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Kapitel 

IWAN — JOHANNES


Dreißig der schönsten russischen Märchen

aus der Sammlung von

A. N. Afanasjev

Übertragen und durch eine Sinndeutung ergänzt von Friedel Lenz


IWAN POPJALOV —JOHANNES AUS DER ASCHE

Es lebten einmal ein alter Mann und eine alte Frau, die hatten drei Söhne. Zwei waren klug, einer war dumm. Der Dumme hieß Johannes und hatte den Namen Johannes aus der Asche. Er lag zwölf Jahre auf der Asche, danach stand er auf und schüttelte sich und schüttelte sechs Pud Asche heraus.

In dem Königreich, in dem Johannes aus der Asche lebte, war niemals Tag, sondern immer Nacht. Schuld daran war ein mächtiger Drache. Johannes aus der Asche erbot sich, diesen Drachen zu töten, und er sprach zu seinem Vater: «Vater, mache mir einen ganz schweren Knüttel, einen, der fünf Pud wiegt!»

Mit diesem Knüttel ging Johannes aus der Asche auf das Feld, warf ihn auf den Berg hinauf und kehrte nach Hause zurück. Am anderen Tage stellte er sich auf dasselbe Feld und hielt seine Stirn nach oben. Auf einmal kam der Knüttel herab, traf ihn auf die Stirne und brach mitten entzwei. Johannes



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aus der Asche ging nach Hause und sagte zum Vater: «Vater, mache mir einen anderen Knüttel, einen, der zehn Pud wiegt!»

Mit diesem Knüttel ging er in das Feld, schleuderte ihn in die Höhe, und der Knüttel flog drei Tage und drei Nächte lang. Am vierten Tage stellte sich Johannes aus der Asche an dieselbe Stelle und hielt ein Knie bereit. Der Knüttel kam zurück und zerbrach in drei Stücke. Johannes aus der Asche ging abermals zum Vater und drängte ihn: «Vater, mache mir einen dritten Knüttel, einen, der fünfzehn Pud wiegt!»

Er nahm den neuen Knüttel mit aufs Feld, warf ihn in die Höhe, und er flog sechs Tage und sechs Nächte lang. Am siebenten Tage trat Johannes an denselben Ort, und der Knüttel flog mit mächtigem Schlag gegen seine Stirn, sodaß der Kopf sich nach hinten bog. «Dies ist der rechte Knüttel», sprach Johannes aus der Asche, «der wird standhalten gegen den Drachen.»

Johannes aus der Asche tat sich mit seinen Brüdern zusammen, und sie zogen aus, den Drachen zu töten. Sie ritten und ritten -da stand ein Hüttchen auf Hühnerfüßchen, und in diesem Hüttchen lebte der Drache. Dort hielten sie an. Johannes hing seine Fäustlinge an die Wand und sagte zu seinen Brüdern: «Wenn von meinen Fäustlingen das Blut herabtropft, so kommt mir sofort zu Hilfe!» Nachdem er das gesagt hatte, setzte er sich unter den Fußboden des Hüttchens. Da kam der Drache mit den drei Köpfen. Vor dem Hüttchen stolperte sein Roß, sein Hund heulte, und sein Falke sträubte sich. Sprach der Drache: «Was stolperst du, mein Roß? Was heulst du, mein Hund? Und was sträubst du dich, mein Falke?»

«Wie sollte ich nicht stolpern», antwortete das Roß, «da doch unter dem Fußboden Johannes aus der Asche sitzt!»

«Komm heraus, Hänschen», rief der Drache, «wir wollen unsere Kräfte messen!»

Johannes aus der Asche kam heraus. Sie fingen an, sich zu schlagen, und Johannes aus der Asche erschlug den dreiköpfigen Drachen. Dann setzte er sich wieder unter den Fußboden.

Da kam der Drache mit den sechs Köpfen, und auch er ward von Johannes erschlagen. Danach erschien der dritte mit den zwölf Köpfen. Johannes aus der Asche fing an, mit ihm seine Kräfte zu messen. Er schlug ihm neun Köpfe ab, und die Kraft des Drachen ließ nach. Da sahen sie einen Raben fliegen, und der rief: «crof, crof -Blut, Blut!»

Der Drache sagte zum Raben: «Flieg zu meinem Weibchen, sie soll Johannes aus der Asche fressen!»

Johannes aus der Asche aber rief: «Flieg zu meinen Brüdern, sie sollen kommen, wir wollen den Drachen töten, und dir geben wir das Fleisch!»

