Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SCHLANGENBESCHWÖRER

Es war einmal ein Schlangenbeschwörer, der pflegte die Schlangen abzurichten, und solches war sein Gewerbe; und er hatte einen großen Korb, in dem drei Schlangen waren, ohne daß die Leute seines Hauses etwas davon wußten. Jeden Tag pflegte er fortzugehen und mit den Schlangen in der Stadt umherzuziehen, um dadurch den Unterhalt für sich und für die Seinen zu verdienen; wenn er des Abends nach Hause kam, so legte er die Schlangen heimlich in den Korb, und am nächsten Morgen nahm er sie wieder heraus und zog mit ihnen in der Stadt umher. Das tat er eine lange Weile, wie er es gewohnt war; und die Leute seines Hauses ahnten nicht, was in dem Korbe war. Einmal aber begab es sich, als der Schlangenbeschwörer wie gewöhnlich nach Hause kam, daß seine Frau ihn fragte: ,Was ist in diesem Korbe?' Er gab ihr zur Antwort: ,Was willst du denn damit? Habt ihr nicht genug und übergenug zu essen? Sei zufrieden mit dem, was Allah dir zuerteilt hat, und frage nicht nach anderen Dingen!' Da schwieg die Frau; aber sie sprach bei sich selber: ,Ich muß doch noch diesen Korb durchsuchen und erfahren, was darinnen ist.' Sie war fest dazu entschlossen und tat es auch ihren Kindern kund; denen schärfte sie zunächst ein, sie sollten ihren Vater nach jenem Korbe fragen und sollten ihn mit Fragen bedrängen, daß er es ihnen sagte. Den Kindern aber schwebte der Gedanke vor, in dem Korbe wäre etwas zu essen, und sie begannen ihren Vater tagtäglich zu bitten, er möchte ihnen zeigen, was darin sei. Der Vater wies sie in freundlicher Weise ab und verbot ihnen solches Fragen. Nun verging wiederum eine Zeit, während deren die Kinder so hingehalten wurden, ihre Mutter



1000-und-1_Vol-06-039 Flip arpa

sie aber immer von neuem an reizte. Schließlich verabredeten sie mit ihr, sie wollten hinfort bei ihrem Vater keine Speise mehr kosten und keinen Trank mehr trinken, bis er ihnen ihre Bitte gewähre und ihnen den Korb öffne. Nachdem dies geschehen war, kam eines Abends der Schlangenbeschwörer heim mit einer großen Menge von Speise und Trank; er setzte sich nieder und rief sie, auf daß sie mit ihm äßen: sie aber weigerten sich, zu ihm zu kommen, und zeigten, daß sie ihm zürnten. Da begann er sie mit schönen Worten zu begütigen und sprach zu ihnen: ,Schaut her und sagt, was ihr wünscht, damit ich es euch bringe, sei es Speise oder Trank oder Kleidung!' ,O unser Vater,' erwiderten sie ihm, ,wir wünschen nichts von dir, als daß du diesen Korb öffnest, damit wir sehen, was darinnen ist; sonst töten wir uns selbst.' Doch der Vater fuhr fort: ,Meine Söhne, nichts Gutes für euch ist darin: wenn er geöffnet wird, so ist es nur euer Schade!' Da wurden sie noch zorniger; und als er das sah, begann er sie einzuschüchtern und mit Schlägen zu bedrohen, wenn sie nicht von diesem Vorhaben abständen. Dennoch wurden sie immer zorniger und bestanden immer dringender auf ihrer Forderung. Wie sie das taten, ergrimmte er wider sie und ergriff einen Stock, um sie damit zu schlagen; sie aber flohen vor ihm ins Haus hinein. Der Korb nun stand da, ohne daß der Schlangenbeschwörer ihn irgendwo versteckt hätte; deshalb ließ die Frau ihren Mann sich mit den Kindern beschäftigen und öffnete rasch den Korb, um zu sehen, was darin war. Siehe, da kamen die Schlangen aus dem Korb heraus, und sie bissen zuerst die Frau tot, dann eilten sie im Hause umher und töteten groß und klein, mit Ausnahme des Beschwörers: der verließ das Haus und ging fort.'



1000-und-1_Vol-06-040 Flip arpa

,Wenn du also dies beachtest, o glücklicher König, so wirst du erkennen, daß es einem Menschen nicht zukommt, etwas zu begehren, was Allah der Erhabene nicht will; nein, er soll sich zufrieden geben mit dem, was Gott ihm nach Seinem Willen bestimmt hat. Schau, o König, um deines reichen Wissens und deiner trefflichen Einsicht willen hat Allah deinem Auge Trost verliehen dadurch, daß dir ein Sohn geboren ward, nachdem du schon die Hoffnung aufgegeben hattest; und er hat dein Herz erfreut. Darum flehen wir zu Gott dem Erhabenen, daß er ihn zu einem der gerechten Herrscher mache, die vor Allah dem Erhabenen und den Untertanen wohlgefällig wandeln.'

Dann erhob sich der siebente Wesir und sprach: ,O König, siehe, ich weiß und kenne die Wahrheit dessen, was meine Brüder gesagt haben, diese gelehrten und in Weisheit bewährten Minister, ja, alles dessen, was sie in deiner Gegenwart gesprochen haben, o König, und was sie rühmend verkündet haben von deiner Gerechtigkeit und deinem schönen Wandel, wodurch du dich von allen anderen Königen unterscheidest, weshalb sie dir vor ihnen den Vorzug gaben. Das ist ja auch nur eine unserer Pflichten gegen dich, o König. Und ich sage: Preis sei Allah, der dir seine Huld gewährte und dir in seiner Gnade die Wohlfahrt des Reiches bescherte! Er hat dir und uns geholfen, so daß wir Ihn um so mehr preisen, und all das nur um deinetwillen. Solange du unter uns weilst, fürchten wir kein Unrecht und erwarten keine Grausamkeit, und niemand vermag uns in unserer Schwachheit zu vergewaltigen. Es heißt doch: Das Beste für die Untertanen ist es, wenn ein gerechter König über sie herrscht, das größte Übel für sie aber ist ein grausamer König. Und ferner heißt es: Lieber unter reißenden Löwen wohnen als einem grausamen Sultan



1000-und-1_Vol-06-041 Flip arpa

fronen! Deshalb: Preis sei Allah ewiglich dafür, daß Er uns mit dir begnadet und dir diesen gesegneten Sohn geschenkt hat, nachdem du in deinem hohen Alter schon die Hoffnung aufgegeben hattest; denn die herrlichste der Gaben in dieser Welt ist ein rechtschaffener Sohn! Und es heißt: Wer keinen Sohn hat, der hat kein Lebensziel und hinterläßt kein Andenken. Dir aber ist wegen deiner wahrhaften Gerechtigkeit und wegen deines schönen Vertrauens auf Allah den Erhabenen dieser glückliche Sohn geschenkt; ja, dieser gesegnete Knabe ist als eine Gabe von Gott dem Erhabenen zu dir und zu uns gekommen um deines schönen Wandels und deiner trefflichen Geduld willen. Darin ist es dir ergangen, wie es der Spinne und dem Winde erging.' Der König fragte: ,Was ist denn das für eine Geschichte von der Spinne und dem Winde?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 908. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König den Wesir fragte: ,Was ist denn das für eine Geschichte von der Spinne und dem Winde?' Dann fuhr der Wesir fort: ,Vernimm, o König,


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt