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J. K. A. Musäus

Volksmärchen der Deutschen


Herausgegeben von Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen der Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, A. Schrödter, R. Jordan und G. Osterwald und den 12 Titeblättem von Ludwig Richter

Leipzig F. W. Hendel Verlag 1926



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Die Nymphe des Brunnens.



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Drei Meilen hinter Dinkelsbühl in Schwabenland lag vor Zeiten ein altes Raubschloß, das einem mannfesten Ritter zugehörte, Wackermann Uhlfinger genannt, die Blume der faust- und kolbengerechten Ritterschaft; das Schrecken der schwäbischen Bundesstädte, auch aller Reisenden und Frachtführer; die keinen Geleitsbrief von ihm gelöset hatten. Wenn Wackermann seinen Küraß und Helm angelegt, seine Lenden mit dem Schwert umgürtet hatte und die goldenen Sporen an seinen Fersen klirrten, war er nach der Sitte seiner Zeitgenossen ein roher, hartherziger Mann, der Rauben und Plündern für ein Vorrecht des Adels hielt, den Schwächern befehdete und, weil er selbst mannhaft und rüstig war, kein ander Gesetz erkannte als das Recht des Stärkern. Wenn 'o hieß: Uhlfinger ist im Anzuge, Wackermann kommt, fiel Schrecken auf ganz Schwabenland; das Volk flüchtete in die festen Städte, und die Wächter auf den Zinnen der Warten stießen ins Horn und verkündeten die nahe Gefahr. Die geringfügigste Beleidigung rügte er scharf, und manchen seiner Spießgesellen hatte er so zerbasedowt, wie Armbrecher R —ch, der



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Menschenfreund den Erzvater der Philanthropisten, obgleich in dem damaligen handfesten Weltalter durch jenen barbarischen Heroismus sein Geruch nicht so stinkend wurde vor dem ganzen Lande, wie in unsern gesittetern Zeiten durch solch eine kraftmännische Behandlung.

Dieser gefürchtete Mann war aber daheim, wenn er seine Rüstung abgelegt hatte, fromm wie ein Lamm, gastfrei wie ein Araber ein gutmütiger Hausvater und ein zärtlicher Gatte. Seine Hausfrau war ein sanftes, liebevolles Weib, sittig und tugendsam, dergleichen es heutzutage wenig gibt. Sie liebte ihren Gemahl mit unverbrüchlicher Treue und stund ihrem Hauswesen gar fleißig vor, sah nicht durchs Gitter nach Buhlern aus, wenn ihr Herr davonritt, Abenteuer zu bestehen, sondern legte sich einen Rocken an von feinem Flachs wie Seide und drehete die Spindel mit geschäftiger Hand; daß sie einen Faden gewann, den die lydische Arachne den ihrigen würde erkannt haben. Sie war Mutter von zwo Töchtern, die sie mit großer Sorgfalt tugendsam und häuslich auferzog. In dieser klösterlichen Eingezogenheit störte nichts ihre Zufriedenheit als die Freibeuterei ihres Gemahls, der sich mit ungerechtem Gut bereicherte. Sie mißbilligte diese privilegierten Räubereien in ihrem Herzen, und es machte ihr keine Freude, wenn er ihr gleich die herrlichsten Stoffe, mit Gold und Silber durchwirkt, zu reichen Kleidern schenkte. Was soll mir der Plunder, sprach sie oft zu sich selbst; daran Seufzer und Tränen hangen? Sie warf mit geheimem Widerwillen diese Geschenke in ihre Truhe und würdigte sie weiter keines Anblicks, bemitleidete die Unglücklichen, die in Wackennanns Haft fielen, setzte sie oft durch ihre Fürbitte in Freiheit und begabte sie mit einem Zehrpfennig.

Am Fuß des Schloßberges verbarg sich tief im Gebüsche eine ergiebige Felsenquelle, welche in einer natürlichen Grotte entsprang, die nach einer alten



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Volkssage von einer Brunnennymphe bewohnt sein sollte welche man die Nixe nannte, und die Rede ging, daß sie sich bei sonderbaren Ereignissen im Schlosse zuweilen sehen ließ. Zu diesem Brunnen lustwandelte die edle Frau oftmals ganz einsam, wenn sie während der Abwesenheit ihres Gemahls außerhalb der düstern Burgmauern frische Luft schöpfen oder ohne Geräusch Werke der Wohltätigkeit im Verborgenen ausüben wollte. Sie beschied dahin die Armen, die der Pförtner nicht einließ, und spendete an gewissen Tagen nicht nur den Abhub Mer Tafel an sie aus, sondern trieb ihre demütige Gutherzigkeit zuweilen so weit als die heilige Landgräfin Elisabeth, die mit stoischer Verleugnung alles widernden Gefühls mit ihrer königlichen Hand am Sankt-Elisabethen-Brunnen oft Bettlerwäsche wusch.

Einsmals war Wackermann mit seinen Reisigen auf Wegelagerung ausgezogen, den Kaufleuten aufzulauern, die vom Augsburger Markte kamen, und verweilte länger, als sein Verlaß war. Das bekümmerte die zarte Frau, sie wähnte, ihrem Herrn sei ein Unglück begegnet er sei erschlagen oder in Feindes Gewalt. Es war ihr so weh ums Herz, daß sie nicht ruhen noch rasten konnte. Schon mehrere Tage hatte sie sich zwischen Furcht und Hoffnung abgeängstet, und oft rief sie dem Zwerg zu, der auf dem Turm Wacht hielt: Kleinhänsel, schau aus! Wao rauscht durch den Wald? Was trappelt im Tals Wo wirbelt der Staub? Trabt Wackermann an? Aber Kleinhänsel antwortete gar trübselig: Nichts regt sich im Wald, nichts reitet im Tal, es wirbelt kein Staub, kein Federbusch weht. Das trieb sie so bis in die Nacht, da der Abendstern heraufzog und der leuchtende Vollmond über die östlichen Gebirge blickte. Da konnte sie's nicht aushalten zwischen den vier Wänden ihres Gemachs; sie warf ihr Regentuch über, stahl sich durchs Pförtchen in den Buchsnhain und wandelte zu ihrem Lieblingsplätzchen, dem Kristallbrunnen, um desto ungestörter ihren kummervollen Gedanken nachzuhängen. Ihr Auge floß von Zähren, und ihr sanfter Mund öffnete sich zu melodischen Wehklagen, die sich mit dem Geräusch des Baches mischten, der vom Brunnen her durchs Gras lispelte.

Indem sie sich der Grotte nahete war's ihr, als ob ein leichter Schatten um den Eingang schwebe; aber weil's in ihrem Herzen so arbeitete, achtete sie wenig darauf, und der erste Anblick schob ihr den flüchtigen Gedanken vor, daß das einfallende Mondenlicht ihr eine Truggestalt vorlüge. Da sie näher kam, schien sich die weiße Gestalt zu regen und ihr mit der Hand zu winken. Darüber kam ihr ein Grausen an, doch wich sie nicht zurück; sie stund, um recht zu sehen, was es wäre. Das Gerüchte oon dem Nixenbrunnen, das in der Gegend umlief, war ihr nicht unbewußt. Sie erkannte die weiße Frau nun für die Nymphe des Brunnens, und diese Erscheinung schien ihr eine wichtige Familienbegebenheit anzudeuten. Welcher Gedanke konnte ihr jetzt näher liegen als der von ihrem Gemahl? Sie zerraufte ihr schwarzgelocktes



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Haar und erhob eine laute Klage: Ach des unglücklichen Tages! Wackermann! Wackermann! Du bist gefallen, bist kalt und tot! Hast mich zur Wittib gemacht und deine Kinder zu Waisen!

Da sie so klagte und die Hände rang, vernahm sie eine sanfte Stimme aus der Grotte: Mathilde, sei ohne Furcht, ich verkünde dir kein Unglück; nahe dich getrost; ich bin deine Freundin, und mich verlangt mit dir zu kosen. Die edle Frau fand so wenig Abschreckendes in der Gestalt und Rede der Nixe, daß sie den Mut hatte, die Einladung anzunehmen; sie ging in die Grotte die Bewohnerin bot ihr freundlich die Hand und küßte sie auf die Stirn, saß traulich zu ihr hin und nahm das Wort: Sei mir gegrüßt in meiner Wohnung, du liebe Sterbliche, dein Herz ist rein und lauter wie das Wasser meines Brunnens, darum sind dir die unsichtbaren Mächte geneigt. Ich will dir das Schicksal deines Lebens eröffnen, die einzige Gunstbezeugung, die ich dir gewähren kann. Dein Gemahl lebt; und ehe der Hahn den Morgen auskräht wird er wieder in deinen Annen sein. Fürchte nicht, ihn zu betrauern,



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der Quell deines Lebens wird früher versiegen als der seine; vorher aber wirst du noch eine Tochter küssen, die, in einer verhängnisvollen Stunde geboren, auf schwankender Wage des Schicksals Glück und Unglück dahinnimmt. Die Sterne sind ihr nicht abhold; aber ein feindseliger Gegenschein raubt der Verwaisten das Glück der mütterlichen Pflege.

Das betrübte die edle Frau sehr, da sie hörte, daß ihr Töchterlein der treuen Mutterpflege entbehren sollte, und sie brach in laute Zähren aus. Die Nymphe wurde dadurch gerührt. Weine nicht, sprach sie, ich will bei deinem Kinde Mutterstelle vertreten, wann du es nicht beraten kannst; doch unter dem Beding, daß du mich zur Taufpate des zarten Fräuleins wählest damit ich teil an ihr habe. Dabei sei eingedenk, daß das Kind, so du es meiner Sorge anvertrauen willst, mir den Waschpfennig wiederbringt, den ich einbinden werde. Frau Mathilde willigte in dies Begehr, darauf griff die Nixe nach einem glatten Bachkiesel und gab ihr solchen mit dem Beifügen, denselben durch eine treue Magd zu rechter Zeit und Stunde zum Zeichen der Einladung zur Gevatterschaft in den Brunnen werfen zu lassen. Frau Mathilde verhieß, dem allen treulich nachzukommen, verlor keins dieser Worte aus ihrem Herzen und begab sich nach der Burg zurück; die Nymphe aber ging wieder in den Brunnen und verschwand.

Nicht lange hernach trompetete der Zwerg freudig vom Turm herab, und Wackermann ritt mit seinen Reisigen wohlgemut in den Hof ein, mit reicher



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Beute beladen. Nach Verlauf eines Jahres merkte die tugendliche Frau, daß sie sich gesegneten Leibes fand, sie sagte es an ihrem Herrn, der über diese Nachricht viel Freude hatte; denn er hoffte auf einen männlichen Erben. Sie aber trug große Sorge, wie sie's anstellen möchte mit der Gevatterschaft; das Abenteuer vom Nixenbrunnen ihm zu eröffnen, trug sie Bedenken. Da fügte sich's, daß Wackermann einen Fehdebrief bekam von einem Ritter, den er beim Trunk beleidiget hatte und der mit ihm anbinden wollte auf Tod und Leben. Er rüstete sich und seine Gewappneten fleißig zu, und als er im Begriff war aufzusitzen und nach Gewohnheit von seiner Gemahlin sich verabschiedete, forschte sie sorgsam nach seinem Vorhaben, drang in ihn wider Gewohnheit, ihr zu sagen, gegen wen er ausziehe, und da er ihr diese ungewöhnliche Neubegier liebreich verwies, verhüllte sie ihr Gesicht und weinte bitterlich. Das ging dem edlen Ritter ans Herz, doch tat er sich's nicht aus, saß auf und eilte zum Tummelplatz, traf mit seinem Gegner hart zusammen, erlegte ihn nach einem wackern Rennen und kehrte triumphierend heim.

