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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Der Köhler

Es war einmal ein Köhler, der hatte einen Sohn, der war auch Köhler. Als der Vater starb, verheiratete sich der Sohn, aber er wollte sich nichts vornehmen; den Kohlenmeiler richtig zu versorgen, war er zu schwach, krank und elend, und schließlich wollte ihn niemand mehr zum Kohlenbrennen haben.

Aber nun hatte er doch wieder einmal einen Meiler voll Kohlen gebrannt, und so fuhr er in die Stadt mit einigen Fudern Kohlen. Dort verkaufte er sie, dann schlenderte er durch die Straßen und sah sich um. Auf dem Heimwege kam er in eine Gesellschaft von Nachbarsleuten und Bauern, er feierte und trank und schwatzte über alles, was er in der Stadt gesehen hatte. Das hübscheste, was er gesehen hätte sei, daß es dort so viele Pastoren gäbe, und alle Leute gingen zu ihnen hin und begrüßten sie und nähmen ihre Mützen vor ihnen ab. »Ich wünschte, ich wäre auch so ein Pfarrer«, sprach er, »dann würden mich vielleicht auch alle grüßen. Jetzt sehen die meisten mich gar nicht an«.

»Ja, bist du schon nichts anderes, so bist du doch schwarz genug zum Pastoren«, sagten die Nachbarn zum Kohlenbrenner, »aber wenn wir schon einmal draußen und auf dem Wege sind, so können wir auch zur Auktion vom alten Pfarrer fahren und uns eine Träne Bier gönnen. Du kannst dort Predigerrock und Kragen kaufen«, sagten sie. Ja, so machten sie es. Und als er heim kam, hatte er nicht einen Schilling mehr. —

»Nun hast du wohl Lebensmittel und Schillinge genug?«fragte seine Frau.

»Nun soll das ein Leben werden, Mutter«, sprach der Köhler, »denn jetzt bin ich Pfarrer geworden, hier siehst du beides, Mantel und Kragen«.

»Das soll ich dir glauben? Starkes Bier macht große Worte«, sagte die Alte ,»du bist immer gleich entzückt, was es auch für ein Ende nimmt, du«!

»Du darfst weder jammern noch schimpfen über den Meiler, bevor die Kohlen abgekühlt sind«, meinte der Köhler. —

Es kam ein Tag, da reisten viele Leute in Pfarrerkleidung beim Köhler vorüber. Die waren unterwegs zum Königshof, sodaß er merken



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konnte, da war etwas los. Ja, der Köhler wollte dabei sein und er zog deshalb seine Pfarrerkleidung an. Die Frau meinte, es sei genau so klug, zu Hause zu bleiben, denn käme er wirklich dazu, einem reichen Manne das Pferd zu halten, so würde der Tabaks-Schilling, den er dafür bekäme, doch nur durch die Gurgel rinnen. »Alle sprechen vom Trinken und niemand vom Durst, Mutter«, sagte der Mann, »je mehr man trinkt, desto mehr dürstet man«. Und so zog er zum Königshof.

Nun wurden alle Fremden zum König herein gebeten, und der Köhler folgte ihnen. Da sagte der König, daß er seinen kostbaren Ring verloren hätte, und er glaube fest, daß er gestohlen sei. Deshalb habe er alle Gottesgelehrten des Landes zusammengerufen, ob nicht einer dabei sei, der wisse, wer der Dieb wäre. Und er versprach, den zu belohnen, der es sagen könne. War er Kandidat, so solle er ein Pfarramt bekommen, war er Pfarrer, so solle er Probst werden, und war er Probst, so solle er Bischof werden, und war er Bischof, so solle er der nächste am Königsthron werden. Dann ging der König von einem zum anderen und fragte sie alle. Und als er zum Köhler kam, fragte der König: »Wer bist du?«

»Ich bin der weise Priester und der wahre Prophet«, entgegnete der Köhler.

»So kannst du mir auch sagen, wer meinen Ring genommen hat«, sprach der König.

»Ja, das geht rein über Hoffnung und Verstand, daß sich das, was im Finstern geschehen ist, im Hellen sehen lassen kann«, erwiderte der Köhler, »doch es kommt nicht alle Tage vor, daß der Lachs auf einem Föhrenwipfel laicht. Nun habe ich schon für mich und die Meinen sieben Jahre lang gelesen und habe noch kein Amt bekommen. Wenn ich den Dieb herausfinden soll, dann muß ich gute Zeit und viel Papier haben, denn ich muß rechnen und an viele Länder schreiben«.

Ja, er solle gut Zeit haben und Papier so viel er wolle, wenn er nur den Dieb herbeischaffen könne.

Nun kam er hinauf ins Königsschloß in eine Kammer ganz für sich allein, und es dauerte nicht lange bis sie merkten, daß er etwas mehr können müsse als nur das Vaterunser, denn er schrieb auf so viel Papier, daß es in dicken Haufen und Bergen herumlag, und da war auch nicht einer, der ein Wort von allem verstand, was er schrieb, denn es sah nur aus wie Haken und Krähenfüße. — Doch die Zeit ging dahin und er bekam keine Spur von einem Dieb heraus. Da wurde der König dessen überdrüssig und er sagte, wenn er den Dieb nicht in drei Tagen herschaffen könne, so solle er das Leben verlieren.



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»Wer soll raten, darf nicht zu früh taten; man soll die Kohlen nicht auseinanderscharren, ehe der Meiler ausgelöscht ist«, sagte der Köhler. Der König aber blieb bei seinem Wort, und der Köhler merkte, daß sein Leben nicht mehr viel wert war.

Nun waren da drei von des Königs Dienern, die ihm aufwarteten, jeder an seinem Tag. Und diese drei zusammen hatten den Ring gestohlen.

Als der eine Diener hereinkam und den Tisch abdeckte nach der Abendmahlzeit und wieder hinausging, stieß der Köhler einen tiefen Seufzer aus, sah ihm nach und sagte: »Das war der erste!« (Er meinte den ersten der drei Tage, die er noch zu leben hatte). »Dieser Pfaffe kann mehr als Brot essen«, sagte er zu seinen Kameraden draußen, »er sprach zu mir: Das war der erste!« —Der andere, der ihm am nächsten Tage aufwartete, sollte sich gut merken, was er sagte. Und richtig, als er nach dem Abendessen abdeckte, glotzte der Köhler ihn starr an, seufzte schmerzlich und sagte: »Das war der andere!« —Nun sollte der dritte Diener aufmerken, wie er sich am dritten Tage benehmen würde. Da ging es schlimmer und nicht besser, denn als der Diener die Tür ergriff und hinausgehen wollte mit Tassen und Schüsseln, da faltete der Köhler die Hände und sprach: »Das war der dritte!« Und dann seufzte er, als ob ihm das Herz brechen würde.

Der Diener kam heraus, so eilig, daß er kaum noch Atem hatte, und sagte, das sei eine klare Sache, daß der Pfarrer alles wisse. Nun gingen sie alle drei hinein, machten einen Kniefall vor dem Köhler und baten und flehten, er solle es nicht sagen, daß sie den Ring genommen hatten. Sie würden ihm jeder gerne hundert Taler geben, wenn er sie nicht ins Unglück stürzen würde. Der Köhler versprach hoch und heilig, wenn er Geld und Ring und eine große Schüssel Grütze bekommen würde, solle niemand unglücklich werden. Er knetete den Ring gut in die Grütze und ließ diese einem von ihnen dem größten Eber des Königs zum Fressen geben. Er solle aber darauf achten, daß er es nicht wieder von sich gäbe.

Am nächsten Morgen kam der König und verlangte vom Köhler, ihm den Dieb zu nennen.

»Ja, nun habe ich gerechnet und nach vielen Ländern geschrieben«, sagte der Köhler, aber es ist kein Mensch, der den Ring gestohlen hat.

»Pa, wer ist es denn sonst?« fragte der König.

»Ei, es ist der große Eber des Königs«, antwortete der Köhler. Gut also, sie nahmen und schlachteten das Tier, und den Ring hatte es in sich, das stimmte.



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So bekam der Köhler ein Pfarramt, und der König war so froh, daß er ihm Pferd und Hof und hundert Taler noch obendrein gab. Der Köhler zögerte nicht, dort hin zu ziehen, und am ersten Sonntag, nachdem er in sein Amt gekommen war, sollte er zur Kirche und die Urkunde seiner Amtseinsetzung vorlesen.