Der Rabe hörte auf Johannes aus der Asche, flog zu den Brüdern und fing an, über ihren Köpfen zu krächzen. Die Brüder erwachten, hörten den Ruf



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des Raben und eilten Johannes zu Hilfe. Sie schlugen den Drachen tot, nahmen eins der zwölf Häupter mit, gingen zur Drachenhütte und zerschlugen das Haupt, und im ganzen Königreich wurde es hell und licht.

Nachdem sie nun den Drachen getötet hatten, ritt Johannes aus der Asche mit seinen Brüdern nach Hause. Aber sie vergaßen, die Fäustlinge mitzunehmen. Da hieß Johannes aus der Asche die Brüder warten und kehrte um, sie zu holen. Als er zur Hütte kam und nach den Handschuhen langte, sah er, daß das Weib des Drachen und die Drachentöchter drinnen saßen und schwatzten. Schnell verwandelte er sich in einen Kater und fing an, unter der Türe zu maunzen. Da ließen ihn die Drachenweiber herein, und Johannes aus der Asche hörte alles, was sie unter sich besprachen. Dann nahm er seine Fäustlinge und lief davon zu den Brüdern. Schnell bestieg er sein Pferd, und sie ritten miteinander weiter. Sie ritten und ritten. Auf einmal kamen sie an eine grüne Wiese, und auf dieser Wiese lagen seidene Kissen.

«Wollen wir hier nicht unsere Pferde weiden lassen und uns ein wenig ausruhen?» riefen die Brüder.

Johannes aus der Asche aber sprach: «Wartet, Brüder!», nahm seinen Knüttel und schlug auf die seidenen Kissen. Sieh, aus den Kissen floß Blut! Sie ritten weiter, ritten und ritten. Auf einmal stand ein Apfelbäumchen vor ihnen mit goldenen und silbernen Äpfeln.

«Wollen wir nicht jeder einen Apfel essen?» riefen die Brüder.

«Wartet, Brüder, ich versuche erst!» sprach Johannes, nahm seinen Knüttel und schlug auf den Apfelbaum, und aus dem Baume floß Blut! Sie ritten weiter, ritten und ritten. Plötzlich sprudelte vor ihnen eine Quelle.

«Wollen wir nicht Wasser trinken?» riefen die Brüder.

«Wartet, Brüder!» antwortete Johannes aus der Asche, nahm seinen Knüttel und schlug auf die Quelle. Sieh, aus dem Wasser kam Blut!

Die grüne Wiese mit den seidenen Kissen, das Apfelbäumchen und das Quellchen, das waren alles die Töchter des Drachen gewesen. Nachdem Johannes aus der Asche nun die Drachentöchter erschlagen hatte, ritt er mit seinen Brüdern weiter nach Hause.

Plötzlich hörten sie die Drachin selber hinter sich herkommen. Sie hatte ihren Rachen vom Himmel bis zur Erde aufgesperrt und wollte Johannes aus der Asche verschlingen. Aber Johannes und seine Brüder warfen ihr drei Pud Salz hinein. Die Drachin schluckte das Salz hinunter und meinte, es wäre Johannes aus der Asche. Aber als sie das Salz schmeckte und merkte, daß es nicht Johannes aus der Asche war, machte sie sich von neuem an die Verfolgung. Johannes aus der Asche sah, daß ihm Unheil drohte, spornte sein Roß und sprang in die Schmiede von Kosmas und Damian hinter die zwölf Türen. Aber auch die Drachin flog dahin und sagte zu Kosmas und Damian: «Gebt mir Johannes aus der Asche heraus!»



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«Da mußt du mit deiner Zunge die zwölf Türen durchlecken!» antworteten Kosmas und Damian, «dann kannst du ihn dir nehmen.»

Die Drachin fing an, die Türen zu lecken, Kosmas und Damian aber machten die eisernen Schmiedezangen rotglühend, und als die Drachin sich durch die zwölf Türen durchgeleckt hatte und ihre Zunge in die Schmiede hineinsteckte, faßten sie mit der Zange zu und erschlugen sie mit dem Schmiedehammer. Als sie sie erschlagen hatten, verbrannten sie den toten Drachenleib und streuten die Asche in den Wind. Dann ritten die drei Brüder miteinander nach Hause.

Und sie fingen an, miteinander zu leben, Feste zu feiern und Honigmet und Wein zu trinken.

Auch ich war dort
und trank den Wein,
übern Bart floß es,
in den Mund kam nichts hinein.


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