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Kapitel 

IWAN — JOHANNES


Dreißig der schönsten russischen Märchen

aus der Sammlung von

A. N. Afanasjev

Übertragen und durch eine Sinndeutung ergänzt von Friedel Lenz


DIE MILCH DER TIERE

Vor Zeiten lebte einmal ein König, der hatte einen Sohn und eine Tochter. Ober das benachbarte Königreich kam großes Unheil: das ganze Volk starb. Da bat der Königssohn Johannes: «Vater, gib mir deinen Segen, ich will in jenes Königreich ziehen, um dort zu leben.» Aber der Vater wollte nicht.

«Dann werde ich von selber gehen», sprach der Königssohn und rüstete zur Reise. Seine Schwester aber wollte nicht von ihm lassen und begleitete ihn.

Sie gingen und gingen und kamen auf ein freies Feld. Sieh, da stand ein Häuschen auf Hühnerfüßchen, das drehte und drehte sich um sich selber.

Königssohn Johannes sprach: «Häuschen, Häuschen, stelle dich nach der alten Weise, so, wie die Mutter dich hingestellt hat!»

Das Häuschen stand still, und sie traten hinein. Drinnen lag die Baba



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Jaga, in der einen Ecke die Füße, in der andern den Kopf, die Lippen auf dem Türbalken und oben an der Decke die Nase. «Sei gegrüßt, Königssohn Johannes, hast du eine Tat vor dir, oder hast du Taten hinter dir?»

«Ich habe allerlei Taten hinter mir, aber ich habe auch Taten vor mir. Ich weiß ein Reich, darin ist das Volk ausgestorben, ich gehe hin, um dort zu leben.»

«Du gehe hin», sprach die Baba Jaga, «aber die Schwester hast du zu Unrecht mitgenommen, sie wird dir großen Schaden tun.»

Sie gab ihnen zu essen und zu trinken und legte sie zum Schlafen nieder.

Am anderen Morgen machten sich Bruder und Schwester auf den Weg. Die Baba Jaga gab dem Königssohn ein Hündlein und ein blaues Knäuelchen: «Wohin das Knäuelchen rollen wird, dahin geht dein Weg!»

Das Knäuelchen rollte und rollte zu einem anderen Häuschen, das gerade so auf Hühnerfüßchen stand. «Häuschen, Häuschen, stelle dich nach der alten Weise, so wie die Mutter dich hingestellt hat!»

Das Häuschen stand still, und der Königssohn und die Königstochter traten ein.

Drinnen lag die Baba Jaga und fragte: «Königssohn Johannes, hast du Taten hinter dir, oder hast du Taten vor dir?»

Er erzählte ihr, warum und wohin er geht.

«Daß du selber gehst, ist recht», sagte die Baba Jaga, «aber die Schwester hast du zu Unrecht mitgenommen, sie wird dir viel Schaden zufügen.»

Die Baba Jaga gab den beiden zu essen und zu trinken und legte sie schlafen. Am Morgen schenkte sie dem Königssohn ein Hündlein und ein Handtuch. «Auf deinem Weg wirst du an einen großen Fluß kommen, da kann man nicht hinüber gehen. Nimm du dies Handtuch und schwenke das eine Ende, sofort wird eine Brücke erscheinen. Geh hinüber und schwenke das andere Ende, so wird die Brücke wieder verschwinden. Aber sieh dich vor und schwenke das Handtuch heimlich, damit die Schwester es nicht sieht!»

Königssohn Johannes begab sich auf den Weg, wohin das Knäuelchen rollte, dahin ging er und die Schwester mit ihm. Sie kamen an einen breiten, breiten Fluß. «Brüderchen», sagte die Schwester, «setzen wir uns nieder, um auszuruhen!»

Sie setzte sich hin, Königssohn Johannes aber schwenkte heimlich das Handtuch, und sofort erstand eine Brücke. «Komm, Schwesterchen, komm, Gott hat uns eine Brücke gegeben, damit wir auf die andere Seite gehen können.» Als sie drüben waren, schwenkte der Königssohn heimlich das andere Ende des Handtuchs, und die Brücke verschwand, als ob sie nie gewesen wäre.



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Und nun waren sie in dem Reich. in dem das Volk ausgestorben war. Niemand war da, alles war leer. Sie blieben da und fingen an, sich einzuleben.

Der Bruder ging auf die Jagd und streifte mit seinen Hunden durch Wälder und Sümpfe.

Um diese Zeit kam der Drache Gorynytsch zu dem Flusse geflogen, schlug auf die feuchte Erde und verwandelte sich in einen so schönen Jüngling, daß man es sich nicht vorstellen, nicht ausdenken - eben nur in einem Märchen erzählen kann. Er lockte die Königstochter herbei und rief: «Vor Sehnsucht nach dir bin ich fast vergangen, ich kann ohne dich nicht leben!»

Die Königstochter wurde von Liebe ergriffen und rief ihm zu: «Fliege über den Fluß zu mir!»

«Ich kann nicht hinüber!»

«Was könnte ich dazu tun?»

«Dein Bruder besitzt ein Handtuch, nimm es und schwenke das eine Ende!»

«Er wird es mir nicht geben!»

«Nun, so überliste ihn, sage ihm, daß du es waschen willst!»

Die Königstochter kehrte heim ins Schloß, und zur selben Zeit kam auch der Bruder von der Jagd zurück. Er hatte allerlei Wild mitgebracht und gab es der Schwester für den andern Tag zum Mittagsmahl.

«Brüderchen, hast du nicht etwas Wäsche zu waschen?»

«Geh in meine Kammer, Schwesterchen. dort wirst du etwas finden», sprach Königssohn Johannes und vergaß das Handtuch der Baba Jaga, das sie verboten hatte, der Königstochter zu zeigen. Die Königstochter aber nahm das Handtuch an sich.

Am andern Tage begab sich der Bruder auf die Jagd, die Schwester aber ging zum Flusse hinab. Sie schwenkte das eine Ende des Handtuchs, und im selben Augenblick erstand die Brücke. Der Drache kam über die Brücke, sie liebkosten einander, küßten sich und gingen zusammen ins Schloß. «Wie könnten wir deinen Bruder vernichten?» sprach der Drache.

«Ich weiß es nicht, denke es dir selber aus», antwortete die Königstochter.

«Nun, so stelle dich krank und verlange Wolfsmilch von ihm. Wenn dein Bruder auszieht, um Wolfsmilch zu holen, dann verliert er vielleicht den Kopf.»

Der Bruder kehrte zurück. Die Schwester lag krank auf dem Bett, klagte und sprach: «Brüderchen, im Traum habe ich gesehen, daß ich von Wolfsmilch gesund geworden bin. Könnte man die nicht irgendwo finden? Sonst muß ich sterben!»

Der Königssohn ging in den Wald; da säugte eine Wölfin ihre Jungen. Er wollte sie erschießen, aber sie rief mit menschlicher Stimme: «Schieße



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nicht, Königssohn Johannes, vernichte mich nicht, mache meine Kindlein nicht zu Waisen! Sage mir lieber, was du brauchst.»

«Ich brauche deine Milch!»

«Gerne, melke sie dir, ich gebe dir noch ein Junges dazu, es wird dir treu und ehrlich dienen.»

Der Königssohn molk die Milch, nahm sich das Wölfchen und ging nach Hause. Der Drache sah ihn und sprach zur Königstochter: «Dein Bruder kommt zurück und bringt ein Wölfchen. Sage ihm nun, daß du die Milch des Bären brauchst.» Der Drache sprach es und verwandelte sich in einen Reisigwisch.

Der Königssohn trat in das Gemach, hinter ihm folgten die Hunde. Sie witterten den unreinen Geist und fingen an, den Reisigwisch zu zausen, daß die Reiser flogen.

«Was soll das heißen, Bruder, beschwichtige deine Meute, sonst habe ich nichts, womit ich morgen fegen kann!»

Königssohn Johannes beschwichtigte seine Meute und gab der Königstochter die Milch der Wölfin. Am Morgen fragte der Bruder: «Wie geht es dir, Schwesterchen?»

«Es geht mir ein wenig besser, aber wenn du, Brüderchen, mir Bärenmilch bringen würdest, würde ich ganz gesund werden.»

Der Königssohn ging in den Wald, da säugte eine Bärin ihre Jungen. Er legte an, um sie zu erschießen, aber sie flehte mit menschlicher Stimme: «Schieße nicht auf mich, Königssohn Johannes, mache meine Kindlein nicht zu Waisen, sage lieber, was du brauchst!»

Ich brauche deine Milch!»

«Gerne, und ich gebe dir dazu noch ein Bärchen.»

Der Königssohn molk sich die Milch, nahm das Bärchen und kehrte zurück. Der Drache sah ihn und sprach zur Königstochter: «Dein Bruder kommt, er bringt einen kleinen Bären. Wünsche dir nun noch Löwenmilch», sprach es und verwandelte sich in einen Ofenbesen. Und die Königstochter steckte ihn unter den Ofen. Plötzlich kam die Meute des Johannes, witterte den unreinen Geist, warf sich unter den Ofen und fing an, den Ofenbesen zu zausen.

«Brüderchen, beschwichtige deine Meute, sonst habe ich nichts, um morgen den Ofen zu fegen!»

Der Königssohn rief seine Hunde, sie legten sich unter den Tisch und knurrten. Am Morgen fragte der Königssohn Johannes: «Wie fühlst du dich, Schwesterchen?»

«Ach, es hat nichts geholfen, aber mir träumte heute Nacht, wenn du mir Milch von einer Löwin brächtest, würde ich gesund.»

Der Königssohn ging in einen dichten, dichten Wald, ging lange, lange.



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Endlich sah er eine Löwin, die säugte ihre Jungen. Er wollte sie erschießen, aber die Löwin rief mit menschlicher Stimme: «Schieße nicht, Königssohn Johannes, mache meine Kindlein nicht zu Waisen, sage lieber, was du brauchst!»

«Ich brauche deine Milch!»

«Gerne, ich gebe dir noch einen kleinen Löwen dazu.»

Der Königssohn molk die Milch, nahm einen kleinen Löwen und kehrte nach Hause zurück.

Der Drache Gorynytsch sah ihn und sprach zur Königstochter: «Dein Bruder kommt und bringt einen kleinen Löwen.» Und er fing an, darüber nachzugrübeln, wie man den Königssohn vernichten könne. Er sann und sann und endlich hatte er es. Er beschloß, den Königssohn in das dreimal zehnte Reich zu schicken. In diesem Reich steht eine Mühle, hinter zwölf eisernen Türen. Einmal im Jahr wird die Mühle geöffnet, aber nur für kurze Zeit. Kaum schaut man sich um, so schlagen die Türen wieder zu.

«Laß ihn versuchen, aus dieser Mühle das allerfeinste Mehl zu holen!» sagte der Drache zur Königstochter. Sagte es und verwandelte sich in einen Schürhaken, und die Königstochter warf ihn unter den Ofen. Der Königssohn trat ins Gemach, begrüßte die Schwester und gab ihr die Löwenmilch. Wieder witterten die Hunde den Drachen, warfen sich unter den Ofen und begannen am Schürhaken zu nagen.

«Ach Brüderchen, beruhige deine Meute, sie werden noch etwas zerbrechen!» »

Johannes rief seine Hunde, sie legten sich unter den Tisch, sahen böse nach dem Schürhaken und knurrten. Gegen Morgen wurde die Königstochter noch kränker, ächzte und stöhnte.

«Was ist mit dir, Schwesterchen», fragte der Bruder, «will dir die Milch denn gar nicht helfen?»

«Nicht im geringsten, Brüderchen.»

Und sie redete ihm zu, zu jener Mühle auszuziehen.

Königssohn Johannes trocknete sich Zwieback, rief seine Hunde und die übrigen Tiere und machte sich auf den Weg zur Mühle. Er mußte lange warten, bis die Zeit gekommen war und die zwölf Türen sich öffneten. Dann trat er in die Mühle hinein und mahlte schnell das feine Mehl. Kaum war er wieder herausgetreten, da fielen die Türen hinter ihm zu, aber die Tiere blieben in der Mühle eingeschlossen. Der Königssohn fing an, bitterlich zu weinen: «Nun sehe ich, daß der Tod mir nahe ist!»

Er kehrte nach Hause zurück. Der Drache sah, daß er allein kam, ohne die Tiere und sprach: «Nun fürchte ich ihn nicht mehr!» Er sprang ihm entgegen, sperrte seinen Rachen auf und rief: «Lange habe ich versucht dir beizukommen, Königssohn Johannes, endlich werde ich dich fressen!»



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«Warte mit dem Fressen, befiel lieber, daß ich mich zuerst in der Badstube wasche!»

