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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON STD! NU'MÂN

O Herr der Wohltat und des Wohlwollens, meine Eltern waren so reich an Hab und Gut, daß sie ihrem Sohne, als sie starben, reichliche Mittel für seinen lebenslänglichen Unterhalt hinterließen und er seine Tage gleich einem Großen des Landes sorgenlos in Genuß und Freude hinbringen konnte. Ich nun, ihr einziges Kind, brauchte mich um nichts zu kümmern und zu sorgen, bis ich eines Tages in der Blüte meines Mannesalters mich entschloß, mir eine Frau zu nehmen, eine Maid von munterem Wesen und holdselig anzuschauen, auf daß wir in gegenseitiger Liebe und doppeltem Glück miteinander leben könnten. Doch Allah der Erhabene wollte es nicht, daß eine vorbildliche Gehilfin die meine würde; ach nein, das Schicksal vermählte mich dem Gram und dem schwersten Elend. Ich freite eine Jungfrau, die nach ihrer äußeren Gestalt und ihren Zügen ein Vorbild von Schönheit und Lieblichkeit war, aber keine einzige liebreiche Gabe des Gemüts und der Seele besaß; und schon am zweiten Tage nach der Hochzeit begann ihre schlechte Natur sich zu zeigen. Du weißt ja, o Beherrscher der Gläubigen, daß nach unserer muslimischen Sitte niemand das Antlitz seiner Braut vor Abschluß der Eheurkunde sehen darf, noch auch nach der Hochzeit sich beklagen darf, wenn es sich zeigt, daß seine junge Gattin ein Zankteufel oder ein Scheusal ist; er muß durchaus bei ihr ausharren, so gut er es vermag, und muß seinem Schicksal dankbar sein, mag es gut oder schlimm sein.' Als ich das Antlitz meiner jungen Gattin zum ersten Male sah und erkannte, daß es über die



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Maßen schön war, freute ich mich gar sehr und dankte Allah dem Erhabenen, daß er mir eine so liebliche Gefährtin geschenkt hatte. In jener Nacht ruhte ich bei ihr in Freude und Liebeswonne; doch am nächsten Tage, als das Mittagsmahl für uns ausgebreitet war, fand ich sie nicht an der Tafel, und darum sandte ich nach ihr; nach einiger Zeit kam sie und setzte sich nieder. Ich verbarg mein Mißbehagen und unterließ es, wegen dieses Zuspätkommens etwas an ihr auszusetzen; doch dazu hatte ich bald reichlichen Grund. Es traf sich, daß unter den vielen Speisen, die für uns aufgetragen waren, sich auch ein vortrefflicher Pilaw' befand; ich begann von ihm nach der Sitte unserer Stadt mit einem Löffel zu essen, sie aber zog statt dessen einen Ohrlöffel aus ihrer Tasche und fing an, mit diesem den Reis aufzupicken, und sie aß ihn Korn für Korn. Als ich dies sonderbare Tun sah, war ich sehr erstaunt, und obwohl ich innerlich vor Zorn tobte, sagte ich in sanftem Ton: ,Meine liebe Amina, was ist das für eine Art zu essern Hast du das von den Deinen gelernt, oder zählst du die Reiskörner, um hernach ein kräftiges Mahl einzunehmen? Du hast in dieser ganzen Zeit nur zehn bis zwanzig Körner gegessen. Oder vielleicht willst du Sparsamkeit üben? Wenn dem so ist, möchte ich dir zu wissen tun, daß Allah der Erhabene mir überreiches Gut beschert hat; sorge dich also darum nicht! Nein, mein Liebling, tu, wie alle tun, und iß, wie du deinen Gatten essen siehst!' Ich war töricht genug, zu glauben, sie würde sicher einige Worte des Dankes an mich richten, aber sie sagte keine einzige Silbe und ließ auch nicht ab, Korn für Korn aufzupicken; ja, noch mehr, sie machte, um mich zu größerem Zorn zu reizen, zwischen je zweien eine lange Pause. Als nun der



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nächste Gang kam, der aus Kuchen bestand, brach sie lässig etwas von dem Backwerk und warf sich ein oder zwei Krumen in den Mund; sie aß in der Tat weniger, als was den Magen eines Sperlings hätte sättigen können. Ich staunte sehr, als ich sie so hartnäckig und eigensinnig fand; doch ich sprach bei mir in meiner Harmlosigkeit: ,Vielleicht ist sie es nicht gewohnt, mit Männern zu essen, und vor allem mag sie zu schüchtern sein, um in Gegenwart ihres Gatten herzhaft zu essen; sie wird mit der Zeit tun, wie andere Leute tun.' Ich dachte mir auch. daß sie vielleicht schon gefrühstückt und so die Eßlust verloren hätte, oder es möchte überhaupt ihre Gewohnheit gewesen sein, allein zu essen. Deshalb sagte ich nichts und ging nach der Mahlzeit hinaus, um frische Luft zu schöpfen und mich im Speerspiel zu Pferde zu üben; und ich dachte nicht mehr an die Sache. Als wir aber wiederum zu Tische saßen, aß meine Gattin in derselben Weise wie zuvor ;ja, sie beharrte immer in ihrer unsinnigen Torheit. Deshalb ward ich in meinem Geiste sehr unruhig, und ich wunderte mich, wie sie ohne Nahrung am Leben bleiben konnte. Eines Nachts jedoch geschah es, daß sie in dem Glauben, ich sei in tiefem Schlafe, sich heimlich von meiner Seite erhob, während ich ganz wach war; und ich sah, wie sie vorsichtig aus dem Bette stieg, als fürchtete sie, mich zu stören. Ich wunderte mich über die Maßen, weshalb sie sich so aus dem Schlafe erhob und mich verließ; und ich war entschlossen, die Sache zu untersuchen. Deshalb stellte ich mich auch weiterhin schlafend und schnarchte; doch ich beobachtete sie, während ich dalag, und ich sah, wie sie rasch ihre Kleider anlegte und das Zimmer verließ. Dann sprang ich vom Bett herab, warf mein Gewand um, hängte mein Schwert über die Schulter und schaute aus dem Fenster, um zu sehen, wohin sie ginge. Alsbald schlich sie über den Hof, öffnete die Tür zur



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Straße und eilte fort; auch ich lief durch das Tor, das sie offen gelassen hatte, und folgte ihr beim Schein des Mondes, bis sie auf einen Friedhof ging, der nah bei unserem Hause lag. Als ich sah, wie Amina, meine junge Gattin, den Friedhof betrat, blieb ich draußen stehen, und zwar dicht an der Mauer, über die ich hinübersehen konnte, so daß ich imstande war, sie genau zu beobachten, während sie mich nicht zu entdecken vermochte. Und was mußte ich nun erblicken? Amina saß da mit einem Gb ol! Deine Hoheit weiß recht wohl, daß die Ghûle zum Geschlecht der bösen Geister gehören; sie sind ja unsaubere Dämonen, die in Ruinen hausen und einsame Wanderer erschrecken und manchmal packen, um ihr Fleisch zu fressen; und wenn sie bei Tage keinen Wanderer finden, den sie fressen können, so gehen sie bei Nacht auf die Friedhöfe, graben Leichen aus und verschlingen sie.' So war ich denn gar sehr erstaunt und erschrocken, wie ich meine Gattin dort mit einem Ghûl sitzen sah. Dann gruben die beiden einen Leichnam, der vor kurzem beigesetzt war, aus dem Grabe aus, und der Ghûl und meine Frau Amina rissen Stücke vom Fleisch ab und aßen sie; dabei war sie guter Dinge und plauderte mit ihrem Genossen; weil ich aber in einiger Entfernung stand, konnte ich nicht verstehen, was sie sagten. Bei diesem Anblick zitterte ich vor grausem Entsetzen. Und als sie zu essen aufhörten, warfen sie die Knochen in die Grube und häuften die Erde wieder darüber, so wie sie zuvor gewesen war. Bei dieser scheußlichen und ekelhaften Arbeit verließ ich sie und eilte nach Hause; die Tür zur Straße ließ ich halb offen, wie meine Gattin es getan hatte, und begab mich in mein Gemach; dort warf ich mich auf



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unser Bett nieder und stellte mich schlafend. Bald darauf kam Amina und legte sich, nachdem sie ihre Kleider abgetan hatte, ruhig an meine Seite; und ich erkannte an ihrem Wesen, daß sie mich nicht gesehen hatte, noch auch ahnte, daß ich ihr zu dem Friedhof gefolgt war. Das beruhigte mich sehr, obschon mir davor ekelte, im Bette neben einem Weibe zu ruhen, das Menschen und Leichenfraß; dennoch lag ich still, trotz meinem großen Abscheu, bis der Muezzin zum Frühgebete rief; dann stand ich auf, nahm die religiöse Waschung vor und brach zur Moschee auf. Als ich dort meine Gebete gesprochen und meine Andachtspffichten erfüllt hatte, streifte ich in den Gärten umher, und nachdem ich während dieser Wanderung mir das Ganze im Geiste überlegt hatte, kam ich zu der Überzeugung, daß es mir geziemte, meine Gattin aus so übler Gesellschaft zu reißen und sie von der Gewohnheit, Leichen zu verzehren, abzubringen. In diesem Gedanken kam ich zur Essenszeit nach Hause, und als Amina mich heimkehren sah, befahl sie den Dienern, das Mittagsmahl aufzutragen. Wir beide setzten uns zu Tisch; aber wie zuvor begann sie den Reis Korn für Korn aufzupicken. Darauf sagte ich zu ihr: ,Liebe Frau, es verdrießt mich sehr, zu sehen, wie du jedes Korn gleich einer Henne aufpickst. Wenn dies Gericht deinem Geschmack nicht zusagt, so sieh, wir haben doch durch Allahs Gnade und des Allmächtigen Güte alle Arten von Speisen vor uns. Iß von dem, was dir am besten gefällt! Jeden Tag ist der Tisch mit Speisen von mancherlei Art bedeckt; und wenn diese dir nicht gefallen, so brauchst du nur die Speise zu befehlen, nach der deine Seele verlangt. Doch möchte ich eine Frage an dich richten: Ist denn auf dem Tische kein Gericht so nahrhaft und schmackhaft wie Menschenfleisch, so daß du alle Speisen zurückweisest, die dir vorgesetzt werdend Ehe ich noch meine Worte beendet hatte,



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war meine Frau überzeugt, daß ich um ihr nächtliches Abenteuer wußte. Und sofort geriet sie in die höchste Wut; ihr Gesicht ward rot wie Feuer, ihre Augäpfel traten aus ihren Höhlen hervor, und der Schaum kam ihr aus dem Munde in ihrer wilden Raserei. Als ich sie in diesem Zustande sah, erschrak ich, und meine Sinne und mein Verstand verließen mich vor lauter Entsetzen. Sie aber nahm in ihrer rasenden Leidenschaft eine Schale mit Wasser, die neben ihr stand, tauchte ihre Finger hinein und murmelte einige Worte, die ich nicht verstehen konnte; dann sprengte sie einige Tropfen auf mich und rief: ,Verruchter, der du bist! Für diese deine Frechheit und Verräterei sollst du auf der Stelle in einen Hund verwandelt werden.' Sofort war ich verzaubert, und sie ergriff einen Stab und begann, mich damit so unbarmherzig zu schlagen, daß sie mich dem Tode nahe brachte. Ich lief von Zimmer zu Zimmer umher, aber sie verfolgte mich mit dem Stab und hieb mit aller Macht und Kraft unaufhörlich auf mich ein, bis sie fast erschöpft war. Schließlich stieß sie die Tür zur Straße halb auf, und ich lief dorthin, um mein Leben zu retten; da wollte sie die Tür mit Gewalt zuschlagen, um mir die Seele aus dem Leibe zu pressen. Doch ich erkannte ihre Absicht und vereitelte sie; freilich mußte ich die Spitze meines Schwanzes zurücklassen. Da heulte ich jämmerlich, doch ich entrann weiteren Schlägen und hielt mich noch für glücklich, daß ich ihr ohne gebrochene Knochen entkam. Als ich nun auf der Straße stand, immer noch winselnd und von Schmerz gequält, stürzten sich sofort die Hunde des Stadtviertels, da sie einen fremden Hund erblickten, bellend und beißend auf mich; und ich lief, den Schwanz zwischen den Beinen, den Marktplatz entlang und rannte in den Laden eines Mannes, der Köpfe und Füße von Schafen und Ziegen verkaufte; dort kroch ich weiter und verbarg



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mich in einem dunklen Winkel. Der Ladenbesitzer hatte zwar Gewissensbedenken, da er alle Hunde für unrein hielt. aber er hatte doch Mitleid mit meiner erbärmlichen Lage, und er trieb die kläffenden und zähnefletschenden Köter fort, die mir in den Laden folgen wollten. So war ich nun der Todesgefahr entronnen und verbrachte die ganze Nacht in meinem Winkel verborgen. Früh am nächsten Morgen ging der Fleischer aus, um seine gewohnte Ware einzukaufen, Köpfe und Füße von Schafen; und als er mit einem großen Vorrat davon zurückkam, begann er sie in dem Laden zum Verkauf auszulegen. Wie ich nun ein ganzes Rudel von Hunden, die durch den Fleischgeruch angelockt waren, sich dort versammeln sah, schloß ich mich ihnen an. Der Ladenbesitzer aber, der mich unter den zottigen Kötern erblickte, sprach bei sich: ,Dieser Hund hat nichts gefressen seit gestern, als er hungrig kläffend in meinen Laden lief und sich dort versteckte.' Dann warf er mir ein ziemlich großes Stück Fleisch zu, doch ich verschmähte es und lief zu ihm hin und wedelte mit dem Schwanz, damit er erkennen sollte, daß ich bei ihm zu bleiben und durch seinen Laden beschützt zu werden wünschte; er glaubte jedoch, ich hätte mich schon satt gefressen, und ergriff einen Stab, drohte mir und jagte mich von dannen. Als ich einsah, daß der Fleischer sich nicht mehr um mich kümmern wollte, trabte ich fort, und indem ich hierhin und dorthin lief, kam ich alsbald zu einer Bäckerei und blieb vor der Tür stehen, durch die ich den Bäcker beim Frühstück sitzen sah. Obgleich ich nicht zu erkennen gab, daß ich etwas zu fressen begehrte, warf er mir doch ein Stück Brot zu; anstatt es aber aufzuschnappen und gierig zu verschlingen, wie es die Art aller Hunde ist, der vornehmen und der geringen, lief ich damit auf ihn zu, schaute ihm ins Gesicht und wedelte mit dem Schwanz, um meinen



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Dank zu zeigen. Er freute sich über mein wohlerzogenes Benehmen und lächelte mich an; darauf begann ich, obwohl ich ganz und gar nicht hungrig war, nur ihm zu Gefallen das Brot zu essen, Bissen für Bissen, langsam und gemächlich, um meine Achtung zu zeigen. Da hatte er noch mehr Freude an meinem Benehmen und wünschte mich in seinem Laden zu behalten: wie ich seine Absicht bemerkte, setzte ich mich an der Tür nieder und blickte ihn aufmerksam an, und dadurch erkannte er. daß ich von ihm nur seinen Schutz begehrte. Darauf streichelte er mich und nahm mich in seine Obhut und behielt mich als Wächter für seinen Laden; ich wollte aber nicht eher sein Haus betreten, als bis er mir vorangegangen war; er zeigte mir auch, wo ich des Nachts liegen sollte, und fütterte mich gut bei jeder Mahlzeit und behandelte mich mit aller Freundlichkeit. Ich meinerseits pflegte jede seiner Bewegungen zu beobachten und legte mich stets nieder oder stand auf, wie er es mir befahl; und wenn er seine Wohnung verließ, jedesmal wenn er irgendeinen Gang machte, nahm er mich mit sich. Wenn er je ausging, während ich schlief, und er mich nicht fand, so stand er draußen auf der Straße still und rief mich laut: ,Bacht! Bacht!'; denn diesen Glücksnamen hatte er mir gegeben. Sobald ich ihn hörte, eilte ich hinaus und sprang lustig vor der Tür; und wenn er ausging, um frische Luft zu schöpfen, so lief ich neben ihm her, und bald sprang ich voraus, bald folgte ich ihm, und immer blickte ich ihm von Zeit zu Zeit ins Gesicht. So verging einige Zeit, während deren ich bei ihm in allem Behagen lebte. Eines Tages aber begab es sich, daß eine Frau zu der Bäckerei kam, um sich Brot zu kaufen, und dem Bäcker einige Dirhems in Zahlung gab, von denen einer schlechte Münze war, während die anderen gut waren. Mein Herr prüfte all die Silber-



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stücke, und als er das falsche Geldstück erkannte, gab er es zurück und verlangte einen echten Dirhem dafür; die Frau aber fing an zu zanken und wollte es nicht zurücknehmen, sondern schwor, es sei echt. Der Bäcker sagte: ,Dieser Dirhem ist ohne allen Zweifel wertlos; sieh meinen Hund dort, er ist zwar nur ein Tier, aber paß auf, er wird dir sagen, ob dies ein echtes oder ein falsches Silberstück ist.' Dann rief er mich bei meinem Namen: ,Bacht! Bacht!', und alsbald sprang ich auf und lief zu ihm hin; und er warf all die Geldstücke vor mich auf den Boden, indem er rief: ,Da, sieh dir diese Dirhems an, und wenn eine falsche Münze unter ihnen ist, so leg sie abseits von all den anderen!' Ich schaute die Silberstücke an, eins nach dem andern, und fand das unechte; darauf schob ich es auf eine Seite und all die übrigen auf die andere, legte meine Pfote auf das falsche Silberstück und wedelte mit meinem Schwanzstumpfe, indem ich meinen Herrn ansah. Der Bäcker war über meinen Scharfsinn entzückt; und die Frau ihrerseits, höchlichst erstaunt über das, was geschehen war, nahm den falschen Dirhem zurück und zahlte einen echten an seiner Statt. Nachdem die Käuferin sich entfernt hatte, rief mein Herr seine Nachbarn und Gevattern zusammen und erzählte ihnen dies Begebnis; da warfen sie denn gute und falsche Münzen vor mich auf den Boden, damit ich sie anschaute und sie mit eigenen Augen sähen, ob ich so klug wäre, wie mein Herr von mir behauptete. Viele Male nacheinander suchte ich das falsche Geldstück unter den echten heraus und setzte meine Pfote darauf, ohne mich ein einziges Mal zu versehen. Da gingen alle erstaunt von dannen und erzählten die Geschichte jedem einzelnen, den sie sahen; und so verbreitete sich die Kunde von mir überall in der Stadt. Jenen ganzen Tag verbrachte ich damit, daß ich echte und falsche Dirhems auseinander las. Und von jenem



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Tage an hielt der Bäcker mich noch höher in Ehren, und all seine Freunde und Bekannten sagten scherzend: ,In dem Hunde da hast du wirklich einen ganz ausgezeichneten Geldwechsler!' Und manche beneideten meinen Herrn um das Glück, daß er mich in dem Laden hatte, und versuchten oft, mich fortzulocken, aber der Bäcker behielt mich bei sich und wollte nie dulden, daß ich von seiner Seite wich; denn mein Ruhm brachte ihm eine Schar von Kunden aus allen Teilen der Stadt, selbst aus den fernsten. Wenige Tage darauf kam eine andere Frau, um Brot in unserem Laden zu kaufen, und sie zahlte dem Bäcker sechs Dirhems, von denen einer wertlos war. Mein Herr reichte sie mir, um sie zu proben und zu prüfen, und alsbald nahm ich das falsche Stück heraus; dann legte ich meine Pfote darauf und blickte der Frau ins Gesicht. Dadurch wurde sie verwirrt, und sie gestand, daß es gefälscht war, und lobte mich, weil ich es entdeckt hatte; als sie nun fortging, machte mir ebendiese Frau Zeichen, ich sollte ihr folgen, ohne daß der Bäcker darum wüßte. Ich hatte inzwischen unaufhörlich zu Allah gebetet, er möchte mir irgendwie meine menschliche Gestalt wiedergeben, und hatte immer gehofft, irgendein frommer Diener des Allmächtigen würde meinen jämmerlichen Zustand erkennen und mir Hilfe bringen. Wie also jene Frau sich noch einige Male umwandte und mich ansah, war ich in meinem Innersten überzeugt, daß sie wußte, wie es um mich stand; deshalb behielt ich sie im Auge, und als sie das sah, kam sie zurück, ehe sie noch viele Schritte getan hatte, und winkte mir, ihr zu folgen. Ich verstand ihr Zeichen, schlich mich von dem Bäcker fort, der damit beschäftigt war, den Ofen zu heizen, und folgte ihr auf den Fersen. Sie war über die Maßen froh, als sie sah, daß ich ihr gehorchte, und eilte schnurstracks mit mir nach Hause; nachdem wir dort eingetreten



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waren, verschloß sie die Tür und führte mich in ein Gemach, in dem eine schöne Jungfrau saß, mit gestickten Gewändern bekleidet, und nach ihren Zügen hielt ich sie für die Tochter der guten Frau. Diese Maid nun war in allen Zauberkünsten bewandert, und also sprach die Mutter zu ihr: ,Liebe Tochter, hier ist ein Hund, der falsche Dirhems von echten unterscheiden kann. Schon als ich zum ersten Male von diesem Wunder hörte, dachte ich mir, dies Tierchen müßte ein Mensch sein, den irgendein gemeiner und grausamer Wicht in einen Hund verwandelt habe. Deshalb beschloß ich heute, mir dies Tier anzusehen und es auf die Probe zu stellen, wenn ich Brot in dem Laden jenes Bäckers kaufte, und siehe da, es hat sich aufs schönste bewährt und Probe und Prüfung bestanden. Sieh dir diesen Hund genau an, liebe Tochter, und schau, ob er wirklich ein Tier ist oder ein Mensch, der durch Zauberkunst in ein Tier verwandelt ist!' Die junge Dame, die ihr Gesicht verschleiert hatte', schaute mich darauf genau an und rief alsbald: ,Liebe Mutter, es ist, wie du sagst, und ich will es dir sogleich beweisen.' Dann erhob sie sich von ihrem Sitze, nahm ein Becken mit Wasser, und nachdem sie ihre Hand eingetaucht hatte, sprengte sie einige Tropfen auf mich, indem sie sprach: ,Wenn du als Hund geboren bist, so bleibe ein Hund! Bist du aber als Mensch geboren, so nimm denn durch die Kraft dieses Wassers deine menschliche Form und Gestalt wieder an!' Im selben Augenblick verwandelte ich mich aus der Gestalt eines Hundes wieder in ein menschliches Wesen, und ich fiel der Jungfrau zu Füßen und küßte den Boden vor ihr, um ihr zu danken. Dann küßte ich den Saum ihres Gewandes und rief: ,Meine Gebieterin, du bist über die Maßen gütig gewesen



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gegen einen Fremden, der dir ganz unbekannt war. Wie kann ich Worte finden, um dir zu danken und dich zu segnen, wie du es verdienste Sage mir jetzt, ich bitte dich, wie und wodurch ich dir meine Dankbarkeit beweisen kann! Von heute an bin ich dir für deine Güte verpflichtet und bin dein Sklave geworden.' Dann erzählte ich ihr meine ganze Geschichte und berichtete ihr auch von Âminas Bosheit und von den Missetaten, die sie an mir verübt hatte; und ich sprach ihrer Mutter geziemenden Dank aus dafür, daß sie mich in ihr Haus gebracht hatte. Nun sprach die Jungfrau zu mir: SÎ&Nu'mân, ich bitte dich, spende mir nicht so überschwenglichen Dank; vielmehr bin ich selbst erfreut und dankbar, daß ich jemandem, der es so verdient wie du. diesen Dienst erweisen konnte. Ich bin lange Zeit mit deiner Frau Amina vertraut gewesen, ehe du dich ihr vermähltest; ich wußte auch, daß sie in der Zauberei erfahren ist, und auch sie weiß um meine Kunst, da wir beide bei einer und derselben Meisterin der Geheimwissenschaft in der Lehre waren. Wir trafen uns manchmal als Freundinnen im Badehaus; aber da sie von üblem Wesen und von übler Art war, so lehnte ich es ab, noch weiter mit ihr zu verkehren. Glaube nicht, daß es mir genügt, wenn ich dich deine Gestalt habe wiedergewinnen lassen, so wie sie ehedem war! Nein, wahrlich, ich muß auch gebührende Rache an ihr nehmen wegen des Bösen, das sie dir angetan hat. Und das will ich durch dich tun, so daß du Gewalt über sie gewinnst und in deinem eigenen Haus und Hof wieder Herr bist. Warte hier eine Weile, bis ich wiederkomme!' Mit diesen Worten trat die Jungfrau in ein anderes Gemach, während ich sitzen blieb und mit ihrer Mutter plauderte und ihre Vortrefflichkeit und Güte gegen mich rühmte. Die alte Dame erzählte mir auch von seltsamen und merkwürdigen Wundertaten, die ihre Tochter



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in reiner Absicht und mit erlaubten Mitteln verrichtet hatte. bis die Maid mit einer Kanne in der Hand zurückkam und sprach: ,Sîdi Nu'mân, meine Zauberkunst sagt mn, daß Amina zu dieser Stunde nicht zu Hause ist, aber bald dorthin zurückkehren wird. Seither verstellt sie sich vor den Dienern und heuchelt Kummer über die Trennung von dir; sie hat behauptet, du seiest, als du mit ihr zu Tische saßest, plötzlich aufgestanden und in irgendeiner wichtigen Angelegenheit fortgeeilt; dann sei plötzlich ein Hund durch die offene Tür hereingelaufen, und sie habe ihn mit einem Stock fortgejagt.' Darauf gab die Maid mir einen kleinen Krug voll von dem Wasser und fuhr fort: ,Sîdi Nu'mân, geh nun zu deinem eigenen Hause und warte, indem du diesen Krug bei dir behältst, geduldig auf Animas Rückkehr! Bald wird sie heimkehren, doch wenn sie dich sieht, wird sie sehr erschrecken und wird eilen, dir zu entkommen; aber ehe sie hinausgelangt, sprenge einige Tropfen aus diesem Becher auf sie und sprich diese Zauberformeln. die ich dich lehren will! Mehr brauche ich dir nicht zu sagen; du wirst mit eigenen Augen sehen, was dann geschehen wird.' Nachdem die junge Herrin also gesprochen hatte, lehrte sie mich Zauberformeln, die ich mir ganz fest in mein Gedächtnis einprägte, und danach nahm ich Abschied von beiden und sagte ihnen Lebewohl. Als ich mein Haus erreicht hatte, geschah alles genau so, wie die junge Zauberin mir gesagt hatte; ich hatte auch nur eine kurze Zeit im Hause zu warten, bis Amina eintrat. Ich hielt den Krug in der Hand, und als sie mich erblickte, begann sie zu zittern und zu beben und wollte sogleich entrinnen; doch ich besprengte sie rasch mit einigen Tropfen und sprach die Zauberworte; da ward sie in eine Stute verwandelt, in ebenjenes Tier, das deine Hoheit gestern zu beachten geruhte. Ich war sehr verwundert,



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als ich diese Verwandlung sah, ergriff aber die Stute, an der Mähne, führte sie in den Stall und band sie mit einer Halfter fest. Dann überhäufte ich sie mit Vorwürfen wegen ihrer Bosheit und ihres gemeinen Tuns, und ich schlug sie mit einer Peitsche, bis mein Arm lahm ward. Und nun beschloß ich in meinem Herzen, sie jeden Tag in rasender Eile um den Platz zu jagen und ihr so die gerechte Strafe zuteil werden zu lassen.'

Da schwieg Sîdi Nu'mân still, nachdem er seine Geschichte zu Ende erzählt hatte; aber alsbald fuhr er fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich hoffe, du bist nicht ungehalten wegen dieses meines Tuns, ja, ich glaube, du würdest ein solches Weib noch härter strafen, als ich es tue.' Darauf küßte er den Saum von des Kalifen Gewand und schwieg wiederum; und als Harün er-Raschîd erkannte, daß jener alles gesagt hatte, was er zu sagen hatte, rief er: ,Wirklich und wahrhaftig, deine Geschichte ist über die Maßen seltsam und merkwürdig. Die Missetaten deiner Frau sind nicht zu entschuldigen, und deine Vergeltung deucht mich angemessen und gerecht zu sein. Doch ich möchte dich noch eins fragen: Wie lange willst du sie so züchtigen, und wie lange soll sie in Tiergestalt bleiben? Es wäre doch wohl besser, wenn du die junge Herrin aufsuchtest, durch deren Zauberkunst deine Frau verwandelt wurde, und sie bätest. ihr die menschliche Gestalt wiederzugeben. Und doch fürchte ich sehr, daß diese Zauberin, diese Ghûla, wenn sie sich in die Gestalt einer Frau zurückverwandelt sieht und ihre Beschwörungen und Zaubereien wieder aufnimmt, dir vielleicht, wer weiß, mit einem noch größeren Unheil vergilt, als sie dir zuvor angetan hat, und daß du dann nicht imstande sein möchtest, diesem zu entrinnen.' So unterließ der Beherrscher der Gläubigen es denn, auf dieser Angelegenheit zu bestehen, wiewohl er von



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Natur mild und barmherzig war; und indem er den dritten Mann anredete, den der Wesir vor ihn gebracht hatte, sprach er: ,Als ich in demunddem Stadtteile umherging, wunderte ich mich, dein Haus zu sehen, so groß und prächtig ist es; und wie ich mich bei den Städtern erkundigte, antworteten mir alle insgesamt, daß der Palast jemandem nämlich dir -gehöre, der Chawâdscha Hasan heiße. Sie fügten hinzu, du seiest ehedem über die Maßen arm und bedürftig gewesen, doch Allah der Erhabene habe dir reichere Mittel verliehen und dir jetzt Reichtum in solcher Fülle gesandt, daß du dir den herrlichsten Bau errichten konntest; ferner seiest du, obwohl du ein so fürstliches Haus und solchen Überfluß an Reichtum besäßest, doch nicht deines früheren Standes uneingedenk, und du verschwendest deinen. Besitz nicht in schwelgerischem Leben, sondern mehrest ihn durch rechtmäßigen Handel. Die ganze Nachbarschaft spricht gut von dir, und nicht ein einziger von den Leuten hat etwas wider dich zu sagen; deshalb möchte ich jetzt von dir die Wahrheit über all diese Dinge erfahren und von deinen eigenen Lippen hören, wie du diesen Überfluß an Reichtum gewonnen hast. Ich habe dich vor mich berufen, damit ich durch eigenes Hören von all diesen Dingen sicher unterrichtet werde; drum fürchte dich nicht, mir deine ganze Geschichte zu erzählen; ich wünsche nichts von dir, als von diesem deinem Schicksal Kunde zu haben. Genieße du nach Herzenslust den Wohlstand, den Allah der Erhabene dir zu verleihen geruht hat, und laß deine Seele sich seiner freuen!' Also sprach der Kalif; und die huldreichen Worte beruhigten den Mann. Nun warf Chawâdscha Hasan sich vor dem Beherrscher der Gläubigen nieder, und nachdem er den Teppich zu Füßen des Thrones geküßt hatte, rief er: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich will dir getreulich Bericht erstatten von meinen



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Erlebnissen, und Allah der Erhabene sei mein Zeuge, daß ich nichts getan habe, was deinen Gesetzen und gerechten Geboten zuwider ist; denn dieser mein ganzer Reichtum kommt allein von der Gnade und Güte Allahs!' Darauf befahl Harûn er-Raschîd ihm von neuem, offen zu sprechen, und alsbald begann jener mit folgenden Worten


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