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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM TÖRICHTEN FISCHER

Einst zog ein Fischer zum Flusse hinab, um dort nach seiner Gewohnheit zu fischen; und als er am Flusse angelangt war und dann über die Brücke ging, erblickte er einen großen Fisch. Da sagte er sich: ,Es ist gar nicht nötig für mich, hier stehen zu bleiben; ich will mich aufmachen und diesem Fische folgen, wohin er schwimmt, bis ich ihn fange; dann wird er mich auf eine Reihe von Tagen des Fischens überheben.' Alsbald legte er seine Kleider ab und sprang hinter dem Fische her; und die Strömung des Flusses trug ihn dahin, bis er den Fisch einholte und ergreifen konnte. Darauf blickte er um sich, und er entdeckte, daß er weit vom Ufer entfernt war. Obwohl er nun sah, was die Strömung mit ihm getan hatte, ließ er den Fisch doch nicht los, um zurückzukehren, sondern er setzte sein Leben aufs Spiel, indem er das Tier mit beiden Händen festhielt und sich selbst vom fließenden Wasser dahin tragen ließ. Das Wasser aber trug ihn immer weiter, bis es ihn in einen Strudel warf, aus dem keiner, der in ihn geriet, sich retten konnte. Da begann er zu schreien und zu rufen: ,Rettet einen Ertrinkenden!' Einige von den Stromwächtern eilten herbei und riefen ihm zu: ,Was ist es mit dir? Was ist dir geschehen, daß du dich in diese große Gefahr gestürzt hast?' Er antwortete ihnen: ,Ich selber habe den offenkundigen Pfad verlassen, auf dem das Heil liegt, und habe mich der Habgier und dem Verderben hingegeben.' Darauf sagten die Leute: ,Mann, wie konntest du den Weg des Heils verlassen und dich selbst in dies Verderben stürzen? Du weißt doch von jeher, daß keiner, der hier hineingerät, gerettet wird! Was hinderte dich daran, das fortzuwerfen, was du in der Hand hältst, und



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dich selbst zu retten? Dann wärest du mit deinem Leben davongekommen und nicht in dies Verderben geraten, aus dem es keine Rettung mehr gibt; jetzt kann dich keiner von uns aus dieser Not befreien.' Da ließ der Mann alle Hoffnung auf sein Leben fahren; er verlor, was er in seiner Hand hielt, und wozu seine Begier ihn verlockt hatte, und er starb eines elenden Todes.'

,Dies Gleichnis, o König, habe ich dir nur deshalb erzählt, damit du dies verächtliche Treiben aufgibst, das dich von deinen Pflichten ablenkt, und damit du auf das achtest, was dir anvertraut ist, nämlich auf die Regierung deiner Untertanen und die Sorge für die Ordnung in deinem Reiche, so daß niemand in dir einen Fehler erblicken kann.' ,Was heißest du mich denn tun?' fragte der König; und Schimâs antwortete: ,Wenn es wieder Morgen wird und du wohl und gesund bist, so gib dem Volke Erlaubnis, bei dir einzutreten, und dann nimm Einsicht in die Angelegenheiten deiner Untertanen, entschuldige dich bei ihnen und versprich ihnen aus eigenem Antrieb Gutes und rechten Wandel.' Da sagte der König: ,Schimâs, du hast recht gesprochen; ich werde morgen, so Allah der Erhabene will, das tun, was du mir geraten hast.' Darauf ging der Wesir fort von ihm und tat dem Volke alles kund, was er ihm gesagt hatte. Als der Morgen tagte, trat der König aus seiner Verborgenheit hervor und befahl, das Volk zu ihm einzulassen. Dann entschuldigte er sich vor seinen Untertanen und versprach ihnen, er wolle an ihnen handeln, wie sie es wünschten; dessen waren sie zufrieden, und sie gingen wieder fort, indem ein jeder sich zu seiner Wohnung begab. Danach aber trat eine der Frauen des Königs, die er am liebsten hatte und am höchsten ehrte, zu ihm ein, und sie sah, daß



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seine Farbe erblichen war, und wie er über seine Angelegenheiten nachsann auf Grund dessen, was er von seinem Großwesir vernommen hatte. So sprach sie denn zu ihm: ,O König, wie kommt es, daß ich dich beunruhigten Gemütes sehe? Hast du über irgend etwas zu klagen?' ,Nein,' erwiderte er, ,aber die Wonnen haben mich von meinen Pflichten abgelenkt. Welches Recht hatte ich, meine und meiner Untertanen Angelegenheiten also zu vernachlässigen? Wenn ich so fortfahre, wird binnen kurzer Zeit meine Herrschaft mir aus den Händen gleiten.' Sie aber antwortete ihm und sprach: ,Ich sehe, o König, daß du dich von deinen Statthaltern und Wesiren hast täuschen lassen; sie wollen dich nur quälen und überlisten, damit dir in deiner Herrschaft diese Freude versagt bleibe und damit du keinen Genuß und keine Ruhe mehr findest. Ja, sie möchten, daß du dein Leben damit hinbringst, Mühen von ihnen abzuwenden, so daß deine Tage in Qual und Plage hinschwinden und du einem gleichst, der sich selbst für das Wohl eines anderen umbringt, oder daß es dir ergeht wie dem Knaben mit den Dieben.' ,Wie war denn das?' fragte der König; und sie hub an: ,Man erzählt


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