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KINDER-UND

HAUSMÄRCHEN


Gesammelt durch die Brüder Grimm



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Vollständige Ausgabe mit über 160 Holzschnitten von Ludwig Richter

GONDROM VERLAG BAYREUTH


Alt Rinkrank

Es war einmal ein König, und der hatte eine Tochter, der hatte er einen gläsernen Berg machen lassen und gesagt, wer darüberlaufen könne, ohne zu fallen, der sollte seine Tochter zur Frau haben. Und da gab es auch einen, der die Königstochter sehr gern mochte, der fragte den König, ob er ihm nicht seine Tochter zur Frau gebe? Ja, meinte der König, wenn er über den Berg laufen könne, ohne zu fallen, dann sollte er sie haben. Da sagte die Königstochter, sie wollte mit ihm hinüberlaufen und ihn halten, damit er nicht fiele. Da lief sie nun mit ihm hinüber, und als sie in der Mitte angekommen waren, glitt die Königstochter aus und fiel: der Glasberg öffnete sich, und sie stürzte da hinein. Der Bräutigam konnte nicht sehen, wo sie geblieben war, denn der Berg hatte sich gleich wieder geschlossen. Da jammerte und weinte er sehr, und auch der König war sehr traurig und ließ den Berg wieder wegbrechen und meinte, er könnte sie wieder herauskriegen, doch konnten sie die Stelle nicht finden, wo sie hineingefallen war. Unterdessen war die Königstochter ganz tief auf den Grund einer Höhle gekommen; da kam ihr ein alter Kerl mit einem langen grauen Bart entgegen, und er sagte, wenn sie seine Magd werden wollte und alles täte, was er ihr auftrage, sollte sie am Leben bleiben, sonst würde er sie umbringen. Da tat sie alles, was er ihr sagte. Am Morgen nahm er seine Leiter aus der Tasche, legte sie an den Berg und stieg aus dem Berg heraus. Oben zog er die Leiter zu sich herauf. Und die Königstochter mußte sein Essen kochen und sein Bett machen und alle Hausarbeit tun. Und wenn er wieder nach Hause kam, brachte er immer eine Menge Gold und Silber mit.

Als sie viele Jahre bei ihm gewesen und alt geworden war, da nannte er sie »Frau Mansrot«, und sie mußte ihn »Alt Rinkrank« nennen. Als er wieder einmal hinausgegangen war, machte sie ihm sein Bett und wusch seine Schüsseln; und dann machte sie die Türen und Fenster alle dicht zu, und da war nur ein Schiebefenster, wo Licht hereinschien; das ließ sie offen. Als der alte Rinkrank nun wiederkam, da klopfte er an die Tür und rief: »Frau Mans rot, mach mir die Tür auf!« — »Nein!« sagte sie, »ich tu dir, Alt Rinkrank, die Tür nicht auf!« Da sagte er:

»Hier steh ich armer Rinkrank,
Auf meinen siebzehn Beinen lank,
Auf meinem vergoldeten Fuß:
Frau Mansrot, wasch nur die Schüsseln!«



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»Ich habe deine Schüsseln schon gewaschen«, sagte sie. Da sagte er wieder:
»Hier steh ich armer Rinkrank
Auf meinen siebzehn Beinen lank,
Auf meinem vergoldeten Fuß:
Frau Mansrot, mach mir das Bett!«

»Ich habe dein Bett gemacht«, sagte Frau Mansrot. Da sagte er wieder:

»Hier steh ich armer Rinkrank
Auf meinen siebzehn Beinen tank,
Auf meinem vergoldeten Fuß:
Frau Mansrot, öffne mir die Tür!«

Da lief er rund um sein Haus und sah, daß die kleine Luke offen war, und er dachte: Du mußt doch mal nachgucken, was sie da wohl macht und warum sie dir die Türe nicht öffnen will. Da führte er zuerst seinen Bart durch die Luke, und als er ihn hindurchgesteckt hatte, kam Frau Mansrot herbei und zog die Luke mit einem Band zu, das sie drangebunden hatte, und so blieb der Bart fest drin sitzen. Da fing er jämmerlich an zu schreien, das täte ihm weh. Und er bat sie, sie möchte doch loslassen. Da sagte sie: nicht eher, als bis er ihr die Leiter gäbe, die er zum Hinaufsteigen benutze. Da mochte er nun wollen oder nicht, er mußte ihr sagen, wo die Leiter wäre. Da band sie ein ganz langes Band an das Schiebefenster, legte die Leiter an und stieg aus dem Berg heraus. Wie sie oben ist, da zieht sie das Schiebefenster auf. Dann ging sie zu ihrem Vater und erzählte ihm, wie es ihr ergangen war. Da freute sich der König sehr, und auch ihr Bräutigam lebte noch. Und sie gingen hin und gruben den Berg auf und fanden den alten Rinkrank mit all seinem Gold und Silber darin. Da ließ der König den alten Rinkrank töten und all sein Gold und Silber nahm er mit fort. Und die Königstochter kriegte noch ihren früheren Bräutigam zum Manne, und sie lebten recht vergnügt und herrlich und in Freuden.


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