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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM RABEN UND DER SCHLANGE

Einst wohnte ein Rabe auf einem Baume mit seinem Weibchen, und sie führten dort das schönste Leben, bis ihre Brutzeit kam; das war in den Tagen des Hochsommers, und da kroch eine Schlange aus ihrem Loch hervor, klomm jenen



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Baum hinauf und schlängelte sich von Ast zu Ast, bis sie das Rabennest erreichte. In ihm rollte sie sich zusammen und blieb die Sommertage hindurch liegen, so daß der Rabe daraus vertrieben ward und nun keine Gelegenheit und keine Stätte mehr fand, wo er ruhen konnte. Als aber die Tage der Hitze vergangen waren, kehrte die Schlange in ihr Loch zurück; und der Rabe sprach zu seinem Weibchen: ,Laß uns Allah dem Erhabenen danken, daß Er uns von dieser Viper befreit und errettet hat, wenn uns auch in diesem Jahre das Leben verkümmert wurde. Allah der Erhabene wird unsere Hoffnung nicht zuschanden machen, und Ihm wollen wir Dank sagen, daß Er uns gnädiglich Schutz und Gesundheit des Leibes gewährt hat. Nur auf Ihn können wir vertrauen, und wenn es Sein Wille ist und wir das nächste Jahr noch erleben, so wird Er uns andere Nachkommenschaft geben.' Als nun im nächsten Jahre ihre Brutzeit kam, kroch die Schlange wieder aus ihrem Loch hervor und auf den Baum hinauf. Doch als sie sich um einen der Äste ringelte, um zu dem Rabenneste zu gelangen wie zuvor, stürzte plötzlich eine Weihe auf sie herab, schlug ihr die Krallen in den Kopf und zerriß ihn; da fiel die Schlange ohnmächtig zu Boden, und die Ameisen kamen über sie und fraßen sie auf. Nun konnte der Rabe mit seinem Weibchen in Sicherheit und Ruhe leben, und sie brüteten viele junge aus und dankten Allah für ihre Rettung und für die Jungen, die ihnen geschenkt wurden.' *

,Uns nun, o König, geziemt es, Allah für das zu danken, was Er dir und uns durch dies gesegnete und glückverheißende Kind gewährt hat, nachdem wir schon verzagt und alle Hoffnung aufgegeben hatten. Möge Er dir schönen Lohn im Jenseits und einen guten Ausgang deiner Sache geben!' — — «



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 904. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der zweite Wesir, als er seine Rede beschloß, sie mit diesen Worten beendete: ,Möge Allah dir schönen Lohn im Jenseits und einen guten Ausgang deiner Sache geben!'

Darauf erhob sich der dritte Wesir und sprach: ,Freue dich, o gerechter König, des Guten, das dir hier gegeben ward, und des künftigen Lohnes, der deiner harrt! Denn wen das Volk der Erde liebt, den liebt auch das Volk des Himmels; und Allah der Erhabene hat die Liebe zu deinem Teil gemacht und hat sie in die Herzen der Untertanen deines Reichs gelegt. Deshalb sei Ihm von uns und von dir Lob und Dank dargebracht, auf daß in dir Seine Gnade gegen dich und gegen uns sich mehre! Wisse, o König, der Mensch vermag nichts ohne den Befehl Allahs des Erhabenen; denn Er ist der Spender, und alles Gute, das einem Geschöpf zuteil wird, ist in Ihm beschlossen. Er verteilt an Seine Knechte die Gaben, wie es Ihm beliebt; den einen spendet Er Gaben in Fülle, und die anderen läßt Er sich mühen, daß sie ihr täglich Brot verdienen. Die einen macht Er zu Hauptleuten, die anderen macht Er zu Menschen, die der Welt entsagen und nur nach Ihm streben; denn Er ist es, der da sprach: ,Ich bin es, der Schaden und Nutzen bringt. Ich mache gesund und mache krank. Ich mache reich und mache arm. Ich lasse sterben und mache lebendig. In meiner Hand liegt alles, und alles kehrt zu mir zurück.' Deshalb geziemt es allen Menschen, Ihm zu danken. Nun gehörst du, o König, zu den Glücklichen und Frommen, von denen es heißt: Der Glücklichste der Frommen ist der, dem Allah das Gute dieser Welt und das Gute jener Welt vereinigt hat, und der da zufrieden



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ist mit dem, was Allah ihm zuerteilt hat, und Ihm dankt für das, was Er ihm sendet. Wer aber aufbegehrt und nach anderem verlangt, als dem, was Allah für ihn und wider ihn bestimmt hat, der gleicht dem Wildesel und dem Schakal.' Da fragte der König: ,Was ist das für eine Geschichte mit den beiden?' Und der Wesir fuhr fort: ,Vernimm, o König,


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