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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Lillekort

Es waren einmal zwei arme Leute, die wohnten in einer armseligen Hütte, wo nichts als schwarze Armut hauste, sie hatten nichts zu beißen und nichts zu brennen. Aber hatten sie auch nichts anderes, so hatten sie doch eine gottgesegnete Kinderschar, und mit jedem Jahr bekamen sie mehr davon. Nun konnten sie sich nicht mehr drehen und wenden, das liebte der Mann gar nicht. Er ging umher und schimpfte und sagte, einmal müsse es ja genug sein mit diesen Gottesgaben, und als die Zeit kam, daß seine Frau wieder ein Kind bekommen sollte, ging er in den Wald, Holz sammeln, denn er wollte den neuen Schreihals gar nicht sehen, er würde ihn schon zeitig genug zu hören bekommen, wenn er nach Brot schrie, meinte er.

Als der Mann fort gegangen war, bekam die Frau einen schönen Knaben, und sowie er zur Welt gekommen war, sah er sich um in der Hütte.



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»Ach, liebe Mutter«, sagte er, »gib mir einige alte Kleider von meinen Brüdern und Wegzehrung für ein paar Tage, so will ich in die Welt hinaus und mein Glück versuchen. Du hast immerhin noch Kinder genug«.

»Gott bewahre mich, mein Sohn«, sagte die Mutter, »du bist noch allzu klein, das geht nicht«.

Aber der junge Knabe blieb dabei und drängte und bat so lange, bis die Mutter ihm einige alte Kleiderfetzen überließ und etwas Wegzehrung in ein Schnupftuch knüpfte, und so ging er fröhlich und getrost hinaus in die Welt.

Aber kaum war er gegangen, so bekam die Frau noch einen Knaben dazu. Er sah sich gleichfalls um und sagte: Ach, liebe Mutter, gib mir einige alte Kleider von meinen Brüdern und Wegzehrung für ein paar Tage, so will ich in die Welt hinaus und meinen Zwillingsbruder wiederfinden. Du hast dennoch Kinder genug«. »Gott bewahre mich, du bist allzuklein, du armer«, sagte die Frau, »das geht nicht!«.

Aber es half alles nichts, der Junge bettelte und bat so lange, bis er einige alte Kleider bekam und ein Schnupftuch voll mit Wegzehrung, und so trollte er sich genau so mutig hinaus in die Welt, um seinen Zwillingsbruder wiederzufinden.

Als nun der Jüngere eine Weile gegangen war, sah er plötzlich seinen Bruder ein Stück wegs weiter vor sich gehen. Er rief ihn an und bat ihn, anzuhalten. »Warte, du!« sagte er, »du läufst den Weg entlang als ob du es bezahlt bekämest: aber du mußt deinen jüngsten Bruder doch auch gesehen haben, ehe du in die Welt hinaus ziehst«. Der ältere hielt an und sah sich um, und als der jüngere nun nachkam und erzählt hatte, wie das zusammenhing, daß er sein Bruder sei, sagte er weiter: »Aber laß uns niedersetzen und nachsehen, was unsere Mutter uns mitgegeben hat als Wegzehrung«. Und das machten sie auch.

Als sie dann ein Stück lang zusammen weitergegangen waren, kamen sie zu einem Bach, welcher durch eine grüne Wiese floß, und da sagte der Jüngere, daß sie einander Namen geben müßten. »Wir müssen uns damit eilen, weil keine Zeit war, es zu Hause zu tun, so werden wir es hier machen«, sagte er.

»Wie willst du heißen?«fragte der ältere.

»Ich will Lillekort heißen«, antwortete der andere; und wie willst du genannt werden?«

»Ich will ,König Lawring' genannt werden«, sagte der ältere.

Ja, sie tauften einander und gingen weiter. Aber als sie ein Stück



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gegangen waren, kamen sie zu einem Kreuzweg, und da beschlossen sie, sich zu trennen und gaben sich die Hand. So machten sie es. Aber kaum waren sie eine kleine Weile gegangen, so trafen sie sich wieder: sie trennten sich erneut und jeder ging seinen Weg. Aber nach einer kleinen Weile ging es wieder so, sie trafen sich wieder ehe sie es sich versahen, und so gings auch das dritte Mal. Da kamen sie überein, daß jeder nach seiner Richtung gehen sollte, der eine nach Osten, der andere nach Westen.

»Aber kommst du einmal richtig in Not und Unglück«, sagte der ältere, »so rufe dreimal nach mir, so werde ich kommen und dir helfen; aber du darfst nur nach mir rufen, in der äußersten Not!«

»Da werden wir uns wohl nicht so schnell wiedersehen!« sagte Lillekort.

Dann sagten sie einander »Leb wohl«, und Lillekort ging nach Osten und König Lawring ging nach Westen.

Als nun Lillekort ein Stück allein gegangen war, traf er eine alte, krummrückige Frau, die nur ein Auge hatte. Das schnappte Lillekort ihr weg.

»Au, au«, rief die Alte, »wo kam mein Auge hin«?

»Was gibst du mir, wenn du dein Auge wiederbekommst?« fragte Lillekort.

»Ich gebe dir ein Schwert, das eine ganze Kriegsmacht überwinden kann, obgleich es gar nicht so groß ist«, sagte die Alte Frau.

»Ja, gib mir das«, sagte Lillekort.

Die Alte gab ihm das Schwert, und sie bekam ihr Auge wieder.

Dann ging Lillekort wieder weiter, und als er eine Weile gegangen war, traf er wieder eine alte, krummrückige Frau, die nur ein Auge hatte; das stahl ihr Lillekort weg, ehe sie es merkte.

»Au, au, wo kam mein Auge hin?« rief sie.

»Was gibst du mir, wenn du das Auge bekommst?«fragte Lillekort.

»Ich gebe dir ein Schiff, das in Süßwasser und Salzwasser fahren kann, über Berg und tiefe Täler«, antwortete die Alte.

»Ja, gib mir das«, sagte Lillekort.

Die Alte gab ihm ein winzig kleines Schiff, das nicht größer war als daß er es in die Tasche stecken konnte; da bekam sie ihr Auge zurück, und jeder ging seines Weges.

Als er eine lange Zeit gewandert war, traf er zum dritten Mal eine alte, alte, krummrückige Frau, die nur ein Auge hatte; das stahl Liliekort ihr wieder weg, und als die Alte schrie und fragte, wo ihr Auge geblieben sei, sagte Lillekort:



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»Was gibst du mir, wenn du es wieder bekommst?«

»Ich gebe dir die Kunst, hundert Lasten Malz zu brauen in ein einziges Gebräu«, sagte die Alte. Ja, für diese Kunst bekam die Alte ihr Auge zurück, und jeder ging dann seines Weges.

Aber als Lillekort ein kleines Stück weiter gegangen war, schien es ihm die Sache wert zu sein, das Schiff auszuprobieren. So zog er es aus der Tasche und setzte zuerst einen Fuß hinein und dann den anderen, und sobald er in das Schiff eingestiegen war, mit dem einen Bein, so wurde das Schiff viel größer, und als er dann auch noch mit dem anderen Bein eingestiegen war, wurde es so groß wie Schiffe, die übers Meer fahren. Dann sagte Lillekort: »Fahre nun in Süßwasser und Salzwasser, über Berge und tiefe Täler und halte nicht eher an, bis du zum Königshof gekommen bist!« Und sogleich fuhr das Schiff davon so schnell wie Vögel in den Lüften bis sie herunter zum Königshof kamen. Da hielt es an.

An den Fenstern des Königsschloses hatten sie gestanden und gesehen, wie Lillekort angesegelt kam, und alle zusammen waren so verwundert als er herunter kam, und sie wollten sehen, was das für einer war, der durch die Lüfte in einem Schiff angesegelt kam. Aber während sie vom Königshof herunter liefen, war Lillekort ausgestiegen aus seinem Schiff und hatte es wieder in die Tasche gesteckt; denn sowie er aus dem Schiff stieg, wurde es so klein, wie er es von der alten Frau bekommen hatte. Der König fragte, woher er käme, aber da sagte der Junge, er wisse es nicht; er wisse auch nicht, wie er hierhergekommen sei; aber er bat so wunderschön darum, ob er nicht Dienste verrichten könne am Königshof. Wenn nichts anderes zu tun für ihn sei, so könne er doch Holz und Wasser für die Küche tragen, sagte der König, dazu könne er Erlaubnis bekommen.

Als Lillekort zum Königshof hinauf kam, sah er, daß alles schwarz verkleidet war, außen und innen, Wände und Dach. Er fragte das Küchenmädchen, weswegen das so sei. »Ja, das kann ich dir sagen«, antwortete sie, »die Königstochter ist seit langem drei Trollen versprochen, und nächsten Donnerstagabend soll der eine Troll kommen und sie holen. Ritter Röd hat zwar gesagt, daß er sie befreien wolle, aber wer weiß, ob er das vermag. Und so kannst du wohl verstehen, daß hier Sorge und Betrübnis herrschen«.

Als der Donnerstagabend herankam, folgte Ritter Röd der Prinzessin hinunter zum Strand -denn da sollte sie den Troll treffen. Und er sollte da unten sein und auf sie aufpassen. Aber er fügte dem Troll keinen großen Schaden zu, glaube ich, denn kaum hatte sich die Prinzessin



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an den Strand gesetzt, kletterte Ritter Röd hinauf in einen grossen Baum, der da stand, und verbarg sich darin, so gut er konnte in den Zweigen. Die Prinzessin bat so herzlich und weinte, daß er sie nicht verlassen solle, aber Ritter Röd kümmerte sich nicht darum: »Es ist besser einer verliert das Leben, als zwei«, sagte Ritter Röd.

Indessen bat Lillekort das Küchenmädchen so sehr, ob sie ihm nicht erlauben wolle, ein wenig hinunter zum Strand zu gehen.

»Ach, was willst du dort«, sagte das Küchenmädchen, »du hast da nichts zu suchen«.

»Ach doch, meine Liebe, laß mich gehen«, bat Lillekort, ich will so gern hin und mit den anderen Jungen vergnügt sein«.

»Nun ja, so geh nur hin«, sagte das Küchenmädchen, »aber daß du mir nicht länger bleibst, als bis daß der Kessel mit der Abendsuppe übers Feuer gehängt wird und das Gebratene auf den Rost kommt. Und bring einen tüchtigen Arm voll Holz mit herein wieder in die Küche! Das versprach Lillekort und lief zum Strand hinunter.

So wie er dort hin kam, wo die Königstochter saß, kam der Troll angefahren, und es sauste und brauste nur so ihm ihn herum. Er war so groß und fett, daß es häßlich anzusehen war, und fünf Köpfe hatte er auch.

»Feuer!« schrie der Troll -

»Jawohl, Feuer!« sagte Lillekort.

»Kannst du kämpfen«, fragte der Troll.

»Kann ich es nicht, so kann ich es wohl lernen«, sagte Lillekort.

Da schlug der Troll auf ihn ein mit einer großen, dicken Eisenstange, die er in der Faust hatte, sodaß die Erdspritzer fünf Ellen hoch sprangen.

»Tvi!« sagte Lillekort, »das ist auch etwas; nun sollst du meinen Hieb spüren!« dann ergriff er das Schwert, das er von der Alten empfangen hatte, und hieb auf den Troll los, daß alle fünf Köpfe auf den Sand flogen.

Als die Prinzessin sah, daß sie befreit war, wurde sie so fröhlich, daß sie gar nicht wußte, was sie vor lauter Freude machen sollte, sie tanzte und sprang. »Schlafe nun eine kleine Weile in meinem Schoß«, sagte sie zu Lillekort, und während er so lag, zog sie ihm eine Goldkleidung über.

Aber es dauerte gar nicht lang, so krabbelte Ritter Röd herunter vom Baum, als er sah, daß ihm keine Gefahr mehr drohte. Die Königstochter aber bedrohte er so lange bis sie versprach, zu erzählen, daß er sie befreit hätte, denn sage sie das nicht, so nähme er ihr das



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Leben. Dann nahm er Lunge und Zungen des Trolles, legte sie in sein Taschentuch und führte die Prinzessin zurück zum Königshof. Und war er vorher nicht geachtet worden, so wurde er es nun. Der König wußte gar nicht, was er erfinden sollte, um ihn zu ehren, und allezeit saß er zur rechten Seite des Königs bei Tische.

Als Lillekort aufgewacht war, fuhr er zunächst mit seinem Trollfrauenschiff weg und holte eine Menge Gold- und Silbersachen und andere prächtige Dinge, die dem besiegten Troll gehört hatten, und damit fuhr er zurück zum Königshof. Als das Küchenmädchen all das Gold sah, wurde sie ganz bleich und fragte: »Aber lieber Freund Liliekort, woher hast du all dieses?« denn sie hatte Angst, er habe es auf keine ehrliche Art erworben. »Ach, ich war ein wenig zu Haus, und da waren diese Sachen aus einem Eimer herausgefallen und da habe ich sie dir mitgebracht!« Als das Küchenmdächen hörte, daß dies alles für sie sei, fragte sie nicht weiter nach der Herkunft der Dinge, sie dankte Lillekort und alles war wieder gut und schön.

Am anderen Donnerstagabend ging es genau so. Alle waren in Leid und Betrübnis, aber Ritter Röd sagte, wenn er die Königstochter von dem einen Troll errettet habe, so könne er sie auch von dem anderen erretten und führte sie hinunter zum Strand. Aber er fügte dem Troll keinen großen Schaden zu; denn bevor die Zeit herankam, da der Troll erwartet wurde, sagte er genau wie beim ersten Male:» Es ist besser, einer verliert das Leben, als zwei«, und kletterte wieder hinauf in den Baum.

Lillekort bat auch diesmal um Erlaubnis, hinunter zum Strand zu gehen.

»Ach, was willst du dort«, sagte das Küchenmdächen.

»Ach, Liebe, laß mich gehen«, sagte Lillekort, »ich will so gerne hinunter und mich mit den anderen Jungen vergnügen«. Ja, dann solle ihm erlaubt sein, zu gehen, aber zuerst mußte er versprechen, er solle zurück sein, wenn das Gebratene gewendet werden müsse, und dann solle er einen großen Arm voll Holz mitbringen.

Kaum war Lillekort hinunter zum Strand gegangen, so kam der Troll auch schon angefahren, daß es um ihn nur so sauste und brauste. Der war noch einmal so groß wie der erste Troll und hatte zehn Köpfe.

»Feuer!« schrie der Troll.

»Jawohl, Feuer!« sagte Lillekort.

»Kannst du kämpfen?«fragte der Troll.

»Kann ich es nicht, so werde ich es lernen«, sagte Lillekort.

Da schlug der Troll auf ihn ein mit einer Eisenstange, die war noch



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größer, als die andere, die der erste Troll hatte -sodaß die Erdspritzer zehn Ellen hoch in die Luft sprangen.

»Tvi!« sagte Lillekort, »das war auch etwas! Nun sollst du gleich sehen, wie ich zuhaue!« So ergriff er das Schwert und hieb auf den Troll ein, sodaß alle zehn Köpfe über den Sand tanzten.

Dann sagte die Königstochter wieder zu ihm: »Schlafe eine kleine Weile in meinem Schoß«, und während Lillekort dort lag, zog sie ihm eine Silberkleidung über.

Sobald Ritter Röd merkte, daß ihm länger keine Gefahr drohe, krabbelte er vom Raum herunter und bedrohte die Prinzessin so lange bis sie versprach, zu sagen, daß er es gewesen sei, der sie vom Troll befreit habe. Dann nahm er die Zungen und die Lunge von dem Troll und legte sie in sein Taschentuch, und dann führte er die Königstochter zurück zum Schloß. Hier war Freude und Glück, das kannst du glauben, und der König wußte gar nicht, was er anstellen sollte, Ritter Röd ja genug Ehre und Dank zu erweisen.

Aber Lillekort nahm wieder mit sich einen Arm voll Gold -und Silbersachen aus den Trollschätzen in das Trollfrauenschiff. Als er in das Königsschloß zurückkam, schlug das Küchenmädchen die Hände zusammen und wunderte sich, woher all das Gold und Silber käme. Aber Lillekort antwortet, er sei ein wenig daheim gewesen, und da seien diese Sachen aus einem Eimer herausgefallen und das hätte er mit zum Küchenmädchen genommen, sagte er.

Als der dritte Donnerstagabend kam, ging es genau wie das erste Mal. Der ganze Königshof war mit Schwarz verkleidet und alle waren in Sorge und Leid. Aber Ritter Röd sagte, sie hätten keinen Grund, sich zu fürchten, hätte er die Königstochter von zwei Trollen befreit, so könne er sie wohl auch von dem dritten Troll befreien. Er führte sie hinunter zum Strand, aber als die Zeit nahte, wo der Troll kommen sollte, kroch er hinauf in den Baum und verbarg sich wieder. Die Prinzessin weinte und bat ihn, zu bleiben, aber das half nichts, es blieb beim alten: »Das ist besser, einer verliert das Leben, als zwei«, sagte Ritter Röd.

An diesem Abend bat Lillekort gleichfalls um Erlaubnis, hinunter zum Strand zu gehen.

»Ach, was willst du dort?«fragte das Küchenmädchen.

Aber er bat so lange, bis er endlich Erlaubnis bekam, zu gehen. Aber das mußte er versprechen, daß er in der Küche zurück sei, wenn das Gebackene bereitet werden müsse.

Sobald er hinunter zum Strand kam, erschien der Troll, daß es nur



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so sauste und brauste. Der war viel größer als die anderen beiden und hatte fünfzehn Köpfe.

»Feuer!« rief der Troll.

»Jawohl, Feuer!« sagte Lillekort.

»Kannst du kämpfen?«fragte der Troll.

»Kann ich es nicht, so kann ich es wohl lernen«, sagte Lillekort.

»Ich werde es dich lehren«, schrie der Troll und schlug auf ihn ein mit seiner Eisenstange, sodaß die Erdspritzer fünfzehn Ellen in die Luft sprangen.

»Tvi«, sagte Lillekort, »das war auch etwas! Nun sollst du einen Schlag von mir sehen!«Sogleich ergriff er das Schwert und hieb damit gegen den Troll, sodaß alle fünfzehn Köpfe über den Sand tanzten. Da war die Prinzessin befreit und sie dankte und segnete Lillekort dafür, weil er sie gerettet habe.

»Schlaf nun eine kleine Weile in meinem Schoß«, sagte sie, und während er so lag, zog sie ihm eine Messingkleidung über.

»Aber wie sollen wir nun beweisen, daß du es warst, der mich befreit hat?« fragte die Königstochter.

»Das will ich dir schon sagen«, antwortete Lillekort. »Wenn jetzt Ritter Röd dich wieder heimgeleitet hat und sich als den ausgibt, der dich vom Troll befreit, so weißt du, daß er dich heiraten und das halbe Königreich bekommen soll. Aber wenn du am Hochzeitstage gefragt wirst, wen du haben willst zum Einschenken der Schalen, sollst du sagen: »Ich will den armen Jungen dazu haben, der in der Küche ist und Holz und Wasser trägt für das Küchenmädchen«. Aber während ich einschenke, verliere ich einen Tropfen auf seinen Teller, aber nicht auf deinen, so wird er bös werden und mich schlagen. Und das wiederholen wir beide dreimal. Aber das dritte Mal sollst du sagen: »Du sollst dich schämen, daß du meinen Herzallerliebsten schlägst! Er hat mich befreit und ihn will ich haben!«

Dann sprang Lillekort zum Königshof zurück wie die anderen Male auch. Aber vorher war er draußen beim Trollfrauenschiff so schnell er konnte, und nahm einen ganzen Haufen Gold und Silber und andere kostbare Dinge aus dem Trollschatz, und davon gab er dem Küchenmädchen wieder einen Arm voll Gold -und Silberdinge.

Noch nie war Ritter Röd so schnell vom Baum herunter geklettert, als die Gefahr vorüber war, wie diesmal. Und er bedrohte die Königstochter bis sie versprach, sie würde sagen, er habe sie vom Troll befreit. So führte er sie zurück zum Königshof. Und war er vorher nicht genug geehrt, so wurde er es nun: der König dachte an nichts anderes,



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als wie er den ehren sollte, der seine Tochter befreit hatte von den drei Trollen. Das sei abgemacht, daß er die Tochter heiraten und das halbe Reich bekommen solle, sagte er.

Aber am Hochzeitstage bat die Prinzessin darum, daß der arme Junge, der Holz und Wasser für das Küchenmädchen trug, Mundschenk sein solle am Brauttisch. »Ach, was willst du mit dem schwarzen Betteijungen hier drin«, sagte Ritter Röd, aber die Prinzessin sagte, sie wolle ihn haben, um die Schalen zu füllen, und sonst keinen anderen, und endlich bekam sie dazu die Erlaubnis. Und so ging alles wie es verabredet war zwischen Lillekort und der Königstochter: er verlor einen Tropfen auf den Teller von Ritter Röd, aber keinen auf ihren. Und jedesmal wurde Ritter Röd böse und schlug nach ihm. Beim ersten Schlag fiel das Lumpenkleid von Lillekort ab, das er in der Küche übergezogen hatte, und beim zweiten Schlag fiel die Messingkleidung und beim dritten Schlag die Silberkleidung. Dann stand er da in der Goldkleidung, so blank und prächtig, daß es um ihn nur so leuchtete.

Da sagte die Königstochter: »Schämen sollst du dich, daß du meinen Herzallerliebsten schlägst! Er hat mich erlöst und ihn will ich haben!«

Ritter Röd schwor und fluchte, daß er sie befreit hätte; aber da sagte der König: »Der, welcher meine Tochter befreit hat, wird wohl etwas vorzuweisen haben«.

Also lief Ritter Röd gleich davon und holte sein Taschentuch mit Lungen und Zungen, und Lillekort holte all das Gold und Silber und all die Kostbarkeiten, die er aus dem Trollschatz genommen hatte. So legte jeder das Seine dem Könige vor. »Er muß den Troll getötet haben«, sagte der König und zeigte auf den Jungen mit all seinen Kostbarkeiten und Schätzen, »denn so etwas ist nirgends anders zu bekommen«. Und so wurde Ritter Röd in den Schlangengraben geworfen, und Lillekort sollte die Prinzessin haben und das halbe Reich.

Eines Tages gingen Lillekort und der König spazieren. Da fragte Lillekort den König, ob er nicht mehrere Kinder gehabt hätte. »Ja«, sagte der König, »ich habe noch eine Tochter gehabt, aber die hat der Troll genommen und da ist nicht einer, der sie befreien kann. — Nun hast du die eine meiner Töchter bekommen; aber kannst du auch die andere erlösen, die der Troll mir weggenommen hat, so kannst du sie gerne auch haben und auch die andere Hälfte des Reiches«.

»Ich will es gern versuchen«, sagte Lillekort, »aber ich muß dazu eine Eisenkette haben, die fünf hundert Ellen lang ist, und dann will ich fünf hundert Mann haben und Wegzehrung für die fünfzehn Wochen, denn ich will weit auf See hinaus«, sagte er.



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Ja, das könne er gerne haben, aber der König war in Sorge, daß er kein so großes Schiff haben würde, das alles zusammen tragen könne.

»Das Schiff habe ich selbst«, sagte Lillekort und zog das Schiff aus der Tasche, das er von der Trollfrau bekommen hatte.

Der König lachte ihn aus und dachte, das könne ja nur ein Spaß sein. Aber Lillekort bat nur um das, was er verlangt hatte, so würde der König schon sehen.

Da kamen sie mit all den Sachen, und Lillekort bat, zuerst sollten sie die Eisenkette ins Schiff legen, aber da war niemand, der die Kette auch nur anzuheben vermochte, und viele konnten nicht Platz bekommen um das winzige Schiff herum auf einmal. So nahm Lillekort selbst die Kette auf, an dem einen Ende, und legte einige Kettenglieder in das Schifflein, und so wie er die Kette in das Schiff lein zu legen begann, wurde das Schiff größer und größer, und zum Schluß war es so groß, daß alles, die Kette und die fünfhundert Mann und die Wegzehrung für fünfzehn Wochen und er, Lillekort selbst, gut darin Platz hatten. »Fahre nun durch Süßwasser und Salzwasser, über Berge und tiefe Täler, und halte nicht vorher an, bis du dorthin kommst, wo des Königs Tochter ist«, sagte Lillekort zu dem Schiff. —Und sogleich fuhr es davon, und es kreischte und pfefferte nur so um es herum, als es über Land und Wasser fuhr.

Als sie so lange, lange dahin gesegelt waren, hielt das Schiff mitten im offenen Meer an. »Ja ,nun sind wir angekommen«, sagte Lillekort, »aber eine andere Sache ist die, wie wir wieder von hier weg kommen«.

Dann nahm er die Eisenkette und band das eine Ende um seinen Leib. »Nun muß ich auf den Grund«, sagte er, »aber wenn ich stark an der Kette ziehe, und will wieder hinauf, müßt ihr alle ziehen wie ein Mann, sonst ist nicht daran zu denken, daß wir am Leben bleiben, ihr nicht und ich nicht«. Und damit sprang er in die See, sodaß goldene Luftblasen um ihn im Wasser standen. Er sank und sank, und endlich kam er auf den Grund. Da sah er einen großen Fels mit einer Tür daran, und da ging er hinein. Als er hineingekommen war, fand er die andere Königstochter dort, sie saß und nähte. Aber als sie Lillekort sah, schlug sie die Hände zusammen. »Ach Gott sei gelobt«, rief sie, nun habe ich keinen Chritenmenschen gesehen, seitdem ich hierher gekommen bin«.

»Ja, ich will dich holen«, sagte Lillekort.

»Ach, mich bekommst du nicht«, sagte die Königstochter, »das ist gar nicht daran zu denken, wenn der Troll dich sieht, nimmt er dir das Leben«.



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»Das wäre gut, du würdest mir von ihm erzählen«, sagte Lillekort, »wo ist er denn? Das würde ein Spaß sein, ihn zu sehen«.

So erzählte die Königstochter, daß der Troll ausgegangen sei, um einen einzufangen, welcher hundert Lasten Malz zu einem Gebräu brauen könne, denn es solle ein Gastgelage beim Troll abgehalten werden, und da könne er nichts weniger anbieten als das.

»Das kann ich machen«, sagte Lillekort.

»Wenn nur der Troll nicht so hitzigen Sinnes wäre, sodaß ich ihm das in Ruhe erzählen könnte«, antwortete die Köngstochter, »aber er ist so brausend zornig, daß er dich in Stücke reißt, sowie er hereinkommt, fürchte ich. Doch ich will versuchen, etwas zu erfinden. Nun kannst du dich hier im Alkoven verstecken, so wollen wir sehen, wie es geht«.

Ja, so machte es Lillekort, und kaum war er in den Alkoven gekrochen und hatte sich versteckt, so kam auch schon der Troll.

»Huff, hier riecht es nach Christenmannsblut«, schrie der Troll.

»Ja, es flog ein Vogel übers Dach mit einem Christenknochen im Schnabel, und den hat er runter in den Schornstein fallen lassen«, antwortete die Königstochter, »ich beeilte mich, ihn fortzuwerfen, aber es riecht wohl trotzdem noch danach«.

»Ja, das ist es wohl«, sagte der Troll. Dann fragte die Königstochter, ob er wohl einen erwischt hätte, der hundert Lasten Malz zusammenbrauen könne in ein einziges Gebräu.

»Nein, das kann niemand«, sagte der Troll.

»Es ist eine kleine Weile her, da war einer hier drin, der sagte, das könne er«, erzählte die Königstochter.

»Du bist doch sonst allezeit so klug, du«, antwortete der Troll, »warum hast du ihn gehen lassen? Du wußtest doch, so einen wollte ich haben«.

»Ich ließ ihn natürlich nicht gehen«, sagte die Königstochter, aber weil du so hastigen Sinnes bist, so versteckte ich ihn im Alkoven. Wenn du keinen bekommen hast, so ist er eben hier«.

»Laß ihn herauskommen!« sagte der Troll. Als Lillekort aus dem Alkoven herauskam, fragte ihn der Troll, ob das wahr sei, daß er hundert Lasten Malz in ein Gebräu bringen könne.

»Ja«, sagte Lillekort.

»Das ist gut, daß ich dich bekommen habe«, sagte der Troll, »mache dich sofort ans Werk, aber hüte dich, das Bier nicht stark genug zu brauen«.

»Ach, das wird schon schmecken«, sagte Lillekort, und nun begann



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er zu brauen.

»Aber ich muß noch viele Trolle haben, die den Absud tragen können«, sagte Lillekort, » die ich bekommen habe, vermögen es nicht so gut.

Ja, er bekam eine Menge Trolle zur Hilfe, daß es nur so wimmelte, und so ging es gut mit dem Brauen.

Als nun die Würzprobe fertig war, sollten sie alle zusammen kosten, versteht sich, erst der Troll selbst und dann die anderen. Aber Lillekort hatte die Würzprobe so stark gebraut, daß sie tot umfielen wie die Fliegen, nachdem sie davon getrunken hatten. Zum Schluß blieb niemand anderer zurück, als eine alte, schwache Frau, die hinter dem Ofen saß«. Ach, du Arme!« sagte Lillekort, »du mußt natürlich auch etwas zu kosten bekommen«. Dann ging er hin und schabte auf dem Grund des Braukessels mit dem Milchgefäß die Reste zusammen und gab sie ihr. Da war er sie alle zusammen los.

Als er nun so dastand und sich umsah, entdeckte er eine große Kiste. Die nahm Lillekort und füllte sie mit Gold und Silber. Dann band er das Eisenkettenende um sich, um die Kiste und um die Prinzessin und ruckte an der Kette aus Leibeskräften. Da zog die Mannschaft alles nach oben und barg es wohlbehalten im Schiff.

Da nun Lillekort auf diese Weise wieder an Bord gekommen war, sagte er: »Fahre nun durch Salzwasser und Süßwasser, über Berg und tiefe Täler, und halte nicht eher an, bevor du am Königshof angekommen bist«, und sofort fuhr das Schiff davon, sodaß goldene Wasserfälle um es herum sprangen.

Als die am Königshof das Schiff sahen, beeilten sie sich, es mit Sang und Spiel zu begrüßen, und sie empfingen sie alle fröhlich. Aber am frohesten von allen war der König, der nun auch seine andere Tochter wieder hatte.

Aber wem nicht so gut zumute war, das war Lillekort, denn beide Königstöchter wollten ihn haben, aber er selbst wollte niemanden anderen haben, als diejenige, die er zuerst erlöst hatte - das war die Jüngste. Deshalb ging er oft hin und her und dachte darüber nach, was er wohl machen könne, daß er sie bekäme, bevor die andere ihn auch haben wollte. Eines Tages, als er die Sache hin und her bedachte, fiel ihm ein, daß er doch einen Bruder habe. König Lawring, der ihm so sehr glich, daß man beide nicht voneinander unterscheiden konnte. So könne der die andere Königstochter und das halbe Reich haben, denn er selbst würde genug haben mit der einen Hälfte. Kaum war ihm das eingefallen, so ging er auch schon hinaus vor das Schloß und rief nach



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König Lawring. Nein, der kam nicht. So rief er noch einmal und etwas lauter, aber nein, es kam niemand. So rief Lillekort zum dritten Male, und dann aus allen Kräften; da stand der Bruder vor ihm.

»Ich sagte, du solltest mich nicht rufen, außer in der äußersten Not!« sagte er zu Lillekort, »und hier ist ja keine Mücke, die dir etwas tun kann«. Damit schlug er nach ihm, und Lillekort rollte über den Hügel hinab.

»Schäme dich, daß du mich schlägst«, sagte Lillekort zum Bruder, »zuerst habe ich dir eine Königstochter gewonnen und das halbe Reich und dann die andere Königstochter und das andere halbe Reich. Und nun dachte ich dir die eine Königstochter abzugeben und die andere Hälfte des Königreiches -findest du das rühmlich, so zu verfahren mit mir?« -

Als König Lawring das hörte, bat er seinen Bruder um Vergebung und sie wurden gleich wieder gute Freunde und liebten einander. »Nun weißt du«, sagte Lillekort, »daß wir uns so ähneln, daß uns keiner voneinander unterscheiden kann. Wechsle also die Kleider mit mir und geh hinauf zum Schloß, so glauben die Königstöchter, das bin ich, der da kommt. Diejenige, die dich zuerst küßt, sollst du haben, so nehme ich die andere«. Denn er wußte, daß die ältere Königstochter die stärkere war, und so konnte er sich das wohl denken, wie es ausgehen würde.

König Lawring willigte sofort ein, er wechselte die Kleider mit seinem Bruder und ging hinauf zum Schloß. Als er in den Raum hineinkam zu den Königstöchtern, glaubten sie, das sei Lillekort, und beide sprangen sie auf ihn zu. Aber die ältere, welche die stärkere und größere war, stupfte die Schwester beiseite und fiel König Lawring um den Hals und küßte ihn. Und so bekam er sie, und Lillekort bekam die jüngste Königstochter. Da kann man sich wohl vorstellen, das gab eine doppelte Hochzeit, von der man in sieben Königreichen hörte und sprach.


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