Seine züchtige Hausfrau empfing ihn mit offenen Armen, liebkosete ihn freundlich und ließ nicht ab, mit glatten Worten und den weiblichen Künsten süßer Schmeichelei ihn auszuholen, was für ein Abenteuer er bestanden habe. Er aber verschloß flugs sein Herz; verwahrte alle Zugänge mit dem Riegel der Unempfindsamkeit und offenbarte ihr nichts; vielmehr höhnte er sie dieses Vorwitzes halber und sprach spottweise: O Mutter Eva, deine Töchter sind noch nicht ausgeartet, Neugier und Vorwitz ist der Weiber Erbteil bis auf diesen Tag. Einer jeden hätte gelüstet; den verbotenen Baum zu plündern oder den Deckel des verpönten Schauessens aufzuheben und das darin verborgene Mäuslein davonspringen zu lassen. Verzeihet, lieber Gemahl, antwortete die kluge Frau, die Männer haben auch ihr bescheiden Teil aus Mutter Evens Erbschaft empfangen. Der Unterschied ist nur daß eine gutmütige Frau für ihren Mann kein Geheimnis hat noch haben darf. Es stünde die Wette, wenn mein Herz Euch was verhehlen könnte, daß Ihr nicht ruhen noch rasten würdet, bis Ihr mir meine Heimlichkeit abgelockt hättet. Und ich, versetzte er, gebe Euch mein Wort, daß mich Eure Heimlichkeit nichts kümmern wird; ist Euch vergönnt, die Probe zu machen. Da war's, wo Frau Mathilde ihren Ehegemahl hinhaben wollte. Wohlan, sprach sie, lieber Herr, Ihr wißt, daß meine Entbindung nahe bevorsteht; wenn ich nun eines gesunden Kindes genese, so sei mir vergönnt, eine von den Gevattern zu erkiesen, die das Kindlein aus der Taufe heben. Ich habe eine Freundin ins Herz geschlossen, die Euch unbekannt ist; da ist nun mein Begehr, daß Ihr nie in mich dringen wollt, Euch zu sagen, wer sie sei, von wannen sie kommt, noch wo sie hauset. Wann Ihr mir das bei Eurer ritterlichen Ehre verheißet und Eurer Zusage Genüge tut, will ich die Wette verloren haben und frei bekennen, daß der männliche Geist über die weibliche Schwachheit triumphiert.



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Wackermann leistete seiner Hausfrau das Versprechen unweigerlich, und sie erfreute sich des guten Erfolgs ihrer schlauen List innigst.

Nach wenigen Tagen genas sie eines Fräuleins. Obgleich der Vater lieber einen Sohn umarmt hätte, so ritt er doch ganz wohlgemut zu seinen Nachbarn und Gefreundten, sie zur Gevatterschaft zu laden. Sie fanden sich insgesamt an dem bestimmten Tage ein, und da die Kinderbetterin das Geräusch der Wagen, das Wiehern der Pferde und das Getümmel des Hofgesindes vernahm, berief sie eine vertraute Dirne zu sich und sprach: Nimm diesen Bachkiesel, wirf ihn stillschweigend hinter dich in den Nixenbrunnen und spute dich, auszurichten, was dir befohlen ist. Die Dirne tat nach dem Befehl ihrer Frau, und ehe sie wieder zurückkam, trat eine unbekannte Dame in das Gesellschaftszimmer, neigte sich züchtig gegen die anwesenden Herren und Frauen, und wie das Kindlein vorgetragen wurde und der Täufer zum Becken trat, nahm sie ihre Stelle unter den Paten obenan. Jedermann machte ihr ehrerbietig Platz als einer Fremden, und sie hielt das Kind zuerst auf dem Arm über die Taufe. Aller Augen waren auf sie gerichtet, sie war so schön, so sittsam und dabei so herrlich gekleidet in ein fliegendes Gewand von wasserblauer Seide und aufgeschlitzten Ärmeln mit weißem Attas unterlegt; über das war sie mit Juwelen und Perlenschmuck so reichlich behangen, wie die heilige Jungfrau zu Loretto an einem kirchlichen Galatage. Ein glänzender Saphir hielt den durchsichtigen Schleier, der in dünnen Wolken von dem Wirbel des künstlich geschlungenen Haares längst den Schultern bis an die Fersen herabschwebte; aber der Zipfel des Schleiers war naß, als sei er durchs Wasser gezogen.

Die unerwartete Erscheinung der fremden Dame hatte die sämtliche Mitgevatterschaft dergestalt in der Andacht gestört, daß sie vergaßen, dem Kinde einen Namen zu geben, darum taufte es der Priester Mathilde, nach dem Namen der Mutter. Nach vollbrachter Taufhandlung wurde die kleine Mathilde zu derselben zurückgebracht; und alle Paten folgten nach, der Wöchnerin Glück zu wünschen und dem Patchen den Waschpfennig einzubinden . Die Kindbetterin schien bei dem Anblick der Unbekannten betroffen, vermutlich aus Verwunderung, daß die Nixe so treulich Wort gehalten hatte. Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihren Gemahl, der mit einem unausdeutbaren Lächeln antwortete und sich übrigens das Ansehen gab, als nehme er von der Fremden weiter keine Notiz. Das Patengeschenke gab jetzt der Empfängerin andere Beschäftigung, ein goldener Regen strömte aus freigebigen Händen auf den Täufling herab. Die Unbekannte nahete sich zuletzt mit ihrer Patensteuer und täuschte die Erwartung aller Mitgevattern. Sie vermuteten von der glanzreichen Dame ein Kleinod oder einen Denkpfennig von großem Wert, besonders da sie ein seidenes Taschentuch hervorzug und solches mit großer Bedächtlichkeit voneinander



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schlug; aber Frau Pate hatte nichts drein gewickelt als einen Bisamapfel [*)] aus Holz gedreht, sie legte diesen feierlich auf des Kindes Wiege, küßte die Mutter freundlich auf die Stirn und begab sich aus dem Zimmer.



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Ehe das Fräulein dem Gängelbande entwuchs, wurde die Prophezeiung, der Nymphe an der guten Mutter erfüllt; sie erkrankte plötzlich und starb, ohne Zeit zu haben, anden Bisamapfel zu gedenken oder damit nach Verfügung der Nixe zugunsten der kleinen Mathilde zu verfahren. Ihr Gemahl war eben abwesend auf dem Turnier zu Augsburg und zog mit einem Ritterdank von Kaiser Friedrich gekrönt wieder nach Hause. Wie der Zwerg auf dem Turm seinen Herrn inder Ferne sah angeritten kommen, stieß er nach Gewohnheit ino Hom, dem Hofgesinde dessen Ankunft kund zu tun; aber er ließ nicht wie sonst einen freudigen Ton erschallen, sondern posaunte gar eine traurige Melodei. Das fuhr dem Ritter durchs Herz und bekümmerte seine Seele. Was für ein Schall, sprach er, gellt mir ins Ohr? Hört ihr's, ihr Knappen, ist das nicht Krähenruf und Totensang? Kleinhänsel verkündet uns nichts Gutes. Und die Knappen waren alle bestürzt sahen ihren Herrn traurig an, und einer unter ihnen nahm das Wort und sprach: Dag ist die Weise des Vogels Kreideweiß, Gott wende Unglück ab; s ist eine Leiche im Hause! Da spornte Wackermann seinen Hengst und ritt übers Blachfeld daher, daß die Funken stoben. Die Zugbrücke fiel, er sah gierig in den Schloßhof und erblickte leider das Leichenzeichen vor seiner Haustür ausgestellt, eine Laterne ohne Licht mit einem wehenden Flor geschmückt und alle Fensterläden verschlossen [*)]. Dabei vernahm er von innen Schluchzen und Wehklagen des Gesindes, denn Frau Mathilde war eben aufgebahrt. Zu Häupten des Sarges saßen die beiden größern Töchter in Boy und Flor gehüllt und beweinten die erbleichte Mutter mit zahllosen Tränen. Am Fuß des Sarges saß die kleine Lieblingstochter; noch unvermögend, ihren Verlust zu empfinden, zerzupfte sie mit kindischer Gleichmütigkeit spielend die Überbleibsel der Blumen, womit die Leiche geschmückt war. Dieser wehmütige Anblick überwältigte Wackermanns männliche Standhaftigkeit, er weinte und jammerte laut, stürzte über den eiskalten Leichnam her; benetzte die bleichen Wangen mit seinen Tränen, drückte mit zitterndem Munde die erstorbenen Lippen und überließ sich ohne Scheu allen schmerzhaften Gefühlen seines Herzens. Hernach hing er seine Waffen in die Rüstkammer auf; saß, bedeckt mit einem abgekrempten Hute und eina schwarzen Trauermantel, beim Sarge, trug Leid um seine abgeschiedene Hausfrau und erwies ihr die letzte Ehre durch ein feierliches Totengepränge.

Weil jedoch nach der Bemerkung eines großen Mannes die heftigsten Schmerzen immer die kürzesten sind, so vergaß der tiefgebeugte Witwer bald seines Herzeleids und dachte mit Ernst darauf, den erlittenen Verlust durch



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eine zwote Gemahlin zu ersetzen. Seine Wahl fiel auf ein wildes rasches Weib, ganz das Gegenbild der frommen sittsamen Mathilde. Das Hausregiment nahm folglich nun eine andere Gestalt an; die junge Frau liebte Pracht und Verschwendung, gebärdete sich stolz und gebieterisch gegen das Gesinde; des Schlemmens und Bankettierens war kein Ende. Ihre Fruchtbarkeit bevölkerte das Haus bald mit zahlreicher Deszendenz; die Töchter erster Ehe wurden nicht mehr geachtet und kamen ganz in Vergessenheit. Wie die ältern Fräuleins heranwuchsen, suchte sich die Stiefmutter ihrer ganz zu entledigen, sie wurden nach Dinkelsbühl in ein Frauenkloster in die Kost verdungen; die kleine Mathilde kam unter Aufsicht einer Amme und wurde in ein abgelegenes Stübchen versetzt; wo sie der eiteln Frau, die mit Familiensorgen sich nicht gern befaßte, weit genug aus den Augen war. Ihr verschwenderischer Aufwand mehrte sich also, daß der Ertrag des Faust- und Kolbenrechts, so unermüdet der Ritter solchem oblag, nicht mehr hinreichte denselben zu bestreiten, sie sah sich oft genötigt, die Verlassenschaft ihrer Vorweserin zu spoliieren, die reichen Stoffe zu vermöbeln oder von Juden Geld darauf zu leihen. Einsmals befand sie sich in besonderer ökonomischer Verlegenheit. Sie durchsuchte Schubladen und Truhen, um etwas von Wert auszuwittern, da stieß sie auf ein geheimes Fach eines Putzschrankes und fand darin zu ihrer großen Freude Frau Mathildens Schatzkästlein . Die funkelnden Juwelen der Demantringe, Ohrenspangen, Armbänder, Schürzhaken und andern Geschmeides entzückten ihr gieriges Auge. Sie musterte alles genau durch, besah's Stück für Stück und, überschlug in ihren Gedanken, welchen Gewinn dieser herrliche Fund einbringen würde. Unter diesen Kostbarkeiten fiel ihr auch der hölzerne Bisamapfel in die Augen. Sie wußte lange nicht, was sie daraus machen sollte, sie versuchte es, ihn aufzuschrauben; aber er war verquollen. Sie wog in in der Hand und befand ihn so leicht als eine taube Nuß, darum meinte sie, es sei irgend ein ledigen Ringfutteral, und weil sic damit nichts anzufangen wußte, warf sie's als ein Ding ohne allen Wert aus dem Fenster.

Zufälligerweise saß die kleine Mathilde unten im Zwingergarten und spielte mit ihrer Puppe. Wie sie die hölzerne Kugel auf dem Sande daherrollen sah, warf sie die Puppe aus der Hand und griff mit kindischer Begierde nach dem neuen Spielzeug, hatte auch ebensoviel Freude über diesen Fund als Mama an dem ihrigen. Sie ergötzte sich viele Tage mit der Spielerei und ließ sie nicht aus der Hand. An einem schönen Sommertage lüstete der Amme, mit ihrer Pflegetochter der frischen Kühlung am Felsenbrunnen zu genießen, um Vesperzeit forderte das Kind seine Honigsemmel, welche die Amme mitzunehmen vergessen hatte. Sie hatte noch nicht Lust; zurückzukehren; um nun die Kleine bei Gutem zu erhalten, ging sie ins Gebüsche, ihr eine Handvoll Himbeeren zu pflücken. Das Kind spielte



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indes mit dem Bisamapfel, warf ihn hin und her wie einen Fangeball, bis ein Wurf mißlang und die kindische Freude in eigentlichem Verstande in den Brunnen fiel. Augenblicks stund eine junge Dame da, schön wie ein Engel und freundlich wie eine Grazie. Das Kind, bestürzt darüber, glaubte ihre Stiefmutter vor sich zu sehen, die sie immer schalt und schlug, wenn sie ihr unter die Augen kam. Die Nymphe aber liebkosete ihr mit sanften Worten: Fürchte nichts, liebe Kleine, ich bin deine Pate, komm zu mir. Sieh hier ist dein Spielzeug, das in den Brunnen fiel. Dadurch lockte sie das Kind zu sich, nahm's auf den Schoß, drückte es zärtlich an den Busen, herzte und
küßte
die kleine Mathilde und benetzte ihr Angesicht mit Tränen. Arme Verwaiste, sprach sie, ich hab's versprochen, Mutterstelle bei dir zu vertreten, ich will's auch halten. Besuche mich oft; du wirst mich stets an dieser Grotte finden, wenn du einen Stein in den Brunnen fallen lässest. Bewahre diesen Bisamapfel sorgfältig und spiele nicht wieder damit, daß du ihn nicht verlierest, er wird dir einst drei Wünsche gewähren. Wenn du heranwächst, will ich dir mehr sagen, jetzt kannst du's nicht fassen. Sie gab ihr noch manche gute Vermahnung, die sich für des Kindes Alter schickte, gebot ihr Stillschweigen; die Amme kam zurück, und die Nymphe verschwand.

Heutzutage, sagt das Sprüchwort, gibt's keine Kinder mehr, vor Alters war's damit anders; die kleine Mathilde war gleichwohl ein schlaues und kluges Kind, sie hatte so viel Besonnenheit, gegen die Amme nichts von Frau Paten zu erwähnen, forderte bei ihrer Zuhausekunft Nähnadel und Zwirn und vernähete damit sorgfältig den Bisamapfel in das Unterfutter des Kleides. Ihr Sinn und Gedanken stunden nur nach Nixenbrunnen; so oft es die Witterung erlaubte, schlug sie der Aufseherin einen Spaziergang dahin vor, und weil diese dem schmeichelhaften Mädchen nichts abschlagen konnte und diese Neigung ihr angeboren schien, indem die Grotte der Lieblingsaufenthalt der Mutter gewesen war, gewährte sie der Kleinen diesen Wunsch desto leichter. Da wußte diese nun immer einen Vorwand zu finden, die Amme wegzuschicken, und sobald sie den Rücken wendete, fiel der Stein



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ins Wasser und verschaffte dem schlauen Mädchen die Gesellschaft ihrer liebreizenden Pate. Nach einigen Jahren blühete die kleine Waise zum jungfräulichen Alter heran, und ihre Schönheit schloß sich auf wie die Knospe einer hundertblätterigen Rose, die, unter den buntfarbigen Glasblumenpöbel verpflanzt, in bescheidener Würde hervorglänzt. Zwar blühete sie gleichsam nur im Zwingergarten; sie lebte unter dem Gesinde versteckt, und wenn die üppige Mutter bankettierte, kam sie nie zum Vorschein, saß auf ihrer Kamme, beschäftigte sich mit häuslicher Arbeit und fand nach vollendetem Tagewerke zur Abendzeit reichen Ersatz für die rauschenden Freuden, die sie entbehrte, in der Gesellschaft der Nymphe am Brunnen. Diese war nicht nur ihre Gesellschafterin und Freundin, sie war auch ihre Lehrmeisterin; unterrichtete das Fräulein in allen weiblichen Kunstfertigkeiten und bildete sie ganz nach dem Beispiel ihrer tugendhaften Mutter.

Eines Tages schien die Nymphe ihre Zärtlichkeit gegen die reizvolle Mathilde zu verdoppeln, sie schloß sie in die Arme, ließ das Haupt auf ihre Schultern sinken und war so wehmutsvoll und traurig, daß das Fräulein mit ihr sympathisierte und sich nicht enthalten konnte, einige Tränen auf die Hand ihrer Pate fallen zu lassen, die sie eben schweigend an die Lippen drückte. Durch diese sanfte Mitempfindung wurde die Nymphe noch wehmütiger; Kind, sprach sie mit trauriger Stimme, du weinst und weißt nicht warum; aber deine Tränen sind Vorgefühle deines Schicksals. Dem Hause auf dem Berge stehet eine große Veränderung bevor; ehe der Schnitter die Sense dengelt und der Wind über die Stoppeln des Weizenfeldes weht; wird's öde und wüste stehen. Wenn die Schloßdirnen in der Abenddämmerung herausgehen des Wassers aus meinem Brunnen zu schöpfen, und mit ledigem Eimer zurückkehren, so gedenke, daß Unglück kommt. Wahre den Bisamapfel, der dir drei Wünsche gewähren wird, und gehe nicht verschwenderisch mit deinen Wünschen um! Gehab dich wohl, an dieser Stätte sehen wir uns nicht wieder. Drauf lehrte sie dem Fräulein noch einige magische Eigenschaften des Apfels, um sich derselben im Notfall zu bedienen, weinte und schluchzte beim hinscheiden, daß ihr die Worte versagten, und ließ sich nicht mehr sehen.

Um die Zeit der Weizenernte kamen eines Abends die Wasserträgerinnen mit ledigen Krügen ins Schloß zurück, bleich und erschrocken, zitterten an allen Gliedern, als schüttele sie der Frost des Wechselfiebers, verkündeten, die weiße Frau sitze am Brunnen mit trauriger Gebärdung des Händeringens und Wehklagens, welches nichts Gutes ominiere. Des hatten die Kriegsleute und Waffenträger ihren Spott, meinten, es sei Täuschung und Weiber geschwätz. Einige trieb die Neugier hinaus, Grund und Ungrund der Sache zu erforschen; sie sahen dieselbe Erscheinung, faßten sich dennoch ein Herz, und gingen zum Brunnen. Wie sie hinkamen, war das Gesicht verschwunden, unb da gab's mancherlei Glossen und Auslegungen darüber; keiner riet jedoch



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auf die wahre Deutung, welche Fräulein Mathilde allein wußte, ob sie gleich nicht laut werden ließ; denn die Nymphe hatte ihr Stillschweigen geboten. Sie saß einsam und trübsinnig auf ihrer Kammer unter Furcht und Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Wackermann Uhlfinger war Weiber- und seiner verschwenderischen Haus Becherlehn; frau konnte er nicht satt rauben und plündern, und wenn er nicht auf Wegelagerung ausging, bereitete sie ihm tagtäglich ein Wohl leben, berief seine Zechbrüder zusammen, unterhielt ihn im Taumel der Lüste und ließ ihn nie daraus wach werden, um den Ver- fall seines Hauswesens wahrzunehmen. Wenn's an Barschaft oder Lebensmitteln gebrach, so gaben Jakob Fuggers oder der Venediger reiche Speditionen immer neue Ausbeute. Dieser Plackereien müde, beschloß der Generalkongreß des schwäbischen Bundes, weil Abmahnungen und Warnungen nichts fruchteten, Uhlfingers Untergang. Ehe erdachte, daß es so ernstlich gemeinet sei, weheten die städtischen Bundesfahnen vor dem Tor seiner Bergfeste, und es blieb ihm nichts übrig als der Entschluß, sein Leben teuer genug zu verkaufen. Die Bombarden und Donnerbüchsen erschütterten die Basteien, und die Armbrustschützen taten auf beiden Seiten ihr Bestes; es hagelte Bolzen und Pfeile, und einer davon, in einer unglücklichen Stunde abgedrückt, wo Wackermanns Schutzgeist von ihm gewichen war; fuhr durchs Visier seines Helms ihm tief ino Hirn, daß er alsbald im kalten Todesschlummer dahintaumelte. Durch den Fall des Bannerherrn geriet das Kriegsvolk in große Bestürzung; einige Feigherzige steckten die weiße Fahne aus, die Mutigen rissen sie wieder herab vom Turm. Daraus merkte der Feind, daß innerhalb der Burg Unordnung und Verwirrung herrsche; die Belagerer liefen Sturm, überstiegen die Mauern, gewannen das Tor, ließen die Zugbrücke herab und schlugen alles mit der Schärfe des Schwertes, was ihnen vorkam. Selbst die Unglücksstifterin, das verschwenderische Weib, wurde mit all ihren Kindern von dem wütigen Kriegsvolke erschlagen, das gegen den räuberischen Adel so erbittert war; als nachher die Aufrührer im schwäbischen Bauernkriege. Das Schloß wurde rein ausgeplündert, in Brand gesteckt und der Erde gleich gemacht.

Während des kriegerischen Tumults hielt sich Fräulein Mathilde in dem Patmus ihres Dachstübchens ganz ruhig, hatte die Tür verschlossen und von fest verriegelt. Als sie aber merkte, daß draußen alles bunt über



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ging und Schloß und Riegel ihr keine Sicherheit weiter geben würde, warf sie ihren Schleier über, drehete den Bisamapfel dreimal in der Hand und trat kühnlich heraus, nachdem sie das Sprüchlein ausgesprochen, welches ihr die Nixe gelehrt hatte:

Hinter mir Nacht, vor mir Tag,
Daß mich niemand sehen mag;

und so wandelte sie unbemerkt mitten durch das feindliche Kriegsvolk aus der väterlichen Burg, wiewohl mit hochbetrübtem Herzen und ohne zu wissen wohin sie ihren Weg nehmen sollte. So lange ihre zarten Füße ihr nicht den Dienst versagten, eilte sie, von dem Schauplatz des Greuels und der Verwüstung sich zu entfernen, bio sie, von Nacht und Müdigkeit befallen, unter einem wilden Birnbaum im freien Felde zu herbergen beschloß. Sie setzte sich auf den kühlen Rasen und ließ den Tränen freien Lauf. Noch einmal schaute sie nach der Gegend um und wollte sie gesegnen, wo sie die Jahre der Kindheit



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verlebt hatte; wie sie die Augen aufhob, sah sie ein blutrotes Feuer zeichen am Himmel stehen, woraus sie urteilte, daß das Stammhaus ihrer Voreltern ein Raub der Flammen worden sei. Sie wendete ihre Augen von diesem grausenvollen Anblick weg und wünschte mit Sehnsucht, daß die funkelnden Sterne erbleichen und die Morgenröte aus Osten hervorschimmern möchte. Ehe es noch tagte und der Morgentau auf dem Grase sich in kleine Tropfen sammelte, setzte sie die ungewisse Pilgerreise fort und gelangte bald in ein Dorf, wo sie von einer gutherzigen Bäuerin aufgenommen und mit einem Bissen Brot und einer Schale Milch erquickt wurde. Von dieser Frau tauschte sie bäuerische Kleider und gesellte sich zu einer Karawane Frachtführer; die sie gen Augsburg geleiteten. In diesem trübseligen verlassenen Zustande blieb ihr keine Wahl, als sich für ein Dienstmädchen zu vermieten; weil's aber außer der Zeit war, konnte sie lange keine Herrschaft finden.

Graf Konrad von Schwabeck, ein deutscher Kreuzherr, auch Kastenvogt und Schirmherr des Bistums Augsburg, besaß daselbst einen Komterhof wo er sich im Winter aufzuhalten pflegte. In seiner Abwesenheit wohnte eine Schließerin darin, Frau Gertrud genannt, die das Hauswesen regierte. Diese Frau war in der ganzen Stadt für eine Megäre ausgeschrieen; kein Gesinde konnt's bei ihr aushalten, sie lärmte und tobte im Hause umher wie ein Poltergeist. Das Rasseln ihrer Schlüssel fürchteten die Dirnen wie die Kinder den Ruprecht; das kleinste Versehen oder auch nur ihre bösen Launen mußten Köpfe und Töpfe entgelten, oder sie bewaffnete ihren rüstigen Arm einem Bund Schlüssel und bleuete den Dienstmägden damit Rücken und Lenden blau; kurz, wenn man ein böses Weib beschreiben wollte, so hieß es, sie sei so arg als Frau Trude im Komterhofe. Eines Tages hatte sie das Strafamt so gewaltsam ausgeübt; daß alles Gesinde entlief; da kam die sanfte Mathilde und bot ihre Dienste an. um ihren edlen Wuchs zu verhehlen, hatte sie eine Schulter gepolstert, als sei sie verwachsen; ihr blondes seidenes Haar verbarg ein breites Kopftuch; Angesicht und Hände hatte sie mit Ruß bestrichen, um eine Haut dadurch zu erkünsteln. Wie sie sich anmeldete und die zigeunermäßige Schelle an der Tür zog, steckte Frau Gertrud den Kopf aus dem Fenster; da sie nun die seltsame Figur gewahr wurde, meinte sie, es sei eine Bettlerin;



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und rief herab: Hier ist kein Almosenamt, geht in die Fuggerei [*)], dort spendet man Heller aus! und schlug das Fenster hastig zu. Fräulein Mathilde ließ sich dadurch nicht abschrecken, sie schellte so lange; bis die Ausgeberin in der Absicht wieder zum Vorschein kam, diese Zudringlichkeit mit einer Lage Scheltworten zu erwidern. Ehe sie aber ihren zahnlosen Wund eröffnete, verständigte sie das Fräulein, was ihr Begehr sei. Wer bist du, fragte Frau Gertrud, und was kannst du? Die verstellte Dirne antwortete:

Ich bin eine Waise,
Mathilde ich heiße,
Kann plätten,
Kann glätten,
Kann nähen und spinnen,
Auch sticken
Und stricken
Und Augen [**)] gewinnen,
Kann hacken und pochen,
Auch braten und kochen,
Bin kunstreicher Hand
Und flink und gewandt.

Als die Wirtschafterin dieses Sprüchlein hörte und vernahm, daß das nußbraune Mädchen so viel gute Talente besaß, tat sie die Tür auf; gab ihr den Mietgroschen und nahm sie in die Küche. Sie stand ihren Geschäften so treulich vor; daß Frau Gertrud ganz aus der Übung kam, Töpfe nach dem Ziel zu werfen. Ob sie gleich immer streng und mürrisch blieb; alles tadelte und besser wissen wollte, so hielt doch das Dienstmädchen nie Widerpart und wehrte durch Sanftmut und Duldung den Ergießungen ihrer schwarzen Galle ab. Sie wurde leidlicher und besser als seit vielen Jahren, zum Beweis, daß fromm Gesinde auch gut Regiment, gut Wetter, fromme und getreue Oberherrn macht.

Um die Zeit des ersten Schnees ließ die Hausmütter das ganze Haus fegen und reinigen, die Fenster waschen, Vorhänge aufziehen und alles zum Empfang ihres Herrn zubereiten, der, mit dem bunten Gefolge seiner Diener



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umgeben nebst einem großen Schwall von Pferden und Jagdhunden, zu Winters Anfang eintraf. Mathilde kümmerte sich wenig um die Ankunft des Kreuzherrn; ihre Küchenarbeit hatte sich so gemehrt, daß sie sich nicht Zeit nahm, nach ihm auszusehen. Zufälligenveise begegnete er ihr, indem sie eines Morgens Wasser schöpfte, auf dem Hofe, und sein Anblick schloß Gefühle in ihrem Herzen auf, die ihr ganz neu und fremd waren. Der schönste junge

Mann, den sie je gesehen, stund vor ihr; sein glänzendes Auge, die jovialische Miene, das Gepräge des Wohlbehagens und Überflusses, das wellenförmige leicht gelockte Haar, das sich halb unter die beschattenden Straußfedern des männlich ino Gesicht gedrückten Hutes versteckte, der feste Gang und edle Anstand des Mannes wirkten so mächtig auf ihr Herz, daß es ungleich geschwinder schlug und das Blut in schnellern Umlauf brachte. Zum erstenmal empfand sie jetzt den großen Abstand des Standes, in welchen ein unglücklich Verhängnis sie versetzt hatte, von dem, in welchem sie geboren war, und diese Empfindung drückte sie mehr als der schwere Wassereimer. Sie ging tiefsinnig in die Küche zurück und versalzte zum ersten Male in ihrer Funktion alle Brühen, welches ihr von der Wirtschafterin einen harten Verweis zuzog. Tag



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und Nacht schwebte ihr der schöne Ritter vor Augen, es lüstete ihr oft, nach ihm zu sehen, und wenn er über den Hof ging und sie seine Sporen klingen hörte, spürte sie jederzeit Wassermangel in der Küche und eilte mit dem Eimer zum Brunnen, ob sie gleich keines Anblicks von dem stolzen Junker gewürdiget wurde.

Graf Konrad schien bloß für das Vergnügen zu leben, er verabsäumte keine Lustbarkeit und kein Freudengelag in der reichen Stadt; die der Verkehr mit den Venedigern üppig gemacht hatte. Bald gab es ein Ringelrennen, bald ein Stechen auf der Rennbahn, bald einen Ratswechsel oder sonst eine glänzende Feierlichkeit; auch fehlte es nicht an öffentlichen Reihentänzen auf dem Rathause oder auf dem Markte und durch alle Straßen, wo die Edelleute den Bürgerstöchtern goldene Fingerreife und seidene Tücher verehrten Minnespiel und gute Schwänke trieben. Als die Fastnachts-Mummereien begannen, schien der Freudentaumel aufs höchste gestiegen zu sein. Fräulein Mathilde hatto an dem allen keinen Teil, saß in der rauchenden Küche und weinte schier die schmachtenden Augen wund, klagte über den Eigensinn des Glücks, das seine Günstlinge mit den Freuden des Lebens stromweise überschüttet und dem Unbegünstigten jeden frohen Augenblick abgeizet. Ihr Herz war beklommen, ohne daß sie eigentlich wußte, warum; daß Amor sich darein gebettet hatte, war ihr gänzlich unbekannt. Dieser unruhige Gast, der in jedem Hause Verwirrung macht, wo er herbergt, flüsterte ihr am Tage tausend romanhafte Gedanken zu und unterhielt sie des Nachts mit schalkhaften Träumen. Bald lustwandelte sie mit dem Kreuzherrn in einem Blumengarten, bald war sie zwischen die heiligen Mauern eines Klosters eingesperrt, und der Graf stund außen am Sprachgitter, verlangte mit ihr zu kosen, und die strenge Domina wollte es nicht gestatten; bald aber tanzte sie dennoch mit ihm den Vorreihen auf einem fröhlichen Ball. Diese entzückenden Träume zerstörte oft plötzlich das Geklingel von Frau Gertrudens Schlüsselbund, womit sie in der frühen Morgenstunde dem Gesinde zur Arbeit läutete; doch die Ideen, welche zur Nachtzeit die Phantasie angesponnen hatte, bildete das Spiel der Gedanken den Tag über aus.

Liebe scheut keine Gefahren, übersteigt Berge und Klippen, hüpft über Abgründe, findet Weg und Bahn durch die libysche Wüste und schwimmt auf dem Rücken des weißen Stiers über den stürmenden Pelagus. Die liebende Mathilde sann und klügelte so lange; bis sie ein Mittel fand, den schönsten ihrer Träume zu verwirklichen. Sie hatte den Bisamapfel der Pate Nixe, der ihr drei Wünsche gewähren sollte, noch im Besitz. Nie hatte sie Verlangen getragen, ihn zu öffnen und sein inneres Talent zu erproben; jetzt kam ihr ein, den ersten Versuch damit zu machen. Die Augsburger hatten bei Prinz Magens Geburt, Kaiser Friedrichen zu Ehren, ein herrliches Bankett angestellt, das drei Tage dauern sollte, zu welchem sie viel Prälaten, Grafen und Herren



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aus der Nachbarschaft eingeladen hatten. Dabei wurde jeden Tag um einen ausgesetzten Preis gestochen, und zur Abendzeit wurden die schönsten Jungfrauen zum Rathaus aufgeholt, um mit der edlen Ritterschaft zu tanzen, und das dauerte bis an den lichten Morgen. Ritter Konrad ermangelte nicht, dieser Festivität mit beizuwohnen, und war des Abends beim Tanz der Held der arten Frauen und Jungfrauen. Obgleich keine seiner gesetzmäßigen Liebe teilhaft werden konnte (denn er war ein Kreuzherr), so hatten sie ihn doch alle lieb und wert; er war ein schöner Mann und tanzte wonniglich.

Mathilde hatte den Entschluß gefaßt bei dieser Gelegenheit ein Abenteuer zu bestehen. Nachdem sie die Küche beschickt hatte und alles im Hause ruhig war; ging sie auf ihre Kammer, wusch mit feiner Seife die rußige Schminke von der Haut und ließ Lilien und Rosen darauf hervorblühen. Hernach nahm sie den Bisamapfel zur Hand und wünschte sich ein neues Kleid, so herrlich und prächtig es nur sein könnte, mit allem Zubehör. Sie öffnete den Deckel, da quoll hervor ein Stück seidenen Stoffs, das dehnte und breitete sich und rauschte wie ein Wasserstrom herab auf ihren Schoß, und als sie's recht besah, war's ein völliger Anzug mit allem dazu gehörigen kleinen Putz, und das Kleid paßte ihr auf den Leib wie angegossen. Darüber empfand sie die innige Herzensfreude, die junge Mädchen zu fühlen pflegen, wenn sie sich für das andere Geschlecht putzen und ihre gefährlichen Filetnetze ausstellen. Bei der Übersicht ihres An ugo schmeichelte alles so sehr der weiblichen Eitelkeit, daß sie vollkommen damit zufrieden war. Darum säumte sie nicht Vorhaben auszuführen, sie drehte den magischen Apfel dreimal in der Hand herum und sprach:

Die Augen zu,
Bleibt alle in Ruht

Alsbald fiel ein tiefer Schlaf auf das gesamte Hausgesinde von der wachsamen Wirtschafterin an bis auf den Türhüter. Husch war Fräulein Mathilde zur Tür hinaus, wandelte ungesehen durch die Straßen und trat mit dem Anstande einer Grazie in den Tanzsaal ein. Es wunderte sich männiglich über die Gestalt der holdseligen Jungfrau, und auf dem hohen Söller, der rings um den Saal lief, entstund ein flüsterndes Geräusch, wie wenn der Prediger auf der Kanzel Amen sagt. Einige bewunderten an der Unbekannten die Schönheit der Gestalt, andere den Geschmack der Kleidung, noch andere verlangten zu wissen, wer sie sei und von wannen sie käme, wiewohl kein Seitennachbar dem andern über diese Frage Auskunft geben konnte.

Unter den edlen Rittern und Herren, die sich herzudrängten, die fremde Jungfrau zu beäugeln, war der Kreuzherr nicht der letzte, ein feiner Mädchenspäher und nichts weniger als Misogyn; ihm dünkte, er habe nie eine glücklichere Physiognomie noch einen reizendern Wuchs gesehen. Er nahete sich ihr; zog sie zum Tanz auf; sie bot ihm bescheiden die Hand und tanzte zur



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Bewunderung schön. Ihr leichter Fuß schien kaum die Erde zu berühren; die Bewegung des Körpers aber war so edel und ungezwungen, daß sie jedes Auge entzückte. Ritter Konrad bezahlte den Tanz mit der Freiheit seines Herzens; er entbrannte gegen die schöne Tänzerin in heißer Liebe und kam ihr nicht mehr von der Seite, sagte ihr so viel Schönes vor und trieb sein Minnespiel mit solchem Ernst und Eifer, wie einer unserer heutigen Romanhelden, denen flugs die Welt zu enge wird, wenn der schäkerhafte Amor sie hetzt. Fräulein Mathilde war ebensowenig Meisterin ihres Herzens; sie siegte und wurde besiegt; der Erstlingsversuch in der Liebe schmeichelte ihr mit erwünschtem

Erfolg, und es war ihr unmöglich, die Sympathie ihrer Gefühle unter dem Schleier weiblicher Zurückhaltung zu verbergen oder gar die Spröde zu machen. Der entzückte Kreuzherr merkte bald, daß er kein hoffnungsloser Liebhaber war; es lag ihm nur daran, zu wissen, wer die schöne Unbekannte sei und wo sie hause, um sein Liebesglück zu verfolgen. Doch hier war alles Forschen vergebens; sie wich allen Fragen aus, und mit vieler Mühe erhielt er nur von ihr die Zusage, den folgenden Tag nochmals den Tanz zu besuchen. Er gedachte sie zu überlisten, wenn sie allenfalls nicht Wort halten sollte, und stellte alle Bedienten auf die Lauer, ihre Wohnung auszukundschaften, denn er hielt sie für eine Augsburgerin; die 'Tanzgesellschaft aber meinte, sie gehörte zur Freundschaft des Grafen, weil er ihr so schön tat und so freundlich mit ihr kosete.



