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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Makrelenfang

Unser alter Freund Asbjörnsen erzählte folgendes:

»Am Meer bin ich aufgewachsen, da lebte ich, mitten zwischen Klippen und Wogen seit meiner frühesten Kindheit. Es waren alles tüchtige Seeleute, von denen ich abstamme, da war keiner dabei, der nicht zeitig begann. Sobald das Kind gehen gelernt hatte, war seine erste Morgenwanderung, im Hemd nur, hinaufzulaufen zum nächsten Fels oder Riff, um nach dem Wetter zu sehen und nach dem Meer. Und wenn es still war, steckte es den Finger in den Mund, hielt ihn dann in die Lüfte, um zu erfahren, woher die Winde wehten. Sobald es ein Ruder heben konnte, war es im Boot, und nun dauerte es nicht mehr lange, daß es mit Seefahrern spielte. Während meines Wachstums war ich meist draußen auf See mit einem Lotsen zusammen, der einer der kecksten Seefahrer war, die ich kannte. Die Tage, die ich mit ihm zusammen verbrachte, gehören zu den liebsten und teuersten in meinen Erinnerungen. Froh und frei wie ein Vogel flog ich hinaus auf die Wellen. In einem leichten Boot fuhren wir auf Entenjagd, auch auf



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Eidervögel und Seehunde zwischen den Klippen. Mit einem gedeckten Boot fuhren wir weit hinaus auf See, um Makrelen zu fangen. Und wenn er ein Schiff hineinlotsen mußte, segelte ich unterdessen das Boot allein heim oder zusammen mit dem Lotsenjungen. Seitdem habe ich allezeit eine starke Sehnsucht nach dem Meer und nach dem Salzwasser gehabt.

Nun will ich euch aber von einer Fahrt erzählen, die wir zusammen unternahmen, als ich vor einigen Jahren daheim zu Besuch war, und dabei war es, daß mein alter Freund die Geschichte erzählte, die ich jetzt mitteilen will:

Wir verbrachten also einige Tage draußen bei den äußersten Seeklippen. Wir segelten mit gedecktem Boot, einem großen Walfangboot. Besatzung war Rasmus Olsen (so hieß mein genannter Freund), der Lotsenjunge und ich. Eines morgens in der Dämmerung stießen wir ab in See, um Makrelen zu fangen. Es ging ein schwacher Landwind, der knapp genug den schweren Nebel zu heben vermochte, der über den Klippen und den nackten Felsen braute. Aufgescheuchte, flatternde Möven rund um uns herum mit ihren heiseren Schreien, Seeschwalben stießen ihr klingendes »tri egg« (drei Eier) aus, und die Elsternschnepfen das spottende »Klikk, klikk«, welches oft einen fehlschießenden Schützen zum Lächeln brachte. Ober die bleigraue Seefläche, die nur selten belebt wurde durch eine Alke, eine Lumine, einen Eidervogelschwarm und einen keuchenden Tümmler, hing die Luft diesig und dicht. Rasmus Olsen selbst saß in der Achterluke beim Steuer. Aber der Bub war bald draußen, bald hinten drin, je nachdem, wo er notwendig war. Rasmus war ein großer, schwerer Mann mit braunrindigem, wetterzerfurchten Antlitz. Der Ausdruck war gutmütig, aber in der Tiefe der grauen, klugen Augen lag ein Ernst und ein gewisses Forschen, das davon zeugte, daß er gewohnt war, sich in Lebensgefahr zu begeben und tiefer in die Dinge zu sehen, als das Lächeln um den Mund und die scherzenden Worte, die er oft auf der Zunge führte, hinzudeuten schienen. Wie er so dasaß mit seinem Südwester über den Ohren in einem genähten gelbbraunem Kalmückenwams wirkte sein Anblick in der diesigen Morgenluft beinah übernatürlich groß, und man konnte leicht auf den Gedanken verfallen, daß man einen Widergänger aus Wikingers Zeiten vor sich hatte. Aber zu Wikingers Zeiten brauchte man keinen Tabak, das brauchte aber Rasmus Olsen, und zwar gründlich.

»Er hat nicht so viel Wind, daß er ein Rindenschifflein den Rinnstein entlang blasen kann«, sagte Rasmus und vertauschte den Priem



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mit einer kleinen schwarz gerauchten Kreidepfeife, indem er in allen Richtungen Ausschau hielt. »Gestern abend beim Sonnenuntergang stand er voller prächtiger Windwolken, aber nun hat er nicht einen Hut voll.«

Der Lotsenjunge, der vorn Ausschau hielt und mit dem Steuerbordruder arbeitete, um vorm Abfall zu stützen, da die Strömung im Westen ging, antwortete, daß er meine, daß es später leichter würde. »Zum Teufel noch mal, das ist kein Sonnenaufgangswetter«, antwortete Rasmus, »er kommt nicht, ehe es auf den Tag zu geht; aber dann werden wir mehr bekommen, als wir haben wollen um der Makrelen willen.«

Dennoch kam mittlerweile ein frischer Luftzug, sodaß wir Kurs halten konnten ohne Ruderhilfe, und nun glitten wir rasch hinaus in offene See. Der Nebel schwandt nach hinten und ließ uns die blaue Küstenlinie sehen mit den nackten Holmen. Aber vor uns lag das Meer in seiner unendlichen Weite, errötet von der Morgensonne. Der Landwind hatte noch Kraft genug, aber je höher die Sonne stieg, desto frischer blies es vom Meer her. Die steigenden Nebel legten sich wie ein Teppich übers Land. Nun war eine steife Makrelenbrise da. Wir waren gerade drin am Makrelenschwarm. Die Angelschnuren wurden ausgeworfen, und ein Fisch nach dem anderen biß, sodaß es in allen Schnüren zitterte. Unter gewaltigem Zappeln und Rucken wurden diese silberblanken Kinder des Meeres heraufgebracht. Aber die Freude dauerte wie gewöhnlich nicht besonders lange. Als der Tag voranschritt, verstärkte sich die Brise ständig mehr und mehr. Wasser kam herein, die Sturzseen wuchsen; schließlich standen die Schnüren gespannt und die Bleisteine hüpften über die Wogenkämme hin, während die Sturzseen über unsere kleine Nußschale brausten und Schaum und Sprühregen hoch über Segel und Mast sandten. Die Angelschnüre wurden herein genommen. Der Lotsenjunge saß auf der großen Falltürklappe, baumelte mit den Beinen und guckte nach alter Gewohnheit bald hierhin, bald dorthin. Zeitweise ging er runter in den Raum und sah nach seiner Uhr, die in einer großen rotgemalten Schiffskiste lag.

»Ja, die Truhe und die Uhr«, sagte Rasmus mit einem Lächeln und einem Nicken, »daran hält er sich, da tut er recht dran; früher legte er keinen Wert darauf, da lag er und grub kleine Steine in den Meeresgrund. «

Ich bat um nähere Erklärung, und er erzählte: Das war im vorigen Jahr im Oktober. Wir kamen in schweres Wetter. Mit Mühe konnte ich mich gegen die See behaupten, aber ich blieb draußen, und er mit mir. Schließlich rief ich ein Holländerschiff an und kam zu ihm an Bord,



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aber ich dachte immer an das Boot und den Jungen. Meine Gedanken waren nicht da, wo sie sein sollten, denn jeden Augenblick guckte ich nach dem Boot und dem Jungen. Und schließlich sah ich, er bekam eine Sturzsee hinten drauf, sodaß er hochgehoben wurde, und kippte kopfüber und unter -weg war er. Wir konnten nicht helfen, wenn auch der Schiffer wollte, es war zu weit weg. Ich betete im Stillen und dachte, ich würde ihn nie wieder sehen. Aber den ersten, den ich traf, als ich heimkam, war der Junge. Er war heimgekommen, eher als ich. Er hob seine Uhr hoch und zeigte sie mir und sagte: »Ich habe die Uhr gerettet, Vater, und sie geht noch«. Na, Gott sei gelobt, daß du gerettet bist, dachte ich. Zu einem Boot kann man immer wieder mal kommen, obgleich es mich viele Taler gekostet hatte, und nagelneue Segel waren drauf. — Wie er gerettet wurde? — Ja, das ging so zu - »Ja, ja, du schmunzelst, Kleiner«, sagte er zum Jungen, der ihm zulachte und stärker mit den Beinen baumelte, »der ertrinkt nicht, der hängen soll« — da kam eine Brigg, welche heimfuhr, genau nordwärts. Auf einmal hören wir einen Schrei; einer läuft nach vorn, aber da war nichts los, aber er dachte mindestens daran, daß es außenbords sein könnte, besser noch, er hörte es schreien, richtig unterm Bug. Und als der Kapitän selbst nach vorn kam und nach draußen guckte, saß der Junge auf der Schiffskiste und hielt die Uhr in seinen Händen, hoch über die Wellen weg. Schnell gab der Kapitän den Männern am Steuer einen Wink, sodaß sie nicht in ihn hinein segelten, sie drehten bei und warfen eine Strickleiter aus und holten ihn rauf.« —

Als es weiter in den Tag hineinging, legte sich der Wind und wir fingen wieder einzelne Fische, während das Geplauder lebhaft ging.

