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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Hoken Fahlbart

Es war einmal eine Königstochter, die so stolz und hochmütig war, daß kein Freier ihr gut genug schien. Alle hielt sie zum Narren und gab ihnen den Reisepaß, den einen nach dem anderen. Aber obwohl sie darin so groß war, so kamen dennoch allezeit Freier zum Hof, denn schön war sie, nur leider boshaft.

So kam auch mal wieder ein Königsohn, der hieß Hoken Fahlbart, der wollte sie freien. Aber die erste Nacht, die er da war, bat sie den Hofnarren, er solle von einem seiner Pferde die Ohren abschneiden, und dem anderen Pferd solle er das Maul aufreißen bis zu den Ohren. Als der Prinz am anderen Tage fahren sollte, stand die Königstochter in der Galerie und sah zu: »Nein, so etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte sie, »der rauhe Nordwind, welcher hier bläst, hat die Ohren von einem deiner Pferde weggenommen, und das andere hat er zerstoßen und zerfroren, sodaß das Maul ganz zu den Ohren reicht«, und damit schlug sie eine Lachsalve an, lief hinein und ließ ihn seinen Weg fahren.

Er reiste heim, aber er dachte bei sich selbst, er würde es ihr schon vergelten. Er band sich einen großen Bart aus Flechten um, zog eine weite Fellkleidung an und verkleidete sich so als Bettler. Er kaufte bei einem Goldschmied ein goldenes Spinnrad und ging damit zum Königsschloß. Eines morgens setzte er sich vors Fenster der Königstochter und begann zu feilen und am Goldspinnrad zu arbeiten. Er war noch nicht richtig fertig damit, es war noch kein Ständer daran.

Als nun die Königstochter am Morgen zum Fenster kam, öffnete sie es, rief ihn an und fragte, ob er sein Goldspinnrad nicht verkaufen wolle.

»Nein, es ist nicht feil«, sagte Hoken Fahlbart, »aber es ist mir einerlei, wenn ich vor deiner Kammertür heute nacht schlafen darf, so sollst du es haben«.

Ja, das erschien der Königstochter ein guter Kauf zu sein, und da sei auch keine Gefahr dabei. Sie bekam das Spinnrad, und am Abend legte sich Hoken Fahlbart draußen vor ihre Kammertür. Aber da es weiter auf die Nacht zu ging, kam ein solches Frieren über ihn: »Hutte, tutte tutte tu! es ist so kalt hier draußen -laß mich hinein!« sagte er.



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»Ich glaube, du bist nicht ganz bei Trost«, sagte die Königstochter.

»Ach, huttetuttu, es ist so kalt, ach laß mich nur hinein«, sagte Hoken Fahlbart.

Pst, Pst, schweig still!« sagte die Königstochter, »wenn mein Vater hört, daß ein Mannsbild hier ist, so werde ich ganz unglücklich«.

»A, butte, tutte, tutte, tuuu! ich friere mich zu Tode, laß mich nur hineinkommen und auf dem Fußboden liegen«, sagte Hoken Fahlbart.

Ja, da war nichts zu machen, sie mußte ihn hineinlassen. Und als er hereingekommen war, legte er sich auf den Fußboden und schlief auch so gut.

Eine Weile danach kam Hoken wieder und hatte einen Ständer mit für das Spinnrad. Und so setzte er sich wieder draußen vors Fenster der Königstochter und feilte am Ständer, denn er war noch nicht richtig fertig. Als sie ihn feilen hörte, öffnete sie das Fenster und fragte, was das sei, das er dort hätte.

»Ach, das ist ein Ständer zu dem Spinnrad, welches die Prinzessin kaufte, denn ich dachte, will sie das Spinnrad haben, so braucht sie auch den Ständer dazu«, sagte Hoken.

»Was willst du dafür haben?«fragte die Königstochter.

Der sei auch nicht feil für Gold, aber bekäme er Erlaubnis, auf dem Fußboden zu liegen in der Kammer der Prinzessin während der Nacht, so solle sie ihn haben.

Ja, das solle ihm erlaubt sein, aber sie bat ihn, nur ruhig zu sein und nicht wieder anzufangen mit frieren und zu rufen: Huttetu.

Hoken Fahlbart versprach es, aber als es Nacht wurde, begann er wieder zu buttern und zu frieren, und er bat, ob er nicht Erlaubnis bekäme, sich vors Bett der Prinzessin zu legen. Da konnte man nichts machen, sie mußte es ihm erlauben, wenn der König nichts hören sollte. Hoken Fahlbart legte sich da auf den Fußboden vor dem Bett der Königstochter und schlief gut und schön.

So dauerte es eine ganze Zeit, ehe Hoken Fahlbart wiederkam. Aber da hatte er eine Garnwinde von Gold, und die feilte er, indem er des morgens vorm Fenster der Prinzessin saß. Dann ging es genau so. Als die Prinzessin das hörte, ging sie zum Fenster, grüßte und fragte, was er für die Garnwinde haben wolle. »Die ist nicht feil für Geld, aber wenn ich die Erlaubnis bekomme, in deiner Kammer zu liegen mit dem Kopf an der Bettsäule während der Nacht, so sollst du sie haben«. sagte Hoken Fahlbart. Ja, das könne er wohl, wenn er nur ruhig sei und sich nicht so wild verhalte, sagte die Prinzessin. Und er versprach, sein Bestes zu tun. Aber als es auf die Nacht zu ging, begann er wieder



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zu frieren und zu zittern, daß die Zähne klapperten.

»Huttetuttetutte tuu, es ist so kalt! Erlaube mir, zu dir hinauf ins Bett zu kommen, um mich ein wenig zu wärmen«, sagte Hoken Fahlbart.

»Ich glaube, du bist verrückt!« sagte die Königstochter.

»Huttetuttetuttetuu«, sagte Hoken Fahlbart, »ach laß mich hinaufkommen ins Bett, Huttetuttetuuuu!«

»Pst ,pst, schweig still, um Gottes Willen!« sagte die Königstochter, »denn wenn mein Vater hört, daß Mannsvolk hier ist, so werde ich ganz unglücklich. Ich glaube sicher, er nimmt mir sogleich das Leben.«

»Huttetuttetu, laß mich hinauf ins Bett schlüpfen«, sagte Hoken Fahlbart und fror, daß die ganze Stube zitterte.

Da war nichts zu machen, sie mußte ihn ins Bett schlüpfen lassen. Da schlief er gut und schön.

Aber eine Zeit danach bekam die Prinzessin ein kleines Kind, und der König wurde so wild darüber, daß er beinah mit ihr und dem Kinde ein Ende gemacht hätte. — Ein wenig später kam Hoken Fahlbart, klappernd wie ein Handelsmann zum Schloß und saß in der Küche wie ein anderer Bettelmann.

Da kam die Königstochter herunter und sah ihn:

»Ach Gott bewahre mich vor dem Unglück, das deine Gewalt mir brachte!« sagte sie, »mein Vater geht beinah in die Luft, so wild ist er. Laß mich mit dir heimgehen«.

»Du bist zu verwöhnt, um mit mir zu gehen«, sagte Hoken, »ich habe nichts anderes als eine Laubhütte zum drin wohnen. Und wovon soll ich dich ernähren, das weiß ich nicht, denn ich muß mich schon sehr mühen, um nur Brot für mich allein zu schaffen«.

»Ich bin schon zufrieden mit dem, so wie du es hast«, sagte die Königstochter, »laß mich nur mit dir gehen, denn wenn ich länger hier bleibe, so glaube ich, mein Vater nimmt mir das Leben«.

Sie bekam die Erlaubnis, mit dem Zigeuner zu gehen, wie sie ihn nannte. Und so gingen sie beide lang und länger, und sie hatte es nicht zu gut unterwegs. Schließlich verließen sie das Land und kamen in ein anderes Reich. Da fragte die Prinzessin, wer das sei, dem dies Reich gehöre.

»Ach, das ist Hoken Fahlbart«, sagte er.

»Ja - so!« sagte die Prinzessin, »hätte ich ihn genommen, so hätte ich mir erspart, hier als Bettelweib zu gehen«.

Und alle die prächtigen Schlösser und Wälder und Bauernhöfe, wo sie vorüber kamen -da fragte sie, wem die gehören.



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»Ach, die gehören ihm, Hoken Fahlbart!« sagte der Zigeuner. Und die Königstochter ging und schalt sich selbst aus, daß sie ihn nicht genommen hätte, der so viel besaß.

Nach langer Zeit kamen sie zu einem Königshof; da sei er bekannt, sagte er, und dann meinte er noch, dort würde er für sie Arbeit bekommen, sodaß sie etwas zum Leben hätten. Und dann baute er eine Hütte aus Zweigen und Laub, in einer Waldlichtung, da sollten sie bleiben. Er selbst ging zum Königshof und hackte Holz und trug Wasser für die Küche, sagte er. Und als er wieder heim kam, brachte er einige Speisereste mit, aber die reichten nicht lange.

Eines Tages kam er heim vom Schloß: »Morgen werde ich daheim bleiben und auf das Kind aufpassen, und du wirst dich bereit machen, zum Schloß zu gehen, denn der Prinz sagte, du sollst kommen und beim Brotbacken helfen«.

»Ich soll backen«, sagte sie, »ich kann nicht backen, denn das habe ich noch nie gemacht«.

»Du wirst aber hingehen«, sagte Hoken Fahlbart, »da der Prinz es nun einmal gesagt hat. Kannst du nicht backen, so kannst du wohl backen lernen, du wirst hinschauen, wie es die anderen machen. Und dann sollst du etwas Brot stehlen, um es mir mitzubringen«.

»Stehlen kann ich nicht!« rief die Königstochter.

»Du kannst es gut lernen«, sagte Hoken Fahlbart, »du weißt, wir haben knapp zu essen. Aber nimm dich vor dem Prinzen in acht, denn er hat Augen, die sehen alles«.

Als sie gerade gegangen war, sprang Hoken einen Abkürzungsweg entlang und kam lange vor ihr zum Schlosse. Dort warf er die schlechte Kleidung und den Flechtenbart von sich und zog Prinzenkleider an.

Die Königstochter war mit in der Backstube und tat, worum Hoken sie gebeten hatte und stahl sich alle Taschen voller Brot. Als sie so am Abend heim wollte, sagte der Prinz:

»Dieses Zigeunerweib kennen wir noch nicht genug; es ist wohl das beste, wir sehen nach, ob sie sich nicht etwas mitgenommen hat«.

So fuhr er ihr in alle Taschen und grub und durchsuchte sie, und als er das Brot fand, wurde er böse und zankte sie aus.

Sie weinte, war außer sich und sagte: »Der Zigeuner bat mich darum und so mußte ich es tun«.

»Das ist dir schlecht gelungen«, sagte der Prinz, aber es ist ganz gleich, um des Zigeuners willen sei dir vergeben«.

Sie war eben gegangen, so warf er die Prinzenkleider von sich, zog die alten Fellsachen über, band sich den Flechtenbart um und war vor



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ihr in der Laubhütte, und als sie kam, war er gerade dabei, das Kind zu versorgen.

»Ja, du hast mir etwas zu tun befohlen, was ich bereue«, sagte sie, »das ist das erste Mal, daß ich gestohlen habe, und das wird auch das letzte Mal sein«. Und dann erzählte sie, wie es zugegangen war und was der Prinz gesagt hatte.

Einige Tage später kam Hoken heim zur Laubhütte am Abend: »Morgen werde ich daheim bleiben und auf das Kind acht geben«, sagte er, »denn du sollst im Schlachthaus helfen und Würste machen«.

»Ich, Würste machen?« sagte die Königstochter, »das kann ich nicht, ich habe oft genug Würste gegessen, aber Würste gemacht habe ich niemals«.

Aber Hoken sagte, sie müsse gehen, weil der Prinz es gesagt hätte. Sie solle es nur genau so machen wie es die anderen machen. Und dann bat er sie, sie solle einige Würste stehlen und sie ihm mitbringen.

»Nein, stehlen kann ich nicht«, sagte sie, »du erinnerst dich doch, wie es das letzte Mal ging«.

»Du kannst stehlen lernen«, sagte Hoken, »es ist nicht gesagt, daß es immer schief geht«.

Kaum war sie gegangen, sprang Hoken Fahlbart den Abkrüzungsweg entlang und kam viel eher ins Schloß als sie. Dort warf er das Fellkleid und den Flechtenbart von sich und stand in Prinzenkleidern in der Küche, als sie kam. Die Königstochter war mit im Schlachthaus und machte Würste. Und sie machte es so, wie Hoken sie gebeten hatte, sie stopfte ihre Taschen voll. Aber als sie am Abend heim gehen wollte, sagte der Prinz: »Das Zigeunerweib war so langfingrig das letztemal, es ist am besten, ich sehe nach, ob sie nicht etwas mitgenommen hat«. Dann begann er zu suchen und alle Taschen zu durchwühlen. Als er die Würste fand, wurde er wieder böse, beschimpfte sie schlimm und drohte ihr, sie vors Gericht zu bringen und sie vor den Lehnsmann zu führen.

»Ach, Gott segne dich und laß mich laufen! Der Zigeuner bat mich darum«, sagte sie, weinte und war außer sich.

»Es gelang dir schlecht, aber um des Zigeuners willen sei dir vergeben«, sagte Hoken Fahlbart.

Als sie gegangen war, warf er die Prinzenkleider von sich, zog das alte Fellzeug über und hing den Flechtenbart um, sprang den kurzen Weg zurück, und als sie heim kam, war er längst auf dem Hauptweg. Sie erzählte, wie es zugegangen war und gelobte hoch und teuer, das sei das letzte Mal, daß er sie zu so etwas bekäme.



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Eine Weile danach, war der Mann wieder am Königshof.

»Nun soll der Prinz bald Hochzeit machen«, sagte er, als er am Abend heim kam. »Aber die Braut ist krank geworden, so daß der Schneider nicht bei ihr Maß nehmen kann fürs Brautkleid, und so will der Prinz, daß du hinaufkommst zum Königshof und an ihrer statt Maß nehmen läßt, denn er sagt, du gleichst ihr an Wuchs und in allem. Aber wenn bei dir Maß genommen wurde, sollst du nicht weggehen, du sollst stehen bleiben und zusehen, wie der Schneider zuschneidet, und dann die größten Stücke zusammenfegen und mit dir nehmen für eine Zipfelmütze für mich«.

»Nein, stehlen kann ich nicht«, sagte sie, »du erinnerst dich doch, wie es mir das letzte Mal ging«.

»Du kannst es gut lernen«, sagte Hoken, »das ist gar nicht gesagt, daß es wieder schief geht«.

Sie glaubte, das sei falsch, aber sie ging trotzdem und tat, worum er sie gebeten hatte. Sie stand und sah zu, wie der Schneider zuschnitt und kehrte die größten Stücke zusammen und steckte sie in die Tasche. Als sie gehen wollte, sagte der Prinz: »Wir müssen wohl nachsehen, ob das Weib nicht wieder lange Finger gemacht hat, auch dieses Mal«, und er suchte in allen Taschen. Und als er die Stoffreste fand, wurde er wild und begann zu schelten und zu toben, wie man es noch nie erlebt hatte. Sie weinte und war außer sich und sagte: »Ach, der Zigeuner hatte mich darum gebeten, so mußte ich es tun«.

»Es gelang dir schlecht, aber um des Zigeuner willen sei dir vergeben«, sagte Hoken Fahlbart.

Und so ging es wie das vorige Mal. Als sie in die Laubhütte heim kam, war Hoken auch schon da.

»Ach, Gott helfe mir«, sagte sie, »ich werde zum Schluß noch unglücklich deinetwegen, denn du willst mich zu nichts anderem bringen, als was nicht recht ist. Der Prinz war so wild und bös, er drohte mir mit dem Lehnsmann und mit Zuchthaus«.

Eine Weile danach kam Hoken heim eines abends: »Nun will der Prinz, du sollst hinauf zum Schloß kommen und die Braut vertreten«, sagte er, »denn seine Braut ist immer noch krank und bettlägrig, aber die Hochzeit will er halten. Und du gleichst ihr so, an nichts seid ihr voneinander zu unterscheiden. Und morgen sollst du dich bereit machen, zum Schlosse zu gehen«.

»Ich glaub ihr seid ganz und gar von Sinnen, du und der Prinz«, sagte sie. »Meinst du, ich sähe aus wie eine Braut? Es kann ja keine Landstreicherin schlimmer aussehen als ich«.



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Es half alles nicht, sie mußte gehen. Und als sie zum Königshof kam, wurde sie so geschmückt und ausgestattet, daß keine Prinzessin prächtiger sein konnte. So fuhren sie zur Kirche und sie stand an Stelle der Braut. Und als sie wieder heim kamen, war Tanz und Lustigkeit im Schloß. Doch da geschah es, als sie mitten im Tanz mit dem Prinzen war, daß sie plötzlich einen Schein vom Fenster her sah, und dann erblickte sie, daß die Laubhütte in hellen Flammen stand.

»Ach nein, mein Zigeuner und mein Kind!« schrie sie und war der Ohnmacht nahe vor Schrecken.

»Hier ist dein Zigeuner und hier ist dein Kind! Und die Laubhütte laß nur brennen!« sagte Hoken Fahlbart. — Da erkannte sie ihn wieder. Nun war erst die richtige Freude und Lustigkeit da im Schloß. Aber seit der Zeit habe ich nie wieder etwas gesehen und gehört von ihnen.


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