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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM OBERÄGYPTER UND SEINEM FRÄNKISCHEN WEIBE

Der Emir Schudschâ' ed-Dîn Mohammed, der Statthalter von Kairo. hat berichtet:

Wir nächtigten einst im Hause eines Mannes aus Oberägypten, und er bewirtete uns aufs gastlichste. Jener Mann war aber dunkel, so dunkel, wie er nur sein konnte, und er war hochbetagt; doch er hatte kleine Kinder, deren Farbe rötlichweiß war. Da sprachen wir zu ihm: ,Du da, wie kommt es, daß diese deine Kinder weiß sind, während du selbst so dunkel bist?' Er antwortete: ,Ihre Mutter ist eine Fränkin, die ich einst erbeutet habe; und was ich mit ihr erlebt habe, ist wunderbar.' Wir sagten darauf: ,Laß es uns hören!' Und er sprach: ,Gern!'

,So wisset denn, ich hatte einst in dieser Gegend Flachs gesät, hatte ilm dann raufen und hecheln lassen, und hatte dafür fünfhundert Dinare ausgegeben. Dann wollte ich ihn verkaufen, aber ich konnte nicht mehr dafür bekommen, als er mich gekostet hatte. Da sagten die Leute zu mir: ,Bring ihn doch nach Akko; vielleicht wirst du dort großen Gewinn durch ihn erzielen.' Nun war Akko damals noch in den Händen der Franken, und als ich dorthin gekommen war, verkaufte ich einen Teil des Flachses mit einer Zahlungsfrist von sechs Monaten. Eines Tages aber, als ich gerade verkaufte, kam eine fränkische Frau auf mich zu; und die fränkischen Frauen haben die Sitte, ohne Schleier auf den Basar zu gehen. Sie kam, um Flachs von mir zu kaufen; doch ich sah so viel von ihrer Schönheit. daß mein Verstand geblendet ward, und so verkaufte ich ihr etwas um einen sehr geringen Preis, und sie nahm es und ging davon. Nach einigen Tagen kam sie wieder zu mir, und ich verkaufte ihr etwas um einen noch geringeren Preis als das



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erste Mal; dann wiederholte sie ihre Besuche noch öfters, denn sie erkannte, daß ich sie lieb hatte. Es war aber ihre Gewohnheit, in Begleitung einer Alten zu gehen; und so sprach ich zu jener Alten, die bei ihr war: ,Ich bin von heißer Liebe zu ihr entbrannt. Kannst du es für mich erwirken, daß ich mit ihr vereint werde ?' Sie erwiderte: ,Das will ich dir erwirken: aber dies Geheimnis muß unter uns dreien bleiben, mir und dir und ihr! Und außerdem mußt du natürlich Geld aufwenden.' Ich sprach: ,Sollte auch mein Leben der Preis für mein Beisammensein mit ihr sein, es wäre nicht zuviel.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 895. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte jenem Manne zur Antwort gab: ,Doch dies Geheimnis muß zwischen uns dreien bleiben, mir und dir und ihr; und du mußt natürlich auch Geld aufwenden.' ,Und ich sprach' —so erzählte der Mann weiter -: ,Sollte auch mein Leben der Preis für mein Beisammensein mit ihr sein, es wäre mir nicht zuviel.' Wir kamen überein, daß ich ihr fünfzig Dinare zahlen und daß sie zu mir kommen sollte; und als ich das Geld beschafft hatte, übergab ich es der Alten. Nachdem sie die fünfzig Goldstücke erhalten hatte, sprach sie zu mir: ,Rüste ihr ein Gemach in deinem Hause; so wird sie heute nacht zu dir kommen!' Darauf ging ich hin und machte bereit, soviel ich vermochte, an Speise und Trank, Wachskerzen und Süßigkeiten. Mein Haus aber schaute aufs Meer, und weil es damals um die Sommerszeit war, so breitete ich das Lager auf der Dachterrasse aus. Als nun die Fränkin kam, aßen und tranken wir. Dann ward die Nacht dunkel, und wir ruhten unter freiem Himmel; der Mond schien auf uns herab, und wir konnten sehen, wie die Sternbilder



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sich im Meere spiegelten. Da sprach ich bei mir selber: ,Schämst du dich nicht vor Allah, dem Allgewaltigen und Glorreichen, du, ein Fremdling im Lande, daß du hier unter freiem Himmel und angesichts des Meeres dich gegen Gott mit einer Nazarenerin versündigen und dir die Strafe des höllischen Feuers verdienen willst? O mein Gott, ich rufe dich als Zeugen an, daß ich mich in dieser Nacht dieser Christin enthalten habe aus Scheu vor dir und aus Furcht vor deiner Strafe!' Dann schlief ich bis zum Morgen; sie aber erhob sich zornig, sobald der Tag graute, und kehrte heim.' Darauf begab ich mich zu meinem Laden und setzte mich dort nieder; und siehe da, schon kam sie wieder des Wegs, schön wie der Mond, begleitet von der Alten, die auch ergrimmt war. Ich wollte fast vergehen, und ich sprach zu mir selber: ,Was für ein Mensch bist du denn, daß du dieser Maid entsagen kannst? Bist du etwa es-Sarî es-Sakatî oder Bischr el-Hâfi oder el-Dschunaid el-Baghdâdi oder el-Fudail ibn 'Ijâd?"Und ich lief der Alten nach und sprach zu ihr: ,Bring sie mir noch einmal!' Doch sie erwiderte: ,Beim Messias, sie wird nicht wieder zu dir kommen, es sei denn um hundert Dinare.' Darauf sagte ich: ,Ich will dir hundert Goldstücke geben.' Und als ich ihr das Geld gegeben hatte, kam die Fränkin ein zweites Mal zu mir. Wie sie aber bei mir war, stiegen wieder die gleichen Gedanken in mir auf, und ich enthielt mich ihrer und ließ sie unberührt, um Allahs des Erhabenen willen. Nachdem sie fortgegangen war, begab ich mich zu meinem Laden; und wiederum kam die Alte voll Zorn zu mir, und ich bat sie: ,Bring sie mir noch einmal!' Sie entgegnete: ,Beim Messias, du sollst dich ihrer Anwesenheit nie mehr erfreuen, es sei denn um fünfhundert Dinare, sonst magst du vor Kummer sterben!' Darüber erschrak



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ich, und ich beschloß, den ganzen Erlös für den Flachs aufzuwenden, um so mein Leben loszukaufen. Doch ehe ich mich dessen versah, hörte ich, wie der Ausrufer verkündete: ,Ihr Muslime allzumal, der Waffenstillstand zwischen uns und euch ist abgelaufen. Wir geben allen Muslimen, die hier sind, eine Woche Zeit, auf daß sie ihre Geschäfte erledigen und in ihr Land fortziehen können!' So wurde sie von mir getrennt; und ich machte mich daran, das Geld für den Flachs einzutreiben, den die Leute von mir mit Zahlungsfrist gekauft hatten, und das, was von ihm noch übrig blieb, gegen andere Waren einzutauschen. Ich nahm schöne Waren mit und verließ Akko, das Herz voll von heißer und leidenschaftlicher Liebe zu der Fränkin, an die ich mein Herz und mein Geld verloren hatte. Ich zog aber meines Weges weiter, bis ich nach Damaskus kam, und dort verkaufte ich die Waren, die ich von Akko mitgebracht hatte, zu den höchsten Preisen, da die Stadt wegen des Ablaufs des Waffenstillstandes von allen Verbindungen abgeschnitten war; so gewährte Allah, der Gepriesene und Erhabene mir großen Gewinn. Nun begann ich mit gefangenen Sklavinnen zu handeln, damit mein Herz von seinem Verlangen nach der Fränkin befreit würde; und ich widmete mich eifrig dieser Beschäftigung. Nachdem ich drei Jahre lang solchen Handel getrieben hatte, kam es zwischen el-Malik en-Nâsir' und den Franken zu den bekannten Schlachten; Allah gab ihm den Sieg über die Feinde, so daß er alle ihre Fürsten gefangen nahm und das Küstenland von Palästina mit der Erlaubnis Gottes des Erhabenen eroberte. Da traf es sich, daß ein Mann zu mir kam und von mir eine Sklavin für el-Malik en-Nâsir kaufen wollte; ich hatte damals eine schöne Sklavin, und als



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ich sie ihm zeigte, kaufte er sie von mir für den Herrscher um hundert Dinare. Neunzig Dinare brachte er mir sofort, doch zehn blieb er mir schuldig, da sich an jenem Tage nicht mehr Geld im Schatze vorfand; denn der König hatte all sein Geld für den Krieg mit den Franken ausgegeben. Als man ihm dies berichtete, sprach er: ,Führt den Mann zudem Raum, in dem die Kriegsgefangenen sind, und laßt ihn unter den Töchtern der Franken wählen, damit er sich eine von ihnen an Stelle der zehn Dinare nehmen kann.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 896. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Malik en-Nâsir sprach: ,Laßt ihn eine wählen, damit er sie an Stelle der zehn Dinare nehme, die ihm gebühren.' Darauf nahmen sie mich und führten mich zum Raume der Gefangenen; als ich mich dort umsah und alle Gefangenen anschaute, erblickte ich auch die fränkische Frau, zu der ich einst in Liebe entbrannt war. und ich erkannte sie mit Sicherheit. Sie war die Gattin eines von den fränkischen Rittern; und ich sprach: ,Gebt mir die!' Ich empfing sie und führte sie in mein Zelt; doch wie ich sie fragte: ,Kennst du mich?' erwiderte sie: ,Nein.' Dann sagte ich zu ihr: ,Ich bin dein Freund, der frühere Flachshändler. und ich habe mit dir erlebt, was damals geschah, und du hast das Gold von mir genommen. Du ließest mir sagen, ich solle dich nie wiedersehen, es sei denn um fünfhundert Dinare; und jetzt habe ich dich für zehn Dinare zum Eigentum erhalten.' Darauf sprach sie zu mir: ,Das geschah durch die geheime Kraft deines wahren Glaubens; ich bezeuge jetzt, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Allahs ist!' So wurde sie Muslimin, und ihr Glaube



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war schön. Ich aber sprach bei mir selber: ,Bei Allah, ich will nicht eher zu ihr eingehen, als bis ich sie freigelassen und es dem Kadi gemeldet habe.' So ging ich denn zu Ibn Schaddâd und erzählte ihm, was geschehen war, und der vermählte mich mit ihr. In der nächsten Nacht ruhte ich bei ihr, und sie empfing durch mich; bald darauf zogen die Truppen ab; und wir kehrten nach Damaskus zurück. Nach wenigen Tagen jedoch kam ein Bote des Frankenkönigs und forderte alle Gefangenen zurück auf Grund eines Vertrages der zwischen den Königen geschlossen war. Nun wurden alle Gefangenen, Männer und Frauen zurückgegeben; nur die Frau, die bei mir war, blieb noch übrig. Da sagten die Franken: ,Die Frau des Ritters Soundso ist noch nicht da'; und sie forschten nach ihr emsig und eifrig. Schließlich erfuhren sie, daß sie bei mir war, und sie forderten sie von mir. Ich eilte zu ihr hin, tiefbetrübt und mit bleichem Antlitz; und sie fragte mich: ,Was ist dir? Welches Unheil ist dir widerfahren?' Ich antwortete: ,Ein Bote vom König ist gekommen, um alle Gefangenen zu holen, und man hat dich von mir gefordert.' Doch sie sprach: ,Sorge dich nicht! Führe mich zum König; ich weiß, was ich vor ihm zu sagen habe!' So nahm ich sie denn und führte sie vor den Sultan el-Malik en-Nâsir, zu dessen rechter Seite der Bote des Frankenkönigs saß, und ich sprach: ,Dies ist die Frau, die bei mir war.' Da sagten el-Malik en-Nâsir und der Gesandte zu ihr: ,Willst du in dein Land oder zu deinem Gatten zurückkehren? Gott hat dich und die anderen befreit.' Sie antwortete dem Sultan: ,Ich bin eine Muslimin geworden, und ich bin schwanger, wie ihr es an meinem Leibe seht; jetzt haben die Franken keinen Nutzen mehr von mir.' Doch der Gesandte fragte: ,Wer ist dir lieber, dieser Muslim oder dein erster Gatte, der Ritter Soundso?' Und sie gab ihm die gleiche Antwort



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wie dem Sultan. Der Gesandte sagte darauf zu den Franken, die bei ihm waren: ,Habt ihr ihre Worte vernommen?' ,Jawohl', erwiderten sie; und der Gesandte sprach zu mir: ,Nimm deine Frau und geh mit ihr deiner Wege!' Doch als ich mit ihr fortgegangen war, schickte er mir einen Eilboten nach und ließ mir sagen: ,Ihre Mutter ließ ihr durch mich etwas senden, da sie sprach: ,Meine Tochter ist gefangen und nackend; ich möchte, daß du ihr diese Truhe bringst.' So nimm du sie denn hin und übergib sie ihr!' Ich nahm die Truhe in Empfang, brachte sie nach Hause und gab sie meiner Gattin. Sie öffnete sie und entdeckte in ihr alle ihre eigenen Gewänder; auch fand ich die beiden Beutel voll Goldstücke wieder, einen mit fünfzig und einen mit hundert Dinaren, und ich erkannte sie an meiner Schnur, an der nichts geändert war. Da dankte ich Allah dem Erhabenen. Diese hier sind die Kinder, die sie geboren hat; und sie lebt noch bis auf den heutigen Tag, und sie ist es, die euch diese Speisen zubereitet hat.'

Wir verwunderten uns über seine Geschichte und über das Glück, das ihm widerfahren war. Allah aber weiß es am besten.

Und ferner wird erzählt


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