Der Drache war einverstanden und befahl ihm, selber das Wasser zu tragen, das Holz zu hacken und die Badstube zu heizen.

Königssohn Johannes fing an Holz zu hacken und Wasser zu tragen. Da kam ein Rabe geflogen und krächzte: «Krah, krah, Königssohn Johannes, hacke das Holz, aber hacke nicht zu schnell, deine Tiere haben schon vier Türen durchgenagt!»

Johannes hackte das Holz, aber was er zerhackte, warf er ins Wasser. Jedoch die Zeit verrann und verann, es war nichts zu machen, man mußte den Ofen heizen. Wieder kam der Rabe geflogen und krächzte: «Krah, krah, Königssohn Johannes, heize die Badstube, aber heize nicht zu schnell, deine Tiere haben schon acht Türen durchgenagt!»

Johannes heizte die Badstube, fing an sich zu waschen und hatte nur den einen Gedanken: «Ach, wenn doch meine Tiere zur rechten Zeit erschienen!»

Da kam ein Hund gelaufen, — nun, zu zweien ist der Tod nicht schrecklich! Danach kamen alle anderen Tiere gesprungen.

Der Drache Gorynytsch hatte lange auf den Königssohn gewartet. Schließlich packte ihn die Ungeduld, und er kam selber zur Badstube. Da stürzten sich die Tiere auf ihn und zerrissen ihn in kleine Stücke. Königssohn Johannes sammelte alle Stücke, verbrannte sie im Feuer und streute die Asche auf das freie Feld. Dann begab er sich ins Schloß, gefolgt von seinen Tieren, um der Königstochter den Kopf abzuschlagen. Aber sie warf sich vor ihm auf die Knie, weinte und flehte, und der Königssohn richtete sie nicht. Er führte sie hinaus auf den Weg und setzte sie in eine steinerne Säule. Daneben legte er ein Bündel Heu und stellte zwei Bütten dazu. Die eine war voll Wasser, die andere leer. Und er sprach: «Wenn du dieses Wasser getrunken hast, das Heu gegessen und den Bottich gefüllt mit deinen Tränen, dann werden Gott und ich dir verzeihen.»

Königssohn Johannes ließ seine Schwester in der steinernen Säule zurück und wanderte mit seinen Tieren hinter das dreimal neunte Land. Er ging und ging und kam in eine ansehnlich große Stadt. Und sieh, die eine Hälfte des Volkes feierte Feste und sang Lieder, die andere aber weinte bittere Tränen. Da bat er ein altes Mütterchen um Herberge für die Nacht und fragte: .Sage, Großmütterchen, warum feiert eine Hälfte eures Volkes und singt Lieder, während die andere weint?»

«Ach», antwortete ihm die Alte, «in unserem See hat sich ein zwölfköpfiger Drache eingenistet, der kommt jede Nacht geflogen, um einen Menschen zu fressen. Wir haben eine bestimmte Reihenfolge eingerichtet, von welchem Ende der Reihe und an welchem Tage einer dem Drachen geopfert



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wird. Diejenigen, die ihr Opfer gebracht haben, feiern Feste, die anderen aber weinen Tränen.»

«Und wer ist jetzt an der Reihe?»

«Jetzt ist das Los auf die Königstochter selber gefallen. Der König hat nur eine einzige Tochter, und er muß sie hingeben. Er hat einen Aufruf erlassen: Wenn einer sich fände, der den Drachen tötet, so würde er ihm die Hälfte seines Reiches geben und die Königstochter zur Gemahlin. Aber wo gibt es heutzutage noch Helden? Für unsere Sünden sind sie alle dahingegangen.»

Der Königssohn sammelte seine Tiere und ging hinaus an den See. Am Ufer stand die wunderschöne Königstochter und weinte bittere Tränen.

«Fürchte dich nicht, o Königstochter, ich bin dein Beschützer!»

Da regte und bewegte sich der See, und es erschien der zwölfköpfige Drache. «Königssohn Johannes, du russischer Held, warum bist du hierher gekommen? Suchst du Kampf oder Frieden?»

«Warum Frieden? Ein russischer Held kommt nicht deshalb zu dir.» Und er hetzte seine Tiere auf den Drachen, die beiden Hunde, den Wolf, den Bären und den Löwen. Die Tiere packten ihn und zerrissen ihn im Augenblick in Stücke. Nun schnitt Königssohn Johannes aus allen zwölf Drachenköpfen die Zungen heraus und steckte sie in seine Tasche. Dann ließ er die Tiere laufen, legte seinen Kopf auf die Knie der Königstochter und schlief

Am frühen Morgen kam der Wasserträger mit seinem Faß gefahren. Er sah, daß der Drache getötet war, daß die Königstochter lebte und auf ihren Knien ein wackerer Jüngling schlief. Da lief er herzu, zog sein Schwert und schlug dem Königssohn den Kopf ab. Dann erzwang er den Schwur von der Königstochter, ihn als ihren Befreier zu nennen. Die Drachenköpfe brachte er zum König. Aber er wußte nicht, daß alle Köpfe ohne Zungen waren.

Ober kurz oder lang kehrten die Tiere zurück und fanden den Königssohn ohne Kopf daliegen. Da deckte ihn der Löwe mit grünem Grase zu und setzte sich daneben. Plötzlich kamen Raben mit ihren Jungen herbeigeflogen, um an dem Leichnam zu picken. Geschickt fing der Löwe einen jungen Raben und tat, als wolle er ihn in zwei Hälften zerreißen. «Vernichte mein Junges nicht, es hat dir nichts getan! Wenn du etwas brauchst, befiehl nur, ich werde alles erfüllen.»

«Ich brauche Wasser des Lebens und Wasser des Todes, bringe es mir, und ich werde dir das Rabenjunge zurückgeben!»

Der Rabe flog davon, die Sonne war noch nicht untergegangen, da kehrte er wieder zurück und brachte zwei Bläschen mit Wasser des Lebens und Wasser des Todes. Der Löwe zerriß das Rabenjunge, besprengte es mit dem Wasser des Todes, und die Stücke schlossen sich wieder zusammen. Er



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besprengte es mit dem Wasser des Lebens, und das Junge belebte sich und flog hinter dem alten Raben her. Nun besprengte der Löwe den Königssohn Johannes mit dem Wasser des Todes und mit dem Wasser des Lebens. Der Königssohn stand auf und sprach: «Wie habe ich so lange geschlafen!»

«Du würdest in Ewigkeit schlafen, wenn ich nicht wäre», antwortete ihm der Löwe. Und er erzählte, wie er ihn tot gefunden hatte und ihm das Leben zurückgegeben habe.

Als Königssohn Johannes in die Stadt einzog, feierten dort alle Menschen ein Fest, umarmten sich, küßten sich und sangen Lieder. «Sag, Großmütterchen», fragte er die alte Frau, «warum seid ihr alle so fröhlich?»

«Sieh, was bei uns geschehen ist, der Wasserträger hat den Drachen besiegt und die Königstochter gerettet, und nun gibt ihm der König seine Tochter zur Gemahlin.»

«Ist es erlaubt, die Hochzeit anzusehen?»

«Wenn du spielen kannst, so geh, dort sind alle Spielleute eingeladen.»

«Ich verstehe die Gusli zu spielen.»

«Geh, die Königstochter liebt es gar sehr, daß man die Gusli spielt.»

Königssohn Johannes erhandelte sich eine Gusli und ging in das Schloß. Er begann zu spielen, und alle, die ihn hörten, staunten. «Woher kommt dieser wunderbare Spielmann?»

Die Königstochter füllte einen Becher mit Wein und reichte ihm den mit eigener Hand. Dabei schaute sie auf, gedachte ihres Befreiers und Tränen stürzten ihr aus den Augen.

«Warum weinst du», fragte der König.

«Ich erinnerte mich meines Befreiers.»

Da gab sich der Königssohn Johannes dem König zu erkennen. Er erzählte ihm alles, wie es gewesen war, und holte aus seiner Tasche die Drachenzungen heraus. Den Wasserträger aber ergriff man, führte ihn hinweg und tötete ihn.

Und Königssohn Johannes nahm die wunderschöne Königstochter zur Gemahlin.

In der Freude erinnerte er sich an seine Schwester und kehrte zurück zur steinernen Säule.

Die Königstochter hatte das Heu gegessen, das Wasser getrunken, und der leere Bottich war voll von ihren Tränen.

Königssohn Johannes verzieh ihr und nahm sie zu sich. Und sie fingen an, zusammen zu leben, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.


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