Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEN FISCHEN UND DEM KREBS

Irgendwo war einmal ein Wasserteich, in dem einige Fische lebten, und es begab sich, daß in jenem Teiche das Wasser abnahm und allmählich versiegte; da blieb den Fischen kaum noch genug Wasser zum Leben, und sie waren dem Tode nahe. Nun sprachen sie: ,Was soll aus uns werden? Was können wir ersinnen, und wen können wir um Rat fragen, auf daß wir gerettet werden?' Einer von ihnen, der unter ihnen der weiseste und älteste war, hub an: ,Uns bleibt kein anderes Mittel übrig, uns zu retten, als daß wir zu Allah flehen. Wir wollen aber auch den Krebs um seine Meinung fragen; denn er ist der Größte unter uns. Wohlan denn, auf zu ihm, wir wollen sehen. wie sein Rat lautet! Er hat doch mehr Einsicht in das wahre Wesen der Dinge als wir.' Die anderen billigten diesen Vorschlag und zogen allesamt zum Krebse; den fanden sie ruhig in seinem Loche liegen, ohne daß er eine Kunde oder Nachricht von dem erhalten hatte, was sie bedrängte. Sie grüßten ihn und sprachen zu ihm: ,O unser Herr, geht dir unsere Sache nicht zu Herzen, da du doch unser Herrscher und Oberhaupt bist?' Der Krebs antwortete und sprach zu ihnen: ,Auch mit



1000-und-1_Vol-06-022 Flip arpa

euch sei Friede! Was habt ihr, und was wollt ihr?' Da erzählten sie ihm ihre Geschichte und berichteten ihm, in welche Not sie durch das Schwinden des Wassers geraten seien, und daß ihnen der Untergang drohte, wenn das Wasser ganz austrocknen würde; und sie fügten hinzu: ,Deshalb kommen wir zu dir und harren deines Rates und dessen, wodurch wir gerettet werden können; denn du bist unser Meister und der Klügste unter uns.' Darauf senkte der Krebs sein Haupt eine Weile zu Boden; dann sprach er: ,Ohne Zweifel fehlt es euch an Verstand, da ihr an der Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen verzagt und daran, daß Er für die Notdurft aller seiner Geschöpfe sorgt. Wißt ihr denn nicht, daß Allah, der Gepriesene und Erhabene, Seine Diener versorgt, ohne zu rechnen, daß Er ihnen ihr täglich Brot vorausbestimmte, ehe Er noch irgendeines der Dinge schuf, und daß Er einem jeden Geschöpf in Seiner göttlichen Allmacht eine bestimmte Lebenszeit und einen zugemessenen Unterhalt festsetzte? Wie sollten wir uns da mit der Sorge um irgend etwas beladen, das in Seiner geheimen Absicht vorherbestimmt ist? Also ist es mein Rat. daß ihr nichts Besseres tun könnt, als Gott den Erhabenen anzuflehen. Es geziemt sich, daß ein jeder von uns sein Gewissen vor dem Herrn reinigt, insgeheim und öffentlich, und daß er zu Allah betet, uns zu erretten und aus unseren Drangsalen zu befreien. Allah der Erhabene läßt die Hoffnung derer nicht zuschanden werden, die auf Ihn vertrauen. und weist das Flehen derer nicht ab, die sich mit ihren Gebeten an Ihn wenden. Wenn wir einen rechtschaffenen Wandel führen, so wird es uns gut ergehen, und lauter Glück und Segen wird uns zuteil werden. Und wenn der Winter kommt und unser Land vermöge des Gebetes eines Gerechten unter uns überschwemmt wird, so wird Der das Gute nicht wieder einreißen, der es erbaut



1000-und-1_Vol-06-023 Flip arpa

hat. Also noch einmal, ich rate, daß wir uns gedulden und dessen harren, was Allah mit uns tun will. Kommt der Tod zu uns nach seiner Gewohnheit, so werden wir Ruhe haben; geschieht etwas, das uns zur Flucht zwingt, so flüchten wir und ziehen aus unserem Lande dort hin, wo Gott will.' Darauf erwiderten die Fische allesamt wie aus einem Munde: ,Du hast recht, unser Herr, Allah lohne es dir mit Gutem an unserer Statt!' Dann kehrte ein jeder von ihnen an seine Stätte zurück, und kaum waren einige Tage vergangen, da sandte Allah ihnen einen heftigen Regen, so daß der Teich noch voller wurde, als er es zuvor gewesen war. *

,So ist es auch uns ergangen, o König; wir hatten schon die Hoffnung aufgegeben, daß du einen Sohn haben würdest. Jetzt aber, da Gott uns und dir diesen gesegneten Knaben gnädiglich geschenkt hat, beten wir zu Allah dem Erhabenen, daß Er ihn wirklich zu einem gesegneten Kinde machen möge, daß Er deine Augen durch ihn kühle und dir in ihm einen würdigen Nachfolger gebe, durch den uns der gleiche Segen beschert wird wie durch dich; denn Allah der Erhabene läßt den nicht zuschanden werden, der Ihn sucht, und niemanden geziemt es, daß er seine Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes fahren lasse.'

Darauf erhob sich der zweite Wesir und sprach den Friedensgruß vor dem König; der antwortete ihm und sprach: ,Auch mit euch sei Friede!' Und nun hub jener Wesir an: ,Fürwahr, der König verdient nur dann den Namen eines Königs, wenn er Gaben verteilt, in Gerechtigkeit herrscht, gütig ist und vor seinen Untertanen einen schönen Wandel führt, indem er die Satzungen und Vorschriften, die unter den Menschen gelten, aufrecht erhält, dem einen wider den anderen sein Recht verschafft,



1000-und-1_Vol-06-024 Flip arpa

ihr Blut nicht vergießt und Schaden von ihnen abwehrt. Es gehört auch zu seinen Eigenschaften, daß er die Armen unter ihnen nicht vergißt und den Höchsten und Niedrigsten hilft und einem jeden gibt, was ihm gebührt, so daß alle den Segen des Himmels auf ihn herabfiehen und seinem Befehle gehorchen. So kann es nicht ausbleiben, daß ein König, der diese Tugenden besitzt, von den Untertanen geliebt wird und in dieser Welt irdischen Ruhm gewinnt, in jener aber Ehre und Gunst bei ihrem Schöpfer. Und wir, die wir als deine Diener versammelt sind, bezeugen dir, o König, daß alles, was wir aufgezählt haben, in dir vorhanden ist; wie es heißt: Das beste der Dinge ist es, daß der König eines Volkes gerecht sei, daß sein Arzt geschickt und sein Wesir erfahren sei und nach seinem Wissen handle. Wir erfreuen uns jetzt dieses Glückes, nachdem wir früher schon die Hoffnung aufgegeben hatten, daß dir noch ein Sohn beschert würde, der dein Reich erben sollte. Allah jedoch, dessen Name glorreich ist, hat deine Hoffnung nicht zuschanden werden lassen, sondern Er hat deine Bitte erhört, dieweil du Ihm so schön vertraut und deine Sache Ihm anheimgestellt hast. Ein treffliches Hoffen war dein Hoffen! Dir ist es ergangen wie dem Raben mit der Schlange.' ,Wie war das', fragte der König, ,und was ist das für eine Geschichte mit dem Raben und der Schlangen' Und der Wesir fuhr fort: ,Vernimm, o König,


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt