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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ZAIN EL-AS NAM'

Es ist mir berichtet worden, o König, daß einst in der Stadt Basra ein mächtiger Sultan lebte, der sehr reich war; doch er besaß gar keinen Sohn, der sein Erbe hätte werden können. Darum war dieser Sultan in Sorgen; und er begann, Almosen an die Armen und Bedürftigen zu verteilen, desgleichen auch Gaben an die Heiligen und Frommen, indem er nur dies eine durch sie erbat, daß ihm ein Sohn beschert werden möge. Und durch seine Wohltaten an den Armen und Elenden ward ihm sein Wunsch gewährt. Da versammelte er die Sterndeuter allesamt und mit ihnen die Männer, die des Sandzaubers' kundig waren, und sprach zu ihnen: ,Es ist mein Wunsch, daß ihr mir kundtut, ob das Kind, das mir in Bälde geboren werden soll, ein Knabe oder ein Mädchen sein wird, und wie sich sein Leben gestalten wird.' Die Sandzauberer warfen den Sand, und zugleich berechneten die Sterndeuter das Gestirn des Kindes, und dann hüben sie an: ,O größter König unserer Zeit, unseres Jahrhunderts und Zeitalters größter Mann im Herrscherkleid, das Kind, das dir von der Königin geboren werden soll, ist ein Knabe, und es geziemt sich, daß du ihn Zain el-Asnâm' nennst.' Und weiter sprachen die Sandzauberer: ,O größter König unserer Zeit, siehe, dieser Knabe wird ein Held werden; doch Ungemach und Mühsale werden über ihn kommen. Wenn er alles überwindet, was ihm vom Schicksal



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zuteil wird, so wird er der reichste König seiner Zeit werden.' Darauf erwiderte der Sultan: ,Da der Knabe ein Held sein wird, so werden die Schicksalsschläge für ihn nichts bedeuten; denn die Wechselfälle des Geschicks dienen den Söhnen der Könige zur Mahnung und lehren sie, weise zu handeln.' Als der Knabe heranwuchs, wurde er reich an Schönheit und Anmut - Preis sei Ihm, der ihn erschuf! — und so war er mit Recht Zain el-Asnâm genannt; er war wie jener, von dem die Dichter sangen:

Er kam; die Leute riefen: Allah sei gepriesen!
Ja, glorreich ist der Herr, der ihm Gestaltung gab.
Dies ist der König aller schönen Menschen;
Sie alle beugen sich vor seinem Herrscherstab.

Als er nun - o ihr Zuhörer -fünf Jahre alt war, brachte man ihm einen Lehrer, der in den Wissenschaften erfahren und in der Philosophie und anderen Kenntnissen bewandert war, so daß Zain el-Asnâm nunmehr ein Jüngling ward, der sich auf alle Wissenschaften der feinen Bildung und auf die Philosophie verstand und sogar die Meister seines Zeitalters übertraf. Da geschah es, daß der Sultan, sein Vater, erkrankte; und sein Siechtum war schwer und unheilbar, und er erkannte, daß der Tod ihn schon in seiner Gewalt hatte und daß die Ärzte ihm nichts mehr nützen konnten. So befahl er denn, seinen Sohn Zain el-Asnâm zu ihm zu bringen, und er versammelte auch die Großen seines Reiches und seine Wesire um sich. Darauf begann er seinem Sohne guten Rat und weise Lehren zu erteilen, in dem er zu ihm sprach: ,Mein Sohn, hüte dich davor, dem Armen ein Unrecht zu tun oder ihm kein Gehör zu leihen; verschaffe dem Armen sein Recht vor dem Reichen! Meide es, nur das zu glauben, was dir die Großen deines Reiches sagen; glaube vielmehr den Worten des Volks! Denn jene suchen



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dich zu betrügen, auf daß sie erreichen, was ihnen genehm ist; und sie lassen das Wohl des Volkes außer acht!' Dann tat er seinen letzten Atemzug. Sein Sohn Zain el-Asnâm trug nun sechs Tage lang die Kleider der Trauer um seinen Vater; darauf, am siebenten Tage, ging er hin und setzte sich auf den Thron der Herrschaft. Und er berief die Staatsversammlung; das war eine große Menge Volks, und alle traten heran, beglückwünschten ihn zu seiner Thronbesteigung und wünschten ihm Macht und langes Leben. Als Zain el-Asnâm sich nun in solcher Würde sah, kam sein jugendlicher Sinn wieder über ihn, und da er es liebte, Geld auszugeben und zu verschwenden, so gesellte er sich zu Jünglingen seinesgleichen und gab viel Geld aus, während er die Staatsgeschäfte vernachlässigte. Seine Mutter, die Königin, riet ihm von solchem Tun ab und suchte seinen Sinn auf die Verwaltung des Landes zu richten, damit er dem Volke nicht zur Last fiele und das Volk sich nicht wider ihn erhöbe. Doch er wollte nicht auf sie hören, so daß unter den Leuten ein großes Murren entstand ob der Ungerechtigkeit, die ihnen von seiten der Regierung widerfuhr; und sie wollten sich wider den Sultan erheben. Wäre seine Mutter nicht eine kluge Frau und bei dem Volke gar sehr beliebt gewesen. so wären sie damals nicht vor Zain el-Asnâm zurückgewichen. Darauf sprach sie zu ihm: ,Habe ich dir nicht gesagt, daß du dein Leben und dein Reich durch diesen Wandel verlieren wirst? Du hast die Leitung des Reiches in die Hände der jungen Leute gegeben und hast die Alten beiseite gelassen; und du hast dein Gut und das Staatsgut verschleudert.' Da ließ Zain el-Asnâm von seiner Torheit ab und übergab die Leitung des Reiches den alten Männern; dennoch blieb er bei seinem Tun, bis er das Gut des Reiches vertan hatte und ein armer Mann geworden war. Nun begann er zu bereuen, was er getan