Aber bevor er reiste, wollte er noch frühstücken. Nun legte er den Amtsbrief so lange auf das Fladenbrot, dann vergriff er sich aber und tauchte den Brief in die Brühe, und da er wußte, es war zäh zum Kauen, gab er dem Hund den ganzen Brocken, und der verschlang ihn sofort.

Nun wußte er nicht, was er machen sollte, aber in die Kirche mußte er, denn die Gemeinde wartete. Als er hinkam, bestieg er sogleich die Kanzel, dort warf er sich in die Brust, daß alle dachten, das ist gewiß ein glänzender Prediger, aber als es dann weiterging, da war es doch nicht mehr so glänzend. »Die Worte, die ihr an diesem Tage hören solltet, meine lieben Pfarrkinder, sind in die Hunde gefahren; aber kommt am nächsten Sonntag wieder, meine lieben Zuhörer, so sollt ihr von mir etwas anderes zu hören bekommen. Und damit ist die Predigt aus.«

Das schien der Gemeinde ein wunderlicher Pfarrer zu sein, denn eine solche Predigt hatten sie noch nie gehört.

Und dann meinten sie, er kann wohl besser werden, und wird er es nicht, so wollen wir schon mit ihm fertig werden.

Am nächsten Sonntag sollte wieder Gottesdienst sein, da war die Kirche so voll von Menschen, die alle dem neuen Pfarrer lauschen wollten, sodaß der Raum die Menge fast nicht mehr fassen konnte. Ja, er kam herein und bestieg sogleich die Kanzel. Da stand er eine Weile und sagte kein Wort. Aber dann taute er mit einem Male auf und rief: »Hör zu, du alte Bucke-Berit, warum sitzt du so weit hinten in der Kirche?« »Ach, ich habe so zerrissene Schuh, Vater«, sagte sie. »So nimm du dir eine alte Schweinshaut und mach dir neue Schuh, so kannst du ebenso gut vorn in der Kirche sitzen wie andere ehrliche Weiber. — Übrigens müßt ihr bedenken, was für einen Weg ihr geht. Wenn ihr zur Kirche geht, so sehe ich einige von Norden kommen, andere von Süden, und dasselbe ist es, wenn ihr von der Kirche wieder heim geht. Aber ihr haltet auch mal an, und da fragt es sich, was aus euch wird. Ja, wer weiß, was aus uns allen zusammen noch werden wird. —Da soll ich kund tun, daß der alten Frau Pfarrer eine schwarze Mähre weggekommen ist. Sie hat Barte an den Hufen und eine lange Mähne und mehr dergleichen, was ich hierorts nicht nennen will. —O, ich habe ein Loch in meiner alten Hosentasche das weiß ich, aber ihr nicht. Aber ob



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jemand einen Lappen hat, der auf dieses Loch passen könnte, das wissen weder ihr noch ich.«

Mit dieser Predigt begnügten sich einige aus der Gemeinde. Sie glaubten nicht anders, als daß aus ihm noch ein guter Prediger würde mit der Zeit, sagten sie. Aber den meisten schien es doch allzutoll, und als der Probst Gottesdienst hielt, beklagten sie sich über den Pfarrer und sagten, daß sie früher noch nie eine solche Predigt gehört hätten. Und einer erinnerte sich an die letzte Predigt und erzählte sie dem Probst.

»Das war eine sehr gute Predigt«, sagte der Probst, »denn er hat vermutlich in Gleichnissen gesprochen. Wie man das Licht suchen und die Dunkelheit und ihre Taten scheuen solle ... von denen, die auf dem breiten Weg gingen und auf dem schmalen Weg. Und hauptsächlich die Bekanntmachung von der Pfarrers-Stute sei ein herrliches Gleichnis, wie es uns allen gehen wird zum Schluß. Die Tasche mit dem Loch darin solle seine Armut bedeuten, und der Lappen sei das Opfer und die milden Gaben, die er von der Gemeinde erwarte«, sagte der Probst. »Ja, so verstehen wir es auch, er meinte der Pfarrsäckel«, gaben sie zu.

Zum Schluß sagte der Probst, er glaube, die Gemeinde habe einen guten und verständigen Pfarrer, daß sie nicht über ihn Klage führen brauchten, und das Ende davon war, daß sie keinen anderen bekamen. Aber da sie glaubten, das würde eher schlimmer als besser, klagten sie beim Bischof.

Ja, nach längerer Zeit kam er auch, um Bischofsgottesdienst zu halten. Am Tage vorher war der Köhler in der Kirche, ohne daß es jemand wußte, und er sägte die Kanzel an, so daß sie nur noch fest hielt, wenn jemand ganz vorsichtig hinauf ging. Als die Gemeinde versammelt war, und als er vor dem Bischof predigen sollte, schlich er sich auf die Kanzel und begann loszulegen, wie er es immer tat. Aber als es eine Weile gedauert hatte, ging es härter zu. Er schlug mit den Armen aus und rief laut: »Ist hier jemand, der etwas Böses oder eine Missetat auf sich geladen hat, da ist es das Beste, er verläßt diesen Ort, denn heute wird ein Fall geschehen, wie kein ähnlicher geschehen ist seit der Erschaffung der Welt!« Und damit hieb er auf die Kanzel, sodaß es nur so donnerte, und die Kanzel samt dem Pfarrer in die ganze Sippschaft von der Kirchenwand niederbrach mit einem solchen Getöse, daß die Gemeinde aus der Kirche sprang, als ob der Jüngste Tag angebrochen sei.

Da sagte der Bischof zu der Gemeinde, daß er sich wundere, daß Leute Klage führen könnten über einen Pfarrer, welcher solche Rednergabe



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besitze und so viel Weisheit, daß er kommende Dinge voraussagen könne. Er glaube, er müsse mindestens Probst werden, sagte er. Und es dauerte gar nicht lange, so wurde er es. So gab es kein Mittel, sie mußten ihn weiter ertragen.

Nun war das so, daß der König und die Königin in diesem Lande keine Kinder hatten. Aber als der König zu hören bekam, daß vielleicht doch eins ankommen könne, war er neugierig darauf zu wissen, ob es ein Erbe von Land und Reich oder ob es nur eine Prinzessin würde. Da versammelte er alle Gelehrten des Landes im Schloß, die sagen sollten, was das Kind werden würde. Weil es aber keiner von ihnen sagen konnte, erinnerte sich der Bischof und der König an den Köhler, und es dauerte nicht lange, so hatten sie ihn in ihrer Mitte und fragten ihn aus. Nein, er wisse es auch nicht, sagte er, denn es sei nicht so leicht, zu erraten, was niemand wissen könne.

»Ja, ja«, sagte der König, »mir ist es ebenso lieb, entweder du weißt es oder du weißt es nicht. Aber du bist doch der weise Priester und wahre Prophet, welcher kommende Dinge voraussieht, und wenn du es nicht sagen willst, wirst du Mantel und Kragen verlieren«, sagte der König. »Doch es ist einerlei, ich will dich erst prüfen«, sagte er und nahm den größten Silberkrug, den er besaß, und ging zum Strand hinunter. »Kannst du mir sagen, was in dem Krug ist«, sagte der König als er wieder heraufkam, »so kannst du mir das andere auch sagen«, sprach er und hielt den Krugdeckel fest zu.

Der Köhler rang die Hände und war außer sich: »Ach, du unglücklichste Krabbe auf dieser Erde, was hast du nun von all deiner Mühe und Plackerei«, sagte er.

»Ja, siehst du, als ob du es nicht wüßtest«! sagte der König, denn er hatte eine große Krabbe im Silberkrug. So mußte also der Köhler hinein in den großen Saal zur Königin.

»Man soll kein Geschrei um ein ungeborenes Kind machen und sich nicht um den Namen streiten, bevor das Kleine geboren ist«, sagte der Köhler, »aber so etwas habe ich weder gehört noch gesehen bisher: wenn die Königin auf mich zukommt, so glaube ich, es wird ein Prinz, und wenn sie von mir geht, sieht es aus, als ob es eine Prinzessin würde.«

Es wurden Zwillinge, ein Knabe und ein Mädchen, sodaß es der Köhler auch diesmal getroffen hatte. Und weil er das sagen konnte, was niemand wissen konnte, bekam er Geld fuderweise, und er wurde der höchste neben dem König.

Tripp, trapp, trollte - er wurde mehr, als er wollte.


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