei Brüder der schönen Florigunde, die Könige Ehrenbert, Hagenwald und Walter einen Haß auf ihren Schwager Siegfried geworfen, weil er in allen Kämpfen den Preis davongetragen hatte. "Alle Tage trägt er Siegeszeichen, Ringe und Waffen", sprachen sie zueinander, "damit prangt er, als wäre er allein der Held; so macht er uns im ganzen Lande verächtlich, das soll ihm übel bekommen!" Seitdem trachteten sie heimlich darnach, wie sie ihn töten könnten; lange aber konnten sie keine Gelegenheit finden, bis die acht Jahre um waren, von welchen der Zwerg Egwald dem Helden Siegfried vorzeiten geweissagt. Siegfried aber merkte nichts und lebte mit seiner schönen Florigunde in Frieden und guter Ruhe. Sie bekamen einen Sohn, den nannte er Löwhard. Der führte später mächtige Kriege mit dem Sultan und dem Könige von Babylon und bekam endlich die Tochter des Königs von Sizilien zur Frau, wie dies in andern Büchern beschrieben ist.

So hatten sie acht Jahre lang in stolzem Frieden gelebt, da geschah es eines Tages, daß Siegfried und seine Schwäger miteinander auf die Jagd ritten; denn Siegfried war der Jagdlust sehr ergeben. Weil aber der Tag gar heiß und Siegfried müde und durstig war, so begab er sich an einen Brunnen im Walde und legte sein Angesicht in denselben, sich zu erkühlen. Diesen Augenblick ersah sich sein Schwager, der grimmige Hagenwald, und gedachte bei sich selber: "Eine solche Gelegenheit kommt nicht alle Tage, jetzt versäume es nicht, dich an deinem Feinde zu rächen!" So nimmt er sein Seitenschwert und stößt es dem Siegfried zwischen die beiden Schultern, da wo sein Fleisch bloß und nicht mit Horn überzogen war. Er rannte ihm aber das Schwert so tief in den Leib, daß die Spitze bis an die Brust hineinging und er auf der Stelle tot war. So mußte der unvergleichliche Held auf eine schändliche und meuchelmörderische Weise sein junges Leben verlieren.

Als Siegfrieds Gemahlin den Tod ihres Herrn, des königlichen Helden, erfuhr, fiel sie vor Kummer in eine schwere Krankheit, so daß die Arzte an ihrem Aufkommen verzweifelten, der König Gilbald aber starb vor Jammer, und auch die Königin unterlag schon nach vier Tagen einem tödlichen Fieber. Da war Leid über Leid in dem Königspalaste zu Worms. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn die schöne Florigunde auch gestorben wäre; aber es war Gottes Wille, daß Siegfrieds Tod zuvor durch sie gerächt



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würde. Ihre drei Brüder hielten dem König Gilbald, ihrem Vater, und ihrer Mutter, der Königin, eine herrliche Leichenfeier. Darauf wollten sie das Reich in Besitz nehmen und gemeinschaftlich beherrschen. Aber inzwischen war ihre Schwester; Siegfrieds Witwe, wieder so weit genesen und erstarkt, daß sie an ihren Vorsatz denken konnte, sich an den Mördern ihres lieben Gemahles zu rächen. Sie brach daher in aller Stille auf mit ihrem Sohne Löwhard und zog in die Niederlande zu
König Sieghard, ihrem Schwiegervater, dem sie die Ermordung seines Sohnes meldete und ihre Not klagte. König Sieghard, der dies mit großen Schmerzen vernahm, ergrimmte im Geist und ließ Adel und Ritterschaft in seinem ganzen Lande aufbieten, sammelte in Eile eine unzählbare Menge Kriegsvolkes, und ehe sich die drei Könige dessen versahen, waren sie mit blutigem Krieg überzogen. Vieltausend Helden fielen in diesem Kampfe, und auch der Verräter Hagenwald kam schimpflich um sein Leben. Denn als er sich lange gewehrt und zuletzt unfähig zum Kampfe geworden war, las er sich unter allen Kriegsleuten des Königs Sieghard den verzagten Soldknecht Zivilles aus; diesem ergab er sich im Wahne, von ihm am ehesten Barmherzigkeit zu erlangen und



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bei ihm viel sicherer zu sein als bei einem andern beherzten Krieger. Und als er sein Gefangener war, legte er sich kampfesmatt nieder und schlief ein. Zivilles aber besann sich nicht lange, sondern zog sein Schwert und stieß es dem Schlafenden durch den Leib, daß er zur Stunde tot blieb. "So hab ' ich dir vergolten", sprach er, "was du meines gnädigen Königes Sohn Siegfried getan, und dir ist mit dem Maße gemessen, mit welchem du gemessen hast."

Die andern zwei Brüder Ehrenbert und Walter zogen ins Elend. Der verzagte Zivilles ward seinerseits erschlagen; Jorcus, der Bauer, fiel auch in diesem Kriege. Zuletzt mußte auch die schöne Florigunde sterben. Aber ihr und Siegfrieds Sohn Löwhard blieb am Hofe seines Großvaters in den Niederlanden, wurde dort in Gottesfurcht und ritterlichen Tugenden erzogen und gedieh zu einem herrlichen Helden.


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