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hatte, und Trauer kam über ihn, so daß er keine Ruhe mehr fand. Während er aber eines Nachts im Schlafe dalag, erschien ihm im Traume ein alter Mann, der sprach zu ihm: ,O Zain el-Asnâm, sei nicht traurig! Denn auf die Trauer folgt stets die Freude; und es gibt keine Not, der die Rettung nicht nahe wäre. Wenn es drum nicht anders möglich ist, so begib dich nach Kairo; dort wirst du Schätze von Reichtümern finden.' Nachdem er sich von seinem Ruhelager erhoben hatte, erzählte er den Traum seiner Mutter; die aber fing an zu lachen. Da sprach er zu ihr: ,Lache nicht! Ich muß jetzt nach Kairo gehen.' Doch sie erwiderte ihm: ,Nicht doch, mein Sohn! Glaube nicht an Träume; denn die sind alle nur trügerische Vorspiegelungen und Einbildungen.' ,Dies ist kein Traum,' sagte er darauf, ,und der mir erschienen ist, der ist kein Mann der Lüge; nein, er ist ein ehrwürdiger Mann, ich glaube, er war der Prophet -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, der meine Trauer gesehen hat. Darum ist es mir sicher, daß ich nicht unterlassen darf, dorthin zu gehen; denn ich habe Vertrauen zu diesem Manne, und seine Worte sind wahr.' Alsbald entkleidete er sich seiner Herrscherwürde und zog eines Nachts hinaus; und er ritt dahin auf dem Wege nach Kairo, Tag und Nacht, bis er in jene große Stadt kam. Dort ließ er sich in einer der Moscheen nieder, gänzlich ermattet, und nachdem er sich etwas zum Essen gekauft hatte, speiste er davon zu Nacht. Dann legte er sein müdes Haupt nieder und schlief ein. Kaum aber hatte er die Augen geschlossen, so erschien ihm der Alte wieder und sprach zu ihm: ,O Zain el-Asnâm, du hast getan, was ich dir gesagt habe, und hast meinen Worten vertraut. Ich habe dich nur auf die Probe stellen wollen, um zu erfahren, ob du ein Held bist oder nicht. Jetzt habe ich dich erkannt; und nun kehre du in deine Stadt zurück, denn ich will dich zu



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einem reichen König machen, so reich, wie keiner der Könige vor dir gewesen ist, noch einer nach dir sein wird.' Wie er dann aus seinem Schlafe erwachte, sprach er: ,Im Namen Allahs, des allbarmherzigen Erbarmers! Ist das nicht der Alte, der mir solche Mühe gemacht hat, von dem ich glaubte, er spräche die Wahrheit, und den ich für den Propheten hielt? Doch es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Ich habe gut daran getan, daß ich niemanden von meinem Fortgehen unterrichtete, nicht einmal meine Diener; ich habe diesem Alten geglaubt, und jetzt ist es mir klar, daß dieser Mann nicht zu den Menschen gehört, sondern zu denen, die Gott, den Hochgepriesenen, kennen. Er stellt mich heute wahrlich auf die Probe; darum will ich auch in meinem Glauben an diesen Alten nicht wankend werden!' Als es Morgen ward, bestieg er sein Roß und machte sich auf den Heimweg nach Basra, seiner Hauptstadt; und als er seine Stadt erreicht hatte, begab er sich bei Nacht zu seiner Mutter. Die fragte ihn, ob ihm etwas von dem, was der Alte ihm gesagt hatte, zuteil geworden sei; und sie begann ihm Trost zuzusprechen, indem sie sagte: ,Sei nicht traurig, mein lieber Sohn, wenn es dir bestimmt ist, so hat Allah etwas mit dir im Sinne. das du ohne Mühe erreichen wirst! Jetzt bitte ich dich, sei weise und tugendhaft, laß ab von den Dingen, die dich in diese Lage gebracht haben, als da sind Tanz und Gesang, Verschwendung und dergleichen mehr!' Da schwor er ihr, er wolle ihrer Mahnung nicht mehr zuwiderhandeln, sondern alle ihre Lehren wohl beachten und seinen Sinn auf das weise Handeln richten. Und dann ließ er ab von all diesen Dingen, von dem Verkehr mit den jungen Leuten und von all jenen Untugenden. In jener Nacht erschien ihm wiederum der Alte im Traum und sprach zu ihm: ,O



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Zain el-Asnâm, du tapferster der Helden, wenn du aus dem Schlafe erwachst, werde ich mein Versprechen an dir erfüllen. Nimm du dann eine Hacke und gehe zu demunddem Palast an die und die Stelle am Fuße des Palastes deines Vaters; dort grabe in der Erde, und du wirst finden, was dich reich machen wird!' Sobald er nun aus dem Schlafe erwacht war, eilte er zu seiner Mutter und tat ihr kund, was sich begeben hatte. Er war voller Freude; aber sie lachte ihn aus, und sie sagte zu ihm: ,Mein Sohn, dieser Alte spottet deiner, ganz sicher; laß ab von ihm!' Doch er antwortete ihr und sprach: ,Nein, liebe Mutter, ich glaube, daß dieser Mann die Wahrheit spricht und nicht lügt; das erste Mal hat er mich auf die Probe gestellt, und jetzt will er sein Versprechen erfüllen.' Sie erwiderte ihm: ,Dies macht dir auf alle Fälle keine Mühe; geh nur hin und tue, was du willst; versuche dein Heil, vielleicht wirst du heute meinen Worten glauben!' Da nahm er eine Hacke, ging hinunter zum Fuße des Schlosses des Sultans, seines Vaters, und begann dort zu graben. Nachdem er ein wenig gegraben hatte, entdeckte er einen Ring; dann grub er weiter, und siehe da, der Ring war an einer weißen Platte befestigt. Alsbald hob er die Platte hoch; darauf ging er auf einer Treppe hinunter und erblickte eine große Höhle, die ganz mit Marmor ausgelegt war. Und als er in sie eingetreten war, erblickte er dort weiter im Innern der Höhle einen Saal, und darin befanden sich acht Krüge aus grünem Jaspis. Jener Saal nahm seinen Sinn gefangen, und so sprach er: ,Was mögen diese Krüge enthalten? Was mag in ihnen sein?' Nachdem er die Krüge näher angeschaut und sie aufgedeckt hatte, sah er, daß sie mit lauterem Golde gefüllt waren. Er nahm etwas davon in seine Hand, ging zu seiner Mutter und gab es ihr, indem er zu ihr sprach: ,Siehst du nun, liebe Mutter?' Darüber war sie erstaunt, und sie gab ihm zur



