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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM JUNGEN MANNE AUS BAGHDAD UND SEINER SKLAVIN

In alten Zeiten lebte einst ein Mann in Baghdad, ein Kind von begüterten Eltern, der von seinem Vater großen Reichtum geerbt hatte. Der gewann eine Sklavin lieb, und er kaufte sie; und sie liebte ihn, wie er sie liebte. So gab er denn immerfort alles für sie dahin, bis daß sein ganzer Reichtum geschwunden war und ihm nichts mehr übrig blieb. Nun suchte er nach einem Mittel, seinen Unterhalt zu verdienen, damit er davon



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leben könnte; doch es gelang ihm nicht. Jener Jüngling aber hatte in den Tagen seines Überflusses oft die Gesellschaften derer besucht, die in der Sangeskunst bewandert waren, und er hatte es darin zu höchster Vollkommenheit gebracht. Und als er sich mit einem seiner Freunde beriet, sprach der zu ihm: ,Ich weiß keinen besseren Beruf für dich als daß du mit deiner Sklavin singst; dadurch wirst du viel Geld verdienen, und dann hast du zu essen und zu trinken.' Doch das mißfiel ihm und auch der Sklavin, und sie sprach zu ihm: ,Ich habe einen Plan für dich.' ,Wie ist der?' fragte er; und sie fuhr fort: ,Verkaufe mich, dann werden wir beide von dieser Not befreit. Ich werde im Wohlstand leben; denn meinesgleichen wird nur einer kaufen, der mit Glücksgütern gesegnet ist, und so kann ich auch die Ursache werden, daß ich wieder zu dir zurückkehre.' Da führte er sie auf den Markt; und der erste, der sie sah, war ein Haschimit' vom Volke Basras, ein Mann von guter Erziehung, feinem Wesen und edlem Sinn; der kaufte sie um tausendundfünfhundert Dinare. ,Als ich nun - so erzählte der Jüngling, der Besitzer der Sklavin -den Preis erhalten hatte, gereute es mich, und ich weinte, und die Sklavin mit mir, und ich wollte den Kauf rückgängig machen; aber der Käufer willigte nicht ein. So tat ich denn die Dinare in einen Beutel, und ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte, da mein Haus mir ohne sie verödet war; ich weinte und schlug mir das Gesicht und klagte, wie ich es nie zuvor getan hatte. Dann trat ich in eine Moschee und setzte mich dort weinend nieder: dabei war ich so verwirrt, daß ich mich selbst nicht mehr kannte. Und nachdem ich mir den Beutel als Kissen unter den Kopf gelegt hatte, schlief ich ein; doch ehe ich mich



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dessen versah, zog mir ein Mann den Beutel unter dem Kopfe fort und lief eilends davon. Ich erwachte in großem Schrecken, und wie ich den Beutel nicht fand, sprang ich auf, um hinter ihm her zulaufen; aber siehe da, meine Füße waren mit einem Stricke zusammengebunden, so daß ich aufs Gesicht fiel. Nun begann ich wieder zu weinen und mein Gesicht zuschlagen, und ich sagte zu mir selbst: ,Du hast dich von deiner Seele getrennt, und dein Gut ist dahin!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 897. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der junge Mann, dem nun der Beutel geraubt war, weiter erzählte: ,Ich sagte zu mir selbst: ,Du hast dich von deiner Seele getrennt, und dein Gut ist dahin.' Und im Übermaße meines Kummers ging ich zum Tigris, verhüllte mir das Gesicht mit meinen Kleidern und warf mich in den Strom. Die Umstehenden bemerkten mich und riefen: ,Dem da muß wahrlich ein großes Unglück widerfahren sein!' Und sie sprangen mir nach, brachten mich ans Land und fragten mich, was mir geschehen sei; da berichtete ich ihnen, wie es mir ergangen war, und sie bedauerten mich deswegen. Doch ein alter Mann trat aus ihrer Mitte hervor und sprach zu mir: ,Du hast dein Geld verloren; weshalb willst du nun auch noch dein Leben verlieren und zum Volke des Höllenfeuers gehören? Komm mit mir und zeige mir deine Wohnung!' Ich fügte mich seinem Wunsche, und als wir zu meiner Wohnung kamen, setzte er sich eine Weile zu mir, bis sich meine Erregung legte; dafür dankte ich ihm, und dann ging er fort. Kaum hatte er mich verlassen, so war ich wieder nahe daran, mich zu töten; aber ich dachte an das Jenseits und an das Höllenfeuer, und darum lief ich aus meinem Hause fort



