Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON 'ABDALLAH. DEM LANDBEWOHNER. UND 'ABDALLAH. DEM MEERMANN

Es war einmal ein Fischersmann, 'Abdallâh geheißen; der hatte eine große Familie, denn bei ihm waren neun Kinder und deren Mutter. Aber er war arm und besaß nichts als sein Netz. Jeden Tag ging er zum Meere, um zu fischen; und wenn er wenig gefangen hatte, so verkaufte er es und verwandte den Erlös für seine Kinder je nach Maßgabe dessen, was Allah ihm beschert hatte; fing er aber viel, so kochte er ein gutes Gericht und holte Früchte. Dann gab er so lange Geld aus, bis ihm nichts mehr übrig blieb; und er pflegte darauf bei sich zu sprechen: ,Das Brot für morgen kommt morgen!' Als seine Frau ihm noch ein Kind schenkte, waren es ihrer zehn; und gerade an jenem Tage mußte es sein, daß der Mann ganz und gar nichts besaß. Die Frau sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, schau doch für mich nach etwas, von dem ich mich nähren kann!' Er gab ihr zur Antwort: ,Ich will noch heute, auf den Segen Allahs des Erhabenen hin, zum Meere gehen, für das Glück dieses Neugeborenen, auf daß wir sehen, ob das Geschick ihm günstig ist.' Darauf sagte sie zu ihm: ,Setze dein Vertrauen auf Allah!' So nahm er denn das Netz und begab sich zum Meere. Dann warf er es aus für das Glück jenes kleinen Kindleins, indem er sprach: ,O Gott, laß den Lebensunterhalt leicht für ihn werden und ohne Beschwerden, reichlich und nicht kärglich!' Nachdem er eine Weile gewartet hatte, zog er es hoch; und es kam hoch, voll von Abfall, Sand, Kieseln und Tang, aber von Fischen konnte er nichts darin entdecken, weder viel noch wenig. Dann warf er es ein zweites Mal aus und wartete; doch



1000-und-1_Vol-06-187 Flip arpa

als er es herauszog, fand er wieder keine Fische darin. Und von neuem warf er es aus, ein drittes, ein viertes und ein fünftes Mal; dennoch kam kein Fisch in ihm hoch. Da ging er an eine andere Stelle und flehte zu Allah dem Erhabenen um sein täglich Brot. Unaufhörlich mühte er sich so, bis der Tag sich neigte; aber er fing auch nicht einmal ein kleines Fischlein. Da wunderte er sich in seiner Seele und sprach: ,Hat Allah denn dies Neugeborene ohne sein täglich Brot erschaffen? Das ist doch ganz unmöglich! Denn Er, der den Menschen mit dem Spalt des Mundes vollendet, hat sich auch für seine Speise verpfändet; und Allah der Erhabene ist der Allgütige, derdie Nahrung spendet.' Alsdann lud er sein Netz auf und kehrte heim, gebrochenen Mutes und das Herz voll von Sorgen um die Seinen, daß er sie ohne Speise lassen mußte, zumal da seine Frau im Kindbett lag. So zog er seines Weges weiter, indem er bei sich selber sprach: ,Was soll ich nur tun? Was soll ich heute abend den Kindern sagen?' Wie er aber zu dem Ofen eines Bäckers gelangte, sah er dort ein Gedränge; denn es war eine Zeit der Teuerung, und in jenen Tagen ward nur wenig Nahrung bei den Menschen gefunden; die Leute hielten dem Bäcker das Geld hin, aber er achtete ihrer nicht, weil das Gedränge so groß war. Der Fischer blieb dort stehen und schaute zu; und als er den Duft des warmen Brotes roch, gelüstete es seine Seele danach, weil ihn hungerte. Da erblickte ihn der Bäcker, und er rief ihm zu: ,Komm her, Fischer!' Als der zu ihm herangetreten war, fragte er ihn: ,Willst du Brot?' Doch der Fischer schwieg. Dann fuhr der Bäcker fort: ,Sprich nur, scheue dich nicht; denn Allah ist gütig! Wenn du kein Geld bei dir hast, so will ich dir Brot geben und warten, bis es dir wieder gut geht.' ,Bei Allah,' erwiderte der Fischer, ,Meister, ich habe kein Geld; doch gib mir Brot genug für die Meinen, und ich



1000-und-1_Vol-06-188 Flip arpa

will dies Netz als Pfand bis morgen bei dir lassen.' Da sagte der Bäcker: ,Armer Kerl, dies Netz ist dein Laden und das Tor zu deinem täglichen Brot. Wenn du es verpfändest, womit willst du fischen? Sage mir nur, wieviel dir genügt!' ,Für zehn Para', antwortete der Fischer; und da gab der Bäcker ihm Brot für zehn Para und reichte ihm auch noch zehn Para hin, indem er zu ihm sprach: ,Nimm diese zehn Parastücke und koche dir dafür ein Gericht Fleisch; dann bist du mir zwanzig Para schuldig. Morgen kannst du mir Fische dafür bringen. Wenn du aber nichts fängst, so komm und hoi dir dein Brot und deine zehn Para; ich will gern warten, bis das Glück wieder zu dir kommt!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 941. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Bäcker zum Fischer sprach: ,Nimm, was du brauchst; ich will gern warten, bis das Glück wieder zu dir kommt. Dann bringe mir Fische für alles, was ich von dir zu fordern habe! 'Da sagte der Fischer: ,Allah der Allmächtige lohne es dir und vergelte dir an meiner Statt mit allem Guten!' Darauf nahm er das Brot und die zehn Parastücke und ging freudigen Herzens von dannen; nachdem er gekauft hatte, was ihm erreichbar war, trat er zu seiner Frau ein, und er sah, wie sie dasaß und die Kinder tröstete, die vor Hunger weinten, indem sie zu ihnen sprach: ,Gleich bringt euer Vater euch etwas zum Essen!' Als er nun wirklich bei ihnen war, legte er das Brot vor sie hin, und sie aßen, während er seiner Frau erzählte, wie es ihm ergangen war; und sie sprach: ,Allah ist gütig!' Am nächsten Tage lud er sein Netz wieder auf und ging aus seinem Hause, indem er sprach: ,Ich flehe dich an, o Herr, gewähre mir heute so viel, daß ich mit



1000-und-1_Vol-06-189 Flip arpa

reinem Gesicht vor dem Bäcker dastehe!' Als er zum Meere kam, warf er das Netz aus und zog es wieder ein; aber es kam kein Fisch darin hoch. Wiederum mühte er sich unablässig, bis der Tag zur Rüste ging, ohne daß er etwas gefangen hätte. Voll schweren Kummers kehrte er heim; und da der Weg zu seinem Hause an dem Ofen des Bäckers vorbeiführte, so sprach er bei sich selber: ,Wie soll ich nun zu meinem Hause gehen? Ich will doch meinen Schritt beeilen, damit der Bäcker mich nicht sieht!' Als er dann zum Ofen des Bäckers kam, sah er dort wieder ein Gedränge, und er beeilte seinen Gang aus Scheu vor dem Bäcker, auf daß der ihn nicht sähe. Aber der Bäcker hob seinen Blick zu ihm auf und rief: ,Du, Fischer, komm her, hol dir dein Brot und dein Geld. Du hast es wohl vergessen!' ,Nein, bei Allah,' erwiderte jener, ,ich hab es nicht vergessen; ich schämte mich nur vor dir, weil ich auch heute keine Fische gefangen habe.' Doch der Bäcker fuhr fort: ,Schäme dich nicht! Habe ich dir nicht gesagt, daß es Zeit für dich hat, bis das Glück wieder zu dir kommt?' Darauf gab er ihm das Brot und die zehn Para; und der Fischer ging zu seiner Frau und berichtete ihr das Geschehene. Sie sagte darauf: ,Allah ist gütig! So Gott der Erhabene will, wird das Glück wieder bei dir einkehren, und du kannst ihm deine Schuld bezahlen.' Vierzig Tagelang ging es so weiter; jeden Tag zog er zum Meere von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und mußte ohne Fische heimkehren; und immer holte er Brot und Geld von dem Bäcker, ohne daß der je einmal von den Fischen zu ihm sprach oder ihn warten ließ wie die anderen Leute, sondern er gab ihm stets die zehn Para und das Brot. Sooft der Fischer zu ihm sprach: ,Bruder, rechne ab mit mir!' erwiderte er ihm: ,Geh, dies ist nicht die Zeit zum Abrechnen: wenn das Glück wieder zu dir kommt, will ich mit dir abrechnen!' Dann segnete der



1000-und-1_Vol-06-190 Flip arpa

Fischer ihn und verließ ihn, indem er ihm dankte. Am einundvierzigsten Tage nun sprach er zu seiner Frau: ,Ich will dies Netz zerreißen und vor diesem Leben Ruhe haben!' ,Weshalb denn?' fragte sie; und er gab ihr zur Antwort: ,Es scheint, als ob mein Lebensunterhalt nicht mehr aus dem Meere kommt. Wie lange soll dies Leben noch dauern? Bei Allah, ich vergehe aus Scham vor dem Bäcker; und ich will hinfort nicht zum Meere gehen, damit ich nicht bei seinem Ofen vorbeikomme. Ich habe ja keinen andren Weg als den, der an ihm vorbeiführt; und jedesmal, wenn ich dort vorüberkomme, ruft er mich und gibt mir das Brot und die zehn Parastücke. Wie lange soll ich noch Schulden bei ihm machen?' Da sprach sie zu ihm: ,Preis sei Allah dem Erhabenen, der dir sein Herz geneigt gemacht hat, so daß er dir die Nahrung gibt. Was mißfällt dir daran?' Er entgegnete: ,Jetzt hat er schon eine große Summe von Dirhems von mir zu fordern, und er wird sicherlich verlangen, was ihm gebührt!' ,Hat er dir harte Worte gegeben?' ,Nein; er will sogar nicht mit mir abrechnen und sagt immer: Wenn das Glück wieder zu dir kommt.' ,Wenn er dich mahnen sollte, so sprich du zu ihm: Warte, bis das Glück kommt, auf das wir beide hoffen, ich und du.' ,Und wann kommt endlich das Glück, auf das wir hoffen?' ,Allah ist gütig!' ,Du hast recht', sagte der Fischer, lud sich sein Netz wieder auf und begab sich zum Meere, indem er betete: ,O Herr, gewähre mir etwas, sei es auch nur ein einziger Fisch, damit ich ihn dem Bäcker schenken kann!' Dann warf er das Netz ins Meer; und als er es herausziehen wollte, fand er, daß es schwer war; er mühte sich lange mit ihm ab, bis er ganz ermattet war. Wie er es aber am Lande hatte, entdeckte er darin einen toten Esel, der schon aufgedunsen war und abscheulich stank. Ihm ward ganz übel, und als er das Tier aus dem Netze herausgeholt



1000-und-1_Vol-06-191 Flip arpa

hatte, sprach er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Ich verzweifle jetzt! Ich sage da zu meiner Frau: ,Aus dem Meere kommt kein Lebensunterhalt mehr für mich; laß mich dies Gewerbe aufgeben!' Und sie antwortet mir: ,Allah ist gütig! Das Glück wird zu dir kommen.' ,Ja, ist denn dieser tote Esel etwa das Glück?' Nun kam wieder schwerer Kummer über ihn, und er begab sich an eine andere Stelle, um dem Geruch des Esels fern zu sein; dort nahm er das Netz und warf es von neuem aus. Nachdem er eine ganze Weile gewartet hatte, zog er daran und fühlte, daß es schwer war, und er mühte sich so lange damit ab, bis ihm das Blut aus den Händen rieselte. Als er es schließlich am Lande hatte, entdeckte er darin ein menschliches Wesen, und er vermeinte, daß es einer von den Dämonen des Herrn Salomo sei, die er in kupferne Flaschen zu sperren und ins Meer zu werfen pflegte, und daß die Flasche im langen Laufe der Jahre zerbrochen und jener Dämon aus ihr herausgekrochen und in das Netz geraten sei. Deshalb floh er vor ihm und schrie: ,Gnade! Gnade! O Dämon Salomos!' Doch jenes Menschenwesen rief ihm aus dem Netze zu: ,Komm her, Fischer, und flieh nicht vor mir; denn ich bin ein Mensch wie du! Befreie mich, auf daß du himmlischen Lohn dafür empfangest!' Wie der Fischer seine Worte vernahm, beruhigte sich sein Herz, und er trat zu ihm hin und fragte ihn: ,Bist du denn nicht ein Dämon aus der Geisterwelt?' ,Nein,' erwiderte jener, ,ich bin ein Mensch, der an Allah und Seinen Gesandten glaubt.' Und als der Fischer ihn fragte: ,Wer hat dich ins Meer geworfen?' fuhr er fort: ,Ich gehöre zu den Kindern des Meeres, und ich wandelte gerade umher, als du das Netz über mich warfst. Wir sind ein Volk, das den Befehlen Allahs gehorcht, und wir sind gütig gegen die Geschöpfe Allahs des Erhabenen.



1000-und-1_Vol-06-192 Flip arpa

Wenn ich mich nicht fürchtete und mich nicht scheute, zu den Ungehorsamen zu gehören, so hätte ich dein Netz zerrissen; aber ich fügte mich in das, was Allah mir vorherbestimmt hat. Und du wirst, so du mich befreist, mein Gebieter; denn ich bin dein Gefangener. Willst du mich nun freilassen im Begehren nach dem Antlitze Allahs des Erhabenen und einen Bund mit mir schließen und mein Freund werden? Dann will ich jeden Tag an dieser Stätte zu dir kommen; und wenn du mich besuchst, so bringe mir ein Geschenk mit von den Früchten des Landes. Denn bei euch gibt es Trauben und Feigen, Wassermelonen und Pfirsiche, Granatäpfel und dergleichen mehr; alles, was du mir bringst, soll mir von dir willkommen sein. Wir aber haben Korallen und Perlen, Chrysolithe und Smaragde, Rubinen und andere Edelsteine, und ich will dir den Korb, in dem du mir die Früchte bringst, mit Juwelen von den Edelsteinen des Meeres füllen. Was sagst du zu diesem Vorschlag, mein Bruder?' Der Fischer gab ihm zur Antwort: ,Die Fâtiha sei zwischen mir und dir auf diesen Vorschlag!' Da sprachen sie alle beide die Fâtiha, und der Fischer befreite ihn aus dem Netze. Nun fragte er den Mann: ,Wie heißest du?' Und jener erwiderte: ,Ich heiße 'Abdallâh der Meermann; und wenn du an diese Stätte kommst und mich nicht siehst, so ruf und sprich: ,Wo bist du, o 'Abdallâh, o Meermann?' Dann werde ich sofort bei dir sein!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 942. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh der Meermann zu dem Fischer sprach: ,Wenn du an diese Stätte kommst und mich nicht siehst, so ruf und sprich: ,Wo bist du, o 'Abdallâh, o Meermann?' Dann werde ich sofort bei dir sein.



1000-und-1_Vol-06-193 Flip arpa

Du aber, wie heißest du:' Der Fischer antwortete: ,Ich heiße 'Abdallâh!' Und der andere fuhr fort: ,So bist du denn 'Abdallâh der Landbewohner, und ich bin 'Abdallâh der Meermann. Warte du hier, bis ich wiederkomme und dir ein Geschenk bringe!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Fischer, während 'Abdallâh der Meermann im Wasser verschwand. Schon bereute 'Abdallâh der Landbewohner, daß er jenen aus dem Netz befreit hatte; denn er sagte sich: ,Woher soll ich wissen, daß er zu mir zurückkehrte Vielleicht hat er mich nur zum besten gehabt, damit ich ihn losließ. Hätte ich ihn festgehalten, so hätte ich ihn vor dem Volke in der Stadt zur Schau stellen können; dann hätte ich für ihn Geld von jedermann eingenommen und hätte ihn auch in die Häuser der Vornehmen führen können.' So bereute er, daß er ihn freigelassen hatte, und sagte zu sich selber: ,Dein Fang entschwand aus deiner Hand!' Während er noch darüber klagte, daß jener seiner Hand entwischt sei, kehrte plötzlich 'Abdallâh der Meermann zu ihm zurück, die Hände voll von Perlen und Korallen, Smaragden, Rubinen und anderen Edelsteinen, und er sprach zu ihm: ,Nimm hin, mein Bruder, und sei mir nicht böse! Ich hatte keinen Korb bei mir; sonst hätte ich ihn für dich gefüllt.' Darüber war 'Abdallâh der Landbewohner erfreut, und er nahm die Edelsteine von dem Meermanne hin; der aber sprach zu ihm: ,Komm jeden Tag vor Sonnenaufgang an diese Stätte!' nahm Abschied von ihm, wandte sich und verschwand im Meere. Der Fischer nun eilte voller Freuden in die Stadt zurück und hielt nicht eher an, als bis er zudem Ofen des Bäckers kam und zu ihm sprach: ,Mein Bruder, jetzt ist das Glück zu uns gekommen; drum rechne mit mir ab!' Der Bäcker antwortete ihm: ,Es bedarf keiner Abrechnung; wenn du etwas hast, so gib es mir, und wenn du nichts hast, so nimm dein



1000-und-1_Vol-06-194 Flip arpa

Brot und dein Geld und geh, bis das Glück bei dir einkehrt!' Doch der Fischer fuhr fort: ,Mein Freund, das Glück ist ja bei mir eingekehrt durch die Güte Allahs. Du hast jetzt eine große Summe von mir zu fordern; nimm doch dies hier!' Und er nahm für ihn eine Handvoll von Perlen und Korallen, Rubinen und anderen Edelsteinen: und diese Handvoll, die von dem, was er bei sich hatte, die Hälfte ausmachte, gab er dein Bäcker, indem er zu ihm sprach: ,Gib mir etwas Bargeld, das ich heute ausgeben kann, bis ich diese Edelsteine verkauft habe!' Da gab der Bäcker ihm alles, was er an Geld besaß, sowie auch alles Brot in dem Korbe, den er bei sich hatte; er freute sich über jene Edelsteine und sprach zu dem Fischer: ,Ich bin dein Knecht und dein Diener!' Dann hob er sich alles Brot, das er dort hatte, auf den Kopf und schritt hinter dem Fischer her bis nach Hause; dort gab er es dessen Frau und Kindern, ging alsbald zum Markte und kehrte mit Fleisch und Gemüse und allen Arten von Früchten zurück. Auch verließ er den Ofen und blieb jenen ganzen Tag über bei 'Abdallâh dem Landbewohner, indem er sich mühte, ihm zu dienen, und alles besorgte, dessen er bedurfte. Da sprach der Fischer zu ihm: ,Bruder, du hast dich selber ermüdet.' Dochder Bäcker antwortete: ,Das ist meine Pflicht; denn ich bin dein Diener geworden, und du hast mich mit deiner Güte überhäuft.' Der Fischer aber sagte: ,Du warst mein Wohltäter in der Zeit der Not und der Teuerung.' Jene Nacht über blieb er bei ihm, nachdem sie gut gespeist hatten; und so wurde der Bäcker dem Fischer ein Freund. Der berichtete nun seiner Frau, wie es ihm mit 'Abdallâh dem Meermanne ergangen war; und sie sprach zu ihm: ,Bewahre dein Geheimnis, damit die Obrigkeit nicht über dich herfällt!' Er gab ihr zur Antwort: ,Wenn ich mein Geheimnis auch vor allen Leuten bewahre, so will ich es dem Bäcker doch



1000-und-1_Vol-06-195 Flip arpa

nicht vorenthalten.' Am nächsten Tage machte er sich früh auf, nachdem er noch am Abend vorher einen Korb mit Früchten aller Art gefüllt hatte; den lud er sich vor Sonnenaufgang auf, begab sich zur Meeresküste und setzte ihn am Ufer nieder. Dann rief er: ,Wo bist du, o 'Abdallâh, o Meermann?' Alsbald erschien jener und sprach zu ihm: ,Zu deinen Diensten!' Und wie er aus dem Meere an Land gekommen war, brachte der Fischer ihm die Früchte; der Meermann lud sie auf, ging damit zum Wasser hinab und tauchte wieder unter. Nachdem er eine Weile fortgeblieben war, kehrte er zurück mit dem Korbe, der nun voll von allerlei Edelsteinen und Juwelen war. 'Abdallah der Landbewohner lud ihn sich auf den Kopf und ging damit fort. Als er zum Ofen des Bäckers kam, sprach der zu ihm: ,Lieber Herr, ich habe dir vierzig Semmeln gebacken und in dein Haus geschickt; jetzt backe ich dir noch Feinbrot, und wenn es fertig ist, will ich es dir nach Hause bringen, und dann will ich gehen, um Gemüse und Fleisch für dich zu holen.' Da griff der Fischer drei Händevoll aus seinem Korbe heraus, reichte sie ihm und begab sich nach Hause; dort setzte er den Korb nieder. Dann nahm er von jeder Art einen kostbaren Edelstein, ging zum Basar der Juweliere und blieb vor dem Laden des Basarscheichs stehen und sprach zu ihm: ,Kaufe mir diese Edelsteine ab!' ,Zeig sie mir!' sprach jener; und der Fischer zeigte sie ihm. Nun fragte der Scheich: ,Hast du noch andere als diese?' Der Fischer antwortete: ,Ich habe zu Hause einen ganzen Korb voll.' ,Wo ist dein Haus?' fragte der Scheich darauf: und 'Abdallâh erwiderte: ,In dem und dem Stadtviertel.' Der Scheich nahm ihm die Edelsteine ab; doch dann rief er plötzlich seinen Dienern zu: ,Haltet ihn fest, denn er ist der Dieb, der die Sachen der Königin, der Gemahlin des Sultans, gestohlen hat!' Ferner befahl er ihnen, den Fischer zu schlagen;



1000-und-1_Vol-06-196 Flip arpa

und nachdem sie ihn geschlagen hatten, fesselten sie ihn. Darauf machte der Scheich sich mit allen Leuten des Basars der Juweliere auf den Weg, und sie schrieen: ,Wir haben den Dieb gefaßt!' Einer hub an: ,Niemand anders hat die Waren von Demunddem gestohlen als dieser Schurke.' Und ein anderer sagte: ,Alles, was im Hause Desunddes war, das hat auch nur er gestohlen.' So sagte der eine dies und der andere das in einem fort, während der Fischer schwieg und an keinen eine Antwort verschwendete, noch auch sich mit Worten an jemanden wendete, bis man ihn vor den König gebracht hatte. Dort hub der Scheich an: ,O größter König unserer Zeit, als das Halsband der Königin gestohlen war, sandtest du und ließest es uns melden und verlangtest von uns die Entdeckung des Schuldigen. Nun habe ich mir mehr Mühe gegeben als alles Volk, und ich habe dir den Schuldigen entdeckt. Da steht er vor dir! Und diese Juwelen haben wir ihm aus der Hand genommen.' Der König befahl dem Eunuchen: ,Nimm diese Edelsteine, zeige sie der Königin und frage sie: Sind dies deine Schmuckstücke, die dir verloren gegangen sind?' Da nahm der Eunuch die juwelen und trug sie zur Königin hinein; doch als sie die erblickte, ward sie darüber erstaunt und ließ dem König sagen: ,Ich habe mein Halsband in meinem Gemach gefunden; dies ist nicht mein Eigentum. Auch sind diese Juwelen noch schöner als die Edelsteine meines Halsbandes. Drum tu dem Manne kein Unrecht!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 943. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gemahlin jenes Königs ihm sagen ließ: ,Dies ist nicht mein Eigentum. Auch sind diese Juwelen noch schöner als die Edelsteine meines Halsbandes.



1000-und-1_Vol-06-197 Flip arpa

Drum tu dem Manne kein Unrecht! Wenn er sie verkaufen will, so kaufe sie von ihm für deine Tochter Umm es-Su'ûd, auf daß wir sie ihr in ein Halsband fassen lassen.' Als der Eunuch zurückgekehrt war und dem König die Worte der Königin gemeldet hatte, verfluchte dieser den Scheich der Juweliere samt seiner Gesellschaft mit dem Fluche von 'Âd und Thamûd.' Da sprachen sie: ,O größter König unserer Zeit, wir wußten nur, daß dieser Mann ein armer Fischer war. und erachteten dies als zu viel für ilm und glaubten, er hätte es gestohlen.' Doch der König rief: ,Ihr Schurken, mißgönnt ihr einem Gläubigen sein Glück? Warum habt ihr ihn nicht gefragt? Vielleicht hat Allah der Erhabene sie ihm aus einer Quelle beschert, auf die er nicht rechnen konnte. Wie könnt ihr ihn zum Diebe machen und ihn vor aller Welt entehren? Hinaus mit euch, und Allah möge euch nicht segnen!' Da gingen sie voll Angst von dannen; und nun genug von ihnen!

Sehen wir aber, was der König weiter tat! Er sprach: ,Mann, Allah segne dich in allem, was er dir verliehen hat! Ich gewähre dir Sicherheit: sag mir also die Wahrheit, woher hast du diese Juwelen? Denn ich bin ein König, und bei mir finden sich nicht ihresgleichen.' Der Fischer gab zur Antwort: ,O größter König unserer Zeit, ich habe einen ganzen Korb voll von ihnen; und das kam soundso.' Und er berichtete ihm von seiner Freundschaft mit 'Abdallah dem Meermanne, indem er mit den Worten schloß: ,Zwischen mir und ihm besteht ein Bund, daß ich ihm jeden Tag den Korb mit Früchten fülle, und daß er ihn mir voll von diesen Edelsteinen bringt.' Da sagte der



1000-und-1_Vol-06-198 Flip arpa

König: ,Mann, das ist dir vorn Geschick bestimmt. Doch Reichtum verlangt hohen Stand. Ich kann dich in diesen Tagen vor der Gewalttätigkeit der Menschen schützen; aber vielleicht werde ich abgesetzt, oder ich sterbe, und dann herrscht ein anderer an meiner Statt; der könnte dich töten aus Liebe zu den Gütern der Welt und aus Habgier. Deshalb ist es mein Wille, dich mit meiner Tochter zu vermählen und dich zu meinem Wesir zu machen; und ich will dir das Reich nach meinem Tode vererben, damit keiner dir nachstelle, wenn ich gestorben bin.' Dann befahl der König: ,Nehmt diesen Mann und führt ihn ins Badehaus!' Da nahmen ihn die Diener und wuschen seinen Leib und kleideten ihn in königliche Gewänder; und nachdem sie ihn wieder vor den König geführt hatten, machte der ihn zu seinem Wesir. Auch schickte er die Boten und Wachen und alle Frauen der Vornehmen zum Hause 'Abdallâhs; und die kleideten seine Frau und seine Kinder in königliche Gewänder. Darauf setzten sie die Frau, mit dem Kleinsten im Schoße, in eine Sänfte, und alle Frauen der Vornehmen und die Krieger und Boten und Wachen schritten vor ihr her und geleiteten sie zum Schlosse des Königs. Sie führten auch die größeren Kinder zum König hinein, und der ehrte sie, nahm sie auf den Schoß und ließ sie an seiner Seite sitzen. Es waren aber neun Knaben, während der König keine anderen Nachkommen hatte als jene Tochter, Umm es-Su'ûd geheißen. Derweilen erwies die Königin der Frau 'Abdallâhs des Landbewohners alle Ehren, verlieh ihr Geschenke und machte sie zu ihrer Wesirin. Darauf befahl der König, die Eheurkunde zwischen 'Abdallâh dem Landbewohner und seiner Tochter niederzuschreiben, und dieser bestimmte zu ihrer Brautgabe alle Edelsteine und Juwelen, die er besaß. Nun ward das Tor der Freude geöffnet. Der König gab durch einen Herold Befehl,



1000-und-1_Vol-06-199 Flip arpa

die Stadt zu Ehren der Hochzeit seiner Tochter zu schmücken. Am nächsten Tage aber, nachdem 'Abdallâh zur Königstochter eingegangen war und ihr das Mädchentum genommen hatte, schaute der König aus dem Fenster und erblickte 'Abdallâh, der einen Korb voll Früchte auf seinem Haupte trug. Da rief er ihn an: ,Was hast du da, mein Eidam? Und wohin gehst du 'Jener antwortete: ,Zu meinem Freunde 'Abdallâh dem Meermanne!' Doch der König fuhr fort: ,Mein Eidam, dies ist nicht die Zeit, zu deinem Freunde zu gehen!' Da sagte 'Abdallâh: ,Ich fürchte, ihm mein Wort zu brechen, damit er mich nicht für einen Lügner halte und zu mir sage: Die Dinge der Welt haben dich von mir abgelenkt.' ,Du hast recht,' erwiderte der König, ,geh zu deinem Freunde, Allah helfe dir!' So schritt er denn durch die Stadt dahin auf dem Wege zu seinem Freunde. Da erkannten ihn die Leute, und er hörte, wie sie sagten: ,Das ist der Eidam des Königs, der geht hin, um Früchte für Edelsteine einzutauschen.' Die ihn aber nicht kannten noch wußten, wer er war, riefen: ,Mann, wieviel kostet das Pfunde Komm, verkauf mir etwas!' Dann sagte er: ,Warte, bis ich zu dir zurückkehre'; denn er wollte niemanden kränken. Darauf ging er hin und traf mit 'Abdallâh dem Meermanne zusammen, gab ihm die Früchte und tauschte dafür die Juwelen ein. Das tat er nun jeden Tag, und dabei kam er immer an dem Ofen des Bäckers vorbei, den er verschlossen fand. Zehn Tage lang blieb es dabei; aber da er den Bäcker nie erblickte und seinen Ofen verschlossen sah, sprach er bei sich: ,Dies ist doch ein seltsam Ding! Wohin mag der Bäcker wohl gegangen seine' So fragte er denn dessen Nachbarn und sprach zu ihm: ,Bruder, wo ist dein Nachbar, der Bäcker? Was hat Allah mit ihm getane' ,Lieber Herr,' gab der zur Antwort, ,er ist krank und darf sein Haus nicht verlassen.' ,Wo ist



1000-und-1_Vol-06-200 Flip arpa

sein Hause' fragte 'Abdallâh weiter; und der andere erwiderte ihm: ,In dem und dem Stadtviertel.' Da begab er sich dorthin und fragte nach ihm; und als er an die Tür pochte, schaute der Bäcker zum Fenster heraus, und wie der seinen Freund, den Fischer, mit einem vollen Korbe auf dem Kopfe erblickte, eilte er zu ihm hinunter und öffnete ihm die Tür. Nun trat 'Abdallâh ein, warf sich ihm entgegen und umarmte ihn und weinte; und er sprach zu ihm: ,Wie geht es dir, mein Freunde Ich ging jeden Tag an dem Ofen vorbei und sah ihn verschlossen; nun habe ich deinen Nachbarn gefragt, und er sagte mir, du wärest krank. Dann fragte ich nach deinem Hause, um dich zu besuchen.' Der Bäcker aber sagte zu ihm: ,Allah vergelte dir an meiner Statt mit allein Guten! Ich bin nicht krank; mir ist nur berichtet worden, der König habe dich gefangen genommen, weil einige Leute dich verleumdeten und behaupteten, du wärest ein Dieb. Deshalb fürchtete ich mich und verschloß den Ofen und verbarg mich.' ,Das ist wahr', sprach 'Abdallâh und erzählte ihm seine Geschichte, und wie es ihm mit dem König und mit dem Scheich des Basars der Juweliere ergangen war; und er schloß mit den Worten: ,Der König hat mich auch mit seiner Tochter vermählt und hat mich zu seinem Wesir gemacht.' Dann aber fügte er noch hinzu: ,Nimm, was in diesem Korbe ist, als deinen Anteil hin und sei unbesorgt!' Nachdem er dem Bäcker seine Furcht verscheucht hatte, verließ er ihn und begab sich zum König mit dem leeren Korb. Da sprach der König zu ihm: ,Mein Eidam, du hast wohl deinen Freund, 'Abdallâh den Meermann, heute nicht getroffen?' Er gab zur Antwort: ,Ich war bei ihm; doch was er mir gab, habe ich meinem Freunde, dem Bäcker, gegeben, dem ich Dank für seine Güte schulde.' ,Wer ist dieser Bäcker?' fragte der König; und 'Abdallâh erwiderte ihm: ,Er ist ein gefälliger



1000-und-1_Vol-06-201 Flip arpa

Mann, und in den Tagen der Armut hat er soundso an mir gehandelt; nie hat er mich vernachlässigt, nie hat er mich verletzt.' ,'Wie heißt ere' fragte der König weiter; und sein Eidam erwiderte: ,Er heißt 'Abdallâh der Bäcker. und ich heiße 'Abdallah der Landbewohner, und mein Freund heißt 'Abdallâh der Meermann. 'Da rief der König: ,Auch ich heiße 'Abdallâh! Die Knechte Allahs' sind alle Brüder. Drum sende nach deinem Freunde, dem Bäcker, und laß ihn kommen, auf daß wir ihn zum Wesir der Linken machen!' So sandte er denn nach ihm, und als er vor dem König stand, kleidete der ihn in das Gewand eines 'Wesirs und setzte ihn als Wesir zur Linken ein. während 'Abdallâh der Landbewohner sein Wesir zur Rechten war. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 944. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König seinen Eidam 'Abdallah den Landbewohner als Wesir zur Rechten einsetzte, 'Abdallâh den Bäcker aber als Wesir zur Linken. Hinfort lebte 'Abdallâh ein volles Jahr in dieser Weise dahin, indem er an jedem Tage den Korb, der mit Früchten gefüllt war, mitnahm und ihn voller Juwelen und Edelsteine heimbrachte. Als aber die Früchte in den Gärten zur Neige gegangen waren, nahm er Zibeben und Mandeln, Haselnüsse und Walnüsse, trockene Feigen und dergleichen mehr. Alles, was er ihm mitbrachte, nahm der Meermann von ihm hin, und wie immer gab er ihm den Korb voll von Edelsteinen zurück. Eines Tages aber, als 'Abdallah der Landbewohner wie gewöhnlich den Korb voll trockener Früchte gebracht und der Meermann ihn von ihm hingenommen hatte, begab es sich,



1000-und-1_Vol-06-202 Flip arpa

daß die beiden sich niedersetzten, der eine am Strande, und der andere im Wasser, nahe dem Ufer. Dann begannen sie miteinander zu plaudern, und die Rede zwischen ihnen ging hin und her, bis sie auf die Gräber zu sprechen kamen. Da sagte der Meermann: ,Bruder, man sagt, daß der Prophet -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —bei euch auf dem Lande begraben ist. Kennst du sein Grab?' ,Jawohl', erwiderte der andere; und der Meermann fragte weiter: ,Wo ist es?' ,In einer Stadt, die man ,gute Stadt"nennt', gab 'Abdallâh zur Antwort, und als der Meermann fragte: ,Besuchen es die Leute vom Lande?', sagte er: ,Jawohl.' Dann fuhr der Meermann fort: ,Heil euch, ihr Leute vom Lande, daß ihr zu diesem edlen, barmherzigen Propheten wallfahrt, dessen Fürsprache jeder verdient, der ihn besucht! Hast du schon die Wallfahrt zu ihm gemacht, mein Bruder?' ,Nein,' sagte 'Abdallâh, ,denn ich war arm und hatte nicht das Geld. das ich für die Reise brauchte: und ich bin erst zu Reichtum gekommen, seit ich dich kennen lernte und du mich mit diesem Gut beschenktest. Aber ein solcher Besuch ist meine Pflicht, nachdem ich die Pilgerfahrt zum heiligen Hause Allahs' gemacht habe; daran hat mich bisher nur die Liebe zu dir gehindert; denn ich kann mich nicht einen einzigen Tag von dir trennen.' Da sprach zu ihm der Meermann: ,Geht dir denn die Liebe zu mir über die Wallfahrt zum Grabe Mohammeds -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, der für dich Fürsprache einlegen wird am Tage der Heerschau vor Gott und dich vom höllischen Feuer erretten und dich durch seine Fürbitte ins Paradies führen wird? Ja, unterlässest du aus Liebe zu dieser Welt die Wallfahrt zum Grabe deines Propheten Mohammed - Allah segne ihn und gebe ihm



1000-und-1_Vol-06-203 Flip arpa

Heil -?' ,Nein, bei Gott,' erwiderte 'Abdallâh darauf, ,die Wallfahrt zu ihm geht mir über alles. So bitte ich dich, mir zu erlauben, daß ich noch in diesem Jahre die Pilgerfahrt dorthin mache.' Der Meermann fuhr fort: ,Ich gebe dir die Erlaubnis zu dieser Wallfahrt; und wenn du am Grabe des Propheten stehst, so grüße ihn von mir. Ferner habe ich ein Pfand bei mir; deshalb komm mit mir ins Meer, ich will dich mitnehmen zu meiner Stadt und dich in mein Haus führen und bewirten und dir das Pfand geben, auf daß du es am Grabe des Propheten - Allah segne ilm und gebe ihm Heil! —niederlegen kannst. Dann sprich zu ihm: ,O Gesandter Allahs, Abdallah der Meermann läßt dich grüßen und bringt dir diese Gabe dar, und er bittet um deine Fürsprache zur Erlösung von dem Höllenfeuer!' Doch 'Abdallâh der Landbewohner entgegnete ihm: ,Mein Bruder, du bist im Wasser geschaffen, und das Wasser ist deine Wohnstatt und schadet dir nicht; wenn du aber aus ihm heraus an Land kommst, würde dir das nicht Schaden bringen?' ,Ja,' antwortete der Meermann, ,mein Leib würde austrocknen, und die Winde des Landes würden mich anwehen, und ich müßte sterben.' Darauf sagte 'Abdallâh: ,Und ebenso bin ich auf dem Lande geschaffen, und das Land ist meine Wohnstatt; wenn ich ins Meer ginge, so würde das Wasser in meinen Leib eindringen und mich ersticken, und ich müßte sterben.' Doch der Meermann entgegnete ihm: ,Davor fürchte dich nicht; ich werde dir eine Salbe bringen, mit der du deinen Leib salben sollst, und dann wird das Wasser dir nicht schaden. Wenn du auch alle übrige Zeit deines Lebens im Meere umhergehen und dort im Wasser schlafen und dich erheben würdest, so würde es dir nicht schaden.' Da sagte 'Abdallâh: ,Wenn es so steht, so ist alles gut. Bring mir die Salbe. damit ich sie versuche!' ,So sei es!' rief der Meermann,



1000-und-1_Vol-06-204 Flip arpa

nahm den Korb und stieg ins Meer hinab; nachdem cr eine kleine Weile fortgeblieben war, kehrte er zurück mit einem Fett, das wie Rinderfett aussah und eine goldgelbe Farbe und einen starken Geruch hatte. 'Abdallâh der Landbewohner fragte ihn: ,Was ist das, mein Bruder?' Und jener antwortete: ,Dies ist das Leberfett einer Art von Fischen, die Dandân heißt; das ist die größte an Gestalt von den Arten der Fische, und sie ist unser grimmigster Feind. Dieser Fisch ist an Wuchs größer als alle Tiere, die bei euch auf dem Lande gefunden werden, und wenn er ein Kamel oder einen Elefanten sähe, so würde er sie verschlingen.' Weiter fragte 'Abdallâh: ,Mein Bruder, was frißt denn dies Ungetüm?' und sein Freund erwiderte ihm: ,Es nährt sich von den Tieren des Meeres. Hast du nicht gehört, daß im Sprichworte gesagt wird: ,Wie die Fische des Meeres: der Starke frißt den Schwachen?' ,Du hast recht. Aber gibt es denn bei euch im Meere viele von diesen Dandâns?' ,Es gibt so viele bei uns, daß nur Allah der Erhabene allein sie zählen kann.' ,Ich fürchte, wenn ich mit dir in die Tiefe gehe, so wird ein solcher Fisch mir begegnen und mich auffressen.' ,Fürchte dich nicht! Wenn er dich erblickt, so weiß er, daß du ein Menschenkind bist; und er wird Angst vor dir haben und forteilen. Er fürchtet niemanden im ganzen Meere so sehr, wie er ein Menschenkind fürchtet: denn wenn er einen Menschen frißt, so muß er auf der Stelle sterben, weil das menschliche Fett für diese Art von Tieren ein tödliches Gift ist. Wir können auch sein Leberfett nur durch einen Menschen gewinnen; wenn nämlich einer ins Wasser fällt und ertrinkt, so verändert sich seine Gestalt, und manchmal zerreißt sein Fleisch. und dann frißt der Dandân es, da er meint, es wäre von einem Tiere des Meeres, und er stirbt. So treffen wir ihn tot an, nehmen das Fett seiner Leber und salben uns den



1000-und-1_Vol-06-205 Flip arpa

Leib damit, so daß wir im Meere umherwandeln können. Ja sogar, wenn irgendwo ein Menschenkind ist, und wenn dort hundert oder zweihundert oder tausend oder noch mehr von diesen Fischen wären und den Schrei des Menschen hörten, so würden sie alle sofort auf einmal durch diesen Schrei sterben.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 945. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, daß 'Abdallâh der Meermann zu 'Abdallâh dem Landbewohner sprach: ,Wenn tausend oder noch mehr von diesen Fischen einen einzigen menschlichen Schrei hörten, so würden sie sofort sterben, keiner von ihnen könnte sich mehr von seiner Stelle rühren.' Da rief 'Abdallâh der Landbewohner: ,Ich setze mein Vertrauen auf Allah', legte die Kleider ab, die er trug, machte eine Grube am Strande des Meeres und verbarg seine Gewänder darin. Dann rieb er seinen Leib vom Scheitel bis zur Sohle mit jener Salbe ein, stieg ins Wasser hinab und tauchte unter; als er dann die Augen öffnete, tat ihm das Wasser keinen Schaden, und er konnte nach rechts und nach links gehen. Er stieg in die Höhe, wenn er wollte, und ließ sich zum Boden hinab, wenn er wollte; und er sah, wie das Meereswasser gleich einem Zeltdach über ihn gespannt war und ihm keinen Schaden tat. Nun fragte 'Abdallâh der Meermann ihn: ,Was siehst du, mein Bruder?' Und er gab ihm zur Antwort: ,Ich sehe nur Gutes, mein Bruder! Du hattest recht mit deinen Worten; denn das Wasser tut mir keinen Schaden.' Als darauf der Meermann zu ihm sprach: ,Folge mir!', folgte er ihm, und die beiden schritten immer weiter von Ort zu Ort, während der Mann vom Lande vor sich zu seiner Rechten und seiner Linken Wasserberge sah und seine



1000-und-1_Vol-06-206 Flip arpa

Augenweide an ihnen hatte sowie an den Arten von Fischen, die im Meere spielten, die einen groß und die anderen klein. Unter ihnen waren einige, die wie Büffel aussahen, andere, die Rindern glichen, wieder andere sahen wie Hunde aus und noch andere wie menschliche Wesen. Alle Arten aber, denen die beiden nahe kamen. entflohen, sobald sie 'Abdallâh den Landbewohner erblickten. Da sprach er zum Meermanne: ,Mein Bruder. warum muß ich sehen, daß alle Fische, denen wir uns nähern, vor uns entfliehen?' Jener erwiderte ihm: ,Das tun sie aus Furcht vor dir; denn alle Wesen, die Allah der Erhabene erschaffen hat, fürchten den Menschen.' Immer wieder schaute 'Abdallâh der Landbewohner die Wunder des Meeres an, bis sie zu einem hohen Berge kamen, und während er an jenem Berge entlang schritt, hörte er plötzlich, ehe er sich dessen versah, einen gewaltigen Schrei. Er wandte sich um und sah etwas Schwarzes von jenem Berge auf ihn herunterkommen, das war so groß wie ein Kamel oder noch größer und schrie. Da fragte er seinen Freund: ,Was ist das, mein Bruder?' Und der Meermann gab ihm zur Antwort: ,Das ist der Dandân; er kommt herab auf der Suche nach mir und will mich fressen. Schrei du ihn an, Bruder. ehe er uns erreicht und mich packt und auffrißt!' Sofort schrie 'Abdallâh der Landbewohner ihn an, und siehe da, das Tier sank tot zu Boden; als er den Leichnam sah, rief er: ,Allah sei gepriesen und gelobt! Ich habe den da nicht mit einem Schwerte getroffen noch auch mit einem Messer; wie ist es möglich, daß dies Wesen, das von so gewaltiger Größe ist, meinen Schrei nicht ertragen kann, sondern stirbt?' Doch 'Abdallâh der Meermann sprach zu ihm: ,Wundere dich nicht! Bei Allah, mein Bruder, wenn von dieser Art auch tausend oder gar zweitausend da wären, so würden sie nicht den Schrei eines Menschenkindes ertragen!' Darauf



1000-und-1_Vol-06-207 Flip arpa

schritten sie weiter zu einer Stadt und sahen, daß deren Volk aus lauter Mädchen bestand, unter denen kein männliches Wesen war. Der Landbewohner fragte: ,Mein Bruder, was für eine Stadt ist dies? Und was für Mädchen sind das?' ,Dies ist die Weiberstadt; denn ihr Volk besteht aus Meerweibern.' ,Gibt es denn keine Männer unter ihnen?' ,Nein!' ,Wie können sie denn empfangen und gebären ohne Männer?' ,Der König des Meeres verbannt sie nach dieser Stadt, und sie empfangen nicht, noch gebären sie. Wenn er irgendeiner von den Töchtern des Meeres zürnt, so schickt er sie in diese Stadt. Dann darf sie nie wieder aus ihr hinausgehen; kommt sie aber dennoch aus ihr heraus, so kann sie von jedem Tiere des Meeres, dem sie begegnet, gefressen werden. Doch in den anderen Städten gibt es Männer und Frauen.' ,Gibt es denn noch andere Städte im Meere als diese?' ,Ja, viele.' ,Herrscht über euch auch ein Sultan im Meere?' ,Jawohl!' ,Ach, mein Bruder, ich habe doch im Meere schon viele Wunder gesehen!' ,Was hast du an Wundern gesehen? Hast du nie das Sprichwort gehört, das da lautet: Der Wunder des Meeres sind mehr als der Wunder des Landes?' ,Du hast recht', erwiderte der Landbewohner und begann, sich nun diese Mädchen anzuschauen; da sah er, daß ihre Gesichter mondengleich waren und daß sie Haare hatten gleich den Haaren menschlicher Frauen; doch Hände und Füße saßen ihnen am Rumpf, und sie hatten Schwänze gleich den Schwänzen von Fischen. Nachdem der Meermann ihm das Volk jener Stadt gezeigt hatte, führte er ihn weiter, indem er vor ihm herging, zu einer anderen Stadt, und 'Abdallah sah, daß sie voll von männlichen und weiblichen Wesen war, die an Gestalt den Meermädchen glichen und auch Schwänze hatten. Es gab bei ihnen weder Verkauf noch Kauf wie bei den Bewohnern des Landes; und



1000-und-1_Vol-06-208 Flip arpa

sie trugen keine Kleider, sondern waren alle nackt und hatten die Scham unbedeckt. Da sprach der Landbewohner zu seinem Gefährten: ,Mein Bruder. ich sehe, daß die Frauen und die Männer ihre Scham nicht verhüllt haben.' Der Meermann antwortete ihm: ,Das kommt daher, weil die Leute des Meeres keine Kleiderstoffe haben.' Weiter fragte 'Abdallâh: ,Wie machen sie es, wenn sie heiraten?' ,Sie heiraten gar nicht; vielmehr jeder, dem ein weibliches Wesen gefällt, stillt sein Begehr an ihr.' ,Das ist etwas Sündhaftes! Warum freit er denn nicht um sie und gibt ihr eine Brautgabe und richtet ihr ein Hochzeitsfest und heiratet sie, wie es Allah und seinem Gesandten wohlgefällt?' ,Wir sind nicht alle von einem Glauben; unter uns gibt es Muslime, die Gottes Einheit bekennen, und unter uns gibt es Christen, Juden und noch andere. Die aber unter uns, die sich vermählen, sind vornehmlich Muslime.' ,Ihr seid doch nackt, und bei euch gibt es weder Kauf noch Verkauf. Worin besteht dann die Brautgabe für eure Frauen? Gebt ihr ihnen Juwelen und Edelsteine?' Da erzählte ihm der Meermann: ,Juwelen sind für uns nur Steine, die keinen Wert haben. Aber wenn jemand sich vermählen will, so verlangt man von ihm eine bestimmte Menge von Fischen verschiedener Art, die er fangen muß, etwa tausend oder zweitausend, oder auch mehr oder weniger, je nachdem die Vereinbarung darüber zwischen ihm und dem Vater der Braut getroffen wird. Sobald er das Verlangte bringt, versammeln sich die Leute des Bräutigams und die Leute der Braut und verzehren das Hochzeitsmahl; danach führen sie ihn zu seiner Frau ein. Nachher fängt er Fische und gibt sie ihr zu essen; und wenn er das nicht kann, so fängt sie und nährt ihn.' Und weiter fragte der Landbewohner: ,Wenn sie untereinander Ehebruch treiben, was geschieht dann?' ,Wenn das Wesen, das einer solchen



1000-und-1_Vol-06-209 Flip arpa

Tat überführt wird, eine Frau ist, so wird sie nach der Weiberstadt verbannt; und wenn sie durch Ehebruch schwanger geworden ist, so läßt man sie in Ruhe, bis sie geboren hat; bringt sie eine Tochter zur Welt, so verbannt man sie mit ihr, und die heißt dann immer Dirne, Tochter einer Dirne, und bleibt Jungfrau, bis sie stirbt; wenn das Kind aber ein Knabe ist, so bringen sie es vor den König, den Sultan des Meeres, und der läßt es töten.' 'Abdallâh der Landbewohner wunderte sich darüber; dann führte 'Abdallah der Meermann ihn weiter zu einer anderen Stadt und von dort abermals in eine andere. Immer mehr zeigte er ihm, bis er ihm achtzig Städte gezeigt hatte, und er sah, daß immer in jeder Stadt die Leute anders aussahen als in den übrigen Städten. Nun fragte der Landbewohner den Meermann: ,Mein Bruder, gibt es noch mehr Städte im Meere?' Doch jener erwiderte: ,Was hast du denn schon von den Städten und den Wundern des Meeres gesehen? Beim Propheten, dem Gütigen, dem Barmherzigen und Langmütigen, wenn ich dir auch tausend Jahre lang an jedem Tage tausend Städte zeigte und dich in jeder Stadt tausend Wunder sehen ließe, so hätte ich dir doch noch nicht ein Karat von den vierundzwanzig Karaten der Städte und der Wunder des Meeres gezeigt. Ich habe dich bis jetzt nur in unserem Land und bei unseren Wohnstätten umhergeführt, sonst nirgends.' ,Mein Bruder,' sagte darauf 'Abdallâh, ,da dem so ist, genügt mir, was ich geschaut habe. Mich ekelt davor, noch mehr Fische zu essen; jetzt bin ich schon achtzig Tage bei dir, und immer, morgens und abends, speisest du mich nur mit rohen Fischen, die weder gebraten noch gekocht sind!' ,Was heißt gekocht und gebraten?' ,Wir braten die Fische über dem Feuer, und wir kochen sie im Wasser und bereiten sie auf mancherlei Weise und machen viele Gerichte daraus.' ,Woher



1000-und-1_Vol-06-210 Flip arpa

sollten wir Feuer bekommen? Wir kennen weder Gebratenes noch Gekochtes noch irgend etwas dergleichen.' ,Wir backen sie auch in Olivenöl und Sesamöl.' ,Woher sollten wir Olivenöl und Sesamöl bekommen hier im Meere? Wir kennen nichts von dem, was du da sagst.' ,Du hast recht; doch, mein Bruder, du hast mir schon viele Städte gezeigt, nur deine eigene Stadt hast du mir noch nicht gezeigt!' ,An meiner eigenen Stadt sind wir schon längst vorübergekommen; sie liegt nahe dem Festlande, von dem wir gekommen sind. Aber ich habe sie liegen lassen und habe dich hierher geführt, weil ich dich durch den Anblick der anderen Städte im Meer erfreuen wollte.' ,Was ich bisher gesehen habe, genügt mir, und ich möchte, daß du mir jetzt deine Stadt zeigst.' ,So sei es!' erwiderte der Meermann, und er führte den Landbewohner zu seiner eigenen Stadt zurück; als sie dort ankamen, sprach er zu ihm: ,Dies ist meine Stadt.' Da erkannte 'Abdallâh der Landbewohner in ihr eine Stadt, die kleiner war als die Städte, die er gesehen hatte; dann ging er in der Stadt weiter, zusammen mit 'Abdallâh dem Meermanne, bis sie zu einer Höhle kamen; dort sagte der Meermann: ,Dies ist mein Haus! Alle Häuser dieser Stadt sind wie dies, große und kleine Höhlen in den Bergen; ebenso sind alle Städte des Meeres von dieser Art. Wenn jemand sich ein Haus bauen will, so geht er zum König und spricht zu ihm: ,Ich will mir an derundder Stätte ein Haus gründen.' Dann schickt der König mit ihm eine Schar von Fischen, die man Schnabelhauer nennt, und setzt als Lohn für sie eine bestimmte Anzahl von Fischen fest; die haben nämlich Schnäbel, mit denen sie das härteste Felsgestein zerbröckeln. Sie kommen also zu dem Berge, den der Hausbauer wünscht, und hauen darin eine Wohnung aus, während der Mann für sie Fische fängt und sie speist, bis die Höhle fertig



1000-und-1_Vol-06-211 Flip arpa

ist; dann gehen sie fort, und der Besitzer des Hauses schlägt darin seinen Wohnsitz auf. So machen es alle Bewohner des Meeres; nur um Fische handeln sie miteinander und dienen einander, und sie alle sind ja auch selber Fische.' Darauf sprach er zu seinem Freunde: ,Tritt ein!' Und als der eingetreten war, rief' Abdallah der Meermann: ,Heda, Tochter!' Da kam seine Tochter zu ihm; die hatte ein rundes Gesicht, dem Monde gleich, langes Haar, ein schweres Hüftenpaar, Augen von tiefdunklem Schein, einen Leib schmal und fein; doch sie war nackt und hatte einen Schwanz. Als sie 'Abdallâh den Landbewohner bei ihrem Vater erblickte, sprach sie zu ihm: ,Vater, was ist das für ein Ohneschwanz, den du da mitgebracht baste' Er antwortete ihr: ,Liebe Tochter, das ist mein Freund der Landbewohner, von dem ich dir immer die Früchte des Festlandes brachte. Komm, begrüße ihn!' Da trat sie vor und begrüßte ihn mit einer Zunge der Gewandtheit und Worten der Beredsamkeit; und ihr Vater sprach zu ihr: ,Hol Speise für unseren Gast, durch dessen Kommen der Segen bei uns eingekehrt ist!' Alsbald brachte sie ihm zwei große Fische, von denen ein jeder so groß wie ein Lamm war, und sprach zu ihm: ,Iß!' Er aß, weil er hungrig war, doch nur mit Widerwillen; denn es ekelte ihn, wieder Fische zu essen, aber sie hatten ja nichts anderes als ihre Fische. Kaum war eine kleine Weile vergangen, da kam auch die Frau des Meermannes 'Abdallâh; die war von schönem Aussehen, und sie hatte zwei Knaben bei sich, von denen ein jeder einen jungen Fisch in der Hand hielt, an dem er kaute wie ein Mensch an einer Gurke. Als sie 'Abdallâh den Landbewohner bei ihrem Gatten sah, sprach sie: ,Was ist das für ein Ohneschwanze?' Und nun liefen die beiden Knaben und ihre Schwester und ihre Mutter hin und schauten 'Abdallâh den Landbewohner von hinten an und 211