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Antwort: ,Hüte dich, mein Sohn, dies Geld so auszugeben, wie du dein Gold früher verschwendest hast!' Da schwor er und sprach: ,Liebe Mutter, dein Herz soll um meinetwillen immer beruhigt sein, wahrlich, du wirst in Zukunft immer mit mir zufrieden sein!' Und nun machte sie sich auf und ging mit ihm; sie begaben sich beide hinab in jenen Saal, und da sah sie etwas, das den Blick bezauberte, als sie die Goldkrüge anschaute. Während beide sich die Krüge ansahen, erblickten sie plötzlich in einem kleinen Kruge aus grünem Jaspis einen Schlüssel aus Gold. Da sagte sie zu ihm: ,Mein Sohn, zu diesem Schlüssel gehört sicherlich eine Tür, die durch ihn geöffnet wird.' Und während sie suchte, sprach sie: ,Vielleicht werden wir noch etwas entdecken.' So spähten sie an jener Stätte umher, indem sie sagten: ,Vielleicht finden wir eine Tür.' Unterdessen entdeckten sie plötzlich ein verriegeltes Schloß, und sie erkannten, daß jener Schlüssel zu diesem Schlosse gehörte. Da steckte er den Schlüssel hinein und öffnete die Tür; die führte in einen Saal, der noch größer war als der erste. Er war ganz mit Marmor ausgelegt, und er nahm den Blick gefangen. In ihm sah man kein Feuer und keine Kerze, sondern nur acht Bildsäulen aus Edelsteinen; jede einzelne Bildsäule war aus einem einzigen Edelstein, nichts war hinzugesetzt. Die Sinne der beiden waren ganz verwirrt, und Zain el-Asnâm sprach: ,Woher mögen diese Dinge kommen?' Darauf begann er umher zuschauen und erblickte vor sich' einen seidenen Vorhang, auf dem folgendes geschrieben stand: ,O mein Sohn, wandere dich nicht über diese Dinge! Es ist wahr, ich habe sie mit Mühe erworben; aber es gibt immer noch in der 'Welt eine andere



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Gestalt, die zwanzigmal soviel Wert ist wie diese Gestalten. Wenn du jene Gestalt sehen und gewinnen willst, so zieh nach Kairo; dort lebt ein Sklave des Namens Mubârak, der einst mein Sklave war, und der wird dich zu jener Gestalt führen. Wenn die du Stadt Kairo betreten hast, so wird dich der erste Mensch, den du dort triffst, zu Mubârak führen; denn er ist in ganz Kairo bekannt.' Nachdem Zain el-Asnâm diese Worte gelesen hatte, sprach er: ,Mutter, ich will nach Kairo ziehen, um nach der Gestalt zu suchen; aber ich glaube, du wirst sagen, dies sei ein Traum.' Doch sie antwortete und sprach zu ihm: ,Nein, durchaus nicht, mein Sohn! Denn du stehst jetzt unter dem Schutze des Propheten; so reise denn fort und sei unbesorgt, ich werde mit dem Wesir das Land verwalten! Reise, wann du willst!' Alsbald ging er fort, rüstete sich für die Reise und zog seines Weges dahin, bis er Kairo erreichte. Dort fragte er nach dem Hause Mubâraks, und man gab ihm zur Antwort: ,O Herr, dies ist der reichste und edelste Mann in Kairo; sein Haus ist für den Fremdling das beste.' Und die Leute gingen vor ihm her, bis er zu jenem Hause kam; dort klopften sie an die Tür, und einer von den Sklaven öffnete und fragte ihn: ,Wer bist du? Und was willst du?' Zain el-Asnâm erwiderte ihm: ,Ich bin ein Fremdling aus fernem Lande; ich habe von Mubârak gehört und davon, daß er als edel berühmt ist; deshalb bin ich gekommen, um bei ihm zu Gaste zu sein.' Darauf ging der Sklave hinein, um eine Antwort für ihn einzuholen; und nachdem er mit seinem Herrn Mubârak gesprochen hatte, kehrte er zurück und sagte: ,O Herr, dein Kommen bringt uns Segen ins Haus; tritt ein, mein Herr Mubârak erwartet dich.' Nun kam er in einen sehr weiten Vorhof, der ganz voll Bäumen und fießenden Wassern war; danach trat er in die Halle ein, in der Mubârak war. Nachdem er ihn begrüßt hatte,



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sprach jener zu ihm: ,Reicher Segen ist bei uns eingekehrt! Wer bist du, o Jüngling? Und wohin führt dich dein Weg?' Zain el-Asnâm antwortete ihm: ,Mein Weg führt mich zu dem Sklaven Mubârak, dem Sklaven des Sultans von Basra, der gestorben ist und dessen Sohn ich bin.' ,Was sagst du da?' rief Mubârak, ,du willst der Sohn des Königs von Basra sein?' ,Jawohl,' erwiderte der Jüngling, ,ich bin sein Sohn!' ,Dieser König hat doch keinen Sohn hinterlassen. Wie alt bist du denn?' ,Gegen sechsundzwanzig Jahre.' ,Was für einen Beweis kannst du mir geben, damit ich sicher bin, daß du der Sohn meines Herrn, des Königs von Basra, bist?' ,Du weißt, daß mein Vater unterhalb seines Schlosses einen Bau errichtete. und daß sich in diesem Bau vierzig' Krüge aus grünem Jaspis befinden, die mit Gold gefüllt sind, und ferner, daß sich in der zweiten Halle acht Gestalten aus Edelsteinen befinden, von denen jede einzelne aus einem einzigen Stein ist und auf einem goldenen Throne sitzt. Desgleichen ist dir bekannt, daß dort eine Inschrift sich befindet, die besagt, daß ich zu dir gehen solle, da du weißt, wo die neunte Gestalt ist, die so viel Wert hat wie die acht alle zusammen.' Wie Mubârak dies, das heißt die Worte von Zain el-Asnâm, vernommen hatte, fiel er ihm zu Füßen und begann ihm die Hände zu küssen und zu rufen: ,Fürwahr, du bist der Sohn meines Herrn!' Dann fuhr er fort: ,Mein Gebieter, ich habe ein Gastmahl bereitet für alle vornehmen Leute Kairos; will deine hohe Gegenwart uns beehren?' ,Das mag gern geschehen', erwiderte Zain el-Asnâm; und der Sklave Mubârak ging vor seinem Herrn her bis zu der Halle, in der alle Vornehmen von Kairo versammelt waren. Darauf befahl Mubârak das Mahl aufzutragen, und es geschah. Zain



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el-Asnâm, der Sultan von Basra, saß da, während Mubârak stand und ihn bediente; manchmal hatte er die Arme auf der Brust gekreuzt, manchmal kniete er nieder. Darüber wunderten sich die Gäste, wie es möglich war, daß Mubârak, der vornehmste Mann Kairos, diesen Jüngling bediente, und sie waren ganz ratlos, da sie nicht wußten, woher dieser junge Mann kam. Nachdem sie gegessen und getrunken und sich dem Frohsinn hingegeben hatten, hub Mubârak an: ,Ihr Leute, wundert euch nicht darüber, daß ich diesen Jüngling bedient habe, indem ich ihm alle Ehren erwies! Denn das war meine Pflicht, da er der Sohn meines Herrn, des Sultans von Basra, ist. Sein Vater starb, und ich blieb als unfreier Mann zurück, weil ich sein Sklave war, den er mit seinem Gelde gekauft hatte. Deshalb war es heute meine Pflicht, meinen Gebieter zu bedienen, und alles Hab und Gut, das ihr bei mir seht, gehört ihm, nichts gehört mir.' Alsbald erhob sich die ganze Versammlung und erwies dem Sultan, was ihm an Ehren und an Segenswünschen gebührte. Darauf sprach jener: ,Ihr Leute, ich erkläre in Gegenwart, und ihr seid meine Zeugen, daß du, o Mubârak, nunmehr frei bist zu tun, was du willst, und daß alles Gut, was du besitzest, dein Eigentum ist. Fordere auch von mir jegliche Gnade, die du begehrst, und ich will sie dir erweisen!' Mubârak aber küßte ihm die Hand und dankte ihm für seine Güte und sprach: ,Mein Gebieter, ich begehre nur, daß es dir gut ergehe. Dies Gut, das ich besitze, ist zu viel für mich.' Nun blieb Zain el-Asnâm drei bis vier Tage dort, während die Vornehmen Kairos kamen und ihn begrüßten und alle mit ihm an demselben Tische aßen, bis er genug der Ruhe gepflegt hatte. Darauf sagte er: ,Mubârak, die Zeit ist nahe, daß wir aufbrechen müssen.' Doch jener erwiderte ihm: ,Mein Gebieter, du weißt, daß die Sache, die zu suchen du gekommen bist,



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schwer zu erreichen ist, ja in Todesgefahr bringen kann; ich weiß nicht, ob dir dein Vorhaben gelingen wird. Diese Aufgabe erfordert hohen Mut.' Da antwortete Zain el-Asnâm und sprach zu ihm: ,Höre, Mubârak, ich weiß, daß Reichtum oft mit Blut bezahlt wird, aber auch, daß nichts in der Welt geschieht ohne den Willen des Barmherzigen. Drum fasse Mut und fürchte dich nicht!' Darauf befahl Mubârak seinen Sklaven, die Vorbereitungen für die Reise zu treffen; und die rüsteten sofort alles. Ehe aber zu Pferde gestiegen ward, sprachen alle das Gebet und lasen die erste Sure des Korans; dann falteten sie das Buch und zogen dahin unter der schützenden Hand des Barmherzigen, Tag und Nacht, Nacht und Tag; dabei erschauten sie an jedem Tage Dinge, die den Verstand verwirrten, dergleichen sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatten. Als sie sich ihrem Ziele näherten, stiegen sie von ihren Rossen ab, und Mubârak gab seinen Sklaven Befehl, indem er zu ihnen sprach: ,Bleibt hier und bewacht die Rosse, bis wir wieder zurückkehren!' Darauf gingen die beiden zusammen fort, indem Mubârak sprach: ,Mein Gebieter, hier ist hoher Mut vonnöten; wir sind hier im Lande der Gestalt, die zu suchen du gekommen bist.' Und sie zogen weiter dahin, bis sie zu einem großen See gelangten; dort sagte Mubârak: ,Mein Gebieter, wisse vor allem, daß jetzt ein kleines Schiff kommen wird, einer Gondel gleich, auf dem sich ein blaues Banner befindet und das aus Sandelholz und Ambra verfertigt ist. Und ich will dir einen Rat geben, den du behüten und bewahren mögest.' ,Was ist das für ein Rat?' fragte Zain el-Asnâm; und der Alte antwortete ihm: ,In jenem Boote ist ein Fährmann, dessen Gestalt ungeheuerlich ist; hüte dich, ihn anzureden, sonst mußt du ertrinken! Dort ist das Land, über das der König der Geister gebietet, und alles, was du vor dir siehst, ist das



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Werk der Geister.' Da kam auch schon ein Boot, von dem ein Duft von Sandelholz und Ambra ausströmte; darinnen saß ein Fährmann, dessen Kopf ein Elefantenkopf war und dessen Leib dem eines Raubtieres glich. Als der ihnen nahe kam, wickelte er seinen Rüssel um die beiden und holte sie in das Boot hinein. Dann ruderte er mit ihnen weiter, bis sie den See durchfahren hatten und wieder an Land gehen konnten. Als sie nun weiterschritten, sahen sie Bäume von Ambra und Aloe und Sandelholz, Früchte, wie sie der Sinn begehrt, und Blumen, die das Herz erfreuen; und die Stimmen der Vögel sangen ihre Weisen und berückten die Menschen durch ihren Klang. Mubârak fragte: ,Wie findest du diese Stätte, mein Gebieter?' Jener antwortete ihm: ,Mich deucht, daß dies das Paradies ist, das der Prophet -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! — dem verheißt, der sein Gebot achtet.' Darauf zogen sie Weiter, bis sie sich vor einem großen Schlosse befanden, das ganz aus Smaragden und Rubinen gebaut war und dessen Tore aus reinem Golde waren. Vor diesem Schlosse befand sich eine Brücke, die hundertundfünfzig Ellen lang und fünfzig Ellen breit war; am Ende dieser Brücke stand ein Heer von Geistern, die erschrecklich anzusehen waren, so häßlich, wie es keine anderen Wesen gab, mit schweren Lanzen aus Stahl, die in der Sonne leuchteten wie der Blitz. Da sagte Mubârak: ,Tritt nicht weiter vor, als bis uns ein Befehl gebracht wird!' Dann holte er aus seinem Gewande vier Stücke gelben Seidenzeugs heraus; mit dem einen gürtete er sich, ein zweites legte er auf seine Schulter, und die anderen beiden gab er Zain el-Asnâm; und der tat gleich wie er! Darauf breitete er vor jedem von ihnen beiden ein Tuch von weißer Seide aus; ferner holte er aus seiner Tasche Edelsteine, desgleichen auch Spezereien, wie Ambra und Aloe. Nun setzte sich ein jeder von ihnen auf sein Tuch,



