Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

KINDER-UND

HAUSMÄRCHEN


Gesammelt durch die Brüder Grimm



***
Vollständige Ausgabe mit über 160 Holzschnitten von Ludwig Richter

GONDROM VERLAG BAYREUTH


Die himmlische Hochzeit

Es hörte einmal ein armer Bauernjunge in der Kirche, wie der Pfarrer sprach: »Wer ins Himmelreich kommen will, muß immer geradeaus gehen.« Da machte er sich auf, und ging immerzu, immer gerade ohne abzuweichen, über Berg und Tal. Endlich führte ihn sein Weg in eine große Stadt, und mitten in die Kirche, wo eben Gottesdienst gehalten wurde. Wie er nun all die Herrlichkeit sah, meinte er, nun wäre er im Himmel angelangt, setzte sich hin und war von Herzen froh. Als der Gottesdienst vorbei war und der Küster ihn hinausgehen hieß, antwortete er: »Nein, ich gehe nicht wieder hinaus, ich bin froh, daß ich endlich im Himmel bin.« Da ging der Küster zum Pfarrer und sagte ihm, es wäre ein Kind in der Kirche, das wollte nicht wieder heraus, weil es glaubte, es sei im Himmelreich.



Grimm Maerchen-628_Gebr._Grimm-Märchen Flip arpa

Der Pfarrer sprach: »Wenn es das glaubt, so wollen wir es darin lassen.« Darauf ging er hin und fragte, ob es auch Lust hätte zu arbeiten. Ja, antwortete der Kleine, ans Arbeiten wäre er gewöhnt, aber aus dem Himmel ginge er nicht wieder heraus. Nun blieb er in der Kirche, und als er sah, wie die Leute zu dem Muttergottesbild mit dem Jesuskind, das aus Holz geschnitten war, kamen, knieten und beteten, dachte er: Das ist der liebe Gott, und sprach: »Hör einmal, lieber Gott, was bist du mager! Gewiß lassen dich die Leute hungern: ich will dir aber jeden Tag mein halbes Essen bringen!« Von nun an brachte er dem Bilde jeden Tag die Hälfte von seinem Essen, und das Bild fing auch an, die Speise zu genießen. Wie ein paar Wochen herum waren, merkten die Leute, daß das Bild zunahm, dick und stark ward, und wunderten sich sehr. Der Pfarrer konnte es auch nicht begreifen, blieb in der Kirche und ging dem Kleinen nach; da sah er, wie der Knabe sein Brot mit der Mutter Gottes teilte und diese es auch annahm.

Nach einiger Zeit wurde der Knabe krank und kam acht Tage lang nicht aus dem Bett; wie er aber wieder aufstehen konnte, war sein erstes, daß er seine Speise der Mutter Gottes brachte. Der Pfarrer ging ihm nach und hörte, wie er sprach: »Lieber Gott, nimm's nicht übel, daß ich dir so lange nichts gebracht habe; ich war aber krank und konnte nicht aufstehen.« Da antwortete ihm das Bild und sprach: »Ich habe deinen guten Willen gesehen, das ist mir genug. Nächsten Sonntag sollst du mit mir auf die Hochzeit kommen.« Der Knabe freute sich darüber und sagte es dem Pfarrer, der bat ihn hinzugehen und das Bild zu fragen, ob er auch dürfte mitkommen. »Nein«, antwortete das Bild, »du allein.« Der Pfarrer wollte ihn erst vorbereiten und ihm das Abendmahl geben, das war der Knabe zufrieden; und nächsten Sonntag, wie das Abendmahl an ihn kam, fiel er um, und war tot zur ewigen Hochzeit.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt