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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM MANNE UND SEINER FRAU

Man berichtet, daß einmal ein Mann eine Frau hatte, die er liebte und ehrte; und er hörte auf ihre Worte und handelte nach ihrem Rate. Er hatte auch einen Garten, den er mit eigener Hand neu gepflanzt hatte; und er ging jeden Tag dorthin, um ihn zu pflegen und zu begießen. Eines Tages nun sprach seine Frau zu ihm: ,Was hast du in deinem Garten gepflanzt?' Er gab ihr zur Antwort: ,Alles, was du liebst und begehrst. Sieh, ich bin eifrig dabei, ihn zu pflegen und zu begießen!' Dann fuhr sie fort: ,Willst du mich nicht mitnehmen und ihn mir zeigen, auf daß auch ich ihn sehe und ein frommes Gebet für dich verrichte? Denn siehe, meine Gebete werden erhört.' ,Gern,' erwiderte er, ,doch warte noch auf mich. bis ich morgen zu dir komme und dich mitnehme!' Am nächsten Morgen nahm der Mann seine Frau mit sich und begab sich mit ihr zu dem Garten; dort traten die beiden ein. Doch gerade, als sie eintraten, wurden sie von zwei Jünglingen aus der Ferne gesehen; und der eine von ihnen sprach zum anderen: ,Der Mann da ist sicher ein Ehebrecher und die Frau da eine Dirne; und die beiden sind nur in den Garten gegangen, um Unzucht



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zu treiben.' Deshalb folgten die beiden Jünglinge ihnen, um zu sehen, was mit ihnen geschehen würde; dann blieben sie in einem Winkel des Gartens stehen. Der Mann und seine Frau blieben, nachdem sie in den Garten eingetreten waren, eine Weile darin; dann sprach er zu ihr: ,Verrichte jetzt das Gebet für mich, das du mir versprochen hast!' Doch sie entgegnete: ,Ich bete nicht eher für dich, als bis du mir zu Willen gewesen bist, wie es die Frauen von den Männern begehren.' Da rief er: ,Weh dir, Weib! Ist das, was zu Hause von mir geschieht, nicht genug? Hier fürchte ich ein Ärgernis für mich, und du hältst mich auch von meinen Pflichten ab. Ja, fürchtest du denn gar nicht, daß jemand uns sehen könnte?' Sie aber fuhr fort: ,Darum brauchen wir uns nicht zu sorgen; denn wir begehen doch nichts Schändliches noch Verbotenes. Und mit dem Bewässern des Gartens hat es noch Zeit; den kannst du begießen, wann du willst.' Und sie nahm keine Entschuldigung, keinen Grund von ihm an, sondern drang hartnäckig in ihn, er solle sie umarmen. Schließlich gab er nach und legte sich zu ihr; kaum aber sahen das die erwähnten Jünglinge, so eilten sie auf die beiden zu, legten Hand an sie und sprachen zu ihnen: ,Wir lassen euch nicht los; denn ihr seid Ehebrecher. Und wenn wir nicht bei dem Weibe ruhen dürfen, so bringen wir eure Sache vor Gericht.' Der Mann erwiderte ihnen: ,Weh euch! Dies ist meine Gattin, und ich bin der Herr des Gartens.' Sie aber hörten nicht auf seine Worte, sondern fielen über die Frau her; da schrie sie auf und rief ihren Gatten um Hilfe, indem sie sprach: ,Dulde nicht, daß die Männer mich schänden!' Wie er nun auf die beiden losging und dabei auch um Hilfe rief, wandte sich einer von ihnen wider ihn, traf ihn mit seinem Dolche und tötete ihn. Dann machten sich beide über die Frau her und vergewaltigten sie.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 920. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Jünglinge, nachdem der eine den Gatten der Frau getötet hatte, sich über die Frau hermachten und sie vergewaltigten.' *

,Dies, o König, habe ich dir nur deshalb erzählt, damit du erkennst, daß es dem Manne nicht geziemt, auf die Rede der Frau zuhören, noch ihr in irgend etwas zu gehorchen, noch auch in der Beratung ihr Urteil anzunehmen. Hüte dich, das Gewand der Torheit anzulegen, nachdem du das Gewand der Weisheit und Kenntnis getragen hast, und schlechtem Rate zu folgen, nachdem du gewußt hast, was rechter und nützlicher Rat ist. Geh nicht länger einem armseligen Vergnügen nach, das zum Verderben führt und dessen Ausgang großen und schweren Verlust bringt!' Als der König diese Worte von Schimâs vernommen hatte, sprach er zu ihm: ,Morgen werde ich, so Allah der Erhabene will, zu ihnen hinausgehen.' Da kehrte Schimâs zu den Großen des Reiches zurück, die dort zugegen waren, und berichtete ihnen, was der König gesagt hatte. Aber auch der Frau kam zu Ohren, was Schimâs gesagt hatte; und daher trat sie zum König ein und sprach zu ihm: ,Die Untertanen sind doch nur die Knechte des Königs; allein ich sehe jetzt, daß du, o König, ein Knecht deiner Untertanen geworden bist, da du Angst vor ihnen hast und ihr Unheil fürchtest. Sie wollen ja nur dein inneres Wesen auf die Probe stellen; und wenn sie dich als schwach finden, so verachten sie dich; finden sie aber, daß du stark bist, so werden sie Ehrfurcht vor dir haben. So handeln die schlechten Wesire an ihrem König;



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denn ihrer Listen sind viel. Ich aber tu dir kund, wie es in Wahrheit um ihre Tücke steht. Wenn du ihnen nachgibst in dem, was sie wollen, so werden sie dich von deinem Willen zu dem ihren hinüberdrängen; dann werden sie dich von einem zum anderen bringen, bis sie dich ins Verderben stürzen. Und dir wird es ergehen wie dem Kaufmann mit den Dieben.' ,Wie war denn das?' fragte der König; und sie erzählte


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