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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Kari Holzrock

Es war einmal ein König, der war Witwer geworden. Von seiner Königin hatte er eine Tochter, die so lieb und schön war, daß niemand schöner und lieber sein konnte. Er trauerte lange um seine Königin, die er hoch in Ehren gehalten hatte. Aber schließlich wurde er es leid, allein zu leben, und er verheiratete sich wieder mit einer verwitweten Königin, die auch eine Tochter hatte. Aber ihre Tochter war genau so häßlich und bös wie die andere schön und lieb war. Die Stiefmutter und ihre Tochter waren eifersüchtig auf des Königs Tochter, denn sie war so herrlich. Aber so lange der König daheim war, trauten sie sich nicht, ihr etwas zu tun, denn er hielt sie hoch in Ehren.

Nach einiger Zeit bekam der König Krieg mit einem anderen König und rüstete sich zum Kriegszug. Da glaubte die Königin, sie könne nun machen was sie wollte. Und so schlug sie die Königstochter und ließ sie hungern, sie war hinter ihr her in jedem Winkel. Schließlich schien ihr jedes Ding zu gut für sie zu sein, und so schickte sie die Stieftochter hinaus zum Tiere hüten. So ging sie mit der Herde und hütete sie in Wald und Feld und Berg. Sie bekam wenig oder gar nichts zu essen, bleich und mager wurde sie, und sie weinte beinah immer und war so traurig.

In der Herde aber war ein großer blauer Stier, der sich stets so fein



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und blank hielt. Der kam oft zur Königstochter hin und ließ sich kraulen. Einmal, als sie so saß und weinte und wieder einmal untröstlich war, kam der Stier zu ihr hin und fragte, warum sie so traurig sei. Sie antwortete gar nichts, aber sie weinte weiter.

»Ja«, sagte der Stier, »ich weiß genug, wenn du es auch nicht sagen willst. Du weinst, weil die Königin so schlimm gegen dich ist, und weil sie dich zu Tode hungern lassen will. Aber um Essen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. In meinem linken Ohr liegt ein Tuch, wenn du das nimmst und ausbreitest, kannst du so viele Gerichte haben, wie du willst«. Das machte sie, sie nahm das Tuch, breitete es auf der Erde aus, und so tischte es ihr auf, die feinsten Speisen, die man sich nur wünschen konnte. Es gab Wein und Met und süßen Kuchen. Sie erholte sich nun bald wieder und wurde so rot und rund und weiß, sodaß die Königin und ihre klapperdürre Tochter blau und bleich vor Neid wurden. Die Königin konnte nicht verstehen, wieso ihre Stieftochter so gut aussah bei so armer Kost. Also befahl sie einer Magd, daß sie ihr nachgehen solle auf die Weide und aufpassen und so sehen, wie das zusammenhinge, denn sie glaubte, daß jemand von den Mägden ihr Essen bringe. Die Magd ging ihr in den Wald nach und gab acht. So bekam sie zu sehen, daß die Königstochter das Tuch aus dem Ohr des blauen Stieres nahm und es ausbreitete. So tischte das Tuch die prächtigsten Speisen auf, an denen die Königstochter sich gütlich tat. Da ging die Magd heim und erzählte es der Königin.

Als der König den anderen König, mit dem er Krieg führte, besiegt hatte kehrte er heim. Im ganzen Schloß war da große Freude, und niemand war froher als des Königs Tochter. Aber die Königin stellte sich krank und gab dem Doktor viel Geld, damit er sagen solle, sie könne nicht wieder gesund werden, außer, sie bekäme Fleisch von dem blauen Stier zu essen. Beide, die Königstochter und die Leute des Schlosses fragten den Doktor, ob nichts anderes helfen könne und baten für den Stier, denn alle mochten ihn gut leiden und sie sagten, daß es nicht seinesgleichen gäbe im ganzen Reiche. Aber nein, er sollte und er mußte geschlachtet werden, da war nichts zu machen. Als die Königstochter das hörte, wurde ihr schlimm zumute und sie ging hinunter in den Stall zum Stier. Der stand da und ließ den Kopf hängen und sah so traurig aus, daß sie weinen mußte.

»Warum weinst du?« fragte der Stier. Da sagte sie, daß der König heimgekommen sei und daß die Königin sich krank stelle, und daß sie den Doktor dahin bekommen hätte, zu sagen, daß sie nicht gesund werden könne, wenn sie nicht Fleisch von dem blauen Stier bekäme, und



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deshalb solle er geschlachtet werden.

»Wenn sie mir zuerst das Leben nehmen, so ermorden sie dich dann auch«, sagte der Stier, »willst du wie ich, so gehen wir unseres Weges in dieser Nacht«.

Ja, der Königstochter schien es wohl schlimm genug zu sein, ihren Vater zu verlassen, aber noch schlechter würde es sein, mit der Königin im Hause zu leben. Und so versprach sie dem Stier, daß sie kommen würde.

Am Abend, als alle anderen sich niedergelegt hatten, stahl sich die Königstochter hinab zum Stier in den Stall. Dort nahm er sie auf den Rücken und stob vom Hof, so schnell er konnte.

Als nun die Leute hinabkamen in früher Morgenstunde am nächsten Tage und den Stier schlachten wollten, war er weg. Und als der König hinauf kam und nach der Königstochter fragte, war sie ebenfalls fort. Er sandte Boten nach allen Seiten, um sie zu suchen, und ließ es ausrufen auf allen Kirchhügeln, aber da war niemand, der sie gesehen hatte.

Indessen trabte der Stier mit der Königstochter auf dem Rücken durch viele Länder, und so kamen sie zu einem großen Kupferwald. Bäume und Zweige und Blätter und Blumen und alle Dinge waren aus Kupfer.

Aber ehe sie in den Wald kamen, sagte der Stier zur Königstochter: »Wenn wir in den Wald hineinkommen, mußt du dich gut in acht nehmen, daß du nicht einmal ein Blatt dort anrührst, sonst ist es aus mit dir und mir. Denn hier wohnt ein Troll mit drei Köpfen, dem gehört er«. —Nein, Kreuz nochmal, sie wolle sich sehr zusammennehmen und nichts berühren. Sie war so vorsichtig und bog sich zur Seite vor den Zweigen und schob sie mit den Händen fort. Aber der Wald war so dicht, daß sie bald keinen Rat mehr wußten, wie sie vorwärts kommen sollten. Und wie sie sich auch anstellte, so kam es doch vor, daß ein Blatt abriß, welches sie in die Hand bekam.

»Au, au, was machst du nur!« sagte der Stier, »nun geht es um Leben und Tod! Aber verwahre nur das Blatt gut«. Gleich danach waren sie am Ende des Waldes, und da kam ein Troll angefahren mit drei Köpfen.

»Wer ist das, der meinen Wald anrührt?« rief der Troll.

»Das ist ebensogut meiner wie deiner«, sagte der Stier.

»Wir werden kämpfen darum!« schrie der Troll.

»Ja, so sei es«, sagte der Stier.

Nun rannten sie zusammen und schlugen aufeinander ein. Der Stier stieß mit den Hörnern und schlug mit den Hufen aus Leibeskräften.



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Aber der Troll schlug ebenso gut zu, und es dauerte den ganzen Tag, ehe der Stier damit zu Ende kam. Und dann war er so voller Wunden und so elend, daß er beinah nicht mehr zu gehen vermochte. So mußte er noch einen Tag lang ausruhen. Dann sagte der Stier zur Königstochter, daß sie das Salbhorn nehmen solle, das am Gürtel des Trolles hänge, und so salbte sie ihn damit. Da erholte er sich. Und am Tage danach trabten sie wieder davon.

Nun ging es viele, viele Tage weiter, und so kamen sie nach langer, langer Zeit zu einem Silberwald. Bäume und Zweige und Blätter und Blumen und alle Dinge waren aus Silber.

Doch ehe der Stier hineinging, sagte er zur Königstochter: »Wenn wir in den Wald hineinkommen, mußt du um Gottes willen dich gut in acht nehmen, du darfst auch nicht ein Ding anrühren und nicht ein einziges Blatt abreißen, sonst ist es aus mit dir und mir. Das ist ein Troll mit sechs Köpfen, dem gehört der Wald. Und mit dem, glaube ich, kann ich es nicht aufnehmen«.

»Gut«, sagte die Königstochter, »ich werde mich genug in acht nehmen und nichts anrühren, was du willst, das ich nicht anrühren soll«.

Aber als sie in den Wald hineinkamen, war es so dicht und so eng dort, daß sie beinah nicht vorankamen. Sie verfuhr so sorgsam wie sie konnte nicht einmal mehr sagen, daß die Königstochter das Salbhorn von sich mit den Händen. Aber jeden Augenblick schlugen die Zweige ihr in die Augen, und wie sie sich auch anstellte, so kam es doch dazu, daß sie ein Blatt abriß.

»Au, au, was machst du nur!« sagte der Stier, »nun gilt es auf Leben und Tod zu kämpfen, denn der Troll hat sechs Köpfe und ist doppelt so stark wie der andere. Aber paß auf das Blatt auf und verbirg es gut!« —Wie es eben so ging, kam doch der Troll und schrie:

»Wer ist es, der meinen Wald berührt?«

»Der ist ebenso gut meiner wie deiner«, sagte der Stier.

»Wir wollen kämpfen darum!« schrie der Troll.

»So sei es«, sagte der Stier, und er riß am Troll und stieß ihm mit den Hörnern die Augen aus und fuhr mit den Hörnern in ihn hinein, sodaß die Gedärme heraushingen. Aber der Troll schlug ebensogut zu. Und es dauerte drei volle Tage, ehe der Stier ihm das Leben nahm, aber da war er auch so elend und am Ende seiner Kraft, daß er sich nur noch mit Mühe und Not bewegen konnte. Und so voller Wunden war er, daß sein Blut nur so floß. Da sagte er zur Königstochter, daß sie das Salbhorn nehmen sollte, welches am Gürtel des Trolles hing, und ihn damit einreiben. Das machte sie, und da erholte er sich. Aber er mußte



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eine Woche lang liegen und ruhn, ehe er wieder zu laufen vermochte.

Endlich konnten sie sich wieder auf den Weg begeben. Aber der Stier war noch geschwächt, und es ging nicht so schnell am Anfang. Die Königstochter wollte den Stier schonen und sagte, daß sie jung und gut zu Fuß sei, sie wollte gerne gehen. Aber das erlaubte er ihr nicht. Sie mußte sich wieder auf seinen Rücken setzen.

So ging es eine lange Zeit und durch viele Länder, und die Königstochter wußte nicht, wo es hingehen sollte. Aber nach langer Zeit kamen sie zu einem Goldwalde, der war so golden, daß Gold von ihm tropfte, und Bäume und Zweige und Blumen und Blätter waren von lauterem Gold.

Hier ging es genau so wie im Kupferwald und im Silberwald. Der Stier sagte zur Königstochter, daß sie ganz und gar nicht und auf keine Weise etwas anrühren sollte, denn das war ein Troll mit neun Köpfen, der den Wald besaß. Der sei viel größer und stärker als sie beide zusammen. Und der Stier glaubte nicht, daß er je mit ihm fertig würde. Nein, sie würde genug aufpassen und nichts im Walde berühren, das müsse er doch wissen. Aber als sie hereinkamen, da war es dort noch dichter als im Silberwald, und je weiter sie kamen, desto schlimmer wurde es. Der Wald wurde dichter und dichter und enger und enger, und schließlich schien es ihnen, sie könnten auf keine Weise mehr vorwärts kommen. Sie hatte so Angst, etwas abzureißen, daß sie saß und sich beugte und wendete, dahin und dorthin vor den Zweigen, und sie schob sie vor sich her mit den Händen. Aber was sie auch alles tat, so schlugen sie ihr doch in die Augen, sodaß sie nicht sehen konnte, wohin sie griff, und ehe sie es sich versah, hatte sie einen Goldapfel in der Hand. Sie hatte so von Herzen Angst, daß sie weinte und den Apfel wieder wegwerfen wollte. Aber der Stier sagte, das solle sie nicht, sondern ihn gut aufheben. Und er tröstete sie so gut er konnte. Aber er glaubte, das gäbe nun ein hartes Gemetzel, und er zweifelte, ob es gut ausgehen würde.

Da geschah es, daß der Troll mit neun Köpfen kam, der war so häßlich, daß die Königstochter gar nicht wagte, ihn anzuschauen.

»Wer ist das, der meinen Wald berührt?« schrie er.

»Das ist ebensogut meiner wie deiner«, sagte der Stier.

»Wir werden kämpfen darum«, schrie der Troll.

»Es sei denn!« sagte der Stier.

Und so rannten sie zusammen und schlugen sich, und es war so häßlich anzusehen, daß die Königstochter nahe daran war, ohnmächtig zu werden. Der Stier stieß dem Troll die Augen aus und wühlte mit den



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Hörnern quer in ihm, sodaß die Eingeweide sich herauswälzten. Aber der Troll schlug ebenso gut zu. Und wenn der Stier einen Kopf abgeschlagen hatte, bliesen die anderen wieder Leben hinein, und es dauerte eine ganze Woche, ehe er imstande war, ihm das Leben zu nehmen. Aber danach war der Stier so elend und gebrechlich, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Über und über war er mit Wunden bedeckt, er konnte nicht inmal mehr sagen, daß die Königstochter das Salbhorn nehmen sollte, und ihn damit einreiben, aber sie tat es trotzdem, und so kam er wieder zu sich. Aber er mußte drei Wochen lang liegen und ruhen, ehe er weiter gehen konnte.

Da reisten sie ganz langsam davon, und der Stier sagte, nun würden sie etwas länger brauchen, um voran zu kommen. Und so kamen sie über viele große Hügel mit dichtem Wald. Es dauerte noch eine Weile, da kamen sie auf einen Berg hinauf.

»Siehst du etwas?«fragte der Stier.

»Nein, ich sehe nichts anderes als Himmel und wilde Berge«, sagte die Königstochter. Als sie etwas höher hinauf kamen, wurden die Berge kahler, sodaß sie weiter um sich blicken konnten.

»Siehst du nun etwas?«fragte der Stier.

»Ja, ich sehe ein kleines Schloß, weit, weit weg«, sagte die Königstochter.

»Das ist gar nicht so klein«, sagte der Stier.

Nach langer, langer Zeit kamen sie zu einem großen Hügel, von dem aus sie eine quer gebreitete Bergwand sahen.

»Siehst du nun etwas?«fragte der Stier.

»Ja, nun sehe ich das Schloß, nun ist es viel, viel größer«, sagte die Königstochter.

»Dahin sollst du gehen«, sagte der Stier. »Gleich beim Schloß ist ein Schweinestall, und da sollst du bleiben. Wenn du dorthin kommst, findest du einen Holzrock, den sollst du anziehen. Und schließlich sollst du hineingehen und sagen, du heißt Kari Holzrock und sollst um Dienste bitten. Aber erst sollst du dieses kleine Messer nehmen und mir damit den Kopf abchneiden. Dann sollst du mich häuten und die Haut zusammenrollen und sie unter die Bergwand legen. Und in die Haut sollst du das kupferne Blatt, das silberne Blatt und den Goldapfel legen. Weiter weg vom Berg lehnt ein Knüppel. Wenn du etwas von mir willst, so klopfe nur damit gegen die Bergwand.

Am Anfang wollte sie nicht, aber der Stier sagte, das sei der einzigste Dank, den er haben wolle für all das, was er für sie getan hätte, und so konnte sie nicht anders. Ihr schien es so unerträglich schmerz-



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haft, aber sie schnitt mit dem Messer an dem großen Tier bis sie den Kopf abbekam. Und die Haut rollte sie zusammen und legte sie unter die Bergwand und legte vorher Kupferblatt, Silberblatt und Goldapfel hinein.

Als sie all das getan hatte, ging sie hinunter zum Schweinestall. Aber während sie ging, weinte sie und war rein außer sich vor Schmerz. Dann zog sie den Holzrock an und ging hin zum Königshof. Als sie in die Küche kam, bat sie um Dienste und sagte, sie hieße Kari Holzrock.

Ja, sagte die Köchin, Dienste könne sie genug bekommen, sie könne da bleiben und abwaschen, denn der, welcher es vorher gemacht habe, sei gerade seiner Wege gegangen. »Aber wenn du es satt hast, hier zu sein, so gehe du nur gleich wieder auch«, sagte sie. Nein, das wolle sie gar nicht.

Sie war flink und fleißig beim Abwaschen. Am Sonntag sollten Freunde zum Königshof kommen. So bat Kari, ob sie Erlaubnis bekäme, mit Waschwasser zum Prinzen zu gehen. Aber die anderen lachten sie aus und sagten: »Was willst du dort? Glaubst du, der Prinz will von dir etwas wissen, wenn du so aussiehst?«

Sie gab sich nicht damit zufrieden, sondern fuhr fort zu bitten, und endlich bekam sie Erlaubnis.

Als sie über die Treppe ging, klapperte der Holzrock, sodaß der Prinz herauskam und fragte: »Was bist du für eine?«

»Ich sollte dir Waschwasser bringen«, sagte Kari.

»Glaubst du, ich will das Waschwasser haben, welches du trägst?« sagte der Prinz, und er schüttete das Wasser über sie.

Damit mußte sie gehen. Später bat sie um Erlaubnis, in die Kirche gehen zu dürfen. Die bekam sie auch, denn die Kirche lag dicht dabei. Aber erst ging sie zur Bergwand und klopft mit dem Knüppel daran, welcher da lehnte, wie der Stier gesagt hatte. Sogleich kam ein Mann heraus und fragte, was sie wolle. Die Königstochter sagte, daß sie Erlaubnis bekommen habe, in die Kirche zu gehen und den Priester zu hören, aber sie hätte keine Kleider anzuziehen. So kam er mit einem Kleid zu ihr, das war so blank wie der Kupferwald. Und Pferd und Sattel bekam sie auch. Als sie zur Kirche kam, war sie so schön und prächtig, daß alle sich wunderten, wer sie wohl sei, und beinah niemand darauf hörte, was der Priester sagte, denn alle sahen nach ihr hin. Selbst der Prinz mochte sie so gut leiden, daß er nicht einen Augenblick die Augen von ihr wandte. Als sie aus der Kirche ging, sprang der Prinz ihr nach und zog die Kirchentür hinter ihr zu. Dabei bekam er ihren Handschuh in die Hände. Als sie hinaus ging und sich aufs Pferd



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setzte, kam der Prinz wieder hinterher und fragte, woher sie sei.

»Ich bin aus Waschland«, sagte Kari, und als der Prinz den Handschuh hervorzog und ihn ihr zurückgeben wollte, sagte sie:

»Vor mir, da sei es Licht,
Nacht hinter mir sich breite,
der Prinz, der sähe nicht,
wohin ich heute reite!«

Der Prinz hatte noch nie einen solchen Handschuh gesehen, und er fuhr weit und breit umher und fragte nach dem Land, welches die stolze Dame genannt hatte, der er den Handschuh abgestreift hatte. Aber da war niemand, der ihm sagen konnte, wo das lag.

Am nächsten Sonntag sollte wieder einer hinaufgehen zum Prinzen mit einem Handtuch.

»Ach, könnte ich wohl Erlaubnis bekommen, damit hinaufzugehen« fragte Karl.

»Wozu willst du das?«fragten die anderen, die mit ihr in der Küche waren, »du sahst doch wie es dir ging das letzte Mal«.

Aber Kari gab es nicht auf und hielt an, zu bitten bis sie Erlaubnis bekam. Und so lief sie über die Treppen, daß es nur so klapperte im Holzrock. Der Prinz fuhr heraus, und als er sah, daß es Kari war, riß er das Handtuch an sich und warf es ihr ins Gesicht:

»Pack dich nun, du häßlicher Troll!« sagte er, »glaubst du, ich will ein Handtuch haben, welches du in deine schwarzen Finger genommen hast?«

Dann ging der Prinz zur Kirche, und Kari bat auch um Erlaubnis, hingehen zu dürfen. Da fragten sie, warum sie in die Kirche wolle, sie, die doch nichts anders anzuziehen hätte als den Holzrock, und sie sei so schwarz und häßlich. Aber Kari sagte, ihr schien der Priester ein prächtiger Mann zu sein im Predigen, sie höre so gerne, was er sage, sodaß sie zum Schluß Erlaubnis dazu bekam. Sie ging zum Berge und klopfte an. Da kam der Mann heraus und gab ihr ein Kleid, das viel prächtiger war als das erste. Es war überall mit Silber gestickt, und von ihm ging ein Schimmer aus wie der Silberwald. Und ein edles Pferd mit silber gestickten Decken und Silberzügeln bekam sie auch.

Als die Königstochter zur Kirche kam, standen die Kirchgänger noch draußen auf dem Hügel. Alle verwunderten sich, was sie wohl für eine sei. Und der Prinz war sogleich unterwegs und kam, um ihr das Pferd zu halten, während sie abstieg. Aber sie stieg allein ab und sagte, das sei nicht notwendig gewesen, denn das Pferd sei so gut gezähmt, daß es stille stehe, sobald sie es sage, und es käme auch, wenn sie es rufe. So



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gingen sie alle zusammen in die Kirche. Aber da war beinah niemand, der darauf hörte, was der Priester sagte, denn sie sahen viel zu viel zu ihr hin. Und der Prinz wurde noch mehr gefangengenommen von ihr als das letzte Mal. Als die Predigt zu Ende war, und sie aus der Kirche ging und sich aufs Pferd setzte, kam der Prinz wieder und fragte, woher sie sei.

»Ich bin aus Handtuchland«, sagte die Königstochter, und in dem Augenblick ließ sie ihre Reitpeitsche fallen. Als der Prinz sich bückte, um sie aufzuheben, sagte sie:

»Vor mir, da sei es Licht,
Nacht hinter mir sich breite,
der Prinz, der sähe nicht,
wohin ich heute reite!«

Fort war sie wieder und der Prinz konnte nicht wissen, wo sie abgeblieben war. Er fuhr weit und breit umher, und er fragte nach dem Land, welches sie genannt hatte, woher sie käme. Aber da war niemand, der ihm sagen konnte, wo das lag. Und der Prinz mußte sich wieder in Geduld fassen.

Am dritten Sonntag, sollte einer zu dem Prinzen hinaufgehen mit einem Kamm. Kari bat um die Erlaubnis, damit hinaufzugehen, aber die anderen erinnerten sie daran, wie es ihr zuletzt ergangen war und warnten sie, sich vor dem Prinzen zu zeigen, so schwarz und häßlich wie sie war in ihrem Holzrock. Aber sie hielt nicht auf mit Bitten bis sie zum Prinzen hinaufgehen durfte mit dem Kamm. Als sie wieder so klappernd über die Treppe kam, fuhr der Prinz heraus, nahm den Kamm und warf ihn nach ihr und sagte, sie solle sich packen.

Dann ging der Prinz zur Kirche, und Kari bat um Erlaubnis, auch hinzugehen. Sie fragten wieder, was sie dort wolle, sie, die doch so schwarz und häßlich sei, welche keine Kleider hatte, sodaß sie sich unterm Volk sehen lassen könne. Weder der Prinz noch jemand anderes dürfe sie so sehen, sagten sie, sonst würden beide, er und sie unglücklich. Aber Kari sagte, daß sie alle genug anderes zu sehen hätten, und sie hielt nicht auf mit Bitten, bis sie die Erlaubnis bekam, zu gehen.

Nun ging es genauso wie die beiden anderen Male, sie ging fort zum Berg und klopfte an. Und der Mann kam heraus und gab ihr ein Kleid, das noch prächtiger war, als das andere, das war von lauterem Gold und besetzt mit Edelsteinen. Und ein edles Pferd mit goldgestickten Decken und Goldzügeln bekam sie auch noch.

Als die Königstochter zur Kirche kam, stand der Prinz und die Gemeinde noch auf dem Hügel und erwarteten sie. Der Prinz kam an-



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gelaufen und wollte das Pferd halten, aber sie sprang ab und sagte: »Nein danke, das braucht es nicht, mein Pferd ist so gut gezähmt, daß es still steht, wenn ich es sage«.

Nun eilten sie alle zusammen zur Kirche, auch der Priester auf die Kanzel. Aber niemand hörte auf das, was er sagte, denn sie schauten zu viel nach ihr hin und wunderten sich, woher sie wohl käme. Und der Prinz war eher noch mehr verliebt, als die beiden anderen Male. Er bemerkte nichts, sondern sah nur nach ihr hin. Als die Predigt aus war und die Königstochter aus der Kirche gehen wollte, hatte der Prinz etwas Pech verschüttet im Kirchenumgang, damit er kommen und ihr darüber weg helfen könne. Aber sie kümmerte sich nicht darum, setzte den Fuß mitten in das Pech und sprang weiter. Da blieb der eine Goldschuh im Pech sitzen, und als sie sich aufs Pferd schwang, kam der Prinz schnell aus der Kirche und fragte, woher sie sei.

»Von Kamm-Land«, sagte Kari. Als der Prinz ihr den Goldschuh reichen wollte, sagte sie:

»Vor mir, da sei es Licht,
Nacht hinter mir sich breite,
der Prinz, der sähe nicht,
wohin ich heute reite!«


***
Der Prinz konnte nicht wissen, wo sie geblieben war, auch diesmal nicht. Und so fuhr er lange Zeit umher in der Welt und fragte nach Kamm-Land, aber da niemand ihm sagen konnte, wo das lag, ließ er verkünden, daß er diejenige welcher der Goldschuh passe, heiraten würde. Von allen Seiten kamen sie zusammen, schöne und häßliche, aber keine hatte einen so kleinen Fuß, daß der Goldschuh ihr paßte. — Nach langer Zeit kam auch die schlimme Stiefmutter von Kari Holzrock mit ihrer Tochter, und ihr paßte der Schuh. Aber häßlich war sie, und so widerlich sah sie aus, daß der Prinz nur mit Mühe tat, was er versprochen hatte. Trotzdem wurde zur Hochzeit gerüstet und sie wurde als Braut geschmückt. Aber als sie zur Kirche ritten, saß ein kleiner Vogel im Baum und sang:
»Ein Stück von der Ferse
und vom Zeh fehlen tut,
der Schuh von Kari Holzrock,
ei, der füllt sich mit Blut!«

Als sie nachsahen, hatte der Vogel die Wahrheit gesungen, denn das Blut tropfte aus dem Schuh heraus. So mußten alle Dienstmädchen und alle Frauen, die auf dem Schloß waren, herkommen und den Schuh anprobieren, aber da war keine, der er passen wollte.



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»Aber wo ist denn Kari Holzrock?«fragte der Prinz, als alle anderen anprobiert hatten, denn er dachte an den Vogelsang und hatte sich gut gemerkt, was der Vogel gesungen hatte.

»Ach, die da«, sagten die anderen, »das kann nichts nützen, wenn die herkommt, denn sie hat Füße wie ein Elefant«.

»Kann sein«, sagte der Prinz, »aber wenn die anderen anprobiert haben, so kann Kari es auch«.

»Kari!« rief er aus der Tür. Und Kari kam die Treppe herauf, und es klapperte im Holzrock, als ob ein ganzes Regiment Dragoner anmarschiert käme.

»Nun sollst du den Goldschuh anprobieren und Prinzessin werden«, sagten die anderen und lachten und verspotteten sie.

Kari nahm den Goldschuh auf und setzte ihren Fuß hinein, so leicht wie sie wollte, warf den Holzrock von sich und stand da im goldenen Kleide, daß es um sie nur so schimmerte. Und am anderen Fuß hatte sie den passenden Goldschuh dazu. Der Prinz erkannte sie sogleich und wurde so froh, daß er gerade auf sie zu ging, sie um den Leib faßte und sie küßte. Und als er zu hören bekam, daß sie eine Königstochter sei, wurde er eher noch glücklicher. Und so wurde Hochzeit gefeiert. Snip, snap, snaus, nun ist das Märchen aus.


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