1000-und-1_Vol-06-212 Flip arpa

riefen: ,Ja, bei Allah, er hat keinen Schwanz!' Als sic ihn aber auslachten, sprach er zu dem Meermanne: ,Bruder, hast du mich hierher geführt, um mich zum Gespött für deine Kinder und deine Frau zu machen?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 946. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh der Landbewohner zu 'Abdallâh dem Meermanne sprach: ,Hast du mich hierher geführt, um mich zum Gespött für deine Kinder und deine Frau zu machen?' Darauf erwiderte ihm 'Abdallâh der Meermann: ,Verzeihung, lieber Bruder! Leute ohne Schwanz werden sonst nicht bei uns gefunden. Wenn sich aber einmal jemand ohne Schwanz findet, so holt ihn der Sultan, um seinen Scherz mit ihm zu treiben. Doch, mein Bruder, nimm es diesen kleinen Kindern und der Frau nicht übel; denn ihr Verstand ist gering.' Dann schrie er die Seinen an und rief ihnen zu: ,Schweigt!' Und sie fürchteten sich und schwiegen. Er aber fuhr fort, seinen Freund zu beruhigen; doch während er mit ihm redete, kamen plötzlich zehn Gestalten herein, große, kräftige und wuchtige Wesen, und die riefen: ,'Abdallah, es ist dem König berichtet worden, daß du einen Ohneschwanz von den schwanzlosen Landbewohnern bei dir hast.' Darauf erwiderte der Meermann: ,Jawohl; es ist dieser Mann. Er ist mein Freund, der als Gast zu mir gekommen ist, und ich will ihn zum Festlande zurückbringen.' Doch sie fuhren fort: ,Wir können nicht ohne ihn fortgehen; und wenn du etwas zu sagen hast, so steh auf, führe ihn und bringe ihn vor den König; und was du uns sagen willst, das sage dem König!' Da sprach 'Abdallâh der Meermann: ,Lieber Bruder, meine Entschuldigung liegt klar zutage; es ist uns unmöglich, dem



1000-und-1_Vol-06-213 Flip arpa

König zuwider zu handelt. Geh nur mit mir zum König! Ich werde dafür sorgen, daß du von ihm befreit wirst, so Gott will. Fürchte dich nicht: denn wenn er dich sieht, so erkennt er, daß du zu den Kindern des Festlandes gehörst; und wenn er weiß, daß du ein Landbewohner bist, so wird er dich sicherlich ehren und dich zum Festlande zurücksenden!' Darauf erwiderte 'Abdallâh der Landbewohner: ,Du hast ja zu entscheiden; so will ich denn mein Vertrauen auf Allah setzen und mit dir gehen.' Also nahm der Meermann ihn mit und führte ihn, bis er vor dem König stand. Sobald der König ihn erblickte, lachte er über ihn und rief: ,Willkommen, Ohneschwanz!' Und auch alle, die den König umgaben, lachten über ihn und riefen: ,Ja, bei Allah, er hat keinen Schwanz!' Doch nun trat 'Abdallah der Meermann vor den König und meldete ihm, es um den Landbewohner stand, indem er sprach: ,Dieser gehört zu den Kindern des Festlandes; er ist mein Freund, und er kann nicht unter uns leben, da er die Fische nur gebraten und gekocht essen mag. Deshalb wünsche ich, du möchtest mir erlauben, daß ich ihn zum Lande zurückbringe.' Der König antwortete: ,Da es so steht und er nicht unter uns leben kann, so erlaube ich dir, daß du ihn nach der Bewirtung zu seiner Stätte zurückbringst'; und er fügte alsbald hinzu: ,Bringt ihm das Gastmahl!' Da brachte man ihm Fische von mancherlei Art und Gestalt; und er aß, gehorsam dem Befehle des Königs. Darauf sprach zu ihm der König: ,Erbitte dir eine Gnade von mir!' Und 'Abdallâh der Landbewohner sagte: ,Ich erbitte von dir die Gnade, daß du mir Juwelen gebest.' Nun befahl der König: ,Führt ihn ins Juwelenhaus und laßt ihn dort auswählen, was er begehrt!' So führte sein Freund ihn denn in das Juwelenhaus, und er las auf, soviel er wollte. Darauf brachte der Meermann ihn in seine Stadt zurück



1000-und-1_Vol-06-214 Flip arpa

und holte für ihn einen Beutel heraus; dann sagte er zu ihm: ,Nimm dies Pfand und bring es zum Grabe des Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Jener nahm den Beute!, ohne zu wissen, was darin war. Schließlich ging der Meermann mit ihm fort, um ihn ans Land zu bringen; unterwegs aber vernahm 'Abdallah der Landbewohner Gesang und Freudenrufe und sah, wie ein Tisch mit Fischen bedeckt war, während die Leute aßen und sangen und in heller Festesfreude waren. Da sprach er zu 'Abdallâh dem Meermanne: ,Warum sind die Leute in so großer Freude? Ist bei ihnen eine Hochzeit?' Jener gab zur Antwort: ,Es ist keine Hochzeit bei ihnen; nein, es ist einer bei ihnen gestorben.' Als nun der Landbewohner fragte: ,Freut ihr euch denn, wenn einer von euch stirbt, und singt und esset?' fuhr der andere fort: ,Jawohl; und ihr, ihr Leute vom Lande, was tut ihr denn?' Der Landbewohner sprach: ,Wenn bei uns einer stirbt, so trauern wir um ihn und weinen; und die Frauen schlagen sich ins Antlitz und zerreißen die Busen ihrer Kleider aus Trauer um den Toten.' Da starrte 'Abdallâh der Meermann den Landbewohner 'Abdallâh mit weiten Augen an und sprach zu ihm: ,Gib mir das Pfand wieder!' Der gab es ihm. Dann führte jener den Gefährten ans Land und sprach zu ihm: ,Ich zerreiße das Band der Freundschaft und Liebe zu dir! Von diesem Tage an wirst du mich nicht wiedersehen, und auch ich werde dich nie mehr schauen.' ,Warum solche Worte?' fragte der Landbewohner; und der Meermann erwiderte: ,Seid ihr nicht, ihr Leute vom Festlande, ein Unterpfand Allahs?' ,Jawohl!' ,Wie kommt es, daß ihr, wenn Allah sein Unterpfand zurücknimmt, nicht froh seid, sondern weint? Wie kann ich dir ein Pfand anvertrauen für den Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil -? Wenn euch ein Kind geboren wird, so freut ihr euch, wiewohl



1000-und-1_Vol-06-215 Flip arpa

Allah die Seele doch nur als Unterpfand hineinlegt; und wenn er es zurücknimmt, wie kann euch das so schwer werden, daß ihr weint und trauerte Wir bedürfen eurer Freundschaft nicht!' Und alsbald verließ er ihn und verschwand im Meere. Darauf legte 'Abdallâh der Landbewohner seine Kleider wieder an, nahm seine Juwelen und begab sich zum König; der empfing ihn voll Sehnsucht und freute sich seiner und sprach zu ihm: ,Wie geht es dir, mein Eidam? Und was ist der Grund deines so langen Fernbleibens von mir?' Da erzählte er ihm seine Geschichte und alles, was er von den Wundern des Meeres gesehen hatte; dem hörte der König voll Staunen zu. Als 'Abdallâh ihm aber berichtete, was der Meermann zuletzt gesagt hatte, sprach der König zu ihm: ,Du hast darin einen Fehler begangen, daß du ihm dies erzähltest.' Noch eine lange Zeit fuhr 'Abdallâh fort zur Meeresküste zu gehen und nach 'Abdallah dem Meermanne zu rufen; doch der gab ihm keine Antwort und kam auch nicht zu ihm. So ließ denn 'Abdallâh der Landbewohner alle Hoffnung auf ihn fahren, und er führte zusammen mit dem König, seinem Schwiegervater, und mit ihrer beider Sippen ein Leben, in dem sie voller Freude wandelten und immer rechtschaffen handelten, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt, und sie alle starben. Preis sei Ihm, der nie dem Tode verfällt, dem Herrn der sichtbaren und unsichtbaren Welt, der über alle Dinge mächtig ist, seinen Dienern Huld gewährt und um sie weiß zu jeglicher Frist!



1000-und-1_Vol-06-216 Flip arpa

Ferner wird erzählt


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt