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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ABU KIR UND ABU STR

Einst lebten zwei Männer in der Stadt Alexandrien, der eine von ihnen war ein Färber und hieß Abu Kir, der andere aber war ein Barbier und hieß Abu Str. Die beiden waren einander benachbart in der Marktstraße; denn der Laden des Barbiers stand neben dem Laden des Färbers. Der Färber nun war ein Betrüger und Belüger, ein arger Bösewicht, als wäre seine Schläfe aus hartem Felsen hergekommen oder aus der Schwelle einer Synagoge der Juden entnommen; und er schämte sich keiner Schandtat, die er unter den Menschen verübte. Wenn jemand ihm ein Stück Zeug zum Färben brachte, so pflegte er von ihm zuerst den Lohn zu verlangen, indem er vorgab, er müsse dafür Stoffe kaufen, mit denen er färbe; und jener gab ihm dann den Lohn im voraus. Sobald der Färber aber das Geld von ihm in Händen hatte, gab er es für Essen und Trinken aus; und dann verkaufte er auch noch das Zeug, das er erhalten hatte, sowie dessen Besitzer fortgegangen war, und gab den Erlös für Essen und Trinken und andere Dinge aus. Er aß nur das feinste von den leckersten Gerichten und trank nur das



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beste von den Getränken, die den Verstand vernichten. Wenn dann der Eigentümer des Stoffes kam, so sprach er zu ihm: ,Komm morgen vor Sonnenaufgang wieder zu mir, so wirst du dein Zeug gefärbt vorfinden.' Der Eigentümer ging darauf seiner Wege, indem er bei sich sprach: ,Ein Tag ist dem andern nahe.' Wenn er aber am folgenden Tage zur verabredeten Zeit kam, so sagte der Färber zu ihm: ,Komm morgen wieder; gestern hatte ich keine Zeit; denn es waren Gäste bei mir, und ich mußte für ihre Bewirtung sorgen, bis sie fortgingen; aber morgen vor Sonnenaufgang magst du kommen und deinen gefärbten Stoff mitnehmen.' Wieder ging der Mann fort und kam am dritten Tage zurück; und der Färber sagte ihm: ,Gestern war ich wirklich zu entschuldigen; denn meine Frau kam in der Nacht nieder, und ich hatte den ganzen Tag über mit allen möglichen Dingen zu tun. Aber wenn du morgen kommst, so sollst du auf alle Fälle dein Zeug gefärbt mitnehmen.' Kam der Mann jedoch zu der bestimmten Zeit wieder zu ihm, so trat er ihm mit einer anderen Ausrede entgegen, einerlei welcher, und schwor ihm einen Eid. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 931. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Färber jedesmal, wenn der Eigentümer der Sache zu ihm kam, ihm mit einer anderen Ausrede entgegentrat, einerlei welcher, und ihm einen Eid schwor. Und er versprach und schwor immer wieder, wenn der Kunde zu ihm kam, bis dieser die Geduld verlor und zu ihm sprach: ,Wie oft willst du zu mir sagen: morgen? Gib mir meinen Stoff; ich will ihn nicht mehr färben lassen.' Dann pflegte der Färber zu sagen: ,Bei Allah, mein Bruder, ich schäme mich vor dir; aber ich muß dir die Wahrheit sagen -



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möge Allah jeden schädigen, der die Menschen in ihrem Besitze schädigt!' ,Sage mir, was ist denn geschehen?' pflegte der Kunde zu sagen; und der Färber antwortete: ,Deinen Stoff hatte ich unvergleichlich schön gefärbt, und ich hatte ihn auf die Leine gehängt, aber er ist mir gestohlen, und ich weiß nicht, wer ihn gestohlen hat.' Gehörte nun der Eigentümer des Stoffes zu den gutmütigen Leuten, so sagte er wohl: ,Allah wird ihn mir ersetzen.' Wenn er aber zu den übelwollenden Menschen gehörte, so drang er bei ihm auf Schimpf und Schande; dennoch erreichte er nichts von ihm, wenn er ihn auch beim Richter verklagte. Solches Tun trieb er so lange, bis sich sein Ruf unter den Leuten verbreitete und diese sich gegenseitig vor Abu Kîr warnten und ihn zum Sprichwort machten und sich alle von ihm fernhielten. Keiner fiel mehr in sein Netz, außer denen, die nicht wußten, wie es mit ihm stand; und außerdem hatte er jeden Tag Schimpf und Schande zu erdulden bei den Geschöpfen Allahs des Erhabenen. So kam es, daß er schlechte Geschäfte machte, und er begann, zu dem Laden seines Nachbars Abu Sie, des Barbiers, zu gehen und sich darinnen niederzusetzen mit dem Blick auf die Färberei, so daß er deren Tür im Auge behielt. Und wenn er jemanden, der ihn nicht kannte, mit einem Stück Stoff, das er färben lassen wollte, an der Tür der Färberei stehen sah, so verließ er den Laden des Barbiers und sprach zu dem Kunden: ,Was suchst du, Mann?' Jener antwortete ihm: ,Nimm dies Stück und färbe es mir!' Dann fuhr er fort: ,Welche Farbe wünschest du?' Denn trotz seiner schurkischen Streiche lag es in seiner Hand, daß er in allerlei Farben färbte; aber er war nie gegen jemanden ehrlich, und so war die Not über ihn gekommen. Dann nahm er den Stoff dem Kunden aus der Hand und sprach zu ihm: ,Gib mir den Lohn im voraus, und komm morgen wieder und hole deinen



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Stoff!' Der Fremde gab ihm das Geld und ging fort; und wenn der dann seiner Wege gegangen war, so nahm Abu Kir den Stoff und trug ihn zum Basar und verkaufte ihn; für den Erlös kaufte er sich Fleisch und Gemüse, Tabak und Früchte und was er sonst brauchte. Doch sooft er einen von denen vor dem Laden stehen sah, die ihm etwas zum Färben gegeben hatten, ging er nicht zu ihm hinaus und zeigte sich ihm nicht. In dieser Weise lebte er mehrere Jahre; aber da begab es sich eines Tages, daß er von einem harten Manne ein Stück Zeug erhielt: er verkaufte es und verbrauchte den Erlös. Nun kam der Eigentümer jeden Tag zu seinem Laden und fand ihn nicht dort, weil der jedesmal, wenn er einen sah, der einen Anspruch an ihn hatte, vor ihm fortlief in den Laden des Barbiers Abu Str. Da nun jener harte Mann ihn nicht in seinem Laden fand und des Wartens überdrüssig wurde, so ging er zum Kadi; von dem holte er einen Gerichtsboten, und dann nagelte er die Tür des Ladens zu in Gegenwart einer Schar von Muslimen und versiegelte sie; denn er hatte dort nur einige zerbrochene irdene Geräte gesehen, aber nichts darunter gefunden, was ihm seine Sache hätte ersetzen können. Dann nahm der Gerichtsbote den Schlüssel an sich und sprach zu den Nachbarn: ,Sagt ihm, er solle das Zeug dieses Mannes herbeischaffen; dann mag er kommen, um sich den Schlüssel seines Ladens zu holen!' Darauf gingen der Mann und der Gerichtsbote ihrer Wege. Abu Str aber sprach zu Abu Kir: ,Was ist das für eine arge Sache mit dir? Jedesmal, wenn einer dir etwas bringt, lässest du ihn dessen verlustig gehen. Wohin ist der Stoff dieses harten Menschen verschwunden?' Der Färber antwortete: ,Lieber Nachbar, er ist mir gestohlen.' Da rief Abu Str: ,Sonderbar, jedesmal, wenn dir jemand etwas gibt, so stiehlt es dir ein Dieb. Bist du denn ein Sammelplatz aller Diebe geworden? Doch



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ich glaube, du lügst; nun erzähl mir deine Geschichte in Wahrheit!' ,Lieber Nachbar.' erwiderte der Färber, ,niemand hat mir etwas gestohlen.' Abu Str fragte darauf: ,Was machst du denn mit den Sachen der Leute?' Und der Färber gestand: ,Wenn jemand mir etwas bringt, so verkaufe ich es und gebe den Erlös für mich aus.' Als aber Abu Str fragte: ,Ist dir das vor Gott erlaubte' gab jener zur Antwort: ,Ich tu es nur aus Not; denn mein Geschäft geht schlecht; ich bin arm und habe nichts.' Und nun begann er ihm zu klagen über die schlechten Geschäfte und über den Mangel an Mitteln; da hub auch Abu Str an. ihm zu erzählen, daß es um sein Gewerbe schlimm bestellt sei, indem er sprach: ,Ich bin ein Meister, meinesgleichen gibt es nicht in dieser Stadt. Aber niemand läßt sich bei mir scheren, weil ich ein armer Kerl bin; ich habe keine Lust mehr zu dieser Kunst, mein Bruder!' Da sagte Abu Kir, der Färber, zu ihm: ,Auch ich habe keine Lust mehr zu meinem Gewerbe. weil es so schlecht geht; doch, mein Bruder, was hält uns denn in dieser Stadt feste Wir beide, ich und du. wollen uns auf die Wanderschaft machen und uns in den Ländern der Menschen umsehen, mit unserer Kunst in unseren Händen; denn die gilt in der ganzen Welt. Und wenn wir reisen, kommen wir an die frische Luft und haben Ruhe vor dieser schweren Sorge.' Und Abu Kir fuhr fort, vor Abu Str das Reisen schön auszumalen. bis auch der begierig ward aufzubrechen. So einigten sich denn die beiden darüber, daß sie reisen wollten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 932. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Kir fortfuhr, vor Abu Str das Reisen schön auszumalen, bis auch der begierig ward aufzubrechen, und daß die beiden sich dann darüber



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einigten, daß sic reisen wollten; nun war Abu Kir froh, daß auch Abu Str Lust zum Reisen hatte, und sang die Worte des Dichters: Zieh fort aus deinem Land, erstrebe hohe Dinge Und reise; denn die Fahrt bringt Nutzen fünferlei: Es macht von Sorgenfrei, läßt dich dein Brot gewinnen, Bringt Wissen, feine Bildung, edle Kumpanei. Und wenn es heißt, das Reisen bringe Gram und Kummer Und Trennung der Gemeinschaft, schwerer Mühen Leid, So ist der Tod dem Manne besser als ein Leben In; Hause der Verachtung zwischen Haß und Neid!

Nachdem die beiden sich also zum Aufbruch entschlossen hatten, sprach Abu Kir zu Abu Str: ,Lieber Nachbar, jetzt sind wir Brüder geworden, und es gibt keinen Unterschied zwischen uns. Daher geziemt es uns, die Fâtiha' daraufhin zu sprechen, daß, wer von uns Arbeit hat, aus seinem Verdienst den ernähren soll, der keine Arbeit hat, und daß wir alles, was übrig bleibt, in eine Truhe legen. Wenn wir dann nach Alexandrien zurückkehren, so wollen wir es zwischen uns gerecht und ehrlich teilen.' ,So sei es', erwiderte Abu Str; und nun sagten beide die Fâtiha her daraufhin, daß der Arbeitende aus seinem Verdienste den Arbeitslosen ernähren solle. Darauf schloß Abu Sir den Laden und übergab die Schlüssel ihrem Verwalter; Abu Kir aber ließ den Schlüssel bei dem Boten des Kadi und ließ den Laden verschlossen und versiegelt zurück. Beide nahmen ihre Habseligkeiten mit und machten sich auf die Reise, indem sie eine Galeone bestiegen, die auf dem Salzmeere fuhr; noch am selben Tage gingen sie unter Segel, und das Glück war ihnen hold. Zur höchsten Freude des Barbiers war unter allen, die sich an Bord der Galeone befanden, kein einziger Barbier, wiewohl dort hundertundzwanzig Menschen waren



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außer dem Kapitän und den Seeleuten. Als man nun die Segel des Schiffs gespannt hatte, hub der Barbier an und sprach zum Färber: ,Bruder, hier auf dem Meere haben wir Essen und Trinken nötig; aber wir haben nur wenig Zehrung bei uns. Vielleicht wird einer zu mir sagen: ,Komm her, Barbier, seher mich!' Dann will ich ihn scheren für einen Laib Brot oder für einen Para oder für einen Trunk Wassers; und so haben wir beide Nutzen davon, ich und du.' ,Das kann nicht schaden', antwortete ihm der Färber, legte sein Haupt nieder und schlief ein, während der Barbier sich aufmachte, indem er sein Handwerkszeug und seine Schale nahm und einen Lumpen über die Schulter warf, der ihm als Handtuch diente, da er arm war; und er ging zwischen den Reisenden umher. Einer von ihnen sprach zu ihm: ,Meister, komm und seher mich!' Da schor er ihn, und als er das getan hatte, gab jener Mann ihm einen Para. Aber der Barbier sprach: ,Bruder, ich kann dies Parastück nicht brauchen. Hättest du mir einen Laib Brot gegeben, so wäre er mir auf diesem Meere von größerem Segen; denn ich habe noch einen Gefährten, und unser Vorrat ist sehr gering.' Da gab jener ihm einen Laib Brot und ein Stück Käse und füllte ihm die Schale mit süßem Wasser. Der Barbier nahm alles, trug es zu Abu Kir und sprach zu ihm: ,Nimm dies Brot und iß es mit dem Käse und trink, was in der Schale ist!' Und jener nahm, aß und trank. Danach griff Abu Sîr, der Barbier, wieder zu seinem Handwerkszeug, legte den Lumpen über seine Schulter, nahm die Schale in die Hand und ging auf dem Schiff unter den Reisenden umher. Einen schor er für zwei Brote, einen anderen für ein Stück Käse, und es entstand große Nachfrage nach ihm; daher begann er von einem jeden, der da rief: ,Seher mich, Meister', sich zwei Brote und einen Para auszubedingen; denn es war ja kein anderer



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Barbier auf der Galeone außer ihm. Und noch ehe die Sonne unterging, hatte er schon dreißig Brote und dreißig Parastücke beisammen, dazu noch Käse, Oliven und Fischrogen; denn alles, was er von den Reisenden verlangte, gaben sie ihm, und so war er bald im Besitz vieler Dinge. Er schor auch den Kapitän, und als er dem klagte, daß er zu wenig Zehrung für die Reise habe, sagte dieser zu ihm: ,Du bist mir jeden Abend willkommen, und bring auch deinen Gefährten mit; dann könnt ihr bei mir essen und braucht keine Sorge mehr zu haben, solange ihr mit uns fahrt.' Darauf kehrte Abu Str zu dem Färber zurück, und als er ihn schlafend fand, weckte er ihn auf. Wie nun Abu Kir die Augen aufschlug, fand er zu seinen Häupten eine Fülle von Brot, Käse, Oliven und Fischrogen; und er fragte: ,Woher hast du das?' ,Durch die Güte Allahs des Erhabenen', antwortete der Barbier. Abu Kir wollte gleich zugreifen, doch Abu Str sprach zu ihm: ,Iß nicht davon, Bruder; laß es liegen, damit es uns ein andermal von Nutzen sein kann! Denn wisse, ich habe den Kapitän geschoren und ihm über unseren Mangel an Vorrat geklagt; da sprach er zu mir: ,Du bist mir jeden Abend willkommen, und bring auch deinen Gefährten mit; dann sollt ihr bei mir essen.' Und unsere erste Mahlzeit bei dem Kapitän ist heute abend.' Abu Kir gab ihm jedoch zur Antwort: ,Mir dreht sich der Kopf bei dem Seegang, und ich kann mich nicht von der Stelle rühren; deshalb laß mich von diesen Dingen hier essen, und geh du allein zum Kapitän!' Abu Str sagte: ,Das ist mir auch recht', setzte sich und schaute dem anderen zu, wie er aß; da sah er, daß jener sich Bissen abhieb, wie ein Steinhauer Steine aus dem Felsen schlägt, und sie hinunterschlang wie ein Elefant, der seit Tagen nichts gefressen hat; und er schluckte immer schon einen neuen Bissen, ehe er den anderen ganz hinuntergewürgt



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hatte. Dabei starrte er das, was vor ihm lag, groß an wie mit Augen von Dämonen, und er schnaufte, wie ein hungriger Stier schnauft bei Häcksel und Bohnen. Doch nun kam ein Seemann und sprach: ,Meister, der Kapitän läßt dir sagen: Bring deinen Gefährten mit und komm zum Abendessen!' Da sagte Abu Sir zu Abu Kîr: ,Willst du mitkommen?' Der antwortete ihm: ,Ich kann nicht gehen.' So ging denn der Barbier allein hin und sah den Kapitän vor einem Tische sitzen, auf dem zwanzig oder noch mehr verschiedene Gerichte standen, während er mit seiner Gesellschaft auf den Barbier und seinen Gefährten wartete. Sobald der Kapitän ihn erblickte, fragte er ihn: ,Wo ist dein Gefährte?' ,Hoher Herr,' erwiderte jener, ,ihm schwindelt der Kopf beim Seegang.' Der Kapitän fuhr fort: ,Ich wünsche ihm Besserung; der Schwindel wird ihn bald verlassen. Komm du und iß mit uns, ich habe schon auf dich gewartet!' Dann nahm er eine Schüssel beiseite und tat von jedem Gericht etwas hinein, so daß sich zehn daran hätten satt essen können. Und nachdem der Barbier gegessen hatte, sprach der Kapitän zu ihm: ,Nimm diese Schüssel mit für deinen Gefährten!' Der nahm sie also und brachte sie zu Abu Kir; doch er sah, daß jener mit seinen Zähnen wie ein Kamel die Speisen zermalmte, die vor ihm lagen, und es gar eilig hatte, Bissen auf Bissen hinunterzujagen. Abu Sîr sprach zu ihm: ,Hab ich dir nicht gesagt, du solltest hiervon nicht essen? Der Kapitän ist sehr gütig; sieh, was er dir geschickt hat, weil ich ihm erzählte, dir sei schwindelig!' ,Her damit!' rief der Färber, und der Barbier reichte ihm die Schüssel hin. Jener riß sie ihm aus der Hand, gierig nach ihr wie nach all den anderen Speisen, gleichwie ein Hund, der die Zähne weist, oder ein Leu, der alles zerreißt, oder auch gleichwie ein Geier, der auf eine Taube niederfährt, oder wie einer,



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der dem Hungertode nahe ist und plötzlich etwas sieht, das ilm nährt. Und Abu Kir fing an zu essen, während Abu Sir ihn verließ und sich zum Kapitän begab und dort Kaffee trank. Als er zu Abu Kir zurückkam, sah er, wie der alles gegessen, was in der Schüssel war, und sie leer beiseite geworfen hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 933. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Sir, als er zu Abu Kir zurückkam, sah, wie der alles aufgegessen, was in der Schüssel war, und sie leer beiseite geworfen hatte; er nahm sie auf und brachte sie einem der Diener des Kapitäns, ging wiederum zu Abu Kir zurück und schlief bis zum Morgen. Am nächsten Tage begann Abu Str wieder zu scheren, und alles, was er verdiente, gab er Abu Kir. Der aber aß und trank und blieb, wo er war; nur wenn er ein Bedürfnis verrichten mußte, stand er auf. Und jeden Abend brachte ihm sein Gefährte eine gefüllte Schüssel vom Kapitän. In dieser Weise lebten die beiden zwanzig Tage dahin, bis die Galeone in einem Hafen vor Anker ging. Da verließen sie das Schiff, gingen in jene Stadt hinein und nahmen ein Zimmer in einer Herberge. Abu Sir stattete es aus und kaufte alles, was die beiden nötig hatten, holte Fleisch und kochte es, während Abu Kir immer dalag und schlief, von dem Augenblick an, da sie das Zimmer in dem Chân betreten hatten, und erst aufwachte, als Abu Sir ihn weckte und den Tisch vor ilm hinsetzte. Als er nun aufgewacht war, aß er; danach sagte er zu seinem Gefährten: ,Nimm es mir nicht übel; mir ist immer noch schwindelig', und schlief wieder ein. So trieb er es vierzig Tage lang, während der Barbier jeden Tag sein Gerät nahm und in der Stadt umherging, für das arbeitete, was ihm zufiel, heimkehrte und



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Abu Kir schlafend fand und ihn aufweckte. Wenn der dann wach war, so machte er sich gierig über das Essen her und aß wie einer, der nie genug erhält und den nichts zufrieden stellt; danach schlief er wieder ein.

Dies dauerte wiederum vierzig Tage lang; jedesmal, wenn Abu Str sagte: ,Setz dich auf, mache es dir bequem, geh aus und wandere in der Stadt umher, denn sie ist schön anzusehen und hat nicht ihresgleichen unter den Städten!' antwortete ihm Abu Kir, der Färber: ,Nimm es mir nicht übel; mir ist noch schwindelig!' Abu Str aber, der Barbier, brachte es nicht übers Herz, ihn zu betrüben oder ihn ein verletzendes Wort hören zulassen; doch am einundvierzigsten Tage erkrankte er selbst und vermochte nicht auszugehen; deshalb dang er den Pförtner des Châns, und der besorgte den beiden, was sie brauchten, und brachte ihnen zu essen und zu trinken. All das geschah, während Abu Kir nur aß und schlief. Vier Tage lang hatte der Barbier den Pförtner in seinem Dienst. so daß er für ihre Bedürfnisse sorgte; danach aber ward die Krankheit in ihm so heftig, daß er das Bewußtsein verlor in seinem schweren Siechtum. Was Abu Kir betraf, so quälte ihn bald der brennende Hunger, und er suchte in den Kleidern seines Gefährten nach, bis er darin eine Anzahl Dirhems entdeckte: die nahm er an sich, dann schloß er die Tür des Zimmers hinter Abu Str und ging davon, ohne jemandem etwas zu sagen; der Pförtner aber war auf dem Markte und sah ihn nicht hinausgehen. Nun begab Abu Kir sich auf den Markt, kleidete sich in kostbare Gewänder und ging umher in der Stadt und schaute sie sich an; dabei sah er, daß es eine Stadt war, derengleichen es unter den Städten nicht gab. Als er aber bemerkte, daß alle Kleider dort nur weiß und blau waren und von keiner anderen Farbe, ging er zu einem Färber, und er sah, daß alles in dessen



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Laden blau war. Da zog er ein Tuch heraus und sprach zu ihm: ,Meister, nimm dies Tuch, färbe es mir und nimm deinen Lohn dafür.' Der Färber sagte darauf: ,Das zu färben kostet zwanzig Dirhems.' Abu Kir entgegnete: ,Wir können das in unserem Lande für zwei Dirhems färben lassen.' ,So geh und laß es in eurem Lande färben! Ich färbe es dir nur für zwanzig Dirhems; von diesem Preise lasse ich nichts ab.' ,In welcher Farbe willst du es färben?' ,Ich färbe es nur in blauer Farbe.' ,Ich will aber, daß du es mir rot färbst.' ,Ich weiß nicht, wie man rot färbt.' ,Dann grün!' ,Ich weiß auch nicht, wie man grün färbt.' ,Dann gelb!' ,Ich weiß auch nicht, wie man gelb färbt.' Nun begann Abu Kir ihm alle Farben aufzuzählen, eine nach der anderen, bis der Färber zu ihm sprach: ,Wir sind in unserem Lande vierzig Meister, nie um einen mehr noch um einen weniger. Wenn einer von uns stirbt, so lehren wir seinen Sohn das Gewerbe; hinterläßt er aber keinen Sohn, so haben wir einen zu wenig. Und wenn einer zwei Söhne hat, so lehren wir einen von den beiden; stirbt der, so lehren wir seinen Bruder. Dies unser Gewerbe ist streng geordnet; und wir wissen nur, wie man blau färbt, doch in keiner anderen Farbe.' Da sprach Abu Kir, der Färber, zu ihm: ,Wisse, auch ich bin ein Färber, und ich verstehe in allen Farben zu färben; und ich möchte, daß du mich bei dir um Lohn in Dienst nimmst, so will ich dich in allen Farben zu färben lehren, auf daß du dich dadurch vor der ganzen Färberzunft auszeichnest.' Jener aber erwiderte ihm: ,Wir lassen nie einen Fremden in unsere Zunft eintreten.' Da fragte Abu Kir: ,Und wie, wenn ich mir selbst für mich allein eine Färberei auftue?' ,Das wird dir niemals möglich sein', erwiderte der Färber; und nun verließ Abu Kir ihn und begab sich zu einem zweiten, doch der sagte ihm das gleiche wie der erste. Dann wandte er sich von Färber



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zu Färber, bis er bei allen vierzig Meistern die Runde gemacht hatte; aber keiner nahm ihn an, weder als Lehrling noch als Meister. Schließlich begab er sich zum Scheich der Färber und meldete ihm alles; aber der erwiderte ihm auch: ,Wir lassen keinen Fremden in unsere Zunft eintreten.' Da kam gewaltiger Zorn über Abu Kir, und er ging hin, um bei dem König jener Stadt Klage zu führen, und er sprach zu ihm: ,O größter König unserer Zeit, ich bin ein Fremdling, und mein Gewerbe ist die Färberei, und soundso ist es mir bei den Färbern ergangen. Ich verstehe rot in verschiedenen Tönen zu färben, wie zum Beispiel rosenrot und brustbeerenrot; auch grün in verschiedenen Tönen, wie grasgrün, pistaziengrün, olivengrün und papageiengrün; ferner schwarz von verschiedener Art wie kohlschwarz und antimonschwarz; und ebenso auch gelb von verschiedener Art, wie orangengelb und zitronengelb.' Und so zählte er ihm alle Farben auf; dann sprach er: ,O größter König unserer Zeit, alle Färber, die in deiner Stadt sind, haben nicht die Fähigkeit, in irgendeiner von diesen Farben zu färben, sie verstehen nur blau zu färben. Sie wollen mich aber auch nicht bei sich aufnehmen, weder als Meister noch als Lehrling.' Der König erwiderte ihm: ,Das ist richtig; aber ich will dir eine Färberei auftun und dir Kapital geben. Mach dir keine Sorge um die Leute; jeden, der dir ein Hindernis in den Weg legt, lasse ich über seiner Ladentür aufhängen!' Dann ließ er die Baumeister kommen und sprach zu ihnen: ,Geht mit diesem Meister und zieht mit ihm in der Stadt umher; wenn ihm ein Platz gefällt, so treibt den Eigentümer fort, einerlei ob es ein Laden oder Chân oder irgend etwas anderes ist, und baut ihm eine Färberei nach seinem Wunsche! Was er euch nur befiehlt, das tut; widersprechet seinen Worten nicht!' Darauf ließ der König ihm ein schönes Gewand bringen und



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gab ihm tausend Dinare, indem er zu ihm sprach: ,Gib die für dich selbst aus, bis der Bau vollendet ist!' Auch gab er ihm zwei Mamluken zu seiner Bedienung und ein Roß mit goldverziertem Geschirr. Nachdem Abu Kîr das Gewand angelegt und das Roß bestiegen hatte, ward er einem Emir gleich. Ferner wies der König ihm ein Haus an und befahl, es auszustatten; und es ward für ihn hergerichtet. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 934. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König dem Abu Kir ein Haus anwies und befahl, es auszustatten, und daß es für ihn hergerichtet wurde; und nun schlug er darin seinen Wohnsitz auf. Am nächsten Tage aber stieg er zu Roß und ritt durch die Stadt, während die Baumeister vor ihm herzogen; dabei schaute er sich immer um, bis ihm eine Stelle gefiel. Dort sprach er: ,Diese Stelle ist gut'; und seine Begleiter warfen den Eigentümer hinaus und brachten ihn vor den König. Der zahlte ihm den Preis für sein Grundstück, und zwar so hoch, daß er mehr als zufrieden war. Dann ward der Bau auf ihm begonnen, und Abu Kir sagte zu den Bauleuten: ,Baut soundso und tut dasunddas!' bis sie ihm eine Färberei erbaut hatten, die nicht ihresgleichen besaß. Darauf trat er vor den König und meldete ihm, daß der Bau der Färberei beendet sei und daß nur noch das Geld für die Farbstoffe nötig sei, um sie zu eröffnen. Der König sprach zu ihm: ,Nimm diese viertausend Dinare und verwende sie als Betriebskapital; dann zeige mir die Frucht deiner Färbekunst!' Da nahm jener das Geld, ging auf den Markt und fand dort Farbstoffe in Mengen, die fast umsonst zu haben waren; und nun kaufte er alles ein, was er zum Färben nötig hatte. Darauf sandte der König ihm fünfhundert



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Stücke Zeug; und er zog sie durch die Farben und färbte sie in allen Arten und breitete sie dann vor der Tür der Färberei aus. Als die Leute dort vorbeigingen, sahen sie etwas so Wunderbares, wie sie es ihr ganzes Leben lang noch nicht erschaut hatten. Und das Volk drängte sich vor der Tür der Färberei zusammen und schaute zu; dann fingen sie an zu fragen, indem sie zu Abu Kîr sprachen: ,Meister, wie heißen diese Farben?' Er antwortete ihnen: ,Dies ist rot, und dies ist gelb, und dies ist grün', und nannte ihnen so die Namen der Farben. Alsbald brachten sie ihm allerlei Stoffe und sprachen zu ihm: ,Färbe sie uns wie dies oder wie jenes und nimm, was du verlangst!' Sobald er mit dem Färben der Stoffe des Königs fertig war, nahm er sie und brachte sie in den Staatssaal. Wie der König jenes gefärbte Zeug erblickte, freute er sich darüber und machte dem Färber reiche Geschenke. Nun kamen auch alle Truppen mit Zeug zu ihm und sprachen: ,Färbe es uns soundso!' Und er färbte es ihnen nach ihren Wünschen, und sie warfen ihm Gold und Silber zu. Hinfort verbreitete sich sein Ruf, und seine Färberei wurde die Königliche Färberei genannt; zu jeder Tür strömte der Reichtum zu ihm herein, und keiner von all den anderen Färbern vermochte mehr ein Wort gegen ihn zu sagen, sondern sie kamen zu ihm, küßten ihm die Hände, entschuldigten sich bei ihm wegen dessen, was sie ihm früher zuleide getan hatten, und boten sich ihm an, indem sie sprachen: ,Mache uns zu Dienern bei dir!' Er geruhte aber keinen von ihnen anzunehmen; denn er besaß nun Sklaven und Sklavinnen und hatte großen Reichtum angehäuft.

Wenden wir uns jedoch von Abu Kir wieder zu Abu Sir zurück! Abu Kir war ja, nachdem er ihm sein Geld genommen und die Tür hinter ihm verschlossen hatte, fortgegangen und hatte ihn dort allein gelassen, krank und bewußtlos, wie er war.



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So blieb der Barbier in jenem Zimmer bei geschlossener Tür liegen und verharrte drei Tage in diesem Zustande. Da ward der Pförtner des Châns auf die Tür des Zimmers aufmerksam, weil er sie verschlossen sah und keinen von den beiden bis zum Sonnenuntergang erblickte und keine Kunde von ihnen erhielt. So sagte er sich: ,Vielleicht sind sie abgereist, ohne die Miete für das Zimmer zu zahlen, oder sie sind tot; oder was mag sonst mit ihnen geschehen sein?' Darauf ging er zu der Tür des Zimmers, die er immer noch verschlossen fand, und hörte den Barbier drinnen stöhnen. Weil er aber den Schlüssel im Riegel stecken sah, öffnete er die Tür und trat ein. Als er nun den Barbier erblickte, wie er dort stöhnte, sprach er zu ihm: ,Möge es dir gut gehen! Wo ist dein Freund?' Jener erwiderte ihm: ,Bei Allah, ich bin erst heute aus meiner Krankheit zum Bewußtsein gekommen, und da fing ich an zu rufen, aber niemand gab mir eine Antwort. Um Allahs willen, mein Bruder, sieh nach dem Beutel unter meinem Kopfe, nimm fünf Parastücke heraus und kaufe mir dafür etwas zum Essen; denn mich hungert gewaltig!' Der Pförtner streckte die Hand aus und nahm den Beutel; da er ihn aber leer fand, sprach er zu dem Barbier: ,Siehe, der Beutel ist leer; es ist nichts darin.' Da wußte Abu Sir, der Barbier, daß Abu Kir genommen hatte, was darin gewesen war, und sich davongemacht hatte; und er fragte den Pförtner: ,Hast du meinen Freund nicht gesehen?' Jener gab ihm zur Antwort: ,Seit drei Tagen habe ich ihn nicht gesehen, und ich glaubte nichts anderes, als daß du mit ihn abgereist wärest.' Da rief der Barbier: ,Nein, wir sind nicht abgereist; aber ihn gelüstete nach meinem Gelde, und er hat es genommen und ist entflohen, als er mich krank sah.' Dann begann er zu weinen und zu klagen; doch der Pförtner des Châns sprach zu ihm: ,Möge es dir gut gehen! Allah wird ihm



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seine Tat vergelten!' Daim ging er fort, kochte für ihn eine Brühe, füllte ihm einen Teller und brachte ihm den; und so pflegte er ihn zwei Monate lang, während er alles aus seinem Beutel bezahlte, bis daß der Barbier in Schweiß kam und Allah ihn von der Krankheit, die in ihm war, genesen ließ. Darauf erhob sich Abu Sir und sprach zu dem Pförtner des Châns: ,So Allah der Erhabene es mir möglich macht, werde ich dir das Gute vergelten, das du an mir getan hast; doch der wahre Vergelter ist nur Gott in Seiner Güte.' Jener sagte darauf: ,Preis sei Allah für deine Genesung! Ich habe dies nur aus Verlangen nach dem Antlitze des allgütigen Gottes an dir getan.' Dann verließ der Barbier die Herberge und wanderte in den Marktstraßen umher; da führte ihn das Schicksal auch zu der Straße, in der die Färberei des Abu Kir sich befand, und er sah die buntgefärbten Stoffe ausgebreitet vor der Tür der Färberei liegen, während das Volk sich zusammendrängte und sie anschaute. Er fragte nun einen Mann von den Einwohnern der Stadt und sprach zu ihm: ,Was für ein Ort ist das? Und wie kommt es, daß ich die Menschen sich drängen sehe?' Der Gefragte erwiderte ihm: ,Das ist die Färberei des Sultans, die er für einen fremden Mann namens Abu Kir gegründet hat. Immer wenn er einen Stoff gefärbt hat, versammeln wir uns bei ihm und schauen uns sein Werk an; denn in unserem Lande gibt es keine Färber, die in solchen Farben zu färben verstehen. Mit den Färbern der Stadt aber ist es ihm soundso ergangen.' Und er berichtete ihm alles, was sich zwischen Abu Kir und den Färbern zugetragen hatte, und wie er beim Sultan Klage geführt und der sich seiner angenommen, ihm diese Färberei erbaut und ihm dasunddas gegeben hatte; kurz, er berichtete ihm alles, was geschehen war. Darüber war Abu Str erfreut, und er sprach bei sich selber: ,Preis sei Allah, der ihm den Weg



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öffnete, so daß er zum Meister ward! Und der Mann ist zu entschuldigen; wahrscheinlich wurde er durch sein Handwerk von dir abgelenkt und hat dich vergessen. Aber du hast freundlich und gütig an ihm gehandelt, während er ohne Arbeit war; und wenn er dich jetzt sieht, so wird er seine Freude an dir haben und dich ebenso hochherzig behandeln, wie du gegen ihn gewesen bist.' Darauf trat er an die Tür der Färberei heran und sah, wie Abu Kir auf einem hohen Polster saß, das über eine Bank im Eingang zur Färberei gebreitet war; er war in königliche Gewänder gekleidet, und vor ihm standen vier Negersklaven und vier weiße Mamluken, die mit den prächtigsten Kleidern angetan waren. Auch sah er die Arbeiter, zehn Sklaven, bei ihrer Arbeit stehen; denn die hatte er, als er sie kaufte, die Kunst des Färbens gelehrt. Abu Kir selbst aber saß zwischen den Kissen. als wäre er ein Großwesir oder ein mächtiger König, der keine Arbeit mit seiner Hand tat, sondern nur zu seinen Leuten sprach: ,Tut dies und das!' Nun trat Abu Sir vor ihn hin, in dem Glauben, er würde, wenn er ihn sähe, seine Freude an ihm haben und ihn begrüßen und ehrenvoll behandeln und freundlich aufnehmen. Doch als Auge auf Auge traf, schrie Abu Kir ihn an: ,Du Schuft! Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht im Eingang dieser Werkstatt herumstehen? Willst du mich bei den Leuten in Verruf bringen, du Dieb? Ergreift ihn!' Da liefen die Sklaven auf ihn zu und packten ihn; Abu Kir aber richtete sich auf, ergriff einen Stock und rief: ,Werft ihn nieder!' Nachdem sie ihn nieder geworfen hatten, versetzte er ihm hundert Schläge auf den Rücken; dann drehten sie ihn um, und er schlug ihn auch noch hundertmal auf den Bauch. Darauf schrie er ihn an: ,Du Schuft, du Schurke, wenn ich dich von heute an noch einmal an der Tür dieser Färberei stehen sehe, so sende ich auf der Stelle zum



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König, und der wird dich dem Wachthauptmann übergeben, damit er dir den Kopf abschlägt! Fort von hier, Allah segne dich nicht!' Nun ging Abu Sir fort von ihm, gebrochenen Herzens ob der entehrenden Schläge, die ihm versetzt worden waren; die Umstehenden aber fragten Abu Kir, den Färber: ,Was hat der Mann da getan?' Und jener antwortete ihnen: ,Er ist ein Dieb, der die Stoffe der Leute stiehlt.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 935. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Kir den Abu Str schlug und fortjagte und zu den Leuten sprach: ,Der da ist ein Dieb, der die Stoffe der Leute stiehlt. Wie oft hat er mir schon Zeug gestohlen! Immer sagte ich mir: ,Allah verzeihe ihm! Er ist ein armer Mann.' Und ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, sondern ich ersetzte den Leuten den Wert ihrer Sachen und verbot es ihm in Güte, aber er ließ es sich nicht verbieten. Wenn er jetzt noch einmal wiederkommt, so schicke ich zum König, damit er ihn hinrichten läßt und die Menschen von dem Schaden durch ihn befreit.' Da begannen die Menschen ihm noch zu fluchen, nachdem er schon fortgegangen war. Solches tat Abu Kir.

Sehen wir nun, wie es Abu Sir erging! Er kehrte zur Herberge zurück und setzte sich nieder und sann nach über das, was Abu Kir ihm angetan hatte; und er saß so lange da, bis ihn die Schläge nicht mehr brannten. Dann ging er hinaus und wanderte in den Marktstraßen der Stadt umher; dabei kam es ihm in den Sinn, in das Badehaus zu gehen, und er fragte einen Mann von den Leuten der Stadt, indem er zu ihm sprach: ,Bruder, wo ist der Weg zum Badehaus?' Der aber fragte ihn: ,Was ist denn ein Badehaus?' Abu Str antwortete ihm: ,Ein Ort,



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an dem man sich wäscht und sich von seinem Schmutz reinigt; das gehört zum Besten der guten Dinge dieser Welt.' Da rief der Städter: ,Geh doch zum Meer!' Aber der Barbier bestand darauf: ,Ich will ins Badehaus gehen.' Nun erzählte jener: ,Wir wissen nicht, wie ein Badehaus ist; wir gehen immer alle zum Meer, auch der König, wenn er sich waschen will, begibt sich zum Meer.' Als Abu Str sich überzeugt hatte, daß es in der Stadt kein Badehaus gab, und daß die Einwohner dort kein Warmbad kannten noch wußten, wie es beschaffen war, ging er zur Staatsversammlung des Königs, trat zu ihm ein, küßte den Boden vor ihm und flehte den Segen des Himmels auf sein Haupt. Dann sprach er zu ihm: ,Ich bin ein landfremder Mann und meines Gewerbes ein Badediener; und als ich in deine Stadt kam, wollte ich ins Badehaus gehen, doch ich fand in ihr auch nicht ein einziges Warmbad. Wie kann eine Stadt, die so schön ist wie diese, ohne ein Warmbad sein, da dies doch eine der höchsten Wonnen der Welt ist?' Als der König dann fragte: ,Was ist denn ein Warmbad?' begann Abu Str ihm die As t eines Badehauses zu beschreiben und fügte noch hinzu: ,Deine Hauptstadt ist keine vollkommene Stadt, wenn es kein Badehaus in ihr gibt.' ,Sei mir willkommen!' der König, ließ ihn in ein Gewand kleiden, das nicht seinesgleichen hatte, und gab ihm ein Roß und zwei Sklaven; ferner schenkte er ihm vier Sklavinnen und zwei Mamluken und wies ihm ein schön eingerichtetes Haus an, ja, er ehrte ihn noch mehr als den Färber. Dann schickte er die Bauleute mit ihm aus, nachdem er ihnen befohlen hatte: ,Erbaut ihm ein Badehaus an der Stätte, die ihm gefällt!' Jener nahm die Leute und zog mit ihnen mitten durch die Stadt, bis ihm eine Stätte gefiel; er zeigte sie den Baumeistern, und sie begannen dort zu bauen, während er sie in der Ausführung anleitete, bis sie ihm ein Badehaus errichtet



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hatten, das seinesgleichen suchte. Dann befahl er ihnen, es auszumalen, und sie schmückten es mit so wunderbaren Malereien, daß es eine Freude für die Beschauer war. Darauf ging Abu Sir zum König und meldete ihm, der Bau und die Ausschmückung des Bades seien vollendet; und er fügte hinzu: ,Jetzt fehlt ihm nichts mehr als die Einrichtung.' Da gab der König ihm zehntausend Dinare; und Abu Sir nahm sie, richtete das Badehaus ein und rente darin die Badetücher an den Leinen auf. Alle, die an der Tür des Bades vorüberkamen, starrten es an und wurden von seinem Schmuck ganz bezaubert; das ganze Volk drängte sich dort zusammen bei etwas, dessengleichen sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen hatten. Und während sie es anschauten, riefen sie: ,Was ist den das?' Abu Sir antwortete ihnen: ,Das ist ein Badehaus', und sie waren voll von Bewunderung. Dann machte er das Wasser heiß und setzte das Bad in Betrieb; und in dem großen Becken richtete er einen Springbrunnen ein, der die Sinne aller Städter, die ihn erblickten, gefangen nahm. Von dem König aber erbat er sich zehn Mamluken, die noch nicht erwachsen waren; und der gab ihm zehn Mamluken so schön wie Monde. Darauf knetete er sie und sprach zu ihnen: ,Tut so mit den Kunden!' Nachdem er noch Weihrauch angezündet hatte, sandte er einen Ausrufer aus, der in der Stadt ausrief und sprach: ,Ihr Geschöpfe Allahs, auf ins Bad, das da heißt das Königliche Bad!' Die Leute strömten zu ihm herbei, und er befahl den Mamluken, ihnen den Leib zu waschen; danach stiegen die Leute in das Becken, und nachdem sie wieder herausgekommen waren, setzten sie sich auf die Estrade, und die Mainluken kneteten sie. wie Abu Str es sie gelehrt hatte. Drei Tage lang konnten die Leute ins Bad kommen und sich dort nach Herzenslust erquicken und dann wieder fortgehen, ohne zu bezahlen. Am



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vierten Tage aber lud er den König ins Bad; und der saß mit den Großen seines Reiches auf und ritt mit ihnen zum Badehause. Dort legte er seine Kleider ab und trat ins Innere, während Abu Str mit ihm ging; der rieb den König und holte von seinem Leibe den Schmutz herunter, Lampendochten gleich, und als er sie ihm zeigte, war der Herrscher froh; wenn er nun die Hand auf seinen Leib legte, ertönte ein Klang von Weichheit und Sauberkeit. Nachdem Abu Str den Leib des Königs gewaschen hatte, mischte er Rosenwasser in das Wasser des Beckens, und der König stieg hinein; als er wieder herauskam, war sein Leib erfrischt, und ein Wohlgefühl kam über ihn, wie er es noch nie in seinem Leben verspürt hatte. Darauf bat der Barbier ihn, sich auf die Estrade zu setzen, und die Mamluken kneteten ihn, während die Räucherpfannen den Duft von Nadd 1 verbreiteten. Da sagte der König: ,Meister, ist dies das Warmbad?' ,Jawohl', erwiderte jener; und der König fuhr fort: ,Bei meinem Haupte, meine Stadt ist erst durch dies Badehaus zur Stadt geworden.' Dann fragte er den Meister: ,Welchen Lohn nimmst du von jedem Besucher?' Abu Str erwiderte: ,Was du mir befiehlst, will ich nehmen.' Der König befahl, ihm tausend Dinare zu geben, und sagte zu ihm: ,Nimm von jedem, der sich bei dir badet, tausend Dinare.' Doch Abu Str entgegnete: ,Verzeihung, o größter König unserer Zeit, die Menschen sind nicht alle gleich, sondern es gibt unter ihnen Reiche und Arme. Wenn ich von einem jeden tausend Dinare nehme, so wird das Bad leer stehen; denn die Armen können nicht tausend Goldstücke bezahlen.' ,Wie willst du es denn mit dem Preise halten?' fragte der König; und der Barbier gab zur Antwort: ,Ich will den Preis der Großmut überlassen. Ein jeder, der etwas zu zahlen vermag und



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dem seine Seele es nicht verargt, wird es geben; wir wollen von jedermann das nehmen, was er zu geben vermag. Wenn es so gehalten wird, dann werden die Leute zu uns kommen; wer da reich ist, soll nach seinem Stande zahlen; wer da arm ist, möge geben, wie es seiner Seele beliebt. Auf diese Weise wird das Bad blühen und herrlich gedeihen. Was aber die tausend Dinare betrifft, so sind sie eines Königs Gabe, und nicht ein jeder ist dazu imstande.' Die Großen des Reiches pflichteten ihm bei, indem sie sprachen: ,Das ist wahr, o größter König unserer Zeit! Glaubst du, alle Menschen wären dir gleich, o ruhmvoller König?' ,Eure Worte sind richtig,' erwiderte der Herrscher, ,doch dieser Mann ist ein armer Fremdling, und es geziemt uns, großmütig an ihm zu handeln. Denn er hat in unserer Stadt dies Badehaus errichtet, dessengleichen wir nie in unserem Leben gesehen haben und ohne das unsere Stadt schmucklos war und kein Ansehen hatte. Wenn wir ihm also einen höheren Lohn schenken, so ist es doch nicht zuviel.' Darauf sagten die Großen: ,Wenn du freigebig gegen ihn sein willst, so lohne ihn mit deinem Gelde; und den Armen möge sich die Huld des Königs darin zeigen, daß der Preis des Bades niedrig sei, auf daß die Untertanen dich segnen! Was die tausend Dinare betrifft, so sind wir die Großen deines Reiches. und dennoch sträubt unsere Seele sich dagegen, sie auszugeben; wie sollte es also den Armen möglich sein, sie zu zahlen?' Da fuhr der König fort: ,Ihr Großen meines Reiches, ein jeder von euch gebe ihm für diesmal hundert Dinare, einen Mainluken, eine Sklavin und einen Sklaven!' ,Gern,' erwiderten sie. ,das wollen wir ihm geben; doch wer von heute an hier eintritt, möge nicht mehr bezahlen, als ihm möglich ist.' ,So möge es sein!' sagte der König; und nun gab ein jeder von den Großen dem Barbier hundert Dinare, eine Sklavin. einen



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Mamluken und einen Sklaven. Die Zahl der Vornehmen aber, die sich an jenem Tage mit dem König gebadet hatten, betrug vierhundert Seelen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 936. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Zahl der Vornehmen, die sich an jenem Tage mit dem König gebadet hatten, vierhundert Seelen betrug; und so belief sich die Gesamtheit dessen, was sie ihm gaben, an Geld auf vierzigtausend Dinare, an weißen Mainluken auf vierhundert, an schwarzen Sklaven auf vierhundert und an Sklavinnen auf vierhundert: an einem solchen Geschenk kann man schon genug haben! Aber der König gab ihm auch noch zehntausend Dinare und zehn Mamluken, zehn Sklavinnen und zehn Sklaven. Darauf trat Abu Str vor, küßte den Boden vor dem König und sprach zu ihm: ,O König der Glückseligkeit, der da urteilt in Gerechtigkeit, welche Stätte könnte für mich alle diese Mainluken und Sklavinnen und Sklaven aufnehmen?' Der König erwiderte ihm: ,Ich habe dies meinen Hofleuten nur befohlen, damit wir für dich eine große Menge von Hab und Gut zusammenbringen. Denn vielleicht wirst du deiner Heimat gedenken und der Deinen und dich nach ihnen sehnen und wirst in dein Vaterland zurückkehren wollen. Dann sollst du aus unserem Lande eine gewaltige Fülle von Hab und Gut mitnehmen, davon du zeit deines Lebens in deiner Heimat dich nähren kannst.' ,O größter König unserer Zeit,' sagte Abu Str darauf. ,diese vielen Mainluken und Sklavinnen und Sklaven geziemen nur Königen. Hättest du befohlen, mir bares Geld zu geben, so wäre das besser für mich gewesen als dieser Troß; denn die Leute wollen essen und trinken und Kleider



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haben, und alles Geld, was ich verdiene, genügt nicht für ihren Unterhalt.' Da lachte der König und sprach: ,Bei Allah, du hast recht! Dies ist wirklich ein gewaltiges Heer geworden, und du hast nicht die Mittel, um die Ausgaben dafür zu bestreiten. Doch willst du sie mir verkaufen um hundert Dinare für den Kopfe' ,Ich verkaufe sie dir für diesen Preis', antwortete Abu Str; und alsbald ließ der König dem Schatzmeister sagen, er solle das Geld herbeischaffen. Der brachte es und gab dem Barbier den Preis für alle voll und ganz. Darauf schenkte der König sie ihren Eigentümern, indem er sprach: ,Jeder, der seinen Sklaven oder seine Sklavin oder seinen Mainluken kennt, möge sie an sich nehmen; denn sie sind ein Geschenk von mir an euch.' Sie gehorchten dem Befehle des Königs, und ein jeder von ihnen nahm, was ihm zukam, während Abu Str zum König sprach: ,O größter König unserer Zeit, Allah gebe dir Ruhe, wie du mir Ruhe gegeben hast vor diesen Dämonen. die nur Er allein satt zu machen imstande ist.' Über diese seine Worte lachte der König, und er gab ihm recht; dann nahm er die Großen seines Reiches und zog aus dem Badehause wieder in seinen Palast zurück. Abu Str aber verbrachte jene Nacht damit, daß er das Gold zählte und in Beutel tat und versiegelte. Und er hatte nun zwanzig Sklaven und zwanzig Mamluken und vier Sklavinnen für seine Bedienung. Als es wieder Morgen ward, öffnete er das Badehaus und sandte einen Ausrufer umher, der da aus rief und sprach: ,Jeder, der das Bad besucht und sich badet, soll zahlen, was ihm möglich ist und was sein Edelmut ihn geben heißt.' Während Abu Str nun neben dem Geldkasten saß, strömten die Kunden zu ihm herein, und ein jeder, der wieder herauskam, bezahlte so viel, wie er leicht entbehren konnte; und ehe noch der Abend kam, war der Kasten schon voll von den guten Gaben Allahs



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des Erhabenen. Bald darauf wollte auch die Königin das Bad besuchen, und als dies dem Abu Str berichtet wurde, teilte er um ihretwillen den Tag in zwei Teile; die Zeit von Tagesanbruch bis zum Mittag bestimmte er für die Männer, und die Zeit von Mittag bis Sonnenuntergang wies er den Frauen zu. Und sowie die Königin kam, stellte er eine Sklavin hinter den Geldkasten; denn er hatte vier Sklavinnen den Dienst im Badehause gelehrt, so daß sie geschickte Badewärterinnen geworden waren. Als dann die Königin eintrat, gefiel es ihr dort, und die Brust ward ihr weit; und sie zahlte tausend Dinare. So verbreitete sich sein Ruf in der Stadt, und einen jeden, der da kam, behandelte er ehrenvoll, mochte der reich oder arm sein. Von allen Türen strömte Reichtum zu ihm herein: und er wurde auch mit den Leibgarden des Königs bekannt und gewann sich Freunde und Vertraute. Der König selbst pflegte in jeder Woche an einem Tage zu ihm zu kommen und ihm jedesmal tausend Dinare zu geben; die anderen Tage der Woche waren für die Vornehmen und die Armen bestimmt. Und Abu Str war gegen alle Leute zuvorkommend und behandelte sie auf das freundlichste. Eines Tages begab es sich, daß auch der Kapitän des Königs zu ihm ins Badehaus kam; da zog Abu Str selbst ihm die Kleider aus, ging mit ihm hinein und begann ihn zu kneten und behandelte ihn mit der größten Höffichkeit. Und als jener aus dem Bade kam, bereitete er ihm Scherbette und Kaffee; doch wie er ihm etwas geben wollte, schwor Abu Str, daß er nichts von ihm nehmen wolle. Daher fühlte der Kapitän sich ihm verpflichtet wegen seiner übergroßen Freundlichkeit und Güte gegen ihn, und er wußte nicht, was er dem Badebesitzer schenken sollte, um ihm seine Großmut zu vergelten. So nun erging es Abu Str.



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Sehen wir aber, was Abu Kir inzwischen tat! Er hörte, wie alle Leute immer von dem Bad redeten und wie ein jeder von ihnen sagte: ,Dies Bad ist ein Paradies auf Erden, ganz sicherlich. Du da, du mußt, so Gott will, morgen mit uns in dies köstliche Bad gehen!' Da sprach Abu Kir bei sich selber: ,Ich muß doch auch wie die anderen Leute hingehen und mir dies Bad anschauen, das die Sinne der Menschen bezaubert.' Darauf legte er die prächtigsten Gewänder an, die er besaß, bestieg ein Maultier und nahm vier Sklaven und vier Mamluken mit sich, die hinter ihm und vor ihm laufen mußten; so begab er sich zum Badehause und stieg an dessen Tür ab. Wie er nun dort an der Tür stand, roch er schon den Duft des Nadd und sah, wie die Leute ein und aus gingen und wie die Steinbänke voll waren von Vornehmen und Geringen. Da trat er in die Vorhalle ein und erblickte Abu Str, der sich erfreut vor ihm erhob. Abu Kir aber sprach zu ihm: ,Ist dies die Art wohigeborner Leute? Ich habe eine Färberei eröffnet und bin Meister dieser Stadt geworden, ich bin mit dem König bekannt und bin zu Glück und Ansehen gelangt, und doch kommst du nicht zu mir, fragst nicht nach mir und sagst nicht: ,Wo ist mein Gefährte? Ich habe immer vergeblich nach dir gesucht, ich habe meine Sklaven und Mainluken ausgesandt, um nach dir zu forschen in den Herbergen und an allen anderen Orten; aber sie erfuhren nicht, wohin du gegangen warst, und niemand konnte ihnen von dir Kunde geben.' Abu Str erwiderte ihm: ,Bin ich nicht zu dir gekommen? Hast du mich nicht einen Dieb geheißen, mich geschlagen und mich vor allem Volk entehrt?' Nun stellte Abu Kir sich bekümmert und sprach: ,Was für ein Gerede ist das? Bist du es etwa gewesen, den ich geschlagen habe?' ,Ja, ich bin es gewesen', antwortete Abu Str; doch Abu Kir schwor ihm tausend Eide, daß er ihn



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nicht erkannt habe, und sprach: ,Da war einer, der dir gleich sah und der jeden Tag kam, um die Stoffe der Leute zu stehlen, und da muß ich gedacht haben, du wärest der Mann.' Und er heuchelte Reue, schlug die eine Hand auf die andere und rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen. Ja, wahrlich, wir haben böse an dir gehandelt. Hättest du dich nur zu erkennen gegeben und gesagt: Ich bin Derundder! Eigentlich ist es deine Schuld, weil du dich mir nicht zu erkennen gabst, zumal da ich durch das Übermaß von Geschäften ganz verwirrt war!' Darauf sagte Abu Sir: ,Allah vergebe dir, mein Freund! Dies war im geheimen Ratschluß vorherbestimmt, und Allah macht alles wieder gut. Nun tritt ein, lege deine Kleider ab, bade und sei guter Dinge!' Als Abu Kîr bat: ,üm Allahs willen, vergib mir, mein Bruder!' erwiderte Abu Sir., ,Allah spreche dich frei von deiner Schuld und vergebe dir! Dies war von Ewigkeit her für mich bestimmt.' Dann fragte Abu Kir ihn: ,Woher ward dir diese hohe Stellung zuteil?' Und jener gab ihm zur Antwort: ,Der dir Segen verlieh, verlieh ihn auch mir! Ich ging zum König und schilderte ihm die Art eines Warmbads: da befahl er, mir eins zu erbauen.' Darauf sagte Abu Kir: ,So wie du mit dem König bekannt bist, bin auch ich mit ihm bekannt.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 937. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Kir, nachdem er und Abu Str sich gegenseitig Vorwürfe gemacht hatten, zu jenem sprach: ,So wie du mit dem König bekannt bist, bin auch ich mit ihm bekannt; und so Allah der Erhabene will, werde ich ihn veranlassen, daß er dich um meinetwillen noch



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mehr liebt und noch höher ehrt als bisher. Denn er weiß nicht. daß du mein Freund bist; ich aber will ihm von unserer Freundschaft berichten und dich ihm empfehlen.' Doch Abu Sîr entgegnete ihm: ,Es bedarf keiner Empfehlung; denn Er, der die Herzen geneigt macht, lebt noch. Der König hat mich schon lieb gewonnen und, wie er, so auch sein ganzer Hof; und er hat mir dies und das gegeben.' Nachdem er dem Färber darauf seine ganze Geschichte erzählt hatte, sprach er zu ihm: ,Lege deine Kleider ab hinter der Kiste und tritt ins Bad ein; ich komme mit dir, um dich abzureiben!' Da legte Abu Kir seine Gewänder ab und trat in das Bad ein; und Abu Str ging mit ihm, seifte ihn ein und rieb ihn ab, legte ihm die Kleider wieder an und bediente ihn, bis er wieder hinausging. Nachdem aber der Färber herausgekommen war, brachte Abu Sir ihm das Mittagsmahl und die Scherbette; und alle Leute wunderten sich darüber, daß er ihm so hohe Ehren erwies. Als jedoch Abu Kir ihm etwas geben wollte, schwor er, von ihm könne er nichts nehmen, und fügte hinzu: ,Schäme dich, so etwas zu tun! Du bist doch mein Gefährte, und zwischen uns ist kein Unterschied.' Dann aber sagte Abu Kir zu Abu Str: ,Lieber Freund, bei Allah, dies Bad ist großartig, allein deiner Kunst hier mangelt noch etwas.' ,Was fehlt ihr denn?' fragte jener; und Abu Kir fuhr fort: ,Das Mittel, das aus einer Verbindung von Arsenik und ungelöschtem Kalk besteht und das die Haare mit Leichtigkeit entfernt. Bereite dir dies Mittel; und wenn der König kommt, so reiche es ihm und zeige ihm, wie dadurch die Haare ausfallen; dann wird er dich sehr lieb gewinnen und dich ehren.' ,Du hast recht,' erwiderte Abu Sir, ,so Allah will, werde ich das bereiten.' Darauf ging Abu Kir hinaus, bestieg sein Maultier und ritt zum König, trat vor ihn und sprach zu ihm: ,Ich möchte dir einen guten Rat geben, o



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größter König unserer Zeit.' ,Und wie lautet dein Rat?' fragte der Herrscher; da sagte der Färber: ,Zu mir drang die Kunde, daß du ein Badehaus hast bauen lassen.' Der König sprach: ,Jawohl; es kam ein Fremdling zu mir, und ich habe es ihm errichtet, wie ich dir die Färberei da errichtet habe. Es ist ein prächtiges Bad, und es gereicht meiner Stadt zur Zierde.' Und er begann ihm alle Vorzüge jenes Bades zu schildern. Abu Kir fragte nun: ,Hast du es besucht?' und als der König erwiderte: ,Jawohl', rief er: ,Preis sei Allah, der dich vor dem Unheil dieses Schurken und Glaubensfeindes, des Bademeisters dort, errettet hat!' ,Was ist es mit ihm?' fragte der König; und Abu Kir antwortete: ,Wisse, o größter König unserer Zeit, wenn du von heute ab noch einmal dorthin gehst, so bist du des Todes.' ,Warum denn?' fragte nun der König; und der Färber fuhr fort: ,Der Bademeister ist dein Feind und der Feind des Glaubens, und er hat dich nur deshalb dazu bewogen, dies Bad zu errichten, weil er dir darin Gift einflößen will. Denn er hat etwas für dich vorbereitet, und wenn du ins Bad eintrittst, so wird er es dir bringen und zu dir sprechen: ,Dies ist ein Mittel, das einem jeden, der sich unten damit einreibt, mit Leichtigkeit die Haare entfernt.' Es ist aber kein solches Mittel, sondern eine gefährliche Arznei, ja, ein tödliches Gift. Denn der Sultan der Christen hat diesem gemeinen Kerl versprochen, er wolle ihm, wenn er dich töte, seine Frau und seine Kinder aus der Gefangenschaft freilassen; seine Frau und seine Kinder sind nämlich in Gefangenschaft bei dem Sultan der Christen, und auch ich war bei ihm in ihrem Lande gefangen. Aber ich tat eine Färberei auf, und ich färbte für sie in mancherlei Farben, so daß sie mir das Herz des Königs geneigt machten und er zu mir sprach: ,Welche Gnade erbittest du dir?' Da erbat ich mir von



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ihm die Freilassung; und er ließ mich frei, und ich kam in diese Stadt. Als ich jenen Mann aber im Badehause erblickte, fragte ich ihn, indem ich zu ihm sprach: ,Wie ist es dir und deiner Frau und deinen Kindern gelungen, frei zu werden?' Und er gab mir zur Antwort: ,Ich und meine Frau und meine Kinder waren noch immer in Gefangenschaft, bis ich eines Tages, als der Christenkönig eine Staatsversammlung abhielt, auch zugegen war und unter einer Schar von Leuten stand; da hörte ich, wie sie die Könige aufzählten, bis sie auch den König dieser Stadt nannten. Und nun rief der Christenkönig: ,Wehe!' und sprach: ,Nichts in der ganzen Welt quält mich so sehr wie der König dieser Stadt! Wer mir eine List ersinnt, ihn zu Tode zu bringen, dem gebe ich alles, was er sich wünscht.' Da trat ich vor ihn hin und sprach zu ihm: ,Wenn ich es dir erwirke, daß er zu Tode kommt, willst du dann mich und meine Kinder freilassen?' ,Jawohl,' antwortete er, ,ich will euch freilassen und will dir alles geben, was du dir wünschest.' Nachdem wir dies verabredet hatten, schickte er mich auf einer Galeone zu dieser Stadt; und ich ging zu diesem König, und er ließ mir dies Badehaus erbauen. Nun habe ich nichts mehr zu tun, als ihn umzubringen; hernach will ich mich zum Christenkönig begeben, meine Kinder und meine Frau befreien und mir von ihm eine Gnade erbitten.' Als ich ihn dann fragte: ,Welches Mittel hast du denn ersonnen, um ihn umzubringen, so daß er zu Tode kommt?' sagte er mir: ,Das ist ein einfaches Mittel, das einfachste, das es gibt. Sieh, er kommt doch zu mir in dies Bad; und da habe ich etwas für ihn zubereitet, in dem sich Gift befindet. Sobald er wieder da ist, werde ich zu ihm sagen: ,Nimm dies Mittel und reib dich unten damit ein; denn es wird die Haare dort beseitigen.' Dann wird er es nehmen und sich unten damit salben; das Gift aber wird



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einen Tag und eine Nacht lang in ihm wirken, bis es zu seinem Herzen dringt, und es wird ihn verrecken lassen, und damit ist alles zu Ende!' Als ich diese Worte von ihm vernahm - so schloß Abu Kîr -, fürchtete ich für dein Leben; denn du hast mir Gutes erwiesen. Und deshalb habe ich dir dies mitgeteilt.' Wie der König diese Rede angehört hatte, kam gewaltiger Zorn über ihn, und er sprach zu dem Färber: ,Halt dies geheim!' Alsdann verlangte er ins Bad zu gehen, um dem Zweifel durch Gewißheit ein Ende zu machen. Nachdem der König das Bad betreten hatte, entkleidete sich Abu Sir wie gewöhnlich, bediente den König und rieb ihn ab. Danach sprach er: ,O größter König unserer Zeit, ich habe ein Mittel bereitet, um die unteren Haare zu beseitigen.' ,Bring es mir!' befahl der König; und als jener es vor ihn gebracht hatte, fand der König den Geruch widerlich und war sicher, daß es Gift wäre. Voll Zorn schrie er die Leibwächter an und rief: ,Ergreift ihn!' Da ergriffen ihn die Wachen, und der König ging fort, von Zorn erfüllt; doch niemand kannte den Grund seines Zornes, da der König im Übermaße seines Grimms niemandem etwas sagte und auch niemand ihn zu fragen wagte. Darauf legte er die Staatsgewänder an, begab sich in den Staatssaal und ließ Abu Str in Fesseln vorführen. Ferner ließ er den Kapitän kommen, und als der erschien, sprach der König zu ihm: ,Nimm diesen Schurken und tu ihn in einen Sack; tu aber auch zwei Zentner ungelöschten Kalkes in den Sack und binde seine Öffnung zu über diesem und über dem Kalk. Dann lege ihn in ein Boot und fahre unter meinem Palast vorbei; sobald du mich am Fenster sitzen siehst, frage mich: ,Soll ich ihn hineinwerfen?' und ich werde dir zurufen: ,Wirf ihn hinein!' Wenn ich dir das befohlen habe, wirf ihn ins Wasser, so daß der Kalk über ihm gelöscht wird und er stirbt, ertränkt und von Feuer



