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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM HIRTEN UND DEM DIEBE

Man berichtet, daß einst ein Mann war, der Schafe in der Steppe hütete und sie sorgsam bewachte. Eines Nachts aber kam ein Dieb dorthin, der einige seiner Schafe zu stehlen gedachte; er sah jedoch, wie der Hirt sie eifrig bewachte, da er bei Nacht nicht schlief und bei Tage nie achtlos war, und nun schlich er die ganze lange Nacht um ihn herum, allein er konnte ihm nichts rauben. Als er dann des Planes müde ward, begab er sich weiter in die Steppe hinein und erjagte einen Löwen; dem zog er das Fell ab und stopfte es mit Häcksel aus. Darauf nahm er es mit und stellte es an einer hohen Stätte auf in dem Teile der Steppe, wo der Hirt es sehen konnte, damit er es für einen lebendigen Löwen hielte. Dann ging der Dieb zu dem Hirten und sprach zu ihm: ,Der Löwe dort hat mich zu dir geschickt, um sein Nachtmahl von diesen Schafen zu fordern.' ,Wo ist denn der Löwe?' fragte der Hirt; und der Dich antwortete ihm: ,Hebe deinen Blick; dort steht er!' Der Hirt hob sein Haupt und sah die Gestalt des Löwen; und wie er sie anschaute, glaubte er, es sei ein lebendiger Löwe, so daß er gewaltig vor ihr erschrak.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 922. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Hirt, als er die Gestalt des Löwen sah, glaubte, es sei ein lebendiger Löwe, so daß er gewaltig vor ihr erschrak; die Angst ergriff ihn, und er sprach zu dem Dieb: ,Bruder, nimm, was du willst; ich werde mich dir nicht widersetzen.' Da nahm der Dieb soviel von den Schafen, wie er begehrte; dann aber ward er immer gieriger, weil der Hirte so große Furcht hatte, und er kam in kurzen Zwischenräumen zu ihm, versetzte ihn in Schrecken und sprach zu ihm: ,Der Löwe verlangt dies und dies, und er will das und das tun'; dann nahm er von den Schafen sein Genüge. So verfuhr der Dieb mit dem Hirten, bis er den größten Teil der Herde hatte verschwinden lassen.' *

,Diese Worte, o König, habe ich nur deshalb vor dir gesprochen, damit diese Großen deines Reiches sich nicht durch deine Milde und Nachgiebigkeit verleiten lassen, dich auszunutzen. Nach rechtem Urteil wäre es besser, sie stürben, als daß sie so an dir handeln.' Der König hörte auf ihre Worte, indem er zu ihr sprach: ,Ich nehme diesen Rat von dir an, ich will ihrer Mahnung nicht folgen und nicht zu ihnen hinausgehen.'

Als es wieder Morgen ward, versammelten sich die Wesire und die Großen des Reiches und die Angesehenen unter dem Volke, von denen ein jeder seine Waffen mit sich trug; und sie begaben sich zum Palaste des Königs, um über ihn herzufallen, ihn zu töten und einen anderen an seine Stelle zu setzen. Nachdem sie bei dem Palaste angekommen waren, verlangten sie



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von dem Wächter, er solle ihnen das Tor öffnen. Da er ihnen aber nicht aufmachte, schickten sie fort, um Feuer zu holen und damit die Türen zu verbrennen und dann einzudringen. Der Torwächter hörte, wie sie so redeten, und er lief eilends hin und meldete dem König, daß sich das Volk bei dem Tore versammelt habe, indem er hinzufügte: ,Sie verlangten von mir, daß ich ihnen öffnete; doch ich weigerte mich, und da schickten sie, um Feuer zu holen und mit ihm die Tore zu verbrennen; dann wollen sie zu dir eindringen und dich töten. Was befiehlst du mir zu tun?' Der König sprach bei sich: ,Jetzt bin ich in das größte Unheil geraten.' Dann sandte er nach der Gemahlin, und als sie kam, sprach er zu ihr: ,Fürwahr, Schimâs hat mir noch nie etwas berichtet, was ich nicht als wahr erfunden hätte; nun ist alles Volk gekommen, Vornehme und Geringe, und sie wollen mich und euch umbringen. Als der Torwächter ihnen nicht öffnete, schickten sie, um Feuer zu holen und mit ihm die Türen niederzubrennen; dann wird das Schloß verbrannt und wir in ihm. Was rätst du uns an?' Die Frau erwiderte: ,Sei unbesorgt, laß dich von all dem nicht schrecken! Dies ist eine Zeit, in der sich die Toren wider ihre Könige erheben.' Doch der König fuhr fort: ,Was rätst du mir zu tun? Welchen Ausweg gibt es in dieser Not?' Sie gab ihm zur Antwort: ,Mein Rat geht dahin, daß du dir eine Binde um den Kopf legst und dich krank stellst; dann schicke nach dem Wesir Schimâs, damit er zu dir komme und sehe, in welchem Zustande du bist! Wenn er vor dich tritt, so sprich zu ihm: ,Heute habe ich wirklich zum Volke hinausgehen wollen; aber diese Krankheit hat mich gehindert. Geh du nun zu den Leuten hinaus und sag ihnen, wie es mit mir steht! Teil ihnen auch mit, daß ich morgen sicher zu ihnen hinauskommen werde, um ihre Wünsche zu erfüllen und in ihre Angelegenheiten



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Einsicht zu nehmen, auf daß sie sich wieder beruhigen und ihr Zorn sich legt!' Du aber berufe morgen früh zehn von den Sklaven deines Vaters, Männer von Mut und Kraft, denen du dich anvertrauen kannst, die auf dein Wort hören und deinem Befehle gehorchen, die dein Geheimnis bewahren und dir treu ergeben sind; die stelle zu deinen Häupten auf und befiehl ihnen, immer nur einen nach dem anderen einzulassen! Sobald aber einer eingetreten ist, sprich zu den Sklaven: ,Packt ihn und schlagt ihn tot!' Wenn du dies vorher mit ihnen verabredet hast, so laß am Morgen deinen Thron in deinem Staatssaale aufstellen und laß dein Tor öffnen! Wenn die Leute das Tor offen sehen, werden sie gutes Mutes sein und unbesorgten Herzens zu dir kommen; sie werden um Erlaubnis bitten, zu dir eintreten zu dürfen, und du erlaube ihnen, einzeln nacheinander einzutreten, wie ich dir gesagt habe; dann tu mit ihnen nach deinem Belieben! Doch es ist nötig, daß du zuerst Schimâs, ihren obersten Meister, töten lässest; denn er ist der Großwesir und der Rädelsführer. Ihn laß als ersten umbringen, danach laß sie alle töten, einen nach dem andern, verschone keinen unter ihnen, von dem du weißt, daß er bundbrüchig wider dich ist; ebenso auch keinen, dessen Macht du fürchtest. Wenn du so an ihnen handelst, werden sie keine Kraft mehr wider dich besitzen; du wirst in voller Ruhe vor ihnen leben, du wirst dich deiner Herrschaft heiter erfreuen und tun können, was dir beliebt. Glaube mir, es gibt keinen besseren Plan für dich als diesen!' Der König sagte darauf: ,Recht ist dieser dein Rat, er weist auf die richtige Tat; ich werde sicherlich tun, was du gesagt hast.' Dann ließ er eine Binde bringen, verband sich mit ihr sein Haupt, stellte sich krank und sandte nach Schimâs. Als der vor ihn getreten war, sprach er zu ihm: ,Schimâs, du weißt doch, daß ich dich liebe



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und deinen Rat befolge. Du bist mir wie ein Bruder und cin Vater, mehr als alle anderen. Du weißt auch, daß ich von dir alles annehme, was du mich tun heißest: und da du mich hießest, zu den Untertanen hinauszugehen und mich niederzusetzen, um Recht vor ihnen zu sprechen, wußte ich sicher, daß dies ein guter Rat von dir für mich war, und ich wollte gestern zu ihnen hinausgehen. Aber da kam diese Krankheit über mich, und ich kann nicht aufrecht sitzen. Nun ist mir zu Ohren gekommen, daß die Untertanen des Reiches in Unruhe sind, weil ich nicht zu ihnen hinausgekommen bin, und daß sie mir Böses antun wollen, was sich nicht gebührt, da sie nicht wissen, an welcher Krankheit ich jetzt leide. Drum geh du zu ihnen hinaus und tu ihnen kund, wie es um mich steht und in welchem Elend ich mich befinde; entschuldige mich bei ihnen, denn ich will ja ihre Worte befolgen und tun, was sie wünschen! Ordne du diese Sache, verbürge dich an meiner Statt hierfür; du warst ja immer ein treuer Ratgeber für mich und für meinen Vater vor mir, und du pflegst Frieden zu stiften unter den Menschen! So Allah der Erhabene will, werde ich morgen zu ihnen hinausgehen; denn vielleicht wird heute nacht diese Krankheit von mit weichen durch den Segen meiner reinen Absicht und des Guten, das ich für sie in meinem Herzen plane.' Da warf Schimâs sich nieder vor Allah, betete für den König, küßte ihm die Hände und war hocherfreut über das Geschehene. Dann ging er zu den Leuten hinaus, teilte ihnen mit, was er von dem König gehört hatte, und hielt sie zurück von dem, was sie tun wollten, indem er ihnen kundtat, wie der König entschuldigt sei durch den Grund, der ihn zurückgehalten hatte hinauszugehen; auch berichtete er ihnen, daß er versprochen habe, am nächsten Tage vor sie zu treten und für sie zu tun, was sie wünschten. Nun kehrten alle nach Hause zurück.——«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sic hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 923. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Schimâs zu den Großen des Reiches hinausging und zu ihnen sprach: ,Morgen wird der König vor euch treten und für euch tun, was ihr wünscht', und daß dann alle nach Hause zurückkehrten. So nun stand es um sie.

Sehen wir aber, was der König darauf tat! Er ließ die zehn Sklaven kommen, starke Gesellen, die er aus den Recken seines Vaters hatte auswählen lassen, Männer von fester Entschlossenheit und gewaltiger Tapferkeit; zu denen sprach er: ,Ihr wißt, was euch bei meinem Vater an Ehre und hohem Ansehen zuteil wurde, wie er euch Wohltaten erwies, gütig gegen euch war und euch beschenkte. Nun will ich euch, nachdem er dahingegangen ist, bei mir zu einer Stufe erheben, die noch höher ist, als jene es war, und ich will euch den Grund davon kundtun; derweilen gewähre ich euch vor Gott sicheres Geleit. Zuerst aber will ich euch nach etwas fragen, ob ihr darin meinem Befehle, wie ich ihn euch erteile, gehorsam sein wollt, indem ihr mein Geheimnis vor allen Leuten behütet. Euch sollen von mir noch höhere Gnaden erwiesen werden, als ihr wünscht, wenn ihr meinem Befehle gehorcht.' Die zehn erwiderten wie aus einem Munde und mit den gleichen Worten, indem sie sprachen: ,Alles, was du uns befiehlst, o unser Herr, das wollen wir tun; wir wollen nicht von dem abweichen, was du uns heißest, nie und nimmer, denn du bist es, der über uns gebietet.' Er aber fuhr fort: ,Allah lasse es euch wohlergehen! Jetzt will ich euch kundtun, weshalb ich euch ausersehen habe, um euch noch mehr zu ehren. Es ist das Folgende: Ihr wißt, welche Ehren mein Vater den Untertanen seines



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Reiches erwies, welchen Eid er sie für mich schwören ließ. und wie sie ihm gelobten, sie wollten mir nie die Treue brechen und meinem Befehle nie widersprechen; ihr habt auch gesehen, was sie gestern getan haben, wie sie sich alle bei mir zusammenrotteten und mich töten wollten. Nun will ich etwas mit ihnen tun, und zwar dies. Da ich geschaut habe, wessen sie sich gestern unterfingen, und da ich eingesehen habe, daß nur eine schwere Strafe sie von dergleichen abhalten wird, so bin ich gezwungen, euch damit zu beauftragen, alle heimlich zu töten, deren Hinrichtung ich euch befehle, auf daß ich Übel und Unheil von meinem Lande abwende, indem ich ihre Anführer und Häupter zu Tode bringe. Dies möge so geschehen: Morgen werde ich mich auf diesen Thron in diesem Gemach niedersetzen und ihnen Erlaubnis geben, einzeln nacheinander bei mir einzutreten; sie sollen durch die eine Tür hereinkommen und durch die andere hinausgehen. Ihr zehn sollt dann vor mir stehen und auf mein Zeichen achten. Jeden, der einzeln hereintritt, den ergreift, schleppt ihn in das Zimmer dort, tötet ihn und verbergt seinen Leichnam!' Sie erwiderten: ,Wir hören auf dein Wort und gehorchen deinem Befehl.' Darauf gab er ihnen Geschenke, entließ sie und ruhte die Nacht über. Als es Morgen ward, berief er sie und befahl ihnen, den Thron aufzustellen; dann legte er die königlichen Gewänder an, nahm das Buch des Gesetzes in die Hand und gebot, das Tor zu öffnen. Das Tor ward aufgetan, er ließ die zehn Sklaven vor sich treten, und der Herold rief aus: ,Wer ein Amt hat, der trete zum Teppich des Königs!' Da kamen die Wesire und die Heerführer und die Kammerherren und stellten sich auf, ein jeder nach seinem Range. Darauf gab er Befehl, sie sollten einzeln nacheinander hereinkommen. Zuerst trat der Wesir Schimâs herein, wie es der Brauch des Großwesirs ist; aber



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kaum war er drinnen und stand vor dem König, so umringten ihn, ehe er sich dessen versah, die zehn Sklaven, ergriffen ihn, schleppten ihn in das andere Zimmer und töteten ihn. Dann machten sie sich an die anderen Wesire, an die Gelehrten und an die Vornehmen und erschlugen sie, einen nach dem anderen, bis sie allen den Garaus gemacht hatten. Darauf berief er die Henker und befahl ihnen, das Schwert an alle zu legen, die noch übrig waren vom Volke der Tapferkeit und des starken Mutes. Keinen von denen, die sie als starke Leute kannten, verschonten sie mit dem Tode; nur das gemeine Volk und das Gesindel ließen sie am Leben. Und die trieben sie fort, so daß ein jeder von ihnen sich zu den Seinen begab. Der König blieb hinfort wieder allein mit seinen Freuden und gab sich ganz seinen Begierden hin; ja, er übte auch Bedrückung, Ungerechtigkeit und Grausamkeit, bis er alle Bösewichter übertraf, die vor ihm gewesen waren. Nun war aber das Land dieses Königs eine Mine von Gold und Silber, Rubinen und anderen Edelsteinen; und alle Könige ringsum beneideten ihn um dies Reich und warteten nur darauf, daß ihm ein Unheil widerführe. Einer der Könige, die ihm benachbart waren, sprach damals bei sich selber: ,Jetzt habe ich erreicht, was ich wünschte, jetzt kann ich dies Reich dem törichten Knaben dort entreißen. da solches geschehen ist, daß er die Großen seines Reiches, alle mutigen und starken Männer, die in seinem Lande waren, umgebracht hat. Dies ist die Zeit der Gelegenheit, die Zeit, in der ihm genommen werden kann, was er in der Hand hält; denn er ist jung, er hat keine Kenntnis des Krieges und hat keine Einsicht. Auch hat er niemanden mehr um sich, der ihm recht raten oder ihm helfen könnte. Deshalb will ich noch heute bei ihm das Tor des Unheils öffnen, indem ich ihm einen Brief schreibe, darin ich ihn verhöhne und ihn grob anführe wegen



