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Das blaue Band


Norwegische Märchen Band II

Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Das blaue Band

Es war einmal eine arme Frau, die hatte rings auf den Bauernhöfen gebettelt. Sie hatte einen kleinen Jungen bei sich. Als sie nun den Sack voll bekommen hatten, trotteten sie nordwärts über die Bergrücken und wollten wieder heim zu ihrer Hütte.

Als sie ein Stück aufwärts gekommen war am Bergabhang, sah sie plötzlich ein kleines blaues Hosenband, das lag im Saumpfad. Der Junge bat um die Erlaubnis, es an sich nehmen zu dürfen. »Nein«, sagte die Mutter, »da kann eine Teufele dabei sein«, und sie drohte dem Jungen, ihr zu folgen.

Als sie noch etwas weiter aufwärts gekommen waren, sagte der Junge, er müsse ein Stück abseits vom Wege gehen. Inzwischen setzte sich die Alte auf eine Holzbeuge. Aber der Junge blieb lange fort, denn als er so weit in den Wald gekommen war, daß ihn die Mutter nicht mehr sehen konnte, sprang er hinab, dorthin, wo das blaue Band lag, nahm es und knüpfte es sich um den Leib. Da wurde er so stark, daß ihm schien, er könne den ganzen Bergrücken aufheben.

Als er wieder kam, war die alte Frau ärgerlich und fragte, was er so lange gemacht hätte: »Du vertrödelst aber die Zeit, wo es doch auf den Abend zu geht«, sagte sie ,»du weißt, wir müssen über den Bergrücken, ehe es dunkelt!«

So gingen sie eine Weile. Aber als sie die Hälfte des Weges über den Bergrücken zurückgelegt hatten, oder mehr noch, wurde die Alte müde und wollte sich unter einen Busch legen.

»Meine liebe Mutter«, sagte der Junge, »erlaube mir, während du dich hier ausruhst, auf diesen hohen Berg zu steigen, um zu sehen, ob hier irgendwo Menschen wohnen«. Das erlaubte sie ihm. Und als er auf die Höhe kam, sah er nördlich ein Licht. Der Junge sprang wieder zurück und sagte zu der Alten: »Wir wollen uns aufmachen und weiter gehen, es ist nicht mehr weit bis wir zu Menschen kommen, ich sah es leuchten, ganz hell, etwas nördlich von hier«. Sie erhob sich, nahm den Bettelsack und wollte mit, es zu sehen. Aber sie waren noch nicht lange gegangen, so kamen sie zu einem Querberg.

»Ich glaube«, sagte die Alte, »wir kommen hier nicht weiter, es ist wohl besser, sich hier niederzulegen«. Aber der Junge nahm den Sack



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unter den einen Arm und die Alte unter den anderen und ging damit aufwärts. »Nun siehst du, daß es nicht mehr weit zu irgend welchen Menschen ist. Siehst du, wie prächtig es leuchtet«, sagte der Junge.

Aber die Alte sagte, das seien keine Menschen, das müsse ein Bergtroll sein, denn sie sei bekannt im ganzen Bärenwald, und sie wisse, daß da niemand wohne, bevor man auf die andere Seite kommt, nördlich unterhalb des Bergrückens.

Als sie ein kleines Stück weitergegangen waren, kamen sie zu einem rotgemalten Bauerhof. »Hier getraue ich mich nicht hineinzugehen«, sagte die Alte, »hier wohnt ein Bergtroll«.

»Aber ja, wir gehen hinein, wir sehen ja das Licht, da wohnen gewiß Menschen drin«, sagte der Junge und ging zuerst hinein und die Alte ihm nach. Aber als sie die Tür öffneten, wurde ihr schwach vor Grauen, denn sie sah einen großen, mächtigen Mann auf einem Schemel sitzen.

»Guten abend, Großvater!« sagte der Junge.

»Nun sitze ich hier schon hundert Jahr, aber da ist noch niemand gekommen, der mich mit Großvater begrüßt hätte«, sagte der Mann auf dem Schemel. Der Junge setzte sich dem Mann an die Seite und begann mit ihm zu reden, als ob sie alte Bekannte wären.

»Aber wie geht es deiner Mutter«, sagte der Mann, als sie eine Weile geplaudert hatten, »ich glaube, ihr wurde schwindelig, du mußt nach ihr sehen«. Der Junge ging hin, nahm die Alte und zog sie über die Schwelle. Sie ermunterte sich und krabbelte in den Holzwinkel. Aber sie hatte solche Angst, daß sie sich nicht getraute, im Raum umzusehen.

Nach einer Weile fragte der Junge, ob sie nicht hier ein Nachtquartier bekommen könnten. Ja, das könnten sie haben, sagte der Mann, und sie sprachen noch eine Weile miteinander. Aber dann wurde der Junge doch hungrig und er fragte, ob sie nicht auch etwas zum Abendessen bekommen könnten. Ja, da würde er schon Rat schaffen, meinte der Mann.

Als sie eine Weile gesessen hatten, stand der Mann auf und legte ein Fuder trockenes Tannenholz aufs Feuer. Die Frau bekam immer mehr Angst.

»Jetzt will er uns auch noch verbrennen«, sagte sie aus dem Winkel heraus, in dem sie saß. Als das Tannenholz niedergebrannt war zu Glut, stand der Mann auf und ging hinaus.

»Gott schütze mich vor dir, du bist so waghalsig! Siehst du nicht, daß du bei einem Troll bist?«fragte die Alte.



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»Ach was, das ist nicht so gefährlich«, sagte der Knabe. Wenig später kam der Mann herein mit einem Ochsen, so groß und dick, wie der Junge noch niemals einen gesehen hatte, und traf den Ochsen mit der geballten Faust unters Ohr, sodaß er tot auf dem Fußboden zusammenstürzte. Als er das getan hatte, nahm er ihn bei allen vier Beinen, legte ihn auf den Gluthaufen und drehte und wendete ihn, bis er ihn außen braun geschmort hatte. Dann ging er zu einem Schrank, nahm eine Silberschüssel heraus und legte den Ochsen darauf, und die war so groß, daß er nicht darüber hinausragte, auf keiner Seite. Das setzte er auf den Tisch und ging hinunter in den Keller, nahm ein hölzernes Weinfaß, schlug den Deckel ab, setzte das auf den Tisch und legte zwei Messer dazu, die waren drei Ellen lang. Als er das getan hatte, bat er sie, zum Tisch hinauszugehen und sich zum Essen zu setzen. Der Junge ging zuerst und bat die Alte, nachzukommen. Sie gehorchte und wunderte sich, wie sie wohl diese Messer handhaben sollte. Aber der Junge ergriff das eine und begann Stücke vom Schenkel des Ochsen herauszuschneiden, die er seiner Mutter dann vorlegte. Als sie eine Weile gegessen hatten, nahm er das Weinfaß zwischen seine Hände und setzte es auf den Fußboden. Dann bat er die Mutter, sie solle kommen und trinken. Das war aber so hoch, daß sie nicht hinauf langte, aber der Junge hob sie hinauf zum Rand und hielt sie so lang sie trank. Er selbst aber kletterte hinauf und hing am Rand wie eine Katze während er trank. Als er sich auch satt getrunken hatte, nahm er das Faß und setzte es auf den Tisch zurück, dankte für das Essen und bat die Mutter, daß sie mitkommen sollte und sich auch bedanken, und so groß ihre Angst auch war, so konnte sie doch nicht anders, ging hin und dankte dem Mann für das Essen.

Der Junge setzte sich wieder dem Mann auf dem Schemel zur Seite und begann wieder mit ihm zu plaudern. Als sie eine Weile gesessen hatten, sagte der Mann: »Nun muß ich wohl aufstehen und mich auch ein wenig sättigen zum abend«. Und dann ging er zum Tisch und aß den ganzen Ochsen auf mit Hörnern und Knochen, nahm das Weinfaß und trank es leer und setzte sich wieder auf den Schemel.

»Ich weiß nicht wie es mit dem Nachtlager werden soll«, sagte er, »ich habe nichts anderes hier als nur eine Wiege, es könnte sein, daß du reinpaßt, so könnte deine Mutter drüben im Bett schlafen.«

»Ja, danke, das ist gut genug«, sagte der Junge, tat seine Kleidung ab und kroch hinein in die Wiege -sie war so groß wie ein rechtes Bett — und die Alte mußte dem Mann folgen und sich ins Bett legen, so ängstlich sie auch war.