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Der Morgen war schon angebrochen, ehe sie Gelegenheit fand, dem Ritter zu entwischen und den Tanzplatz zu verlassen. Sobald sie aus dem Saal trat; drehte sie den Bisamapfel dreimal in der Hano um und sagte dazu ihr Sprüchlein:

Hinter mir Nacht, vor mir Tag,
Daß mich niemand sehen mag;

und so gelangte sie in ihre Kammer, ohne daß die Dämmerungsvögel des Grafen, die in allen Straßen auf- und abflatterten, sie wahrnahmen. Bei ihrer Zuhausekunft schloß sie das seidene Kleid in die Lade, zog wieder die schmutzigen Küchenkleider an und gab sich an ihr Geschäfte, war früher auf als das übrige Gesinde, welches Frau Gertrude mit dem Bund Schlüssel aus den Betten klingelte, und erntete von der Wirtschafterin ein kleines Lob.

Noch nie war dem Ritter ein Tag so lang geworden als der nach dem Balle. Jede Stunde dünkte ihm ein Jahr; Sehnsucht und Verlangen, Zweifelmut und Besorgnis, daß ihn die unerforschliche Schöne täuschen möchte setzten sein Herz in Unruhe; denn Argwohn ist der Nachtreter der Liebe und hetzte jetzt so in seinem Kopfe herum, wie die Windspiele des Kreuzherrn auf dem Komterhofe. Um Vesperzeit rüstete er sich zum Balle kleidete sich sorgfältiger als Tags vorher, und die drei goldenen Ringe, das alte Abzeichen des Adels, funkelten diesmal mit Diamanten besetzt am Saume seiner Halskrause. Er war der erste auf dem Tummelplatze der Freude, musterte alle Kommenden mit dem Scharfblick des Adlerauges und Mete mit Ungeduld der Erscheinung seiner Ballkönigin entgegen. Der Abendstern war schon hoch am Horizont heraufgerückt, ehe das Fräulein Zeit gewann, auf ihre Kammer zu gehen und zu überlegen, was sie tun wollte; ob sie dem Bisamapfel den zweiten Wunsch abfordern oder diesen auf einen wichtigern Vorfall des Lebens aufsparen sollte. Die treue Ratgeberin Vernunft riet ihr, das letztere zu tun; aber die Liebe forderte das erstere mit so viel Ungestüm, daß die Dame Vernunft nicht zum Worte kommen konnte und sich endlich gar eklipsierte. Mathilde wünschte sich ein anderes Kleid von Rosaatlas, nebst einem Juwelenschmuck; so schön und prächtig, als ihn die Königstöchter zu tragen pflegen. Der gutwillige Bisamapfel gab her, was in seinem Vermögen war, und der Anzug übertraf ihre eigene Erwartung. Sie machte wohlgemut ihre Toilette, und mit Hülfe des Talismans gelangte sie, von keinem sterblichen Auge de



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merkt; dahin, wo sie so sehnlich erwartet wurde. Sie war ungleich reizender als Tags vorher, und da sie der Kreuzherr erblickte, hüpfte ihm das Herz vor Freuden, und eine unwiderstehliche Gewalt, wie die Zentralkraft der Erde; riß ihn mitten durch die Wirbel der Tänzer zu ihr hin, Empfindungen ihr vorzustammeln, die Geist und Herz erschütterten; denn er hatte bereits alle Hoffnung aufgegeben, die Jungfrau wiederzusehen. Um sich wieder zu sammeln und seine Verwirrung zu verbergen, zog er sie zum Tanz auf, und alle Partieen traten ab, das herrliche Paar walzen zu sehen. Wonniglich schwebte die schöne Unbekannte am Arm des flinken Ritters daher, wie die Blumengöttin im Lenz auf den Fittichen des Zephirs.

Nach vollendetem Tanze führte Graf Konrad die ermüdete Tänzerin unter dem Vorwand, Erfrischung zu suchen, in ein Seitengemach, sagte ihr in der Sprache eines feinen Hofmannes wie Tags zuvor viel Schmeichelhaftes; unvermerkt aber ging die kalte Hofsprache in die Sprache des Herzens über und endete mit einer Liebeserklärung so zärtlich und innig, als ein Freier zu reden pflegt; der um eine Braut wirbt. Das Fräulein hörte mit verschämter Freude den Ritter an, und nachdem ihr klopfendes Herz und die glühenden Wangen eine Zeitlang ihre Empfindungen zutage gelegt hatten und sie nun zu einer wörtlichen Erklärung ihrer Gegengesinnung aufgefordert wurde, redete sie gar züchtiglich also: Was Ihr mir, edler Ritter, heute und gestern von zarter Liebe vorgesagt habt, gefällt meinem Herzen wohl, denn ich glaube nicht, daß Ihr mit trüglichen Worten zu mir redet. Aber wie kann ich Eurer ehelichen Liebe teilhaftig werden, da Ihr ein Kreuzherr seid und das Gelübde getan habt, ehelos zu bleiben Euer Leben tangl Wenn Euer Sinn auf Leichtfertigkeit und Buhlerei gestellt wäre, so hättet Ihr alle Eure glatten Worte in den Wind geredet; darum löset mir das Rätsel, wie Ihr's anstellen möget; daß wir nach den Gesetzen der heiligen Kirche also zusammengebunden werden daß unsere Einigung bestehen mag vor Gott und der Welt. Der Ritter antwortete ernsthaft und bieder: Ihr redet als eine tugendliche und kluge Jungfrau, darum will ich auf Eure ehrliche Frage Euch jetzt Bescheid geben und Euren Zweifel lösen. Zur Zeit, als ich in den Kreuzorden aufgenommen wurde, war mein Bruder Wilhelm, der Stammerbe noch am Leben; seit der aber erbleicht ist, habe ich Dispensation erlangt, als der letzte meines Stammes ehelich zu werden und dem Orden zu entsagen, so mir's gefällt; doch hat mich Frauenliebe nie gefesselt bis auf den Tag, da ich Euch sah. Von dem Augenblick an ward's mit meinem Herzen gar anders, und ich vertraue fest darauf, daß Ihr und keine andere vom Himmel mir zum ehelichen Gemahl beschieden seid. So Ihr mir nun Eure Hand nicht weigert soll unser Bündnis nichts scheiden als der bittere Tod. Bedenket Euch wohl, versetzte Mathilde, daß Euch nicht die Reue ankomme; vorgetan und nachbedacht; hat in die Welt viel Unheil bracht. Ich bin Euch fremd, Ihr wisset



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nicht, wes Standes und Würden ich sei, ob ich Euch an Geburt und Vermögen gleiche, oder ob ein erborgter Schimmer nur Eure Augen blendet. Einem Manne Eures Standes steht an, nichts leichtsinnig zu verheißen, aber auch seine Zusage nach Adelsbrauch unverbrüchlich zu erfüllen. Ritter Konrad ergriff hastig ihre Hand, drückte sie fest ans Herz und sprach mit warmer Liebe: Das verspreche ich bei Seel und Seligkeit! Wenn Ihr, fuhr er fort, des geringsten Mannes Kind wäret, nur eine reine und unbefleckte Jungfrau, so will ich Euch ehrlich halten als mein Gemahl und Euch zu hohen Ehren bringen. Drauf zog er einen Demantring von großem Wert vom Finger, gab ihr den zum Pfand der Treue an ihre Hand, nahm dafür den ersten Kuß von ihren keuschen, noch unberührten Lippen und sprach weiter: Damit Ihr kein Mißtrauen in meine Zusage setzet, so lade ich Euch über drei Tage in mein Saus, wo ich meine Freunde des Prälaten- und Herrenstandes, auch andere ehrenfeste Männer bescheiden will, unserer Ehestiftung beizuwohnen. Mathilde weigerte sich des aus allen Kräften, weil ihr der rasche Gang der Liebe des Ritters nicht gefiel und sie die Beharrlichkeit seiner Gesinnungen zuvor erst prüfen wollte. Er ließ sich gleichwohl nicht abwendig machen, ihre Einwilligung zu begehren, und sie sagte weder ja noch nein dazu. Wie tags zuvor schied die Gesellschaft bei Anbruch der Morgenröte auseinander, Mathilde verschwand, und der Ritter, dem kein Schlaf in die Augen kam, berief in aller Frühe die wache Wirtschafterin und gab ihr Befehl zur Zurichtung eines prächtigen Gastmahls.

Wie Freund Hein, das Furchtgerippe mit der Sense, Paläste und Strohhütten durchwandert und alles, was ihm begegnet; unerbittlich mäht und
würgt; so durchzog am Vorabend des Gastmahls Frau Gertrud, die unerbittliche Faust mit dem Schlachtmesser bewaffnet, Hühner- und Entenställe



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und trug als die Parze des Hausgeflügels Leben und Tod in ihrer Hand. Von ihrem blanken Würgestahl fielen die unbesorgten Bewohner bei Dutzenden, schlugen zum letztenmal ängstlich die Flügel, und Hühner und Tauben und dämische Kapaunen bluteten neben dem verbuhlten Puterhahn ihr animalisch Leben aus. Fräulein Mathilde bekam so viel zu rupfen, zu brühen und aufzuzäumen, daß sie die ganze Nacht den goldenen Schlaf entbehren mußte; doch achtete sie all der Mühe nicht; weil sie wußte, daß der Hochschmaus um ihrentwillen angerichtet wurde. Das Gastmahl begann, der fröhliche Wirt flog den Kommenden entgegen, und wenn der Türhüter schellete, wähnte er immer, die unbekannte Geliebte sei an der Tür; wurde sie aber geöffnet, so trat ein Prälat; eine feierliche Matrone oder ein ehrwürdig Amtsgesicht herein. Die Gäste waren lange beisammen, und der Truchseß zögerte gleichwohl, die Speisen aufzutragen. Ritter Konrad harrete noch immer auf die schöne Braut; als sie aber zu lange weilte, winkte er Truchseß mit geheimem Verdruß, die Tafel zu beschicken. Man setzte sich und befand, daß ein Gedeck zuviel war; niemand aber konnte erraten, wer die Einladung des Gastgebotes verschmähet hatte. Von Augenblick zu Augenblick verminderte sich die Fröhlichkeit des Gastgebers sichtbar, es nicht mehr in seiner Gewalt, den Trübsinn von seiner Stirn zu bannen, so sehr er sich auch angelegen sein ließ, durch erzwungene Heiterkeit die Gäste bei Laune zu erhalten. Dieser splenitische Sauerteig säuerte gar bald den Süßteig der geselligen Freude, und es ging im Tafelgemach so still und ernsthaft her wie bei einem Leichenessen. Die Geigen, die abends zum Tanz aufspielen sollten, wurden fortgeschickt, und so endete diesmal die Fete im Komterhof ohne Sang und Klang, der sonst die Wohnung der Freude war.

Die mißmutigen Gäste verloren sich früher als gewöhnlich, und dem Ritter verlangte nach der Einsamkeit seines Gemachs, um sich seinem melancholischen Harm ganz zu überlassen und über die Täuschungen der Liebe ungestört nachzudenken. Er warf sich auf dem Bette unruhig hin und her und konnte mit seinen Sinnen nicht ausdenken, welche Deutung er der mißlungenen Hoffnung geben sollte. Das Blut kochte in den Adern, der Morgen kam, ehe er ein Auge geschlossen hatte die Diener traten herein, fanden ihren Herrn mit wilden Phantasien kämpfen, dem Anschein nach von einem heftigen Fieber befallen. Darüber geriet das ganze Haus in Bestürzung, die Arzte rennten trepp auf, trepp nieder, schrieben ellenlange Rezepte, und in der Apotheke waren alle Mörser im Gange, als ob sie zur Frühmetten läuten sollten. Aber das Kräutlein Augentrost, das allein der Liebe Sehnsucht lindert hatte kein Arzt verschrieben, darum verschmähete der Kranke Lebensbalsam und Perlentinktur, unterwarf sich keinem Regime und beschwor die Arzte, ihn nicht zu quälen, sondern den seines Stunden



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glases allgemach verrinnen zu lassen, ohne mit hülfreicher Hand noch daran zu rütteln.

Sieben Tage lang hatte sich Graf Konrad durch geheimen Kummer so abgezehrt, daß die Rosen seiner Wangen dahinwelkten, das Feuer der Augen verlosch und Leben und Odem ihm nur noch zwischen den Lippen schwebte wie ein leichter Morgennebel im Tal, der auf den kleinsten Windstoß wartet; ihn ganz zu verwehen. Fräulein Mathilde hatte genaue Kundschaft von allem, was im Hause vorging. Es war nicht Eigensinn, nicht spröde Ziererei, daß sie die Einladung nicht angenommen hatte; es kostete einen harten Kampf zwischen Kopf und Herz, zwischen Vernunft und Leidenschaft, ehe der Entschluß festband, der Stimme ihres Geliebten diesmal nicht zu gehorchen. Teils wollte sie die Standhaftigkeit des raschen Liebhabers prüfen, teils fand sie Bedenken, dem Bisamapfel den letzten Wunsch abzunötigen, denn als Braut, meinte sie, zieme ihr ein neuer Anzug, und Frau Pate hatte ihr empfohlen, mit ihren Wünschen rätlich umzugehen. Indessen war ihr am Tage des Gastmahls gar weh ums Herz, sie setzte sich in einen Winkel und weinte bitterlich. Die Krankheit des Ritters, davon sie sich die Ursache leicht erklärte, beunruhigte sie noch mehr, und wie sie die Gefahr vernahm, in welcher er sich befand, war sie untröstbar.

Der siebente Tag sollte nach der Prognosis der Arzte Leben oder Tod entscheiden. Daß Fräulein Mathilde für das Leben ihres Geliebten stimmte, ist leicht zu ermessen, und daß sie wahrscheinlicherweise dessen Genesung bewirken konnte, war ihr nicht unbekannt; nur die Art, wie sie sich dabei benehmen sollte, fand große Schwierigkeit. Doch unter den tausend Fähigkeiten, welche die Liebe erweckt und ausschließt; ist auch die mit einbegriffen, daß sie erfindungsreich macht. Mathilde ging ihrer Gewohnheit nach bei frühem Morgen zur Wirtschafterin, mit ihr über den Küchenzettel Rat zu halten; aber Frau Gertrud war so außer Fassung, daß sie sich auf die gemeinsten Dinge nicht besinnen, noch die Wahl der Speisen ordnen konnte; große Tränen wie die Tropfen einer Dachtraufe rollten über die ledernen Wangen . Ach Mathilde! schluchzte sie, wir werden hier bald ausgewirtschaftet haben, unser guter Herr wird den Tag nicht überleben. Das war eine gar traurige Botschaft! Das Fräulein gedachte umzusinken vor Schrecken; doch faßte sie bald wieder Mut und sprach: Verzaget nicht an dem Leben unsers Herrn, er wird nicht sterben, sondern gesund werden; ich habe heunt Nacht einen guten Traum gehabt. Die Alte war ein lebendiges Traumbuch machte Jagd auf jeden Traum des Hausgesindes, und wo sie einen



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habhaft werden konnte, legte sie ihn immer so aus, daß die Erfüllung bei ihr stund; denn die anmutigsten Träume zielten bei ihr auf Hader; Zank und Scheltworte. Sag an deinen Traum, sprach sie, daß ich ihn ausdeute. Mir war, gegenredete Mathilde, als sei ich noch daheim bei meinem Mütterlein, die nahm mich beiseits und lehrte mich das Süpplein von neunerlei Kräutern kochen; das hilft für alle Krankheit, so jemand nur drei Löffel davon genießt . Bereite dies deinem Herrn, sprach sie, und er wird nicht sterben, sondern von Stund an gesund werden. Frau Gertrud verwunderte sich höchlich über diesen Traum, enthielt sich diesmal aller sinnbildlichen Deutung. Dein Traum ist sonderbar, sprach sie, und nicht von ungefähr. Richte flugs dein Süpplein zu zum Frühstück; ich will sehen, ob ich's über unsern Herrn vermag, daß er davon geneußt. Ritter Konrad lag im stillen Hinbrüten matt und kraftlos, schickte sich zu seiner Heimfahrt und begehrte das Sakrament der letzten Oelung zu empfahen; da trat Frau Gertrud zu ihm hin, riß ihn durch ihre geläufige Zunge aus der Betrachtung der vier letzten Dinge und quälte ihn mit gutgemeinter Geschwätzigkeit dermaßen, daß er, um ihrer los zu werden, verhieß, was sie begehrte. Indessen bereitete Mathilde eine herrliche Kraftbrühe, tat darein allerlei Küchenkräuter und köstliche Würze, und als sie anrichtete, legte sie den Demantring, welchen ihr der Ritter zum Pfand der Treue gegeben hatte, in die Schale und hieß den Diener auftragen.

Der Kranke fürchtete die laute Beredsamkeit der Wirtschafterin, die ihm noch in den Ohren gellete, so sehr, daß er sich zwang, einen Löffel Suppe zu nehmen. Als er zu Boden fuhr, bemerkte er einen heterogenen Körper, den er herausfischte und zu seinem Erstaunen den Demantring fand. Sogleich glänzte sein Auge wieder voll Leben und Jugendfeuer, die hippokratische Gestalt verschwand, und er leerte mit sichtbarer Eßlust die ganze Schale aus, zu großer Freude der Frau Gertrud und des aufwartenden Gesindes. Alle schrieben der Suppe die außerordentliche Heilkraft zu, den Ring hatte der Ritter keinen der Umstehenden bemerken lassen. Drauf wendete er sich zu Frau Gertrud und sprach: Wer hat diese Kost zugerichtet die mir wohltut, meine Kräfte belebt und mich wieder ins Leben ruft? Die sorgsame Alte wünschte; daß der auflebende Kranke sich jetzt ruhig halten und nicht zuviel sprechen möchte, darum sprach sie: Laßt Euch nicht kümmern, gestrenger Junker, wer das Süpplein zugerichtet hat; wohl Euch und uns, daß es die heilsame Wirkung hervorgebracht hat die wir davon hofften. Durch diese Antwort geschah aber dem Ritter kein Genügen; er bestund mit Ernst auf der Beantwortung seiner Frage, auf welche die Ausgeberin diesen Bescheid gab: Es dienet eine junge Dirne in der Küche, genannt die Zigeunerin, aller Kräfte der Kräuter und Pflanzen kundig, die hat das Süpplein zugerichtet, das Euch so wohl tut. Führt sie alsbald zu mir sagte der Ritter, daß ich ihr



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danke für diese Panazee des Lebens. Verzeihet, erwiderte die Haushälterin, ihr Anblick würde Euch Unlust machen; sie gleicht an Gestalt einer Schleiereule; hat einen Höcker auf dem Nücken, ist mit schmutzigen Kleidern angetan, und ihr Angesicht und Hände sind mit Nuß und Asche bedeckt. Tut nach meinem Befehl, beschloß der Graf, und zögert keinen Augenblick. Frau Gertrud gehorchte; berief eilig Mathilden aus der Küche zu sich, warf ihr ein Regentuch über, das sie zu tragen pflegte; wenn sie zur Messe ging, und führte sie in diesem Aufputz in das Krankenzimmer ein. Der Ritter begehrte, daß sich jedermann entfernen sollte und als er die Tür hatte heißen zutun, sprach er: Mägdlein, bekenne mir frei, wie bist du zu dem Ringe gelangt; den ich funden habe in der Schale, darein du mir das Frühstück zugerichtet hast? Edler Ritter, antwortete das Fräulein züchtig und sittsam, den Ring habe ich von Euch; Ihr begabtet mich damit am zweiten Abend des Freudenreihens, da Ihr mir Eure Liebe schwuret; sehet nun zu, ob meine Gestalt und Herkunft verdienet; daß Ihr Euch so abgehärmt habt, als wolltet Ihr ins Grab sinken. Euer Zustand jammerte mich, darum habe ich nicht länger verweilet, Euch aus dem Irrtum zu ziehen.

Eines solchen Gegengiftes der Liebe hatte sich Graf Konrad nicht versehen sehen; er bestürzte und schwieg einige Augenblicke. Aber die Gestalt der reizenden Tänzerin schwebte ihm bald wieder vor; und er konnte das Gegenbild, das er vor Augen sah, nicht damit reimen. Natürlich verfiel er auf den Gedanken, daß man seine Leidenschaft erraten habe und ihn durch einen frommen Betrug davon heilen wollte; doch der wahre Ring, den er zurückempfangen hatte, ließ vermuten, daß die schöne Unbekannte auf irgendeine Weise mit im Spiel sein müßte; also legte er's darauf an, die seiner Meinung nach subornierte Dirne auszuforschen und in der Rede zu fangen. Seid Ihr die holde Jungfrau, sprach er, die meinen Augen gefallen hat und welcher ich meine Treue gelobet habe, so zweifelt nicht, daß ich meine Zusage treulich erfüllen werde; aber hütet Euch, mich zu betrügen. Könnet Ihr die Gestalt wieder annehmen, die Ihr mir vorloget zwei Nächte hintereinander auf dem Tanzplatz, könnet Ihr Euren Leib schlank und eben machen wie eine junge Tanne, könnet Ihr die schabige Haut abstreifen wie die Schlange und



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Farbe wechseln wie das Chamäleon, so soll das Wort, welches ich aussprach, als ich diesen Ring von mir gab, Ja und Amen sein. Könnet Ihr aber diesen Bedingungen nicht Genüge leisten, so will ich Euch als eine lose Dirne stäupen lassen, bis Ihr mir saget, wie Euch dieser Ring ist zu Handen kommen. Mathilde erseufzete: Ach! Ist nur der Schimmer der Gestalt, edler Ritter; wodurch Euer Auge geblendet wurden Wehe mir, wenn Zeit oder Zufall diese hinfälligen Reize zerstöret, wenn das Alter diesen schlanken Wuchs beugen und meinen Rücken krümmen wird, wenn die Rosen und Lilien abblühen, die feine Haut einschrumpft und runzelt, wenn einst die Truggestalt, in welcher ich jetzt vor Euch stehe, mir eigentümlich zugehöret; wo wird dann Eure mir geschworne Treue hinschwinden? Ritter Konrad verwunderte sich ob dieser Rede, die für eine Küchendirne zu klug und überlegt schien. Wisset, war seine Antwort, Schönheit bestrickt der Männer Herz, aber Tugend weiß es in den sanften Banden der Liebe zu erhalten. Wohlan, erwiderte sie, ich gehe, Euren Bedingungen Genüge zu leisten; Eurem Herzen sei es überlassen, mein Geschick zu entscheiden.