»Ja, ja«, sagte er und schüttelte ein wenig den Kopf, während er die Pfeife wieder anzündete, »es braut sich etwas zusammen südwärts. Der Luftzug, den wir bekamen war nur ein Morgenschnaps, ihr werdet sehen, wir werden bedient. Selbst die Fische wissen darum, sie beißen nicht mehr, und die Vögel sind furchtsam, höre, wie sie quesen und schreien und an Land zu kommen suchen. Das wird ein richtiges Trollhexenwetter am Abend. Nein, sieh den an! Tümmler, nicht so nahe, daß —Gott helfe mir konnte ich nicht gerade« —spucken auf ihn wollte er gesagt haben, aber in dem Augenblick knallte meine Büchse, die ich zum Auge gerissen und abgedrückt hatte auf einen Tümmler, der sich dicht bei uns in den Wellen wälzte. Als der Schuß ihn traf, schlug er gewaltig mit dem Schwanz, daß Wasser und Schaum aufstie, gen wie ein kleiner Wasserfall so hoch wie der Mast und uns alle übergoß und überprühte.



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»Die Trollhexe, so hoffe ich, wird uns wohl nicht ein Wetter senden«, sagte ich, als ich sah, daß das Wasser sich rot mit Blut färbte. Kurz darauf tauchte der Tümmler auf, pustete und stöhnte und drehte den Bug in den Wind. Rasmus war flink und hakte den Bootshaken in ihn und ich half ihm dabei, ihn ins Boot zu heben. Rasmus war sehr froh über den Tran, den er abgeben würde, drehte das schwere Tier von der einen Seite auf die andere, liebkoste es, als ob es ein Säugling sei und versicherte, daß er ein schmackhafter Wassertroll sei, willkommen fürs Stiefeischmieren und fürs Lampenlicht.

Während wir schwatzten von Trollen und Trollhexen tauchte eine besondere Trollhexengeschichte in meiner Erinnerung auf; ich glaubte, sie von Rasmussen in meiner Kinderzeit gehört zu haben, aber sie stand so dunkel vor mir, daß ich nicht wußte, ob es etwas war, was ich gehört oder geträumt hatte. Ich fragte also Rasmus, ob er mir nicht einmal so eine Geschichte von drei Trollhexen erzählt hätte.

»Ach die«! antwortete er und lachte, »die ist von der Art wie sie Schifferlügner noch dieser Tage erzählen, aber in alten Tagen glaubten sie es wie das Vaterunser. Der alte Großvater erzählte sie mir, als ich noch ein kleiner Bub war, aber ob es sein Großvater oder Urgroßvater war, welcher der Kajütenjunge war, daran kann ich mich nicht erinnern. Genug davon, das ging so zu:

Er war den ganzen Sommer über mit einem Schiffer gefahren als Jungmann, aber als sie auf die Herbstfahrt hinaus wollten, überkam ihn eine nervöse Unruhe, und er wollte nicht mitfahren. Dem Schiffer tat es leid um ihn, denn obgleich er nur ein Halbwüchsiger war, so hatte er doch guten Verstand für alle Dinge an Bord. Er war ein grosser und starker Junge und hatte keine Angst, wenn er in die Takelung hinauf mußte, er machte nächstens Dienste für einen Vollmatrosen. Und lustig und unterhaltsam war er auch, sodaß er Leben in die anderen brachte. Deswegen wollte ihn der Schiffer gern mit haben. Aber der Junge hatte keinerlei Lust, am Herbstabend »auf dem blauen Sumpf zu reiten«. Gleichwohl sollte er an Bord bleiben bis sie geladen hätten und die Segel klar waren. An einem Sonntag, als die Mannschaft Landurlaub hatte und der Schiffer oben bei einem Waldbauern war, um über kleine Lasten und Splittholz als Decklast zu verhandeln -das war wohl auf eigene Rechnung, kann ich mir denken -sollte der Junge das Schiff hüten. —Aber das will ich nicht vergessen zu erzählen, der Junge war an einem Sonntag geboren und hatte ein vierblättriges Kleeblatt gefunden. Deswegen hatte er das »zweite Gesicht«, er konnte die Unsichtbaren sehen, aber sie konnten ihn nicht sehen.«



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»Ja, ja, es wird häßliches Wetter«, unterbrach Rasmus sich selbst in dem er sich aufrichtete und mit beiden Händen die Augen beschattete, denn wenn man in südlicher Richtung suchen wollte, wurde man von dem Sonnenglimmern geblendet, das jetzt auf die langen, blanken Wogen fiel. »Sieh, wie es sich umzieht, er kommt mit Donner und Blitz, am besten, wir wenden bei Zeiten, denn jetzt bekommen wir keinen Windstoß mehr. Wir liegen hier in der Windstille und treiben wie ein Heusack. Aber reifen müssen wir, ehe er zu uns kommt. Komm, Jon!«

Während das Reifen geschah, nahm ich das Fernrohr und sah hindurch nach dem Wetter. Das war blank und noch still. Der Wind hatte sich gelegt aber das Boot schwankte von der Grunddünung. Fern im Süden stand eine scharf abgeschnittene Bank dunkel da. Erst hatten wir sie wie einen schmalen Rand gesehen, der zusammenschmolz mit Himmel und Meer, aber unter der Hand hob sie sich wie eine Wand oder ein Teppich, der nach oben bald einen Rand von schweren, strohgelben, gedrehten und zusammengerollten Donnerwolken bekam. In einem einzigen Augenblick wurde der Wolkenteppich lichter und durchsichtiger, es sah aus, als ob einer mit Licht dahinter entlang ging. Einen Blitz sahen wir nicht, aber wir hörten ein fernes, schwaches Rollen, von dem ich anfangs glaubte, es käme von den Wellen.

»Nun«, sagte Rasmus, als er die Pfeife angezündet hatte und das Fernrohr wieder entgegennahm, »der Junge hatte also ,das zweite Gesicht', und als er gerade vorn saß in der Mannschaftskajüte, hörte er Reden im Nebenraum. Er guckte durch einen Spalt, und er sah, da saßen drei kohlschwarze Rabenweibchen auf dem Zwischendecksbalken drinnen und sie redeten von ihren Männern. Alle drei hatten dieselben satt und sie wollten ihnen das Leben nehmen. Man konnte glauben, es seien Trollweiber, die sich verwandelt hatten.

»Aber seid ihr auch sicher, daß niemand hier ist, der uns hören kann«, sagte die eine von den dreien. Der Junge konnte an der Sprache hören, daß dies die Schiffersfrau war.

»Nein, du siehst es ja«, sagten die anderen zwei, welche die Frauen vom ersten und vom zweiten Steuermann waren, »hier ist keine Menschenseele an Bord«.

»Ja, so will ich es euch sagen. Ich weiß guten Rat, wie wir sie los werden«, nahm die Schiffersfrau wieder das Wort und hüpfte näher zu den andern beiden hin. »Wir machen uns zu drei Sturzseen und schlagen über Bord und versenken das Schiff mit Mann und Maus.«

Ja, das schien den anderen beiden ein guter Rat zu sein. Sie saßen



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lange und redeten über den Tag und das Fahrwasser. »Aber da ist doch keiner, der uns hört?« sagte die Schiffersfrau wieder.

»Du weißt das doch«, sagten die beiden anderen.

»Ja, für die Schiffsbesatzung gibt es ein Mittel gegen uns, und wird das gebraucht, so kommt uns das teuer zu stehen, das kostet uns nicht weniger als Blut und Leben.«

»Was ist das für ein Mittel, Schwester?«fragte die eine Steuermannsfrau.

»Ja, aber seid ihr gewiß, daß uns niemand hört? Mir schien es zu knacken in der Mannschaftskabine.«

»Du weißt doch ,wir haben in alle Winkel geguckt. Sie haben vergessen, das Feuer zu löschen unten in der Kombüse, deshalb knackte es«, sagte die Steuermannsfrau, »du kannst nachsehen«.

»Wenn sie drei Klafter Birkenholz kaufen«, sagte die Trollhexe, »das muß aber voll gemessen und ungefeilscht gekauft sein -, und wenn sie das eine Klafter hinauswerfen, Baum für Baum, Stück für Stück, wenn die erste Sturzsee kommt; und den zweiten Klafter, Baum für Baum, wenn die andere Sturzsee kommt, und den dritten Klafter, Baum für Baum, wenn die dritte kommt, so ist es aus mit uns.«

»Ja, das ist wahr, Schwester, da ist es aus mit uns, da ist es aus mit uns«, sagten die Steuermannsfrauen, »aber da ist ja niemand, der darum weiß«, riefen sie und lachten laut. Und als sie das taten, flogen sie auf und durch die große Falltür hinaus und schrien und gluckerten wie drei Raben. —

Als die Männer lossegeln wollten, da wollte der Junge um Tod und Leben nicht mit. Alles, was der Schiffer sprach und gelobte, half nichts. Er wollte auf keinen Fall mit.

Schließlich fragten sie, ob er vielleicht Angst hätte, seit dem es auf den Herbst zu ging, und ob er lieber im Kakelakenwinkel sitzen und an Mutters Rockzipfel hängen wollte.

Nein, sagte der Junge, das sei es nicht. Und er hätte nie geglaubt, daß sie ihn für so eine Landratte hielten, das wolle er ihnen auch beweisen, denn nun wolle er mitfahren, aber er wolle seine Bedingung sagen:

Daß drei vollgemessene Klafter Birkenholz gekauft werden müßten, und daß er das Kommando bekäme, als ob er der Schiffer selbst sei, an einem gewissen, bestimmten Tage. — Der Schiffer fragte, was das für eine Narretei sein sollte, und ob er jemals gehört hätte, daß ein Jungmann mit dem Kommando über ein Schiff betraut würde. Aber der Junge antwortete, das sei ihm gleich, wollten sie nicht drei Klafter



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Birkenholz kaufen und ihm an dem einen Tag gehorchen, als ob er der Kapitän sei, nur den einzigen Tag lang - den Tag würden Schiffer und Mannschaft im voraus zu wissen bekommen -, so setze er nicht einen Fuß mehr in das Schiff, noch solle seine Nase Pech und Teer dort riechen. Dem Schiffer erschien das verwunderlich, er meinte daß er ein eigenartiger Junge sei, aber er gab schließlich nach, denn er wollte ihn endlich mit haben. Und er dachte wohl auch, daß die Sache sich auflösen würde, wenn sie erst mal auf See wären. Der Steuermann meinte dasselbe: »Ach, laß ihn das Kommando haben, birg dich so lang in Le, bevor wir ihm eine Handreichung machen«, sagte er.

Nun wurde das Birkenholz gekauft, gut gemessen und ungefeilscht, und sie segelten los.

Als der Tag kam, da der Jungmann Schiffer werden sollte, war es still, schönstes Wetter; aber er jagte alle Mann hinauf, um zu reifen und abzutakeln, die Segel wurden eingezogen. Die Hundewache war gerade vorbei, und die Tagewache sollte einsetzen. Schiffer und Mannschaft lachten und sagten: »Nun merken wir, wer das Kommando führt. Sollen wir nicht auch die Rahen und Masten umlegen?« spotteten sie.

»Noch nicht so weit«, sagte der Jungmann, »wartet ein wenig«.

Da geschah es, daß eine Bö kam, und zwar so heftig, daß sie glaubten, sie müßten kentern, und hätten sie nicht gerafft und beschlagen, so wären sie fraglos untergegangen, als die erste Sturzsee über das Schiff schlug. Der Junge kommandierte, den ersten Klafter Birkenholz hinauszuwerfen, aber Stamm für Stamm, immer einer nach dem anderen, und niemals zwei. Und sie durften nichts vom anderen Klafter wegnehmen. Nun gehorchten sie schnell seinem Kommando, und sie lachten nicht mehr über ihn, sondern sie warfen die Birkenstämme hinaus, Baum für Baum, — als der letzte draußen war, hörten sie ein Stöhnen, als ob jemand unten liege und mit dem Tode ringe, und auf einmal war die Bö vorbei.

»Gott sei gelobt«, sagte die Mannschaft. —»Das kann ich sagen, denn ich kenne die Reederei, daß du Schiff und Ladung gerettet hast«, sagte der Schiffer.

»Ja, schon gut, aber wir sind noch nicht fertig«, sagte der Junge, »es wird bald schlimmer kommen«. Und er kommandierte, auch noch die letzten kleinen Segel einzuholen und auch die Rahen vom hohen Marssegel.

Die zweite Bö kam eher noch härter als die erste, und sie wurde so stark und gewaltig, daß die ganze Mannschaft tief erschrocken war.



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Als es am härtesten herging, sagte der Junge, daß sie den anderen Klafter Holz über Bord werfen sollten, und sie machten es. Sie warfen ihn fein Stamm für Stamm hinaus und achteten darauf, daß sie nichts vom dritten Klafter nahmen. Als der letzte Birkenstamm draußen war, hörten sie wieder ein tiefes Stöhnen, dann wurde es still. »Nun haben wir noch einen Kampf vor uns, und das wird der schlimmste werden«, sagte der Junge und kommandierte jeden Mann an seinen Posten. Und das Schiff fuhr nur mit Takel und Tau. Die letzte Bö kam ärger als die beiden vorhergehenden, das Schiff krenkte und sie glaubten es würde sich nicht mehr erheben können, und die See brauste über Deck und Schanze. Aber der Junge befahl ihnen, den letzten Klafter Holz hinauszuwerfen, Stamm für Stamm, und nicht zwei auf einmal. Als der letzte Birkenbaum hinausfiel, hörten sie ein tiefes Stöhnen, wie von einem, der einen schweren Tod erduldet. Und als es dann stille wurde, war die See mit Blut gefärbt, so weit sie sehen konnten.

Als alles überstanden war, erzählte der Schiffer und die beiden Steuermänner, sie wollten ihren Frauen schreiben. »Das könnt ihr gern bleiben lassen«, sagte der Junge, »denn ihr habt keine Frauen mehr«.

»Was ist das für ein Snak, du Welpe, wir hätten keine Frauen mehr?« fragte der Schiffer, »hast du ihnen vielleicht den Garaus gemacht?« fragten die Steuermänner.

»Ach nein, gegen die drei Weiber sind wir Gold«, antwortete der Junge. Und dann erzählte er, was er gehört und gesehen hatte an jenem Sonntage, als er allein das Schiff gehütet, als die Mannschaft Landurlaub und der Schiffer mit dem Waldbauern um Kleinlast verhandelt hatte.

Als sie heim kamen, hörten sie, daß ihre Frauen fort gegangen waren, genau einen Tag, bevor das Unwetter über sie kam. Und seither hat niemand je wieder etwas von ihnen gehört oder gesehen«.

Während Rasmus diese und noch andere Geschichten erzählte, begann sich der Tag gegen den Abend hin zu neigen. Das Unwetter näherte sich langsam und stieg wie ein dunkler Vorhang höher zum Himmel. Bald flammten Blitze nieder in das Wasser, bald buchteten sie sich wie horizontale Schlangen und bildeten Flammenfransen um den reichen Faltenwurf des Wolkenvorhangs. Zuweilen wurde er ganz durchsichtig wie ein Schleier von Musseline. Noch war das Unwetter fern, die Donner klangen schwach, halb rollend. So weit wir sehen konnten, nur lange blanke Wolken, aber dann war die Farbe wie Blut und Wein, ehe die Sonne in roten Sturmwolken unterging, wurden die Farben im Meeresspiegel aufgefangen. Doch es war deutlich genug, daß wir dem



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Wetter nicht entgehen würden. Die Wogen wuchsen, der Sturm trieb uns gegen das Land, und nur ab und zu kam ein Windstoß, der die Segel füllte.

Beim letzten Tageslichte sahen wir fern am Himmelsrand einen schwarzen Streifen. Als er näher kam, kriegte er einen weißen Rand von gepeitschtem Schaum davor, und Sturm und Nacht waren über uns. Wie ein Pfeil fuhr das Boot davon, und es dauerte nicht lange, daß wir bei den äußersten Klippen waren, wo Seevögel, aufgeschreckt von den hüpfenden Blitzen und dem Donnerschall, questen und schrien und in Mengen umherflatterten wie weiße Wolken. Aber die Schreie klangen heiser und schwach gegen die Brandung. Holme und Klippen nahmen wohl etwas ab durch den gewaltigen Seegang, aber weiter drin im Land, wo das ganze Meer aufprallte, wuchsen sie wieder. Und im Blitzeschein sahen wir hohe, schäumende Brecher längs der ganzen Küste, und das Dröhnen des Donners war in unseren Ohren.

Rasmus hielt scharf Ausschau in dieser Dunkelheit, die mir undurchdringlich vorkam. Ich konnte nichts anderes erkennen, als das breite, weiße Schaumband, welchem wir uns mit drohender Schnelligkeit näherten. Endlich entdeckte ich einen kleinen dunklen Punkt, auf den wir zusteuerten. Und wenige Minuten danach fuhren wir zwischen Brausen und Brandung hinein in den Schmalen Sund unterhalb Ullerhudet und landeten glücklich in dem sicheren Hafen, wo Landzungen und hohe Felsen schützten und schirmten gegen Wind und Wellen.


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