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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Die Waschfrau

In den Tagen, da unser Herr über die Erde wanderte, kam er einmal zu einer Frau, die an einem Bache stand und Leinenkleider wusch und schrubbte.

»Stehst du hier und wäschst Leinenzeug?« fragte er. »Ja, ich sollte einige Lumpen von den Kindern waschen« antwortete die Frau.

»O, ist es das, was du wäschst - nennst du es Lumpen, da?«fragte er.

»Ja ,gewiß tue ich das, ich weiß keinen anderen Namen dafür, antwortete sie wieder.

»Mir scheint es doch das feinste und heilste Leinenzeug zu sein, was du da wäschst«, sagte unser Herr, und dasselbe meinte St. Peter, der ihn begleitete.

»Nein, Lumpen sind es, die reinsten Lumpen allezusammen«, rief die Frau und war ärgerlich. »Es ist eine hoffnungslose Arbeit, diese Rabenjungen einzukleiden, mußt du wissen«, sagte sie.

»Sagst du Rabenjunge?«fragte unser Herr.

»Ich ließ die Worte wohl fallen, die wahr sind, wie ich weiß. —Ja, richtige Rabenjungen, jeder einzelne von diesem Gewürm, denn im-



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mer sind sie oben und unten, springen über Tisch und Bänke, und schreien und lärmen so lange der Tag währt. Sie reißen die Kleider von sich ab, haben immer leere Mägen und sind hungrig wie die Schweine in der Frühjahrsknappheit«, sagte die Frau und schrubbte und spühlte bis der Schweiß ihr wie ein Wasserfall herunterlief.

»Du hast vielleicht viele Kinder? «fragte Unser Herr freundlich und fein, denn er wußte nicht, ob er sich getrauen sollte, mit einer zu plaudern, die so garstig war.

»Ja, so viele, daß die Hälfte auch noch genug wäre, und mehr als das«, entgegegnete die Frau wieder, mußt du wissen.

»Wie viele hast du da?«

»Ich habe sechs«, sagte sie, denn sie schämte sich, die Wahrheit zu sagen, daß sie zwölf hatte.

»Die, um die du mich betrogen hast, die sollen für dich verhüllt sein, und wie du es haben willst, kannst du es bekommen«, antwortete Unser Herr, bot ein »Lebwohl« und ging.

Als sie nach Haus kam und die Leinenkleider aufzuhängen begann, waren sie zu reinen Fetzen und Lumpen geworden, alle zusammen. Da gab es nicht ein Stück, das noch so heil war, daß es zum Flicken dienen konnte. Die Hemden der Kinder waren nun so zerschlissen, daß sie Sonne und Mond hindurchscheinen sah, ja sogar einen weißen Bock, der draußen auf der Brücke stand. Schöne Leinenkleider hatte sie nun! Als sie heimkam, war jedes zweite Kind fort, sie waren nicht zu finden, wo immer sie suchte, fand sie nicht eine einzige Spur von ihnen. Aber die sechs, die ihr geblieben waren, die waren so zerlumpt, daß sie voreinander erschraken und sich versteckten. Aber sonst waren sie genauso frisch und munter wie vorher.

Da wurde sie so überglücklich, daß sie weinte und schluchzte, lachte, sang und umeinandertanzte. Sie tollte mit den Kindern mehr denn je, daß die Kinder ihre Mutter kaum wieder erkannten.

Aber an jedem Jahrestage, an dem sie mit Unserem Herrn gesprochen hatte, am Bache, versteckten sie sich in die dunkelsten Ecken: Essen wollten sie nicht haben, kein Wort sprachen sie und nichts wußten sie mit sich anzufangen. Sie lagen nur teilnahmslos, gähnten und glotzten, schlimmer als Wechselbälge, oder Trolljunge. Da wurde ihr so herzensbange, daß sie für immer so bleiben könnten, daß sie ihnen gelobte, sie nie auszuschimpfen, sondern immer freundlich zu sein und lieb und nachgiebig, wenn sie etwas Böses oder Unrichtiges getan hatten. Am Tage darauf waren sie deshalb wieder ebenso lebendig, eßlustig und rotwangig wie vorher.



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Seitdem war ich nicht mehr bei ihnen, aber ich habe es gehört, es sei gewiß, daß tüchtige und fleißige Leute aus ihnen allen geworden sind.


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