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zu einem meiner Freunde und erzählte ihm, was mir widerfahren war. Er weinte aus Mitleid mit mir und gab mir fünfzig Dinare, indem er sprach: ,Nimm meinen Rat an und verlaß Baghdad noch in dieser Stunde! Dies Geld möge dir zum Unterhalt dienen, bis dein Herz von der Liebe zu ihr abgelenkt ist und du sie vergissest. Du gehörst zu den Kanzlisten und Sekretären, deine Handschrift ist schön und deine Bildung vortrefflich; so suche dir einen von den Statthaltern aus, wen du willst, und setze deine Hoffnung auf ihn; vielleicht wird Allah dich dann wieder mit deiner Sklavin vereinigen!' Ich hörte auf seine Worte, denn mein Geist war schon wieder gekräftigt, etwas von meinem Kummer hatte schon nachgelassen, und ich beschloß, nach Wâsit' zu reisen, weil ich dort Anverwandte hatte. So begab ich mich denn zum Ufer des Flusses, wo ich ein Schiff vor Anker liegen sah, während die Seeleute prächtige Stoffe und allerlei Waren einluden. Ich bat sie, mich mitzunehmen; aber sie sagten: ,Dies Schiff gehört einem Haschimiten, und wir können dich so, wie du bist, nicht mitnehmen.' Da erweckte ich in ihnen das Begehren nach dem Lohne, und sie sprachen zu mir: ,Wenn es denn unbedingt sein muß, so zieh die feinen Kleider aus, die du trägst, lege die Kleidung der Seefahrer an und setze dich zu uns, als wärest du einer der Unsrigen!' Ich ging also zurück, kaufte mir einige Seemannskleider, legte sie an und begab mich wieder zu dem Schiff, das jetzt nach Basra abfahren sollte. Mit den Seeleuten stieg ich aufs Schiff; und kaum hatte ich dort eine kleine Weile gesessen, da sah ich meine Sklavin in leibhaftiger Gestalt und bei ihr zwei Kammerfrauen, die sie bedienten. Nun wich all mein Kummer, und ich sprach bei mir selber: ,Jetzt werde ich sie sehen und singen hören, bis wir nach Basra gelangen.'



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Gleich darauf kam auch der Haschimit angeritten, begleitet von einer Schar von Leuten, und nachdem sie an Bord gegangen waren, fuhr das Schiff stromabwärts. Dann holte der Haschimit Speisen hervor, und er aß mit der Sklavin, während die anderen mittschiffs aßen. Und schließlich sagte er zu ihr: ,Wie lange noch willst du dem Gesang entsagen und in Trauer und Tränen verharren? Du bist doch nicht die erste, die von ihrem Geliebten getrennt wurde.' Daran erkannte ich, was sie aus Liebe zu mir litt. Nun zog er an einer Seite des Schiffs einen Vorhang vor sie hin, rief die Leute, die abseits von ihm in meiner Nähe saßen, und setzte sich mit ihnen außerhalb des Vorhangs nieder. Ich fragte, wer die Leute seien, und man sagte mir, sie wären seine Brüder. Er holte für sie Wein und Zukost, soviel sie bedurften; und dann redeten sie immer auf sie ein, sie möchte singen, bis sie schließlich nach der Laute rief, sie stimmte und diese beiden Verse sang:

Die Schar brach auf mit meinem Lieb im tiefen Dunkel
Und zog mit meiner Hoffnung rasch dahin bei Nacht.
Ach, wenn die Karawane fortzieht, wird im Herzen
Des Jünglings eine Glut von Ghada-Holz 1 entfacht.

Doch dann kamen die Tränen wieder über sie, und sie warf die Laute zu Boden und hörte auf zu singen. Darüber wurden die Leute beunruhigt; ich aber sank in Ohnmacht. Sie hielten mich für besessen, und einer von ihnen begann mich zu besprechen, indem er mir ins Ohr flüsterte; die anderen aber gaben ihr gute Worte und baten sie inständigst, sie möchte wieder singen, bis sie die Laute von neuem stimmte und sang:

Klagend steh ich, wenn die Sänfte mit dem Lieb von dannen eilt,
Das in meinem Herzen wohnet, wenn es mir auch ferne weilt.



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Und ferner sang sie:

Ich stand bei den Trümmern und fragte nach ihr;
Doch wüst war die Stätte und leer das Quartier.

Dann fiel sie ohnmächtig nieder, und unter den Leuten erhob sich ein Wehklagen; ich aber schrie laut auf und sank wiederum bewußtlos zu Boden. Die Seeleute gerieten in große Erregung über mich, und einer von den Dienern des Haschimiten rief: ,Wie konntet ihr diesen Besessenen an Bord nehmen?' Dann sprach einer zum andern: ,Wenn ihr zum nächsten Dorfe kommt, so setzt ihn an Land, damit wir Ruhe vor ihm haben!' Darob ward mir das Herze schwer, und ich grämte mich gar sehr; doch ich nahm meine ganze Kraft zusammen und sprach bei mir selber: ,Ich habe kein anderes Mittel, mich aus ihren Händen zu befreien, als daß ich der Maid meine Anwesenheit auf dem Schiffe kundtue, damit sie mich davor bewahrt, ausgesetzt zu werden.' Dann fuhren wir weiter, bis wir dicht an einem Weiler vorüberkamen; dort sprach der Schiffsführer: ,Laßt uns an Land gehen!' Alle, die auf dem Schiffe waren, stiegen an Land; und da es um die Abendzeit war, so ging ich hin und trat hinter den Vorhang, nahm die Laute und änderte ihre Akkorde, einen nach dem andern, und stellte sie auf die Weise ein, die jene Maid von mir gelernt hatte. Dann kehrte ich an meine Stätte im Schiff zurück.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 898. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling des weiteren erzählte: ,Ich kehrte also an meine Stätte im Schiffe zurück; alsbald kamen auch die Leute vom Ufer herab und begaben sich an ihre Stätten auf dem Schiffe. Der Mond aber hüllte Wasser und Land in ein helles Lichtgewand. Der Haschimit



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sprach nun zu der Sklavin: ,üm Allahs willen, trübe nicht unser Leben!' Da nahm sie die Laute, und als sie mit der Hand darüber strich, seufzte sie auf, so daß die Leute glaubten, ihre Seele verließe ihren Leib. Und sie rief: ,Bei Allah, mein Meister ist bei uns auf diesem Schiffe.' ,Bei Allah,' sagte der Haschimit, ,wenn er bei uns wäre, so würde ich ihn nicht von unserer Gesellschaft fern halten; denn er würde dir vielleicht deine Last erleichtern, so daß wir uns deines Gesanges erfreuen könnten. Aber es ist unmöglich, daß er an Bord ist.' Doch sie fuhr fort: ,Ich kann die Laute nicht schlagen noch die 'Weisen singen, wenn mein Herr bei uns ist.' Darauf sagte der Haschimit: ,Laß uns die Seeleute fragen!' ,Tu es!' erwiderte sie; und er fragte: ,Habt ihr irgend jemanden mitgenommene' Sie antworteten: ,Nein'; und weil ich fürchtete, er würde nicht weiter fragen, sprach ich lächelnd: ,Ja, ich bin ihr Meister, und ich habe sie gelehrt, als ich noch ihr Herr war.' Da rief sie: ,Bei Allah. das ist die Stimme meines Herrn.' Nun kamen die Diener und führten mich vor den Haschimiten; und als er mich erkannte, rief er: ,Wehe, in welchem Zustande muß ich dich sehen! Was ist dir widerfahren, daß du in solchem Elend biste' Ich erzählte ihm, wie es mir ergangen war, und ich weinte, und die Sklavin hinter dem Vorhang erhob ihre Klage. Auch der Haschimit und seine Brüder weinten bitterlich aus Mitleid mit mir; und er sprach: ,Bei Allah, ich bin dieser Sklavin nicht genaht, und ich hab sie nicht berührt, und ihren Gesang hab ich erst heute gehört. Ich bin ein Mann, dem Allah viel Geld und Gut verliehen hat, und ich bin nur nach Baghdad gekommen, um Gesang zu hören und mir meine Einkünfte vom Beherrscher der Gläubigen zu holen. Ich hatte schon beides getan; aber als ich in meine Heimat zurückkehren wollte, sprach ich bei mir: Ich will mir doch noch ein wenig Gesang