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und dann hub Mubârak an, diese Worte an Zain el-Asnâm zu richten, indem er ihn lehrte, er solle zum Geisterkönig also sprechen: ,Mein Gebieter, o König der Geister, wir sind heute unter deinem Schutz.' Dann fuhr er fort: ,Wisse, jetzt will ich ihn beschwören, damit er uns freundlich empfängt; und bedenke, daß wir in Gefahr sind; drum bin ich in großer Sorge. Wenn er uns empfangen will, ohne uns ein Leid zu tun, so kommt er in Gestalt eines Menschen, der sehr schön anzuschauen ist; wenn wir aber diese Stätte betreten und er uns nicht wohl will, so kommt er in häßlicher Gestalt, die erschrecklich anzusehen ist. Siehst du ihn also in schöner Gestalt. so bleib vor ihm stehen und sprich den Gruß!' ,Ich höre und gehorche!' gab der Jüngling ihm zur Antwort; und weiter sprach Mubârak zu ihm: ,Dein Gruß sei ,an den König der Geister und den Gebieter der Erde', und sprich zu ihm: ,Meinen Vater, den König von Basra, hat der Tod uns entrissen, und das ist dir nicht verborgen, da du ihn immer unter deinen Schutz genommen hast; und jetzt bin ich gekommen, um deinen Schutz zu gewinnen, wie mein Vater ilm besaß.' Dies seien deine Worte an ihn, wenn er dir engegentritt.' Dann fuhr Mubârak noch fort: ,Wenn der König der Geister uns mit glückverheißendem Antlitz entgegenkommt, so wird er ohne Zweifel dich fragen und zu dir sprechen: ,Erbitte von mir, was du wünschest; dir soll dein Wunsch sofort erfüllt werden!' Dann sprich du zu ihm: ,Hoher Herr, ich erbitte von deiner Majestät die neunte Gestalt, die das Kostbarste ist, was es auf Erden gibt, und die deine Majestät meinem Vater zu geben versprochen hat.' Nachdem nun Mubârak seinen Herrn Zain el-Asnâm gelehrt hatte, wie er mit dem Geisterkönig reden solle, und ihm auch gezeigt hatte, wie er von ihm die Gestalt, die er wünschte, erbitten müsse, begann er die Zauberformel



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zu murmeln. Nach einer kurzen Weile begann es zu blitzen und zu donnern, und es kam eine Finsternis, die das Antlitz der Erde bedeckte; darauf erhob sich ein gewaltiger Wind und ein furchtbares Getöse, so daß die Erde zu beben schien; dergleichen wird nie erhört, es sei denn am Tage der Auferstehung. Prinz Zain el-Asnâm rief: ,Dies ist wahrlich ein großer Tag!' Und als er all diese Dinge erleben mußte, zitterte er am ganzen Leibe; so sehr erschrak er über all dies, das er noch nie in seinem ganzen Leben gesehen oder gehört hatte. Mubârak aber begann zu lächeln, und er sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, dies, vor dem du dich fürchtest, ist das, was ich wünsche; denn es ist uns ein Vorbote des Glücks. Drum sei munter und zuversichtlich!' Alsbald ward die Welt auch wieder klar und ganz ruhig, und es säuselten gar lieblich duftende Lüfte. Und nun kam der König der Geister in Gestalt eines Menschen, unvergleichlich an Schönheit und Anmut, und er blickte auf die beiden mit freundlichem Antlitz. Als der Prinz ihn erblickte, sprach er vor ihm die ehrfurchtsvollen Grüße und die Segenswünsche, die Mubârak ihn gelehrt hatte. Darauf erwiderte ihm der König, indem die Zähne der Zufriedenheit aus seinem lächelnden Munde blinkten: ,Prinz Zain, ich war ein Freund deines Vaters, des Sultans von Basra; und jedesmal, wenn er zu mir kam, gab ich ihm eine von den Gestalten, die du gesehen hast, jene, von denen jede einzelne aus einem einzigen Edelstein gefertigt ist. Und du sollst bei mir im selben Ansehen stehen wie dein Vater, ja in noch höherem! Ehe er aus dem Leben schied, machte ich es ihm zur Pflicht, die Inschrift zu schreiben, die du auf dem Stück Seide gesehen hast; und dann versprach ich ihm, ich wolle auch dich in meinen Schutz nehmen gleichwie ihn, und ich wolle dir die neunte Gestalt geben, die so viel wert ist wie alles, was du gesehen hast.



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Jetzt will ich das Versprechen erfüllen, das ich deinem Vater gegeben habe, indem ich dir meinen Schutz gewähre.' Dann fuhr er fort: ,Der Mann, den du im Traume gesehen hast, jener Alte, der bin ich. Und ich bin es, der dir gesagt hat, du sollest die Schatzkammer aufgraben, in der du die Krüge voll Gold und die Gestalten aus Edelstein gefunden hast. Ich weiß auch, warum du hierher gekommen bist; denn ich bin ja der Grund deines Kommens. Und ich will dir gewähren, was du durch dein Kommen zu erreichen suchst; doch schwöre du mir einen heiligen Eid, einen Eid, den du nie brechen wirst, daß du zu mir zurückkommen willst mit einer Jungfrau, die fünfzehn Jahre alt ist und die an Schönheit nicht ihresgleichen hat, und daß du sie treu hüten und dich nicht an ihr vergehen willst, wenn du mit ihr auf dem Wege hierher bist!' Da schwor Prinz Zain ihm einen heiligen Eid, indem er sprach: ,Mein Gebieter, du erweisest mir eine hohe Ehre durch diesen Auftrag; doch ich sehe eine Schwierigkeit in ihm. Gesetzt den Fall, ich finde die Jungfrau, die deine Majestät begehrt, wie soll ich diese Eigenschaften erkennen, die du an ihr wünschest?' Der König antwortete ihm darauf: ,O Zain, du hast recht; denn die Menschenkinder können dies nicht erkennen.' Und dann fuhr er fort: ,Mach dir keine Sorge um dieser Schwierigkeit willen; denn ich will dir einen Spiegel geben. Wenn du die Maid gefunden und angeschaut hast und ihre Schönheit dir gefällt, so öffne den Spiegel, den ich dir geben will; siehst du, daß er klar ist und ohne dunkle Flecken, so wisse, daß die Maid eine Jungfrau ohne Tadel ist und alle die Eigenschaften besitzt, die ich dir genannt habe. Ist sie es aber nicht, so wirst du entdecken, daß der Spiegel dunkel ist und von Staub bedeckt, und dann wirst du wissen, daß die Maid einen Fehl hat; hüte dich, sie zu nehmen! Hast du jedoch die rechte gefunden, so



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bringe sie mit dir; wenn du dann aber nicht die Treue wahrst, so muß ich dir dein Leben nehmen!' Nun schwur der Prinz Zain einen bindenden Eid, einen Eid der Söhne der Könige, daß er nie die Treue brechen werde. So gab denn der Fürst den Spiegel dem Jüngling, indem er sprach: ,Mein Sohn, nimm diesen Spiegel, von dem ich dir gesagt habe; jetzt kannst du reisen, nichts hält dich zurück.' Und sogleich kehrten der Sklave Mubârak und der Prinz Zain el-Asnâm zurück zum Ufer des Sees, nachdem sie von dem Geisterfürsten Abschied genommen hatten. Bald darauf kam einer von den Geistern, deren Köpfe denen von Elefanten glichen und die das Boot ruderten; mit dem fuhren sie hinüber, und das geschah auf Befehl des Geisterfürsten. Darauf kehrten Mubârak und Prinz Zain el-Asnâm nach Kairo zurück; nachdem der Prinz dort bei Mubârak in Kairo kurze Zeit verweilt hatte, um sich auszuruhen, sprach er zu ihm: ,Mubârak, laß uns jetzt nach der Stadt Baghdad ziehen, um ein Mädchen zu finden, wie es der Geisterkönig wünscht.' Doch Mubârak antwortete und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, wir sind hier in Kairo; das ist die Stadt der Städte und das Wunder der Welt. Hier müssen wir doch eine Jungfrau finden, und wir brauchen nicht in ein fernes Land zu gehen.' ,Du sprichst die Wahrheit, Mubârak,' antwortete der Prinz, ,aber auf welche Weise können wir eine solche Jungfrau finden? Wer soll sie für uns suchen?' Darauf sagte jener zu ihm: ,Mach dir deshalb keine Sorge, mein Gebieter! Denn ich weiß hier eine Alte -verflucht sei sie! —, ein kluges und listiges Weib; die kann eine Aufgabe wie diese sicher erfüllen.' Alsbald holte Mubârak die Alte und tat ihr kund, was geschehen sollte, indem er hinzufügte: ,Du wirst von mir eine hohe Belohnung erhalten, wenn du diese Aufgabe mit allem Eifer ausführst.' Sie erwiderte ihm: ,Mein Gebieter,



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du kannst beruhigt sein; ich werde diese Aufgabe vollbringen, und dein Wunsch wird sogleich erfüllt werden; denn ich habe solche Mädchen zur Hand, die alle an Schönheit und Anmut übertreffen, und alle sind Töchter vornehmer Leute.' Allein - o ihr Zuhörer -, sie wußte nichts von dem Spiegel! So ging sie denn in die Stadt, und nachdem sie eine Schar von Mädchen gefunden hatte, die alle fünfzehn Jahre alt waren und vollkommene Schönheit und Anmut besaßen, nahm Zain el-Asnâm den Spiegel heraus und blickte auf die Mädchen im Spiegel. Da sah er, daß sich der Spiegel verdunkelte und verdüsterte, nicht bei einer einzigen von ihnen erblickte er Klarheit in dem Spiegel. So beschloß er denn, nach Baghdad zu ziehen, da es ihm nicht möglich war, in Kairo ein Mädchen zu finden, das vollkommen keusch und rein war. Darauf zogen die beiden fort, bis sie in Baghdad ankamen; dort mieteten sie ein großes Schloß in der Stadt und wohnten darinnen. Fast alle Vornehmen der Stadt pflegten an der Tafel des Prinzen zu speisen, und was von den Mahlzeiten übrig blieb, wurde den Armen und Bedürftigen gegeben. Auch alle, die von nah und fern zu all den Moscheen kamen, aßen von seiner Tafel, so daß sein Ruhm in der Stadt groß ward und man in Baghdad nur noch von Zain el-Asnâm und von seiner Freigebigkeit und seinem Reichtum redete. Es traf sich aber, daß in einer der Moscheen ein verruchter, elender, neidischer Imam war, wie es selbst in der Hölle keinen gemeineren Schuft geben konnte, und der wohnte nahe bei dem Schlosse des Prinzen Zain el-Asnâm. Der Neid auf den Prinzen hatte solche Gewalt über ilm gewonnen, daß er darüber nachzudenken begann, wie er ihm schaden könne; zumeist pflegt auch der Neid nur die Reichen zu treffen. Eines Tages nun stand der Imam in der Moschee zur Zeit des Nachmittagsgebetes, und er hub an zu predigen: ,O



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meine Brüder, höret auf mich! Seht, in diesem unserem Stadtviertel wohnt ein fremder Mann; vielleicht habt ihr schon von ihm gehört und auch von der Verschwendung, die er treibt, die geht doch über alle Maßen. Ich vermute, daß er ein Dieb aus der Fremde und daß er gekommen ist, um hier das auszugeben, was er in seinem Lande gestohlen hat.' Und weiter sprach er zum Volke: ,O meine Brüder, ich gebe euch guten Rat, um Allahs willen hütet euch vor diesem Verruchten! Es ist ja möglich, daß der Kalif solche Verschwendung triebe wie dieser Mann, und dann würde das Unglück über eure Häupter hereinbrechen. Ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn ihr auch sündigt; sehet, ich habe euch gewarnt, nun tut, was ihr wollt!' Da antworteten ihm die, so zugegen waren, alle insgesamt mit lauter Stimme und riefen: ,Wir wollen alles tun, was du willst, o Abu Bakr, o Imam der Religion Mohammeds.' Darauf begann dieser verfluchte Imam, eine Beschwerdeschrift an den Kalifen gegen den Prinzen Zain el-Asnâm zu verfassen. Der Zufall aber hatte es gewollt, daß der Sklave Mubârak in der Moschee war und die Predigt des verruchten Imams hörte. Drum war er nicht lässig, sondern kehrte nach Hause zurück, holte hundert Golddinare und wickelte sie in ein Bündel von seidenen Stoffen, von allem, was nicht beschwert, und doch von hohem Wert. Das nahm er und begab sich eilends zum Hause des Imams; nachdem er dort an die Tür geklopft hatte, kam der Imam, öffnete die Tür und fragte ihn zornig, indem er sprach: ,Was willst du? Und wer bist du?' Mubârak antwortete und sprach zu ihm: ,Ich bin dein Sklave, o mein Herr Imam Abu Bakr! Ich komme von meinem Herrn, dem Prinzen Zain el-Asnârn; denn er hat von Eurem Wissen und von Eurem guten Tun gehört, und es ist sein Wunsch, mit Euch bekannt zu werden. Darum möchte er tun, was ihm



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seine Pflicht ist, und er sendet mich mit diesen Stoffen und mit dieser Tasche, und er bittet Euch, ihm nicht gram zu sein; denn dies ist kaum, was Eurem Stande und hohen Range gebührt!' Sobald Abu Bakr das Gold und das Bündel der Stoffe erblickte, sprach er: ,Mein Gebieter, ich bitte deinen Herrn, den Prinzen, um Verzeihung, und ich schäme mich vor ihm, und es fällt mir schwer auf die Seele, daß ich meine Pflicht nicht erfüllt habe; ich bitte dich, entschuldige mich bei ihm wegen meines Versäumnisses! So der Schöpfer will, werde ich meine Pflicht tun und zu ihm gehen und ihm die Ehren erweisen, die seinem Stande gebühren.' Mubârak aber fuhr fort: ,Meinem Herrn, dem Prinzen, ist sein Wunsch erfüllt, wenn er Euer Hochwohlgeboren schaut, indem er sich die Ehre gibt, zu Euch zu kommen.' Darauf küßte Mubârak die Hand des Imams und kehrte nach Hause zurück. Abu Bakr jedoch trat am nächsten Morgen zum Frühgebet in die Moschee und hub an: ,O meine Brüder, höret auf mich! Wisset. der Neid trifft nur die Reichen und Vornehmen; die Armen und Elenden trifft er nicht. So vernehmet denn, der fremde Mann, von dem ich gestern zu euch gesprochen habe, ist ein Prinz von adliger und hoher Abkunft. Frist nichts von dem, was mir einige Neider zugetragen haben, nämlich, daß er ein Dieb sei. Hütet euch, meine Brüder, daß auch nur einer von euch die Ehre dieses Mannes mit Worten antaste und Späher von seiten des Beherrschers der Gläubigen auf sich lenke! Denn ein Mann wie dieser kann nicht in der Stadt wohnen, ohne daß der Kalif von ihm wüßte.' So nahm der Imam Abu Bakr den bösen Verdacht hinweg aus den Köpfen der Leute, mit denen er über den Prinzen Zain el-Asnâm gesprochen hatte; und nachdem er von dem Frühgebet heimgekehrt war, legte er sein Staatsgewand an, ließ die Säume schwer schleppen'



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und die Ärmel lang herunterhängen, machte sich auf den Weg und begab sich zum Prinzen und trat in den Saal ein. Und der Prinz Zain, der ein höflicher junger Mann war, erwies ihm gebührende Ehren und ließ ihn auf einem hohen Polster sitzen. Dann ließ er Kaffee mit Ambra und Morgenimbiß bringen, und nachdem die beiden ihr Mahl beendet hatten, begannen sie über mancherlei Dinge zu plaudern. Da fragte der Imam Abu Bakr den Prinzen, indem er zu ihm sprach: ,Hoher Herr, gedenkt Eure Durchlaucht länger hier in Baghdad zu verweilen?' ,Jawohl,' erwiderte ihm der Prinz. ,ich möchte eine Weile hier bleiben, bis ich mein Ziel erreicht habe.' Darauf sagte jener: ,Und was ist das Ziel meines Herrn Prinzen? Vielleicht kann ich ihm seinen Wunsch erfüllen; auch wenn das schwer wäre, würde es mir eine leichte Last sein.' Der Prinz gab ihm zur Antwort: ,Ich suche nach einer Maid, die fünfzehn Jahre alt ist und die von vornehmer Abkunft, züchtig und von reicher Schönheit und Anmut sein muß.' ,Hoher Herr,' fuhr der Imam fort. ,dies ist etwas, das schwer zu finden ist. Doch ich weiß eine Jungfrau, die von herrlicher Anmut ist; ihr Vater war ein Wesir, und er hat sich von dem Wesirat zurückgezogen; jetzt wohnt er in seinem Schlosse und wacht mit großem Eifer über der Erziehung seiner Tochter. Ich glaube, daß sie für Eure Durchlaucht passend sein und daß sie sich auch über einen Prinzen wie deine Hoheit freuen würde, ebenso wie ihr Vater.' Da sagte der Prinz: ,Vielleicht ist sie das Ziel meiner Wünsche. Doch ich muß sie zuvor anschauen, um zu wissen, ob sie züchtig ist oder nicht. Mein Blick genügt, um ihre Art und Schönheit zu erkennen; ihr aber vermögt es nicht mit Sicherheit zu wissen.' Abu Bakr fragte nunmehr: ,Und wie ist es Euch, mein Herr Prinz, möglich, aus ihrem Antlitze zu erkennen, ob sie rein ist oder nicht? Vielleicht habt Ihr Kunde von geheimer



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Wissenschaft. Wenn also deine Hoheit es wünscht, sie mit mir zu sehen, so will ich dich zu ihrem Schlosse geleiten und dich mit ihrem Vater bekannt machen, so daß er sie vor dich führe.' Darauf geleitete der Imam Abu Bakr den Prinzen und begab sich mit ihm zu dem Hause des Wesirs, des Vaters der Maid. Als die beiden dort eingetreten waren, hieß der Wesir den Prinzen Zain el-Asnâm herzlich willkommen, nachdem er erfahren hatte, daß jener ein Prinz war und seine Tochter begehrte. Dann ließ er sie kommen; und wie sie vor ihnen stand, befahl er ihr, den Schleier von ihrem Antlitz zu heben. Kaum hatte sie das getan, so ward der Prinz wie geblendet; denn er war überrascht durch ihre Schönheit und Anmut, und er hatte noch nie in seinem Leben ihresgleichen gesehen. Dann sprach er bei sich selber: ,Ob ich wohl je ihresgleichen findet Ob diese wohl für mich bestimmt ist?' So zog er denn den Spiegel aus der Tasche und schaute hinein; da sah er, daß des Spiegels Kristall so klar war wie reines Silber. Und alsobald ward der Ehebund geschlossen, der Kadi ward geholt, die Urkunde ward geschrieben, und so war die Vermählung vollzogen. Man feierte die Hochzeit. und der Prinz führte den Vater der jungen Frau in sein Schloß und machte ihm reichliche Geschenke; auch schickte er der jungen Frau wertvolle Edelsteine, Diamanten und Perlen, Rubinen und Smaragde, so viele, daß sie den Verstand berückten. Ja, es war eine große Hochzeit, derengleichen noch nie gewesen war; die ganze Stadt feierte Gastmähler bei ihm acht Tage lang. Auch dem Imam Abu Bakr sandte er Geschenke. Nachdem aber die Hochzeit beendet war, sprach Mubârak: ,Mein Gebieter, laß uns an unsere Stätte ziehen und keine Zeit verlieren; denn wir haben gefunden, was wir suchten!' ,Es sei!' erwiderte ihm der Prinz, und Mubârak begann für die Reise zu rüsten; auch ließ er eine



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Sänfte für die junge Frau herrichten. Dann brachen sie auf unter der schützenden Hand des Barmherzigen. Als aber Mubârak erkannte, daß der Prinz von heftiger Liebe zu der ihm angetrauten Maid entbrannt war, sprach er zu ihm: ,Mein Gebieter, ich möchte dich daran erinnern, daß du die Treue wahren mußt, die der Geisterkönig dir geboten hat.' ,Ach,' rief da der Prinz, ,o Mubârak, wenn du wüßtest, welche Qualen mir die Liebe zu dieser Maid bereitet, so würdest du mich entschuldigen. Ich denke daran, sie mit nach Basra zu nehmen.' Doch jener entgegnete ihm: ,Mein Gebieter, hüte die Treue, brich nicht dein Wort, auf daß dir kein arges Leid widerfahre und du nicht dein Leben verlierst um dieser Maid willen! Denke immer an den Eid, den du geschworen hast; laß die Begierde nicht Macht über dich gewinnen, damit du nicht deine Ehre verlierst!' Darauf sagte Zain el-Asnâm zu ihm: ,O Mubârak, sei der Hüter über sie und laß mich sie nie mehr anschauen!' Nachdem der Emir so vorgesorgt hatte, daß die junge Frau behütet wurde, verbarg er sich ganz und gar vor ihr, damit er sie nicht mehr erblicke. Und nun zogen sie auf dem Wege zur Insel des Geisterkönigs weiter, nachdem sie die ägyptische Straße verlassen hatten. Als aber die junge Frau bedachte, daß ihr der Weg lang ward und sie ihren Gatten in dieser ganzen Zeit nicht erblickte, weil er seit der Hochzeitsnacht verschwunden war, so daß sie ihn nie mehr zu Gesicht bekam, da sprach sie: .Mubârak, tu mir kund -beim Leben des Prinzen, deines Herrn! —, bin ich jetzt der schützenden Hand meines Gatten, des Prinzen Zain, entrissen?' ,Ach, meine Herrin,' gab er ihr zur Antwort, ,es ist mir schwer, dir das Verborgene zu enthüllen. Denkst du, daß der Prinz Zain, der König von Basra, dein Gemahl ist? Nein, er ist nicht dein Gemahl; er hat nur den Ehevertrag mit dir ausstellen lassen als Vorwand vor deinen



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Eltern. Du wirst jetzt die Gemahlin des Geisterkönigs, der dich von dem Emir Zain verlangt hat.' Als die Maid die Worte Mubâraks vernommen hatte, weinte sie bitterlich darüber. Und wie der Prinz das hörte, begann auch er heftig zu weinen, da er sie ja so lieb hatte. Darauf rief sie den beiden zu: ,Habt ihr denn kein Mitleid mit mir, da ich so verlassen bin? Wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, so steht mir Rede über den Betrug, den ihr an mir verübt habt!' Aber ihr Weinen nutzte ihr nichts. Nein, sie brachten sie dem Geisterkönig dar, sobald sie bei ihm ankamen. Als der sie erblickte, gefiel sie ihm, und er wandte sich zum Prinzen Zain mit den Worten: ,Die Jungfrau, die du mir gebracht hast, ist sehr schön. Kehr nun in deine Heimat zurück! Die neunte Gestalt, die du von mir erbeten hast, wirst du an der Stätte der anderen finden; denn ich sende sie mit einem der Geister, meiner Knechte, dorthin.' Da küßte Zain el-Asnâm ihm die Hand und kehrte mit Mubârak heim auf dem Wege über Kairo; doch er mußte lange warten, ehe er die neunte Gestalt zu sehen bekam. Dabei war er immer traurig und in Sorge um jene Maid und ihre Schönheit und Anmut; und er seufzte und sprach: ,Ach, mein trübes Geschick! Nun habe ich dich verlassen, du Perle der Anmut; ich habe dich vom Busen deiner Eltern genommen und habe dich dem Geisterkönig dargebracht! Ach, mein Elend!' Und er machte sich Vorwürfe darüber, daß er sie durch Lug und Trug zum Geisterkönig geschleppt hatte. Wie er dann in Basra ankam, begrüßte er die Königin, seine Mutter, und erzählte ihr, was geschehen war; da freute sie sich gar sehr über die neunte Gestalt, die der Geisterkönig ihm geschenkt hatte, und sie sprach zu ihm: ,Wohlan, mein Sohn, laß uns diese Gestalt anschauen; ich bin hoch erfreut über sie.' Alsbald zogen alle indie Schatzkammer hinunter, zusammen mit Zain el-Asnâm. Doch



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da mußten sie ein großes Wunder erleben: denn anstatt eine Bildgestalt zu finden, fanden sie eine junge Maid, die wie die Sonne erstrahlte und den leuchtenden Sternen glich. Der Prinz Zain erkannte sie sogleich, und sie sprach zu ihm: ,Wundere dich nicht, daß du mich hier findest an Stelle dessen, was du suchst! Ich glaube auch nicht, daß du es bereuen wirst, wenn du mich nimmst anstatt dessen, was du wünschtest.' ,Nein,' rief er, ,ganz gewiß nicht, denn du bist mein höchster Wunsch, und ich will dich nicht um Edelsteine, ja nicht um die ganze Welt hergeben. Wenn du nur wüßtest, welche Qual ich wegen der Liebe zu dir erduldete, als ich dich deinen Eltern entführte! Ja, nur gegen meinen Willen habe ich dich dem Geisterkönig übergeben.' Er hatte seine Worte noch nicht beendet, da hörte er ein Donnergetöse, von dem die Berge wankten und die Erde erbebte, und die Königin, die Mutter des Prinzen, ward von Furcht ergriffen. Nach einer kleinen Weile erschien der Geisterkönig und sprach zu ihr: ,Meine Herrin, fürchte dich nicht; ich bin der Schützer deines Sohnes! Ich liebe ihn, und ich behüte ihn. Ich bin es, der ihm im Traume erschienen ist, und ich wollte durch dies alles nur seinen Heldensinn auf die Probe stellen, um zu erfahren, ob er seine Leidenschaften besiegen könne; freilich hat die Schönheit dieser Maid ihn verführt, und er hat seinen Bund mit mir nicht ganz vollkommen gehalten.' Und noch einmal sprach der Geisterkönig zu der Königin, der Mutter des Prinzen: ,Zain es-Asnâm hat den Bund und die Treue gegen die Maid nicht vollkommen gewahrt, sondern er hat gewünscht, daß sie seine eigene Gemahlin werde. Doch ich kenne die Schwäche der menschlichen Natur, und darum bin ich nicht in ihn gedrungen, als er seine Gedanken verbarg. Ich habe diesen seinen Heldensinn gelten lassen, und so schenke ich sie ihm denn auch zur Gemahlin,



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samt der neunten Bildgestalt, die ich ihm versprochen habe, sie, die noch schöner ist als alle diese Gestalten und derengleichen in der Welt nicht gefunden wird.' Dann wandte der Geisterkönig sich zu Zain el-Asnâm und sprach zu ihm: ,O Prinz Zain, dies ist nun deine Gemahlin, nimm sie hin und gehe ein zu ihr, doch nur unter der Bedingung, daß du sie immer lieb hältst und keine andere nimmst außer ihr. Ich bin der Bürge für ihre edle Treue!' Noch am selben Tage ging der Prinz zu ihr ein und hatte große Freude an ihr; und ein prächtiges Hochzeitsfest ward in seinem ganzen Reiche gefeiert. Dann saß er auf seinem Throne und herrschte über sein Land, und seine Gemahlin ward die Königin von Basra genannt. Und sie lebten in Herrlichkeit und Freuden, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt.

Ferner wird erzählt


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