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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Die Söhne des Fischers

Es war einmal ein Mann, der war draußen und fischte, er arbeitete den ganzen Tag, setzte Schnüre und ruderte, aber er fing kein Schwänzchen. Als der Abend sich neigte und er heimwärts ruderte, bemerkte er, daß etwas anbiß, und als er die Schnur aufzog, hing ein dicker Heilbutt dran. Als er ihn über den Wasserspiegel emporzog, begann der Fisch zu reden und bat so schön, daß er ihn wieder loslassen sollte. Nein, sagte der Mann, das könne er nicht, er hätte sich den ganzen Tag gemüht und nichts gefangen, er müsse ihn als Kochfisch mit heimbringen. Da keine Aussicht mehr war, freizukommen, bat der Fisch, in acht Stücke gehackt zu werden: zwei Stücke solle er seiner Frau geben, zwei seiner Hündin, zwei seiner Stute und zwei Stücke solle er auf den Tisch legen, und die Leber und die Lunge solle er im Keller vergraben. Das tat der Mann, und als eine Zeit vergangen war, gebar die Frau zwei Knaben, die Hündin bekam zwei Welpen, die Stute zwei Fohlen, und auf dem Tisch lagen zwei Schwerter.

Die beiden Knaben wuchsen auf und wurden zwei ansehnliche Burschen, die sich so ähnlich waren, daß man sie kaum unterscheiden konnte. Da bat der eine um Erlaubnis, in die Welt hinauszuziehen und sein Glück versuchen zu dürfen. Er bekam die Erlaubnis auch, und der Vater sagte, er solle den Hund mitnehmen, der zuerst bellt, das Pferd, das zuerst wiehert und das Schwert, das sich zuerst rührt, wenn er hinkommt. So rüstete er sich aus und zog davon.

Als er lange geritten war und länger als lang, kam er zu einem weiten Sandstrände; da er ihn durchritt, traf er einen schwarz verhangenen Wagen, darin eine Prinzessin in Trauerkleidern saß. Der den Wagen fuhr, setzte sie am Strande ab und fuhr seinen Wagen weiter. Das erschien dem Jüngling verwunderlich und er ging zu der Jungfrau hin und fragte sie, warum sie hier sitzen müsse. Sie erzählte, da käme ein Troll, der nichts anderes äße als Jungfrauenfleisch, der hätte alle Jungfrauen im Lande verzehrt, sie sei die letzte, die noch übrig sei, denn sie sei des Königs Tochter, und der König hätte sie demjenigen versprochen, der sie vom Troll erlösen könne. Wisse sie denn keinen Rat, wie



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sie von dem Troll zu erlösen sei, fragte er. Nein, sie wisse keinen, antwortete sie.

»Ich will es trotzdem wagen«, sagte der Jüngling. Doch die Königstochter dankte und bat ihn, sich wieder weiter auf den Weg zu machen, es sei genug, wenn der Troll sie verschlänge, ihm solle er nicht auch das Leben nehmen. — Und schon begann es in der See zu sausen und zu brausen, und aus dem Wasser tauchte ein riesiger Troll auf.

»Sitzt du hier bei meiner Braut«, schrie der Troll.

»Das ist nicht mehr deine, als es meine Braut ist«, sagte der Jüngling.

»Da werden wir uns drum balgen«, schrie der Troll.

»Ja gut!« sagte der Jüngling, »komm, mein Roß und schlage mit deinen Hufen, komm mein Hund und beiße, komm mein Schwert und schlage zu«, sagte der Fischerssohn. Ein harter Kampf begann und es dauerte nicht lange, so mußte der Troll ins Gras beißen. Der Jüngling schnitt ihm die Zunge heraus und verwahrte sie. So verließen sie den Strand, und die Königstochter war glücklich.

Als sie sich dem Königshofe näherten, sagte sie, daß der Jüngling sitzen bleiben solle bis der König ihn abholen würde mit Pferd und Wagen, aber das wollte er gar nicht. Wenn es sein könnte, so würde er lieber bei ihr bleiben, »denn du wirst mich nur vergessen«, sagte er. »Wie könnte ich dich vergessen, dich, der du mich befreit hast aus der äußersten Not!« sagte die Königstochter, dabei nahm sie einen Ring und knüpfte ihn in sein Haar.

So mußte er zurückbleiben und sie ging voran. Aber als sie zu der großen Brücke kam, draußen vorm Königshof, begegnete ihr der Kohlenbrenner des Königs.

»Kommst du lebend zurück?«fragte er.

Ja, sie erzählte, daß ein Jüngling gekommen sei und sie vom Troll befreit habe.

»Nun mußt du zum König sagen, daß ich es war, der dich erlöst hat«, sagte der Köhler, »oder ich stoße dich von der Brücke hinunter«.

Nein, das wolle sie nicht, aber er bedrohte sie erneut bei ihrem Leben, und sie dachte, sie könne wohl später immer noch die Wahrheit sagen, wenn sie nur erst einmal nach Hause käme.

Sie hatte einen kleinen Hund, der kam ihr entgegen, und als sie den Königshof erreichte, sprang er ihr auf den Schoß und leckte sie um den Mund. Da vergaß sie den Jüngling ganz und gar. — Der König war glücklich, daß sie vom Troll erlöst war und daß er sie wieder hatte. Schlimm erschien es ihm nur, daß ausgerechnet der Kohlenbrenner sie haben sollte, aber er mußte doch die Hochzeit vorbereiten.



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Indessen saß der Jüngling da und wartete und wartete. Aber als gar niemand kam, ihn zu holen, reiste er zu einem anderen Königshof, der nicht weit davon entfernt lag. Dort wohnte des Königs Sohn, der Bruder der Prinzessin, die er erlöst hatte.

Der Jüngling fragte, was das für ein Gastmahl sei, das dort in dem anderen Königshof gegeben würde. Ach, das sei die Schwester, die Hochzeit mit dem Köhler mache, der sie von dem Seetroll befreit habe, sagte der Königssohn.

»Warum bist du dann nicht mit auf der Hochzeit«? fragte der Jüngling.

»Nein, ich verstehe mich mit meinem Vater nicht gut«, sagte er, »aber das wäre schon ein Spaß, wenn man etwas von dem Essen und Trinken bekommen könne, welches die da am Hochzeitshof haben«, sagte der Königssohn.

»Das ist nicht schwierig«, sagte der Jüngling, »mein Pferd, mein Hund und mein Schwert werden hingehen und den Silberteller und den Bierkrug nehmen, der vor der Braut steht!« Ja, die gingen zwischen den Wächtern und Dienern hindurch, gerade in den Saal hinein und nahmen Teller und Kanne. — Als der Königssohn und der Jüngling das Fleisch geschmeckt und sich satt getrunken hatten, sagte der Königssohn, daß es ein Spaß sein würde, von dem Braten und dem Wein zu kosten, welchen sie an dem Hochzeitstisch hätten.

»Das kostet mich nicht viel«, sagte der Jüngling, »mein Pferd, mein Hund und mein Schwert, geht hin und nehmt Braten und Wein, welcher auf dem Tisch vorm König steht. »Ja, sie gingen zwischen den Wächtern und Dienern hindurch, nahmen Braten und Wein und schlichen damit davon. Der König wollte wissen, wie das zuging, aber bevor er fragen konnte, waren die Tiere und das Schwert verschwunden.

Nun hatten sie gut zu leben, der Königssohn und der Jüngling, aßen Braten und tranken Wein. Doch dann meinte der Königssohn, das wäre doch ein Spaß, auch von dem Hochzeitskuchen zu kosten.

»Das macht mir ebenso wenig Mühe wie das andere«, sagte der Jüngling: »Mein Pferd, mein Hund, mein Schwert, geht hin zum Königshof und nehmt von dem Hochzeitskuchen, der vor der Königin steht«. Sie zögerten nicht, doch diesmal mußten sie um sich herum schlagen und beißen, und so wurden sie lange aufgehalten, sodaß der König herausbekam, wem Tiere und Schwert gehörten. Er sandte einen Boten zu dem Jüngling und bat ihn zur Hochzeit. Aber er wollte nicht kommen, es sei denn daß der König selbst käme, sich mit seinem



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Sohn wieder vertrüge und ihn zur Hochzeitsfeier mit Pferd und Wagen hole. Ja, da war nichts anderes zu machen, sie wurden beide vom König selbst zur Hochzeitsfeier geholt.

Der Jüngling wurde an den Tisch, gerade neben die Braut gesetzt, an seiner anderen Seite saß der Kohlenbrenner, der den riesigen Seetroll über dem Tisch aufgehangen hatte.

»Was ist das für ein riesiger Leib«, fragte der Jüngling.

»Das ist der Seetroll, den ich getötet habe, als ich die Jungfrau erlöste«, antwortete der Kohlenbrenner.

»Seltsam ist, daß solch ein großer Troll keine Zunge hat«, sagte der Jüngling, während er ihm ins Maul schaute.

»Nein, so große Trolle haben keine Zunge«, sagte der Kohlenbrenner.

»Das ist nur Geschwätz! Alles, was lebt, hat eine Zunge«, sagte der Jüngling.

»Nein doch«, sagte der Kohlenbrenner.

»Du wirst es gleich sehen«, sagte der Jüngling, nahm die abgeschnittene Zunge aus der Tasche heraus und legte sie in das Maul des Trolls. »Sitz fest«, sagte er, und so saß sie fest.

»Glaubst du nun, daß er eine Zunge hat?«fragte der Jüngling.

Da wandte sich die Königstochter ihm zu und entdeckte den Ring, der in sein Haar geknüpft war. »Er ist es, der mich erlöst hat«, sagte sie. Darüber wunderte sich der König: »Du sagtest doch, der Köhler hätte es getan«, sagte der König. Nun erzählte sie, wie alles zugegangen war, daß der Köhler sie von der Brücke stürzen wollte, wenn sie nicht erzählen würde, daß er es gewesen sei, der sie vom Seetroll befreit hätte. Der König wurde darüber so zornig, daß er den Köhler in den Kohlenmeiler, den er zuletzt aufgeschichtet und angezündet hatte, werfen ließ, sodaß die Lohe um ihn flammte. —Nun wurde erst richtig Hochzeit gehalten und der König war so glücklich, daß er trank bis er tanzte.

Am Abend als das Brautpaar in die Brautkammer ging, sah der Jüngling ein Licht ganz in der Ferne brennen, er fragte, was das sei. »Ach, da wohnt ein altes Trollweib«, sagte die Königstochter, »die Mutter des Seetrolls, den du erschlagen hast«. Als der Jüngling das hörte, wollte er hinaus und zwar sofort. Sie bat ihn, er solle nicht hingehen, aber da war nichts zu machen, er sollte und er mußte dort hin.

Als er die Hütte des Trollweibes betrat, bat er um ein Nachtlager. »Und wo soll mein Roß bleiben und mein Hund und mein Schwert?« fragte er weiter.



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»Nimm drei Haare vom Kopf und binde sie damit!« sagte das Trollweib. Ja, das tat er, aber da wurden sie alle zusammen zu Stein und er mit ihnen.

Die Königstochter wartete in sieben Längen und sieben Breiten, aber so lang sie auch wartete, so kam doch kein Bräutigam zurück. Und so war wieder große Trauer am Königshofe. —

Als sie so lange von dem Jüngling nichts gehört hatten, dünkte es dem Fischer, seinem Vater, er müsse einmal nachsehen, was mit ihm los sei. Er ging hinunter in den Keller, wo er die Leber des Fisches vergraben hatte. Da sah er sie ganz mit Blut angefüllt. — Als er wieder heraufkam, sagte er zu seinem anderen Sohn: »Nun mußt du dich auf den Weg machen, dein Bruder ist in Lebensgefahr«. Also nahm er das andere Pferd, den anderen Hund und das andere Schwert und zog von dannen. Als er ein tüchtiges Stück geritten war, kam auch er zu dem weiten Sandstrand, wo sein Bruder den Seetroll bekämpft hatte. Dort begegnete ihm ein alter Mann, den fragte er, was das für Höfe seien, die dort in der Ferne lägen und weshalb sie mit Schwarz verhangen seien.

»Ja, er könne ihm die ganze Geschichte erzählen von der Königstochter, die von einem Jüngling befreit worden sei, und von der Hochzeit und von dem Kohlenbrenner, und daß der Jüngling die Königstochter verließ vor der Brautnacht - und seitdem hätte niemand ihn wiedergesehen. Der Jüngling verstand sofort, das müsse sein Bruder sein, von dem er erzählte, und so ging er hinauf zum Königshof. Dort sah er es mit seinen eigenen Augen, daß er seinem Bruder sehr ähnelte, denn beide, der König und die Königstochter glaubten, der rechte Bräutigam sei zurückgekommen. Darüber freuten sie sich so gewaltig, daß man es gar nicht beschreiben kann. Am Abend, als er in die Brautkammer kam, fragte er, was das dort für ein Licht sei.

»Erinnerst du dich nicht mehr, was das für ein Licht ist«, sagte die Königstochter, »nach diesem Licht zogst du aus, seit wir das letzte Mal in dieser Kammer waren«. —»Ja - so«, sagte der Jüngling und er müsse noch einmal dorthin, so viel sie auch weinte und bat, er wollte und mußte fort, das stand außer Frage.

In der Hütte des Trollweibes angekommen, bat er um ein Nachtlager. »Und wo soll mein Roß bleiben und mein Hund und mein Schwert?«fragte er. Sie sagte zu ihm, genau wie damals zu seinem Bruder, daß er drei Haare vom Kopf nehmen solle und sie damit binden. »Nein, das tue ich nicht«, sagte der Jüngling, »gib mir erst meinen Bruder wieder und sein Roß und seinen Hund und sein Schwert!«



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Davon wisse sie nichts, sagte sie. Aber da rief der Jüngling: »Mein Roß, mein Hund und mein Schwert, tritt, beiß und schlag!« Daraufhin mußte sie sich ergeben. Sie nahm eine Flasche von der Wand und tropfte daraus auf vier Steine, die vor der Hütte lagen. So wurden sie alle vier lebendig.

Das erste, wozu sie das Leben gebrauchten, war, das Trollweib zu erschlagen. Danach nahmen sie die Flasche und schütteten sie über dem Steinhaufen aus, der vor der Hütte lag. Dadurch belebten sich alle Steine wieder und wurden zu Menschen und Tieren und freuten sich über die Erlösung.

Alle zusammen reisten sie zurück zum Königshof. Dort feierten sie Hochzeit, so lange und prächtig, daß man in sieben Königreichen davon erzählte, denn der rechte Bräutigam war gekommen.


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