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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM FROMMEN UND SEINEM BUTTERKRUG'

Vernimm, o König, es lebte einmal ein frommer Mann bei einem der Vornehmen in einer der Städte; jener Fromme erhielt eine tägliche Gabe durch die Güte des Vornehmen, und das waren drei Laibe Brot und dazu etwas zerlassene Butter und Honig. Nun war die Butter teuer in jenem Lande, und der Fromme sammelte alles, was er davon erhielt, in einen Krug, den er bei sich hatte, bis er voll war; dann hängte er ihn sich zu Häupten auf, aus Besorgnis und Vorsicht. Als er aber eines Nachts auf seinem Lager dasaß, mit einem Stab in seiner Hand, begann er über die Butter nachzudenken und darüber,



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daß sie so teuer war; und er sprach bei sich selber: ,Ich muß all diese Butter, die ich besitze, verkaufen und mir von dem Erlös ein Schaf kaufen; dann will ich mich mit einem Bauern zusammentun. Im ersten Jahre wird es dann ein Bocklamm und ein Schaflamm zur Welt bringen, und ebenso im zweiten Jahre ein solches Pärchen; und diese Tiere werden dann immer weiter Bocklämmer und Schaflämmer zur Welt bringen, bis eine große Herde daraus geworden ist. Dann will ich meinen Anteil nehmen und davon verkaufen, soviel ich will. Darauf will ich mir ein Stück Land kaufen und dort einen Garten anlegen und ein herrliches Schloß bauen; auch will ich Kleider und Gewänder erwerben, dazu mir Sklaven und Sklavinnen kaufen und mich mit der Tochter des Kaufmanns Soundso vermählen; und eine Hochzeit will ich feiern, wie sie noch nie dagewesen ist. Ich will Vieh schlachten, ich will prächtige Speisen, Süßigkeiten und Zuckerwerk bereiten lassen, ich will dazu alle Spielleute, Künstler und Musikanten kommen lassen, und ich will Blumen, Wohlgerüche und allerlei duftende Kräuter besorgen. Dann will ich Reiche und Arme einladen, die Gelehrten, die Hauptleute und die Großen des Landes; und wer nur immer um etwas bittet, dem willich es bringen lassen. Alle Arten von Speisen und Getränken will ich bereit halten und einen Herold aussenden, der soll rufen: ,Wen es nach etwas verlangt, der soll es erhalten!' Zuletzt werde ich zu meiner jungen Frau eingehen, wenn sie entschleiert ist, und mich ihrer Schönheit und Lieblichkeit erfreuen. Ich will essen und trinken und lustig sein und zu mir selbst sagen: ,Jetzt hast du dein Ziel erreicht', und ich will von der Frömmigkeit und dem Gottesdienste mich erholen. Dann wird meine Frau schwanger werden und einen Knaben gebären; ich werde mich seiner freuen, für ihn Gastmähler abhalten, und dann



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werde ich ihn mit der zärtlichsten Fürsorge erziehen. Ich will ilm in der Philosophie, der Literatur und der Mathematik unterrichten lassen und seinen Namen unter den Menschen bekannt machen; dann darf ich mich seiner rühmen in den Versammlungen der Gelehrten. Ich werde ihm gebieten, Gutes zu tun, und er wird mir nicht zuwiderhandeln; ja, ich will ihm die Unzucht und das Schlechte verbieten und ihn zur Gottesfurcht und Rechtschaffenheit ermahnen. Ich will ihm auch schöne und kostbare Geschenke geben; wenn ich sehe, daß er eifrig ist im Gehorsam, so will ich ihm noch viel mehr trefffiche Geschenke geben; sehe ich aber, daß er zum Ungehorsam neigt, so will ich mit diesem Stab über ihn kommen.' Und erhob den Stab, um seinen Sohn damit zuschlagen; doch er traf den Butterkrug, der ihm zu Häupten hing, und zerbrach ihn. Da fielen die Scherben auf ihn herunter, und die Butter floß ihm auf den Kopf und auf die Kleider und auf den Bart. So ward er zu einem warnenden Beispiel.' *

,Deshalb, o König, geziemt es dem Menschen nicht, von etwas zu reden, ehe es eingetreten ist.' Der König erwiderte ihm: ,Du hast recht mit dem, was du gesagt hast. Du bist ein trefflicher Wesir, da du die Wahrheit sprichst und zum Guten rätst. Du stehst in so hohem Ansehen bei mir, wie du dir nur wünschen kannst, und du sollst immerdar mein Wohlgefallen finden.' Da warf sich Schimâs nieder vor Gott und vor dem König und wünschte ihm Dauer des Gedeihens, indem er sprach: ,Allah lasse deine Tage lange währen und erhöhe deine Macht! Wisse, ich verberge dir nichts, weder im geheimen noch öffentlich; dein Wohlgefallen ist mein Wohlgefallen, und dein Mißfallen ist mein Mißfallen. Ich habe keine andere



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Freude als deine Freude; ich kann nicht schlafen, wenn du mir zürnst, denn Allah der Erhabene hat mir alles Gute durch deine Huld gewährt. Deshalb bitte ich Allah den Erhabenen, daß Er dich durch seine Engel behüte und dir schönen Lohn zuteil werden lasse, wenn du vor sein Angesicht trittst.' Der König freute sich über diese Worte, und Schimâs erhob sich und verließ ihn.

Nach einer Weile gebar die Gemahlin des Königs ein Knäblein; und die Freudenboten eilten zum Herrscher und brachten ihm die frohe Nachricht von dem Knaben. Dessen freute sich der König über die Maßen, und er dankte Gott von ganzem Herzen, indem er sprach: ,Preis sei Allah, der mir einen Sohn geschenkt hat, nachdem ich schon die Hoffnung aufgegeben hatte; denn Er ist gnadenreich und barmherzig gegen seine Diener!' Dann ließ der König an alle Völker seines Reiches Briefe schreiben, um ihnen die Kunde mitzuteilen und sie in seine Hauptstadt zu entbieten. Da kamen zu ihm die Emire und die Häuptlinge, die Gelehrten und die Großen des Reiches, die ihm untertan waren.

Sehen wir nun, was der König für seinen Sohn tat! Er ließ die Freudentrommeln um der Geburt des Knaben willen in allen seinen Landen schlagen; und so strömte denn das Volk von allen Seiten herbei; da waren auch die Männer der Wissenschaften, die Philosophen, die Literaten und die Weisen, und alle zogen zum König, und er machte einem jeden ein Geschenk nach dessen Rang. Dann gab er den sieben Großwesiren, deren Oberhaupt Schimâs war, ein Zeichen, sie sollten, ein jeder nach dem Maße seiner Weisheit, über das reden, was ihm damals am Herzen lag. Da begann ihr Oberhaupt, der Wesir Schimâs, und bat den König um Erlaubnis zu reden; nachdem jener sie ihm gegeben hatte, hub er an: ,Preis sei Allah, der uns aus dem Nichtsein ins Dasein rief und der Seinen



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Dienern gnädiglich Könige gibt, die Recht und Gerechtigkeit walten lassen in der Herrschaft, mit der Er sie bekleidet hat, und rechtschaffen handeln in dem, was Er ihren Händen zur Versorgung ihrer Untertanen zugewiesen hat; besonders aber unseren König, durch den Er die Toten unseres Landes wieder zum Leben auferweckt hat mit dem, was Er uns an Güte spendete, und durch dessen Wohlergehen Er uns ein behagliches Leben und Ruhe und Gerechtigkeit beschert hat! Welcher König handelt wohl je so an seinem Volke, wie dieser König an uns gehandelt hat, indem er unsere Bedürfnisse erfüllte, uns gab, was uns zukam, einem jeden wider den andern sein Recht verschaffte, uns nie außer Augen ließ, und abschaffte, was uns bedrückte? Es ist wahrlich eine Gnade Allahs gegen die Menschen, wenn ihr König eifrig ihre Geschäfte leitet und sie gegen ihre Feinde schützt; denn es ist ja das höchste Ziel des Feindes, seinen Feind zu unterdrücken und in seiner Hand zu halten. Viele Menschen bringen ihre Söhne als Diener zu den Königen, und sie nehmen bei ihnen die Stellen von Knechten ein, um die Feinde von ihnen fernzuhalten. Bei uns aber hat in den Tagen dieses unseres Königs kein Feind den Boden unseres Landes betreten; so groß ist sein Segen, so überreich sein Glück, das niemand schildern kann, da es alle Beschreibung übersteigt. Du, o König, bist würdig dieses reichen Segens, und wir stehen unter deinem Schutz und im Schatten deiner Schwingen; möge Allah dir den schönsten Lohn verleihen und dein Leben von langer Dauer sein lassen! Wir haben schon früher eifrig zu Allah dem Erhabenen gefleht, Er möchte uns gnädiglich erhören und dich uns erhalten und dir einen trefflichen Sohn schenken, der deinen Augen Kühlung bringt. Nun hat Allah, der Gepriesene und Erhabene, sich unser angenommen und unser Gebet erhört.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 903. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Schimâs zum König sprach: ,Allah der Erhabene hat sich unser angenommen und unser Gebet erhört; er hat uns schnellen Trost gebracht, wie er ihn einmal den Fischen im Wasserteich brachte.' Der König fragte: ,Was ist das für eine Geschichte mit den Fischen? Wie war das 'Da sprach Schimâs: ,Vernimm, o König,


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