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dessen, was er getan hat; dann will ich sehen, waser antwortet.' Und so schrieb er ihm einen Brief des Inhaltes: ,Im Namen Allahs, des allbarmherzigen Erbarmers! Des ferneren: Mir ist berichtet worden, was du mit deinen Wesiren, Gelehrten und starken Männern getan hast, sowie auch, in welches Unheil du dich selber gestürzt hast, so daß dir keine Kraft noch Stärke geblieben ist, den abzuwehren, der über dich herfällt, zumal da du einen sündigen und verworfenen Wandel fuhrst. Jetzt hat Allah mir den Sieg über dich verliehen und Macht über dich gegeben; drum höre auf mein Wort und gehorche meinem Befehl: Erbaue mir ein festes Schloß mitten im Meere! Wenn du das nicht kannst, so verlaß dein Land und flieh um dein Leben! Denn ich werde aus dem äußersten Indien zwölf Reitergeschwader wider dich entsenden, von denen ein jedes aus zwölftausend Streitern besteht; die werden in dein Land eindringen, dein Hab und Gut als Beute wegtragen, deine Mannen erschlagen und deine Frauen in die Gefangenschaft schleppen. Zu ihrem Anführer mache ich meinen Wesir Badî'a, und ich gebe ihm den Befehl, deine Stadt zu belagern, bis er sie erobert. Diesem Diener aber, den ich zu dir sende, habe ich befohlen, nur drei Tage bei dir zu verweilen. Wenn du dich meinem Gebote fügst, so bist du gerettet; sonst entsende ich wider dich, was ich dir genannt habe.' Dann versiegelte er den Brief und gab ihn dem Boten; der zog mit ihm fort, bis er zu jener Stadt kam. Dort begab er sich zum König und überreichte ihm den Brief. Doch als der König ihn gelesen hatte, versagte ihm die Kraft, seine Brust ward beklommen, und seine Lage ward ihm so unsicher, daß er schon den Tod vor Augen hatte; auch fand er keinen, den er um Rat fragen konnte, keinen, den er um Hilfe bitten konnte, keinen, der ihm hätte beistehen können. Da machte er sich auf und begab sich zu



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seiner Gemahlin, bleich, wie er war. Und die sprach zu ihm: ,Was ist dir, o König?' Er antwortete: ,Heute bin ich kein König mehr, sondern ich bin der Sklave eines Königs!' Darauf öffnete er den Brief und las ihn ihr vor. Und als sie ihn hörte. begann sie zu weinen und zu klagen und zerriß sich die Kleider. Als der König sie aber fragte: ,Weißt du irgendeinen Rat, irgendeinen Ausweg in dieser argen Not?' erwiderte sie: ,Die Frauen wissen in Kriegszeiten keinen Ausweg; da haben sie weder Kraft noch Rat, nur bei den Männern sind in solchen Dingen Kraft und Rat und Plan.' Wie der König diese Worte von ihr vernahm, ergriff ihn ein Übermaß von Reue und Gram und Kummer darüber, daß er sich so gegen sein eigenes Volk und die Wesire seines Reiches vergangen hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 924. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König, als er solche Worte von seiner Gemahlin vernahm, ergriffen ward von einem Übermaß von Reue und Gram darüber, daß er sich so durch die Ermordung seiner Wesire und der Vornehmsten seiner Untertanen vergangen hatte; und er wünschte, daß er gestorben wäre, ehe ihm eine solche schmähliche Kunde überbracht wurde. Dann sprach er zu seinen Frauen: ,Mir ist durch euch widerfahren, was dem Rebhuhn von den Schildkröten widerfuhr!' ,Was war denn das?' fragten sie ihn; und der König hub an:


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