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von Baghdad anhören. Und dann kaufte ich diese Sklavin, ohne zu wissen, daß es so mit euch stand; nun rufe ich Allah zum Zeugen an, daß ich sie freilassen werde, sobald ich Basra erreiche. Dort will ich sie mit dir vermählen und euch beiden so viel anweisen, daß es euch genügt, ja noch mehr; doch nur unter der Bedingung, daß, sooft es mich gelüstet, Gesang zu hören, ein Vorhang für sie aufgehängt wird und sie hinter ihm singt; du selbst aber sollst zur Zahl meiner Tischgenossen und brüderlichen Freunde gehören.' Dessen freute ich mich; und der Haschimit steckte seinen Kopf hinter den Vorhang und sprach zu ihr: ,Bist du es zufrieden?' Da begann sie, ihn zu segnen und ihm zu danken. Und er rief einen seiner Diener und sprach zu ihm: ,Nimm diesen Jüngling, zieh ihm seine Kleider aus und lege ihm kostbare Kleider an; durch dufte ihn mit Weihrauch und bringe ihn dann wieder zu uns!' Der Diener nahm mich mit sich, tat mit mir, wie sein Herr ihm befohlen hatte, und führte mich zu ihm zurück; auch setzte er mir Wein vor, wie er ihn den anderen vorgesetzt hatte. Darauf begann die Maid in herrlichster Weise zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Sie schalten mich ob meiner Tränen Flut,
Als der Geliebte von mir Abschied nahm.
Sie fühlten nie, wie weh die Trennung tut,
Noch wie die Brust entbrennt in heißem Gram.
Nur der Betrübte kennt der Sehnsucht Brand,
Wenn er sein Herz verlor im Heimatland.

Darüber gerieten die Hörer in das größte Entzücken; und auch ich - so sprach der Jüngling -freute mich über die Maßen, und ich nahm der Maid die Laute ab, begann in schönster Weise zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Erbitte Wohltat nur vom edlen Mann,
Der sich in Glück und Reichtum sonnen kann!



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Wer Edle bittet, dem folgt Ehre nach;
Doch wer Gemeine bittet, erntet Schmach.
Und bleibt dir denn die Demut nicht erspart,
Sei Demut nur den Großen offenbart!
Wer Edlen Ehre bringt, wird nicht entehrt;
Nur der erniedrigt sich, der Kleine ehrt.

Die Hörer freuten sich über meinen Gesang, ja ihre Freude kannte keine Grenzen mehr, und immer und immer wieder gaben sie ihrer Freude und ihrem Entzücken Ausdruck. Das eine Mal sang ich, das andere Mal die Maid, bis wir zu einem der Landeplätze kamen; dort legte das Schiff an, und alle, die auf dem Schiffe waren, stiegen ans Ufer, und auch ich ging mit ihnen. Doch ich war trunken, und als ich mich niederhockte, um Wasser zu lassen, übermannte mich der Schlaf, und ich schlief ein, während die anderen Reisenden wieder auf das Schiff gingen. Das fuhr mit ihnen weiter stromabwärts, ohne daß sie an mich dachten, da auch sie trunken waren; ich aber hatte nichts mehr bei mir, weil ich all mein Geld der Sklavin gegeben hatte. Die anderen kamen nun bald nach Basra; doch ich wachte erst wieder auf, als die Sonne heiß ward, und als ich aufstand und mich umschaute, sah ich niemanden mehr. Ich hatte auch vergessen, den Haschimiten zu fragen, wie er hieß und wo er in Basra wohnte und wie er dort aufzufinden war. Nun war ich ratlos, und es schien mir, als ob mein frohes Wiedersehen mit der Maid nur ein Traum gewesen wäre. In meiner Verwirrung blieb ich dort stehen, bis ein großes Schiff an mir vorüberkam; das konnte ich besteigen, und so kam ich nach Basra. Weil ich dort aber niemanden kannte und auch nicht das Haus des Haschimiten wußte, ging ich zu einem Krämer und ließ mir von ihm Tintenkapsel und Papier geben.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 899. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mann aus Baghdad, dem das Mädchen gehörte, und der nun nach Basra gekommen war, aber ratlos war, da er das Haus des Haschimiten nicht kannte, des weiteren erzählte: ,Ich ging also zu einem Krämer, ließ mir von ihm Tintenkapsel und Papier geben und setzte mich nieder, um zu schreiben. Meine Handschrift gefiel ihm, und als er sah, daß mein Gewand schmutzig war, fragte er mich, wer und was ich sei; und ich tat ihm kund, daß ich ein armer Fremdling sei. Da sagte er: ,Willst du bei mir bleiben, wenn ich dir jeden Tag einen halben Dirhem und deine Nahrung und Kleidung gebe, und mir dafür die Bücher in meinem Laden führen?' ,Jawohl', sagte ich und blieb bei ihm, indem ich ihm die Bücher führte und die Eingänge und Ausgänge ordnete. Nachdem ein Monat verstrichen war, sah der Mann, daß seine Einnahmen gestiegen, seine Ausgaben aber gesunken waren; dafür dankte er mir, und von nun an gab er mir jeden Tag einen Dirhem, bis ein Jahr vergangen war. Dann bot er mir an. mich mit seiner Tochter zu vermählen und Teilhaber seines Ladens zu werden. Ich nahm seinen Vorschlag an, ging zu meiner Gattin ein und widmete mich ganz dem Laden; doch ich war im Herzen und im Geist gebrochen, und die Trauer zeigte sich in meinem Antlitz; der Krämer pflegte Wein zu trinken und mich dazu einzuladen, allein ich lehnte es in meiner Traurigkeit ab. So lebte ich zwei Jahre lang dort, bis eines Tages, während ich im Laden saß, plötzlich eine Schar von Leuten vorüberkam, die Speise und Trank bei sich hatten. Ich fragte den Krämer, was das bedeute, und er sagte: ,Heute ist der Tag der fröhlichen Leute; da ziehen die



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Musikanten und Spielleute und das junge reiche Volk hinaus zum Strome und essen und trinken unter den Bäumen am Kanal von el-Ubulla." Meine Seele lockte mich, mir das Schauspiel anzuschauen, und ich sprach bei mir selber: ,Vielleicht sehe ich unter diesen Leuten auch sie, die ich liebe.' So sagte ich denn zu dem Krämer: ,Ich möchte auch dorthin gehen'; und er antwortete: ,Es steht dir frei, mit ihnen hinauszuziehen.' Dann rüstete er mir Speise und Trank, und ich ging meines Weges, bis ich zum Kanal von el-Ubulla kam; doch da wollten die Leute gerade wieder umkehren. Schon wollte ich mit ihnen zurückgehen, aber ich sah plötzlich den Führer des Schiffes, auf dem der Haschimit mit der Sklavin gefahren war; der zog in eigener Person den Kanal von el-Ubulla entlang. Ich rief ihn und seine Gefährten an, und sie erkannten mich und nahmen mich mit sich. ,Ach, bist du noch am Leben?' riefen sie und umarmten mich und fragten mich nach meinen Erlebnissen; die erzählte ich ihnen. Dann sagten sie: ,Wir glaubten wirklich, der Rausch hätte dich übermannt und du wärest im Wasser ertrunken.' Als ich sie aber fragte, wie es der Sklavin ergehe, antworteten sie: ,Sobald sie von deinem Verlust erfuhr, zerriß sie ihre Gewänder, verbrannte die Laute und begann sich zu schlagen und zu klagen. Nachdem wir mit dem Haschimiten wieder in Basra angekommen waren, sprachen wir zu ihr: ,Laß ab von diesem Weinen und Trauern!' Doch sie erwiderte: ,Ich will schwarze Kleider anlegen und mir ein Grab nebem diesem Hause errichten; und bei jenem Grabe will ich sitzen und das Singen bereuen.' Wir ließen ihr den Willen, und so lebt sie noch bis auf den heutigen Tag.' Dann nahmen sie mich mit sich, und als ich zum Hause des



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Haschimiten kam, sah ich sie so, wie mir gesagt war. Kaum erblickte sie mich, da schrie sie so laut auf, daß ich vermeinte. sie sei gestorben; doch dann umarmte ich sie eine lange Zeit. Der Haschimit aber sprach zu mir: ,Nimm sie!' und ich erwiderte: ,Gern; doch laß du sie frei, wie du mir versprochen hast, und vermähle sie mir!' Er tat es und schenkte uns kostbare Waren, Gewänder in großer Zahl, Hausgeräte und fünfhundert Dinare, indem er sprach: ,Dies ist der Betrag, den ich euch für jeden Monat anzuweisen gedenke, doch unter der Bedingung, daß du mein Tischgenosse wirst und daß ich ihren Gesang hören kann.' Ferner bestimmte er ein Haus für uns allein und ließ alles, dessen wir bedurften, dorthin schaffen; und als ich mich zu jenem Hause begab, fand ich, daß es mit Hausrat und Stoffen angefüllt war, und so brachte ich die Maid dorthin. Darauf ging ich zu dem Krämer und tat ihm alles kund, was ich inzwischen erlebt hatte; zugleich aber bat ich ihn, mir die Scheidung von seiner Tochter zu gestatten, ohne daß eine Schuld vorläge; und ich zahlte ihr die Morgengabe und was mir sonst noch oblag.' Auf diese Weise lebte ich zwei Jahre lang bei dem Haschimiten, und ich wurde ein Mann von großem Reichtum, so daß ich wieder in dem gleichen Überflusse leben konnte wie einst mit der Sklavin in Baghdad. Allah, der Allgütige, machte unserer Not ein Ende und überschüttete uns mit der Fülle von Glücksgütern; Er bestimmte, daß der Lohn für unsere Geduld die Erreichung unserer Wünsche war, und Ihm gebührt Lob in dieser und in jener Welt immerdar. Und Allah weiß es am besten!'


Copyright: arpa, 2015.

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