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Kapitel 

IWAN — JOHANNES


Dreißig der schönsten russischen Märchen

aus der Sammlung von

A. N. Afanasjev

Übertragen und durch eine Sinndeutung ergänzt von Friedel Lenz


IWAN ZAREWITSCH UND ELENA, DIE WUNDERSCHÖNE

In jenem Zarenreich - nicht in unserem Weltreich - lebte einmal ein Zar im Zarenreich, ein König im Königreich, der hatte zwei Kinder: einen Sohn, Iwan Zarewitsch, und eine Tochter, Elena, die Wunderschöne. Eines Tages erschien der Bär Eisenfell und fing an, die Untertanen zu verschlingen. Der Bär fraß die Menschen, und der Zar saß und dachte bei sich: wie soll ich meine Kinder retten? Er befahl, eine hohe, hohe Säule aufzurichten. Auf diese Säule setzte er Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, und Speise dazu für fünf Jahre.

Als der Bär alle Menschen verschlungen hatte, lief er in das Zarenschloß, aber weil er nichts mehr fand, fing er an, voller Wut an einem Reisigbesen zu nagen.

«Zernage mich nicht, du Bär Eisenfell», sagte der Reisigbesen, «geh lieber in das Feld. Dort wirst du eine hohe Säule sehen, und auf dieser Säule sitzen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne.»

Der Bär lief zu der Säule und fing an, daran zu rütteln. Iwan Zarewitsch erschrak und warf ihm etwas Nahrung hinab. Der Bär fraß es auf, legte sich nieder und schlief ein.

Als er eingeschlafen war, stiegen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, herab und liefen davon, liefen, ohne sich umzuschauen. Am Wege stand ein Pferd. «Roß, Roß, rette uns!» Als sie sich gerade auf das Pferd gesetzt hatten, holte der Bär sie ein. Er riß das Pferd in Stücke, nahm Iwan



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Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, in seinen Rachen und brachte sie zu der Säule zurück. Sie gaben ihm wieder etwas von ihrer Nahrung. Er fraß es auf, legte sich hin und schlief ein.

Als der Bär schlief, liefen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, davon, ohne sich umzusehen. Am Wege entlang liefen Gänse. «Gänse, Gänse, rettet uns!» Sie setzten sich auf die Gänse und flogen davon. Der Bär aber erwachte, holte sie ein, versengte die Gänse mit lodernden Flammen und brachte die Zarenkinder zur Säule zurück. Sie gaben ihm wieder Nahrung und er schlief abermals ein.

Als der Bär schlief, liefen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, fort, ohne sich umzusehen. Auf dem Wege stand ein dreijähriges Stierlein. «Stierlein, Stierlein, rette uns, hinter uns jagt der Bär Eisenfell!» «Setzt euch auf mich, Kinder! Du aber, Iwan Zarewitsch, wende das Gesicht zum Schwanze, und wenn du den Bären siehst, so sage es mir!»

Als der Bär sie einholte, sagte es Iwan Zarewitsch dem Stierlein, und das Stierlein drückte.., und verklebte dem Bären die Augen. Dreimal holte der Bär sie ein, dreimal verklebte ihm das Stierlein die Augen. Dann mußten sie einen Fluß durchschwimmen. Der Bär schwamm hinterher und ertrank.

Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, aber waren hungrig geworden. Da sprach das Stierlein zu ihnen: «Ihr müßt mich schlachten und essen! Meine Knochen aber sollt ihr sammeln und gegeneinanderschlagen. Aus meinen Knochen kommt das Männlein Kulatschok - klein wie ein Nagel und der Bart bis zum Ellenbogen.»

Die Zeit geht und geht - sie hatten das Stierlein aufgegessen und bekamen wieder Hunger. Da schlugen sie die Knöchlein leicht zusammen und das Männlein Kulatschok erschien. Nun gingen sie alle drei in den Wald. In diesem Walde stand ein Haus und dieses Haus gehörte den Räubern. Das Männlein Kulatschok erschlug die Räuber und ihren Hauptmann und verschloß sie alle in eine Kammer. Elena, der Wunderschönen, aber verbot er, die Kammer zu betreten. Sie jedoch hielt es nicht aus, schaute hinein und verliebte sich in den Kopf des Hauptmanns. Sie bat Iwan Zarewitsch, ihr Wasser des Lebens und Wasser des Todes zu bringen. Und kaum hatte ihr Iwan Lebens- und Todeswasser gebracht, erweckte Elena den Räuberhauptmann vom Tode. Die beiden kamen überein, Iwan Zarewitsch zu vernichten. Zuerst beschlossen sie, ihn nach Wolfsmilch auszusenden.

Iwan Zarewitsch und das Männlein Kulatschok gingen miteinander auf die Suche. Schließlich fanden sie eine Wölfin. «Wölfin, gib uns deine Milch!»

«Nur dann», sagte die Wölfin, «wenn ihr auch mein kleines Wölflein mitnehmt, denn es tut nichts, näßt nur und schmutzt und frißt umsonst das Brot.»



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Sie nahmen das Wölflein mit, kehrten zurück und brachten Elena die Milch, aber das Wölflein behielten sie für sich.

Da sahen die beiden, Elena und der Hauptmann, daß aus ihren Schlichen nichts geworden war, und sie schickten Iwan Zarewitsch abermals fort, um Bärenmilch zu holen.

Also gingen die beiden, Iwan Zarewitsch und das Männlein Kulatschok, fort, um Bärenmilch zu suchen, und schließlich fanden sie eine Bärin. «Bärin, gibst du deine Milch?»

«Gut», sagte die Bärin, «ich gebe sie euch. Aber nehmt auch mein kleines Bärlein mit, denn es tut nichts, näßt nur und schmutzt und frißt umsonst das Brot.»

Sie nahmen die Milch und das Bärlein und kehrten zurück. Elena, die Wunderschöne, bekam die Milch, und das Bärlein blieb bei Iwan Zarewitsch und dem Männlein Kulatschok. So war auch diese List umsonst.

Nun schickten sie Iwan Zarewitsch fort, um Löwenmilch zu holen. Iwan und das Männlein Kulatschok zogen aus, Löwenmilch zu suchen, und fanden auch schließlich eine Löwin. «Löwin, gib uns deine Milch!»

«Gut», sagte die Löwin, «ich gebe sie euch, aber nehmt auch mein Junges mit, denn es tut nichts, näßt nur und schmutzt und frißt umsonst das Brot.»

Sie kehrten zurück, gaben Elena die Milch und nahmen das Löwenjunge für sich.

Als der Hauptmann und Elena, die Wunderschöne, sahen, daß es nicht gelungen war, Iwan Zarewitsch zu vernichten, sandten sie Iwan Zarewitsch aus, die Eier des Feuervogels zu holen.

Iwan Zarewitsch und das Männlein Kulatschok zogen in die Welt hinaus, um diese Eier zu suchen, und fanden auch endlich den Feuervogel. Als sie ihm aber die Eier nehmen wollten, geriet der Feuervogel in Zorn und verschluckte das Männlein Kulatschok. Iwan Zarewitsch mußte ohne Eier nach Hause zurückkehren. Er kam zu Elena, der Wunderschönen, und erzählte ihr, daß er die Eier nicht erlangen konnte und der Feuervogel das Männlein Kulatschok verschluckt habe. Da freuten sich Elena, die Wunderschöne, und der Räuberhauptmann, denn sie meinten, ohne das Männlein Kulatschok könne Iwan Zarewitsch nichts tun, und sie gaben Befehl, ihn zu töten.

Iwan Zarewitsch aber hatte alles gehört und bat die Schwester, das Badhaus heizen zu lassen, denn er wollte sich vor dem Tode noch einmal waschen. Elena, die Wunderschöne, gab Befehl, die Badstube tüchtig zu heizen, und Iwan Zarewitsch ging hinein.

Nach einer Weile schickte sie ihre Boten, er solle sich mit dem Waschen beeilen, aber Iwan Zarewitsch hörte nicht darauf und wusch sich langsam und gemächlich rein.



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Auf einmal kamen das Wölflein, das Bärlein und das Löwenjunge gelaufen und riefen ihm zu, daß das Männlein Kulatschok sich aus der Gewalt des Feuervogels befreit habe und sogleich zu ihm käme. Iwan Zarewitsch befahl den Tieren, sich auf die Schwelle des Badhauses zu legen, und fuhr fort, sich zu waschen. Elena, die Wunderschöne, schickte wieder einen Boten, er solle sich mit dem Waschen beeilen, und wenn er nicht bald herauskäme, hole sie ihn selber. Iwan Zarewitsch aber hörte nicht darauf und wusch sich weiter. Elena, die Wunderschöne, wartete und wartete, schließlich aber wurde sie ungeduldig und ging mit dem Räuberhauptmann hin, um nachzusehen, was Iwan Zarewitsch dort treibe. Sie kam und sah, daß er sich immer noch wusch und gar nicht auf ihre Befehle hörte, wurde zornig und schlug ihm ins Gesicht.

Da plötzlich kam das Männlein Kulatschok zurück und befahl dem Wölflein, dem Bärchen und dem Löwenjungen, den Räuberhauptmann in Stücke zu zerreißen. Elena, die Wunderschöne, aber band er nackend fest an einen Baum, daß ihr Leib den Fliegen und Mücken preisgegeben war. Dann machte er sich auf und ging mit Iwan Zarewitsch auf die große breite Straße. Als sie so dahingingen, erblickten sie einen mächtigen Palast. «Iwan Zarewitsch, willst du dich nicht vermählen?» fragte das Männlein Kulatschok. «In diesem Palast lebt eine Heldenjungfrau, und die sucht einen Helden, der sie besiegen kann.»

Sie gingen auf den Palast zu. Nicht weit davon bestieg Iwan Zarewitsch ein Roß und das Männlein Kulatschok setzte sich hinter ihn, und sie forderten die Heldenjungfrau zum Kampfe heraus. Die Heldenjungfrau kam heraus, sie kämpften und kämpften, und sie schlug Iwan Zarewitsch auf die Brust. Beinahe wäre Iwan Zarewitsch vom Pferde gefallen, aber das Männlein Kulatschok hielt ihn fest. Endlich traf Iwan Zarewitsch die Heldenjungfrau mit der Lanze, und sie fiel sogleich vom Pferde herab. Als er sie vom Pferde geworfen hatte, sprach sie: «Nun, Iwan Zarewitsch, jetzt will ich mich mit dir vermählen!»

Aber schnell wird nur ein Märchen erzählt, nicht so schnell eine Tat getan.

Iwan Zarewitsch vermählte sich mit der Heldenjungfrau.

«Iwan Zarewitsch», sprach das Männlein Kulatschok, «wenn du in der ersten Nacht ohnmächtig wirst, so komme schnell heraus, ich werde dir helfen.»

Iwan Zarewitsch ging mit der Heldenjungfrau schlafen. Auf einmal legte sie ihm ihre Hand auf die Brust und Iwan wurde es schwach. Er bat, ob er hinausgehen dürfe. Und als er hinausgegangen war, rief er das Männlein Kulatschok und flüsterte ihm zu, daß ihn die Heldenjungfrau erdrücken wolle. Das Männlein ging zu der Heldenjungfrau hinein, schlug sie und murmelte dabei: «Ehre deinen Mann, ehre deinen Mann!»



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Von dieser Zeit an lebten Iwan Zarewitsch und die Heldenjungfrau zusammen, und sie lebten im Guten, und das Gute mehrte sich.



***
Als eine Zeit vergangen war, bat die Heldenjungfrau Iwan Zarewitsch, er möge Elena, die Wunderschöne, vom Baume losbinden und sie zu sich nehmen. Iwan Zarewitsch tat es, ließ sie losbinden und zu sich führen. Lange lebte Elena, die Wunderschöne, bei ihnen.

Eines Tages sprach Elena, die Wunderschöne, zu Iwan Zarewitsch: «komm, Brüderchen, ich werde dir den Kopf absuchen!»

Sie fing an zu suchen und stieß ihm einen toten Zahn hinein. Iwan fing an zu sterben.

Das Löwenjunge sah, daß Iwan Zarewitsch starb, und zog ihm den toten Zahn heraus. Iwan Zarewitsch begann zu leben, das Löwenjunge aber fing an zu sterben.

Das sah das Bärenjunge und zog dem Löwenjungen den toten Zahn heraus. Das Löwenjunge begann zu leben, und das Bärchen fing an zu sterben.

Da lief der Fuchs - sah, daß das Bärenjunge am Sterben lag, und zog ihm den toten Zahn heraus. Und weil ein Fuchs schlauer ist als alle anderen Tiere, so warf er sofort den Zahn weg. Er flog auf eine heiße Bratpfanne und zerfiel in Stücke.

Da nahm Iwan Zarewitsch Elena, die Wunderschöne, band sie an den Schweif eines Heldenrosses und jagte sie ins freie Feld.

Ich bin auch dabei gewesen und habe das alles gesehen. Ich habe Honigmet getrunken - es lief mir über den Bart, aber es kam nichts in meinen Mund.


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