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»Noch lohnt es sich nicht, hier zu schlafen, ich werde noch etwas wach bleiben und hören, was geschieht, wenn es mehr auf die Nacht zu geht«, dachte der Junge. Als eine Weile vergangen war, begann der Mann mit der Alten zu reden.

»Hier könnten wir so gut und gemütlich leben, wenn wir nur deinen Sohn los wären«, sagte der Mann.

»Was könnte man mit ihm machen, was meinst du«, fragte die Alte. Er soll zunächst leben bleiben, sagte er, aber er solle es zulassen, daß ihm die Alte einige Tage die Wirtschaft führe, dann würde er mit dem Jungen in die Berge gehen, um Steine zu brechen für die Grundmauern. Dabei würde er einen Stein auf ihn wälzen.

Das hörte der Junge und sah sich vor.

Am nächsten Tage fragte der Troll - denn ein Troll war das, das war klar - ob die alte Frau ihm einige Tage den Haushalt besorgen wolle. Und als es Tag wurde nahm der Troll eine große Eisenstange und fragte den Jungen, ob er mit in die Berge wolle und Grundmauer-Steine brechen helfe.

Als sie einige Steine gebrochen hatten, wollte der Troll, daß der Knabe hinuntergehen und nachsuchen sollte nach Sprüngen und Ritzen im Fels. Während der Knabe das tat, brach und stemmte der Troll, mit der Eisenstange bis er einen ganzen Felsen losgebrochen hatte, welcher sich auf den Knaben niederwälzte. Aber er stemmte sich dagegen, sprang beiseite und ließ so den Fels an sich vorbeirollen.

»Jetzt weiß ich, wie du es mit mir meinst«, sagte der Junge zum Troll, »du willst mich zu Tode schlagen. Aber nun geh du hinunter und sieh nach so werde ich oben stehen«.

Der Troll traute sich nicht, anders zu handeln als der Knabe sagte. Und der Knabe brach einen dicken Felsbrocken los, der sich über den Troll wälzte und ihm den einen Schenkelknochen brach.

»Ach, du armer«, sagte der Knabe, stieg hinunter, hob den Fels hoch und zog den Troll drunter vor, dann nahm er ihn auf den Rücken und trug ihn heim. Er stob mit ihm davon wie ein Pferd und schüttelte ihn, sodaß er schrie als ob ein Messer in ihm säße. Als sie heim kamen, mußte sich der Troll ins Bett legen, da blieb er liegen und war elend dran.

Als es wieder Nacht wurde, begann der Troll mit der Frau zu reden, er wüßte nicht, wie er den Jungen los werden sollte.

»Wenn du es nicht weißt, wie wir ihn los werden, wie soll ich es wissen«, sagte die Frau.

»Ja, ich habe zwölf Löwen in einem Garten«, sagte der Troll, »wenn



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ich nur den Jungen hinschicken könnte, so würden sie ihn in Stücke reißen.«

»Ja, meinte die Frau, damit hätte es keine Not, sie würde sich krank stellen und sagen, sie sei so elend, daß sie nicht wieder gesund werden könne, es sei denn, sie bekäme Löwenmilch.

Das erlauschte der Knabe und sah sich vor.

Als er am Morgen aufgestanden war, sagte die Alte, daß sie elender sei als man glauben möchte, und bekäme sie keine Löwenmilch, so würde sie nie wieder gesund werden.

»Da wirst du noch lange so elend bleiben müssen, Mutter«, sagte der Knabe, »denn ich weiß nicht, wo ich die hernehmen soll.«

Da meinte der Troll, das sei halb so schlimm mit der Löwenmilch, es brauche sie nur einer holen. Seine Brüder hätten einen Garten, darin seien zwölf Löwen. Und den Schlüssel könne er bekommen, wenn er sich getraue, sie zu melken.

Ja gut, der Junge nahm den Schlüssel und den Melkeimer und trollte sich. Als er aufgeschlossen hatte und in den Garten kam, standen sie ihm alle zwölf gegenüber. Der Knabe wählte den größten aus, hielt ihn bei den Vorderpfoten und schlug ihn kreuz und quer, daß nichts zurückblieb als die Tatzen. Als die anderen Löwen das sahen, hatten sie solche Furcht, daß sie sich kriechend ihm zu Füßen legten wie sanfte Hunde. Seit dem folgten sie ihm wo er ging und stand. Und als er heim kam, legten sie sich draußen hin mit den Vordertatzen auf der Türschwelle.

»Nun wirst du wieder gesund, Mutter, denn hier ist Löwenmilch«, sagte der Junge, als er hereinkam - er hatte einen Spritzer in den Eimer gemolken. Aber der Troll lag drüben im Bett und schwor, das könne nicht wahr sein, da müsse schon ein anderer Kerl kommen, um Löwenmilch zu melken, sagte er. Als der Junge das hörte, trieb er den Troll aus dem Bett und riß die Tür auf. Die Löwen stürzten sich auf den Troll und packten ihn, sodaß der Junge dazwischen treten mußte und sie trennen.

Als die Nacht kam, begann der Troll wieder mit der Alten zu sprechen: »Ich weiß nicht, wie wir dem Jungen das Leben nehmen sollen«, sagte der Troll, »er ist allzustark. Weißt du keinen Rat?« »Nein, wenn du keinen Rat weißt, weiß ich auch keinen«, sagte die Alte.

»Ja, ich habe zwei Brüder auf einen Herrenschloß«, sagte der Troll, »die sind zwölf mal stärker als ich, und deshalb wurde ich ausgestoßen und bekam den Hof hier. Die bewohnen das Schloß. Und da ist ein



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Obstgarten mit Apfelbäumen drin, so beschaffen, daß derjenige, welcher von den Äpfeln ist, drei Tage lang schläft. Wenn wir ihn dazu bringen könnten, die Apfel zu essen - er wird sich nicht beherrschen können, er wird die Apfel kosten - und wenn er erst einmal schläft, so reißen meine Brüder ihn in Stücke.«

Die Alte sagte, sie wolle sich krank stellen und sagen, daß sie nicht gesund werden könne, wenn sie nicht solche Apfel bekäme, so wird er sich zu den Apfelbäumen aufmachen.

Das erlauschte der Knabe und sah sich vor. Am Morgen sagte die Alte, sie sei so erbärmlich und elend, daß sie nicht wieder gesund werden könne, es sei denn, sie bekäme Apfel aus dem Garten, der beim Schloß der Trollbrüder lag. Aber sie hätte niemanden, den sie hinsenden könne. —Ja gut, der Junge wollte gehen, und die zwölf Löwen folgten ihm.

Als er zu dem Garten kam, kroch er in den Apfelbaum und aß so viele Apfel, wie er nur erreichen konnte. Und er war kaum herabgestiegen, so schlief er auch schon. Die Löwen legten sich um ihn herum. Am dritten Tage kamen die Brüder des Trolls, aber sie kamen nicht wie gewöhnliche Leute, sie kamen brüllend wie rossige Stuten und staunten, was das für einer war, der sich da einfach hingelegt hatte und schlief. Und sie sagten, sie würden ihn zerpflücken in lauter kleine Körner, daß auch nicht ein Fetzen an ihm heil bleiben würde. Aber die Löwen fuhren auf und rissen die Trolle in lauter kleine Stücke, sodaß es aussah, als hätten sie einen Abfallhaufen umgewälzt. Und als sie damit fertig waren, legten sie sich wieder rund um den Knaben. — Er erwachte nicht eher als am späten Nachmittage, und als er sich auf die Knie aufrichtete, und sich den Schlaf aus den Augen wischte, wunderte er sich, was geschehen war, als er die Reste des Kampfes sah.

Aber als der Junge zum Schloß kam, war eine Jungfrau dort, die gesehen hatte, wie es zugegangen war, und sie sagte: »Du kannst Gott danken, daß du bei diesem Kampf nicht dabei warst, sonst hättest du dein Leben verloren.« — »Was meinst du, ich verlöre das Leben?« sagte der Junge, damit hätte es keine Gefahr, meinte er. Da bat sie ihn, er solle hereinkommen, daß sie mit ihm sprechen könne, sie hätte keinen Christenmenschen gesehen seit sie hier sei.

Als sie die Tür aufschloß, wollten die Löwen auch mit herein, aber sie hatte solche Angst, daß sie schrie. So ließ der Knabe die Löwen sich draußen niederlegen.

Sie plauderten über dies und jenes, und der Junge fragte, wie das zugegangen sei, daß sie bei den häßlichen Trollen weile, sie, die doch



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so schön sei. Sie wolle gar nicht bei ihnen sein, sagte sie, sie sei nicht freiwillig hier und sei geraubt worden, sie sei die Tochter des Königs von Arabien. Als sie so saßen und schwatzten, fragte sie, was er lieber wolle, heimreisen oder sie besitzen. Ja, Kreuz noch mal, er wolle sie haben. — So gingen sie also im Schlosse umher und sahen sich um, und so kamen sie in einen großen Saal. Da hingen zwei riesengroße Schwerter der Trolle, ganz hoch oben an der Wand.

»Bist du wahrhaftig so stark genug, eins von diesen zu gebrauchen?« fragte die Königstochter.

»Wer? Ich?« sagte der Junge, »sollte ich nicht eins von diesen handhaben können? Das ist eine Kleinigkeit!« sagte er und setzte zwei, drei Schemel übereinander, sprang hinauf und nahm das größte Schwert, warf es in die Luft, fing es mit einem Handgriff wieder auf und stieß es in den Fußboden, sodaß der ganze Saal erzitterte. Als sie dies erlebt hatte, nahm er das Schwert und trug es.

Als sie eine Zeit lang im Schloß zusammen gelebt hatten, da schien es der Königstochter an der Zeit zu sein, heimzureisen zu ihren Eltern und ihnen zu erzählen, wo sie geblieben war. Sie belud ein Schiff und reiste davon.

Als sie abgefahren war und der Junge nun so allein eine Weile umhergeschlendert war, erinnerte er sich seiner Aufgabe, daß er wegen der Heilung seiner Mutter hierher gekommen war. Aber dann dachte er, kränker sei sie wohl nicht geworden, sie sei sicher wieder gesund inzwischen; dennoch wollte er hingehen und sehen wie es ihr ginge.

Der Troll war gesund und die Alte war auch längst wieder frisch. »Ihr armen, die ihr in dieser alten, baufälligen Hütte sitzt«, sagte der Junge, »kommt mit auf mein Schloß, so könnt ihr sehen, was ich für ein Kerl bin«.

Ja, sie kamen mit, der Troll und die Alte, und unterwegs plauderte

sie schön mit ihm und fragte, woher er denn so stark sei.

»Das kommt von dem blauen Band, welches auf dem Hügelrücken lag, in der Zeit, als wir noch draußen auf den Bauernhöfen betteln gingen«, sagte der Junge.

»Hast du das noch bei dir?« fragte die Alte.

Ja, er hätte es noch bei sich, er trüge es unter seinem Hosenbund, sagte er. Da bat die Alte, ob sie es sehen dürfe. Ja ,der Junge riß seine Jacke auf und das Brusttuch und wollte es ihr zeigen. Da griff sie mit beiden Händen danach, riß es ihm ab und schlang es um ihre Faust:

»Was soll ich mit dir machen, solch ein Flegel, der du bist!« sagte sie »ich sollte dich schlagen, daß dein Hirn nur so Spritzen würde!«



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»Das wäre ein allzuleichter Tod für solch einen Raben«, sagte der Troll, »wir werden ihm die Augen ausbrennen und ihn in ein kleines Boot aussetzen ins Meer«.

Das machten sie auch, wie sehr er sich auch wehrte und gebärdete. Aber als das Boot davon trieb, schwammen die Löwen hinterher, und schließlich nahmen sie es und zogen es zu einer Insel und setzten den Jungen darauf unter eine Föhre. Sie fingen Wild für ihn und Vögel, rupften sie und machten ein richtiges Daunenbett für ihn. Aber er mußte alles roh essen und war blind.

Eines Tages jagte der größte Löwe einen Hasen, der war blind. Es geschah aber, daß er über Stock und Stein lief, und schließlich rannte er gegen einen Kiefernholzstoß, sodaß er einen Haken schlagen mußte hinter dem Hügel und weiter runter in einen kleinen Teich stürzte. Aber als er wieder aus dem Wasser auftauchte, fand er den Weg wieder ganz gut, sodaß er sein Leben retten konnte. »Na, na,« dachte der Löwe, zog den Jungen zu dem Teich und tauchte ihn unter. Als er sein Augenlicht wieder erlangt hatte, ging der Junge hinunter zum Meer und bedeutete den Löwen, daß sie sich nebeneinander legen sollten wie ein Floß, und er stellte sich auf ihre Rücken, während sie zu seinem Land und Schloß schwammen mit ihm.

Da er gut gelandet war, ging er hinauf zu einem Birkenhügel, dort ließ er die Löwen sich niederlegen. Dann schlich er sich vorwärts bis zum Schloß wie ein Dieb, um zu sehen, ob er nicht sein blaues Band wieder kriegen könne. Als er zur Tür kam, guckte er durchs Schlüsselloch und sah: das Band hing über einer Tür in der Küche. Also schlich er über den Fußboden hinein, denn es war niemand darinnen. Aber als er das Band bei sich verwahrt hatte, zog er es vor, mit den Fersen zu klappern und mit den Beinen zu stampfen so wie der Herr im Haus. —Mit einem Mal kam die Alte fauchend herein: »Lieber Freund, mein armer Junge, laß mich das Band behalten!« sagte sie.

»Nein danke, nun sollst du die Strafe bekommen, die du mir geben wolltest«, sagte der Junge, und das vollzog er auch sofort. Als der Troll das hörte, kam er herein und bat so schön, daß er ihm das Leben schenken solle.

»Ja, du sollst leben, aber du sollst dieselbe Strafe bekommen, die du mir bestimmt hast«, sagte der Junge. Und so brannte er ihm die Augen aus und setzte ihn aus in ein Boot ins offene Meer, — — —aber er hatte keine Löwen, die ihm folgten.

Nun war der Junge allein, und er ging hin und her und sehnte sich nach der Königstochter. Schließlich konnte er es nicht länger mehr aus-



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halten, er bekam so starkes Verlangen nach ihr, daß er reisen mußte. Er belud vier Schiffe und wollte nach Arabien segeln. Eine Weile hatten sie guten und willfährigen Wind, aber dann blieben sie ohne Wind liegen bei einem Bergrücken. Die Schiffsbesatzung ging an Land und schwärmte umher zum Zeitvertreib. Dabei fanden sie ein großes, dickes Ei, beinah wie ein kleines Haus, so groß. Sie lachten darüber und schlugen und klopften mit großen Steinen dagegen, aber niemand war imstande, es zu zerschlagen.

Der Junge kam auch mit seinem Schwert und wollte sehen, was da für ein toller Rumor sei, und als er das Ei zu sehen bekam, meinte er, das wäre doch keine große Sache, es in Stücke zu schlagen, hieb mit dem Schwerte zu, sodaß das Ei sich spaltete. Da kam ein Jungvogel heraus so groß wie ein Elefant.

»Jetzt haben wir gewiß etwas Dummes angerichtet«, sagte der Junge, »das kann uns das Leben kosten«. Und dann fragte er die Schiffsleute, ob sie sich zutrauen würden, nach Arabien zu segeln in vierundzwanzig Stunden, wenn sie guten Wind bekämen.

Ja, das könnten sie versprechen, meinten sie. Sie bekamen guten Wind und segelten davon und waren im Lande Arabien in dreiundzwanzig Stunden. Sofort befahl der Junge dem Schiffsvolk hinaufzugehen und sich einzugraben in einen Sandhügel, daß sie gerade das Schiff noch sehen konnten. Der Schiffer und der Junge gingen hinauf auf einen hohen Berg und setzten sich unter eine Föhre. Eine Weile danach kam der große Vogel mit dem Bergrücken in den Klauen und ließ ihn über der Flotte fallen, sodaß die Schiffe sanken. Als er dies getan hatten, flog er zum Sandhügel und schlug mit den Flügeln, sodaß sie beinah die Köpfe abgeschlagen bekamen. Dann gings hinauf zur Föhre, so schnell, daß es den Jungen im Kreis schleuderte. Aber der Junge hatte sein Schwert bereit und schlug gegen den Vogel, sodaß er tot herabstürzte.

Nun ging der Junge zur Stadt. Da war große Freude gewesen, daß der König seine Tochter wiederbekommen hatte. Aber nun versteckte er sie selbst und versprach, daß derjenige, der sie finden könne, sie haben solle, obgleich sie schon vorher verlobt war. —

Wie das so geht, der Junge traf einen, der weiße Bärenhäute verkaufte. Eins von den weißen Bärenfellen kaufte er und zog es sich über. Der eine Schiffer mußte eine Eisenkette nehmen und ihn führen, und so zog er in der Stadt umher und machte Kunststücke. Schließlich erzählte man es dem Könige, daß noch niemals ein so köstliches Spiel gesehen wurde, der weiße Bär tanze auf alle Arten, je nachdem wie



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man es ihm befehle. Da kam die Einladung, daß er zum König kommen sollte und seine Künste zeigen, denn der König wolle das sehen.

Als er hereinkam, hatten sie allesamt Angst, denn sie hatten noch nie solch ein Tier gesehen. Aber der Schiffer sagte, das sei nicht gefährlich, außer, wenn man über ihn lache, das dürften sie nicht, sonst würde er denjenigen totschlagen. Als der König das hörte, ermahnte er alle Hofleute, daß ja keiner über den weißen Bären lache. Als es später wurde, kam des Königs Dienstmagd herein, begann sich zu brüsten und lachte. Da stürzte der weiße Bär auf sie zu und schlug sie in Fetzen. Das Hofvolk war außer sich und der Schiffer am allermeisten. »Ach was«, sagte der König, »das hat er ja nur einer Dienstmagd angetan, das bleibt meine Sache und nicht die eure«. Als das Spiel schloß, war es spät am Abend. »Es lohnt sich nicht, daß du mit ihm nach Hause gehst, denn es ist schon spät«, sagte der König zum Schiffer »ihr dürft beide hier übernachten«.

»Vielleicht kann der Bär hinterm Ofen liegen«, sagte der Schiffer.

»Nein, er soll Daunen und Kissen haben, um darauf zu liegen«, sagte der König und fand draußen einen richtigen Steinhaufen für ihn. Der Schiffer durfte abseits in einer Kammer schlafen.

Um Mitternacht kam der König mit Laterne und einen großen Schlüsselbund und führte den weißen Bären mit sich. Er ging durch lange Galerien und verschlossene Gänge, durch Türen und Gemächer, treppauf, treppab, zuletzt kam er bei einer Brücke heraus, die nur zum offenen Meer hinaus ging. Dann begann der König zu rütteln und zu schütteln an den Stöcken und Nägeln und zog den einen auf, den anderen nieder, bis ein kleines Haus aus dem Meer auftauchte. Darin hatte er seine Tochter, denn er liebte sie so sehr, daß er sie so versteckt hielt, damit niemand sie finden sollte. Er setzte den weißen Bären wieder vor die Tür, während er hineinging und ihr vom Bären, seinem Tanzen und seinen Kunststücken erzählte. Sie sagte, sie hätte Angst und sie getraue sich nicht, ihn zu sehen. Aber der König überredete sie, es sei keine Gefahr dabei, wenn sie nur nicht lache. So ließ er den Bären herein und er tanzte und machte Künste.

Aber dann geschah es, daß die Dienstmagd der Prinzessin zu lachen begann. Sogleich stürzte sich der Bär auf sie und schlug sie in Stücke. Die Prinzessin jammerte und war außer sich. »Ach was«, sagte der König, »es ist ja nur eine Dienstmagd, und eine ebenso gute Dienstmagd kann ich dir wieder beschaffen. —Aber nun ist es das beste, daß der Bär hier bleibt«, sagte er, »denn ich reiße mich nicht darum, jetzt zur Nachtzeit noch einmal durch alle Gänge, Treppen und Galerien



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zu rennen«. —Nein, da getraue sie sich nicht, hierzubleiben, sagte die Prinzessin. Aber der Bär ringelte sich schon zusammen und legte sich hinter den Ofen. Und schließlich legte sich die Prinzessin doch nieder, ließ aber das Licht brennen. Doch kaum daß der König fort und es still geworden war, kam der Bär hervor und bat die Prinzessin, den Haken am Halsband zu lösen. Die Prinzessin hatte solche Angst, daß sie einer Ohnmacht nahe war, dennoch zupfte und suchte sie bis sie den Haken fand, und kaum hatte sie ihn gelöst, da riß er sich auch schon den weißen Bärenfellkopf ab. Da erkannte sie ihn und wurde so froh, daß es nicht zu beschreiben war. Und sie wollte sogleich sagen, daß er es gewesen sei, der sie von den Trollen befreit habe. Aber das wollte er nicht. Er wolle sie sich noch einmal verdienen, sagte er.

Als sie den König mit den Schlüsseln klappern hörten am Morgen, zog sich der Junge das Bärenfell wieder über und legte sich hinter den Ofen. »Nun, hat er still gelegen?« fragte der König. »Freilich«, sagte die Prinzessin, »der hat nicht einmal die Pfoten bewegt«.

Oben im Schloß nahm der Schiffer dann den Bären wieder mit sich fort.

Aber nun ging der Junge zu einem Schneidermeister und ließ sich Prinzenkleider anmessen, und als sie fertig waren, ging er hinauf zum König und sagte, daß er im Sinne habe, die Prinzessin aufzufinden.

»Das haben schon viele im Sinne gehabt«, sagte der König, »aber die haben alle ihr Leben verloren, denn derjenige, der sie nicht in vierundzwanzig Stunen finden kann, der hat sein Leben verwirkt.

Ja, da sei keine Gefahr ,meinte der Junge, er wolle sie suchen, und wenn er sie nicht finden sollte, so sei das seine Sache.

Im Schloß waren Spielleute, die Musik machten, und Jungfrauen, mit denen er tanzen konnte. Und der Junge tanzte.

Nach zwölf Stunden kam der König und sagte: »Es ist schade um dich, du bist zu schwach zum Suchen, du wirst das Leben verlieren.«

»Ach was, das ist nicht gefährlich mit der Leiche, so lange sie niest. — Wir haben noch genug Zeit vor uns«, sagte der Junge und er tanzte bis nur noch eine Stunde übrig war, da wollte er sie suchen.

»Ach, das nützt nichts«, sagte der König, »nun ist die Zeit um«.

»Zünde die Laterne an und komm mit deinem großen Schlüsselbund«, sagte der Junge, »und folge mir dahin, wo ich gehen will. Es ist noch eine ganze Stunde Zeit«.

Der Junge ging genau so, wie der König letzte Nacht gegangen war und befahl ihm, aufzuschließen überall bis er zu der Brücke kam, welche zum offenen Meer hinaus ging.



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»Nun hilft es nichts, die Zeit ist um, also ins Meer mit dir!« sagte der König.

»Ich habe dennoch fünf Minuten«, sagte der Junge und riß und schlug in die Nägel und Stöcke, sodaß das Haus aus dem Meer emporstieg.

»Nun ist die Zeit um!« schrie der König, »komm nun, mein Scharfrichter, und haue ihm den Kopf ab!«

»Nein, wart noch ein Weilchen«, sagte der Junge, »ich habe noch drei Minuten Zeit, komm mit dem Schlüssel, sodaß ich hineinkann.«

Aber der König stand und suchte und fingerte nach dem Schlüssel und sagte, daß er ihn nicht fände, um die Zeit vergehen zu lassen. »Hast du ihn nicht, so habe ich ihn selbst«, sagte der Junge und stieß gegen die Tür, sodaß sie in Stücken auf dem Fußboden lag.

Die Prinzessin traf ihn auf der Schwelle und sagte, daß er es gewesen sei, der sie von den Trollen erlöst habe und ihn wolle sie haben.

So mußte sie ihn also bekommen, und dann hielt der Junge Hochzeit mit der Tochter des Königs von Arabien.


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