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versengt.' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Kapitän und führte den Gefangenen aus der Gegenwart des Königs zu einer Insel gegenüber dem königlichen Palast. Dort sprach er zu Abu Str: ,Du da, ich bin einmal zu dir ins Badehaus gekommen, und da hast du mich ehrenvoll behandelt und sorgsam bedient, und ich hatte große Freude durch dich; aber du schwörst, du wollest von mir keine Bezahlung annehmen; und so gewann ich dich sehr lieb. Nun sag mir, was ist zwischen dir und dem König geschehen? Was für ein Verbrechen hast du an ihm begangen, so daß er wider dich ergrimmt ist und mir befohlen hat, dich diesen scheußlichen Tod sterben zu lassen?' Abu Str gab ihm zur Antwort: ,Bei Allah, ich habe nichts getan, und ich bin mir keiner Sünde bewußt, die ich an ihm begangen hätte und die solches verdiente!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 938. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Str, als der Kapitän ihn nach der Ursache des königlichen Zornes wider ihn gefragt hatte, ihm zur Antwort gab: ,Bei Allah, mein Bruder, ich habe kein Verbrechen wider ihn begangen, das solches verdiente!' Dann fuhr der Kapitän fort: ,Sieh, du standest in so hohem Ansehen bei dem König, wie noch niemand vor dir es erreicht hat; und jeder, dem es wohl ergeht, wird beneidet. Vielleicht ist jemand auf dich neidisch geworden wegen dieses Glückes und hat beim König einige Worte wider dich fallen lassen, so daß der König von diesem Zorn wider dich ergriffen wurde. Doch du bist bei mir willkommen, und dir soll nichts Böses widerfahren! Wie du mich ehrenvoll behandelt hast, ohne daß zwischen mir und dir Bekanntschaft bestand, so will ich dich jetzt erretten. Wenn ich dich aber



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freigelassen habe, so mußt du bei mir auf dieser Insel bleiben, bis von dieser Stadt eine Galeone nach deinem Lande fährt; dann will ich dich mit ihr dorthin senden.' Abu Str küßte dem Kapitän die Hand und dankte ihm für seine Güte; dann holte jener den ungelöschten Kalk und tat ihn in einen Sack; ferner legte er einen großen Stein hinein, der so groß war wie ein Mann, und sprach: ,Ich setze mein Vertrauen auf Allah!' Darauf gab er dem Abu Str ein Netz mit den Worten: ,Wirf dies Netz in die See, damit du vielleicht einige Fische fängst. Ich muß nämlich jeden Tag die Fische für des Königs Küche besorgen; und jetzt bin ich durch dies Unglück, das dich betroffen hat, vom Fischfang abgehalten worden, und ich fürchte, die Küchenjungen werden kommen und Fische verlangen und keine finden. Wenn du also etwas fängst, so werden sie es vorfinden; inzwischen kann ich hingehen und meine List unter dem Palast ausführen, indem ich tue, als ob ich dich ins Meer würfe.' Abu Str erwiderte ihm: ,Ich werde fischen, geh du nur, und Allah stehe dir bei!' Da legte der Kapitän den Sack ins Boot und fuhr dahin, bis er unter dem Schlosse ankam; als er den König am Fenster sitzen sah, sprach er: ,O größter König unserer Zeit, soll ich ihn hineinwerfen?' Der König rief:, Wirf ihn hinein', und wie er ihm zugleich mit der Hand winkte, blitzte plötzlich etwas auf und fiel ins Meer. Was aber dort ins Meer fiel, das war der Siegelring des Königs; und der trug einen Zauber in sich von dieser Art: Wenn der König wider jemanden ergrimmte und seinen Tod wünschte, so zeigte er auf ihn mit seiner rechten Hand, die diesen Ring trug; und alsbald fuhr ein Blitz aus dem Ringe hervor und traf den Menschen, auf den er gezeigt hatte, und dem fiel das Haupt von den Schultern herab. Und nur um dieses Ringes willen gehorchten ihm die Truppen, nur durch ihn hatte er die Gewaltigen



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bezwungen. Als ihm nun der Ring vom Finger fiel, hielt er die Sache geheim; denn er wagte nicht zusagen: ,Mein Ring ist ins Meer gefallen', da er befürchtete, die Truppen möchten sich wider ihn erheben und ihn töten; so schwieg er denn. Wenden wir uns von dem König nun zu Abu Str! Der hatte, nachdem der Kapitän fortgefahren war, das Netz genommen und es ins Meer geworfen; dann zog er es herauf, und es war voll von Fischen. Auch als er es zum zweiten Male auswarf. kam es voll von Fischen wieder herauf; so tat er mehrere Male. indem er auswarf, während das Netz voll wieder hochkam, bis ein großer Berg von Fischen vor ihm lag. Da sprach er bei sich selber: ,Bei Allah, ich habe seit langer Zeit keine Fische mehr gegessen!' Darauf suchte er sich einen großen, fetten Fisch aus, indem er sagte: ,Wenn der Kapitän wiederkommt, will ich ihn bitten, daß er mir diesen Fisch brüte, damit ich ihn zu Mittag essen kann.' Dann tötete er ihn mit einem Messer, das er bei sich hatte, aber das Messer blieb in den Kiemen des Fisches hängen; und dort erblickte er des Königs Siegelring! Den hatte der Fisch verschlungen, und dieser war vom Schicksal an jene Insel getrieben und dort ins Netz geraten. Abu Str nahm den Ring und steckte ihn an seinen kleinen Finger, ohne zu ahnen, welche besonderen Kräfte er hatte. Nun kamen zwei Knaben von den Dienern des Kochs herbei, um Fische zu holen; und als sie vor Abu Str standen, sprachen sie: ,Mann, wohin ist der Kapitän gegangen?' ,Ich weiß es nicht', gab er zur Antwort und winkte ihnen mit seiner rechten Hand: da fielen plötzlich die Köpfe der beiden Knaben von ihren Schultern herunter, im selben Augenblick, in dem er ihnen winkte und sagte, er wisse es nicht. Darüber erstaunte Abu Str, und er sprach: ,Wer mag die beiden wohl getötet haben?' Sie taten ihm leid, und er begann darüber nachzudenken, als plötzlich



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der Kapitän zurückkam; und wie der den großen Berg von Fischen erblickte und die beiden Toten sah und den Siegelring am Finger des Abu Str erkannte, rief er ihm zu: ,Bruder, rühre nicht die Hand, an der du den Ring hast! Wenn du sie bewegst, so tötest du mich.' Abu Str wunderte sich, daß jener sagte: ,Rühre nicht die Hand, an der du den Ring hast! Wenn du sie bewegst, so tötest du mich.' Und als der Kapitän auf ihn zutrat, sprach der zu ihm: ,Wer hat diese beiden Knaben getötet?' ,Bei Allah, mein Bruder, ich weiß es nicht.' ,Du sagst die Wahrheit; aber tu mir kund, woher du diesen Ring bekommen hast?' ,Ich fand ihn in den Kiemen dieses Fisches.' ,Du sprichst die Wahrheit,' sagte der Kapitän, ,denn ich habe gesehen, wie er blitzend aus dem Schlosse des Königs herabkam und ins Meer fiel, als er wider dich winkte und mir zurief: ,Wirf ihn hinein!' Als er das Zeichen gab, warf ich den Sack ins Meer; aber sein Ring fiel ihm vom Finger und versank ins Meer, und da hat dieser Fisch ihn verschlungen, und der ward vom Schicksal zu dir getrieben, damit du ihn fangen solltest: dies war dir vorherbestimmt. Kennst du aber die besonderen Kräfte dieses Ringes?' ,Ich kenne keine besonderen Eigenschaften an ihm', erwiderte Abu Str; und der Kapitän fuhr fort: ,Wisse, die Truppen unseres Königs gehorchen ihm nur aus Furcht vor diesem Ringe; denn er birgt einen Zauber. Wenn der König wider jemand ergrimmt ist und seinen Tod wünscht, so zeigt er auf ihn mit diesem Ringe, und jenem fällt das Haupt von den Schultern herunter; denn es fährt ein Blitz aus ihm hervor, und sein Strahl trifft jenen, dem er zürnt, so daß der im selben Augenblick tot ist.' Als Abu Str diese Worte vernahm, war er hoch erfreut und sprach zum Kapitän: ,Führe mich nach der Stadt zurück!' Und der gab ihm zur Antwort: ,Ich will dich gern zurückführen; denn nun fürchte ich nichts



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mehr für dich von dein König. Wenn du mit deiner Hand auf ihn weisest und ihm den Tod wünschest, so wird sein Haupt vor dir niederrollen. Ja, auch wenn du nicht nur den König, sondern auch sein ganzes Heer töten wolltest, so könntest du sie alle umbringen, ohne behindert zu werden.' Darauf ließ er ihn ins Boot steigen und fuhr mit ihm zur Stadt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 939. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kapitän, nachdem er Abu Sir hatte ins Boot steigen lassen, mit ihm zur Stadt fuhr. Als sie dort ankamen, begab Abu Str sich alsbald zum Schlosse des Königs. Dort trat er in den Staatssaal und sah den König sitzen, während die Truppen vor ihm standen; doch der war in schwerer Sorge um seinen Ring und wagte keinem seiner Mannen etwas von dessen Verlust zu sagen. Wie nun der König den Barbier erblickte, sprach er zu ihm: ,Haben wir dich nicht ins Meer werfen lassen? Wie hast du es gemacht, daß du wieder aus ihm herausgekommen bist?' Abu Str erzählte ihm darauf: ,O größter König unserer Zeit, als du Befehl gabst, mich ins Meer zu werfen, nahm mich dein Kapitän und er fuhr mit mir nach einer Insel; dort fragte er mich nach dem Grunde deines Zornes wider mich, indem er zu mir sprach: ,Was hast du dem König angetan, daß er deinen Tod befahl?' Ich antwortete ihm: ,Bei Allah, ich weiß nicht, daß ich irgendein Verbrechen wider ihn begangen hätte.' Dann sagte er zu mir: ,Sieh, du standest doch in hohem Ansehen bei dem König; vielleicht ist jemand auf dich neidisch geworden und hat beim König Worte wider dich fallen lassen, so daß der zornig auf dich ward. Aber ich bin zu dir in dein Badehaus gekommen, und du hast mich ehrenvoll behandelt; und zur



