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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEN SCHAKALEN UND DEM WOLF

Man berichtet, daß ein Rudel von Schakalen eines Tages auszog, um zu suchen, was sie fressen könnten; und während sie auf der Suche danach umherstrichen, trafen sie auf ein totes Kamel. Da sprachen sie bei sich selber: ,Jetzt haben wir etwas gefunden, von dem wir lange Zeit leben können; aber wir fürchten, bei uns wird einer den anderen vergewaltigen, der Starke wird sich mit seiner Kraft wider den Schwachen wenden, und so werden die Schwachen unter uns umkommen. Deshalb geziemt es uns, einen Richter zu suchen, der zwischen uns richtet, und wir wollen ihm auch einen Anteil geben; so wird der Starke keine Gewalt über den Schwachen haben.' Wie sie nun so miteinander darüber berieten, kam plötzlich ein Wolf auf sie zu, und da sagten die Schakale, einer zum anderen: ,Wenn das der rechte Rat ist, so macht doch diesen Wolf zum Richter unter uns; denn er ist der Stärkste von allen.



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Sein Vater war früher auch schon Herrscher über uns, und wir hoffen zu Allah, daß er gerecht unter uns entscheidet.' Darauf wandten sie sich an ihn und taten ihm kund, welchen Beschluß sie gefaßt hatten, indem sie sprachen: ,Wir haben dich zum Richter über uns erwählt, damit du einem jeden von uns seine tägliche Nahrung gibst nach dem Maße seines Bedürfnisses, so daß der Starke von uns nicht den Schwachen vergewaltige und wir uns nicht gegenseitig vernichten.' Der Wolf willfahrte ihrem Wunsche und übernahm die Verwaltung bei ihnen, indem er an jenem Tage ihnen zuteilte, was einem jeden genügte. Am nächsten Morgen aber sprach der Wolf bei sich: ,Die Verteilung dieses Kamels unter diese Schwächlinge bringt mir nichts weiter ein als den kleinen Teil, den sie mir zuweisen. Wenn ich das Ganze allein fresse, so können sie mir keinen Schaden antun; sie sind doch eine Beute für mich und für die von meinem Hause. Wen gibt es, der mich hindern könnte, dies alles für mich zu nehmen, zumal da Allah sicher es mir verliehen hat, ohne daß ich ihnen für eine Wohltat verpflichtet wäre? Drum ist es das Beste für mich, ich nehme es für mich an ihrer Statt; von jetzt ab will ich ihnen nichts mehr geben.' So kamen denn am Morgen die Schakale zu ihm wie vorher, um ihre Nahrung von ihm zu verlangen; und sie sprachen zu ihm: ,O Abu Sirhân', gib uns die Zehrung für den heutigen Tag!' Doch er antwortete ihnen und sprach: ,Ich habe nichts mehr übrig, was ich euch geben könnte.' Da verließen sie ihn, elend wie sie waren, und sprachen: ,Fürwahr, Allah hat uns in große Sorgen gestürzt durch diesen verworfenen Verräter, der Allah nicht ehrt noch fürchtet; doch wir haben weder Kraft noch Macht.' Darauf sprachen sie untereinander: ,Vielleicht hat ihn nur die Not des Hungers dazu ge



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bracht; laßt ihn heute essen, bis er satt ist, morgen wollen wir wieder zu ihm gehen! 'Am anderen Morgen also begaben sie sich wieder zu ihm und sprachen zu ihm: ,O Abu Sirhân, wir haben dich nur deshalb über uns gesetzt, damit du einem jeden von uns seine Nahrung zuweisest und dem Schwachen sein Recht gegen den Starken verschaffst; und wenn dies hier zu Ende ist, so solltest du dich bemühen, anderes für uns zu gewinnen, und wir wollten immer unter deinem Schutz und deiner Obhut stehen. Jetzt aber hat der Hunger uns gepackt, da wir zwei Tage lang nichts gegessen haben; also gib uns unsere Nahrung, und du magst nach freiem Ermessen über alles verfügen, was dann noch bleibt.' Doch der Wolf gab ihnen keine Antwort, sondern ward nur noch verstockter; auch wie sie sich von neuem an ihn wandten, ließ er sich nicht davon abbringen. Da sprachen die Schakale, einer zum anderen: ,Es bleibt uns kein anderer Ausweg, als daß wir uns zum Löwen begeben und uns seinem Schutze unterwerfen und ihm das Kamel überliefern. Wenn er uns dann etwas davon schenkt, so geschieht es durch seine Huld; wenn nicht, so verdient er es doch eher als dieser Schurke.' Darauf begaben sie sich zum Löwen und berichteten ihm, wie es ihnen mit dem Wolf ergangen war, indem sie mit den Worten schlossen: ,Wir sind deine Knechte, und wir sind zu dir gekommen, um bei dir Schutz zu suchen, damit du uns von diesem Wolf befreiest; ja, wir wollen dir als Knechte dienen.' Als der Löwe die Worte der Schakale vernommen hatte, ergriff ihn heiliger Eifer für Allah den Erhabenen, und er ging mit ihnen zu dem Wolf. Doch wie der Wolf den Löwen nahen sah, wollte er vor ihm entfliehen; allein der Löwe eilte ihm nach, packte ihn, zerriß ihn in Stücke und gab den Schakalen ihre Beute wieder.



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,Daraus erkennen wir, daß es sich für keinen der Könige geziemt, die Angelegenheiten seiner Untertanen zu vernachlässigen; also nimm meinen Rat an und glaube den Worten, die ich vor dir gesprochen habe! Denke daran, daß dein Vater vor seinem Hinscheiden dich ermahnt hat, auf guten Rat zuhören! Dies ist mein letztes Wort an dich; und damit Gott befohlen!' Der König sagte darauf: ,Ja, ich will auf dich hören. Morgen, so Allah der Erhabene will, werde ich zu ihnen hinausgehen.' Da verließ Schimâs ihn und teilte den Leuten mit, der König habe seinen Rat angenommen und ihm versprochen, am nächsten Tage zu ihnen herauszukommen. Doch als die Gemahlin des Königs jene Worte vernahm, die ihr über Schimâs hinterbracht wurden, und sie nun überzeugt war, daß der König sicherlich zu den Untertanen hinausgehen würde, begab sie sich eiligst zu ihm und sprach zu ihm: ,Wie sehr muß ich mich wundern über deine Unterwürfigkeit und deinen Gehorsam gegen deine Knechte! Denkst du nicht daran, daß diese deine Wesire für dich nur Knechte sind? Warum erhöhst du sie zu dieser hohen Bedeutung, daß du sie glauben lässest, sie wären es, die dir dies Reich gegeben und dir diesen hohen Rang verliehen hätten, und sie hätten dir Gaben gespendet, während sie doch nicht die Macht besitzen, dir das geringste zuleide zu tun? Nicht du bist es, der ihnen Unterwürfigkeit schuldet, sondern es ist ihre Pflicht, sich dir zu unterwerfen und deine Befehle auszuführen. Wie kannst du nur so gewaltige Angst vor ihnen haben? Es heißt doch: Wenn du nicht ein Herz wie von Eisen hast, so bist du nicht wert, König zu sein. Deine Milde hat die Leute getäuscht, so daß sie sich wider dich erfrecht und dir den Gehorsam versagt haben, obgleich es sich gebührt, daß sie zum Gehorsam gegen dich gezwungen und mit Gewalt dir untertänig gemacht werden.



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Wenn du dich beeilst, ihre Worte anzunehmen, und sic lässest, wie sie jetzt sind, und ihnen das geringste wider deinen Willen gewährst, so werden sie schwer auf dir lasten und dich bedrängen; und das wird ihre Gewohnheit werden. Wenn du auf mich hörst, so wirst du keinem von ihnen hohen Rang verleihen und wirst von keinem unter ihnen ein Wort annehmen und sie nicht ermutigen zur Anmaßung wider dich; sonst geht es dir wie dem Hirten mit dem Dieb.' ,Wie war denn das?' fragte der König; und sie erzählte


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