Der Kreuzherr schwankte noch immer zwischen guter Hoffnung und Furcht einer neuen Täuschung, er schellete der Wirtschafterin und erteilte ihr den Befehl: Geleitet dieses Mädchen auf ihre Kammer, daß sie sich reinlich kleide, harret an der Tür, bis sie heraustritt; ich erwarte Euer im Sprachgemach. Frau Gertrud nahm ihre Gefangene in genaue Aufsicht, ohne eigentlich zu wissen, wohin der Befehl ihres Herrn gemeinet sei. Im Hinaufsteigen fragte sie: Hast du Kleider, dich zu schmücken, warum hast du mir's verschwiegen? Gebricht dir's aber daran, so folge mir auf meine Kammer, ich will dir leihen, soviel du bedarfst. Hierauf beschrieb sie ihre altmodische Garderobe, worin sie vor einem halben Jahrhundert Eroberungen gemacht hatte, Stück bei Stück mit froher Zurückerinnerung an die vormaligen Zeiten. Mathilde hatte darauf wenig acht, begehrte nur ein Stücklein Seife und eine Handvoll Weizenkleien, nahm ein Waschbecken voll Wasser ging auf ihre Kammer und tat die Tür hinter sich zu, Frau Gertrud aber bewachte solche von außen mit großer Sorgfalt; wie ihr befohlen war. Der Kreuzherr, voller Erwartung, welchen Ausgang das Abenteuer seiner Liebe nehmen werde, verließ sein Lager; kleidete sich aufs zierlichste und begab sich in sein Prunkgemach mußte sich lange gedulden, ehe er aus der Ungewißheit gezogen wurde, und wandelte mit geschwinden Schritten unruhig auf und ab. Doch als der welsche Zeiger am Augsburger Rathaus in der Mittagsstunde auf achtzehn Uhr wies, flogen urplötzlich die Flügeltüren auf; es rauschte durchs Vorgemach der Schweif eines seidenen Gewandes, Fräulein Mathilde trat herein mit Anstand und Würde, geschmückt wie eine Braut und schön wie die Göttin der Liebe, wenn sie aus dem Götterdiwan des Olympus auf Paphos zurückkehrt. Mit dem Entzücken eines wonnetrunkenen Lieb



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habers rief Ritter Konrad: Göttin oder Sterbliche, wer Ihr auch sein möget, sehet mich hier zu Euren Füßen, die Gelübde, die ich Euch getan habe, durch die heiligsten Eidschwure zu erneuern, so Ihr anders würdiget, Hand und Herz von mir anzunehmen. Das Fräulein hob den Ritter bescheiden auf. Gemach, edler Ritter, sprach sie, übereilet Euch nicht mit Euern Gelübden, Ihr sehet mich hier in meiner wahren Gstalt; übrigens bin ich Euch unbekannt ein glatt Gesicht manchen Mann betrogen. Noch ist der Ring in Eurer Hand. — Flugs zog ihn Graf Konrad vom Finger, nun spielte er an ihrer Hand, und das Fräulein ergab sich dem holden Ritter. Ihr seid von nun an mein Auserwählter, sprach sie; dem ich mich länger nicht verhehlen kann. Ich bin Wackermann Uhlfingers, des ehrenfesten Ritters, Tochter, dessen unglückliches Geschick Euch sonder Zweifel nicht verborgen ist, bin kümmerlich dem Einsturz des väterlichen Hauses entronnen und habe in Eurer Wohnung, wiewohl in armseliger Gestalt; Schutz und Sicherheit gefunden. Hierauf erzählte sie ihm ihre Geschichte und verschwieg ihm auch die Heimlichkeit mit dem Bisamapfel nicht. Graf Konrad dachte nicht mehr daran, daß er zum Sterben krank gewesen war, lud auf den folgenden Tag all die Gäste wieder, die zuvor sein Trübsinn so früh auseinander gescheucht hatte, hielt öffentliche Verlobung mit seiner Braut, und als der Truchseß aufgetragen hatte und nun herumzählte, fand er, daß kein Gedeck zuviel war. Drauf trat der Ritter aus dem Orden, verließ den Komterhof und vollzog sein Beilager mit großer Pracht. Bei dieser merkwürdigen Hausveränderung bewies sich die geschäftige Martha Frau Gertrud ganz untätig;
als sie Fräulein Mathildens Kammertür bewachte und bei Eröffnung derselben eine stattlich gekleidete Dame zum Vorschein kam, war ihr Er



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staunen so groß, daß sie rücklings vom Sessel fiel, einen Schenkel ausrenkte und lendenlahm blieb Leben lang.

Die Neuvermählten verlebten zu Augsburg das Spieljahr ihrer Ehe in Wonne und unschuldsvoller Freude, wie das erste Menschenpaar im Garten Eden. Von den Gefühlen der wohltätigen Leidenschaft durchdrungen, vertraute die junge Frau, an den Busen ihres Eheherrn gelehnt; oft die Empfindungen ihrer Glückseligkeit seinem Herzen an, das sie als ein unbegrenztes Eigentum besaß. Mein herzgeliebter Herr, sprach sie einsmals mit dem Ausdruck des innigsten Gefühls, in Eurem Besitz ist mir nun kein Wunsch mehr übrig, ich erlasse meinem Bisamapfel die Erfüllung des dritten Wunsches mit Freuden. Habt Ihr aber irgendeinen verborgenen Wunsch in Eurem Herzen, so tut mir's kund, ich will ihn zu dem meinigen machen, und zur Stunde soll er Euch gewährt sein. Graf Konrad schloß sein trautes Weib herzig in die Arme und beteuerte ihr hoch, daß außer der Fortdauer seiner Ehe für nichts wünschenswert auf Erden sei. Also verlor der Bisamapfel in den Augen seiner Besitzerin allen Wert, und sie behielt ihn nur zum dankbaren Andenken der Pate Nixe.

Graf Konrad hatte noch eine Mutter am Leben, die auf ihrem Wittum zu Schwabeck wohnte, welcher die fromme Schnur aus Kindesliebe die Hand zu küssen groß Verlangen trug, um den wackern Sohn, den sie geboren hatte, ihr zu verdanken; doch der Graf lehnte immer die Wallfahrt zur Mutter unter scheinbarem Vorwand ab und brachte dagegen eine Lusterise auf ein unlängst heimgefallenes Lehn in Vorschlag, unfern von Wackermanns zerstörter Burg gelegen; Mathilde willigte gern darein, um die Gegend wieder zu besuchen, wo sie ihre erste Jugend verlebt hatte. Sie besuchte die Trümmern der väterlichen Wohnung, beweinte die Asche ihrer Eltern, ging zum Nixenbrunnen und hoffte, daß ihre Gegenwart die Nymphe einladen würde, sich ihr zu versichtbaren. Mancher Stein fiel in den Brunnen ohne die gehoffte Wirkung, selbst der Bisamapfel schwamm als eine leichte Wasserblase obenauf; und sie mußte sich die Mühe nehmen, ihn selbst wieder herauszufischen. Die Nymphe kam nicht mehr zum Vorschein, ob ihr gleich wieder eine Gevatterschaft bevorstund denn Frau Mathilde war nahe dabei, ihren Herm mit einem Ehesegen zu erfreuen. Sie gebar einen Sohn, schön wie ein Götterknabe, und die Freude der Eltern war so groß, daß sie ihn schier aus heißer Liebe erdrückten; die Mutter ließ m nicht aus ihren Armen und spähte jeden Atemzug des kleinen unschuldigen Engels, obgleich der Graf eine weise Amme gedungen hatte, die des Kindleins pflegen sollte. Aber in der dritten Nacht, da alles im Schloß vom Taumel eines Freudenfestes in tiefem Schlaf begraben lag, wandelte der Mutter auch ein sanfter Schlummer an, und als sie erwachte, weg war das Kind aus ihren Armen! Bestürzt rief die erschrockene Gräfin: Amme wo habt Ihr mein Kindlein



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hingelegt? Die Amme antwortete: Edle Frau, das zarte Herrlein ist in Euren Armen. Bett und Zimmer wurden ängstlich durchsucht aber nichts gefunden außer einigen Blutströpflein auf dem Fußboden des Gemachs. Wie das die Amme inne ward, erhob sie groß Geschrei: Ach, daß es Gott und alle Heiligen erbarmet Der Werwolf ist da gewesen und hat daz Kindlein davon getragen. Die Kindbetterin grämte sich über den Verlust des holden Knaben bleich und mager; und der Vater war untröstbar. Obgleich der Werwolfglaube in seinem Herzen kein Senfkorn aufwog, so ließ er sich doch von dem Weibergeschwätz, da er sich die Sache auf keine Weise zu erklären wußte, übertäuben, tröstete seine trostlose Gemahlin, die aus Gefälligkeit für ihn, der alle Traurigkeit haßte, sich zwang, eine heitere Miene anzunehmen.

Die Schmerzenstilgerin, die wohltätige Zeit; heilte endlich die mütterliche Herzwunde, und die Liebe ersetzte den Verlust durch einen zweiten Sohn. Grenzenlos war die Freude über den schönen Stammerben im gräflichen Palast, der Graf bankettierte frohen Muts mit seinen Nachbarn eine Tagereise ringsumher, der Freudenbecher ging ohne Unterlaß aus Hand in Hand von Wirt und Gästen bio zum Türhüter herum auf die Gesundheit des Neugeborenen. Die besorgte Mutter ließ das Kindlein nicht von sich, erwehrte sich des süßen Schlafes, so lange es ihre Kräfte erlaubten; da sie aber endlich den Forderungen der Natur nachgeben mußte, nahm sie die goldne Kette vom Hals, umschlang damit des Knäbleins Leib und befestigte das andere Ende davon an ihren Arm, gesegnete sich und das Kind mit dem heiligen Kreuz, auf daß der Werwolf keine Macht noch Gewalt daran finden möchte, und bald darauf überfiel sie ein unwiderstehlicher Schlaf. Als sie der erste Morgenstrahl erweckte, o Jammer! da war der süße Knabe aus ihren Armen verschwunden. Im ersten Schrecken rief sie wie vormals: Amme; wo habt Ihr mein Kindlein hingelegt?, und die Amme antwortete wiederum: Edle Frau, das zarte Herrlein ist in Euren Armen. Alsbald sah sie nach dem goldnen Kettlein, das sie um den Arm geschlungen hatte, befand, daß ein Gelenke mit einer scharfen stählernen Schere mitten entzwei geschnitten war, und starb in Ohnmacht vor Entsetzen hin. Die Amme machte Lärm im Hause das Gesinde eilte voller Bestürzung herbei, und da Graf Konrad hörte, was sich zugetragen hatte, entbrannte sein Herz von Wut und Eifer, er zückte sein ritterliches Schwert, Sinnes, der Amme Haupt zu spalten.

Verruchtes Weibl donnerte er mit furchtbarer Stimme, gab ich dir nicht geheimen Befehl, wach zu bleiben die ganze Nacht und kein Auge von dem Knaben zu verwenden, damit, wenn das Ungetüm käme; ihn der schlafenden Mutter wegzurauben, du durch dein Geschrei das Haus rege machtest, damit wir den Werwolf vertrieben? Schlaf nun, du Schläferin, den langen Todesschlaf! Das Weib fiel auf die Knie vor ihm nieder. Gestrenger Herr; sprach sie, bei Gottes Barmherzigkeit beschwöre ich Euch, erwürget mich



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augenblicks, damit ich die Schandtat mit ins Grab nehme, die meine Augen gesehen haben und die mir weder Geheiß noch Lohn abdringen soll, wofern sie nicht die Folter herauspreßt. Der Graf staunte; Welche Schandtat, fragte er, hast du mit Augen gesehen, die so schwarz ist; daß deine Zunge sich weigert sie auszureden? Lieber bekenne mir ohne Folter, was dir kund worden ist; als eine treue Magd. Herr, erseufzete die Dirne, was treibt Euch, Euer Unglück zu erfahren? Besser ist's, daß das schreckliche Geheimnis zugleich mit meinem Leichnam verscharret werde in das kühle Grab. Durch diese Rede wurde Graf Konrad nur noch begieriger; das Geheimnis zu erfahren; er nahm das Weib beiseits in sein heimliches Zimmer, und durch Drohungen und Verheißungen bewogen, eröffnete sie ihm, was er zu wissen gern wäre überhoben gewesen. Eure Gemahlin, sprach sie, sollt Ihr wissen, Herr; ist eine schändliche Zauberin; aber sie liebt Euch unermeßlich, und ihre Liebe geht so weit, daß sie auch ihrer eignen Leibesfrucht nicht verschonet; um daraus ein Mittel zu bereiten, Eure Gunst und ihre Schönheit unwandelbar zu erhalten. In der Nacht, alo alles in großer Sicherheit schlief, stellte sie sich, als sei sie eingeschlummert, ich tat das nämliche, weiß nicht, warum. Bald darauf rief sie mich beim Namen; aber ich achtete nicht darauf und fing an zu röcheln und zu schnarchen. Da sie nun vermeinte, ich sei fest eingeschlafen, saß sie rasch im Bett auf, nahm das Kindlein, drückte es an den Busen, küßte es inniglich und lispelte dazu diese Worte, die ich deutlich vernahm: Sohn der Liebe, werde ein Mittel, mir deines Vaters Liebe zu erhalten, gehe jetzt zu deinem Brüderlein, du kleine Unschuld, daß ich aus neunerlei Kräutern und deinen Knöchlein einen kräftigen Trank bereite, der meine Schönheit und deines Vaters Gunst mir bewahre. Als sie das gesagt hatte, zog sie eine Demantnadel, scharf wie ein Dolch, aus den Haaren, stieß solche dem Kindlein flugs durchs Herz, ließ es ein wenig ausbluten, und da es nicht mehr zappelte, legte sie's vor sich hin, nahm den Bisamapfel, murmelte dazu einige Worte, und da sie den Deckel abhob, loderte daraus empor eine lichte Feuerflamme, wie aus einer Pechtonne, welche den Leichnam in wenig Augenblicken verzehrte,



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die Asche und Knöchlein sammelte sie sorgfältig in eine Schachtel und schob sie unter die Bettlade. Drauf rief sie mit ängstlicher Stimme, als führe sie plötzlich aus dem Schlaf auf: Ammel wo habt Ihr mein Kindlein hingelegt? Und ich antwortete mit Furcht und Grausen, ihre Zauberei fürchtend: Edle Frau, das zarte Herrlein ist in Euern Armen. Darüber fing sie an sich ganz trostlos zu gebärden, und ich lief aus Zimmer unter dem Schein, Hülfe zu rufen. Sehet, gestrenger Herr, das ist der Verlauf der schändlichen Tat, die Euch zu offenbaren Ihr mich gedrungen habt, bin erbötig, die Wahrheit meiner Aussage durch einen glühenden Stab Eisen zu erhärten, den ich mit bloßen Händen tragen will dreimal den Schloßhof auf und nieder.

Ritter Konrad stund wie versteint; konnte lange Zeit kein Wort vorbringen . Nachdem er sich wieder gesammelt hatte, sprach er: Was bedarf's der Feuerprobe, Euren Worten ist der Stempel der Wahrheit aufgedrückt, ich fühl's und glaub's, daß alles so ist, wie Ihr saget. Behaltet das gräßliche Geheimnis in Eurem Herzen fest verschlossen und vertrauet es keinem Menschen, auch nicht dem Pfaffen, wenn Ihr beichtet; ich will Euch einen Ablaßbrief vom Bischof von Augsburg lösen, daß Euch diese Sünde nicht soll zugerechnet werden, weder in dieser noch in jener Welt. Jetzt will ich mit verstelltem Angesicht zu der Natter hineintreten, da habt wohl acht, daß Ihr; wenn ich sie umarme und ihr Trost einspreche, die Schachtel mit den Totengebeinen unter der Bettlade hervorziehet und unbemerkt mir solche überantwortet.

Mit leicht umwölkter Stirn und dem Blick eines gerührten, aber noch standhaften Mannes trat er in das Gemach seiner Gemahlin, die ihren Herrn mit schuldlosem Auge, wiewohl mit hochbetrübter Seele schweigend empfing. Ihr Angesicht glich eines Engels Angesichte, und dieser Anblick löschte Wut und Grimm, davon sein Herz entbrannt war, plötzlich aus. Der Geist der Sache milderte Mitleid und Bedauernis, er drückte die unglückliche Frau herzig an den Busen, und sie überströmte sein Gewand mit wehmutsvollen Tränen. Er tröstete sie, kosete freundlich mit ihr und sputete sich, den Schauplatz des Grausend und Entsetzens bald wieder zu verlassen. Die Amme hatte indes ausgerichtet, was ihr befohlen war, und überlieferte dem Grafen insgeheim das schauderhafte Knochenbehältnis. Es kostete einen schweren Kampf in seinem Herzen, ehe er einen Entschluß faßte, was er mit der vermeinten Zauberin tun sollte. Endlich wurde er Rats, ohne Spuk und Aufsehen sich ihrer entledigen. Er saß auf und ritt gen Augsburg, vorher aber tat er dem Hausmeister Befehl: Wenn die Gräfin nach neun Tagen hervorgehet aus ihrem Gemach, um nach Gewohnheit zu baden, so lasset die Badestube wohl heizen und verriegelt auswendig die Tür; daß sie im Bade verschmachte vor großer Hitze und nicht bei Leben bleibe. Der Hausmeister vernahm diesen Befehl mit großer Betrübnis und Wehmut, denn alles Hausgesinde liebte die Gräfin Mathilde als eine sanfte und gutmütige Gebieterin; doch wagte er



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nicht, gegen den Ritter den Mund aufzutun, weil er dessen großen Ernst und Eifer wahrnahm. Am neunten Tage befahl Mathilde; das Bad zu heizen; sie gedachte, ihr Gemahl werde nicht lange in Augsburg verweilen, und sie wollte, bei seiner Rückkehr alle Spuren des traurigen Wochenbettes sollten vertilgt sein. Als sie in das Badegemach hineintrat; zitterte die Luft sichtbar um sie her vor großer Hitze; sie wollte zurücktreten, aber ein starker Arm stieß sie mit Gewalt in die Badstube hinab, und sogleich wurde auch die Tür von außen verriegelt und verschlossen. Sie rief vergebens um Hülfe; niemand hörte, das Feuer wurde nur heftiger angeschüret, daß der Ofen hochrot glühete wie ein Töpferofen.

Aus diesen Umständen erriet die Gräfin leicht, was hier vorgehe; sie ergab sich darein, zu sterben, nur der schändliche Verdacht; den sie ahndete, marterte ihre Seele mehr als der schmähliche Tod. Sie nützte die letzten Augenblicke der Besinnung, zog eine silberne Nadel aus den Haaren und schrieb damit an die weiße Wand des Gemachs diese Worte: Gehab dich wohl, Konrad, ich sterbe auf deinen Befehl willig, aber schuldlos. Drauf warf sie sich auf ein Ruhebettlein nieder, ihren Todeskampf zu beginnen. Aber unwillkürlich strebt die Natur zu der Zeit, wenn das böse Stündlein kommt; ihrer Zerstörung vorzubeugen. In dem Angstgefühl der erstickenden Hitze warf sich die unglückliche Sterbende hin und her, da entfiel ihr der Bisamapfel, den sie stets bei sich trug, zur Erde. Augenblicklich ergriff sie ihn und rief: O Pate Nixe, steht es in deiner Macht so befreie mich von einem schandbaren Tode und rette meine Unschuld! Sie schrob hastig den Deckel auf, da stieg aus dem Bisamapfel hervor ein dichter Nebel, der sich über das ganze Gemach ausbreitete und der Gräfin angenehme Kühlung gewährte, daß sie keine Angst und Hitze mehr empfand; entweder hatten die wässerichten Dünste aus der Felsengrotte die Glut verschlungen, oder Frau Pate hatte vermöge der Antipathie der Najaden gegen das Element des Feuers ihren natürlichen Feind besiegt. Die Dunstwolke sammelte sich in eine Gestalt und



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Mathilde die jetzt nicht mehr zu sterben gedachte; erblickte mit unaussprechlicher Wonne die liebevolle Nymphe vor sich, in ihrem Arm den zarten Säugling, mit einem Westerhemdlein angetan, und an der Hand das ältere Herrlein, im weißen Flügelkleide mit rosenfarbenen Bandschleifen.

Willkommen, geliebte Mathilde! redete die Nymphe sie an. Wohl dir; daß du den dritten Wunsch, den dir der Bisamapfel gewähren sollte, nicht so leichtsinnig wie die beiden ersten verschwendet basil Hier sind die zwei lebendigen Zeugen deiner Unschuld, welche dich über die schwarze Verleumdung, unter welcher du schier erlagest werden triumphieren lassen. Der Unstern deines Lebens hat sich zum Untergange geneigt hinfort wird dir der Bisamapfel keinen Wunsch mehr gewähren, denn von nun an bleibt dir nichts mehr zu wünschen übrig. Aber das Rätsel deines traurigen Geschicks will ich dir lösen. Wisse, daß die Mutter deines Gemahls die Stifterin alles Unglücks ist. Dieser stolzen Frau war die Vermählung ihres Sohnes ein Dolchstich ins Herz; sie wußte nicht anders, als Graf Konrad habe den Adel seines Hauses durch Aufnahme einer Küchendirne ins Ehebette geschändet; sie stieß Fluch und Verwünschung gegen ihn aus und erkannte nicht mehr für den Sohn ihres Leibes. All ihr Sinnen und Dichten war darauf gestellt; dich zu verderben, wiewohl die Wachsamkeit deines Gemahls diesem boshaften Vornehmen immer gesteuert hat. Dennoch ist es ihr gelungen, auch diese durch eine gleisnerische Amme zu hintergehen. Durch große Verheißung hat sie dies Weib dahin vermocht, deinen erstgebornen Sohn im Schlafe dir aus den Armen zu reißen und ihn wie ein Hündlein ino Wasser zu werfen. Glücklicherweise wählte sie den Brunnen meiner Felsenquelle zu dieser Schandtat; ich empfing den Knaben mit liebevollen Armen und pflegte sein als eine Mutter. Ebenso vertraute sie mir auch den zweiten Sohn meiner geliebte Mathilde. Diese trugvolle Amme wurde deine Anklägerin, sie überredete den Grafen, du seist eine Zauberin; eine salamandrische Flamme aus dem Bisamapfel, dessen Geheimnis du sorgsamer hättest bewahren sollen, habe die Knaben verzehret; um aus ihrer Asche einen Liebestrank zu bereiten. Sie schob deinem Gemahl ein Gefäß, mit Tauben- und Hühnerknochen gefüllt, in die Hand, die er die Überbleibsel seiner Kinder erkannte und Befehl gab, dich in seiner Abwesenheit im Bade zu ersticken. Voll Neue und Verlangen, diesen grausamen Befehl womöglich noch zurückzunehmen, eilt er jetzt von Augsburg her, ob er dich gleich noch für schuldig hält. In wenig Stunden wirst du gerechtfertiget an seinem Busen liegen. Nachdem die Nymphe ausgeredet hatte, bog sie sich über das Angesicht der Gräfin, küßte sie auf die Stirn, und ohne eine Antwort zu erwarten, hüllte sie sich in ihren dichten Dunstschleier und verschwand.

Die Diener des Grafen waren indessen geschäftig, das erloschene Feuer wieder anzufachen, es dünkte ihnen immer, als hörten sie inwendig Menschenstimmen,



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woraus sie urteilten, daß die Gräfin noch am Leben sei. Aber alle ihre Mühe und Gebläse war vergebens, das Holz fing so wenig Feuer, als wenn der Ofen mit Schneeballen wäre geheizt worden. Bald darauf kam Graf Konrad angeritten und frug ängstlich, wie es um seine Gemahlin stehe. Die Diener erstatteten Bericht, wie sie das Bad wohl gehitzt hätten, daß aber das Feuer plötzlich erloschen sei und aller Vermutung nach die Gräfin noch lebe. Das erfreute sein Herz gar höchlich, er trat an die Tür und rief durchs Schlüsselloch: Lebst du, Mathildens Und die Gräfin vernahm die Stimme ihres Gemahls und antwortete: Geliebter Herr, ich lebe und meine Kindlein leben! Entzückt von dieser Rede ließ der ungeduldige Graf, da die Schlüssel nicht gleich bei Handen waren, die Tür einschlagen, stürzte ins Badegemach zu den Füßen seiner frommen Gemahlin und benetzte ihre unbefleckten Hände mit tausend reuigen Tränen, brachte sie und die holden Liebespfänder unter Jubel und Frohlocken des ganzen Hauses aus der fürchterlichen Sterbekammer in ihr Gemach zurück und vernahm aus ihrem Munde den ganzen Verlauf der schändlichen Verleumdung und des Kindesraubes . Alsbald gab er Befehl, die bübische Amme zu greifen und in die Badestube zu sperren, da fing das Feuer im Ofen an lustig zu brennen, die Flammen wirbelten hoch empor, und das teuflische Weib schwitzte ohne Verzug ihre schwarze Seele aus.



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