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DAS PANTOFFELMÄNNCHEN

Es war einmal ein kleines Männchen, das war ganz klein, und außerdem war es unsichtbar, so daß man nicht einmal sehen konnte, wie klein es eigentlich war. Es hätte sich auch gar nicht gelohnt, es zu sehen, denn es war wirklich nichts weiter dran. Es lief nur immer herum und war eben da. Bloß so.

Das Grasweibchen, das ein bißchen zaubern konnte, das hatte es einmal gesehen, denn wenn man zaubern kann - es braucht gar nicht viel zu sein -, dann sieht man alle unsichtbaren Dinge.

»Es lohnt nicht, das Männchen zu sehen«, sagte das Gras. weibchen, nachdem es ein bißchen gezaubert hatte, »es ist ganz klein, hat ein Köpfchen, dick und dumm wie eine Kartoffel, und dünne, lange Beinchen wie eine Heuschrecke. Sonst nichts. Es sieht aus wie dürres Holz, nicht so schön grün wie ich. Es läuft nur immer herum und ist eben da. Bloß so. Mehr kann ich nicht sagen.«

Das konnte nun auf sehr viele passen, und niemand beachtete das kleine Männchen, denn das lohnt sich nicht, und außerdem war es ja unsichtbar.

Das kleine Männchen aber ärgerte sich sehr, daß es von niemandem gesehen wurde, und es lief auf den Markt, wo eine dicke Marktfrau unter einem roten Schirm saß und mit Pantoffeln handelte. Es zog sich flugs ein paar gewaltig große Pantoffeln an, in denen seine Heuschreckenbeinchen ganz versanken, und wanderte damit los.

Die Marktfrau hatte nichts bemerkt, nur so ein Rascheln gehört wie von Mäusen, aber auf einmal sah sie, wie zwei ihrer größten und schönsten Pantoffeln allein die Straße entlangliefen, und der Atem stockte ihr vor Entsetzen. Drei Kannen sehr heißen Kaffee hat sie austrinken müssen, bis ihr wieder gut wurde.



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»Seht, die wandernden Pantoffeln!« riefen die Leute und blieben stehen, denn so etwas hatten sie noch nie gesehen.

Nun ist es zwar wahr, daß auch viele Menschen gerne auf großen Füßen wandeln und man sie gar nicht beachten würde, wenn sie nicht so gewaltige Pantoffeln durchs Leben trügen. Denn was drinsteckt, lohnt sich auch nicht immer zu sehen, sondern es läuft nur so herum und ist eben da. Bloß so. Aber daß große und schöne Pantoffeln -die besten, welche die Marktfrau hatte - ganz allein auf der Straße wanderten, eilig und geschäftig, als hätten sie etwas zu versäumen, das war schon über alle Maßen erstaunlich, und alles wunderte sich sehr.

»Da sieht man es einmal deutlich«, sagte der weise Kater Muffi Schnuffelbart, der sich auf der Fensterbank sonnte, »daß die großen Pantoffeln eigentlich die Hauptsache an den Leuten sind, denn nun wandern sie ganz allein davon. Es muß aber doch irgendein kleiner, unverschämter Kerl darin stecken, und wenn ich ihn sehen könnte, würde ich ihn aufessen, denn so etwas sollte nicht erlaubt sein, wo unsereiner, der klüger ist als alle die dummen Leute, auf anständigen und bescheidenen Pfoten einhergeht.«

Die Katzen sind eben überaus kluge Geschöpfe, und der Kater Muffi Schnuffelbart war ein ganz besonders erfahrener Herr.

Das Männchen aber freute sich gewaltig über das große Aufsehen, das es erregte.

»Jetzt sieht man doch, wer ich bin, und alle Leute staunen über mich«, sagte es und drehte den dicken Kartoffelkopf geschmeichelt nach allen Seiten.

Aber die Leute sahen das Männchen gar nicht, sondern nur die großen Pantoffeln, und das ist oft so im Leben.

Und das Männchen lief immer schneller und schneller, daß die Pantoffeln nur so an den dürren Heuschreckenbeinen herumschlappten, und es ging auch wunderschön auf der



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breiten und bequemen Straße, auf der alle in großen Pantoffeln und gewaltigen Stiefeln herumlaufen. Wie es aber an eine Wiese kam, wo die Blumen blühten und der Holderbaum duftete und wo die große Straße aufhört, da wurde es sehr bedenklich, und es schien ihm, als ob es da nicht recht weiterginge, so gerne es nun auch hier gesehen und bewundert werden wollte. Denn die großen Füße und die großen Pantoffeln passen nur für die breite Straße, auf der alle Leute herumlaufen, aber nicht mehr in den Gottesgarten, wo die Blumen blühen und der Holderstrauch duftet, wo das Märchenland beginnt und wo man auf leisen Sohlen geht wie der Kater Muffi Schnuffelbart.

Wie nun das Männchen mit einem großen Satz auf seinen großen Pantoffeln mitten in das Märchenland hineinsprang, da verlor es beide Pantoffeln auf einmal und fiel kopfüber in ein Maulwurfsloch. Es dauerte eine ganze Weile, bis das Grasweibchen und sein Vetter, der Wiesenfrosch, die sich gerade sehr belehrend über heilsame Kräuter unterhielten, dem kleinen Männchen wieder heraushalfen. Das war nur gut, denn der Maulwurf hätte sich sehr über diese Sache geärgert, weil auch unsichtbare Leute einen erheblich stören können, wenn sie einem die Haustüre verstopfen.

Das Männchen pilgerte ins grüne Gras hinein, und von nun an hat es niemand mehr gesehen, es war wieder ganz unsichtbar, und es lohnte sich auch gar nicht, es zu sehen. Es war wirklich nichts weiter dran, denn es lief nur immer herum und war eben da. Bloß so.

Die Pantoffeln aber fand es nicht wieder. Die waren in einen solchen Schwung geraten, daß sie allein bis an den Waldrand weiterliefen, und dort fanden zwei Eulen sie und brachten sie zu sich nach Hause in ein Baumloch. Sie stellten sie nebeneinander auf und benutzten sie als Betten, und die waren so weich, so warm und bequem, wie Herr und Frau Käuzchen noch nie welche gehabt hatten.



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Herr und Frau Käuzchen litten seit dieser Zeit auch niemals wieder an Krallenreißen, weil sie sich ganz tief in die Pantoffeln steckten und es überaus behaglich hatten. Die Federbetten dazu hatten sie ja selbst an sich, und Herr Käuzchen konnte sogar abends in seinem Pantoffelbett lesen, wobei ihm seine Laternenaugen selbsttätig und sehr angenehm leuchteten. Er las die Zeitung, die alle Eulen lesen, und die heißt ,Das kakelbunte Ei'.

Die dicke Kröte aber, die im Erdgeschoß des Baumes wohnte und sich gerade eine Moosjacke strickte, die sagte, das habe sie alles schon vorher gewußt, daß das mit dem Männchen so enden müsse, und so weiter denn das Märchenland sei eben keine breite Straße, auf der man wie alle Leute in großen Pantoffeln herumlatschen könne.

Die Unken haben nämlich immer schon alles vorher gewußt, aber sie sagen es erst nachher - und das kann jeder!


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