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J. K. A. Musäus

Volksmärchen der Deutschen


Herausgegeben von Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen der Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, A. Schrödter, R. Jordan und G. Osterwald und den 12 Titeblättem von Ludwig Richter

Leipzig F. W. Hendel Verlag 1926



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vacat


Melechsala.



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Vater Gregor, des Namens der Neunte auf St. Peters Stuhl, hatte in einer schlaflosen Nacht eine Inspiration nicht vom Geiste der Weissagungen, sondern der politischen Schikane, dem deutschen Adler die Schwungfedern zu stutzen, damit er sich nicht über das stolze Rom erheben möchte. Kaum beleuchtete die Morgensonne den ehrwürdigen Vatikan, so klingelte schon Se. Heiligkeit dem aufwartenden Kämmerling und befahl, das heilige Kollegium zusammenzuberufen, worauf Vater Gregor in pontificalibus eine feierliche Messe hielt und nach deren Beendigung einen Kreuzzug proponierte, wozu alle Kardinäle, die die weisen Absichten desselben leicht errieten und wohl merken, wohin es mit der Heeresfahrt zur Ehre Gottes und dem gemeinsamen Wohle der werten Christenheit gemeinet sei, ihren Assent gern und willig erteilten.



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Drauf zog ein schlauer Nuntius flugs hinab gen Neapel, wo Kaiser Friedrich von Schwabenland damals Hof hielt, der trug zwo Büchsen in seiner Reisetasche, die eine war gefüllt mit dem süßen Honigseim der Überredung, die andere mit Zunder, Stahl und Stein, damit den Bannstrahl anzuzünden, wofern der störrische Sohn der Kirche dem heiligen Vater nicht schuldige Parition leisten würde. Als der Legat zu Hofe kam, tat er die süße Büchse auf und sparte nichts an der glatten Latwerge. Aber Kaiser Friedrich war ein feiner Züngler, dem widerte bald der Pillengeschmack der in der Süßigkeit verborgen lag, auch kneipte es ihm davon weidlich in den krausen Därmen; drum verschmähte er die betrügliche Leckerei und begehrte nichts mehr davon. Da tat der Legat die andere Büchse auf und ließ einige Funken daraus sprühen, die den kaiserlichen Bart versengten und auf der Haut wie Nesseln brannten. Daraus vermerkte der Kaiser, daß ihm des heiligen Vaters Finger bald schwerer werden dürfte, als des Legaten Lenden waren; er legte sich also zum Zweck, bequemte sich zum Gehorsam, die Kriege des Herrn gegen die Ungläubigen im Orient zu führen, und betagte die Fürsten zur Heeresfahrt ino heilige Land. Die Fürsten taten das kaiserliche Gebot kund den Grafen, die Grafen entboten ihre Lehnsleute, die Ritter und Edeln, die Ritter rüsteten ihre Knappen und Knechte, saßen auf und versammelten sich jeder unter sein Panier.

Nächst der Bartholomäusnacht hat keine so viel Jammer und Not auf Erden gestiftet als die, welche Gottes Statthalter auf Erden durchwachte, um einen verderblichen Kreuzzug zu gebären. Ach wie viele heiße Tränen flossen, als Ritter und Knecht abdruckten und ihr Liebchen gesegneten! Eine herrliche Generation deutscher Heldensöhne verschmachtete in den Lenden der auswandernden Väter wie der Keimtrieb wuchernder Pflanzen in den syrischen Wüsten, wenn der glühende Sirokko darüber wehet. Das Band von tausend glücklichen Ehen wurde gewaltsam zerrissen; zehntausende Bräute hingen traurig ihre Kränze wie die Töchter Jerusalems an die babylonischen Weiden, saßen da und weinten, und hunderttausend reizende Mädchen wuchsen dem Bräutigam vergebens entgegen, blüheten wie ein Rosengarten in einem einsamen Klosterzwinger, denn es war keine Hand da, die sie pflückte, und welkten ohne Genuß dahin. Unter den seufzenden Gattinnen, denen die schlaflose Nacht des heiligen Vaters den trauten Ehegemahl von der Seite führte, waren auch Elisabeth die Heilige, vermählte Landgräfin in Thüringen, und Ottilia, vermählte Gräfin von Gleichen, welche zwar nicht im Geruche der Heiligkeit stund, aber in Absicht der Leibesgestalt und ihres tugendsamen Wandels keiner ihrer Zeitgenossinnen nachstund.

Landgraf Ludwig, ein treuer Lehnsmann des Kaisers, ließ ein gemeines Aufgebot ins Land ergehen, daß sich seine Vasallen zu ihm sammeln und ihm ino Heerlager folgen sollten. Allein die mehrsten suchten einen Vor



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wand, diese Fahrt in fremde Lande glimpflich von sich abzulehnen. Einen plagte das Zipperlein, den andern der Stein; dem waren seine Rosse gefallen, jenem die Rüstkammer aufgebrannt. Nur Graf Ernst von Gleichen nebst einer kleinen Schar rüstiger Kämpen, die frank und ledig waren und Lust hatten, ein fernes Abenteuer zu bestehen, waffneten ihre Reisigen und



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Knechte, gehorchten dem Gebot des Landgrafen und führten ihr Volk auf den Sammelplatz. Der Graf war seit zwei Jahren vermählt, und während dieses Zeitverlaufs hatte ihm seine liebreizende Gemahlin auch zwei Kinder zur Welt gebracht, ein Herrlein und ein Fräulein, die nach Beschaffenheit dieses rüstigen Weltalters ohne Beihülfe der Kunst so leicht und rasch waren geboren worden wie der Tau aus der Morgenröte; ein drittes Pfand der Liebe trug sie noch unter dem Herzen, welches um der päpstlichen Nachtwache willen der väterlichen Umarmung beim Eintritt in die Welt entbehren mußte. Ob sich Graf Ernst gleich stark machte wie ein Mann; so behauptete die Natur doch an ihm ihre Rechte, und er konnte die mächtigen Gefühle der Zärtlichkeit nicht verhehlen, als er beim Scheiden sich mit Gewalt seiner weinenden Gemahlin aus den Armen wand. Indem er mit stummem Schmerz sie verlassen wollte; drehte sie sich rasch nach dem Bettlein ihrer Kinder, riß das schlummernde Herrlein daraus hervor, drückte es sanft an ihre mütterliche Brust und reichte es mit beträntem Blick dem Vater hin, um auch den väterlichen Abschiedskuß auf die unschuldsvolle Wange zu drücken. Ebenso tat sie mit dem Fräulein. Das griff dem Grafen gewaltsam ans Herz, die Lippen fingen ihm an zu beben, der Mund verzog sich sichtbar in die Breite, wobei er laut ausschluchzte, die Kinder an den stählernen Harnisch drückte, unter welchem ein sehr weiches empfindsames Herz schlug, sie aus dem Schlafe küßte und nebst seiner hochgeliebten Gemahlin in den Schutz Gottes und aller Heiligen befahl. Wie er nun nebst seiner reisigen Schar den krummen Burgweg von der hohen Feste Gleichen herabzog, sah ihm die Gräfin mit banger Wehmut nach, so lange sein Panier, worein sie mit feiner Purpurseide das rote Kreuz gestickt hatte, noch vor ihren Augen wehete.

Landgraf Ludwig war hoch erfreut, da er den stattlichen Lehnsmann mit



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Rittern und Knappen unter Vortragung des Kreuzpaniers herantraben sah; aber wie er ihn ins Auge faßte und den Trübsinn des Grafen wahrnahm, ward er zornig, denn er meinte, der Graf sei flau und grämisch über den Heereszug und ihm nicht mit gutem Willen nachgezogen. Darum faltete sich seine Stirn, und die landgräfliche Nase schnaubte Unwillen. Graf Ernst aber hatte einen feinen pathognomischen Blick im Auge und merkte bald aus, was seinen Herrn wurmte, deshalb trat er ihn kecklich an und eröffnete ihm die Ursache seines Mißmuth. Das war Öl zum Essig des Unwillens, der Landgraf erfaßte mit biedrer Traulichkeit die Hand seines Vasallen und sprach: Ist's also, lieber Getreuer, wie Ihr saget, so drückt uns beide der Schuh an einem Ort, Liesbeth, mein ehelich Gemahl, hat mir auch beim Valet das Herz eingeflennt. Aber seid gutes Muts; indem wir kämpfen, werden unsere Weiber daheim beten, daß wir mit Glorie und Ruhm zu ihnen zurückkehren. So war's damals Sitte im Lande: wenn der Mann zu Felde zog, blieb die Hausfrau in ihrem Kämmerlein still und einsam, fastete und betete und tat Gelübde ohne Unterlaß für seine glückliche Heimkehr. Dieser alte Brauch ist aber nicht allerorts mehr landüblich, die jüngste Kreuzfahrt des deutschen Kriegsvolks ino ferne Abendland durch den reichlichen Familienzuwachs während der Abwesenheit der peregrinierenden Ehegenossen davon manchen Beweis vor Augen gestellt hat.

Die fromme Landgräfin empfand den Schmerz der Trennung von ihrem Gemahl ebenso lebhaft als ihre Schicksalsgenossin, die Gräfin von Gleichen. Ob ihr Herr, der Landgraf, gleich von etwas stürmischem Naturell war so lebte sie doch mit ihm in vollkommenster Eintracht, und seine irdische Masse wurde von der Heiligkeit seiner frommen Betthälfte nach und nach dergestalt imbibiert, daß ihm sogar einige freigebige Geschichtschreiber selbst den Namen des Heiligen beilegen, wiewohl dieser mehr für ein Ehrenwort als für eine Realität bei ihm gelten kann, wie bei uns noch heutzutage das Beiwort des Großen, des Hochwürdigsten, des Hocherfahrnen oder des Hochgelahrten auch nur eine äußere Randverguldung öfters andeutet. So viel ergibt sich aus allen Umständen, daß das erlauchte Ehepaar nicht immer in Ausübung der Werkheiligkeit harmonierte und daß die Mächte des Himmels in die daher entstehenden Ehedifferenzen sich zuweilen einmischen mußten, den Hausfrieden aufrechtzuerhalten, wie folgendes Beispiel zutage legt. Die fromme Landgräfin hatte zu großem Verdruß ihrer Höflinge und der genäschigen Edelknaben die Gewohnheit; die reichhaltigsten Schüsseln von der landgräflichen Tafel für hungrige Bettler, die ihre Burg unablässig belagerten, aufzusparen und sich das Vergnügen zu machen, wenn der Hof abgetafelt hatte, diese verdienstliche Spende eigenhändig an die Armen auszuteilen. Das löbliche Küchenamt führte nach höfischer Manier, vermöge welcher die Ersparnis im .Kleinen die Verschwendung im Großen immer



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ausgleichen soll, darüber von Zeit zu Zeit so nachdrückliche Klage, als wenn die ganze Landgrafschaft Thüringen Gefahr lief, von diesen magern Gästen rein aufgezehrt zu werden, und der Landgraf, der gern ökonomisierte hielt diese Spende für ein so wichtiges Objekt, daß er seiner Gemahlin dieses christliche Liebeswerk, das eigentlich ihr frommes Steckenpferd war, alles Ernstes untersagte. Eines Tages konnte sie gleichwohl dem Triebe der Wohltätigkeit und der Versuchung, den ehelichen Gehorsam dadurch zu verletzen, nicht widerstehen. Sie winkte ihren Frauen, die eben abtrugen, einige unberührte Schüsseln und einige Laiblein Brot von Weizenmehl konterband zu machen. Alles das sammelte sie in ein Körbchen und stahl sich damit durch das Felsenpförtchen aus der Burg heraus.

Aber die Laurer hatten das schon ausgekundschaftet und es dem Landgrafen verraten, welcher an allen Ausgängen des Schlosses fleißig aufpassen ließ. Da ihm nun angesagt wurde, seine Gemahlin sei wohlbeladen zum Seitenpförtchen hinausgeschlüpft, kam er stattlich über den Schloßhof dahergeschritten und trat auf die Zugbrücke, gleichsam um freie Luft zu schöpfen. Ach! da hörte die fromme Landgräfin seine goldnen Sporen klingen. Alsbald befiel sie Furcht und Schrecken, daß ihr die Kniee zitterten und sie nicht förder gehen konnte. Sie verbarg das Viktualienkörbchen so gut als möglich unter die Schürze, die bescheidene Decke der weiblichen Reize und Schalkheit. Aber so gegründete Privilegien dieses unverletzbare Asyl gegen Mautner und Zöllner haben mag, so ist es doch keine eherne Mauer für einen Ehemann; der Landgraf merkte Unrat, kam mit Eile herzu, seine bräunlichen Wangen rötete der Zorn, und die Kollerader trat mächtig ander Stirn hervor. Weib, sprach er mit raschem Ton, was trägst du in dem Korbe, welchen du mir verbirgst? Ist's nicht der Abhub meiner Tafel, womit du das lose Gesindel der Lungerer und Bettler fütterst? Mit nichten, lieber Herr, antwortete die fromme Landgräfin züchtiglich, aber gar beklommen, die in gegenwärtiger kritischen Lage, ihrer Heiligkeit unbeschadet, eine Notlüge für wohl erlaubt hielt, es sind eitel Rosen, die ich in dem Burgzwinger gepflückt habe. Wäre der Landgraf unser Zeitgenosse gewesen, so hätte er seiner Dame auf ihr Ehrenwort glauben und von aller weitern Untersuchung abstehen müssen; doch so geschliffen war die rasche Vorwelt nicht. Laß sehen, was du trägst, sprach der gebieterische Eheherr und riß mit Ungestüm der Zagenden die Schürze weg. Das schwache Weib konnte sich gegen diese Gewalttätigkeit nur zurückweichend verteidigen. Tut doch gemach, lieber Herr! gegenredete sie und errötete vor Scham, daß sie vor ihrem Hofgesinde auf einer Lüge sollte erfunden werden. — Aber o Wunder: o Wundert das corpus delicti hatte sich wirklich in die schönsten aufblühenden Rosen Seit aus den Semmeln waren weiße, aus den Schlackwürsten purpurfarbene und aus den Eierkuchen waren gelbe Rosen worden.



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Mit freudigem Staunen nahm die heilige Frau diese wunderbare Metamorphose wahr; wußte nicht, ob sie ihren Augen glauben sollte, denn sie hatte selbst ihrem Schutzheiligen nicht die Politesse zugetraut, zum Vorteil einer Dame ein Wunder zu bewirken, wenn's darauf ankommt einen strengen Ehemann zu düpieren und eine weibliche Notlüge bei Ehren zu erhalten.

Dieser augenscheinliche Beweis der Unschuld besänftigte den erzürnten Löwen. Er wendete nun seine furchtbaren Blicke auf die bestürzten Hofschranzen, welche seiner Meinung nach die fromme Landgräfin unschuldig verleumdet hatten, schalt sie heftig aus und tat einen teuern Schwur; den ersten Ohrenbläser, der seine tugendsame Gemahlin wieder bei ihm verunglimpfen würde, alsbald in das Verlies werfen und darin peinlich verschmachten zu lassen. Hierauf nahm ereine der Rosen und steckte sie zum Triumph der Unschuld auf den Hut, die Geschichte meldet aber nicht; ob er den folgenden Tag eine verwelkte Rose oder eine Schlackwurst darauf fand, indes berichtet sie, daß die heilige Elisabeth, sobald ihr Herr mit dem Kuß des Friedens sie verlassen und sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte, getrosten Muts nach dem Anger, wo ihre Pfleglinge, die Lahmen und Blinden, die Nackenden und Hungrigen, ihrer warteten, den Berg hinabgewandelt
sei, dort ihre gewöhnlichen Spenden auszuteilen. Denn sie wußte wohl, daß die wundertätige Täuschung dort wieder verschwinden werde, wie denn wirklich geschah; da sie ihr Viktualienmagazin öffnete, fand sie keine Rosen mehr, wohl aber die nahrhaften Brocken darin, die sie den höfischen Tellerleckern aus den Zähnen gerückt hatte.

Ob sie nun wohl, da ihr Herr ins heilige Land zog, seiner strengen Aufsicht entlediget wurde und freie Macht und Gewalt bekam, Liebeswerke im geheim oder öffentlich, wie und wenn es ihr gefiel, auszuüben, so liebte sie doch den gebieterischen Ehegemahl so treu und aufrichtig, daß sie sich ohne



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innigste Betrübnis nicht von ihm scheiden konnte. Ach, es ahndete ihr wohl, daß sie ihn in diesem Erdenleben nicht wiedersehen würde. Und mit dem nuß im Zukünftigen stund's auch gar mißlich. Dort behauptet eine kanonisierte Heilige einen so hohen Rang, daß alle übrigen verklärten Seelen gegen sie nur seliger Pöbel sind.

So hoch auch der Landgraf in dieser Unterwelt gestellt war, so war's doch noch immer die Frage, ob er in den Vorhöfen des Himmels würdig erfunden wurde, an den Teppich ihres Thrones zu knieen und die Augen gegen seine gewesene Bettgenossin aufheben zu dürfen. So viel Gelübde sie auch tat, so viel gute Werke sie ausübte, so viel ihre Vorbitte sonst bei allen Heiligen galt, so wenig vermochte ihr Kredit im Himmel, das Lebensziel ihres Gemahls auch nur um eine Spanne lang weiter hinauszurücken. Er starb auf dieser Heeresfahrt in der besten Blüte des Lebens an einem bösen Fieber zu Hydrunt, ehe er noch das ritterliche Verdienst sich erworben hatte, einen Sarazenen bis auf den Sattelknopf zu spalten. Als er sich zur Hinfahrt anschickte und es an dem war, daß er die Welt gesegnen sollte; berief er unter den umstehenden Dienern und Vasallen Graf Ernst zu sich ans Sterbebette, ernannte ihn an seiner Statt zum Anführer des Häufleins der Kreuzfahrer, die ihm gefolgt waren, und nahm einen Eid von ihm, nicht wieder heimzukehren, er habe denn dreimal gegen die Ungläubigen das Schwert gezückt. Hierauf empfing er vom Reisekapellan das heilige Viatikum, verordnete so viel Seelenmessen, daß er und sein ganzes Gefolge daran genug gehabt hätten, mit Pomp in das himmlische Jerusalem einzuziehen, und verschied. Graf Ernst ließ den erbleichten Leichnam seines Herrn einbalsamieren, verschloß ihn in eine silberne Truhe und schickte ihn der verwitweten Landgräfin zu, die um ihren Ehegemahl Leid trug wie eine römische Kaiserin, denn sie legte die Trauerkleider nicht wieder ab, dieweil sie lebte.

Graf Ernst von Gleichen förderte die Wallfahrt, so sehr er konnte, und gelangte mit den Seinigen glücklich im Heereslager bei Ptolemais an. Hier fand er freilich mehr eine theatralische Vorstellung des Krieges als einen ernsthaften Feldzug. Denn wie auf unsern Schaubühnen bei der Vorbildung eines Heerlagers oder einer Feldschlacht nur im Vordergrunde wenig Zelte ausgespannt sind und eine kleine Zahl von Schauspielern miteinander scharmützeln, inder Ferne aber viele gemalte Gezelte oder Geschwader die Illusion befördern und das Auge täuschen, indem alles auf einen künstlichen Betrug der Sinnen abgesehen ist: so auch die Kreuzarmee eine Mixtur von Fiktion und Realität. Von den zahlreichen Heldenscharen, die aus ihrem Vaterlande auswanderten, gelangte immer nur der kleinste Teil bis an die Grenzen des Landes, auf dessen Eroberung sie ausgingen. Die wenigsten fraß das Schwer' der Sarazenen, diese Ungläubigen hatten mächtige Bundesgenossen, die sie dem feindlichen Heere weit über die Grenze entgegen schickten



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und die wacker darunter aufräumten, ob sie gleich weder Lohn noch Dank für ihre guten Dienste erhielten. Das waren namentlich .hunger, Blöße, Fährlichkeit zu Land und Wasser und unter bösen Brüdern, Frost und Hitze, Pest und böse Beulen; auch das peinliche Heimweh fiel zuweilen wie ein schwerer Alp auf die stählernen Harnische, preßte sie wie geschmeidige Pappe zusammen und spornte die Rosse zur flüchtigen Heimkehr. Unter diesen Umständen hatte Graf Ernst wenig Hoffnung, so eilfertig, als er wohl wünschte, seiner Zusage Genüge zu tun und sein ritterliches Schwert dreimal gegen die Sarazenen blitzen zu lassen, ehe er an den Rückzug ino Vaterland gedenken durfte. Drei Tagereisen ringo ums Lager her ließ sich kein arabischer Bogenschütze blicken, die Ohnmacht des Christenheeres lag hinter Bollwerk und Schanzen verborgen und wagte sich nicht daraus hervor, den fernen Feind aufzusuchen, sondern harrete auf die zögernde Hülfe des schlummernden Papstes, der seit der schlaflosen Nacht welche den Kreuzzug angesponnen hatte, einer ungestörten Ruhe genoß und sich um den Erfolg des heiligen Krieges wenig kümmerte.

In dieser Untätigkeit die dem Heere der Christen ebenso unrühmlich war, als weiland dem Heere der Griechen die vor dem blutigen doch mutigen Troja; wo der Held Achill mit seiner Bundesbrüderschaft so lange um ein Freudenmädchen maulte, trieb die christliche Ritterschaft im Lager großes Wohlleben und Kurzweil, die müßige Zeit zu töten und die Grillen zu verscheuchen; die Welschen mit Sang Saitenspiel, wozu die leichtfüßigen Franzosen hüpften; die ernsten Hispanier mit dem Brettspiel; die Briten mit dem Hahnenkampf; die Deutschen mit



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Schwelgen und Zechgelagen. Graf Ernst; der an all diesem Zeitvertreib wenig Gefallen trug, erlustigte sich mit der Jagd, bekriegte die Füchse in der dürren Wüste und verfolgte die schlauen Felsgemsen in den verbrannten Gebirgen. Die Ritter von seinem Gefolge scheueten die glühende Sonne am Tage und die feuchte Nachtluft unter diesem fremden Himmel und schlichen sich seitab, wenn ihr Herr aufsatteln ließ; daher pflegte ihm nur sein getreuer Schildknappe, der flinke Kurt genannt; und ein einzelner Reisige auf die Jagd zu folgen. Einsmals hatte ihn die Neigung, den Gemsen nachzuklettern, so weit geführt, daß die Sonne schon ins Mittelmeer tauchte, ehe er an den Rückzug gedachte, und so sehr er sich auch sputete, das Lager zu erreichen, so überfiel ihn doch die Nacht, ehe er dahin gelangte. Eine Erscheinung trüglicher Irrlichter, welche er für die Wachtfeuer des Lagers hielt, entfernte ihn noch weiter davon. Da er seines Irrtums inne ward, beschloß er, unter einem Feldbaume bis zu Tagesanbruch zu rasten. Der getreue Knappe bereitete seinem ermüdeten Herrn ein Lager von weichem Moos, der von der Hitze des Tages abgemattet einschlief, ehe er die Hand erhob, sich nach Gewohnheit mit dem heiligen Kreuz zu segnen. Aber dem flinken Kurt kam kein Schlaf in die Augen, er war von Natur so wachsam wie ein Nachtvogel, und wenn ihm auch das Talent der Wachsamkeit nicht wäre verliehen gewesen, so würde ihn die treue Sorgfalt für seinen Herrn munter erhalten haben. Die Nacht war, wie es dem Klima von Asien gewöhnlich ist, hell und klar, die Sterne funkelten im reinen Brillantenlichte, und feierliche Stille, wie im Tale des Todes, herrschte in der weiten Einöde. Kein Lüftchen atmete, demungeachtet goß die nächtliche Kühlung Leben und Erquickung auf Pflanzen und Tiere. Aber um die dritte Nachtwache, da der Morgenstern den kommenden Tag verkündete; erhob sich ein Getöse in düsterer Ferne, gleich einem rauschenden Waldstrom, der sich über einen jähen Absturz herabwälzt. Der wachsame Knappe horchte hoch auf und ging auch mit seinen übrigen Sinnen auf Kundschaft aus, da sein scharfes Auge den Schleier der nächtlichen Dämmerung zu durchdringen nicht vermochte. Er horchte und windete zugleich wie ein Spürhund, denn ihn wehete ein Geruch an, wie der von wohlriechenden Kräutern und zerquetschten Grashalmen, auch schien das befremdende Getöse sich immer mehr zu nähern. Er legte das Ohr auf die Erde und vernahm ein Trappeln wie von Rosses Hufen, welches ihn auf die Vermutung brachte, das wilde Heer ziehe vorüber, da überlief's ihn mit einem kalten Schauer und wandelte ihm große Furcht an. Er rüttelte deshalb seinen Herrn aus dem Schlafe und dieser merkte bald, nachdem er sich ermuntert, daß hier ein anderes als ein gespenstisches Abenteuer zu bestellen sei. Indem der Reisige die Pferde aufzäumte, ließ er sich in aller Eile waffnen.

Die dunkeln Schatten schwanden nun allgemach, und der herannahende



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Morgen färbte den Saum des östlichen Horizonts mit seinem Purpurlichte. Da sah der Graf, was er geahndet hatte, einen Haufen Sarazenen heranziehen, alle wohlgerüstet zum Streit, um eine Beute von den Christen zu erjagen. Ihren Händen zu entfliehen war keine Möglichkeit, und der wirtbare Baum im weiten Blachfelde gab keinen Schutz, Roß und Mann dahinter zu verbergen. Zum Unglück war der große Gaul kein Hipogryph; sondern ein schwerbeleibter Friesländer, dem vermöge seiner Struktur das wünschenswerte Talent, seinen Herrn auf den Fittichen der Winde davon zu tragen, nicht verliehen war. Darum befahl der mannliche Held seine Seele in den Schutz Gottes und der heiligen Jungfrau und faßte den Entschluß, ritterlich zu sterben. Er gebot seinen Dienern, ihm zu folgen und ihr Leben so teuer zu verkaufen, als sie könnten. Hierauf stach er den Friesländer wacker an und setzte mitten in das feindliche Geschwader, welches sich eines so plötzlichen



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Angriffs von einem einzelnen Ritter nicht versah. Die Ungläubigen bestürzten und stoben auseinander, wie leichte Spreu, die der Wind zerstreuet. Da sie aber inne wurden, daß der Feind nicht stärker sei als drei Helme, wuchs ihnen der Mut, und es begann ein ungleiches Gefecht, wo die Tapferkeit der Menge unterlag. Der Graf tummelte sich indessen wacker auf dem Kampfplatz herum, die Spitze seiner Lanze blitzte Tod und Verderben auf die feindlichen Heerscharen, und wenn sie ihren Mann faßte, so flog er unwiderstehbar aus dem Sattel. Selbst den Anführer des sarazenischen Pulks, der grimmig auf ihn einrennte, streckte der mannfeste Arm des Grafen zu Boden und durchstach ihn, da er sich wie ein Wurm im Sande wälzte, mit der sieggewohnten Lanze, wie der Ritter St. Georg den scheußlichen Lindwurm. Der flinke Kurt hielt sich nicht minder hurtig. Ob er wohl zum Angriff nicht taugte, so war er doch ein Meister im Nachhauen und hieb alles in die Pfanne, was sich nicht zur Wehre setzte, wie ein Kunstrichter, der das wehrlose Gesindel der Krüppel und Lahmen abwürgt, die sich jetzt so dreiste auf die literarische Stechbahn wagen, und wann auch zuweilen ein matter Invalide mit großem Grimm, wie ein erboster Pasquillant und Rezensenten- jäger, aus entnervter Faust einen Stein gegen ihn schleuderte, so ließ er sich das nicht anfechten; denn er wußte wohl, daß seine eiserne Sturmhaube nebst dem Harnisch einen mäßigen Wurf wohl ertragen konnte. Auch der Reisige tat sein Bestes, reine Bahn um sich her zu machen, und hielt dabei seines Herrn Rücken frei. Wie aber neun Bremsen das stärkste Pferd, vier Stiere der Kaffern einen afrikanischen Löwen und gemeiner Sage nach eine Mäuserotte einen Erzbischof überwältigen und bezwingen können, davon der Mäuseturm im Rhein laut Hübnern kundig Zeugnis gibt, so wurde der Graf von Gleichen nach einem ritterlichen Gefechte von der Zahl der Feinde auch endlich übermannet. Sein Arm ermüdete, die Lanze war zersplittert, das Schwert gestümpft, der Gaul strauchelte auf dem mit Feindesblut getünchten Schlachtfelde. des Ritters Fall war die Losung des Sieges, hundert rüstige Arme stürmten auf ihn ein, das Schwert ihm zu entringen; und seine Hand hatte zum Widerstande keine Kräfte mehr. Sobald der flinke Kurt den Ritter fallen sah, entfiel ihm auch der Mut und zugleich der Streithammer, mit dem er die Sarazenenschädel so meisterlich zerhämmert hatte. Er ergab sich auf Diskretion und bat flehentlich um Quartier. Der Reisige stund in dumpfem Hinbrüten da, verhielt sich leidend und erwartete mit stierischer Gleichmütigkeit den Schlag einer Streitkolbe auf seine Sturmhaube, der ihn zu Boden stürzen würde.

Die Sarazenen waren indessen menschlichere Sieger, als die Überwundenen hoffen durften, sie begnügten sich, die drei Kriegsgefangenen zu entwaffnen, ohne ihnen am Leibe Schaden noch Leid zu tun. Diese milde Schonung war eben keine Regung der Menschenliebe, sondern nur Kundschafterbarmherzigkeit;



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von einem erschlagenen Feinde ist nichts auszuforschen, und die Absicht der streifenden Horde war eigentlich, von dem Zustande des christlichen Heeres bei Ptolemais sichere Kundschaft einzuziehen. Nachdem die Gefangenen verhört waren, wurden ihnen nach asiatischem Kriegsgebrauch die Sklavenfesseln angelegt, und weil eben ein Schiff nach Alexandrien segelfertig lag, schickte sie der Bey von Asdod zum Soldan von Ägypten, um am Hofe ihre Aussage von der Beschaffenheit der christlichen Heeresmacht zu bestätigen. Das Gerücht von der Tapferkeit des wackern Franken war bereits vor seiner Ankunft bio zu den Toren von Großkairo erschollen, und ein solcher streitbarer Kriegsgefangener hätte in der feindlichen Hauptstadt wohl eben die pompöse Aufnahme verdienet, welche der zwölfte April dem gallischen Seehelden *) in London erwarb, wo die frohe Königsstadt sich wetteifernd bemühete, dem Überwundenen die Ehre des britischen Triumphs empfinden zu lassen; doch der muselmännische Eigendünkel läßt fremdem Verdienst keine Gerechtigkeit widerfahren. Graf Ernst wurde in dem Aufzuge eines Baugefangenen, mit schweren Ketten belastet, in den vergitterten Turm gesperrt, wo die Sklaven des Soldans pflegten aufbewahrt zu werden. Hier hatte er Zeit und Muße in langen peinlichen Nächten und einsamen traurigen Tagen das eherne Schicksal seines zukünftigen Lebens zu überdenken, und es gehörte ebensoviel Mut und Standhaftigkeit dazu, unter diesen Kontemplationen nicht zu erliegen, als sich mit einer ganzen Horde streifender Araber auf dem Schlachtfelde herumzutummeln. Oft schwebte das Bild seiner ehemaligen häuslichen Glückseligkeit ihm vor Augen, er dachte an seine holde Gemahlin und an die zarten Sprossen keuscher Liebe. Ach, wie verwünschte er die unglückliche Fehde der heiligen Kirche mit dem Gog und Magog im Orient, die ihn des glücklichen Loses seines Erdenlebens beraubt und an unauflösliche Sklavenketten gefesselt hatte. In diesen Augenblicken war er der Verzweiflung nahe, und es fehlte wenig, daß seine Frömmigkeit an dieser Klippe der Anfechtung nicht scheiterte.

Zu Lebzeiten Graf Ernsts von Gleichen trieb sich unter den Anekdotenjäger eine abenteuerliche Geschichte herum von Herzog Heinrich dem Löwen, die damals als eine bei Menschengedenken vorgefallene Begebenheit im ganzen deutsche Reiche großen Glauben fand. Der Herzog, so erzählt die Volkssage, wurde auf seiner Wallfahrt übers Meer ino heilige Land durch einen schweren Sturm an eine unbewohnte afrikanische Küste verschlagen, wo er von seinen Unglücksgenossen allein dem Schiffbruch entrann und in der Höhle eines gastereien Löwen Obdach und Zuflucht fand. Die Gutmütigkeit des grausamen Bewohners der Höhle hatte aber eigentlich nicht



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ihren Sitz im Herzen, sondern in der linken Hintertatze; er hatte sich auf der Jagd in den libyschen Wüsten einen Dorn eingetreten, der ihm so viel Schmerzen machte, daß er sich weder regen noch bewegen konnte und darüber seine natürliche Freßbegierde ganz vergaß. Nach gemachter Bekanntschaft und gewonnenem wechselseitigen Zutrauen vertrat der Herzog bei dem König der Tiere die Stelle eines Äskulab und grub mühsam den Dorn aus dem Fuße. Der Löwe wurde heil, und eingedenk der ihm von seinem Gast erwiesenen Wohltat verpflegte er diesen aufs beste von seinem Raube und war so freundlich und zutätig gegen ihn als ein Schoßhund.

Der Herzog wurde aber der kalten Küche seines vierfüßigen Wirtes gar bald überdrüssig und sehnte sich nach den Fleischtöpfen seiner ehemaligen Hofküche; denn er wußte das ihm zugeteilte Wildpret nicht so niedlich zuzurichten als vordem sein Mundkoch. Da überfiel ihn das Heimweh gar mächtig, und weil er keine Möglichkeit sah, jemals in seine Erblande zurückzukehren, betrübte ihn das in der Seele also, daß er sichtbar verkümmerte wie ein wunder Hirsch. Da trat der Versucher mit der bekannten, an wüsten Örtern gewöhnlichen Effronterie zu ihm, in Gestalt eines kleinen schwarzen Männleins, welches der Herzog beim ersten Anblick einen Orang-Utang hielt, es war aber unsers Herregotts Affe, der Satanas, leibhaftig, grinsete ihn an und sprach: Herzog Heinrich, was jammerst du? So du mir vertrauest will ich all deinem Kummer ein Ende machen und dich heimführen zu deinem Gemahl, daß du noch heute abend neben ihr im Schloß zu Braunschweig tafelst, denn es ist dort ein herrlich Abendmahl zugeschickt, sintemal sie mit einem andern hochzeitet; dieweil sie sich deines Lebens verziehen hat.

Diese Depesche rollte wie ein Donnerschlag in des Herzogs Ohren und schnitt ihm wie ein zweischneidiges Schwert durchs Herz. Wut brannte in seinen Augen wie Feuerflammen, und in seiner Brust tobte Verzweiflung. Will mir der Himmel nicht; dachte erin diesem kritischen Augenblicke, so mag die Hölle raten! Das war eine von den verfänglichen Situationen, welche der ausgelernte psychologische Tausendkünstler so meisterhaft zu nutzen weiß, wenn ihm die Werbung um eine Seele, auf die er lüstern III, gelingen soll. Der Herzog legte, ohne sich lange zu bedenken, die güldnen Sporen an, gürtete das Schwert um die Lenden und machte sich reisefertig. Hurtig, Gesell, sprach er, führe mich und diesen meinen getreuen Löwen gen Braum schweig, ehe noch der freche Buhle mein Bett besteigt. Wohl! antwortete der Schwarzbart, aber weißt du auch, welcher Lohn mir für die Überfahrt gebührt? Fordere, was du willst, sprach Herzog Heinrich, es soll dir aufs Wort gewährt sein. Deine Seele auf Sicht bis in jene Welt; antwortete Beelzebub. Es seil Schlag einl rief die tobende Eifersucht aus Heinrichs Munde.



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Sonach war der Kontrakt zwischen beiden Teilhabern in bester Form Rechtem geschlossen. Der höllische Weih verwandelte sich augenblicklich in
einen Vogel Greif, faßte in eine Kralle den Herzog, in die andere den getreuen Löwen und führte beide in einer Nacht vom libyschen Gestade gen Braunschweig, die hochgebaute Stadt auf der festen Erdscholle des ,Saar es, welche selbst die lügenhafte Prophezeiung des Zellerfelder Sehers zu erschüttern nicht gewagt hat, setzte seine Bürde wohlbehalten mitten auf dem Marktplatz ab und verschwand, als eben der Wächter ins Horn stieß, um die Mitternachtstunde abzurufen und ein verjährtes Brautlied aus der rauhen Mummenkehle zu karjöhlen. Der herzogliche Palast und die ganze Stadt



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flimmerte noch wie der gestirnte Himmel von der hochzeitlichen Beleuchtung, und auf allen Straßen war Lärm und Getöse des frohlockenden Volkes, das herzuströmte, die geschmückte Braut und den feierlichen Fackeltanz, der das Vermählungsfest beschließen sollte, zu begaffen. Der Äronaut, der von seiner weiten Luftreise keine Ermüdung spürte, drängte sich mitten im Volksgetümmel durch den Eingang des Palastes, trat mit klingenden Sporen unter Geleitschaft des getreuen Löwen ins Tafelgemach, zückte das Schwert und sprach: Heran, wer treu bei Herzog Heinrich hält, und auf Verräter Fluch und Dolch! Zugleich brüllte der Löwe, wie wenn sieben Donner ihre Stimme hören lassen, schüttelte die furchtbare Mähne und reckte zornmütig den Schwanz zum Zeichen des Angriffs empor. Die Zinken und Posaunen verstummten, und ein grausendes Schlachtgetöse rauschte von dem Gewühl im Brautsaal zum gotischen Gewölbe hinauf, davon die Mauern dröhnten und die Schwellen bebten.

Der goldgelockte Hochzeiter und die bunte Schmetterlingsschar seiner Höflinge fielen unter dem Schwert des Herzogs, wie die tausend Philister unter dem Eselskinnbacken in der benevten Faust des Sohnes Manoah, und wer dem Schwert entging, der lief Löwen in den Rachen und wurde abgewürgt wie ein wehrloses Lamm. Nachdem der zudringliche Freier nebst der Gespanschaft seiner Edeln und Diener aufgerieben war und Herzog Heinrich sein Hausrecht auf ebenso strenge Manier gebraucht hatte wie ehedem der weise Odysseus *) gegen den Buhlerklub der keuschen Penelope; setzte er sich wohlgemut zu seiner Gemahlin an die Tafel, die von dem Todesschrecken, das er ihr gemacht hatte, eben anfing sich wieder zu erholen. Indem er sich die Speisen seiner Mundköche wohlschmecken ließ, die nicht ihn zugerichtet waren, warf er einen triumphierenden Blick auf die neue Eroberung und sah, daß sich die Herzogin in rätselhaften Tränen badete, welche ebensogut auf Verlust als Gnomin sich ausdeuten ließen. Indessen erklärte er sie, als ein Mann, der zu leben wußte, lediglich zu seinem Vorteil und verwies ihr nur mit liebreichen Worten die Übereilung ihres Herzens, worauf er von Stund an wieder in alle seine Rechte trat.

Diese sonderbare Geschichte hatte sich Graf Ernst auf dem Schoße seiner Amme gar oft erzählen lassen, nachher bei reiferm Alter die Wahrheit derselben als ein heller Kopf bezweifelt. In der traurigen Einöde des vergitterten Turms aber bildete sich ihm das alles wohl möglich vor, und sein schwankender Ammenglaube gedieh beinahe zur Überzeugung. Ein Transito durch die Luft schien ihm die leichteste Sache von der Welt zu sein, wenn der Geist der Finsternis in schauervoller Mitternacht seinen Fledermaus



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fittich dazu herleihen wollte. Ungeachtet er vermöge seiner religiösen Grundsätze keinen Abend verabsäumte, ein großes Kreuz vor sich zu schlagen, so regte sich doch ein geheimes Verlangen in seiner Seele, das nämliche Abenteuer zu bestehen, ob er gleich diesen Wunsch sich selbst nicht eingestund. Wenn indessen eine wandernde Maus zwischen der Vertäfelung der Wände zur Nachtzeit kraspelte, wähnte er flugs, der höllische Proteus signaliere seine dienstfertige Ankunft, zuweilen brachte er schon in Gedanken den Frachtakkord mit ihm vorläufig in Richtigkeit. Allein außer der Illusion eines Traumes, die ihm die schwindelnde Luftreise ins deutsche Vaterland vorgaukelte, hatte der Graf von seinem Ammenglauben keinen Gewinn, als daß er mit diesem Gedankenspiel ein paar leere Stunden ausfüllte und wie ein Romanenleser sich in die Stelle des auftretenden Helden versetzte. Warum sich aber Meister Abaddon so untätig bewies, da es doch auf eine Seelenkaperei ankam und nach allen Umständen die Entreprise gelingen mußte, davon läßt sich eine oder die andere triftige Ursache angeben. Entweder war der Schutzpatron des Grafen wachsamer als der, welchem Herzog Heinrich die Obhut seiner Seele anvertraut hatte, und wehrte kräftig ab, daß der böse Feind keine Macht noch Gewalt an ihm finden konnte, oder dem Geiste, der in der Luft herrscht, war der Speditionshandel in diesem seinem Elemente dadurch verleidet, daß er vom Herzog Heinrich um die stipulierte Fracht dennoch geprellt wurde. Denn da es mit ihm zum Abdrücken kam, hatte des Herzogs Seele so viel gute Werke auf ihrer Rechnung, daß die Zeche auf dem höllischen Kerbholz dadurch reichlich getilget wurde.

Während daß Graf Ernst in romantischen Grillen einen schwachen Schein von Hoffnung zur Erledigung aus dem düstern Gitterturme träumte und auf wenig Augenblicke seines Kummers und Unmuts dabei vergaß, brachten die heimkehrenden Diener der harrenden Gräfin die Botschaft zurück, ihr Herr sei ans dem Lager verschwunden, ohne daß sie zu sagen wußten, welches Abenteuer ihm zugestoßen sei. Einige mutmaßten, er sei der Raub eines Drachen oder Lindwurms worden; andere, ein verpesietes Lüftlein habe ihn in den syrischen Wüsteneien angewehet und getötet; noch andere, er sei von einer arabischen Räuberbande geplündert und gemordet oder gefangen weggeführt worden. Dann kamen alle überein, daß er pro mortuo zu achten und die Gräfin ihrer ehelichen Gelübde quitt und ledig sei. Sie beweinte ihren Herrn auch wirklich als einen Toten. Und als ihre verwaisten Kindlein in der Unbefangenheit ihres Herzens sich der schwarzen Käpplein freueten, die ihnen Mama hatte machen lassen, den guten Vater; dessen Verlust sie noch nicht fühlten, darin zu betrauern, so jammerte es ihr in der Seele, und ihre Augen zerflossen in Tränen vor wehmutovoller Betrübnis. Aber eine geheime Ahndung sagte ihr demungeachtet; der Graf sei noch am Leben. Sie erstickte diesen Gedanken, der ihr so wohl tat, auch keineswegs



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in ihrem Herzen; denn Hoffnung ist doch die kräftigste Stütze der Leidenden und der süßeste Traum des Lebens. Um diese zu unterhalten, rüstete sie im geheim einen treuen Diener aus und schickte ihn auf Kundschaft über Meer ino heilige Land. Der schwebte wie ein Rabe aus der Arche über den Gewässern hin und her und ließ weiser nichts von sich hören. Darauf sendete sie einen andern Boten aus, der kam nach sieben Jahren, nachdem er Land und Meer durchzogen hatte, wieder heim, ohne daß er das Oelblatt guter Hoffnung im Schnabel trug. Gleichwohl zweifelte die standhafte Frau im geringsten nicht, ihr Herr sei noch im Lande der Lebendigen anzutreffen, denn sie vertrauete fest darauf, ein so zärtlicher, getreuer Gatte könne unmöglich aus der Welt geschieden sein, ohne bei dieser Katastrophe an sein Weib und seine Kindlein daheim zu gedenken und ein Anzeichen seines Abschieds aus der Welt zu geben. Aber hatte sich seit dem Abzug des Grafen im Schlosse nicht geeignet, weder in der Rüstkammer durch Waffengeräusch, noch auf dem Söller durch einen rollenden Balken, noch im Bettgemach durch einen leisen Wandeltritt oder durch einen herzhaften Stiefelgang. Auch hatte keine nächtliche Wehklage von der hohen Giebelzinne des Palastes ihre Nänie herabgetönet, noch das berüchtigte Vöglein Kreideweiß seinen grausenvollen Totenruf hören lassen. Aus der Abwesenheit aller dieser Anzeichen von böser Bedeutung schloß sie nach den Grundsätzen der weiblichen Vernunftlehre *), die bei dem zarten Geschlechte auch noch in unsern Tagen lange nicht so sehr in Verfall geraten ist als Vater Aristoteles Organon bei dem männlichen, daß ihr vielgeliebter Ehegemahl noch lebe, und wir wissen, daß diese Konklusion ihre gute Richtigkeit hatte. Daher ließ sie sich den unfruchtbaren Erfolg der beiden ersten Entdeckungsreisen, deren Zweck ihr wichtiger war als uns die Aufsuchung der südlichen Polarländer keineswegs abschrecken, den dritten Apostel in alle Welt zu senden. Dieser war von träger Gemütsart, hatte sich das Sprüchlein wohl gemerkt: Zum Laufen hilft nicht schnell sein; darum hielt er bei jedem Wirtshaus an und tat sich gütlich. Und da er es ungleich bequemer fand, die Leute, bei welchen er des Grafen wegen Nachfrage halten sollte, zu sich kommen zu lassen, als ihnen in der weiten Welt nachzuspüren und sie aufzusuchen: so stellte er sich an einen Posten, wo er alle Passanten aus dem Orient mit der insolenten Forschbegierde eines Zöllners am Schlagbäume examinieren konnte, das war der Hafen an der Wasserstadt Venedig. Dieser war damals gleichsam das allgemeine Tor; durch welches die Pilger und Kreuzfahrer aus dem heiligen Lande in ihre Heimat zurückkehrten. Ob der schlaue Mann das beste oder das schlechteste Mittel wählte, seiner aufhabenden Funktion Genüge zu leisten, das wird sich in der Folge zeigen.



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Nach einer siebenjährigen Kustodie in dem engen Gewahrsam des vergitterten Turmes zu Großkairo, die dem Grafen ungleich länger deuchte als den heiligen Siebenschläfern ihr siebenzigjähriger Schlaf in den römischen Katakomben, vermeinte er von Himmel und Hölle verlassen zu sein und verzieh sich gänzlich seines Leibes Erlösung aus diesem trübseligen Käfig, in welchem er des wohltätigen Anblicks der Sonne entbehren mußte, und wo das gebrochene Tageslicht nur kümmerlich durch ein enges mit eisernen Stäben verwahrtes Fenster einfiel. Sein Teufelsroman war lange zu Ende, und das Vertrauen auf die wundertätige Hülfe seines Schutzheiligen wog ein Senfkorn auf. Er vegetierte mehr, als daß er lebte, und wenn er in diesem Zustande noch einen Wunsch gebären konnte, so war es der; vernichtet zu sein.

Aus diesem lethargischen Taumel weckte ihn plötzlich das Rasseln von einem Schlüsselbund vor der Tür seiner Klause. Seit dem Eintritt in dieselbe hatte der Kerkermeister das Amt der Schlüssel hier nicht wieder verwaltet denn alle Bedürfnisse des Gefangenen gingen durch eine Klappe in der Tür aus und ein, daher gehorchte das verrostete Schloß dem Kapital erst nach langem Widerstande, vermittelst der Lockspeise des Baumöls. Aber das Knarren der eisernen Bänder an der aufgehenden Tür, die sich schwerfällig um den Angel bewegten, war dem Grafen ein lieblicher Ohrenschmaus schmelzender Harmonien gleichwie von Schöpfer Franklins Harmonika. Ein ahndungovolles Herzklopfen setzte sein stockendes Blut in Umlauf, und er erwartete mit ungeduldigem Verlangen die Botschaft von der Veränderung seines Schicksals, übrigens war es ihm gleichgültig, ob sie ihm Tod oder Leben verkünden würde. Zwei schwarze Sklaven traten mit dem Kerkermeister herein, die auf dessen Wink dem Gefangenen die Fesseln abnahmen, und ein anderer stummer Wink des ernsten Graubarts gebot dem Entledigten, ihm zu folgen. Er gehorchte mit wankenden Schritten, die Füße versagten ihm den Dienst, und er bedurfte der Unterstützung der beiden Sklaven, um die steinerne Wendeltreppe hinab zu taumeln. Man führte ihn vor den Hauptmann der Gefangenen, der ihn mit sträflichem Gesicht also anredete: Hartnäckiger Franke, warum hast du verheimlicht, welcher Kunst du erfahren seist; da du in den Gitterturm gelegt wurdest? Einer deiner Mitgefangenen hat dich verraten, daß du ein Meister seist der Gärtnerei. Gehe, wohin dich der Wille des Soldans ruft, richte einen Garten an nach der 'Weise der Franken und



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pflege sein, wie deines Augapfels, daß die Blume der Welt darinnen lustig blühe zum Schmuck des Orients.

Wenn der Graf nach Paris zum Rektor der Sorbonne wäre voziert worden so hätte ihn dieser Beruf nicht mehr befremden können als der, die Funktion eines Lustgärtners beim Soldan von Ägypten zu verwalten. Er verstund von der Gärtnerei so wenig, als ein Laie von den Geheimnissen der Kirche. Zwar hatte er in Welschland und Nürnberg viel Gärten gesehen, denn daselbst brach die Morgenröte der Gartenkunst zuerst in Deutschland an, ob sich gleich der Gartenluxus der Nürnberger damals nicht viel höher als auf eine Boselbahn und den Anbau des römischen Kopfsalates erstreckte. Aber um die Anlage der Gärten, um die Pflanzenkunde und um die Baumzucht hatte er nach Standesgebühr sich niemals bekümmert, noch seine botanische Kenntnis so weit getrieben, daß er von der Blume der Welt Notiz genommen hätte. Er wußte auch nicht, nach welcher Methode sie wollte behandelt sein, ob sie wie die Aloe durch die Kunst oder wie eine gemeine Ringelblume allein durch die wirksame Natur zur Flor müsse gebracht werden. Gleichwohl wagte er es nicht, seine Unwissenheit zu bekennen oder das ihm zugedachte Ehrenamt auszuschlagen, aus gegründeter Besorgnis, durch eine Bastonade auf die Fußsohlen von seiner Amtstüchtigkeit überzeugt zu werden.

Es wurde ihm ein angenehmer Park angewiesen, welchen er zu einem europäischen Lustgarten umschaffen sollte. Dieser Platz hatte entweder von der freigebigen Mutter Natur oder von der Hand der älteren Kultur eine so glückliche Anlage und Ausschmückung empfangen, daß der neue Abdolonymus mit aller Anstrengung seiner Sinnen keinen Fehl oder Mangel daran wahrnehmen konnte der einer Verbesserung bedurft hätte. Zudem erweckte der Anblick der lebendigen und wirksamen Natur, dessen er seit sieben Jahren in dem düstern Kerker hatte entbehren müssen, seine stumpfe Sinnlichkeit auf einmal so mächtig, daß er aus jeder Grasblume Entzücken einsog und alles um sich her mit Wonnegefühl betrachtete wie der erste Menschenvater im Paradiese, dem auch der kritische Gedanke nicht einkam, etwas an dem Garten Gottes meistern zu wollen. Der Graf befand sich daher in keiner geringen Verlegenheit, wie er mit Ehren des ihm geschehenen Auftrags sich entledigen wollte; er besorgte, jede Veränderung würde den Garten einer Schönheit berauben, und wenn er als ein Stümper erfunden würde, dürfte er wohl wieder in den Gitterturm wandern müssen.

Da ihn nun der Scheik Kiamel, Oberintendant der Gärten und Favorit des Soldans, fleißig antrieb, das Werk zu beginnen, forderte er funfzig Sklaven, deren er zur Ausführung seines Entwurfs benötigt sei. Des folgenden Tages bei frühem Morgen waren sie alle zur Hand und passierten die Musterung vor ihrem neuen Befehlshaber, der noch nicht wußte, wie er einen einzigen beschäftigen sollte. Aber wie groß war seine Freude, als erden



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flinken Kurt und den schwerfälligen Reisigen, seine beiden Unglücksgefährten, unter dem Haufen ansichtig wurde. Ein Zentnerstein fiel ihm dadurch vom Herzen, das Schwermutsfältchen verschwand von der Stirn, und seine Augen wurden wacker als wenn er seinen Stab in Honigseim getaucht und davon gekostet hätte. Er nahm den getreuen Knappen beiseits und offenbarte ihm unverhohlen, in welches heterogene Element er durch den Eigensinn des Schicksals sei verschlagen worden, worinnen er weder zu schwimmen noch zu baden wisse; auch sees ihm unbegreiflich, welcher rätselhafte Mißverstand sein angebornes Ritterschwert mit dem Spaten verwechselt habe. Nachdem er ausgeredet hatte, fiel der flinke Kurt mit nassen Augen ihm zu Füßen, erhob seine Stimme und sprach: Verzeihung, lieber Herr! Ich bin Ursächer Eurer Bekümmernis und Eurer Befreiung aus dem schändlichen Gitters, der Euch so lange Zeit gefangen hielt. Zürnet nicht, daß Euch der unschuldige Betrug Eures Knechtes daraus errettet hat, freuet Euch vielmehr, daß Ihr Gottes Sonne wieder über Eurem Haupte leuchten sehet. Der Soldan begehrte einen Garten nach der Weise der Franken und ließ kund tun allen gefangenen Christen, die im Bazam waren, wer ihm einen solchen Garten zuzurichten wisse, der solle hervortreten und großen Lohns gewärtig sein, so ihm das Beginnen gedeihen würde. Das unterwand sich nun keiner von allen; ich aber gedachte an Eure schwere Haft. Da gab mir ein guter Geist den Lug ein, Euch einen Meister in der Gärtnerei zu verkundschaften, so mir auch trefflich gelungen ist. Nun grämt Euch nicht, wie Ihr's anstellen möget, mit Ehren zu bestehen, dem Soldan lüstet, nach der Weise der Großen in der Welt, nicht nach etwas besserm, als er schon hat sondern nach etwas anderm, das neu und seltsam sei. Darum wüstet und wühlet in dieser herrlichen Aue nach Eurem Gefallen, und glaubet mir, alles, was Ihr tut und vornehmet, wird in seinen Augen gut und recht sein.

Diese Rede war das Rauschen einer murmelnden Quelle in den Ohren eines ermatteten Wanderers in der Wüste. Der Graf schöpfte daraus Labsal für seine Seele und Mut, das mißliche Unternehmen standhaft zu beginnen. Er legte auf gut Glück, ohne Plan, die Arbeiter an und verfuhr mit dem wohlgeordneten, schattenreichen Park wie ein Kraftgenie mit einem veralteten Autor, der in seine schöpferischen Klauen fällt und sich ohne Dank und Willen muß modernisieren, das heißt, wieder lesbar und genießbar machen



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lassen, oder wie ein neuer Pädagog mit der alten Lehrform der Schulen. Er warf bunt durcheinander, was er vorfand, machte alles anders und nichts besser. Die nutzbaren Fruchtbäume rodete er aus und pflanzte Rosmarin und Baldrian, auch ausländische Hölzer oder geruchlose Amaranten und Sammetblumen an ihre Stelle. Das gute Erdreich ließ er ausstechen und den nackten Boden mit buntfarbige Kies überführen, welchen er sorgfältig feststampfen und ebnen ließ, wie eine Dreschtenne, daß kein Gräslein darin wurzeln konnte. Den ganzen Platz schied er in mancherlei Terrassen, die er mit einem Rasensaum umfaßte, und zwischendurch schlängelten sich wunderbar gewundene Blumenbeete in mancherlei grotesken Figuren, die in einen stinkenden Buchsbaumschnörkel ausliefen. Weil auch der Graf; vermöge seiner botanischen Unkunde, die Zeit zu säen und zu pflanzen nicht in Obacht nahm, so schwebte seine Gartenanstalt lange Zeit zwischen Tod und Leben und hatte das Ansehen eines Kleiderbesatzes à feuille mourante.

Scheik Kiamel und selbst der Soldan ließen den abendländischen Gartenschöpfer gewähren, ohne durch ihre Dazwischenkunft oder ihr diktatorisches Gutachten ihm das Konzept zu verrücken und durch zu frühzeitige Kritteleien den Gang des Gartengeniewesens zu unterbrechen. Und daran taten sie weislicher als unser vorlautes Publikum, das von der bekannten philanthropischen Eckersaat nach ein paar Sommern gleich hohe Eichen erwartete, aus welchen sich Mastbäume zimmern ließen, da doch die Pflanzung noch so zart und schwach war daß sie eine einzige kalte Nacht hätte zugrunde richten können. Aber nun beinahe in der Mitte der zweiten ablaufenden Dekade von Jahren, da die Erstlingsfrüchte wohl müßten überreif sein, wär's wohl an der Zeit und Stunde, daß ein deutscher Kiamel mit der Frage hervorträte: Pflanzer, was schaffst du? Laß sehen, was dein Rejolen und das laute Getöse deiner Schubkarren und Radebergen gefruchtet hat! Und wenn dann die Pflanzung so dastünde wie die im Gleichischen Garten zu Großkairo, mit traurendem Blatt, so hätte er wohl Fug und Macht, nach billiger Würderunung der Sache wie der Scheik stillschweigend den Kopf zu schütteln, zwischen den Zähnen hindurch über den Bart zu spucken und bei sich zu gedenken: sonach hätt's auch können beim Alten gelassen werden. Denn eines Tages, da der Lustgärtner seine neue Schöpfung mit Wohlgefallen übersah, selbst über sich kunstrichterte und urteilte, das Werk lobe den Meister, und im ganzen genommen sei alles besser ausgefallen, als er selbst anfangs geglaubt hätte; indem er sein ganzes Ideal vor Augen hatte, nicht nur sah, was da war, sondern auch, was noch daraus werden konnte, trat der Oberintendant und Favorit des Soldans in den Garten und sprach: Franke, was schaffst du? Und wie weit ist es mit deiner Arbeit gediehen? Der Graf merkte wohl, daß sein Kunstprodukt jetzt werde eine Senge Zensur passieren müssen, indessen war er auf diesen Fall längst vorbereitet. Er nahm alle Gegenwart des



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Geistes zusammen und sprach mit Zutrauen auf sein Händnverk: Komm Herr und siehet Diese vormalige Wildnis hat der Kunst gehorcht and ist nach dem Ideal des Paradieses zu einem Lustrevier umgeschaffen worden, welches die Houris *) nicht verschmähen würden, zum Aufenthalte zu wählen. Der Scheik der einen angeblichen Künstler mit solcher scheinbaren Wärme und Genügsamkeit von der Ausübung seiner Talente sprechen hörte und den Meister der Kunst in seiner Sphäre doch tiefere Einsichten zutrauen mußte, als sich selbst, hielt das Geständnis seines Mißbehagens an der ganzen Anstalt zurück, um seine Unwissenheit nicht bloß zu geben, war so bescheiden, solches seiner Unkunde des ausländischen Geschmacks zuzuschreiben und die Sache selbst auf ihrem Wert und Unwert beruhen zu lassen. Gleichwohl aber konnte er sich nicht enthalten, einige Fragen zu seiner Belehrung an den Gartensatrapen gelangen zu lassen, worauf dieser ihm die Antwort nicht schuldig blieb.

Wo sind die herrlichen Fruchtbäume geblieben, fing der Scheik an, die auf der Sandebene stunden, von roten Pfirschen und süßen Limonien belastet, die das Auge ergötzten und den Lustwandelnden zum erfrischenden Genuß einladeten 2

Sie sind insgesamt bei der Erde weggehauen, daß ihre Stätte nicht mehr zu finden ist. Und warum das? Ziemet sich solcher Troß von Bäumen wohl in dem Lustgarten des Soldans, die der gemeinste Bürger von Kairo in seinem Garten hegt und von deren Früchten ganze Eselsladungen zum Verkauf ausgeboten werden?

Was bewog dich, den lustigen Dattel- und Tamarindenhain zu verwüsten, der des Wanderers Schutz war bei schwüler Mittagsglut und ihm unter dem Gewölbe seiner belaubten Asie Schatten und Erquickung gabs

Was soll der Schatten einem Garten, der, so lange die Sonne feurige Strahlen schießet, verödet und einsam ist und nur vom kühlen Abendwinde gefächelt balsamische Wohlgerüche düftete

Aber bedeckte dieser Hain nicht mit einem undurchdringlichen Schleier die Geheimnisse der Liebe, wenn der Soldan von den Reizen einer zirkassischen Sklavin bezaubert seine Zärtlichkeit den eifersüchtigen Augen ihrer Gespielinnen verbergen wollte?

Einen undurchdringlichen Schleier, die Geheimnisse der Liebe zu bedecken, gewähret jene Laube, von Geisblatt und Efeuranken umschlungen, oder diese kühle Grotte, in welcher ein kristallener Quell aus künstlichem Felsen in ein Marmorbecken rauscht, oder jener bedeckte Gang von Weinreben am Traubengeländer, oder das mit weichem Moos gepolsterte Sofa



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in der ländlichen Schilfhütte am Fischteich, ohne daß diese Tempel verschwiegener Zärtlichkeit schädlichem Gewürm und schwirrenden Insekten zum Aufenthalt dienen, die wehende Luft abhalten oder die freie Aussicht behindern, wie der dumpfe Tamarindenhain tat.

Warum hast du aber Salbei und Ysop der auf der Mauer wächst; dahin gepflanzet, wo vorher das köstliche Balsamstäudlein aus Mekka blühete?

Weil der Soldan keinen arabischen, sondern einen europäischen Garten wollte. In Welschland aber und in den deutschen Gärten der Nürnberger reifen keine Datteln, noch gedeihet daselbst das Balsamstäudlein aus Mekka.

Gegen dieses Argument ließ sich keine Einwendung weiter machen. Da weder der Scheik, noch irgendeiner der Heiden [*)] aus Kairo in Nürnberg gewesen war, so mußte er die Dolmetschung des Gartens aus dem Arabischen ins Deutsche auf Treu und Glauben dahinnehmen. Nur konnte er sich nicht bereden, daß die Gartenreformation nach dem Ideal des von dem Propheten den gläubigen Muselmännern verheißenen Paradieses sollte ausgeführt sein, und angenommen, daß es mit dieser Angabe seine Richtigkeit hätte, versprach er sich von den Freuden des zukünftigen Lebens eben keinen sonderlichen Trost. Er konnte daher wohl nichts anderes tun, als obenerwähntermaßen den Kopf schütteln, kontemplativisch zwischen den Zähnen hindurch über den Bart spucken und gehen, woher er gekommen war.



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Der Soldan, welcher damals über Ägypten herrschte, war der wackere Malek al Aziz Othmann, ein Sohn des berühmten Saladins. Den Beinamen des Wackern hatte er mehr den Talenten für seinen Harem, als den Eigenschaften des Gemüts zu verdanken; er hatte sich in der Propagation seines Geschlechtes so tätig und wacker bewiesen, daß, wenn jeder seiner Prinzen eine Krone hätte tragen sollen, die Königreiche aller damals bekannten drei Weltteile nicht wären hinreichend gewesen, sie damit zu versorgen. Seit siebzehn Jahren aber war in einem heißen Sommer diese fruchtbare Quelle versiegt. Fräulein Melechsala beschloß die lange Reihe der soldanischen Deszendenz, und nach dem einstimmigen Zeugnis des Hofes war sie das Kleinod in diesem zahlreichen Blumengewinde und genoß auch reichlich des Vorrechts der letztgebornen Kinder, die Prädilektion vor allen andern. Hierzu kam, daß sie die einzige lebende von allen Töchtern des Soldans war, und daß die Natur sie mit so vielen Reizen ausgesteuert hatte, daß diese selbst das väterliche Auge entzückten. Denn das muß man überhaupt den orientalischen Prinzen lassen, daß sie in Regula es ungleich weiter in der weiblichen Schönheitskunde gebracht haben als unsere abendländischen, die ihr unzuverlässiges Kennerauge, was diesen Punkt betrifft, von Zeit zu Zeit verraten [*)]. Das Fräulein war der Stolz der soldanischen Familie, selbst ihre Brüder wetteiferten, in der Aufmerksamkeit gegen die reizende Schwester und in dem Bestreben, ihr Achtung und Zuneigung zu beweisen, es einander zuvorzutun. Der ernste Diwan erwog oft in politischen Konsultationen, welchen Prinzen man vermöge des Bundes der Liebe durch sie an das Interesse des ägyptischen Staates verknüpfen würde. Indessen ließ das der Vater Soldan seine geringste Sorge sein und war nur unablässig darauf bedacht; der Lieblingstochter seines Herzens jeden Wunsch zu gewähren und ihre Seele immer



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in einer heitern Stimmung zu erhalten, damit der reine Horizont ihrer Stirn durch kein Wölkchen getrübt würde.

Die ersten Jahre der Kindheit hatte das Fräulein unter der Aufsicht einer Amme zugebracht, die eine Christin und welscher Abkunft war. Diese Sklavin wurde in früher Jugend durch einen Seeräuber aus der Barbarei vom Strande ihrer Vaterstadt weggeraubt; in Alexandrien verkauft, ging durch Handel und Wandel daselbst aus einer Hand in die andere und so gelangte sie endlich in den Palast des Soldans von Ägypten, wo ihre nahrhafte Leibeskonstitution ihr zu dem Amte verhalf, dem sie mit aller Ehre vorstund. Ob sie gleich nicht so gesangreich war wie die Amme des gallischen Thronerben, die für ganz Versailles die Losung zum Chorus gab, wenn sie mit melodischer Kehle ihr Malbrough s'en va en guerre intonierte: so hatte sie die Natur durch eine desto geläufigere Zunge dafür sattsam entschädigt. Sie wußte so viel Geschichtchen und Märchen wie die schöne Scheherasade in der tausend und einen Nacht, womit sich, wie es scheint, die soldanischen Sippschaften in der Verschlossenheit der Serails gern unterhalten lassen. Die Prinzessin wenigstens fand nicht tausend Nächte, sondern tausend Wochen lang daran Geschmack, und wenn ein Mädchen einmal zu dem Alter von tausend Wochen gelangt ist, so genügt ihr nicht mehr an fremden Erzählungen, sie findet nun in sich Stoff, ein eignes Geschichtchen anzuspinnen. In der Folge vertauschte die weise Amme ihre Kindermärchen mit der Theorie europäischer Sitten und Gewohnheiten, und weil sie selbst noch viel Vaterlandsliebe hegte und in der Zurückerinnerung an dasselbe Vergnügen empfand, so schilderte sie dem Fräulein die Vorzüge von Welschland so malerisch, daß davon die Phantasie ihrer zarten Pflegetochter erwärmt wurde, welchen angenehmen Eindruck sie nachher nie wieder aus dem Gedächtnis verlor. Je mehr Fräulein Melechsala heranwuchs, desto mehr wuchs mit ihr die Liebe zum ausländischen Putz und den Gerätschaften des damals noch gar bescheidenen europäischen Luxus, und ihr ganzes Betragen artete mehr nach europäischer Sitte als den Gebräuchen ihres Vaterlandes.

Sie war von Jugend auf eine große Blumenfreundin, ein Teil ihrer Beschäftigung bestund darin, nach arabischer Gewohnheit bedeutsame Sträußchen und Kränze zu binden, durch welche sie auf eine scharfsinnige Art die Gesinnungen ihres Herzens offenbarte. Ja sie war so erfindungsreich, daß sie ganze Sentenzen, auch Sittensprüche des Korans, in einer Zusammenreihung von Blumen von verschiedenen Eigenschaften oft sehr glücklich auszudrücken vermochte. Sie ließ hernach ihren Gespielinnen den Sinn davon erraten, welche diesen selten verfehlten. So formte sie eines Tages guo chalcedonischer Lychnis die Gestalt eines Herzens, umfaßte dieses mit weißen Rosen und Lilien, befestigte darunter zwei emporstrebende Königskerzen, die ein herrlich gezeichnetes Anemonenröslein einschlossen, und alle ihre Frauen



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sprachen, als sie ihnen das Blumengewinde vorzeigte, einstimmig: Unschuld des zeno ist über Geburt und Schönheit erhaben. Oft beschenkte sie ihre Sklavinnen mit frischen Sträußern, und diese Blumenspenden enthielten gemeiniglich Lob oder Tadel die Empfängerin. Ein Kranz von Flatterrosen beschämte den Leichtsinn; die strotzende Mohnblume Dünkel und Eitelkeit; ein Strauß von Wohlgeruch duftenden Zochzinken [*)] mit herabsinkenden Glöcklein panegyrisierte die Bescheidenheit; die Goldlilie, welche ihren Blütenkelch bei Sonnenuntergang verschließt, kluge Vorsicht; die Meerwinde [**)] strafte die Liebedienerei und die Blüten des Stechapfels nebst der Zeitlose, deren Wurzeln vergiften, bösen Leumund und heimlichen Neid.

Vater Othmann vergnügte sich innig an den scharfsinnigen Spielen der Phantasie seiner reizenden Tochter, ob er gleich wenig Talent besaß, diese witzigen Hieroglyphen selbst zu entziffern und oft mit dem Kalbe seines ganzen Diwans pflügen mußte, ihre Deutung auszuklauben. Ihm war der exoterische Geschmack der Prinzessin nicht verborgen, als ein schlichter Muselmann konnte er hierin nicht mit ihr sympathisieren, aber als ein nachsichtiger und zärtlicher Vater suchte er gleichwohl mehr diese Liebesneigung der Prinzessin zu unterhalten, als sie zu unterdrücken. Er verfiel darauf, ihre Blumenliebhaberei mit der Vorliebe zum Ausländischen zu vereinbaren und einen Garten im Geschmack der Abendländer ihr zurichten zu lassen. Dieser Einfall dünkte ihn so wohl ausgesonnen, daß er keinen Augenblick verabsäumte; solchen seinem Günstling, dem Scheik Kiamel, mitzuteilen, um ihn aufs fördersamste zur Ausführung zu bringen. Der Scheik, der wohl wußte, daß die Wünsche seines Herrn für ihn Befehle waren, denen er ohne Widerrede gehorchen mußte, unterwand sich nicht, ihm die Schwierigkeiten entgegenzustellen, die er bei der Sache empfand. Er selbst hatte so wenig eine Idee von der Einrichtung eines europäischen Gartens als der Soldan selbst, und in ganz Kairo war ihm kein Mensch bekannt, den er hierüber hätte zu Rate



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ziehen können. Darum ließ er unter den Christensklaven nach einem Gartenverständigen forschen, und da kam er gerade anden unrechten Mann, der ihn aus der Verlegenheit helfen sollte. Also war's kein Wunder, daß der Scheik gar bedenklich den Kopf schüttelte, da er die Prozedur der Gartenverbesserung in Augenschein nahm, denn er fürchtete, wenn sie dem Soldan so wenig behagte als selbst, so dürfte er wohl zu schwerer Verantwortung gezogen werden, und zum mindesten dürfte es um seine Günstlingschaft getan sein.

Vor den Augen des Hofes war diese Gartenkultur bisher als ein Geheimnis traktiert worden, allen Bedienten des Serails war der Eintritt untersagt. Der Soldan wollte das Fräulein bei der Feier ihres Geburtstages mit diesem Geschenk überraschen, sie in Pomp dahin führen und ihr den Garten zum Eigentum übergeben. Dieser Tag rückte nun heran, und Se. Hoheit trug Verlangen, vorher alles selbst in Augenschein zu nehmen, sich von den neuen Anlagen unterrichten zu lassen, um sich das Vergnügen zu verschaffen, der schönen Melechsala die sonderbaren Schönheiten des Gartens vordemonstrieren zu können. Er tat dem Scheik davon Eröffnung, dem dabei nicht wohl zumute war, deswegen dachte er auf eine Schutzrede, wodurch er den Kopf aus der Schlinge zu ziehen vermeinte, wenn der Soldan sich mißfällig über die Gartenanstalt vernehmen lassen sollte. Beherrscher der Gläubigen, wollte er sagen, dein Wink ist die Richtschnur meines Ganges, meine Füße laufen, wohin du sie leitest, und meine Hand hält fest, was du ihr vertrauest. Du wolltest einen Garten nach der Weise der Franken, hier steht er vor deinen Augen. Diese ungeschlachten Barbaren wissen nichts als dürftige Sandwüsten hervorzubringen, die sie in ihrem rauhen Vaterlande, wo keine Dattel noch Limonie reift, und wo es weder Kalaf noch Bahobab [*)] gibt mit Gras und Unkraut bepflanzen. Denn der Fluch des Propheten stäupet mit ewiger Unfruchtbarkeit die Auen der Ungläubigen und gibt ihnen nicht zu kosten den Vorschmack des Paradieses durch den Wohlgeruch des Balsamstäudleins aus Mekka, noch durch den Genuß würzhafter Früchte.

Der Tag begann sich bereits zu neigen, da der Soldan, allein von dem Scheik begleitet, in den Garten trat, voller Erwartung, was er da für Wunderdinge erblicken würde. Eine weite freie Aussicht über einen Teil der Stadt und über die Spiegelfläche des Nilstroms mit den darauf hin und her fahrenden Wuschernen, Schambecken und Scheomeonen [**)][,] im Hintergrunde die himmelanstrebenden Pyramiden und eine Kette von blauen, mit Duft umflossenen Gebirgen eröffnete sich auf der obern Terrasse seinem Auge, das nicht mehr durch den undurchsichtigen Palmenhain gehalten wurde.



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Zugleich wehete ihn ein erfrischendes Lüftchen an, das ihm wohltat. Eine Menge neuer Gegenstände drängten sich ihm auf von allen Seiten her. Der Garten hatte freilich jetzt eine wildfremde Ansicht gewonnen, daß der alte Park, in welchem er von Kindheit auf gelustwandelt; und der durch sein ewiges Einerlei seine Sinnen längst ermüdet hatte, nicht mehr zu erkennen war. Der schlaue Kurt hatte wohl und weislich geurteilet, der Reiz der Neuheit werde seine Wirkung nicht verfehlen. Der Soldan prüfte die Gartenmetamorphose nicht mit der Einsicht eines Kenners, sondern nach dem ersten Eindruck auf die Sinnen, und weil diesen das Ungewöhnliche so leicht zum Köder des Vergnügens dienet, so schien ihm alles gut und recht zu sein, wie er es fand. Selbst die krummen unsymmetrischen Gänge, mit festgestgmpftem Kies belegt, gaben seinen Füßen eine elastische Kraft und einen leichten festen Gang, da er sonst gewohnt war, nur auf weichen persischen Teppichen oder auf grünen Matten zu wandeln. Er wurde nicht müde, die labyrinthischen Gänge zu durchkreuzen, und bezeigte besonders seine Zufriedenheit über die Flora der mannigfaltigen Grasblumen, die aufs sorgfältigste kultiviert und gewartet wurden, ob sie gleich jenseit der Mauer freiwillig ebensogut und in größerer Menge blüheten.

Nachdem er sich auf eine Ruhebank niedergelassen hatte, sprach er mit heiterer Miene: Kiamel, du hast meine Erwartung nicht getäuscht, ich dachte es wohl, daß du mir etwas Sonderbares aus dem alten Park schaffen würdest, das von der Landessitte abweicht; darum soll dir mein Wohlgefallen unverhalten bleiben. Melechsala mag dein Werk für einen Garten nach Art der Franken dahinnehmen. Da der Scheik seinen Despoten aus dem Tone reden hörte, wunderte er sich baß, daß alles so gut ging, und freuete sich, daß er seine Zunge geschweiget und seine Vorklage nicht hatte laut werden lassen. Er bemerkte bald, daß der Soldan alles für seine eigne Erfindung anzunehmen



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schien, daher drehte er das Ruder seiner Suada flugs nach dem günstigen Lüftlein, das in seine Segel blies, und redete also: Großmächtiger Beherrscher aller Gläubigen, du sollst wissen, daß dein gehorsamer Sklave Tag und Nacht darauf gesonnen hat; etwas Unerhörtes, dergleichen in Ägypten noch nie ist gesehen worden, aus diesem alten Dattelhain nach deinem Wink und Willen hervorzubringen. Es ist ohne Zweifel eine Eingebung des Propheten gewesen, daß ich darauf verfallen bin, nach dem Ideal des Paradieses der Gläubigen meinen Plan anzulegen, denn ich vertraute darauf, dast ich solchergestalt die Meinung deiner Hoheit nicht verfehlen würde. Der gute Soldan hatte von dem Paradiese, zu dessen Besitz er nach dem Laufe der Natur eben keine allzuentfernte Anwartschaft zu haben schien, von jeher so verworrene Begriffe gehabt, als unsere zukünftigen Himmelsbürger von dem Zustande und der Beschaffenheit des himmlischen Jerusalems, oder eigentlich hatte er, wie alle Glückskinder, die in der Unterwelt sich wohl sein lassen, um die Aussichten in eine bessere Welt sich nie bekümmert. Es schwebte daher jederzeit, wenn ja einmal ein Iman oder Derwisch oder sonst eine religiöse Person des Paradieses erwähnte, das Bild des alten Parks seiner Phantasie vor, und dort war eben nicht sein Lieblingsaufenthalt. Jetzt wurde seine Einbildungskraft auf eine ganz andere Vorstellung gesteuert; das neue Bild seiner zukünftigen Hoffnung erfüllte seine Seele mit freudigem Entzücken, wenigstens vermutete er nun, das Paradies möchte doch wohl anmutiger sein, als er sich's bisher vorgestellt hatte, und weil er ein Modell davon im kleinen zu besitzen glaubte; so bekam er von dem Garten eine hohe Meinung, die er dadurch augenscheinlich zu erkennen gab, daß er den Scheik stehenden Fußes zum Bey erhob und ihn mit dem Ehrengewand des Kaftans bekleidete. Der abgefeimte Höfling verleugnet seinen Charakter in keinem Weltteile; Freund Kiamel trug kein Bedenken, die Prämie eines Verdienstes, die seinem Geschäftsträger gebührte, sich ganz unbefangen zuzueignen, ohne seiner mit einer Silbe gegen den Soldan zu erwähnen, und achtete ihn für überflüssig belohnt, daß er seinen täglichen Sold um einige Asper vermehrte.

Um die Zeit, wenn die Sonne in den Steinbock tritt, welches Himmelszeichen bei den Nordländern die Losung des Winters ist, in dem mildern Klima von Ägypten aber die schönste Jahreszeit verkündet, trat die Blume der Welt in den für sie zubereiteten Garten und fand ihn völlig nach ihrem ausländischen Geschmack. Sie war freilich die größte Zierde desselben; jeder Ort, wo sie lustwandelte, wär's auch eine Wüste in dem steinigen Arabien oder ein grönländisches Eisgefilde gewesen, würde in den Augen eines Mädchenspähers sich bei ihrem Anblick in Elysium verwandelt haben. Die mannigfaltigen Blumen, welche der Zufall in unabsehlichen Reihen untereinander gaischt hatte, gaben ihrem Auge und Geiste gleiche Beschäftigung; sie wußte



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die Unordnung selbst durch sinnreiche Anspielungen auf die verschiedenen Eigenschaften der Blumen einer methodischen Ordnung zu verähnlichen. Nach Landesgewohnheit wurde jedesmal, wenn die Prinzessin den Garten besuchte, alles, was männlich war, von Arbeitern, Pflanzern und Wasserträgern, durch die Wache der Verschnittenen daraus entfernt. Die Grazie, für welche der Kunstmeister gearbeitet hatte, blieb also seinen Augen verborgen, so sehr ihn auch gelüstete, die Blume der Welt; die seiner botanischen Unwissenheit se lange ein Rätsel gewesen war, in Augenschein zu nehmen. Wie sich aber das Fräulein über manche vaterländische Sitte hinaussetzte, so wurde ihr, da der Garten immer mehrere Reize für sie gewann, welchen sie des Tages mehrmals besuchte, die Begleitung der Verschnittenen in der Folge zu lästig, die in Prozession so feierlich vor ihr herzogen, als wenn der Soldan am Bairamfeste zur Moschee ritt. Sie erschien oftmals allein, oft an dem Arm einer Vertrauten, jedoch allezeit mit einem dünnen Schleier über dem Gesicht und einem aus Binsen geflochtenen Körbchen in der Hand, wandelte die Gänge auf und ab, um Blumen zu pflücken, die sie nach Gewohnheit durch allegorische Verbindung zu Dolmetscherinnen ihrer Gedanken machte und an ihr Hofgesinde austeilte.

Eines Morgens, ehe der Tag heiß ward, und der Tau noch im Grase alle Regenbogenfarben spiegelte, begab sie sich in ihr Tempe, der balsamischen Frühlingsluft zu genießen, da ihr Gärtner eben geschäftig war, einige abgeblühete Gewächse aus der Erde zu nehmen und sie mit andern neuaufblühenden umzutauschen, die er in Blumentöpfen sorgfältig aufzog, welche er hernach kunstreich in die Erde vergrub, als wären sie durch eine zauberhafte Vegetation in einer einzigen Nacht aus dem Schoße der Erde hervorgewachsen. Das Fräulein wurde diesen artigen Betrug der Sinnen mit Vergnügen gewahr, und da sie das Geheimnis entdeckt hatte, wie die abgepflückten Blumen täglich durch andere ersetzt wurden, daß nie Mangel daran war, so gefiel es ihr, diese Entdeckung zu nutzen und dem Gärtner Anweisung zu geben, wo und wenn bald diese, bald jene Blume blühen sollte. Indem er die Augen aufhob, erschien ihm die weibliche Engelgestalt, welche er für die Eigentümerin des Gartens hielt, denn sie war mit himmlischen Reizen wie mit einem Heiligenschein umflossen. Er wurde durch diese Erscheinung so überrascht, daß ihm ein Blumentopf mit einer herrlichen Colocassia aus der Hand entfiel, die ihr zartes Pflanzenleben ebenso tragisch endigte, als Herr Pilasire de Nozier; ob sie gleich beide nur der mütterlichen Erde in den Schoß fielen.

Der Graf stund steif und starr wie eine Bildsäule, ohne Leben und Bewegung daß man ihm wohl hätte die Nase mögen einschlagen, ohne daß er sich geregt hätte, wie die Türken mit den steinernen Bildsäulen in Tempeln und Gärten es zu machen pflegen; aber die süße Stimme des Fräuleins, die



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ihren Purpurmund eröffnete, brachte seinen Geist wieder zu sich. Christ, sprach sie, fürchte nichts! Es ist meine Schuld, daß du dich zugleich mit mir an diesem Orte befindest; fördere dein Tagewerk und ordne die Pflanzen, wie ich von dir heische. Glanzvolle Blume der Welt, gegenredete der Gärtner für deren Schimmer alle Farben dieser Blumenpflanzung erbleichen, du herrschest hier an deinem Firmamente gleich der Sternenkönigin an der Feste des Himmels. Dein Wink belebe die Hand des glücklichsten deiner Sklaven, der seine Fesseln küßt; wofern du ihn wert achtest, deine Befehle auszurichten . Die Prinzessin hatte nicht erwartet, daß ein Sklave den Wund gegen sie öffnen, noch viel weniger; daß er ihr was Verbindliches sagen würde; sie hatte ihre Augen mehr auf die Blumen als auf den Pflanzer gerichtet. Jetzt würdigte sie auch diesen eines Anblicks und erstaunte, einen Mann von der glücklichsten Bildung vor sich zu sehen, der alles übertraf, was sie jemals von männlicher Wohlgestalt erblickt oder geträumt hatte.

Graf Ernst von Gleichen war in ganz Deutschland seiner männlichen Anmut halber berühmt. Schon auf dem Turnier zu Würzburg war er der Held der Damen. Wenn er das Visier aufschlug, um frische Luft zu schöpfen, war das Rennen der kühnsten Lanzenbrecher für jedes weibliche Auge verloren, alle sahen nur auf ihn, und wenn er den Helm schloß, ein Stechen zu beginnen, hob sich der keuscheste Busen höher; und das Herz klopfte ängstliche Teilnehmung dem herrlichen Ritter entgegen. Die parteiliche Hand der liebeschmachtenden Nichte des Herzogs in Bayern krönte ihn mit einem Ritterdanke, welchen der junge Mann anzunehmen errötete. Die siebenjährige Haft im vergitterten Turme hatte zwar die blühenden Wangen gebleicht, die prallen Muskeln erschlafft und den Lichtblick der Augen ermattet, aber der Genuß der freien Atmosphäre und die Gespielinnen der Gesundheit; Tätigkeit und Arbeit, hatten mit reichem Ersatz den Verlust vergütet. Er grünte wie ein Lorbeerbaum, der den langen Winter hindurch im Gewächshaus getrauert hat und bei der Wiederkehr des Frühlings junges Laub treibt und eine schöne Krone gewinnt.

Vermöge der Vorliebe der Prinzessin zu allem Ausländischen konnte sie sich nicht enthalten, die einnehmende Gestalt des herrlichen Fremdlings mit Wohlgefallen zu betrachten, ohne zu wähnen, daß der Anblick eines Endymions auf das Herz eines Mädchens ganz andere Eindrücke zu machen pflege als die Schöpfung einer Modekrämerin, welche sie in ihrer Jahrmarktsbude zur Schau ausstellt. Mit holdem Munde erteilte sie dem schmucken Gärtner Befehle, wie er die Blumenpflanzung ordnen sollte, zog dabei sein Gutachten oft zu Rate und unterhielt sich mit ihm, so lange noch eine Gartenidee ihr zu Gebote stund. Sie verließ endlich den Freund Gärtner; ihr so wohl behagt hatte, aber kaum war sie fünf Schritte gegangen, so kehrte sie wieder um und gab ihm neue Aufträge, und da sie noch eine Pro



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menade durch die Schlangenwege machte, berief sie ihn von neuem zu sich, bald eine Frage zu tun, bald eine Verbesserung in Vorschlag zu bringen. Wie der Tag sich anfing zu verkühlen, empfand sie das Bedürfnis schon wieder, frische Luft zu schöpfen, und kaum spiegelte sich die Sonne in dem wachsenden Nil, so lockte sie das Verlangen in den Garten, die erwachenden Blumen sich ausschließen zu sehen, wobei sie niemals verfehlte, diejenige Gegend zuerst zu besuchen, wo ihr Gartenfreund arbeitete, um ihm neue Befehle zu erteilen, die er sich beeiferte pünktlich und hurtig auszurichten.

Einsmals suchte ihr Auge den Bostangi *) vergebens, gegen welchen ihre Gunst von Tag zu Tag sich mehrte. Sie wandelte die verschlungenen Gänge auf und nieder, ohne auf die Blumen zu achten, die ihr entgegen blühten und durch das hohe Kolorit der Farben oder den balsamischen Duft ihrer Gerüche gleichsam miteinander wetteiferten, von ihr bemerkt zu werden. Sie vermutete ihn hinter jedem Busche, untersuchte jedes hochstaudige Pflanzengewächs, erwartete seiner in der Grotte, und da er nicht zum Vorschein kam, tat sie eine Wallfahrt zu allen Lauben im Garten, hoffte, ihn irgendwo schlummernd überraschen, und freuete sich seiner Verlegenheit, wenn sie ihn aufwecken würde; Allein er war nirgends zu finden. Zufälligerweise begegnete ihr der stoische Veit, des Grafen Reisiger, den er als ein ganz mechanisches Geschöpf zu nichts anderem als zum Wasserträger brauchen konnte. Sobald er der Prinzessin ansichtig wurde, machte er mit seiner Wasserladung links um, ihr nicht in den Weg zu treten; sie aber berief ihn zu sich und frug, wo der Bostangi anzutreffen sei. Wo anders, antwortete er nach seiner handfesten Art, als in den Klauen des jüdischen Quacksalbers, der ihn ohne Verzug die Seele wird ausschwitzen lassen? Darüber erschrack die reizvolle Tochter des Soldans also, daß ihr angst und wehe umo Herz ward; denn sie hatte nichts weniger vermutet als daß ihr Gartengünstling durch Krankheit verhindre wäre, seiner Geschäfte zu warten. Sie begab sich alsbald in den Palast zurück, wo ihre Frauen mit Bestürzung wahrnahmen, daß die heitere Stirn ihrer Gebieterin sich getrübt hatte, wie wenn der feuchte Atem des Südwindes den spiegelreinen Horizont anhaucht, daß die schwebenden Dünste zu Wolken gerinnen. Bei der Zurückkehr ing Serail hatte sie eine Menge Blumen gepflückt, aber lauter traurige, welche sie mit Zypressen und *) Obergärtner.



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Rosmarin zusammenband, und wodurch sich die Stimmung ihrer Seele deutlich zutage legte. Dieses trieb sie so verschiedene Tage an, dergestalt, daß ihr Frauenzimmer große Betrübnis darüber empfand und unter sich konsultierte, was die Ursache des geheimen Kummers ihrer Gebieterin sein möchte, aber es kam damit, wie es bei weiblichen Konsultationen zu geschehen pfleget, zu keinem Konklusum, weil bei der Stimmensammlung eine solche Dissonanz der Meinungen sich ergab, daß kein harmonischer Akkord herauszufinden war. In der Tat hatte die Beeiferung des Grafen, jedem Winke der Prinzessin zuvorzukommen und alles, wovon sie nur ein halblautes Wort fallen ließ, ins Werk zu richten, seinen der Arbeit ungewohnten Körper dergestalt angegriffen, daß die Gesundheit darunter litt und er von einem Fieber befallen wurde. Doch der jüdische Zögling des Galens oder vielmehr des Grafen robuste Konstitution überwältigte die Macht der Krankeit, daß er nach einigen Tagen schon wieder seiner Arbeit vorstehen konnte. Sobald ihn die Prinzessin bemerkte, war ihr wieder wohl umo Herz, und der Damensenat, dem die schwermütige Laune derselben ein unauflöslich Rätsel blieb, urteilte nun einmütig, es müsse irgendein Blumenstock beklieben sein, an dessen Fortkommen sie vor einigen Tagen gezweifelt hätte, und im allegorischen Sinn hatten sie nicht Unrecht.

Fräulein Melechsala war noch so unschuldigen Herzens, wie sie aus der hand der Natur hervorgegangen war. Sie hatte weder Ahndungen noch Warnungen von Amore Schälkeleien empfangen, die er an unerfahrnen Schönen zu begehen pfleget. Überhaupt hat es von jeher an Winken für Mädchen und Prinzessinnen in bezug auf Liebe gefehlt, obgleich eine Theorie von der Art ungleich mehr nutzen und frommen möchte als Winke Fürsten und Prinzenerzieher, die sich wenig darum kümmern, ob man ihnen hustet pfeift oder winkt, auch zu Zeiten es wohl gar übel nehmen; die Mädchen aber verstehen jeden Wink und achten auch darauf denn ihr Gefühl ist feiner, und ein verstohlener Wink ist so recht ihre Sache. Das Fräulein stund im ersten Noviziat der Liebe und hatte so wenig Kenntnis davon als eine Klosternovize von den Ordensgeheimnissen. Sie überließ sich daher ganz unbefangen ihren Gefühlen, ohne den geheimen Diwan der drei Vertrauten ihres Herzens, die Vernunft, Klugheit und Überlegung, darüber zu Rate zu ziehen. Denn in diesem Falle würde die lebhafte Teilnehmung an dem Zustande dee kranken Bostangi ihr Fingerzeig und Ausschluß gegeben haben, daß der Keim einer ihr unbekannten Leidenschaft schon mächtig in dem Herzen vegetiere, und Vernunft und Überlegung würden ihr sodann zugeflüstert haben, daß diese Leidenschaft Liebe sei. Ob in dem Herzen des Grafen etwas Ähnliches im Hinterhalt lag, davon ist kein diplomatischer Beweis vorhanden; der überverdienstliche Eifer, die Befehle seiner Gebieterin zu vollziehen, könnte auf diese Vermutung führen, und da würde ein allegorischer Strauß



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von Liebstöckel, mit einem Stengel verwelkter Mannotreue zusammengebunden, für ihn wohl gepaßt haben. Es konnte aber auch nur eine unschuldige Rittersitte die Triebfeder dieses ausgezeichneten Diensteifers sein, ohne daß Liebe einigen Anteil daran hatte, denn es war das unverbrüchlichste Gesetz der Ritter damaliger Zeit, alle dem, was ihnen der Wille der Damen erlegte, stärklich nachzuleben. Es verging nun kein Tag mehr, wo nicht die Prinzessin mit ihrem Bostangi trauliche Unterredung pflog. Der sanfte Ton ihrer Stimme entzückte sein Ohr; und jeder Ausdruck schien ihm etwas Schmeichelhaftes zu sagen. Ein zuversichtlicherer Champion als er würde nicht ermangelt haben, eine so günstige Situation zu nutzen, um weitere Progressen zu machen, allein Graf Ernst hielt sich immer innerhalb der Grenzen der Bescheidenheit. Weil nun das Fräulein in dem Kostüm der Koketterie ganz unerfahren war und nicht wußte, den blöden Schäfer aufzumuntern, den Diebstahl ihres Herzens zu begehen, so drehte sich die ganze Intrige um die Achse des wechselseitigen Wohlwollens und hätte außer Zweifel noch lange keinen andern Schwung bekommen, wenn nicht der Zufall, welcher bekanntlich bei jedem Wechsel der Dinge das primum mobile zu sein pfleget; der Szene eine andere Gestalt gegeben hätte.

Gegen Sonnenuntergang eines sehr schönen Tages besuchte die Prinzessin den Garten, und ire Seele war so heiter wie der Horizont; sie kosete mit ihrem Bostangi gar lieblich von mancherlei gleichgültigen Dingen, um nur mit ihm zu reden, und nachdem er ihr Blumenkörbchen gefüllt hatte, setzte sie sich in eine Laube und band einen Strauß, womit sie ihn beschenkte. Der Graf befestigte denselben als ein Merkmal der Huld seiner schönen Gebieterin mit dem Ausdruck eines überraschenden Entzückens ander Brust seines Wamses, ohne sich einfallen zu lassen, daß diese Blumen einen geheimen Sinn haben könnten, denn diese Hieroglyphen waren seinen Augen verborgen, wie den Augen des klügelnden Publikums das geheime Triebwerk des berühmten hölzernen Schachspielers. Und weil auch nachher das Fräulein diesen verborgenen Sinn nicht enträtselt hat, so ist er mit den Blumen dahingewelkt, ohne zur Wissenschaft der Nachwelt zu gelangen. Sie hegte indessen die Meinung, die Blumensprache sei allen Menschen so verständlich wie ihre Muttersprache, daher zweifelte sie nicht, ihr Günstling habe alles recht wohl begriffen, und weil er beim Empfang so ehrerbietig sie anblickte, nahm sie diese Miene als eine bescheidene Danksagung für Lob seiner Tätigkeit und seines Diensteifers an, welches wahrscheinlich der Strauß ihm beilegte. Sie trug nun auch Verlangen, seine Erfindsamkeit zu prüfen, ob er auf ebenso blümte Art ihr zu danken, was Artiges zu sagen oder, mit einem Wort den gegenwärtigen Ausdruck seines Gesichtes, das die Empfindungen des Herzens verriet, in Blumenschrift zu übersetzen wisse, und begehrte ein Sträußchen von seiner Komposition. Der Graf war gerührt von einer so herablassenden



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Güte, er flog an das Ende des Gartens in einen abgesonderten Zwinger, wo er sein Blumendepot hinverlegt hatte, und woraus er die aufblühenden Gewächse mit den Scherben in den Garten versetzte. Es war gerade damals eine gewürzhafte Pflanze zur Blüte gelangt, welche von den Arabern Muschirumi *) genannt wird, und die vorher noch nicht im Garten anzutreffen war. Wit dieser Neuigkeit dachte der Graf der schönen Blumenfreundin, die sein harrete; ein unschuldiges Vergnügen zu machen, er servierte ihr die Blume, worunter er anstatt des Präsentiertellers ein breites Feigenblatt geschoben hatte, auf den Knieen mit einer demütigen, doch einiges Verdienst sich zueignenden Miene und hoffte ein kleines Lob dafür einzuernten. Aber mit äußerster Bestürzung wurde er gewahr; daß die Prinzessin das Gesicht abwendete, die Augen, soviel der dünne Schleier ihm zu beobachten gestattete, beschämt niederschlug und vor sich hinsah, ohne ein Wort zu sprechen. Sie zögerte und schien verlegen, die Blume in Empfang zu nehmen, die sie keines Anblicks würdigte und neben sich auf die Rasenbank legte. Ihre muntere Laune war verschwunden, sie nahm eine majestätische Stellung an, die stolzen Ernst verkündete, und nach wenig Augenblicken verließ sie die Laube, ohne von ihrem Günstling weitere Notiz zu nehmen; doch vergaß sie beim Weggehen die Muschirumi nicht, welche sie aber sorgfältig unter den Schleier verbarg.



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Der Graf war von dieser rätselhaften Katastrophe wie betäubt, vermochte nicht zu ergründen, was die Ursache dieses sonderbaren Betragens sei, und blieb in der Stellung eines Büßenden noch lange Zeit auf den Knieen liegen, nachdem ihn die Prinzessin verlassen hatte. Es betrübte ihn in der Seele, diese Huldgöttin, die er wegen ihrer herablassenden Güte wie eine Heilige des Himmels verehrte; beleidiget und ihren Unwillen verwirkt zu haben. Nachdem er sich von der ersten Bestürzung erholt hatte, schlich er scheu und trübselig, als wenn er einer schwer verpönten Übeltat sich bewusst wäre, in seine Wohnung. Der flinke Kurt hatte die Abendmahlzeit schon aufgetischt aber sein Herr wollte nicht anbeißen und gabelte lange in der Schüssel herum, ohne einen Bissen zum Munde zu führen. Daran merkte der getreue Dapifer des Grafen Unmut; schlich flugs abseits zur Tür hinaus, entpfropfte eine Flasche Chierwein, und der griechische Sorgenbrecher tat Wirkung. Der Graf wurde gesprächig und eröffnete seinem lieben Getreuen das Abenteuer im Garten. Es wurde spät in die Nacht darüber spekulieret; ohne auf einen Vermutungsgrund zu stoßen, was den Unwillen der Prinzessin veranlaßt habe, und da mit allem Grübeln nichts ausgemacht wurde, begab sich Herr und Diener zur Ruhe. Der letzte fand sie ohne Mühe, der erste suchte sie vergebens und durchwachte die harmvolle Nacht; bio ihn die Morgenröte wieder an seine Geschäfte rief.

In der Stunde, wo Melechsala den Garten zu besuchen pflegte; sah sich der Graf fleißig nach dem Eingang um, allein die Türe vom Serail wurde nicht aufgetan. Er harrete den andern Tag, nachher den dritten, die Serailtüre war wie von innen vermauert. Wäre Graf Ernst nicht ein völligen Idiot in der Blumensprache gewesen, so würde er leicht den Schlüssel zu dem auffallenden Benehmen des Fräuleins gefunden haben. Er hatte durch Üeberreichung der Blume seiner schönen Gebieterin, ohne eine Silbe davon zu wissen, ein förmliches Liebesgeständnis getan und noch dazu auf eine ganz unplatonische Art. Wenn ein arabischer Liebhaber seiner Geliebten verstohlenerweise durch die treue Hand einer Vertrauten eine Muschirumi überreichen läßt, so traut er ihr den Scharfsinn zu, den einzigen Reim, den die arabische Sprache darauf hat, zu suchen. Dieses Wort ist Ydskerumi, welches, fein gegeben, so viel als Minnesold andeutet [*)]. Man muß es dieser Erfindung lassen, daß es keine kompendiösere Liebeserklärung gibt als diese, die wohl wert wäre, von den Abendländern nachgeahmt zu werden. All des faden Geschreibsels der Billets doux, die ihren Verfassern oft so viel Mühe und Kopfzerbrechen kosten, oft, wenn sie in unrechte Hände geraten, von den Spöttern erbärmlich durchgenommen, oft von den Empfängerinnen selbst gemißhandelt oder falsch interpretiert werden, könnte man dadurch überhoben



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sein. Weil aber die Muschirumi oder Muoskenhyazinthe nur sparsam und kurze Zeit in unsern Gärten blühet; so könnte eine Nachbildung derselben von unsern Pariser oder vaterländischen Blumenschöpferinnen dem Bedürfnis der Liebhaber zu allen Jahreszeiten zu statten kommen, und ein inländischer Handel mit dieser Fabrikware dürfte leicht bessern Gewinn geben als die mißlichen Handelsspekulationen nach Nordamerika. Ein Liebesritter in Europa hat ja ohnehin nicht zu befahren, daß das Geschenk einer solchen redenden Blume ihm zu einem Kapitalverbrechen dürfte angerechnet werden und daß er mit Leib und Leben dafür büßen müßte, wie das im Orient gar leicht der Fall ist. Wenn Fräulein Melechsala nicht so eine gute sanfte Seele gewesen wäre; oder wenn die allmächtige Liebe nicht den Stolz der Tochter des Soldans gebändiget hätte, so würde der Graf seine Blumengalanterie, so unschuldig sie auch seinerseits war, ohne Gnade mit dem Kopf haben bezahlen müssen. Allein die Prinzessin war im Grunde so wenig unwillig über den Empfang der bedeutsamen Blume, daß vielmehr der vermeinte Liebesantrag die Saite ihres Herzens berührte, welche lange schon vibrierte, einen harmonischen Anklang zu geben. Ihre jungfräuliche Sittsamkeit aber wurde auf eine harte Probe gestellt, da ihr Günstling, so wie sie interpretierte, sie um Liebesgenuß anzuflehen sich erkühnte. Das war die Ursache warum sie ihr Angesicht bei dem dargebrachten Minneopfer abwendete. Eine Purpurröte, die der Schleier den Grafen nicht bemerken ließ, überzog ihre zarten Wangen, die Lilienbrust hob sich höher, und das Herz klopfte stärker in der Brust. Scham und Zärtlichkeit kämpften darinnen einen schweren Kampf, und die Verwirrung des Fräuleins war so groß, daß es ihr unmöglich war, den Mund zu öffnen. Eine Zeitlang war sie zweifelhaft, was sie mit der verfänglichen Muschirumi machen sollte; sie verschmähen, hieß den Liebenden aller Hoffnung berauben, und sie annehmen, galt das Geständnis, ihn seines Wunsches zu gewähren. Das Zünglein in der Wage der Entschlossenheit wankte daher bald auf diese, bald auf jene Seite, bio das Übergewicht der Liebe entschied; sie nahm die Blume mit sich, und das assekurierte wenigstens vorläufig des Grafen Kopf. Aber im einsamen Gemach kam's ohne Zweifel zu mancherlei wichtigen Konsultationen über die Folgen, die dieser Entschluß nach sich ziehen konnte, und die Lage des Fräuleins war um deswillen desto bedenklicher; weil sie bei ihrer Unerfahrenheit in Herzensangelegenheiten sich selbst nicht zu raten wußte und nicht wagen durfte, einer Vertrauten sich zu entdecken, wenn sie nicht das Leben ihres Geliebten und ihr eignes Schicksal der Willkür einer dritten Person überlassen wollte.

Eine Göttin im Bade ist leichter von einem Sterblichen zu belauschen als eine orientalische Prinzessin in der Bettkammer des Serails von ihrem Geschichtschreiber, daher läßt sich schwerlich bestimmen, ob Fräulein Melechsala die in Empfang genommene Muschirumi auf der Spiegelkonsole dahin



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welken lassen oder sie ins frische Wasser gestellt habe, um sie zur angenehmen Augenweide so lange als möglich zu konservieren. Desgleichen ist auch nicht leicht auszumachen, ob sie von lieblichen Träumen umtanzt oder von den bösen Sorgen der Liebe gequält die Nacht schlummernd oder schlaflos zugebracht habe. Doch ist das letztere um deswillen glaubhaft, weil am frühen Morgen groß Jammern und Wehklagen innerhalb der vier Wände des Palastes entstund, als die Prinzessin mit abgebleichten Wangen und mattem Blick in den Augen zum Vorschein kam, also, daß ihr Frauenzimmer wähnte, ihr wandle eine schwere Krankheit an. Der Hofarzt wurde herbeigerufen, eben der bärtige Jude, welcher dem Grafen das Fieber durchs Schweißbad abgeschwemmt hatte, um den Puls der erlauchten Kranken zu prüfen. Sie lag nach Landessitte auf einem Sofa, vor welches ein großer Blendschirm gesetzt wurde, mit einer kleinen Öffnung versehen, durch welche die Prinzessin den niedlich gerundeten Arm hervorstreckte, der aber, um ihn nicht dem profanen Anblick eines männlichen Auges preiszugeben, mit zartem Musselin doppelt und dreifach umwunden war. Soll mir Gottl flüsterte der Arzt der Oberkämmerin ins Ohr, mit Ihro Hoheit siehts schlecht, der Puls zappelt wie ein Mäuseschwanz, und schüttelte aus praktischer Politik, wie schlaue Arzte pflegen, dabei gar bedenklich den Kopf, verordnete reichlich

Kalaf und andere Herzstärkungen und weissagete mit Achselzucken ein abzehrendes Fieber.



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Gleichwohl schienen alle diese Symptome, welche der sorgsame Arzt Sur Herolde ansah, die eine bösartige Seuche verkündeten, nichts mehr als die Folgen einer gestörten Nachtruhe zu sein; denn da die Kranke in der Mittags stunde ihre Sieste gehalten hatte, befand sie sich zur Verwunderung des Israeliten gegen Abend schon außer Gefahr, hatte keine Arzenei mehr nötig und mußte nach der Vorschrift dieses Aeskulaps nur noch einige Tage der Ruhe pflegen. Diese Zeit wendete sie dazu an, ihre Intrige reiflich zu überlegen und Projekte auszuklügeln, die Gerechtsame der akzeptierten Muschirumi zu realisieren. Sie war geschäftig, zu erfinden, zu prüfen, zu wählen und zu verwerfen. In einer Stunde ebnete die Phantasie die unübersteiglichsten Berge, in der andern sah sie nichts als Klüfte und Abgründe, vor welchen sie zurückschauderte und über die die kühnste Einbildungskraft keinen Steg zu bauen wagte. Dennoch gründete sie auf alle diese Steine des Anstoßes den festen Entschluß, es koste auch, was es wolle, den Gefühlen ihres Herzens zu gehorchen. Ein Heroismus, der Mutter Evens Töchtern nicht ungewöhnlich ist, den sie inzwischen oft mit dem Glück und der Zufriedenheit des Lebens bezahlen.

Die verriegelte Pforte des Serails tat sich endlich auf, und die schöne Melechsala ging, wie die lichte Sonne durchs Morgentor durch sie wieder in den Garten. Der Graf bemerkte ihre Ankunft hinter einer Efeulaube, da Sings an, in seinem Herzen zu arbeiten wie in einer Wühle, es pochte und hämmerte, als wäre er Berg an Berg ab gelaufen. War's Freude, war's Zagheit oder bange Erwartung, was dieser Gartenbesuch ihm ankündigen würde, — Verzeihung oder Ungnade: wer vermag das menschliche Herz so genau zu entfalten, daß er von jedem Ruck und Zuck dieser reizbaren Muskel Grund und Ursache sollte anzugeben wissens Genug, Graf Ernst fühlte Herzklopfen, sobald er die Gartengrazie von weitem erblickte, ohne daß er sich selbst über das Woher und Warum Rechenschaft zu geben vermochte. Sie beurlaubte ihr Gefolge gar bald, und aus allen Umständen war deutlich abzumerken, daß die poetische Blumenlese diesmal nicht ihr Geschäfte sei. Sie machte die Wallfahrt nach den Lauben, und weil er eben nicht geflissentlich Versteckens spielen wollte, mußte sie ihn wohl finden. Da sie noch einige Schritte entfernt war, fiel er mit stummer Beredsamkeit vor ihr auf die Kniee, unterstund sich nicht, die Augen gegen sie aufzuheben, und sah so trübselig aus wie ein Delinquent, dem der Richter sein Urteil zu publizieren eben im Begriffe ist. Das Fräulein aber redete ihn mit sanfter Stimme und freundlicher Gebärde an: Bostangi, stehe auf und folge mir in diese Laube. Bostangi gehorchte schweigend, und nachdem sie Platz genommen hatte; redete sie also: Der Wille des Propheten geschehe! Ich habe ihn drei Tage und drei Nächte lang angerufen, mir durch ein Anzeichen kund zu machen, wenn mein Wandel zwischen Torheit und Irrtum schwankt. Er schweigt



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und billiget den Entschluß der Ringeltaube; den sklavischen Hänfling der Kette, woran er kümmerlich Wasser zieht, zu entledigen und mit ihm zu nisten. Die Tochter des Soldans hat die Muschirumi aus deiner Sklavenhand nicht verschmähet; mein Los ist entschieden! Säume nicht den Iman aufzusuchen, daß er dich in die Moschee einführe und dir das Siegel der Gläubigen erteile. Dann wird mein Vater auf meine Vorbitte dich wachsen lassen wie den Nilstrom, wenn er sein enges Ufer übersteigt und sich in das Tal ergießt. Wenn du nun als Bey eine Provinz regierest magst du deine Augen kühnlich zum Throne aufheben, der Soldan wird den Eidam nicht verwerfen, welchen der große Prophet seiner Tochter versehen hat.

Wie von dem Zaubersprüche einer mächtigen Fei wurde der Graf durch diese Rede einer steinernen Bildsäule abermals verähnlichet, er staunte die Prinzessin an, ohne Leben und Bewegung. Seine Wangen entfärbten sich, und seine Zunge war gebunden. Im ganzen begriff er zwar den Sinn der Rede, aber wie er zu der unerwarteten Ehre gelangen sollte, der Eidam des Soldans von Ägypten zu werden, das war ihm unbegreiflich. In dieser Situation machte er für einen erhörten Liebhaber nun eben nicht die imposanteste Figur; jedoch die aufwachende Liebe vergüldet alles, wie die aufgehende Sonne. das Fräulein nahm dieses hinbrütende Staunen für Übermaß seines Entzückens an und maß die sichtbare Verwirrung seines Geistes dem überraschenden Gefühl seines Minneglückes bei. Indessen regte sich in ihrem Herzen eine gewisse Empfindung jungfräulicher Bedenklichkeit, daß sie mit dem Ultimatum ihrer Gegenerklärung zu rasch möchte zu Werke gegangen sein, und die Erwartung ihres Geliebten übereilet haben, darum nahm sie das Wort wieder und sprach: Du schweigst, Bostangi Laß dich nicht befremden, daß der Wohlgeruch deiner Muschirumi den Geruch meiner Gesinnung auf dich zurück duftet, die Decke der Verstellung hat nie mein Herz verhüllt. Sollte ich durch schwankende Hoffnung dir den steilen Pfad erschweren, den dein Fuß vorher ersteigen muß, ehe sich die Brautkammer dir öffnete

Der Graf hatte während dieser Rede Zeit gehabt; wieder zur Besonnenheit zu gelangen, er ermannte sich wie ein Kriegsmann aus dem Schlafe, wenn im Lager Lärm geblasen wird. Glanzvolle Blume des Orients, sprach er, wie darf ein Stäudlein, das unter den Dornen wächst, sich ermächtigen, unter deinem Schatten zu blühen? Würde es nicht die wachsame Hand des Gärtners als ein mißständiges Unkraut ausjäten und es hinwerfen, daß es im Wege zertreten würde oder von der Sonnenglut verschmachtete? Wenn ein wehendes Lüftlein den Staub erhebt, daß er dein königliches Diadem befleckt, sind nicht alsbald hundert Hände bereit, davon zu säubern? Wie sollte ein Sklave auf die Bisangfrucht lüstern sein, die in den Gärten des Soldans für den Gaumen eines Fürsten reift? Auf dein Geheiß suchte ich



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eine angenehme Blume für dich und fand die Muschirumi, deren Name mir so unbekannt war, als es ihre geheimnisvolle Bedeutung noch ist. Wähne nicht daß ich damit etwas anders beabsichtigt habe, als dir zu gehorchen.

Diese Querantwort verrückte den schönen Plan des Fräuleins merklich. Es war ihr unerwartet, zu vernehmen, daß einem Europäer möglich sei, mit der Wuschirumi nicht gerade den Gedanken zu verbinden, insofern sie einem Frauenzimmer dargeboten wird, welchen die zwei übrigen Teile der alten Welt damit zu vereinbaren pflegen. Das Mißverständnis lag klar am Tage; jedoch die Liebe, die einmal im Herzen Wurzel gefaßt hatte, wendete und drehete es so geschickt, wie eine Nähterin ein Stück Arbeit; wobei sie es im Zuschnitte versehen hat, daß endlich doch noch alles so ziemlich zusammentreffen muß. Die Prinzessin verbarg ihre Verlegenheit durch das Spiel ihrer schönen Hände mit dem Saume des Schleiers, und nachdem sie einige Augenblicke geschwiegen hatte, sprach sie mit zärtlicher Anmut: Deine Bescheidenheit gleicht der Nachtviole, die nicht nach dem Schimmer des Sonnenlichts geizet, um hohe Farben zu spiegeln, und dennoch ihres aromatischen Geruchs wegen geliebt wird. Ein günstiges Ungefähr ist also der Dolmetscher deines Herzens worden und hat die Empfindungen des meinigen hervorgelockt, sie sind dir unverborgen. Folge der Lehre des Propheten, und du bist auf dem Wege, deinen Wunsch zu erreichen.

Der Graf fing an, den Zusammenhang der Sache immer deutlicher einzusehen, die Dunkelheiten verschwanden allgemach aus seiner Seele, wie die nächtlichen Dämmerungen beim Anbruch der Morgenröte. Jetzt trat der Versucher, den er im Verlies des Gitterturms unter der Maske eines gehörnten Satyrs oder eines schwarzen Erdgnomens erwartet hatte, in der Gestalt des geflügelten Amors zu ihm und brauchte alle verführerischen Künste; ihn zu überreden, den Glauben zu verleugnen, seiner zarten Gemahlin treubrüchig zu werden und die Pfänder keuscher Liebe zu vergessen. Es steht in deiner Gewalt, sprach er, die ehernen Sklavenfesseln mit den holden Banden der Liebe zu vertauschen. Die erste Schönheit eines Weltteils lächelt dir entgegen, und mit ihr der Genuß jedes Erdenglücks! Eine Flamme; rein wie das Feuer der Vesta, lodert für dich in ihrem Busen, das sie verzehren würde, wofern Torheit und Eigensinn deine Seele umnebelten, ihre Gunst zu verschmähen. Verbirg deinen Glauben eine kleine Zeit unter den Turban, Vater Gregor hat Wassers genug in seiner Ablaßzisterne, dich von dieser Sünde rein zu waschen. Vielleicht erwirbst du das Verdienst, des Fräuleins reine Engelseele zu gewinnen und sie dem Himmel zuzuführen, für den sie bestimmt ist. Dieser trüglichen Oration hätte der Graf noch lange mit Wohlgefallen zugehöret; wenn ihn sein guter Engel nicht beim Ohr gezupft und gewarnt hätte, der Stimme der Verführung nicht weiter Gehör zu geben. Darum glaubte er mit Fleisch und Blut nicht länger sich besprechen zu dürfen, sondern über sich



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rasch den Sieg gewinnen zu müssen. Das Wort erstarb ihm einigemal im Munde, doch faßte er endlich Mut und gegenredete also: Der Wunsch des verirrten Wanderers in der libyschen Wüste, aus den Quellen des Nils seine trockene Zunge zu laben, mehrt nur die Qualen der durstigen Leber; wenn er dennoch verschmachten muß. Darum, o du Holdseligste deines Geschlechts, wähne nicht; daß ein solcher Wunsch in meiner Seele erwacht sei, der als ein nagender Wurm an meinem Herzen zehren würde, ohne daß ich ihn mit Hoffnung füttern kann. Vernimm, daß ich in meiner Heimat durch das unauflösliche Band der Ehe mit einem tugendsamen Weibe bereits verbunden bin drei zarte Kindlein den süßen Vaternamen lallen. Wie könnte en Herz, von Kummer und Sehnsucht zerrissen, der Perle der Schönheit nachstreben, um ihr geteilte Liebe anzubieten? Diese Erklärung war deutlich; der Graf vermeinte, auch recht rittermäßig und gleichsam mit einem Streite den Minnekampf entschieden zu haben. Er vermutete, die Prinzessin würde nun ihre Übereilung einsehen und ihren Plan aufgeben; allein hierin irrte er sich gar sehr. Das Fräulein konnte sich nicht bereden, daß der Graf, als ein junger blühender Mann, keine Augen für sie haben sollte sie wußte; daß sie liebenswürdig war, und das freimütige Bekenntnis von der Lage seines Herzens machte gerade auf sie gar keinen Eindruck. Sie dachte nach der Sitte ihres Vaterlandes nicht daran, den alleinigen Besitz sich davon zuzueignen, und betrachtete die Zärtlichkeit der Männer als ein teilbares Gut, denn in den sinnreichen Spielen des Serails hatte sie oft gehört; daß die männliche Zärtlichkeit mit einem Faden Seide war verglichen worden, der sich trennen und teilen läßt; so daß jeder Teil dennoch für sich ein Ganzes bleibt. In der Tat ein sinnreicher Vergleich, worauf der abendländische Witz unserer Damen noch nie verfallen ist! Der Harem ihres Vaters hatte ihr von Jugend auf auch zahlreiche Beispiele von der Geselligkeit der Liebe dargestellt; die Favoritinnen des Soldans lebten daselbst in traulicher Eintracht beisammen.

Du nennest mich die Blume der Welt, erwiderte das Fräulein, aber siehe, in diesem Garten blühen neben mir noch viale Blumen, die Aug und Herz durch Mannigfaltigkeit ihrer Schönheit und Anmut ergötzen, und ich wehre dir nicht; diesen Blumengenuß mit mir zu teilen. Sollte ich von dir fordern, in deinen eignen Garten nur eine einzige Blume zu pflanzen, an deren beständigem Anblick dein Auge ermüden würde? Dein Weib soll Teilhaberin sein des Glückes, das ich dir bereite, du sollst sie in deinen Harem einführen. Sie wird mir willkommen, sie wird mir die liebste Gespielin sein um deinetwillen, und um deinetwillen wird sie mich wieder lieben. Auch ihre Kindlein sollen die meinigen sein, ich will ihnen Schatten geben, daß sie lustig blühen und in fremdem Erdreich wurzeln sollen. Mit der Toleranz der Liebe ist es in unserm aufgeklärten Jahrhundert noch lange nicht so wes gediehen M mit der Toleranz der Kirche, sonst könnte diese Erklärung der



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Prinzessin unsern Leserinnen unmöglich so befremdend auffallen, als sie aller Wahrscheinlichkeit nach tun wird; allein Fräulein Melechsala war eine Morgenländerin, und unter diesem milden Himmel hat Megäre Eifersucht über die schöne Hälfte der Menschheit weit weniger Gewalt als über die stärkere; welche sie dagegen auch mit eisernem Zepter regieret.

Graf Ernst war von der gutmütigen Denkungsart der Prinzessin gerührt; und wer weiß, wozu er sich möchte entschlossen haben, wenn er seiner trauten Ottilia daheim gleiche Gesinnung hätte zutrauen können und überdies der Stein des Anstoßes ihm nicht im Wege gelegen hätte, seines Glaubens sich abzutun. Er verschwieg der Huldgöttin, die so unbefangen um sein Herz warb, diesen Gewissensskrupel keineswegs, und so leicht es ihr gewesen war; alle übrigen Schwierigkeiten auf die Seite zu räumen, so wenig konnte sie dieser beikommen. Die trauliche Session wurde aufgehoben, ohne daß in Ansehung dieses streitigen Punktes etwas entschieden wurde. Da die Parteien sich trennten, stunden die Traktaten so wie bei einer Grenzkonferenz zweier benachbarten Staaten, wo kein Teil seinen Gerechtsamen etwas hergeben will und der Austrag der Sache auf einen anderweiten Termin verschoben wird, wo die Kommissarien wieder mit einander in Freuden leben und sich's wohl sein lassen.

Im geheimen Konklave des Grafen hatte der flinke Kurt bekanntlich Sitz und Stimme, sein Herr eröffnete ihm zur Abendzeit den ganzen Vorgang seiner Herzensangelegenheit, denn er war sehr beunruhiget, und es ist leicht möglich, daß ein Liebesfunke aus dem Herzen des Fräuleins in das seine herübergesprüht war, der sich von der Asche seiner gesetzmäßigen Liebesglut nicht wollte ausdampfen lassen. Eine siebenjährige Abwesenheit, die aufgegebene Hoffnung der Wiedervereinigung mit der Erstgeliebten und die dargebotene Gelegenheit, das Herz nach Wunsch zu beschäftigen, sind drei kritische



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Umstände; wodurch eine so geistige Masse, als die Liebe ist leicht in eine Gährung kommt; die ihre Substanz verändert. Der weise Knappe spitzte das Ohr bei Anhörung dieses interessanten Ereignisses, und gleichsam als ob die enge Pforte des Gehörnervens die Erzählung des Grafen nicht rasch genug in seine Hirnkammer einpassieren ließ, öffnete er zugleich die weite Torfahrt des Mundes, hörte und schmeckte zugleich die unerwartete Novelle mit großer Inbrunst. Nachdem er alles reiflich erwogen hatte, ging sein unvorgreifliches Gutachten dahin, die anscheinende Hoffnung der Erledigung in beide Hände zu fassen und den Plan der Prinzessin zu realisieren, nichts dazu und nichts davon zu tun und übrigens den Himmel walten zu lassen. Ihr seid, sprach er; aus dem Buche der Lebendigen in Eurem Vaterlande ausgetan; aus dem Abgrunde der Sklaverei ist keine Erlösung, wofern Ihr Euch nicht an den Seilen der Liebe heraushaspelt. Eure Gemahlin, die holde Frau, kehret nie zu Euren Umarmungen zurück. Wenn sie in sieben Jahren der Gram über Euren Verlust nicht überwältigt und aufgerieben hat, so hat die Zeit ihren Gram überwältiget; sie hat Euer vergessen und erwarmet in dem Bette eines andern. Aber den Glauben zu verleugnen, das ist traun eine harte Nuß, die Ihr wohl nicht aufknacken möget. Doch auch dafür ist wohl Rat. Unter keinem Volk auf Erden ist's Brauch, daß das Weib den Mann belehre, welchen Weg zum Himmel er nehmen soll, sondern sie folgt seinem Gange und läßt sich von ihm leiten und führen wie die Wolke vom Winde, sieht weder zur Rechten noch zur Linken, auch nicht hinter sich, wie Lots Weib; die zur Salzsäule ward; denn wo der Mann hinkommt, da ist ihres Bleibens. Ich habe auch daheim ein Weib, aber wahrlich, Herr, läge ich in der Vorhölle, so würde sie sich nicht entbrechen, mir nachzufahren, um mit ihrem Sonnenwedel meiner armen Seele frische Luft zuzufächeln. Darum beharret fest darauf, daß das Fräulein Mem Lügenpropheten entsage. Wofern sie Euch mit reiner Liebe beigetan ist, wird sie sicherlich ihr Paradies gegen den Christenhimmel gern vertauschen.

Der flinke Kurt perorierte noch lange, um seinen Herrn zu überreden, die königliche Liebschaft nicht auszuschlagen und aller andern Verbindungen zu vergessen, um seine Fesseln zu zerbrechen. Aber er bedachte nicht; daß er durch das Zutrauen in die Treue seines eignen Weibes den Grafen an die Treue seiner liebevollen Gemahlin erinnert hatte, deren er sich gänzlich zu entschlagen versucht wurde. Sein Herz war eingepreßt als in einer Kelter, er wälzte sich auf seinem Nachtlager rastlos hin und her; und seine Gedanken und Entschlüsse durchkreuzten sich gar sonderbar; dadurch wurde er so abgemattet, daß er gegen den Morgen in einen dumpfen Schlummer fiel. Da träumte ihn, der schönste Schneidezahn aus seinem elfenbeinernen Gebiß sei ausgefallen, worüber er großes Herzeleid und schweren Kummer empfand, doch er die Zahnlücke im Spiegel besah, um zu urteilen, ob sie ihn



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auch sehr verstelle, war ein neuer Zahn hervorgewachsen, schön und blank wie die übrigen, so daß der Verlust nicht zu merken war. Sobald er erwachte, trug er Verlangen, die Deutung des Traumes zu erfahren. Der flinke Kurt ermangelte daher nicht, eine wahrsagende Zigeunerin aufzutreiben, die gegen die Gebühr gut Glück aus der Hand und Stirn prophezeite, auch die Gabe besaß, Träume auszulegen. Der Graf referierte ihr den seinigen der Länge nach, und nachdem die gerunzelte, schwarzbraune Pythia lange darüber simuliert hatte, tat sie ihren wulstigen Mund auf und sprach: Was dir das Liebste war, hat dir der Tod geraubt, doch den Verlust ersetzt bald das Geschick dir wieder.

Nun lag's klar am Tage, daß die Vermutungen des weisen Knappen keine Hirngespinste waren, sondern daß die gute Gräfin Ottilia vor Gram und Harm über den Verlust ihres geliebten Gemahls zu Grabe gegangen sei. Der gebeugte Witwer, der so wenig an diesem Trauerfall zweifelte, als wenn er durch eine schwarzgeränderte Notifikation Brief und Siegel darüber empfangen hätte, fühlte alles, was ein Mann, der sein gesundes Gebiß zu schätzen weiß, empfindet, wenn er einen Zahn verliert, welchen die wohltätige Natur durch einen andern zu ersetzen in Begriff ist und tröstete sich über den erlittenen Verlust mit dem bekannten trostreichen Witwerspruch: Es ist Gottes Schickung, ich muß mich drein ergeben. Da er sich nun für frei und ungebunden hielt, spannte er alle Segel auf, ließ Wimpel und Flagge lustig wehen, um auf den Hafen seines Minneglücks loszusteuern. Bei der nächsten Entrevue fand er die Prinzessin reizender als jemals, seine Blicke schmachteten ihr entgegen, ihr schlanker Wuchs entzündete sein Auge, und ihr leichter sanfter Gang glich dem Gange einer Göttin, ob sie gleich nach menschlicher Weise einen Fuß vor den andern förder setzte und nicht nach dem Kostüm der Göttinnen mit unbewegten Schenkeln über den buntfarbigen Sandweg daher schwebte. Bostangi, sprach sie mit melodischer Stimme, hast du den Iman gesprochen? Der Graf schwieg einen Augenblick, schlug die lichtvollen Augen nieder, legte bescheiden die Hand auf die Brust und ließ



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sich auf ein Knie vor ihr nieder. In dieser demutsvollen Stellung antwortete er entschlossen: Erhabene Tochter des Soldans, mein Leben hängt an deinem Wink aber nicht mein Glaube. Mit Freuden bin ich bereit, jenes dich aufzuopfern, nur laß mir diesen, der mit meiner Seele so verwebt ist, daß sie sich leichter vom Leibe scheiden, als vom Glauben trennen läßt. Hieraus merkte die Prinzessin, daß sie mit ihren schönen Entwürfen auf dem Wege war zu scheitern, um deswillen nahm sie zu einem heroischen Mittel ihre Zuflucht, das unstreitig von unfehlbarer Wirkung ist, als der berufene tierische Magnetismus, und versuchte damit, ihren Plan aufrecht zu erhalten; sie entschleierte ihr Angesicht. Im vollen Glanz der Schönheit stund sie da wie die Sonne am Firmamente, als sie aus dem Chaos hervorging, die dunkle Erde zu bestrahlen. Sanfte Röte überzog ihre Wangen, und hoher Purpur glühete auf den Lippen ihres Mundes, zwei schön gewölbte Bogen, auf welchen Amor scherzte wie die buntfarbige Iris auf dem Regenbogen, beschatteten die
seelenvollen Augen, und zwei goldne Locken küßten sich auf ihrer Lilienbrust Der Graf staunte und schwieg; sie aber nahm das Wort und sprach: Siehe,



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Bostangi, ob diese Gestalt deinen Augen gefällt, und ob sie des Opfers wert sei, das ich von dir fordere. Sie ist die Gestalt eines Engels, antwortete der Graf mit dem Ausdruck des höchsten Entzückens, wert, von einem Heiligenschein umflossen, in den Vorhöfen des Christenhimmels zu glänzen, gegen welchen die Ähnlichkeiten des Paradieses des Propheten nur leere Schatten sind.

Diese Worte, mit Wärme und anschaulicher Überzeugung ausgesprochen fanden in dem offenen Herzen des Fräuleins freien Eingang, besonders dünkte ihr der Heiligenschein ein Apparatus zu sein, der ihr nicht übel zu Gesichte stehen müßte. Ihre rege Phantasie blieb auf diese Idee geheftet über welche sie Erläuterung begehrte, und der Graf ergriff die dargebotene Gelegenheit mit beiden Händen, ihr den Christenhimmel so reizend zu schildern, als in seinem Vermögen war; er wählte die anmutigsten Bilder dazu, die die Einbildungskraft darbot; und sprach mit solcher Zuversicht, als wenn er gerade aus dem Schoß der Seligkeit herabgekommen wäre, eine Mission an sie auszurichten. Weil es nun dem Propheten beliebt hat, das schöne Geschlecht in jener Welt mit überaus kärglicher Erwartung auszusteuern, so verfehlte der apostolische Redner seine Absicht desto weniger; ob sich gleich nicht behaupten läßt, daß er zum Apostelamt eben vorzüglich qualifiziert gewesen wäre. Es sei nun, daß der Himmel selbst dieses Bekehrungsgeschäft begünstigte, oder daß der exoterische Geschmack der Prinzessin sich bis auf die religiösen Begriffe der Ausländer ausdehnte, oder daß das Personale des Heidenbekehrers mit in Anschlag kam; genug, sie war ganz Ohr und würde, wenn der herandämmernde Abend die Lektion nicht unterbrochen hätte, ihrem Dozenten noch stundenlang mit Vergnügen zugehört haben. Vor diesmal ließ sie rasch den Schleier fallen und begab sich ins Serail.

Es ist eine bekannte Sache, daß Fürstenkinder überaus gelehrig sind und in allen wissenswerten Dingen riesenmäßige Fortschritte machen, wie unsere Tagebücher das oft laut urkunden, wenn die übrige Weltbürgerschaft sich nur mit Zwergschritten begnügen muß. Es war daher kein Wunder daß die Tochter des Soldans von Ägypten nach kurzem Zeitverlauf den damaligen Lehrbegriff der abendländischen Kirche so gut inne hatte, als der Lehrer ihr solchen mitteilen konnte, einige kleine Ketzereien auf und ab ungerechnet, die ohne Vorsatz seine Unkunde in Glaubenssachen mit einlaufen ließ. Diese Erkenntnis blieb nicht toter Buchstabe bei ihr, sondern erwese das eifrige Verlangen, zu proselytieren. Also wurde der Plan der Prinzessin nun insoweit abgeändert, daß sie nicht mehr darauf bestund, den Grafen zu bekehren, sondern sich von ihm bekehren zu lassen; doch alles das nicht sowohl in Hinsicht einer Glaubenseinigung, als in Beziehung des beabsichtigten Liebesvereins . Es kam jetzt alles auf die Frage an, wie dieses Vorhaben ino Werk zu richten sei. Sie zog den Grafen und dieser den flinken Kurt in den nächt



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lim Konsultationen über diese wichtige Angelegenheit zu Rate, und der letztere votierte dahin, das Eisen zu schmieden, dieweil es heiß sei, der schönen Proselytin des Grafen Stand und Herkunft zu eröffnen, ihr den Vorschlag zu tun, mit ihm zu entfliehen, behend über Meer ans europäische Gestade zu schwimmen und im Thüringerland miteinander als christliche Eheleute zu leben.

Der Graf klopfte diesem wohlausgedachten Plane seines weisen Knappen lauten Beifall zu, es war, als hätte er ihn seinem Herrn aus den Augen gelesen. Ob die Ausführung mit Schwierigkeiten würde verknüpft sein oder nicht, das wurde beim ersten Feuer des romantischen Entwurfes nicht in Erwägung gezogen; die Liebe trägt alle Berge eben, springt über Mauern und Graben, hüpft über Abgrund und Schluchten und setzt über einen Schlagbaum mit eben der Leichtigkeit als über einen Strohhalm. In der nächsten Lehrstunde eröffnete der Graf der geliebten Katechumena den gefaßten Anschlag. Du Abglanz der heiligen Jungfrau, redete er sie an, vom Himmel erkoren aus einem verworfenen Volk, über Irrwahn und Vorurteil zu siegen und Teil und Erbe zu empfahen im Wohnplatz der Wonne, hast du den Mut, deinem Vaterlande zu entsagen, so bereite dich zur schnellen Flucht. Ich will dich gen Rom geleiten, wo der Himmelspförtner; Sankt Peters Statthalter, hauset, dem die Schlüssel zur Himmelstür anvertraut sind daß er dich aufnehme in den Schoß der Kirche und das Bündnis unserer Liebe segne. Fürchte nicht, daß deines Vaters mächtiger Arm uns erreichen werde, jede Wolke über unserm Haupte wird ein Schiff sein mit einer Besatzung von Engelheerscharen, mit diamantnen Schildern und feurigen Schwertern bewaffnet, die, sterblichen Augen zwar unsichtbar, aber mit Kraft und Stärke gerüstet, zu deiner Hut und Wacht verordnet sind. Auch will ich dir nicht verhalten, daß ich durch Glück und Geburt das bin, wozu mich die höchste Gunst des Soldans erheben könnte; ich bin ein Graf, das ist ein geborner Bey, der über Land und Leute regieret. Die Grenzen meiner Herrschaft umschließen Städte und Flecken, auch Paläste und feste Bergschlösser. Mir gehorchen Ritter und Knappen, auch Roß und Wagen sind zu meinem Dienst bereit. Du sollst in meinem. Vaterlande, von keinen Mauern eines Serails umschlossen, frei herrschen und regieren als eine Königin.

Diese Rede des Grafen dünkte der Prinzessin eine Botschaft vom Himmel zu sein, sie setzte kein Mißtrauen in die Zuverlässigkeit seiner Worte, und es schien ihr zu schmeicheln, daß die schöne Ringeltaube nicht in einem Hänflingsnest, sondern bei einem Gefieder von der Sippschaft der Adler nisten würdet Ihre warme Phantasie war mit so süßen Erwartungen angefüllt; daß sie sich mit der Bereitwilligkeit der Kinder Israel zum Ausgang aus Ägypten bequemte, gleichsam als ob ein neues Kanaan in einem andern Weltteile jenseit des Meeres ihrer wartete. Sie würde im Vertrauen auf den



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Schutz der ihr verheißenen unsichtbaren Leibwache alsbald ihrem Geleitsmanne außerhalb den Ringmauern des Palastes gefolgt sein, wenn dieser sie nicht belehrt hätte, daß noch mancherlei Zubereitungen erforderlich wären, ehe das große Vorhaben mit Hoffnung eines glücklichen Erfolgs könnte ausgeführt werden.

Unter allen Kapereien zu Wasser und zu Lande ist keine mißlicher und mit mehreren Schwierigkeiten verbunden, als dem Großherrn seine Favoritin aus den Annen wegzustehlen; einen solchen Meisterstreich kann nur die wildgärende Einbildungskraft eines W-z-ls träumen, und er kann auch nur einem Kakerlak gelingen. Das Beginnen des Grafen Ernst von Gleichen, des Soldans von Ägypten Tochter zu entführen, hatte indessen nicht weniger Schwierigkeiten, und weil doch beide Helden gewissermaßen in Konkurrenz kommen, so scheint das Wagestück des letztern ungleich dreister, weil alles dabei einen natürlichen Gang nahm und sich keine dienstfertige Fei ino Spiel mischte; gleichwohl lief der Erfolg des ähnlichen Unterfangens bei dem einen so wie bei dem andern nach Wunsch ab. Die Prinzessin füllte ihr Schmuck reichlich mit Juwelen an, vertauschte ihr königliches Gewand mit einem Kaftan und schlüpfte eines Abends unter der Geleitschaft ihres Geliebten, seines getreuen Knappen und des dämischen Wasserträgers unbemerkt aus dem Palaste zum Garten hinaus, um die weite Reise ins ferne Abendland anzutreten. Des Fräuleins Abwesenheit konnte nicht lange verborgen bleiben, ihr Frauenzimmer suchte sie, nach dem Sprüchwort, wie eine Stecknadel, und da man sie nicht fand, war die Bestürzung im Serail allgemein. Es war schon dies und das über die geheimen Audienzen des Bostangi gemunkelt worden, man reihete Vermutung und Tatsache aneinander, und daraus entstund freilich keine Perlenschnur, sondern die schauderhafte Entdeckung des eigentlichen Vorganges der Sache. Der Diwan der Damen konnte nicht umhin, höhern Orts davon Bericht zu erstatten. Der Vater Soldan; dem die tugendsame Melechsala, alles wohl erwogen, das Herzeleid hätte ersparen können, landflüchtig zu werden, um die Emplette eines Heiligenscheins zu machen, gebärdete sich bei diesem Präadvis wie ein ergrimmter Löwe, der fürchterlich die braune Mähne schüttelt; wenn er durch das Getöse der Jagd und das Gebell der Hunde aus seinem Lager aufgeschreckt wird. Er schwur beim Barte des Propheten dem ganzen Serail den Untergang, wenn bei Sonnenaufgang die Prinzessin nicht wieder in der väterlichen Gewalt wäre. Die mameluckische Leibwache mußte aufsitzen, um auf den Landstraßen von Kairo nach allen vier Himmelsgegenden der Fliehenden nachzueilen, und tausend Ruder peitschten den breiten Rücken des Nils, um sie einzuholen, im Fall sie den Weg zu Wasser genommen hätte.

Bei solchen Anstalten war's unmöglich, dem weitreichenden Arm des Soldans zu entrinnen, wenn der Graf nicht das Geheimnis besaß, sich nebst



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seiner Reisegesellschaft zu verunsichtbaren, oder die Wundergabe, ganz Ägypten mit Blindheit zu schlagen. Allein von diesen Talenten war ihm keines verliehen. Nur der flinke Kurt hatte einige Maßregeln genommen, die in Ansehung des Effekts die Stelle der Wunder allenfalls vertreten konnten. Er verunsichtbarte die flüchtige Karawane durch die Finsternis eines dunkeln Kellers in dem Hause des großen Schweißtreibers Adullam. Dieser jüdische Hermes begnügte sich nicht daran, die Heilkunde mit gutem Fortgange zu treiben, sondern wucherte auch mit der Gabe, die er aus der Erbschaft seiner Väter empfangen hatte, und ehrte den Merkur in der Qualität eines Schutzpatrons der Arzte, der Kaufleute und Diebe. Er trieb einen großen Spezerei- und Kräuterhandel mit den Venedigern, der ihm vielen Reichtum erworben hatte, und verschmähete kein Negoz, wobei etwas zu gewinnen war. Der treue Knappe hatte diesen ehrlichen Israeliten, der sich für Geld und Geldeswert zu jeder Tat bereit finden ließ, ohne ihre Moralität zu untersuchen, durch ein Kleinod aus dem Schmuckkästlein der Prinzessin gewonnen, die Spedition des Grafen, dessen Stand und Vorhaben ihm unverhohlen blieb, nebst dreien von seinen Dienern auf ein venedisches Schiff, das zu Alexandrien



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in Ladung gelegt hatte, zu übernehmen; doch blieb es ihm weislich verborgen, daß er die Tochter seines Herrn konterband machen und heimlich aus dem Lande praktizieren sollte. Da er den zu versendenden Warentransport in Augenschein nahm, fiel ihm zwar die Gestalt des schönen Jünglings auf; doch dachte er nichts Arges dabei und hielt ihn für den Pagen des Ritters. Bald darauf verbreitete sich das Gerücht über die Stadt; die Prinzessin Melechsala sei verschwunden; da gingen ihm die Augen auf, tödliches Schrecken bemächtigte sich seiner Sinnen, also daß ihm der graue Bart anfing zu beben, und er hätte wohl gewünscht, mit diesem gefährlichen Handel unbeworren zu sein. Jetzt war's zu spät, seine eigene Sicherheit erforderte nun, alle Schlauheit aufzubieten, das halsbrechende Geschäft glücklich zu beendigen. Zuförderst legte er seiner unterirdischen Hausgenossenschaft eine strenge Quarantäne auf, und nachdem die erste Nachforschung vorüber, die Hoffnung, die Prinzessin wieder ausfindig zu machen, ziemlich veschwunden und der Eifer,
sie aufzusuchen, erkaltet war, packte er die ganze Karawane säuberlich in vier Kräuterballen, lud sie auf ein Nilschiff und schickte sie nebst einem Frachtbriefe



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unter Gottes Geleite sicher und wohlbehalten nach Alexandrien, wo sie, sobald der Venediger die hohe See gewonnen hatte; des engen Gewahrsams in den Kräutersäcken *) samt und sonders entledigt wurden.

Ob in einem prächtigen Wolkenzüge die himmlische Trabantengarde ins feurigem Schwert und Schild gerüstet, dem wogenden Schiffe folgte, das läßt sich wegen ihrer Unsichtbarkeit zwar nicht augenscheinlich dokumentieren gleichwohl sind gewisse Anzeichen vorhanden, welche die Sache glaubhaft machen. Alle vier Winde des Himmels schienen sich zu einer glücklichen Seereise vereiniget zu haben; die widrigen hielten den Atem zurück, und die günstigen bliesen so lustig in die Segel, daß das Schiff pfeilgeschwind die sanftspielenden Wellen furchte. Als der freundliche Mond die wachsenden Silberhörner zum zweiten Male aus den Wolken hervorstreckte, lief der Venediger wohlgemut in dem Hafen seiner Vaterstadt ein.

Der wachsame Lauerer der Gräfin Ottilia befand sich noch immer daselbst unb ließ die fruchtlose Mühe vergebener Nachfrage sich nicht abschrecken, seine Diäten zu mehren und alle Passanten aus der Levante fleißig zu examinieren . Er befand sich gerade auf seinem Posten, da der Graf nebst der schönen Melechsala ans Land stieg. Er hatte die Physiognomie seines Herrn in so gutem Andenken, daß er sich vermaß, ihn unter tausend unbekannten Gesichtern herauszufinden. Indes machte ihn die fremde Tracht und der Finger der Zeit, der in sieben Jahren an der Gestalt manches ändert; einige Augenblicke zweifelhaft . Um seiner Sache gewiß zu werden, nahete er sich zu dem Gefolge des fremden Ankömmlings, trat den getreuen Knappen an und frug: Kamerad, woher des Landes? Der flinke Kurt freuete sich, einen Landsmann anzutreffen, der ihn in seiner Muttersprache anredete, fand aber nicht für gut, einem Unbekannten Rede zu stehen, und antwortete kurz ab: Aus der See.

Wer ist der stattliche Junker; dem du folgst? — Mein Herr. —Aus welcher Gegend kommt ihr? — Von Sonnen-Aufgang. —Wo gedenket ihr hin? — Nach Sonnen-Niedergang. —In welche Provinz? —In unsere Heimat. — Wo ist die? Hundert Meilwegs ino Land hinein. — Wie heißest du? —



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Spring ino Feld grüßt mich die Welt. Ehrenwert heißt mein Schwert. Zeitvertreib namt sich mein Weib. Spät es tagt nisi sich die Magd. Schlecht und recht nennt sich der Knecht. Sausewind tauft' ich mein Kind. Knochen faul scheit ich den Gaul. Sporenklang heißt sein Gang. Höllenschlund kock ich den Hund. Wettermann kräht mein Hahn. Hüpf im Stroh heißt mein Floh. Nun kennst du mich mit Weib und Kind und all meinem Hausgesind. — Du scheinst mir ein loser Gesell zu sein. —Ich bin kein Gesell, denn ich treibe kein Handwerk. —Gib Bescheid auf eine Frage. —Laß sie hören. —Hast du neue Mär von Graf Ernst von Gleichen aus dem Orient? — Warum fragst du? — Darum. — Lirum, Larum! warum, darumb — Dieweil ich ausgesandt bin in alle Welt von der Gräfin Ottilia, seiner Gemahlin, ihr zu verkundschaften, ob ihr Herr noch am Leben und in welchem Winkel der Erde er zu finden sei.

Diese Antwort setzte den flinken Kurt in einige Verwirrung und stimmte ihn auf einen ganz andern Ton. Harre, Landsmann, sprach er, vielleicht weiß der Junker Bescheid von der Sache. Alsbald ging er zum Grafen und raunte ihm die neue Zeitung ins Ohr, bei dem sich eine sehr komplizierte Empfindung darüber regte, woran Freude und Bestürzung gleichen Anteil hatte. Er merkte, daß ihn sein Traum oder die Deutung desselben betrogen hatte, und daß ihm das Konzept, sich mit der schönen Reisegefährtin zu vermählen, leicht dürfte verrückt werden. Aus dem Stegreif wußte er nicht gleich, wie er sich bei diesem verwirrten Handel benehmen sollte, doch überwog das Verlangen, zu erfahren, wie es daheim in seinem Hause stünde, alle Bedenklichkeiten. Er winkte dem Emissarius und erkannte in ihm seinen alten Hofdiener, der mit Freudentränen die Hand seines wiedergefundenen Herrn benetzte und viel Worte machte, was die Gräfin für Jubel anheben würde; wenn sie die frohe Botschaft von der Rückkehr ihres geliebten Gemahls aug dem heiligen Lande vernähme. Der Graf ließ sich von ihm in die Herberge geleiten, wo er die sonderbare Lage seines Herzens in Erwägung zog und ernsthafte Betrachtungen darüber anstellte, welche Wendung der angesponnene Liebeshandel mit der schönen Sarazenin nehmen werde. Darauf wurde unverzüglich der lauersame Kundschafter an die Gräfin mit einer Depesche abgefertigt, welche einen getreuen Bericht von den Schicksalen des Grafen in der Sklaverei und seiner Erledigung durch die Unterstützung der Tochter des Soldans von Aegypten abstattete; wie sie dem Grafen zu Liebe Thron und Vaterland verlassen unter der Bedingung, daß er sie heiraten sollte, welches er ihr auch, durch einen Traum irre geführt; verheißen habe. Dadurch suchte er seine Gemahlin nicht nur auf eine zweite Teilhaberin am gräflichen Ehebett vorzubereiten, sondern suchte auch unter Anführung vieler triftiger Gründe um ihre Einwilligung hierzu nach.

Frau Ottilia stand eben am Fenster, mit ihrem Witwenschleier angetan,



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als der Botschafter zum letzten Male den atemlosen Gaul anspornte, den steilen Burgweg heran zu traben. Ihr scharfen Auge erkannte ihn schon in der Ferne, und weil er auch kein Dreischrittseher war, deren es zu Zeiten der Kreuzzüge überhaupt nur wenige gab, so erkannte er die Gräfin gleichfalls, hob die Brieftasche hoch über sein Haupt, schwenkte sie wie eine Standarte zum Zeichen guter Botschaft, und sie verstund dieses Signal so gut; als wenn der Synthematograph von Hanau dabei im Spiel gewesen wäre. Hast du ihn funden, den Mann meines Herzens? rief sie dem Kommenden entgegen. Wo weilt er, daß ich mich aufmache, ihm den Schweiß von der Stirne zu trocknen und ihn rasten zu lassen in meinen treuen Armen von der mühseligen Reise? Glück zu, gestrenge Frau, antwortete der Briefträger, Euer Gemahl ist wohl auf. Ich habe ihn funden in der Wasserstadt der Venediger, von wannen er mich mit diesem Brief unter seiner Hand und Segel hat hergesandt, Euch seine Ankunft daselbst zu vermelden. Die Gräfin konnte nicht eilig genug den Brief des Siegels entledigen, und wie sie ihres Herrn Schriftzüge erblickte, war ihr das Odem des Lebens zum Leben. Dreimal drückte sie ihn an die klopfende Brust, und dreimal berührte sie ihn mit schmachtenden Lippen. Darauf strömte ein Platzregen von Freudentränen auf das entfaltete Pergament, wie sie zu lesen anhob; allein je weiter sie lao, je sparsamer rannen ihre Zähren, und ehe die Lektüre noch beendiget war, versiegte die Tränenquelle ganz und gar.

Die Kontenta des Briefes konnten die gute Dame freilich nicht alle auf gleiche Weise interessieren; der von ihrem Eheherrn in Vorschlag gebrachte Partagetraktat seines Herzens hatte nicht das Glück, ihren Beifall zu erhalten. So sehr bei der heutigen Welt die Teilungssucht überhand genommen hat, daß geteilte Liebe und geteilte Provinzen das Abzeichen unsers Zeitalters worden sind, so wenig war jene im Geschmack der Vorwelt, wo jedes Herz seinen eignen Schlüssel hatte, und wo ein Kapital, der mehrere schloß, für einen schändlichen Diebsdietrich gehalten wurde. Die Intoleranz der Gräfin in Ansehung dieses Punktes war wenigstens ein redender Beweis ihrer ungefärbten Liebe. Ach, der verderbliche Kreuzzug, rief sie aus, ist die einzige Ursache all dieses Unheils! Ich habe der heiligen Kirche ein Brot geliehen, von welchem die Heiden gezehrt haben, und empfange nun ein Bröcklein davon wieder. Eine nächtliche Vision im Traum besänftigte indessen ihr Gemüt, und ihre ganze Denkungsart erhielt dadurch eine andere Richtung. Die Phantasie bildete im Schlafe vor, es zögen zwei Pilger vom heiligen Grabe den gekrümmten Burgweg herauf und b gehrten eine Nachtherberge, welche sie ihnen gutmütig verwilligte. Der eine schlug seine Nebelkappe auf, und siehe da, es war der Graf, ihr Herr, den sie freundlich umhalsete und große Freude ob seiner Wiederkehr empfand. Die Kindlein traten hinein, welche er in die väterlichen Arme schloß, sie herzte und sich



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ihres Wachstums und Gedeihens freuete. Indes tat sein Gefährte die Reisetasche auf, zog daraus hervor goldne Ketten und herrliches Geschmeide von Edelsteinen und hing sie den Kleinen um den Hals, die an diesen glänzenden Geschenken großen Gefallen trugen. Die Gräfin bewunderte selbst diese Freigebigkeit und frug den verkappten Fremdling, wer er sei. Er antwortete: Ich bin der Engel Raphael, der Geleitsmann der Liebenden, und habe deinen Gemahl aus fernen Landen wieder zu dir gebracht. Das Pilgerkleid verschwand, und es stund vor ihr eine glänzende Engelgestalt, mit einem himmelblauen Leibrock bekleidet und zwei goldnen Flügeln an den Schultern. Sie erwachte darüber, und in Ermangelung einer ägyptischen Sibylle erklärte sie sich selbst den Traum, so gut sie konnte, fand so viel Aehnlichkeit zwischen dem Engel Raphael und der Prinzessin Melechsala, daß sie nicht zweifelte, die letztere sei unter der Gestalt des erstern ihr im Traum vorgebildet worden; zugleich zog sie in Erwägung, daß ohne den Beistand derselben ihr Gemahl schwerlich jemals der Sklaverei würde entronnen sein. Weil nun dem Eigentümer eines verlorenen Gutes ziemet; mit dem ehrlichen Wiederbringer sich abzufinden, der es ganz für sich hätte behalten können, so fand sie keinen Anstand, zu williger Abtretung der Halbscherz ihrer ehelichen Gerechtsame sich zu entschließen. Unverzüglich wurde der wegen seiner Wachsamkeit reichlich belohnte Hafenkapitän nach Welschland zurückbeordert mit dem förmlichen Konsens der Gräfin für ihren Gemahl, das Kleeblatt seiner Ehe vollständig zu machen.

Es beruhte nur darauf, ob Vater Gregorius in Rom seine Benediktion zu dieser Matrimonialanomalie zu erteilen und zugunsten des Grafen durch einen Machtspruch Form, Wesen und Gestalt des Ehesakraments umzuschmelzen geneigt sei. Die Wallfahrt ging deshalb von Venedig nach Rom, woselbst Fräulein Melechsala dem Koran feierlich entsagte und sich in den Schoß der Kirche begab. Der heilige Vater bezeigte über diese geistliche Akquisition so viel Freude, als wenn das gesamte Reich des Antichristo zerstört oder dem römischen Stuhl unterwürfig gemacht worden wäre, und ließ nach der Taufhandlung, bei welcher Gelegenheit sie ihren sarazenischen Namen mit dem orthodoxern Namen Angelika verwechselte, ein pompöses Tedeum in der St. Peterskirche anstimmen. Diesen günstigen Adspekt ver



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meinte Graf Ernst zu seiner Absicht benutzen zu müssen, ehe die gute Laune des Papstes verdunstete. Er brachte sein Matrimonialpetitium unverzüglich bei der Behörde an, allein, wie gebeten, abgeschlagen. Die Gewissenhaftigkeit des Inhabers von St. Peters Stuhl war so groß, daß er es für eins gröbere Ketzerei hielt, ein eheliches Kleeblatt, als den Tritheismus zu proponieren . So viel scheinbare Gründe der Graf für sich anzuführen hatte; um eine Ausnahme von der gewöhnlichen Eheregel dadurch zu bewirken wenig vermochten sie den exemplarischen Papst zu bewegen, ein Auge seiner Gewissenhaftigkeit diesmal zuzudrücken und die begehrte Dispensation zu erteilen, welches dem Grafen großen Kummer und Herzeleid machte. Sein schlauer Anwalt, der flinke Kurt, hatte indessen ein herrliches Expediens ausgedacht, wie sich sein Herr die schöne Neubekehrte könnte ehelich beilegen lassen, ohne daß der Papst oder die ganze werte Christenheit ein Wort dagegen einwenden dürften, nur wagte er nicht, damit laut zu werden, aus Sorge, die Ungnade des Grafen damit zu verwirken. Endlich ersah er doch seine Gelegenheit und rückte mit der Sprache heraus. Lieber Herr, sprach er, kümmert Euch nicht so sehr über des Papstes harten Sinn. Wenn ihm auf der einen Seite nichts abzugewinnen ist, so müßt Ihr ihm auf der andern beizukommen suchen; es geht ja mehr als ein Weg ino Holz. Wenn der heilige Vater ein zu zartes Gewissen hat, Euch zu gestatten, zwei Weiber zu nehmen, so ist's Euch vergönnt, ein zartes Gewissen zu haben, ob Ihr schon nur Laie seid. Daz Gewissen ist ein Mantel, der jede Blöße deckt und dabei noch die Bequemlichkeit hat, daß er sich leicht nach dem Winde drehen läßt; jetzt, da dieser Euch konträr ist, müßt Ihr den Mantel auf die andere Seite nehmen. Sehet zu, ob Ihr nicht mit der Gräfin Ottilia in einem verbotenen Grad verwandt seid, ist dem also, wie das leicht zu berechnen ist, wenn Ihr ein zartes Gewissen habt, so gebe ich Euch gewonnen Spiel. Löset einen Scheidebrief, wer kann Euch dann wehren, das Fräulein zu heiratende Der Graf hatte den weisen Knappen so lange angehört, bis er den Sinn seiner Rede wohl begriffen hatte, darauf antwortete er mit zwei Worten kurz und deutlich: Schurke, schweig! In dem nämlichen Augenblick befand sich der flinke Kurt streckelang außerhalb der Tür und suchte nach ein paar Zähnen umher, die ihm bei dieser schnellen Expedition abgegangen waren. Ach, der herrliche Zahn, rief er von außen, ist das Opfer worden meiner treuen Dienstbeflissenheit! Dieser Zahnmonolog führte den Grafen natürlich auf die Zurückerinnerung an seinen Traum. Ach, der verwünschte Zahn, rief er von innen voll Unmut aus, den ich im Traum verlor, ist Stifter all meines Ungemachs! Sein Herz schwankte zwischen Vorwürfen einer begangenen Untreue an seiner liebevollen Gemahlin und einer verpönten Leidenschaft gegen die reizende Angelika, wie eine Glocke, die von beiden Seiten einen Laut gibt; wenn sie einmal in Bewegung gesetzt ist.



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Mehr alg die auflodernde Liebesflamme brannte und nagte ihn noch die Beule des Verdrusses, daß er die Unmöglichkeit vor Augen sah, der Prinzessin Wort zu halten und mit ihr das Ehebett zu beschreiten. Alle diese Unannehmlichkeiten führten ihn inzwischen auf den richtigen Erfahrungssatz, daß ein geteiltes Herz nicht eben die wünschenswerteste Sache sei, und daß es unter diesen Umständen einem Liebenden beinahe ebenso zu Mute sei, wie dem Esel Baldewein zwischen den beiden Heubündeln.

In dieser schwermütigen Lage verlor er sein jovialisches Ansehen gänzlich, er glich einem Lebenssatten, den an einem trüben Tage die Atmosphäre drückt, daß ihm der Spleen die Seele aus dem Leibe preßt. Fräulein Angelika vermerkte, daß das Antlitz ihres Geliebten nicht mehr war wie gestern und ehegestern, das betrübte sie innigst und bewegte sie zu dem Entschluß, einen Versuch zu wagen, ob es ihr besser gelingen würde, wenn sie das Dispensationsnegoz in eigner Person betrieb. Sie verlangte bei dem gewissenhaften Gregor Gehör und hatte nach vaterländischer Sitte ihr Gesicht dicht verschleiert. Kein römisches Auge hatte noch ihre Gestalt erblickt, ausgenommen der Priester, Johannes der Täufer, während der Amtsverrichtung. Der Papst empfing die neugeborene Tochter der Kirche mit aller gebührenden Achtung, bot ihr die Palme seiner rechten Hand und nicht den parfümierten Pantoffel zu küssen dar. Die schöne Ausländerin hob den Schleier ein wenig, die segnende Hand mit den Lippen zu berühren, dann öffnete sie den Mund und kleidete ihre Bitte in eine rührende Anrede. Doch diese Insinuation durchs päpstliche Ohr schien in der innern Organisation des Oberhauptes der Kirche keinen rechten Bescheid zu wissen, denn anstatt den Weg nach dem Herzen zu nehmen, ging sie zum andern Ohr wieder heraus. Vater Gregor exposiulierte lange mit der reizenden Supplikantin und vermeinte einen Ausweg zu finden, wie auf gewisse Art ihrem Verlangen nach der Vereinigung mit einem Geliebten Genüge geschehen könnte, ohne daß die Kirchenordnung dabei ins Gedränge käme; er proponierte ihr einen Seelenbräutigam, wenn sie zu der kleinen Abänderung des Schleiers sich entschließen wollte,



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sarazenischen mit dem klösterlichen zu verwechseln. Dieser Vorschlag erweckte bei der Prinzessin plötzlich eine solche Schleierscheu, daß sie den ihrigen alsbald abriß, voller Verzweiflung vor den päpstlichen Fußschemel hinstürzte und mit aufgehobenen Händen und tränenvollen Augen den ehrwürdigen Vater beim heiligen Pantoffel beschwor, ihrem Herzen keine Gewalt anzutun und sie zu nötigen, es anderweit zu vergeben.

Der Anblick ihrer Schönheit war beredter als der Mund, setzte alle Anwesenden in Entzücken, und die Träne, die in dem himmlischen Auge perlte, fiel wie ein brennender Naphthatropfen dem heiligen Vater aufs Herz, entzündete den kleinen Überrest von irdischem sunder, der darin verborgen lag, und erwärmte es zum Wohlwollen gegen die Bittende. Stehe auf, geliebte Tochter, sprach er, und weine nicht! Was im Himmel beschlossen ist, soll auf Erden an dir in Erfüllung gehen. In drei sollst du erfahren, ob deine erste Bitte an die heilige Kirche von der huldreichen Mutter zu gewähren stehet oder nicht. Darauf berief er eine Kongregation von allen Kasuisten in Rom zusammen, ließ jedem ein Laiblein Brot und eine Flasche Wein reichen und sie in die Rotunda einsperren, mit der Verwarnung, daß keiner daraus sollte entlassen werden, bio die Quästion an einmütig von ihnen entschieden sei. So lange der Wein und die Semmeln vorhielten, gab's heftige Debatten, daß alle Heiligen, wenn sie wären beisammen in der Kirche gewesen, schwerlich so laut disputiert hätten. das pro und contra wogte hin und her wie das Adriatische Meer, wenn der stürmische Südwind darüber wehet. Sobald aber der Magen anfing Worthalter in der Versammlung zu werden, war alles Ohr für in, und glücklicherweise schlug er sich auf die Partei des Grafen, der ein großes Gastmahl hatte zurichten lassen, die ganze kasuistische Klerisei damit zu bewirten, wenn das päpstliche Siegel oon der Kirchtür würde abgelöset sein. Die Dispensationsbulle wurde in bester Form Rechtens gegen die Gebühr ausgefertigt, wobei die schöne Angelika einen tiefen Griff, wiewohl mit Freuden, in die Schätze Ägypti tat. Vater Gregor gab dem edlen Paar seinen Segen und verabschiedete die Liebenden ehesam. Sie zögerten nicht, das Patrimonium Petri zu verlassen, um die Domäne des Grafen zu erreichen, um daselbst ihre Vermählung zu vollziehen.

Alg diesseit der Alpen Graf Ernst wieder vaterländische Luft atmete, tat das ihm sanft und wohl ums Herz, er schwang sich auf seinen Neapolitaner; trabte, allein von dem dämischen Reisigen begleitet, frisch voran und ließ dav Fräulein unter der Bedeckung des flinken Kurt in kleinen Tagereisen gemachsam nachziehen.

Hoch klopfte ihm daz Herz im Busen, da er in blauer Ferne die drei Gleichischen Schlösser erblickte, er gedachte die gutmütige Gräfin Ottilia unvermutet zu überraschen; aber das Gerücht von seiner Ankunft war auf



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Adlersfittichen vor ihm hergeflogen, sie zog ihm mit Junker und Fräuleins entgegen und begegnete einen Feldweg von der Burg ihrem Herrn in einer lustigen Aue, welche von dieser fröhlichen Zusammenkunft das Freudental heißt bis auf diesen Tag. Der Empfang war auf beiden Seiten so traulich und zärtlich, als wenn an keinen Partagetraktat jemals wäre gedacht worden, denn Frau Ottilia war ein rechtes Muster einer frommen Gattin, die dem Ehegebot, daß ihr Wille des Mannes Willen sollte unterworfen sein, ohne Auslegung gehorchte. Wenn's ja in ihrem Herzen zuweilen einen kleinen Aufruhr gab, zog sie nicht flugs die Sturmglocke, sondern tat Tür und Fenster zu, daß kein sterblich Auge hineinschauen und sehen konnte, was drinnen vorging, dann lud sie die empörte Leidenschaft vor den Richterstuhl der Vernunft, nahm sie unter den Gehorsam der Klugheit gefangen und legte sich eine freiwillige Buße auf.

Sie konnte es ihrem Herzen nicht vergeben, daß es über die Nebensonne, die an ihrem Ehehorizont glänzen sollte, gemurret hatte; um dafür zu büßen, ließ sie im geheim eine dreischläfrige Bettsponde zurichten oon starken föhrnen Stollen, mit der Farbe der Hoffnung überzogen und einer rund gewölbten Decke in Form eines Kirchhimmels, mit geflügelten pauobackigen Engelsköpfen geziert. Auf der seidnen Matratze, die zum Prunk über die Flaumenpolster ausgebreitet war, präsentierte sich in künstlicher Stickerei der Engel Raphael, wie er ihr im Traum erschienen war, nebst dem Grafen



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im Pilgerkleide. Dieser redende Beweis von der zuvorkommenden ehelichen Gefälligkeit seiner Gemahlin rührte ihn in der Seele. Er hing an ihrem Halse und küßte sie außer Atem beim Anblick dieser Anstalten zur Vervollkommung seiner Ehefreuden. Herrliches Weibl rief er mit Entzücken aus, dieser Liebestempel erhebt dich über Tausende deines Geschlechts, verkündet als ein Ehrendenkmal deinen Namen der Nachwelt, und so lange noch ein Span von dieser Sponde übrig ist, werden die Männer ihren Gattinnen deine exemplarische Gefälligkeit anpreisen. Nach wenig Tagen langte auch Fräulein Angelika glücklich an und wurde wie eine Königsbraut vom Grafen in reicher Hofgala empfangen. Frau Ottilia kam ihr mit offenem Herzen und Armen entgegen und führte sie als die Mitgenossin aller ihrer Rechte in das Residenzschloß ein. Der Zwitterbräutigam war unterdessen nach Erfurt zum Weihbischof gezogen, um die Trauung zu bestellen. Dieser fromme Prälat entsetzte sich ob diesem heterodoxen Anmuten nicht wenig und ließ sich vermerken, daß er solch Ärgernis in seinem Kirchsprengel nicht gestatten werde. Allein da Graf Ernst die päpstliche Diopensation unter dem Fischerring im Original produzierte, war ihm das ein Siegel auf den Mund; doch gab seine bedenkliche Miene und sein Kopfschütteln deutlich zu verstehen, der Obersteuermann des Schiffleins der christgläubigen Kirche habe durch diese Vergünstigung geflissentlich ein Loch in den Kiel desselben gebohrt, davon zu befahren stehe, daß es unter Wasser tauchen und zu Trümmern gehen werde.

Die Vermählung wurde mit Prunk und Pracht vollzogen, Frau Ottilia, welche die Stelle der Hochzeitsmutter vertrat, hatte reichlich zugeschickt, und alle thüringische Grafen und Ritter kamen weit und breit zusammen, diese



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ungewöhnliche Hochzeitfeier mit begehen zu helfen. Ehe der Graf die schöne Braut zum Altare führte, tät sie ihr Schmuckkästlein auf und verehrte ihm den ganzen Schatz der Juwelen, soviel ihr die Dispensationspesen davon übrig gelassen hatten, zum Heiratsgute, und er beleibzüchtete sie dafür auf Ehrenstein zur Gegensteuer. Die keusche Myrte schlang sich am Vermählungstage um eine güldne Krone, welchen Hauptschmuck die Tochter des Soldans als ein Dokument ihrer hohen Geburt beibehielt auf ihre Lebenszeit, weshalb sie auch von den Untertanen nur die Königin genannt und von ihrem Hofgesinde als eine Königin bedient und geehrt wurde.

Wer für funfzig Guineen die teure Wollust erkauft M; eine Nacht in Doktor Grahams himmlischem Bette in London zu rasten, nur der kann sich das Entzücken träumen, welches Graf Ernst von Gleichen empfand, als die dreischläfrige Bettsponde ihren elastischen Rumpf eröffnete, den Verlobten zweier Geliebten nebst seinem Komitat aufzunehmen. Nach so vielen kummervollen Nächten drückte ein bescheidner Schlummer der Gräfin Ottilia an der Seite ihres wiedergefundenen Eheherrn bald die Augen zu und verstattete die unbeschränkte Freiheit, mit der zärtlichen Angelika nach aller Bequemlichkeit den Endreim auf Muschirumi zu suchen. Sieben Tage lang dauerte das hochzeitliche Wohlleben, und der Graf gestund, daß er dadurch reichlichen Ersatz für die sieben traurigen Jahre, die er im vergitterten Turm zu Großkairo zubringen mußte, erhalten habe, welches kein höfisches Kompliment zu sein scheint, das er seinen beiden getreuen Gattinnen machte, wenn anders der Erfahrungssatz richtig ist, daß ein einziger froher Tag den bittern Gram und Harm eines trübseligen Jahres versüßet.

Nächst dem Grafen befand sich bei diesem Wonnetaumel niemand besser als sein getreuer Knappe, der flinke Kurt, der sich's bei reichbestellter Küche und Keller wohl sein ließ und den Freudenbecher hurtig leerte, welcher unter dem Hofgesinde fleißig herumging, wobei der volle Tisch das Ohr spitzte; wenn er, sobald der Magen befriedigt war, anfing, seine Abenteuer auszuleeren . Da aber die gräfliche Ökonomie wieder in das gewöhnliche frugale Gleis trat, begehrte er Urlaub, nach Ordruff zu wandern, seine Hausfrau daselbst heimzusuchen und ihr durch seine Heimkehr eine unvermutete Freude zu machen. Er hatte während der langen Abwesenheit seine Keuschheit aufs gewissenhafteste bewahrt und sehnte sich nun nach der billigen Belohnung eines so exemplarischen Wandels durch den Genuß erneuerter Liebe. Die Phantasie malte ihm das Bild seiner tugendbelobten Rebekka mit den lebhaftesten Farben vor Augen, und je näher er den Mauern kam, die sie umschlossen, desto heller wurde dieses Kolorit. Er sah sie mit allen den Reizen vor sich stehen, die ihn am Hochzeittage entzückt hatten; ersah, wie das Übermaß von Freuden über seine glückliche Ankunft ihre Lebensgeister überwältigen und wie sie mit stummer Betäubung ihm indie Arme sinken werde.



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Von diesem schönen Schattenspiel umgaukelt, gelangte er an das Tor seiner Vaterstadt, ohne es zu bemerken, bis der wachthabende Schildbürger den Schlagbaum vorzog und den Fremdling auskundschaftete, wer er sei, was für Verrichtungen er in der Stadt habe und ob er in friedlicher Absicht käme. Der flinke Kurt gab auf alles redlichen Bescheid und trabte nun gemachsam, damit des Gaulo Hufschlag seine Ankunft nicht zu früh verraten möchte, die Straße herauf. Er band das Pferd an den Pfortenring und stahl sich ohne Geräusch in den Hof seiner Wohnung, wo ihn der alte wohlbekannte Kettenhund zuerst mit freudigem Gebell empfing. Doch wunderte er sich baß, als er zweier muntern vollwangigen Knaben, wie die Engel gestaltet am Betthimmel in der Gleichischen Burg, ansichtig wurde, die auf der Hausdiele herumsprangen. Ehe er Zeit hatte, darüber zu spekulieren, trat die Hausfrau züchtiglich aus der Tür, zu sehen, wer da sei. Ach welch ein Abstand zwischen Ideal und Original! Der Zahn der Zeit hatte in den sieben Jahren unbarmherzig an ihren Reizen genagt, doch waren die Grundzüge der Physiognomie insoweit verschont geblieben, daß sie dem Auge des Kenners noch so kenntlich waren, wie das vormalige Gepräge einer verblichenen Münze. Die Freude des Wiedersehens verschleierte leicht die Mängel der Gestalt, und der Gedanke; daß der Gram über seine Abwesenheit das glatte Gesicht des lieben Weibes also gefurchet habe, versetzte den gutmütigen Ehekonsorten in eine empfindsame Stimmung, er umhalsete sie mit großer Inbrunst und sprach: Willkommen, trautes Weib, vergiß all deines Herzeleide. Siehe da, ich lebe noch du hast mich wieder!

Die fromme Rebekka erwiderte diese Zärtlichkeit mit einem derben Rippenstoß, daß der flinke Kurt davon bis an die Wand taumelte, erhob groß Geschrei und rief dem Gesinde, als sei ihrer Keuschheit Gewalt geschehen, schalt und schmähete und gebärdete ihrer als eine Höllenfurie. Der zärtliche Ehemann entschuldigte gleichwohl diesen unzärtlichen Empfang damit, daß er die Ursache davon der beleidigten Delikatesse seiner züchtigen Hausfrau durch den dreisten Bewillkommungskuß zuschrieb, er meinte, er werde von ihr verkannt, erschöpfte seine Lunge, sie aus diesem scheinbaren Irrtum zu ziehen, allein er predigte tauben Ohren und wurde bald belehrt, daß hier kein Mißverstand in der Sache obwalte. Du schändlicher Gauch! erhob sie ihre kreischende Stimme, nachdem du dich sieben lange Jahre in der weiten Welt herumgetrieben und mit fremden Weibern gebuhlt hast, meinst du, mein keusches Ehebette wieder zu beschreiten? Wir sind geschiedene Leute; habe ich dich nicht an drei Kirchtüren öffentlich zitieren lassen, und bist du nicht deines ungehorsamlichen Ausbleibens halber für mausetot erklärt? Ist mir nicht von der Obrigkeit gestattet worden, meinen Witwenstuhl zu verrücken und den Burgermeister Wiprecht zu heiraten? Wir leben bereits ins sechste Jahr als Mann und Frau zusammen, und diese beiden Knaben sind ein Segen unserer



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Ehe. Da kommt der Störenfried und will mein Haus verwirren! Wo du dich nicht stehenden Fußes formckst; soll dich der Magistrat stöcken und pflöcken und an den Pranger stellen lassen, zum Exempel aller solcher Irrläufer, die ihre Weiber böslich verlassen. Dieser Willkommen seiner weiland geliebten Ehehälfte war dem flinken Kurt ein Dolchstoß ins Herz, die Galle ergoß sich wie ein Wehr ins Blut. O du treulose Metze, entgegnete er, was hält mich, daß ich dir und deinen Wechselbälgen nicht Augenblicks den Hals umdrehen Gedenkest du also deiner Zusage und des oft wiederholten Schwurs im traulichen Ehebett, daß dich der Tod nicht von mir scheiden sollte? Verhießest du mir nicht ungefordert, wenn deine Seele gleich vom Mund auf gen Himmel führe und ich im Fegefeuer schmachtete, du wolltest vor der Himmelstür wieder umkehren und zu mir herabsteigen, mir kühle Luft zuzufächeln, bio ich aus den Flammen der Vorhölle erlöset wäre? Daß dir doch die lügenhafte Zunge verschwarzte, du Galgenaas!

Obgleich der Primadonna von Ordruff eine geläufige Zunge verliehen war; die auch keineswegs auf die Verwünschung des ungestümen Eheprätendenten erschwarzte, so fand Dame Rebekka doch nicht gut, sich mit ihm in weitern Wortwechsel einzulassen, sondern gab dem Hausgesinde einen bedeutsamen Wink, worauf Knechte und Mägde über den flinken Kurt herfielen und ihn brevi marin aus dem Hause warfen, bei welchem Aktus der häuslichen Jurisdiktion sie selbst mit dem Kehrbesen den verabschiedeten Ehe



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gespan zur Tür hinausfächelte. Halb geradebrecht schwang er sich wieder aufs Roß und flog spornstreichs die Straße hinab, die er so bedachtsam vor wenig Minuten heraufgezogen war.

Als sich auf dem Heimwege sein Blut anfing zu verkohlen, berechnete er Gewinn und Verlust und gab sich über den letztern zufrieden; denn er befand, daß er eigentlich nichts eingebüßt hatte als den Trost, in dem Zustande der Seele nach dem Tode der Kühlung eines Sonnenwedels sich zu erfreuen. Er zog nimmer wieder nach Ordruff, sondern blieb auf dem Schlosse des Grafen von Gleichen seine Lebenszeit und war ein Augenzeuge der unglaublichsten Begebenheit, daß zwei Damen sich in die Liebe eines Mannes teilten, ohne Zwist und Eifersucht, und sogar unter einem Betthimmel. Die schöne Sarazenin blieb kinderlos, liebte und pflegte jedoch die Kinder ihrer Mitgenossin als die ihrigen und teilte mit ihr die Sorgen der Erziehung. Sie war von dem dreiblätterigen Kleeblatt dieser glücklichen Ehe das erste, welches im Herbste dez Lebens dahinwelkte, ihr folgte die Gräfin Ottilia, und der betrübte Witwer, dem's nun im Schlosse und in dem geräumigen Bett zu weit und einsam war, machte nach wenig Monaten den Beschluß. Die von den gräflichen Konsorten bei Lebzeiten festgesetzte Ordnung im Ehebett erlitt auch nach dem Tode keine Veränderung. Sie ruhen alle drei in einem Grabe vor dem Gleichischen Altar in der St. Peterskirche zu Erfurt, auf dem Berge; allwo ihr Grabmal noch zu sehen ist, mit einem Steine bedeckt; auf dem die edle Bettgenossenschaft nach dem Leben abgebildet ist. Zur Rechten die Gräfin Ottilia, mit einem Spiegel in der Hand, dem Sinnbilde ihrer lobwürdigen Klugheit, zur Linken die Sarazenin, mit einer Königskrone geschmückt, und in der Mitte der Graf, auf sein Wappenschild, den gelöwten Leoparden, sich lehnend. Die berühmte dreischäferige Sponde wird noch im alten Schlosse, in der sogenannten Junkernkammer, als eine Reliquie aufbewahrt, und ein Span davon, statt des Blankscheids in dem Schnürleib getragen, soll die Kraft haben, alle Regungen von Eifersucht in dem weiblichen Herzen zu zerstören.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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