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Vergeltung dafür, daß du in deinem Badehause gütig gegen mich warst, will ich dich erretten und dich in deine Heimat entsenden.' Darauf nahm er an meiner Statt einen Stein ins Boot und warf den ins Meer. Doch als du ihm das Zeichen wider mich gabst, fiel der Ring von deinem Finger ins Meer, und ein Fisch verschlang ilm. Während ich nun auf jener Insel war und Fische fing, kam jener Fisch mit vielen anderen Fischen im Netz herauf. Ich nahm ihn und wollte ihn braten; doch als ich ihm den Leib aufschnitt, fand ich den Ring, und den ergriff ich und tat ihn an meinen Finger. Dann kamen zwei von den Dienern der Küche zu mir und suchten Fische; ich winkte ihnen, ohne die Kraft des Ringes zu kennen, und da fielen ihre beiden Köpfe herunter. Schließlich kam auch der Kapitän wieder, und als er den Ring an meinem Finger erkannte, berichtete er mir von seinem Zauber. Jetzt bringe ich ihn dir zurück, denn du hast freundlich an mir gehandelt und mir die höchsten Ehren erwiesen; und was du Gutes an mir getan hast, das ist nicht bei mir verloren. Hier ist dein Ring, nimm ihn hin! Und wenn ich dir irgend etwas angetan habe, das den Tod verdient, so tu mir mein Verbrechen kund und töte mich; und du sollst der Schuld an meinem Blute ledig sein!' Darauf zog er den Ring von seinem Finger und reichte ihn dem König; als der König sah, was Abu Str in seinem Edelmute tat, nahm er den Ring von ihm entgegen, schob ihn auf den Finger und fühlte, wie neues Leben in ihn kam. Dann sprang er auf und umarmte Abu Str, und er sprach zu ihm: ,O Mann, du gehörst wirklich zu den Auserlesenen unter den edlen Menschen! Sei mir nicht böse, vergib mir, was dir von mir zuleide geschah! Hätte irgendein anderer als du diesen Ring in seine Gewalt bekommen, so hätte er ihn mir nicht gegeben.' Darauf sagte Abu Sîr: ,O größter König unserer Zeit,



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wenn du willst, daß ich dir vergebe, so tu mir meine Sünde kund, die deinen Zorn wider mich veranlaßte, so daß du Befehl gabst, mich zu töten!' Der König erwiderte ihm: ,Bei Allah, es ist mir sicher, daß du unschuldig bist und du dich in gar nichts vergangen hast, seit du so edel gehandelt hast. Es war nur der Färber, der mir soundso berichtete': und er tat ihm kund, was der Färber gesagt hatte. Da hub Abu Str an: ,Bei Allah, ich kenne keinen König der Christen und bin in meinem ganzen Leben noch nie in das Land der Christen gereist; auch ist es mir nie in den Sinn gekommen, dich zu töten. Doch dieser Färber war mein Gefährte und mein Nachbar in der Stadt Alexandrien. Dort ward uns das Leben zu eng; und wir zogen fort von ihr, eben weil wir in Bedrängnis lebten, nachdem wir die Fâtiha darüber gesprochen hatten, daß, wer von uns Arbeit fände, den Arbeitslosen ernähren solle. Mit ihm ist es mir jedoch soundso ergangen.' Und nun erzählte er dem König alles, was er mit Abu Kir, dem Färber, erlebt hatte, wie der ihm sein Geld genommen und ilm krank in dem Zimmer der Herberge hatte liegen lassen; wie der Pförtner des Châns ihn während seiner Krankheit aus eigenen Mitteln verpflegte, bis Allah ilm genesen ließ; wie er dann ausging und mit seinem Handwerkszeug in der Stadt umherzog nach seiner Gewohnheit; und wie er auf seinem Wege plötzlich eine Färberei sah, bei der die Leute sich zusammendrängten, und, als er nach der Tür der Färberei schaute, dort Abu Kir auf einer Bank sitzen sah; wie er dann eintrat, um den Freund zu begrüßen, und wie ihm von jenem Schläge und entehrende Behandlung zuteil wurden, da er behauptete, er sei ein Dieb, und ihm schmerzhafte Schläge versetzte; kurz, er berichtete dem König alles, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende, indem er zuletzt erzählte: ,O größter König unserer Zeit, er ist es, der



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mir sagte: ,Bereite das Mittel und biete es dem König dar! Denn dein Bad ist in allen Dingen vollkommen, nur daß ihm noch dies Mittel fehlt.' Wisse, o größter König unserer Zeit, dies Mittel ist ganz harmlos, und wir bereiten es immer in unserem Lande; es gehört zu den Erfordernissen des Bades, aber ich hatte es vergessen. Als der Färber zu mir kam und ich ihn ehrenvoll aufgenommen hatte, erinnerte er mich daran und sagte mir, ich solle das Mittel bereiten. Du aber, o größter König unserer Zeit, laß den Pförtner der Herberge Soundso und die Arbeiter der Färberei kommen und frage sie nach alledem, was ich dir berichtet habe.' Da sandte der König nach dem Pförtner des Châns und den Arbeitern der Färberei, und als alle zugegen waren, fragte er sie, und sie taten ihm kund, was geschehen war. Dann sandte er nach dem Färber, indem er sprach: ,Bringt ihn mir barfuß, barhaupt und gefesselt herbei!' Nun saß der Färber in seinem Hause da, froh über den Tod des Abu Str. Doch ehe er sich dessen versah, stürzten die Wachen des Königs auf ihn zu, und Hiebe sausten auf seinen Nacken; dann fesselten sie ihn und schleppten ihn vor den König. Dort sah er Abu Str neben dem König sitzen und den Pförtner des Châns und die Arbeiter der Färberei vor ihm stehen. Der Pförtner der Herberge fragte ihn: ,Ist dies nicht dein Gefährte, dem du sein Geld gestohlen und den du krank bei mir im Zimmer hast liegen lassen und dem du dasunddas angetan hast?' Und die Arbeiter der Färberei sagten: ,Ist dies nicht der Mann, den du uns ergreifen hießest und den wir prügeln mußten?' Da wurde dem König die Gemeinheit des Abu Kir offenbar, und er sah ein, daß jener noch ärgere Strafen verdiente als die von Munkar und Nakîr.' Deshalb sprach der König: ,Ergreift ihn und führt ihn in der Stadt und auf dem Markte umher! '— —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 940. Nacht anbrach, fahr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König, als er die Worte des Pförtners der Herberge und der Arbeiter aus der Färberei vernommen hatte, von der Schlechtigkeit des Abu Kir überzeugt war; und er bezeigte seinen Abscheu vor ihm und sprach zu seinen Wachen: ,Ergreift ihn und führt ihn inder Stadt umher: dann tut ihn in einen Sack und werft ihn ins Meer!' Doch Abu Sir sagte: ,O größter König unserer Zeit, nimm meine Fürsprache für ihn an; denn ich vergebe ihm alles, was er mir angetan hat!' Allein der König erwiderte: ,Wenn du ihm auch seine Vergehen gegen dich verzeihst, so kann ich ihm doch nicht verzeihen, was er an mir gesündigt hat.' Und so rief er: ,Ergreift ihn!' Da ergriffen sie ihn und führten ihn umher; und dann legten sie ihn in einen Sack und taten zu ihm ungelöschten Kalk hinein und warfen ihn ins Meer. Und er starb ertränkt und vom Feuer versengt. Nun sprach der König: ,O Abu Str, erbitte eine Gnade von mir, sie soll dir gewährt sein.' Jener erwiderte ihm: ,Ich erbitte von dir die Gnade. daß du mich in mein Land heim sendest; denn ich trage kein Verlangen mehr danach, hier zu weilen.' Da schenkte der König ihm noch viel zu dem hinzu, was er schon an Geld und Gut und Gaben besaß; ferner gab er ihm eine Galeone, die mit Gütern beladen war und deren Mannschaft aus Mamluken bestand: auch diese schenkte er ihm, nachdem er ihm angeboten hatte, ihn zum Wesir zu machen, Abu Str es aber abgelehnt hatte. Darauf nahm dieser vom König Abschied und reiste ab; alles auf der Galeone war sein Eigentum, auch die Seeleute waren seine Mamluken. So fuhr er dahin, bis er zum Lande von Alexandrien kam; dort bei der Stadt Alexandrien warfen sie Anker



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und gingen an Land. Einer von seinen Mainluken aber entdeckte einen Sack am Strande, und er sprach: ,O Herr, dort am Strande liegt ein großer, schwerer Sack; seine Öffnung ist zugebunden, und ich weiß nicht, was darin ist.' Da kam Abu Str herbei und öffnete den Sack; und er fand darin Abu Kir, den die Meeresströmung nach Alexandrien getrieben hatte. Er nahm die Leiche heraus und begrub sie in der Nähe der Stadt, erbaute darüber eine Grabkapelle und stattete sie mit Stiftungen aus. Über der Tür des Grabmals aber ließ er diese Verse einmeißeln:

Der Mann wird in der Welt erkannt an seinem Handeln:
Des Edlen, Freien Taten sind gleich seiner Art.
Verleumde nicht, sonst wirst auch du gar bald verleumdet;
Wer etwas sagt, dem bleibt das gleiche nicht erspart!
Vermeide schlechtes Wort und führ es nie im Munde,
Magst du im Ernste reden oder auch im Scherz!
Ein Hund, der edles Wesen wahrt, wird gern geduldet;
Dem Löwen, ist er töricht, trifft der Ketten Schmerz.
Und einsam treibt die Leiche oben auf dein Meere,
indes die Perle drunten liegt in seinem Sand.
Ein Sperling würde nie nach einem Falken jagen,
Es sei aus Narrheit denn und Schwäche an Verstand.
Im Himmel steht geschrieben auf der Liebe Blättern:
Wer Gutes tut, dem wird der gleiche Lohn gereicht.
Drum suche keinen Zucker bei der Koloquinte,
Da jedes Dings Geschmack nur seinem Wesen gleicht!

Hinfort lebte Abu Str noch eine Weile, bis Allah ihn zu sich nahm; da begrub man ihn neben dem Grabe seines Gefährten Abu Kir. Und deshalb erhielt diese Stätte den Namen Abu Kir und Abu Str; aber jetzt ist sie nur als Abu Kir bekannt. Dies ist es, was uns von der Geschichte der beiden berichtet wurde. Und Preis sei Ihm, der da lebet in Ewigkeit und durch dessen Willen Tag an Nacht sich im Wechsel reiht!



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Ferner wird erzählt


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