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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON NÛR ED-DÎN UND MARJAM DER GÜRTLERIN

Einst lebte in alten Zeiten und längst entschwundenen Vergangenheiten ein Kaufherr in Ägyptenland; der war Tâdsch ed-Dîn geheißen, und er gehörte zu den vornehmen Männern vom Handel, den edlen Leuten von unsträflichem Wandel. Doch zum Wandern in allen Gegenden hatte er einen lebhaften Hang, durch Wüsten und Steppen führte ihn sein Reisedrang, durch Niederungen und über steinige Höhen und zu den Inseln in den Meeren, um die Dirhems und Dinare zu vermehren. Er hatte Sklaven und Mamluken, Diener und Mägdescharen,



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und seit langem trotzte er den Gefahren, ja, durch das, was er durchmachte auf seinen Reisen, würden kleine Kinder zu Greisen. Er war der reichste Kaufmann seiner Zeit und besaß die schönste Beredsamkeit. An Rossen und Maultieren war er reich, an Kamelen und Dromedaren zugleich; Säcke, groß und klein, Waren und Güter nannte er sein, dazu Stoffe. unvergleichlich fein: da waren Musseline, in Hirns gemacht, und feine Gewänder, aus Baalbek gebracht, Brokate und Kleider, aus Merw gesandt, und Stoffe aus dem Inderland, Knöpfe, in Baghdad hergestellt, und Bumusse aus der maurischen Welt, türkische Mamluken, abessinische Eunuchen, Sklavinnen aus Griechenlands Gauen und Diener aus Ägyptens Auen. Die Hüllen seiner Ballen aber waren aus Seide, denn sein Reichtum ging so weit, auch war er von großer Stattlichkeit, würdevoll schritt er dahin, und Güte erfüllte seinen Sinn, und so sang zu seinem Preise einer von ihm in dieser Weise:

Ich schaute die, so einen Kaufmann liebten;
Sie kämpften miteinander heiß und schwer.
Er sprach:, Warum ist dort das Volk in Aufruhr?'
Ich sprach: ,üm deiner Augen willen, Herr!'

Und ein anderer, dessen Schilderung vortrefflich war, brachte ihm in diesen Worten seine Huldigung dar:

Ein Kaufmann kam zu uns in seiner Freundschaft;
Sein Blick verstörte mir das Herze schwer.
Erfragte mich:, Warum so in Verstörung?'
Ich sprach: ,üm deiner Augen willen, Herr!'

Jener Kaufmann hatte einen Sohn des Namens All Nur ed-Dîn; der war wie der volle Mond, wenn er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront, herrlich an Schönheit und Lieblichkeit, zierlich an Wuchs und Ebenmäßigkeit. Nun saß jener Jüngling eines Tages im Laden seines Vaters, wie es seine Gewohnheit



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war, um seinem Handeisberufe zu leben, zu nehmen und zu geben. Da umringten ilm die Söhne der Kaufleute, und er war unter ihnen gleichwie der Mond unter den Sternen, mit einer Stirn, so hell und klar, einem rosigen Wangenpaar, bedeckt von Flaum, so zart und fein, mit einem Leibe wie von Marmorstein, wie der Dichter von ihm sagt:

Ein Schöner sprach: ,Beschreibe mich!
Du bist ja der Beschreiber Zier."
Ich sprach darauf mit kurzem Wort:
,Ach, alles ist so schön an dir.'

Und wie ein anderer ihn mit diesen Worten beschrieb:

Das Mal auf seiner Wange gleicht dem Körnchen
Von Ambra, das auf Marmorgrund erscheint.
Und seine schwertergleichen Blicke rufen
Den Schlachtruf wider jeden Liebesfeind.

Da luden die Söhne der Kaufleute ihn ein mit den Worten: ,Lieber Herr Nûr ed-Dîn, wir möchten uns heute mit dir in demunddem Garten vergnügen.' Er gab ihnen zur Antwort: ,Darüber muß ich erst meinen Vater befragen; denn ich kann nicht ohne seine Erlaubnis fortgehen.' Während sie so miteinander sprachen, da kam gerade sein Vater Tâdsch ed-Dîn; der Sohn schaute ihn an und sprach: ,Vater, die Söhne der Kaufleute haben mich eingeladen, ich möchte mich mit ihnen in demunddem Garten ergehen; gibst du mir die Erlaubnis dazu?' ,Ja, mein Sohn', erwiderte jener; und dann gab er ihm etwas Geld, indem er hinzufügte: ,So geh denn mit ihnen!' Da bestiegen die Söhne der Kaufleute Esel und Maultiere, und auch Nûr ed-Dîn stieg auf eine Mauleseln und ritt mit ihnen zu einem Garten, in dem alles war, was die Seele begehrt und das Auge erfreut. Er hatte Mauern, die sich in die Höhe reckten,



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fest gebaut, daß sie sich in die Lüfte erstreckten; darinnen war ein gewölbtes Portal, gleich Arkaden in einem Saal, mit einer Tür so blau wie die Türen der Paradiesesau; der Torwächter war Ridwân' genannt, und darüber waren hundert Gitter mit Trauben von allen Farben gespannt: die roten trugen der Korallen Schein, die schwarzen schienen Nüstern von Negern, die weißen aber Taubeneier zu sein. Und darinnen waren Pfirsiche und Granatäpfel, Birnen, Aprikosen und Äpfel; und alle diese verschiedenen Bäume standen in Reihn oder auch allein. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 864. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Söhne der Kaufleute, als sie den Garten betreten hatten, alles, was Lippe und Zunge begehren, darinnen gewahrten und Trauben fanden von verschiedensten Arten. dazu Fruchtbäume in Reihn oder auch allein. Von ihnen singt der Dichter:

Dort wachsen Trauben, die da schmecken gleich dem Wein;
Die schwarze Farbe könnte die des Raben sein.
Und zwischen Rebenblättern leuchten sie versteckt
Wie Frauenfinger, von der Henna Glanz bedeckt.

Oder auch, wie ein andrer Dichter sagt:

Dort wachsen Trauben, die an Stengeln hängen:
Die scheinen wie mein hagrer Leib zu sein.
Sie gleichen Honigwasser in der Schale;
Aus grünen Früchten wird ein edler Wein.

Dann begaben sie sich zu der Laube des Gartens; und dort schauten sie Ridwân, den Torwächter des Gartens, wie er in jener Laube saß, als wäre er der Engel, Ridwân genannt, der



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die Gärten hütet im himmlischen Land. Über der Tür zu der Laube sahen sie diese beiden Verse geschrieben:

Den Garten tränkte Gott, darinnen Trauben hängen
An schwanken Reben, von des Saftes Fülle schwer.
Und wenn die Zweige dort im Hauch des Zephirs tanzen,
So wirft der Regenstern' darauf ein Perlenmeer.

Und ferner sahen sie, wie in der Laube drinnen diese beiden Verse geschrieben standen:

Wohlan, tritt mit uns ein, o Freund, in einen Garten,
Der dir das Herze frei vom Rost des Kummers macht!
Dort stolpert gar der Zephir über seine Säume,
Indes der Blumen Schar sich in den Ärmel lacht.

Und in jenem Garten waren Fruchtbäume von mancherlei Arten, um die sich vielerlei Vögel von allen Farben scharten; da waren Ringeltauben, Nachtigallen, Brachvögel, Turteltauben und die anderen Tauben all, und von den Zweigen herab erklang ihrer Stimmen Schall. In seinen Bächen rann das Wasser klar, und darinnen spiegelte sich wunderbar der Blumen und der Früchte Bild, das den Beschauer mit Lust erfüllt. wie es der Dichter in diesen beiden Versen ausgedrückt hat:

Es weht ein Zephir dort um Zweige, und sie gleichen
Den Mädchen, die in ihren schönen Kleidern schwanken.
Des Gartens Bäche blitzen wie gezückte Schwerter,
Der Scheid' entrissen von der Ritter Hand, die blanken.

Oder wie ein andrer Dichter von ihm singt:

Das Bächlein fließet an den Zweigen hin und spiegelt
Ihr lieblich Bild in seinem Herzen immerfort;
Allein der Zephir merkt es, und er eilt zu ihnen
In seiner Eifersucht und zieht sie von ihm fort.



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Und auf den Bäumen jenes Gartens befanden sich Früchte jeglicher Art in Paaren, unter ihnen auch Granatäpfel, die gleich Bällen aus Silberschlacke waren, wie der Dichter so schön von ihnen sagt:

Granaten dort, mit zarter Haut, sie gleichen
Den festen Brüsten einer jungen Maid.
Lös ich die Haut, so zeigen sich Rubinen;
Ich schau sie an in Traumverlorenheit.

Und ein andrer Dichter singt von ihnen:

Wer in ihr Innres blickt, dem zeigt die Frucht, die runde,
Rubinen, in den Falten zarten Tuchs versteckt.
Doch ich vergleiche die Granate, die ich anschau,
Der Mädchenbrust, der Kuppel, die der Marmor deckt.
Sie bringt dem kranken Manne Heilung und Genesung;
Auch der Prophet, der reine, hat sie einst genannt.
Und schöne Worte spricht von ihr der Hocherhabne
In dem geschriebnen Buch, das Er herabgesandt.

In dem Garten waren auch Zuckeräpfel und Muskatäpfel', die den Beschauer entzückten, wie der Dichter von ihnen sagt:

Im Apfel sind der Farben zwei, gleichwie die Wangen
Des Freundes und der Freundin, wenn sie eng vereint.
Zwei wunderbare Gegensätze dort am Aste,
Von denen einer hell, der andre dunkel scheint!
Ein Späher sah den Kuß, sie schraken auf sogleich,
Die eine rot vor Scham. der andre liebesbleich.

Ferner waren in dem Garten Mandelaprikosen und Kampferaprikosen und solche aus Gilân' und aus 'Antâb', von denen der Dichter spricht:

Die Mandelaprikose gleicht dem Liebestor,
Der bei der Freundin Nahen den Verstand verlor.



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Der Frucht ward er in seinem Wahne gleich,
Sein Herz' zerbrach, sein Antlitz wurde bleich.

Und ein anderer sagt auch vortrefflich:

Schau auf die Aprikose in der Blütezeit -
Ein Garten, der dem Auge froh entgegenlacht!
Wie Sterne sind die Blüten, wenn sie aufgewacht -
Den Zweig bedeckt der Blüten und der Blätter Kleid.

Auch Pflaumen waren in dem Garten vorhanden, dazu Kornelkirschen und Weintrauben. die den Kranken von allen Leiden heilen und bewirken, daß Schwindel und Gelbsucht aus dem Kopfe enteilen. Und Feigen waren auf ihren Zweigen, rot und grün, deren Anblick Sinn und Auge hoch erfreut, wie ihnen auch der Dichter die Worte weiht:

Die Feigen gleichen, wenn das Weiße mit dem Grünen
Sich zwischen Blättern auf den Bäumen eng gesellt,
Den Griechensöhnen auf den hohen Burgen,
Die dort in dunkler Nacht die Pflicht der Wache hält.

Schön sagt auch ein andrer:

Willkommen, Feigen, die uns nahen
Auf einem Teller aufgereiht,
Gleich einem reich gedeckten Tische,
Dem doch kein Ring ein Band verleiht.

Und ebenso schön sagt ein dritter:

Gib mir die süßen Feigen im Gewand der Anmut;
Ihr äußrer Anblick gleicht der innren Wesenheit.
Wenn du sie kosten', werden sie dir bringen
Zugleich Kamillenduft und Zuckersüßigkeit;
Wenn du sie auf die Teller schüttest, wird ein Bild
Von grünen Seidenbällen deinem Blick enthüllt.



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Und wie herrlich sind die Verse eines anderen:

Sie fragten, als ich nur die Feigen essen wollte
Und keine andre Frucht, auf die sie immer schworen:
Warum denn liebst du Feigen?' Und ich sprach: ,Der eine
Hat Feigen gern, der andre liebt die Sykomoren.'

Doch noch herrlicher sind die Verse eines anderen:

Von allen andern Früchten liebe ich die Feige,
Wenn sie am schönen Zweig mir reif entgegenlacht.
Da gleicht sie, wenn die Wolken regnen, einem Beter,
Der heiße Tränen weint in Furcht vor Gottes Macht.

Und in jenem Garten waren Birnen aus Tür' und aus Aleppo und aus Griechenland, alle von mancherlei Art, gepaart und auch nicht gepaart. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 865. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Söhne der Kaufleute, als sie sich in jenen Garten begaben, dort all die Früchte sahen, die wir genannt haben; so fanden sie dort auch Birnen aus Tûr und aus Aleppo und aus Griechenland, alle von mancherlei Art, gepaart und auch nicht gepaart, gelbe und grüne, ein Anblick, der den Beschauer zum Staunen bringt, so wie der Dichter von ihnen singt:

Dir munde gut die Birne, deren helle Farbe
So gelb ist wie der Mann, den Liebe hart bedrängt.
Sie gleicht der jungen Maid, die in der Kammer weilet,
Von deren Antlitz sich der Schleier niedersenkt.

Es waren auch Sultanspfirsiche dort von allerlei verschiedenen Farben, gelbe und rote, von denen der Dichter sagt:



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In seinem Garten ist der Pfirsich,
Wenn er so rot wie Drachenblut.
Der Kugel gleich von rotem Golde,
Darauf des Blutes Farbe ruht.

Und weiter waren dort grüne Mandeln von herrlicher Süße, die dem Palmenmark glichen, und ihr Kern war geborgen in dreifachem Gewand, gewirkt von des allgütigen Königs Hand, wie es von ihnen heißt:

Auffrischen Leibe ruht ein dreierlei Gewand,
In mancherlei Gestalt gewirkt von Gottes Hand.
Es zeigt ihm Tag und Nacht der Hörte Grausamkeit;
Und doch tat der Gefangne keinem je ein Leid.

Und trefflich sagt ein andrer:

O siehst du nicht die Mandeln, die ein Pflücker
Von ihren Zweigen nahm mit seiner Hand?
In ihren Schalen leuchten uns die Kerne
Den Perlen gleich, die man in Muscheln fand.

Doch noch trefflicher sang ein dritter:

Die grünen Mandeln, o, wie schön!
Die Hand umspannt die kleinste kaum.
Ach, ihre leinen Härchen sind
Wie zarten Jünglings Wangenflaum.
Und ihre Kerne drinnen sind
Gedoppelt bald, und bald allein.
Den hellen Perlen gleichen sie,
Geborgen im Smaragdenschrein.

Und ebenso trefflich sagt ein vierter:

Mein Aug sah niemals, was den Mandeln gliche
An Lieblichkeit in ihrer Blütezeit.
Die Häupter sind bedeckt von grauem Haare,
Wenn sie gereift in zarten Flaumes Kleid.



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Dann waren auch Lotusfrüchte im Garten dort von verschiedener Art, gepaart und auch nicht gepaart, von denen ein Dichter sagt, der sie schildert:

Die Lotusfrüchte schau dort aufgereiht an Ästchen!
Wie schöne Aprikosen' glänzen sie am Rohr;
Und den Beschauern leuchten ihre gelben Früchte
Wie goldgeformte Glöckchen aus dem Busch hervor.

Schön sagt auch ein andrer:

Der Lotusbaum hat jeden Tag
Ein neu Gewand der Lieblichkeit.
Und seine Früchte scheinen dann.
Wenn sich das Auge ihnen weiht,
Wie Glöckchen aus dem reinsten Gold.
An Zweigen hängend aufgereiht.

Ferner waren dort Orangen von der Farbe des Chalandschholzes', für die ein Dichter, in Liebe entbrannt, die Worte fand:

Die Rote füllt die Hand, sie glänzt in voller Schöne;
Von außen ist sie Feuer, drinnen ist sie Schnee.
O Wunder, daß der Schnee nicht schmilzt bei solchem Feuer!
O Wunder, daß ich keine Feuerflamme seh!

Und ein andrer sagte so schön:

Dort sind Orangenbäume, ihre Früchte gleichen,
Wenn der Beschauer sie genau betrachtet hat,
Den Wangen einer Frau, die sich zum Schmucke einhüllt
Am Tag des Festes in Gewänder aus Brokat.

Und ebenso schön sagt ein dritter:

Wenn in den Orangenhainen lau der Zephir weht
Und durch alle ihre Zweige leises Zittern geht,
Sind die Früchte gleichwie Wangen in der Anmut Kleid,
Denen andre Wangen nahen zu des Grußes Zeit.



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Ebenso schön sagte auch ein vierter:

Da war ein Reh; ich sagte ihm: ,Beschreibe mir
Den Blumengarten mein und die Orangen hier!'
Es sprach zu mir: ,Dein Garten gleicht dem Antlitz mein;
Doch wer Orangen sammelt, sammelt Feuer ein.'

Auch Zitronen wuchsen in jenem Garten, deren Farbe der des Goldes glich; die Bäume standen auf einem erhöhten Ort, und ihre Früchte hingen an den Zweigen dort, als wären sie ein Goldbarrenhort: ihnen hat im Liebesleid ein Dichter diese Verse geweiht:

Schau auf die Zitronenhaine, wenn die Furcht dir nahet,
Daß die Zweige mit den Früchten brechen und versagen.
So der Zephir durch sie hinstreicht, scheint es deinem Auge,
Daß die Zweige dort nur Barren reinen Goldes tragen.

Dazu gab es auch noch Zedraten in dem Garten, die an ihren Zweigen hingen und deren jede der Brust einer gazellen gleichen Jungfrau glich; sie waren so schön, wie man nur zu wünschen wagt, und sie sind es, von denen der Dichter trefflich sagt:

Du siehest die Zedrate dort am Garten wege,
Am frischen Zweige, der sich biegt wie eine Maid.
Wenn sie der Wind bewegt, so schwingt sie gleich dem Balle
Aus Gold, dem ein smaragdner Schlegel Schwung verleiht.

So war dort auch noch die süßduftende Limone. die dem Hühnerei gleicht, nur daß die reife Frucht sich mit gelbem Kleide schmückt; und ihr Duft erfrischt den, der sie pflückt. Das hat einer, der sie beschrieb, in diesen Worten ausgedrückt:

O sieh doch die Limone, wenn ihr Glanz
Erstrahlt und aller Augen bald entzückt!
Sie gleicht dem Ei des Huhnes, wenn die Hand
Es mit der gelben Safranfarbe schmückt.

Ja, in jenem Garten befanden sich alle Früchte und duftenden Pflanzen, grüne Kräuter und Blumen; da waren Jasmin, Henna



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blüten, Pfefferpflanzen, Ambranarden, Rosen jeglicher Art, Wegerich, Myrten, kurz, duftende Kräuter von allen Arten. Jener Garten war unvergleichlich schön, und er schien dem, der ihn anschaute, ein Stück des Paradieses zu sein. Wenn ein Kranker ihn betrat, verließ er ihn als ein reißender Löwe. Ihn zu beschreiben vermag keine Zunge auf Erden, da er solche Wunder und Seltenheiten enthielt, die sonst nur im Paradiese gefunden werden. Wie sollte es auch anders gewesen sein? Denn sein Türhüter war Ridwân genannt, wiewohl zwischen beider Rang ein großer Unterschied bestand! Nachdem die Söhne der Kaufleute sich im Garten umgeschaut hatten, setzten sie sich nieder; nun hatten sie sich vergnügt und ergötzt und saßen auf einer der Estraden. Nûr ed-Dîn aber hatten sie in der Mitte jener Estrade Platz nehmen lassen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 866. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Söhne der Kaufleute. als sie sich auf die Estrade setzten, Nûr ed-Dîn dort in der Mitte Platz nehmen ließen, auf einem Stück aus goldgesticktem Leder, wo er sich auf ein rundes Kissen lehnen konnte, das mit Straußendaunen gefüllt und aus Hermelinpelz hergestellt war. Dann reichten sie ihm einen Fächer aus Straußenfedern, auf dem diese beiden Verse geschrieben standen:

Ein Fächer, den der Hauch des Zephirs süß durchduftet,
Der Freude schöner Zeiten ins Gedächtnis ruft.
Ins Antlitz eines edlen, hochgernuten Jünglings
Weht er zu allen Stunden seinen süßen >Duft.

Darauf legten jene Jünglinge die Turbane und Obergewänder ab, die sie trugen, und saßen da, indem sie plauderten und sich unterhielten und einer den anderen ins Gespräch zog; ein jeder



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von ihnen aber schaute nur auf Nur ed-Dîn und betrachtete seine schöne Gestalt. Nachdem sie eine Weile so in Ruhe dagesessen hatten, kam ein schwarzer Sklave zu ihnen mit einer Speiseplatte auf dem Kopfe, auf der sich Schüsseln aus Porzellan und Kristall befanden; denn einer von den Söhnen der Kaufleute hatte die Seinen zu Hause damit beauftragt, ehe er sich zu dem Garten begeben hatte. Auf jener Platte befand sich von allem, was da kreucht und fleugt und im Wasser schwimmt; da waren Flughühner, Wachteln, junge Tauben, Lammbraten und die feinsten Fische. Als die Platte vor ihnen niedergesetzt war, rückten sie heran und aßen, bis sie gesättigt waren. Und nachdem sie die Mahlzeit beendet hatten, erhoben sie sich vom Tische und wuschen sich die Hände mit reinem Wasser asser und Moschusseife; darauf trockneten sie ihre Hände in Tüchern, die mit Seide und Fäden aus Gold und Silber gestickt waren. Für Nûr ed-Dîn aber brachten sie ein Tuch, das ganz mit rotem Golde bestickt war, und er trocknete sich die Hände daran ab. Dann wurde der Kaffee gebracht, und ein jeder von ihnen trank, soviel er wollte. Als sie danach wieder plaudernd beisammensaßen, ging plötzlich der Hüter des Gartens fort, und er kehrte mit einem Korb voll Rosen zurück und sprach: ,Was sagt ihr zu den Blumen, meine Gebieter?' Einer von den jungen Kaufleuten antwortete ihm: ,Die können nichts schaden, besonders die Rosen, die niemand zurückweisen kann.' ,So ist es,' fahr der Gärtner fort, ,doch es ist Sitte bei uns, die Rosen nur in heiterer Unterhaltung zu verschenken. Wer also Rosen haben möchte, der spreche ein paar Verse, wie sie zur Gelegenheit passen!' Nun waren die Söhne der Kaufleute ihrer zehn; und einer von ihnen sprach: ,Wohlan, gib mir davon, ich will dir ein paar passende Verse vortragen.' Da reichte der Gärtner ihm einen Rosenstrauß, und jener nahm ihn, indem er diese Verse sprach:



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Die Rose steht bei mir in Ehr:
Denn sie verdrießet nimmermehr.
Der duft'gen Blumen Heeresbann
Befehligt sie als Feldhauptmann.
Sie prahlen prunkend, ist sie fern;
Doch kommt sie, ducken sie sich gern.

Darauf reichte der Gärtner dem zweiten einen Rosenstrauß. und der sprach die folgenden beiden Verse, als er ihn nahm:

Nimm eine Rose, Herr. aus meiner Hand.
Die dir an Moschus die Erinnrung weckt.
Sie gleicht der Maid, die, wenn ihr Freund sie sieht,
Mit ihrem Ärmel ihr Gesicht verdeckt.

Als er dann dem dritten einen Strauß gab, nahm der ihn hin und sprach diese beiden Verse:

Der Anblick einer schönen Rose freut die Herzen,
Der Rose, deren Duft dem Nadd an Süße gleicht.
Der Zweig umschließt sie wonniglich mit seinen Blättern,
Wie wenn die Lippe willig sich zum Kusse reicht.

Darauf gab er dem vierten einen Strauß, und der empfing ihn, indem er diese beiden Verse sprach:

Sieh doch den Rosengarten, wo sich Wunderdinge
Dem Blicke zeigen, an den Zweigen aufgereiht.
Dort sind Rubinen, von Smaragden rings umgeben,
Und denen auch das Gold von seinem Glanze leiht.

Und als der fünfte den Strauß empfing, den der Gärtner ihm reichte, sprach er diese beiden Verse:

Smaragdne Zweige trugen ihre Fruchte,
Die gleichwie Barren reinen Goldes scheinen.
Und Tropfen fallen dort von ihren Blättern,
Wie müde Augenlider Tränen weinen.

Dann reichte er dem sechsten einen Strauß, und wie der ihn hinnahm, sprach er diese beiden Verse:



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Ach, herrlich ist der Rose Schönheit; sie vereinet
Die trauten Reize all, mit denen Gott sie schmückt.
Sie gleicht der Wange der Geliebten, wenn beim Nahen
Ein sehnsuchtsvoller Freund auf sie ein Goldstück drückt.'

Der siebente aber sprach die folgenden Verse, als er den Strauß in Empfang nahm, den der Gärtner ihm gab:

Ich sprach zur Rose: ,Warum stechen deine Damen
Den, der sie anrührt, und verwunden ihn so sehr?'
Sie sprach: ,Mein Kriegsheer ist die Schar der duft'gen Blumen;
Ich bin ihr Herrscher. und mein Dorn ist meine Wehr.'

Dann reichte er dem achten einen Strauß; der nahm ihn und sprach diese beiden Verse:

Gott schütze die Rosen, die gelblich erglühen,
So frisch und so glänzend wie lauteres Gold!
Er schütze die blühenden, lieblichen Zweige,
Beladen mit gelblichen Sonnen so hold!

Auch der neunte nahm den Strauß entgegen, den der Gärtner ihm reichte, und sprach diese Verse:

Die Büsche goldner Rosen füllen jede Brust
Von liebeskrankem Volk mit mannigfacher Lust.
O Wunder, daß ein Garten, den ein Wasser tränkt,
So silberklar, uns dennoch goldne Früchte schenkt!

Und zuletzt reichte er dem zehnten einen Strauß; der nahm ihn hin und sprach diese beiden Verse:

O sieh doch, wie vom Rosenheer, die gelben
Und roten Scharen glänzen im Gefild!
Und ich vergleiche sie und ihre Dornen
Smaragdnen Pfeilen in dem goldnen Schild.



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Als nun jeder seinen Rosenstrauß in der Hand hielt, brachte der Gärtner den Tisch des Weines und setzte eine Porzellanplatte vor sie hin, die mit rotem Gold verziert war, indem er diese beiden Verse sprach:

Im Lichtglanz rief der Morgen: ,Gib mir Wein zu trinken,
Der weise Leute töricht macht, den alten Wein!
Ob seiner zarten Klarheit kann ich nicht erkennen:
Ist er's im Glase? Ist's das Glas in seinem Schein?'

Darauf schenkte der Gärtner ein und trank, und der Becher kreiste, bis er zu Nûr ed-Dîn kam, dem Sohne des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn; doch als der Gärtner ihm den vollen Becher reichte, sprach er: ,Du weißt, daß ich solches nicht kenne! Ich habe noch nie davon getrunken; denn darin liegt eine große Missetat, die der allmächtige Herr in seinem Buche verboten hat.' Der Gärtner gab ihm zur Antwort: ,Lieber Herr Nûr ed-Dîn, wenn du nur um der Sünde willen ihn nicht trinkst, so bedenke, Allah, der Gepriesene und Erhabene, ist gütig und langmütig, vergebend und voll Barmherzigkeit, der selbst die schwere Sünde verzeiht; und sein Erbarmen umfaßt alle Dinge. Die Gnade Allahs ruhe auf jenem Dichter, der da sprach:

Sei wie du willst, denn Gott ist aller Gnaden Herr;
Begingst du eine Sünde, nimm sie nicht zu schwer!
Allein zwei Dinge gibt's -die meide jederzeit:
Treib nie Vielgötterei, tu Menschen nie ein Leid.

Einer von den jungen Kaufleuten aber sprach: ,Bei meinem Leben, ich bitte dich, lieber Herr Nûr ed-Dîn, trink diesen Becher!' Dann trat ein zweiter Jüngling vor und beschwor ihn bei der Scheidung'; und ein dritter blieb so lange vor ihm stehen, bis er sich schämte und den Becher aus der Hand des



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Gärtners hinnahm. So tat denn Nûr ed-Dîn einen Zug aus dem Becher, aber er spie den Wein aus und rief: ,Das ist bitter!' Da sprach der Gärtnerjüngling: ,Lieber Herr Nûr ed-Dîn, wenn er nicht bitter wäre, hätte er nicht so gute Eigenschaften; du weißt doch, daß alles Süße, das als Heilmittel genommen wird, dem, der es nimmt, bitter schmeckt. Wisse, dieser Wein hat mancherlei nützliche Kräfte; darunter sind die, daß er die Verdauung der Speisen befördert, Sorgen und Gram verscheucht, die Winde des Leibes vertreibt, das Blut reinigt, die Hautfarbe klärt, den Leib belebt, dem Feigling Mut verleiht und die Manneskraft stärkt. Wollten wir alle seine Vorzüge aufzählen, so würde das ein langer Bericht werden. Sagt doch auch ein Dichter:

Wir tranken -Gott gewährt Verzeihung allen Sündern!
Den Becher schlürfend konnt ich meine Krankheit lindern.
Ich kenn die Sünde wohl; doch täuschten mich die Worte
Von Gott: Der Wein bringt Nutzen auch den Menschenkindern."

Dann sprang der Gärtner unverzüglich auf und öffnete einen der Schränke, die sich an jener Estrade befanden; nachdem er aus ihm einen Laib raffinierten Zuckers herausgenommen hatte, brach er ein großes Stück davon ab und legte es in den Becher für Nûr ed-Dîn, indem er sprach: ,Lieber Herr, wenn du dich scheust, den Wein zu trinken wegen seiner Bitterkeit, so trinke jetzt, denn er ist süß!' Und nun ergriff Nûr ed-Dîn den Becher und leerte ihn. Dann füllte einer von den Söhnen der Kaufleute den Becher und sprach: ,Herr Nûr ed-Dîn, ich bin dein Knecht!' Ebenso sprach ein zweiter: ,Ich bin dein Diener', ein dritter sagte: ,üm meinetwillen', und ein vierter rief: ,üm Allahs willen, mein Herr Nûr ed-Dîn, heile mein Herz!' Und so ließen die zehn jungen Kaufleute nicht eher von



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Nûr ed-Dîn ab, als bis sie ihm zehn Becher zu trinken gegeben hatten, ein jeder einen. Nûr ed-Dîns Leib war aber noch ganz unberührt vom Wein gewesen, nie in seinem Leben hatte er davon getrunken bis zu jener Stunde. Darum erfüllte der Wein sein Gehirn, und schwere Trunkenheit kam über ihn; und er stand auf und sprach, obgleich seine Zunge schwer war und er die Worte nur lallen konnte: ,Ihr Leute. bei Allah. ihr seid schön, eure Rede ist schön, eure Stätte ist schön: aber süße Musik muß man auch noch hören. Denn dem Trunk fehlt ohne Musik das Wichtigste von allem, was zu ihm gehört, wie ja der Dichter darüber diese beiden Verse singt:

Laß ihn kreisen, den Wein, bei allen, großen und kleinen!
Nimm ihn hin aus der Hand des strahlenden Mondes. des Schenken!
Trinke auch nie, ohne daß gesungen wird; denn ich schaute,
Wie sogar Knechte pfeilen, wenn sie die Pferde tränken!

Da erhob sich der junge Gärtner, bestieg eins der Maultiere, die den Söhnen der Kaufleute gehörten, und blieb eine Weile fort. Dann kehrte er zurück im Geleit einer Kairiner Maid, die war wie ein Fettschwanz frisch und zart oder wie Silber von reinster Art oder ein Goldstück in einer Schüssel aus Porzellan oder eine Gazelle auf der Wüste weitem Plan. Ihr Antlitz beschämte die Sonne im strahlenden Schein, ihre Augen schauten verführerisch drein; ihre Brauen waren wie Bogen gespannt, ihre Wangen in rosenrotem Gewand; die Zähne waren perlenhaft, die Lippen still wie Zuckersaft und die Augen voll verversonnener Leidenschaft; die Brüste wie von Elfenbein, der Rumpf war schlank und fein und der Leib voll Fältelein; die Hüften wie gepolsterte Kissen und die Schenkel wie Säulen aus syrischem Stein; und dazwischen war etwas wie ein kleines Kissen mit Spezereien angefüllt und in ein Tüchlein eingehüllt. Von ihr singt der Dichter in diesen Versen:



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Alle Götzendiener müßten, würde sie vor ihnen stehn,
Ihr Gesicht als Gott verehren und die Götzen nicht mehr sehn.
Aber hätte sie im Osten dem Asketen sich gezeigt,
Würde er den Osten lassen, nur dem Westen zugeneigt.'
Spiee sie ins Meereswasser, wo das Meer doch salzig ist,
Würde doch von ihrem Speichel süß das Meer zur selben Frist.

Und ein anderer sang diese Verse:

Heller als der Vollmond strahlt sie, schwarz ist ihrer Augen Pracht;
Sie ist der Gazelle gleich, die Jagd auf junge Löwen macht.
Und die Nächte ihrer Locken decken sie mit einem Zelt,
Wohl aus Haar gewebt und dennoch ohne Pflöcke aufgestellt.
Von den Rosen ihrer Wangen zündet sich ein Feuer an,
Das nur liebessieche Herzen tief im Innern treffen kann. Ja, die Schönen des Jahrhunderts, sähen sie die Schönheit dein,
Ständen auf dem Kopf und riefen: Dir gebührt der Preis allein!

Und wie schön sprach noch ein andrer Dichter:

Drei Dinge haben sie gehindert, uns zu nahen
Aus Furcht vor Spähern und des Neiders blasser Wut:
Der helle Glanz der Stirn und ihrer Spangen Klirren,
Ihr stifter Ambraduft, der auf den Gliedern ruht.
Bedeckt sie ihre Stirn mit ihrem Ärmel auch.
Mag sie den Schmuck abtun -wie schön bleibt doch ihr Hauch!

Jene Maid war wie der volle Mond, wenn er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront, und sie trug ein blaues Gewand, während um ihre blütenweiße Stirn sich ein grüner Schleier wand; durch sie wurden die Sinne betört und selbst die weisen Männer verstört. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 867. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Gärtner eine Maid zu ihnen brachte, die wir soeben geschildert haben in



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ihrer herrlichen Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses schlanker Ebenmäßigkeit; und es war, als ob sie mit den Worten des Dichters gemeint wäre:

Sie nahte in einem blauen Gewand.
Vergleichbar des Himmels azurner Pracht.
Ich sah auf das Kleid, und darin erschien
Ein Sommermond in der Winternacht.

Und wie herrlich und trefflich lauten die Worte eines anderen Dichters:

Sie kam verschleiert; und ich rief ihr zu: ,Enthülle
Dein Antlitz gleich dem Mond in seinem hellen Licht.'
Sie sprach: ,Ich fürchte Schmach!' Ich sagte ihr: ,Sei stille;
Der Tage Wechsel schrecke dir das Herze nicht!'
Sie hob der Schönheit Schleier auf von ihren Wangen,
Da fiel kristallnes Licht auf einen Edelstein.
Ich wollte einen Kuß auf ihre Wange drücken,
Mag sie am Jüngsten Tag auch meine Feindin sein,
Und seien wir das erste Liebespaar, das streitet
Am Auferstehungstage vor dem höchsten Herrn-
Dann ruf ich: Laß uns lang vor deinem Throne stehen;
Mein Blick verweilt auf der Geliebten, ach, so gern!

Der junge Gärtner aber sprach zu jener Maid: ,Wisse, o Herrin der Lieblichkeit, der jeglicher Stern seinen Glanz verleiht, wir haben dich nur deshalb an diese Stätte gebracht, damit du diesen herrlich gestalteten Jüngling, den Herrn Nûr ed-Dîn, mit deiner Kunst unterhältst; denn er ist heute zum ersten Male an diese unsere Stätte gekommen.' Da gab die Maid ihm zur Antwort: ,Hättest du mir das nur zuvor gesagt, so hätte ich mitgebracht, was ich zu Hause habe!' Er sagte darauf: ,Meine Herrin, ich will hingehen und es dir bringen!' ,Wie du willst', erwiderte die Maid; und er bat sie: ,Gib mir ein Zeichen!' Darauf gab sie ihm ein Tuch, und nun eilte er hinaus und blieb eine Weile fort. Als er zurückkehrte, trug er einen



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Beutel aus grünem Atlas mit zwei goldenen Schleifen. Die Maid nahm den Beutel von ihm entgegen, löste die Schleifen und schüttelte ihn; da fielen aus ihm zweiunddreißig Holzstücke heraus. Dann paßte sie die Stücke eins ins andere, die männlichen in die weiblichen und die weiblichen in die männlichen, indem sie selbst dabei ihre Handgelenke entblößte, richtete das Ganze auf, und nun ward es eine schön geglättete Laute von indischer Arbeit. Darauf neigte jene Maid sich über sie, wie eine Mutter sich über ihr Kind neigt, und glitt mit den Fingerspitzen über die Saiten, daß die Laute tönte und stöhnte und sich nach der alten Heimat sehnte; denn sie gedachte der Wasser, die einst sie getränkt hatten, und der Erde, aus der sie entsprossen und in der sie aufgewachsen war. Auch gedachte sie der Zimmerleute, die einst den Baum gefällt, und der Männer, die sie in ihrer Glätte hergestellt, und der Kaufleute, die sie hinausgeführt hatten in die Welt; ja, auch der Schiffe, die sie getragen hatten. Und sie schrie laut auf und ließ ihren Klagen und Seufzern freien Lauf. Es war, als ob die Maid sie nach alledem gefragt hätte, und als ob die Laute ihr in der Sprache der Töne mit diesen Versen antwortete:

Ich war ein Baum, auf dem die Nachtigallen wohnten;
Ich neigt auf sie mein grün Gezweig: von Sehnsucht wund
Auf meinen Ästen klagten sie, ich lernt ihr Klagen;
Nun wird durch solche Klagen mein Geheimnis kund.
Mein Fäller warf mich schuldlos nieder, und er machte
Aus mir die schlanke Laute, die ihr jetzt erschaut.
Wenn mich die Finger schlagen, kunden meine Töne,
Daß ich bei Menschen bin gleich einer Mumienbraut.
So kommt es, daß ein jeder von den Zechgenossen
Verstört und trunken wird, wenn meine Stimme klagt.
Doch hat der Herr mir ihre Herzen zugewendet,
Der Ehrenplätze höchster ist mir zugesagt;



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Und meinen Leib umarmen alle herrlich Schönen -
Die Rehe, schwarzgeäugt versonnen blicken sie.
Es möge Gott, der Allbeschützer, nie uns trennen;
Jedoch ein Lieb, das spröde forteilt, lebe nie!

Dann hielt die Maid eine Weile inne; doch danach nahm sie die Laute wieder auf ihren Schoß, beugte sich von neuem über sie, wie sich die Mutter über ihr Kind beugt, und nachdem sie verschiedene Weisen gespielt hatte, kehrte sie zu der ersten Weise zurück und und sang zu ihr diese Verse:

Ach, wenn sie dem Geliebten nahte und sich neigte,
So wär er von der schweren Sehnsucht bald geheilt.
Wie manche Nachtigall sitzt einsam auf dem Zweige;
Es ist, als ob ihr Lieb an ferner Stätte weilt.
Wohlan, wach auf, die Nacht der Liebe strahlt im Mondlicht,
Dein Morgen gleich, der Liebesglück vollkommen macht.
Ja, heute haben uns die Neider ganz vergessen;
Die Saiten rufen uns dorthin, wo Freude lacht.
Schau, wie vier Dinge sich zur Wonne hier vereinen:
Levkoie, Rose, Myrte, Anemone hold.
Und heute sind noch vier beisammen, Glück zu bringen:
Der Freund und die Geliebte, kühler Wein und Gold.
Genieße drum die Freuden deiner Erdentage;
Die Lust vergeht, es bleiben Kunde nur und Sage!

Als Nûr ed-Dîn diese Verse aus dem Munde der Maid erklingen hörte, schaute er sie mit dem Auge der Liebe an und konnte sich kaum noch zurückhalten ob der Heftigkeit seiner Neigung zu ihr. Ebenso empfand auch sie; denn als sie auf die Gesellschaft der jungen Kaufleute schaute, die dort versammelt waren, und auch auf Nûr ed-Dîn, erkannte sie, daß er unter ihnen war wie der Mond unter den Sternen; denn er war von sanfter Rede und Zärtlichkeit, vollkommen an des Wuchses Ebenmäßigkeit und an strahlender Lieblichkeit, ja, er war



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sanfter als der Nasîm' und zarter als Tasnîm, wie von ihm in diesen Versen gesungen ist:

Ja, ich schwör's bei seiner Wange, bei dem Lächeln um den Mund,
Bei den Pfeilen, die er sandte, wie es ihm durch Zauber kund;
Bei der Weichheit seiner Formen, bei des Blickes Strahlenlicht;
Bei der Weiße seiner Stirne, bei den Locken, schwarz und dicht;
Bei der die mir gar den Apfel meines Auges stiehlt,
Die mich überwältigt, wenn sie mir verbietet und befiehlt;
Und bei seiner Locken Fülle, die um seine Schlafen weht,
Die der Liebe Volk bald tötet, wenn er nur von dannen geht;
Bei den Rosen seiner Wangen und dem Haarflaum, myrtenfein,
Den Korallen seiner Lippen und der Zähne Perlenreihn;
Bei dem Zweige, der sein Leib ist, mit der schönsten Frucht beglückt,
Den Granatenblüten, deren Paar die zarte Brust ihm schmückt;
Und bei seinen schweren Hüften, die da beben, mag er gehn
Oder ruhen, und bei seinem Rumpfe, der so schlank und schön;
Bei der Seide seiner Kleider und bei seiner feinen Art,
Und bei allein, was an Schönheit sich in ihm uns offenbart:
Seine Düfte hat der Moschus von dem Hauch, der ihm entstammt,
Und von seinem Atem duften Wohlgerüche allesamt.
Ja, sogar die helle Sonne wird vor seiner Schönheit bleich;
Und der Neumond ist auch nicht dem Spane seines Nagels gleich.'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 868. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn, als er die Verse und den Gesang der Maid hörte, an ihrem Vortrag Gefallen fand und dann, schon von Trunkenheit schwankend, sie mit diesen Worten pries:

Uns neigte sich die Lautnerin,
Als Wein uns bis zum Rausch getränkt.
Da sagten ihre Saiten uns:
Die Sprache hat uns Gott geschenkt.



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Als Nûr ed-Dîn diese Worte an sie richtete und diese Verse aus dem Stegreif dichtete, schaute jene Maid ihn mit dem Auge der Liebe an, ja, sie ward mit wachsendem Sehnen und Verlangen nach ihm erfüllt; sie bewunderte seine Schönheit und Lieblichkeit und seines schlanken Wuchses Ebenmäßigkeit, so daß sie sich kaum noch bezwingen konnte, sondern von neuem die Laute in den Schoß nahm und diese Verse sang:

Er schilt mich, daß ich wag ihn anzuschauen;
Er flieht und trägt mein Leben in der Hand.
Er treibt mich fort und weiß doch, was mein Herz sagt,
Als wär es ihm durch Gottes Spruch bekannt.
In meine Hand hab ich sein Bild gezeichnet;
Ich sprach zu meinem Aug: ,Beklage ihn!'
Denn nimmer sieht mein Auge seinesgleichen,
In seiner Nähe muß Geduld mich fliehn.
O Herz, aus meiner Brust möcht ich dich reißen,
Denn du mißgönnest mir die Liebe sein.
Und wenn ich meinem Herzen sag: ,Vergiß ihn!'
So neigt sich doch mein Herz zu ihm allein.

Als die Maid diese Verse gesungen hatte, geriet Nûr ed-Dîn in Entzücken über die Schönheit ihrer Dichtkunst, die Feinheit ihrer Worte, die Lieblichkeit ihrer Stimme und die Reinheit ihrer Sprache; und er ward wie von Sinnen vor dem Übermaß der Leidenschaft und der sehnenden Liebe Kraft. So konnte er denn keinen Augenblick mehr an sich halten, sondern er neigte sich ihr zu und drückte sie an seine Brust; und auch sie neigte sich über ihn und gab sich ganz seiner Umarmung hin. Sie küßte ihn auf die Stirn, und er küßte sie auf den Mund, während sie in seinen Armen ruhte; und das Spiel seiner Küsse war wie bei einem schnäbelnden Taubenpaar. Auch sie war in ihn versunken, und sie tat mit ihm, wie er mit ihr tat. Doch alle, die zugegen waren, gerieten in höchste



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Erregung und sprangen auf die Füße; da schämte sich Nûr ed-Dîn und ließ von ihr ab. Sie aber griff wieder zur Laute, spielte mancherlei Weisen, kehrte dann zur ersten Weise zurück und sang dazu diese Verse:

Ein Mond - wenn er sich neiget, dringt aus seinen Augen
Ein Schwert, er höhnt des Rehs mit seines Blickes Kraft.
Ein König -seine Heerschar sind der Schönheit Reize,
Wenn er die Lanze schwingt, so gleicht er ihrem Schaft.
Wär seines Leibes Zartheit auch in seinem Herzen,
Dann zeigte er sich nie dem Lieb so grausam hart.
O. Härte seines Herzens, Zartheit seines Leibes!
Wie kommt's, daß diese nicht auch jenem eigen ward.
Der du mich ob der Liebe tadelst, schilt mich nicht!
Dir bleibt ja seine Schönheit, mich macht sie zunicht.

Nûr ed-Dîn lauschte den Worten der Lieblichkeit und den Versen der Zierlichkeit, und er neigte sich ihr zu, von Freude beglückt, und war seiner Sinne nicht mehr mächtig, so sehr war er entzückt. Darauf trug er diese Verse vor:

Sie, die vor dem Geistesaug mir gleich der Morgensonne stand,
Sie erschien und hat mit ihren Strahlen mir das Herz verbrannt.
Ach, was hätt es ihr geschadet, hätt sie mir den Gruß geschickt
Mit den Fingerspitzen oder mit den Wimpern nur genickt!
Ja, sogar der strenge Tadler schaute in das Antlitz ihr,
Und bestrickt von ihrer Schönheit Reizen, sagte er zu mir:
,Ist es sie, um deren Liebe dich die Sehnsucht so zerfrißt?
Wahrlich, dann bist du entschuldbar.' Und ich sagte: ,Ja, sie ist
Jene, die des Blickes Pfeile eifrig auf mich warf und nie
Meinem Elend, meinem Leiden, meiner Not Erbarmen lieh.'
Ach, nun ist mein Herz gefangen, und ich ward ein Liebestor;
Und ich klage, meine Tränen brechen Tag und Nacht hervor.

Nachdem Nûr ed-Dîn seine Verse gesprochen hatte, nahm die Maid, entzückt von seiner Beredsamkeit und seiner Zierlichkeit, wieder ihre Laute und spielte -ach, wie schön war ihr



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Spiel! Von neuem ließ sie alle ihre Weisen erklingen, und dann hub sie an, dies Lied zu singen:

Bei deiner Wange, o du Leben aller Seelen,
Ich laß dich nie, mag ich verzweifeln oder nicht!
Auch wenn du grausam bist, steht mir dein Bild vor Augen;
Bist du den Blicken fern, dein denken ist mir Pflicht.
Der du mein Auge traurig machst, obgleich dir kund ist,
Daß nichts als deine Liebe mir zu Herzen spricht:
Dein Lippentau ist Wein, die Wangen dein sind Rosen;
Gönn mir an dieser Stätte doch dein Angesicht!

Da ward Nûr ed-Dîn durch den Gesang jener Maid von höchster Freude beglückt, und er war über die Maßen von ihr entzückt; und er erwiderte ihr Lied mit diesen Versen:

Heller als das Sonnenantlitz strahlt im Dunkel sie hervor.
Wenn der Vollmond in des Horizontes Schleier sich verlor.
Und dem Aug' des jungen Morgens zeigen ihre Locken sich,
Wenn die Dämmerung der Frühe dort vor ihrem Scheitel wich.
Nimm vom Strome meiner Tränen, die sich gleich der Kette reihn;
Singe von der Macht der Liebe, die sich zeigt im Lose mein!
Ach, ich sprach zu mancher, die mit ihren Pfeilen auf mich schoß:
,Säume doch mit deinen Pfeilen, da das Herz in Furcht zerfloß!
Wenn mein Tränenstrom sein Gleichnis in dem Strom des Niles fand,
Ist die Lieb zu dir vergleichbar Fluten auf dem Uferland.'
,Bring mir deinen Reichtum!' sprach sie; und ich sagte: ,Nimm ihn dir!'
,Deinen Schlaf auch?' Und ich sagte: ,Nimm ihn von den Lidern mir!'

Als die Maid diese Worte schönster Beredsamkeit aus Nûr ed-Dîns Munde vernahm, ward sie wie von Sinnen vor Freude, ihr Geist ward hingerissen, und ihr ganzes Herz ward von Liebe zu ihm erfüllt. Sie zog ihn an ihre Brust und begann ihn zu küssen, wie Tauben schnäbeln. Und er erwiderte durch immer neue Küsse das, was sie ihm dargebracht; doch der Vorrang gebührt dem, der den Anfang macht. Als sie einander genug geküßt hatten, griff sie zur Laute und sang diese Verse:



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Wehe ihm und wehe mir auch ob des Tadlers Grausamkeit!
Soll ich ihn beklagen oder klag ich ihm mein bittres Leid? Der du dich mir ganz versagest, niemals hätte ich gedacht,
Daß, wer mir wie du gehöret, meine Lieb zuschanden macht!
Einstens höhnte ich das Volk der Liebe ob der Leidenschaft;
Jetzt bekenn ich deinen Tadlern meine eigne schwache Kraft.
Gestern schalt ich noch die Menschen, die ihr Heil in Liebe sehn;
Heut vergeb ich allen denen, die in Liebesleid vergehn.
Und jetzt bin ich überwältigt von der Trennung harter Pein;
Jetzo bete ich zu Allah, o 'Ah', im Namen dein.

Nachdem die Maid dies Lied vorgetragen hatte, sang sie noch diese beiden Verse:

Es spricht der Liebe Volk: Gibt er uns nicht zu trinken
Von seinem Lippentau gleich edlem, süßem Wein,
So flehen wir zum Herrn der Welten, Er erhört uns;
Und ,o 'Alî!' wird unser aller Ausruf sein.

Nûr ed-Dîn lauschte diesen Worten der Maid, den Versen, durch die Dichtkunst geweiht, und er bewunderte ihrer Zunge Beredsamkeit und pries ihre verführerische Lieblichkeit. Als aber die Maid hörte, wie Nûr ed-Dîn sie lobte, erhob sie sich sofort, nahm alles, was sie an kostbaren Obergewändern und an Schmuckstücken trug, und legte es ab. Dann setzte sie sich auf seine Kniee, küßte ihn auf die Stirn und auf das Mal seiner Wange und schenkte ihm alles, was sie abgelegt hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 869. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Maid alles, was sie abgelegt hatte, an Nûr ed-Dîn gab, indem sie zu ihm sprach: ,Wisse, o Geliebter meines Herzens, die Gabe entspricht der Geberin.' Da nahm er es von ihr an und gab es ihr



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zurück, indem er sie auf Mund und Wangen und Augen küßte. Als das geschehen war -denn nichts ist von Dauer außer dem Lebendigen, ewig Beständigen, dem Eulen und Pfauen' als ihrem Ernährer vertrauen -, da erhob sich Nûr ed-Dîn von seinem Sitze und stellte sich auf seine Füße. Die Maid aber fragte ihn: ,Wohin, mein Gebieter?' Und er gab ihr zur Antwort: ,In das Haus meines Vaters.' Nun beschworen ihn die Söhne der Kaufleute, er solle bei ihnen nächtigen; doch er weigerte sich und bestieg sein Maultier. Dann ritt er seines Wegs, bis er seines Vaters Haus erreichte; dort trat seine Mutter ihm entgegen und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, weshalb bist du bis zu dieser Stunde ferngeblieben? Bei Allah, du hast mir und deinem Vater durch dein Ausbleiben Sorge gemacht, und unsere Herzen waren in Unruhe um deinetwillen.' Darauf trat die Mutter an ihn heran, um ihn auf den Mund zu küssen; weil sie aber den Geruch des Weines an ihm verspürte, so sprach sie: ,Mein Sohn, wie ist es möglich, daß du nach dem Gebet und nach dem Gottesdienste Wein hast trinken können und das Gebot Dessen übertrittst, dem Schöpfung und Befehl gehören?' Während sie so miteinander redeten, kam auch der Vater herzu. Nûr ed-Dîn aber warf sich auf sein Lager und blieb dort liegen. Der Vater fragte: ,Was ist es mit Nûr ed-Dîn, daß er so daliegt?' Die Mutter antwortete ihm: ,Es scheint, daß ihm der Kopf schmerzt von der Gartenluft.' Da trat der Vater an ihn heran, um ihn nach seinem Leiden zu fragen und ihn zu begrüßen; und nun roch auch er die Dünste des Weines. Jener Kaufmann aber, Tâdsch ed-Dîn geheißen, war ein Feind aller, die da Wein trinken; darum fuhr er seinen Sohn an: ,Weh dir, mein Sohn, ist es mit deiner Torheit so weit gekommen, daß du sogar Wein trinkst?' Als Nûr ed-Dîn diese



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Worte seines Vaters vernahm, hob er den Arm und schlug, trunken wie er war, seinem Vater ins Gesicht. Und der Schlag traf, wie es das Schicksal wollte, das rechte Auge des Vaters, so daß es auslief auf seine Wange herab. Da sank er ohnmächtig zu Boden, und er blieb dort eine Weile bewußtlos liegen. Nachdem man ihn mit Rosenwasser besprengt hatte und er wieder zu sich gekommen war, wollte er seinen Sohn schlagen; doch die Mutter hielt ihn davon zurück. Er aber schwor bei der Scheidung von seiner Gattin, er wolle, sobald der Morgen tage, seinem Sohne die rechte Hand abschlagen. Als sie nun die Worte ihres Gatten vernahm, ward ihr die Brust beklommen, und sie fürchtete für ihren Sohn; darum suchte sie ihren Gatten zu besänftigen und redete ihm so lange gütig zu, bis Schlaf über ihn kam. Dann wartete sie noch, bis der Mond aufgegangen war, ging zu ihrem Sohne, von dem der Rausch gewichen war, und sprach zu ihm: ,O Nûr ed-Dîn, was ist das für eine schändliche Tat, die du an deinem Vater verübt hast!' ,Was habe ich ihm denn getane' fragte er; und sie fuhr fort: ,Du hast ihm mit deiner Faust ins rechte Auge geschlagen, und es ist ausgelaufen auf seine Wange herab. Jetzt hat er bei der Scheidung geschworen, er wolle dir gewißlich, wenn der Morgen tage, die rechte Hand abschlagen.' Nûr ed-Dîn bereute, was er getan hatte, als die Reue nichts mehr fruchtete; und seine Mutter sprach zu ihm: ,Mein Sohn, diese Reue nützt dir nichts; jetzt bleibt dir nichts übrig, als daß du dich sogleich aufmachst und fortgehst und dein Heil in der Flucht suchest. Verlaß heimlich das Haus und begib dich zu einem deiner Freunde; dort warte auf das, was Allah tun wird, denn Er kann ein Ding zum andern wenden!' Dann öffnete die Mutter eine Geldtruhe, nahm aus ihr einen Beutel mit hundert Dinaren und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, nimm diese Dinare und be



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streite damit die Dinge, deren du bedarfst! Wenn sie verbraucht sind, so sende einen Boten und laß es mich wissen, damit ich dir neue schicken kann; und durch den Boten gib mir zugleich heimliche Kunde von dir! Vielleicht wird Allah dir dazu verhelfen, daß du wieder nach Hause zurückkehren kannst.' Darauf nahm sie Abschied von ihm und weinte so bitterlich, daß ihrem Schmerze kein andrer glich. Nûr ed-Dîn aber nahm den Beutel mit Dinaren von seiner Mutter hin und wollte hinausgehen; da erblickte er einen großen Beutel mit tausend Dinaren, den seine Mutter neben der Truhe vergessen hatte. Den nahm er auch noch, und nachdem er die beiden Beutel an seinen Gürtel gebunden hatte, ging er durch die Straßen weiter dahin und schlug die Richtung nach Bulak ein, ehe noch der Morgen graute. Als aber der Tag anbrach und die Menschen sich erhoben, um die Einheit Allahs, des allhelfenden Königs, zu bekennen, und ein jeder von ihnen seinem Geschäfte nachging, um das zu verdienen, was Gott ihm zugewiesen hatte, da kam Nûr ed-Dîn in Bulak an. Als er dort am Ufer des Nilstroms entlang schritt, sah er ein Schiff mit herabgelassener Landungsplanke, auf der die Menschen von Bord an Land und von Land an Bord gingen; die vier Anker waren am Lande befestigt, und die Seeleute sah er dort umherstehen. Er fragte sie: ,Wohin fahrt ihre' ,Nach der Stadt Alexandria!' erwiderten sie ihm; und er fuhr fort: ,Nehmt mich mit euch!' Da sagten sie: ,Du bist uns herzlich willkommen, schöner Jüngling!' Nun machte Nûr ed-Dîn sich sofort auf, ging zum Basar und kaufte sich Lebensmittel, Betten und Decken, die er brauchte; danach kehrte er zu dem Schiffe zurück, das zur Ausfahrt bereit war. Nachdem Nûr ed-Dîn an Bord gegangen war, wartete es nur noch eine kleine Weile und fuhr dann sogleich ab; und es segelte ohne Aufenthalt weiter, bis es bei der



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Stadt Rosette anlangte. Als sie dort angekommen waren, erblickte Nûr ed-Dîn ein kleines Fahrzeug, das im Begriffe war, nach Alexandrien zu fahren. Das bestieg er alsbald und fuhr mit ihm durch den Kanal und immer weiter, bis es bei einer Brücke landete, deren Name Brücke von el-Dschâmi war. Dort verließ er das Boot und ging in die Stadt durch ein Tor, das Lotustor geheißen war; Allah aber beschützte ihn, so daß keiner von denen, die im Tore standen, ihn erblickte. Und er ging weiter, bis er sich in der Stadt Alexandrien befand. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 870. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn, nachdem er in Alexandria eingezogen war, sah, daß es eine Stadt mit festen Mauern und schönen Lustgärten war, die ihren Bewohnern viel Freude brachte und den Wunsch, dort zu weilen. in den Fremden entfachte. Der Winter mit seiner Kälte hatte gerade Abschied von ihr genommen, und der Lenz mit seiner Rosenpracht war zu ihr gekommen; die Blumen standen in Blütenpracht, die Bäume waren mit Laub überdacht; die reifen Früchte winkten, und die vollen Bäche blinkten. Die Stadt war schön angelegt, und alles war dort im Ebenmaß hergestellt; und ihre Bewohner waren eine Schar von den besten Menschen der Welt. Wenn ihre Tore geschlossen waren, so fürchteten die Menschen darinnen keine Gefahren. Sie war. wie es von ihr in diesen Versen heißt:

Eines Tags sprach ich zu einem Freunde,
Dem die Rede zu Gebote stand:
,Alexandria beschreib!' Er sagte:
,Eine schöne Stadt am Meeresstrand.'
Als ich fragte: ,Ist sie auch belebt?'
Sagte er: ,Ja, wenn der Wind sich hebt.'



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Oder wie ein anderer Dichter sagt:

Alexandria, die Stadt der Grenzmark.
Die so süßen Tau der Lippen hat, Ach, wie schön ist es bei ihr zu weilen'.
Wenn der Trennungsrabe ihr nicht naht!

Nûr ed-Dîn ging in jener Stadt umher und schritt immer weiter dahin, bis er zum Basar der Kaufleute kam; von dort gelangte er zu dem der Geldwechsler und weiter zu den Basaren der Zukosthändler, der Fruchthändler und der Spezereienhändler, indem er die Stadt bewunderte, deren Art ihrem Namenentsprach.' Während er gerade durch den Basar der Spezereienhändler ging, kam plötzlich ein Mann aus seinem Laden herab und begrüßte ihn; dann nahm er ihn bei der Hand und führte ihn zu seinem Hause. Dort sah Nûr ed-Dîn eine schöne Straße, die gefegt und gesprengt war, wo durch den Hauch des Zephirs die Luft sich klärte und das Laub der Bäume Schatten gewährte. In jener Straße befanden sich drei Häuser, und an ihrem oberen Ende stand ein viertes Haus. mit Fundamenten, die fest im Wasser steckten, und Mauern, die sich bis zu den Wolken des Himmels reckten. Der Platz vor ihm war gefegt und frisch gesprengt; Blütendüfte wehten den Ankommenden entgegen, die ein Zephir weiterblies, wie ein Hauch aus dem Paradies. Der Anfang der Straße war gesprengt und gefegt, und ihr Ende war mit Marmor belegt. Der Scheich führte Nûr ed-Dîn in jenes Haus hinein, setzte ihm einige Speisen vor und aß mit ihm. Und als das Mahl beendet war, fragte der Alte ihn: ,Wann bist du aus Kairo zu dieser Stadt gekommene' Nûr ed-Dîn erwiderte: ,Mein Vater, erst heute abend.' Und weiter fragte der Scheich: ,Wie heißest dw' ,'All Nûr ed-Dîn',



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erwiderte der Jüngling; und nun sagte der Alte: ,Mein lieber Nûr ed-Dîn, ich will dreimal die Scheidung von meiner Gattin aussprechen, wenn du mich verlässest, solange du in dieser Stadt weilst! Ich will dir ein Gemach anweisen, in dem du für dich allein wohnen kannst.' Da sprach Nûr ed-Dîn zu ihm: ,O Herr und Scheich, laß mich noch mehr von dir wissen!' Und jener gab ihm zur Antwort: ,Wisse, mein Sohn, ich zog vor einigen Jahren mit Waren nach Kairo; die verkaufte ich dort, und dann kaufte ich mir andere Güter dafür. Dabei hatte ich aber noch tausend Dinare nötig; die wägte dein Vater Tâdsch ed-Dîn für mich ab, ohne daß er mich näher gekannt hätte, auch ließ er nicht einmal einen Schuldschein darüber auf mich schreiben. Dann wartete er, bis ich in diese Stadt zurückgekehrt war und ihm das Geld nebst einem Geschenk durch einen meiner Diener zusandte. Damals sah ich dich, als du noch ein Kind warst, und so Allah der Erhabene will, werde ich dir einen Teil der Güte vergelten, die dein Vater mir erwiesen hat.' Als Nûr ed-Dîn diese Worte vernahm, war er so erfreut, daß ein Lächeln über sein Antlitz kam, zog den Beutel mit den tausend Dinaren heraus und gab ihn dem Alten, indem er sprach: ,Nimm dies für mich in Obhut, bis ich mir einige Waren dafür kaufe, um mit ihnen Handel zu treiben!' So blieb denn Nûr ed-Dîn eine Reihe von Tagen in Alexandrien, indem er sich täglich in den Straßen erging, aß und trank und sich der Lust und heiteren Freude hingab, bis er die hundert Dinare, die er für seine Ausgaben bei sich führte, verbraucht hatte. Dann begab er sich zu dem alten Spezereienhändler, um sich einige von den tausend Dinaren zu holen und sie auszugeben; aber da er ihn nicht in seinem Laden fand, so setzte er sich dort nieder, um zu warten, bis jener zurückkehre. Er schaute sich dabei die Kaufleute an und blickte bald nach rechts



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und bald nach links. Während er so dasaß, kam plötzlich ein Perser in den Basar. der auf einer Mauleseln ritt und hinter sich eine Maid führte, die war reinem Silber gleich, oder einem glänzenden Nilfisch' im Springbrunnenteich, oder einer Gazelle in der Steppe Reich. Ihr Antlitz beschämte der Sonne Strahlenschein, ihre Augen blickten verführerisch drein, ihre Brüste waren wie von Elfenbein. ihre Zähne wie Perlenreihn, der Rumpf war schlank und fein und der Leib voll Fältelein, und die Waden schienen Fettschwänze von Schafen zu sein; sie war vollkommen an Schönheit und Lieblichkeit und des schlanken Wuchses Ebenmäßigkeit, wie ihr einer, der sie beschrieb, die Worte geweiht:

Es ist, als wäre sie nach ihrem Wunsch geschaffen
In aller Schönheit Glanz, nicht kurz und auch nicht lang.
Die Rose rötet sich aus Scham vor ihrer Wange;
Am Zweig erglüht die Frucht vor ihrem Wuchse bang.
Wie Moschus ist ihr Hauch, ihr Antlitz wie der Vollmond,
Ihr Wuchs ist wie ein Reis; kein Wesen kommt ihr gleich.
Es ist, als wäre sie aus Perlenglanz gegossen;
Aus jedem Glied erstrahlt ein Mond an Schönheit reich.

Nun saß der Perser von seinem Maultier ab und ließ auch die Maid absteigen; dann rief er nach dem Makler, und als der vor ihn kam, sprach er zu ihm: ,Nimm diese Sklavin und ruf sie auf dem Markte zum Verkauf aus!' Da nahm der Makler sie, führte sie mitten auf den Markt und ging auf eine kurze Weile fort; wie er zurückkehrte, trug er einen Stuhl aus Ebenholz, der mit Elfenbein eingelegt war. Den stellte er auf die Erde und hieß die Maid sich darauf setzen. Dann hob er den Schleier von ihrem Antlitz, und dies erglänzte nun wie ein dailamitischer' Schild oder wie ein funkelndes Gestirn ;ja, sie war gleich



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dem vollen Mond. wenn er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront, im Glanze vollkommenster Lieblichkeit, wie ihr der Dichter die Worte weiht:

Einst verglich der Mond sich töricht ihrer lieblichen Gestalt;
Ach, da ward er bald verfinstert, ihn zerriß vor Zorn ein Spalt.
Wenn der schlanke Baum der Weide sich mit ihrem Wuchse mißt -
Treffe Fluch die Hände derer, die des Holzes Trägerin 1 ist!

Und wie schön sagte ein andrer Dichter:

Sprich zu der Schönen in dem golddurchwirkten Schleier:
Was hast du mit dem frommen Gottesknecht gemacht?
Das Licht vom Schleier und von deinem Antlitz drunter
Vertrieb die Schar der Finsternis durch seine Pracht;
Und als mein Aug auf deine Wang verstohlen blickte,
Bewarfen es mit Sternen Hüter auf der Wacht.

Der Makler rief den Kaufleuten zu: ,Wieviel bietet ihr Leute für des Tauchers Perle und des Jägers Beute?' Einer der Kaufleute antwortete: ,Ich nehme sie für hundert Dinare!' Ein anderer rief: ,Für zweihundert!' und ein dritter: ,Für dreihundert!' So trieben die Kaufleute einander mit dem Gebote auf die Sklavin immer höher, bis sie ihren Preis auf neunhundertundfünfzig Dinare gebracht hatten. Nun blieb das Gebot stehen, und man wartete auf Zuschlag und Annahme. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 871. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Kaufleute einander mit ihrem Gebote auf die Sklavin immer höher trieben, bis ihr Preis die Höhe von neunhundertundfünfzig Dinaren erreicht hatte. Dann trat der Makler zu dem Perser, ihrem Herrn, und sprach zu ihm: ,Das Gebot für deine Sklavin ist



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auf neunhundertundfünfzig Dinare gestiegen. Willst du sie um diesen Preis verkaufen, und soll ich das Geld für dich in Empfang nehmen?' Der Perser gab zur Antwort: ,Ist sie damit einverstanden? Ich möchte auf ihre Wünsche Rücksicht nehmen; denn ich wurde auf dieser Reise krank, und diese meine Sklavin pflegte mich mit der größten Sorgfalt; deshalb habe ich geschworen, ich wolle sie nur dem verkaufen, den sie wünsche und wolle, und so habe ich ihren Verkauf in ihre eigene Hand gelegt. Frage sie, und wenn sie einwilligt, so verkaufe sie dem, den sie wünscht; doch wenn sie nein sagt, so verkaufe sie nicht!' Darauf ging der Makler zu ihr hin und sprach zu ihr: ,O Herrin der Schönen, wisse, dein Herr hat deinen Verkauf in deine eigene Hand gelegt, und der Preis für dich hat die Höhe von neunhundertundfünfzig Dinaren erreicht. Erlaubst du nun, daß ich dich verkaufet' Die Sklavin sprach zum Makler: ,Zeig mir den, der mich kaufen will, ehe du den Verkauf abschließest!' Nun brachte er sie zu einem der Kaufleute, einem hochbetagten und hinfälligen Greise. Den schaute die Maid eine Weile an; doch dann wandte sie sich zu dem Makler und sprach zu ihm: ,Du Makler, bist du von Sinnen oder hast du an deinem Verstand gelitten?' Jener fragte sie: ,Warum, o Herrin der Schönen, sprichst du solche Worte zu mir?' Und sie antwortete ihm: ,Ist es dir vor Allah erlaubt, meinesgleichen an einen solchen hinfälligen Greis zu verkaufen, der von seiner Gattin diese Verse spricht:

Sie hatte mich gebeten, doch geschah es nie;
Da rief sie denn erzürnt ob ihrer Liebesmüh:
Erfüllest du an mir nicht deine Mannespflicht,
So tadle, wenn du bald gehörnt erwachst, mich nicht!
Dein Stab in seiner Schlaffheit ist dem Wachse gleich;
Und wenn ihn meine Hand berührt, so bleibt er weich.



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Und ferner sprach er von seinem Stabe:

Ich habe einen Stab, der schläft in Schmach und Schanden,
Wenn die Geliebte mir zur Liebesnacht genaht;
Doch wenn ich ganz allein in meinem Hause weile,
So sehnt er einsam sich nach Stoß und Heldentat.

Und wiederum sprach er von seinem Stabe:

Einen Stab des Elends hab ich, dem die Grausamkeit gefällt;
Er beschimpfet seinen Herren, der ihn hoch in Ehren hält.
Schlaft ich, so steht er aufrecht; stehe ich, so schläft er ein;
Gott gewähre kein Erbarmen denen, die ihm Mitleid weihn!'

Als der alte Kaufmann solche häßlichen Spottreden aus dem Munde der Sklavin vernahm, ergrimmte er gar sehr, und sein Zorn kannte keine Grenzen mehr; und er sprach zu dem Makler: ,Du hast uns da eine edle Sklavin auf den Markt gebracht, die so frech gegen mich ist, daß sie mich vor den Kaufleuten lächerlich macht!' Der Makler aber nahm sie beiseite und sprach zu ihr: ,Herrin, laß es nicht an Achtung fehlen! Siehe, dieser Alte, den du verspottet hast, ist der Scheich des Basars, der Marktaufseher und der Oberste im Rate der Kaufherren.' Doch sie lachte und sprach diese Verse:

Es wär die Pflicht der Richter unsrer Zeit,
Und es geziemte sich der Obrigkeit,
Daß man den Wali hängt vor seiner Tür,
Und seinen Schergen prügelt nach Gebühr.'

Und dann sagte die Maid noch zu dem Makler: ,Bei Allah, o mein Herr, ich will diesem Alten nicht verkauft werden; verkaufe mich einem anderen Manne! Vielleicht hat dieser doch Scheu vor mir und verkauft mich weiter, und dann würde ich zu einer bloßen Dienstmagd; aber es schickt sich nicht für mich, daß ich mich mit niederem Dienst beschmutze. Und du



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weißt auch, daß der Entscheid über meinen Verkauf mir übertragen ist.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Makler; dann führte er sie zu einem Manne, der zu den großen Kaufherren gehörte. Und als sie dicht vor ihm standen, sprach der Makler zu ihr: ,Meine Herrin, soll ich dich dem Herrn Scharif ed-Dîn da verkaufen für neunhundertundfünfzig Dinare?' Die Maid schaute jenen an und sah, daß er alt war, aber seinen Bart gefärbt hatte; deshalb sprach sie zu dem Makler: ,Bist du immer noch von Sinnen, oder hast du an deinem Verstand gelitten, daß du mich an diesen hinfälligen Greis verkaufen willst? Bin ich denn Flockenabfall von Seide oder ein dünner Fetzen von einem Kleide, daß du mich von einem Greis zum andern umherführst, die beide sind wie eine baufällige Wand oder wie ein Dämon, von einem niedersausenden Stern verbrannt? Dem ersten von den beiden dort gilt dem Sinne nach dies Dichterwort:

Ich bat um einen Kuß von ihrem Mund; ihr Ruf
Erklang: Bei Ihm, der alles aus dem Nichts erschuf,
Mit grauem Barte schließ ich wahrlich keinen Bund!
Stopft man im Leben schon mir Watte in den Mund?'

Und wie schön ist auch das Dichterwort:

Sie sagten: ,Weiße Haare sind ein helles Licht,
Das Glanz und Würde um die Angesichter flicht.'
Doch bis des Alters Zeichen mir den Scheitel bleicht,
Wünsch ich, daß nie das Dunkel meines Hauptes weicht;
Und trägt am Jüngsten Tag dem Barte gleich der Greis
Ein Buch, so wollte ich, das meine wär nicht weil

Und schöner noch ist das Wort eines anderen:

Ach, ein ungeehrter Gast ist meinem Haupte jetzt genaht;
Besser wär das Schwert den Locken, als was er mit ihnen tat!



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Weiche fern von mir, o Weihe, die doch keine Weiße' ist,
Du, die du in meinen Augen schwärzer als das Dunkel bist!

Was aber den anderen angeht, so ist er ein trauriger Held, der sich verstellt, und der da macht, daß des weißen Haares Aussehen der Schwärze verfällt; er begeht mit dem Färben seines weißen Haares den schändlichsten Betrug, und von ihm reden diese beiden Verse deutlich genug:

Sie sprach: ,Ich seit, du färbst dein weißes Haar.' Da sprach ich:
,Ach, ich verbarg es nur vor dir, mein Aug und Ohr.'
Da lachte sie und sprach: ,Fürwahr, es nimmt doch wunder,
So viel des Trugs, daß drin sich gar das Haar verlor!'

Wie trefflich sagt auch ein anderer Dichter:

Der du dein graues Haar mit Schwärze färbest,
Auf daß die Jugend dir verbleib zum Schein,
Schau her, mein Los ist einmal schwarz geworden,
Und sei verbürgt, es wird nie anders sein!'

Als der Alte mit dem gefärbten Bart solche Worte aus dem Munde der Sklavin vernahm, ergrimmte er gar sehr, und seine Wut kannte keine Grenzen mehr. Und er sprach zu dem Makler: ,O du unseligster aller Makler, hast du heute auf unsern Markt nur ein dummes Weib gebracht, das sich über alle auf dem Basar lustig macht, über einen nach dem andern, und sie verspottet mit Poeterei und Worten der Schwätzereit' Darauf sprang jener Kaufmann aus seinem Laden herab auf die Straße und schlug dem Makler ins Gesicht. Der nahm die Sklavin und führte sie in seinem Zorn an ihren Platz zurück; dort sprach er zu ihr: ,Bei Allah, ich habe in meinem Leben noch keine schamlosere Sklavin gesehen als dich! Du hast mich und dich heute brotlos gemacht, und alle Kaufleute sind um deinetwillen wider mich aufgebracht.' Doch auf ihrem Wege hatte einer



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der Kaufleute die beiden gesehen, und der bot nun zehn Dinare mehr für sie; der Name jenes Kaufmannes aber war Schihâb ed-Dîn. Der Makler bat die Sklavin, sie jenem verkaufen zu dürfen; und sie sprach: ,Zeige ihn mir, auf daß ich ihn mir ansehen und ihn nach etwas fragen kann! Wenn er das in seinem Hause hat, so will ich ihm verkauft werden: wenn aber nicht, dann nicht.' Darauf ließ er sie stehen, trat an den Kaufmann heran und sprach zu ihm: ,Mein Herr Schihâb ed-Dîn, vernimm, diese Sklavin hat zu mir gesagt, sie wolle dich nach etwas fragen, und wenn du das im Hause hättest, so wolle sie dir verkauft werden. Nun aber hast du gehört, was sie zu deinen Freunden unter den Kaufleuten gesagt hat.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 872. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Makler zu dem Kaufmann sprach: ,Du hast gehört, was diese Sklavin zu deinen Freunden unter den Kaufleuten gesagt hat. Und bei Allah, ich scheue mich, sie dir zu bringen, damit sie dir nicht das gleiche antue, was sie deinen Nachbarn angetan hat, und ich nicht vor dir in Unehren dastehe. Doch wenn du mir erlaubst, sie zu dir zu führen, so will ich es tun.' Der Kaufmann sagte zu ihm: ,Bring sie mir!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Makler und brachte das Mädchen zu ihm. Sie schaute ihn an und sprach zu ihm: ,Mein Herr Schihâb ed-Dîn, gibt es in deinem Hause Kissen, die mit Abfällen von Hermelinpelzen gestopft sind?' ,Jawohl, du Herrin der Schönen,' antwortete er ihr. ,ich habe zehn Kissen im Hause, die mit Abfällen von Hermelinpelzen gestopft sind. Doch sage mir um Allahs willen, was willst du mit diesen Kissen tun?' Sie fuhr fort: ,Ich will warten, bis du schläfst, und sie dir dann auf Mund und Nase



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drücken, bis du erstickst.' Dann wandte sie sich zum Makler und fuhr ihn an: ,O du gemeinster aller Makler, mir scheint, du bist von Sinnen, daß du mich seit einer Stunde zunächst zwei Graubärten vorführst, deren jeder zwei Fehler hat, und dann zu dem Herrn Schihâb ed-Dîn bringst, der drei Fehler besitzt: erstens ist er zu kurz geraten, zweitens hat er eine zu große Nase und drittens einen zu langen Bart. Von ihnen gilt, was einer der Dichter gesagt hat:

Wir sahen nie und hörten nie von einem Menschen,
Der unter den Geschöpfen all gleich diesem ist:
Die Länge einer Spanne hat die Nase, einer Elle
Der Bart, indes sein Wuchs nur einen Finger mißt.

Ferner sagt ein anderer von ihm:

Im Antlitz ragt ihm ein Moscheenturm hervor;
So strebt der kleine Finger aus dem Ring empor;
Und würde alle Welt in seine Nase gehn,
So wäre bald kein Mensch auf Erden mehr zu sehn.'

Als der Kaufmann Schihâb ed-Dîn solche Worte aus dem Munde der Sklavin vernahm, kam er aus seinem Laden herab, ergriff den Makler beim Kragen und schrie ihn an: ,Du Unseligster der Makler, wie kannst du mit einer Sklavin zu uns kommen, die uns einen nach dem andern schmäht und verspottet mit Poeterei und Worten der Schwätzereit' Da packte der Makler sie wieder und führte sie vor sich her von dannen. indem er zu ihr sprach: ,Bei Allah, mein Leben lang habe ich, seit ich in diesem Berufe bin, noch nie eine Sklavin gesehen, die schamloser wäre als du, und kein Stern brachte mir mehr Unglück als der deine. Denn du hast mich heute brotlos gemacht und hast mir nichts anderes eingebracht, als daß ich auf den Nacken geschlagen und am Kragen gepackt wurde.' Danach trat er mit ihr vor einen anderen Kaufmann, der Sklaven



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und Diener besaß, und sprach zu ihr: ,Willst du diesem Kaufmann, dem Herrn 'Alâ ed-Dîn, verkauft werden?' Sie schaute ihn an, und als sie bemerkte, daß er bucklig war, rief sie: ,Der da hat ja einen Buckel! Von ihm hat der Dichter gesagt:

Die Schultern sind ihm kurz, doch hoch wölbt sich sein Rücken:
Er gleicht dem Satan, der den Stern zum Wurfe hebt;
Es ist, als hätte er den ersten Hieb gekostet
Und fühlt erstaunt schon, wie der zweite vor ihm schwebt.

Und ein anderer Dichter sagt von ihm:

Wenn euer Buckelmann aufs Maultier steigt,
So wird auf ihn mit Fingern bald gezeigt.
Ist's nicht zum Lachen? Staunet nicht, ihr Leut,
Wenn unter ihm das Tier vor Schrecken scheut!

Und ein dritter sagt von ihm:

Oft hat der Buckelmann zu seinem Buckel auch
Noch andre Fehler, daß die Augen all erschrecken;
Er schrumpft in sich zusammen wie ein trocknet Zweig,
Den die Zitronen, lang schon ausgedörrt, bedecken.'

Aber eilends ergriff der Makler sie, führte sie zu einem andern Kaufmann und sprach zu ihr: ,Willst du an diesen verkauft werden?' Als sie ihn anblickte und sah, daß er triefaugig war, rief sie: ,Der da hat Triefaugen! Wie kannst du mich an ihn verkaufen? Von ihm hat einer der Dichter gesagt:

Dem Manne, dem das Auge trieft,
Zerstört sein Leiden alle Kraft.
Ihr Leute, bleibet stehn und seht,
Was dort der Staub im Auge schaffi!'

Da führte der Makler sie wieder fort, brachte sie zu einem anderen Kaufmann und sprach zu ihr: ,Willst du ihm verkauft werden?' Doch da sie sah, daß jener einen langen Bart hatte, antwortete sie dem Makler: ,Heda, dieser Mann ist ein Widder,



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dem der Schwanz aus dem Halse wächst! Wie kannst du mich an ihn verkaufen, du unseigster der Makler? Hast du nie gehört, daß alle Lang bärte kurzen Verstand haben und daß, je länger der Bart, desto geringer der Verstand ist? Das ist unter den Verständigen bekannt, wie ja auch der Dichter dafür die Worte fand:

Wenn je dem Mann mit langem Bart
Der Bart die äußre Würde wahrt,
So wird, je kürzer sein Verstand,
Doch immer länger ihm der Bart.

Oder wie ein anderer Dichter von ihm sagt:

Wir haben einen Freund, und der hat einen Bart;
Den machte Allah lang, so daß er nutzlos wallt.
Es ist, als wäre er gleich einer Wintersnacht,
So voller Finsternis, so lang und auch so kalt.'

Nun aber packte der Makler sie und ging mit ihr zurück. ,Wohin gehst du mit mir?' fragte sie ihn; und er antwortete ihr: ,Zu deinem Herrn, dem Perser; mir genügt, was mir an diesem Tage schon um deinetwillen widerfahren ist. Du hast durch deinen Mangel an feiner Sitte uns beide, mich und ihn, um unseren Verdienst gebracht.' Doch sie schaute auf dem Markte umher, blickte nach rechts und nach links, vorwärts und rückwärts; da wollte es das Geschick, daß ihr Auge auf Nûr ed-Dîn 'All, den Kairiner, fiel, und sie erkannte in ihm einen schönen Jüngling, mit Wangen so blank, von Wuchse so schlank, der erst vierzehn Jahre zählte, herrlich an Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Zierlichkeit, gleich dem vollen Mond, wenn er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront. mit einer Stirne blütenrein, einer Wange von rötlichem Schein, einem Halse wie Marmorstein, Zähnen wie Juwelenreihn und Lippentau süßer als Zuckerwein, wie einer, der ihn beschrieb, gesagt hat:



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Seine große Schönheit lockte einst zum Wettstreit in die Reihn
Volle Monde und Gazellen; doch ich sagte: ,Haltet ein!
Haltet euch zurück, Gazellen, und vergleichet euch doch nicht
Diesem Schönen, und ihr Monde, scheuet euch vor dem Gericht!'

Und wie schön ist das Wort eines anderen Dichters:

Mein Freund ist schlank; aus seinen Haaren. seiner Stirne
Entstehen Finsternis und Licht auf Erden hier.
Das Mal auf seiner Wange soll euch nicht verwundern;
Der schwarze Fleck ist jeder Anemone Zier.

Als nun jene Maid auf Nûr ed-Dîn schaute, war es, als ob ihr Verstand von ihr wiche, und ihre Seele ward von heftiger Leidenschaft zu ihm ergriffen, ja, ihr ganzes Herz ward von der Liebe zu ihm erfüllt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 873. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Sklavin Herz, als sie 'All Nûr ed-Dîn erblickte, ganz von der Liebe zu ihm erfüllt ward. Da wandte sie sich zu dem Makler und sprach zu ihm: ,Wird nicht der junge Kaufmann dort, der zwischen den Kaufherren sitzt, angetan mit dem gestreiften Ärmelgewand, ein wenig mehr für mich bieten?' ,O Herrin der Schönen,' erwiderte ihr der Makler, ,dieser Jüngling ist ein Fremdling aus Kairo, und sein Vater gehört dort zu den größten Kaufherren und hat mehr Ansehen als alle Kaufleute und Großen jener Stadt. Erst vor kurzer Zeit ist er in diese Stadt gekommen, und er wohnt bei einem der Freunde seines Vaters; aber er hat noch nicht auf dich geboten, weder mehr noch weniger.' Als die Maid die Worte des Maklers vernommen hatte, zog sie einen kostbaren Siegelring mit einem Rubin von ihrem Finger und sprach zu dem Makler: ,Führe mich zu dem schönen Jüngling



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dort; und wenn er mich kauft, so soll dieser Ring dir gehören als Entgelt für die Mühe, die du heute mit mir gehabt hast.' Erfreut ging der Makler mit ihr zu Nûr ed-Dîn; und als sie vor ihm stand, betrachtete sie ihn genau und sah von neuem, daß er dem vollen Monde glich, so herrlich war seine Lieblichkeit, so zart seines Wuchses Ebenmäßigkeit, wie einer von denen, die ihn beschrieben, ihm die Verse weiht:

Auf seinem Antlitz glänzt der Schönheit heller Strahl;
Aus seinen Blicken eilen Pfeile allzumal.
Und wer ihn liebt, erstickt, wenn er das bittre Leid
Der Härte kostet; seine Gunst bringt Seligkeit.
Der hellen Stirn, dem Wuchs ist meine Lieb geweiht -
Vollkommnes dem Vollkommnen in Vollkommenheit!
Und siehe, auf ihm ruht das liebliche Gewand,
Geknüpft wie um den Neumond mit des Halses Band.
Wenn um das Aug, die Male meine Träne weint,
Ist Nacht mit dunkler Nacht in Trauernacht vereint.
Mein Leib und seine Braue und sein Angesicht
Sind Neumond bei dem Neumond in des Neumonds Licht.
Und seine Augen reichen einen Becher Wein
Den Freunden; der ist süß, mag er auch bitter sein.
Er stillte meinen Durst mit einem klaren Trank
Vom frohen Mund, als er in meine Arme sank.
Daß er mein Blut vergießt und mich dem Tode weiht,
Gilt ihm als rechtes Recht und als Gerechtigkeit.

Als die Maid so auf Nûr ed-Dîn schaute, sprach sie zu ihm: ,Mein Gebieter, um Allahs willen, bin ich nicht schön?' Er gab ihr zur Antwort: ,Du Herrin der Schönen, gibt es in der Welt eine Schönere als dicht' Dann fuhr sie fort: ,Warum hast du denn zugesehen, wie die Kaufleute immer höher auf mich boten, und hast geschwiegen, ohne ein Wort zu sagen, ohne auch nur einen einzigen Dinar mehr für mich zu bieten, als gefiele ich dir nicht, mein Gebieter?' ,Ach, meine Herrin,'



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sagte er darauf, ,wenn ich in meiner Heimat wäre, so würde ich dich mit allem Gelde, das ich besitze, gekauft haben.' Da erwiderte sie ihm: ,Mein Gebieter, ich sage dir nicht, du sollest mich wider Willen kaufen; aber wenn du nur ein wenig zu meinem Preise hinzufügen wolltest, so würde das mein Herz beruhigen, auch wenn du mich nicht kauftest. Denn dann würden die Kaufleute sagen: ,Wäre diese Sklavin nicht schön, so hätte dieser Kaufmann aus Kairo nicht höher auf sie geboten, denn die Kairiner sind Kenner in Sklavinnen.' Nun ward Nûr ed-Dîn durch die Worte, die das Mädchen sprach, beschämt, und sein Antlitz errötete; und alsbald fragte er den Makler: ,Wie hoch ist der Preis dieser Sklavin gestiegene' Jener antwortete: ,Auf neunhundertundsechzig' Dinare; dazu kommen noch die Maklergebühren, aber die Abgabe an den Sultan fällt dem Verkäufer zur Last.' Da sprach Nûr ed-Dîn zu dem Makler: ,Gib sie mir für tausend Dinare, Preis und Maklergebühren!' Die Sklavin eilte darauf zurück, indem sie den Makler stehen ließ, und rief: ,Ich verkaufe mich diesem schönen Jüngling um tausend Dinare!' Nûr ed-Dîn aber schwieg. Da sprach einer: ,Wir verkaufen sie ihm', und ein anderer: ,Er verdient sie.' Ein dritter rief: ,Verflucht und der Sohn eines Verfluchten ist einer, der mehr bietet, aber nicht kauft!' Und ein vierter: ,Bei Allah, sie passen zueinander!' Und ehe Nûr ed-Dîn sich dessen versah, brachte der Makler schon die Kadis und die Zeugen; und sie schrieben den Vertrag über Kauf und Verkauf auf ein Blatt, und der Makler reichte es Nûr ed-Din hin mit den Worten: ,Nimm deine Sklavin in Empfang, und Allah gesegne sie dir; denn sie gebührt nur dir allein, und nur du passest für sie.' Und dann sprach der Makler diese Verse:



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Das Glück kam zu ihm als gefesselte Maid,
Sie schleife die Säume am wallenden Kleid.
Und keinem gebührt sie als ihm nur allein -
Auch er kann für sie nur der Würdige sein.

Nûr ed-Dîn schämte sich vor den Kaufleuten und ging alsobald hin und wägte die tausend Dinare ab, die er bei dem Spezereienhändler, dem Freunde seines Vaters, hinterlegt hatte. Dann führte er die Sklavin in das Gemach, das ihm jener alte Spezereienhändler zum Wohnen angewiesen hatte. Als sie dort eintrat, sah sie in ihm einen zerfetzten Teppich und eine alte Lederdecke; da sprach sie zu ihm: ,Mein Gebieter, habe ich denn gar kein Ansehen bei dir? Verdiene ich nicht, daß du mich in dein eigenes Haus fuhrst, in dem deine Sachen sich befinden? Warum bringst du mich nicht in deines Vaters Haus?' ,Bei Allah, o Herrin der Schönen,' erwiderte Nûr ed-Dîn ihr, ,dies ist das Haus, in dem ich wohne; aber es gehört einem alten Spezereienhändler, einem Einwohner dieser Stadt, der hat es mir angewiesen, daß ich darin wohnen kann. Ich habe dir schon gesagt, daß ich hier ein. Fremdling hinund zu den Söhnen der Stadt Kairo gehöre.' Da sprach sie zu ihm: ,Mein Gebieter, das geringste der Häuser genügt mir, bis du in deine Heimat zurückkehrst. Doch, lieber Herr, um Allahs willen, geh hin und hole uns etwas gebratenes Fleisch, dazu 'Wein, Naschwerk und Früchte!' Nûr ed-Dîn aber erwiderte ihr: ,Bei Allah. o Herrin der Schönen, ich hatte kein Geld bei mir außer den tausend Dinaren, die ich als Preis für dich abgewägt habe, und ich besitze nun kein anderes Geld mehr; ich hatte noch einige Dirhems, die habe ich gestern ausgegeben.' Darauf sagte sie zu ihm: ,Hast du in dieser Stadt keinen Freund. von dem du fünfzig Dirhems borgen kannst, auf daß du sie mir bringst und ich dir sage, was du mit ihnen tun sollst?' ,Ich habe keinen Freund



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außer dem Spezereienhändler', antwortete er und begab sich sofort zu diesem und sprach zu ihm: ,Friede sei mit dir, lieber Oheim!' Der Alte erwiderte seinen Gruß und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, was hast du heute für die tausend Dinare gekaufte' Der Jüngling gab zur Antwort: ,Ich habe für sie eine Sklavin gekauft.' Da rief der Alte: ,Mein Sohn, bist du von Sinnen, daß du eine einzige Sklavin für tausend Dinare kaufst? Ich möchte wissen, welcher Art diese Sklavin ist!' Nûr ed-Dîn erwiderte: ,Lieber Oheim, sie ist eine Maid von den Töchtern der Franken.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 874. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn zu dem alten Spezereienhändler sprach: ,Sie ist eine Maid von den Töchtern der Franken.' Darauf erwiderte der Alte: ,Wisse. mein Sohn. die besten von den Töchtern der Franken kosten bei uns in dieser Stadt nur hundert Dinare. Bei Allah, mein Sohn, mit dieser Sklavin bist du betrogen worden. Wenn sie dir gefällt, so verbringe diese eine Nacht bei ihr und stille dein Begehren an ihr! Morgen aber führe sie wieder auf den Markt und verkaufe sie, auch wenn du zweihundert Dinare an ihr verlieren solltest! Nimm an, du hättest Schiffbruch erlitten oder Räuber hätten dich unterwegs überfallen!' Nûr ed-Dîn antwortete: ,Deine Worte sind recht; doch, lieber Oheim, du weißt ja, daß ich nur die tausend Dinare besaß, für die ich die Sklavin gekauft habe, und daß mir nicht ein einziger Dirhem übrig geblieben ist, den ich ausgeben könnte. Nun möchte ich, daß du in deiner Güte und Huld mir fünfzig Dirhems leihest, für die ich bis morgen etwas kaufen kann. Dann will ich die Sklavin wieder verkaufen und dir von dem Erlös für sie das



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Geld zurückzahlen.' Da sagte der Alte: ,Die will ich dir gern geben, mein Sohn.' Und nachdem er ihm fünfzig Dirhems abgewägt hatte, fuhr er fort: ,Lieber Sohn, du bist ein Jüngling, jung an Jahren, und diese Sklavin ist schön. Nun wird sich vielleicht dein Herz an sie hängen, und dann wird es dir nicht leicht werden, sie zu verkaufen. Du besitzest aber nichts, das du ausgeben könntest, und wenn du mit diesen fünfzig Dirhems fertig geworden bist, so wirst du wieder zu mir kommen, und ich werde dir wieder Geld leihen, einmal, zweimal, dreimal bis zum zehnten Male. Kommst du aber dann noch wieder zu mir, so werde ich dir den Gruß unseres Glaubens nicht erwidern, und du wirst unserer Freundschaft mit deinem Vater ein Ende bereiten.' Darauf gab ihm der Scheich die fünfzig Dirhems, Nûr ed-Dîn nahm sie hin und brachte sie der Sklavin; die sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, geh sogleich zum Basar und hole uns für zwanzig Dirhems gefärbte Seide in fünf Farben; und für die übrigen dreißig Dirhems kaufe uns Fleisch, Brot, Früchte, Wein und Blumen.' So begab er sich denn zum Basar und kaufte dort alles, was jene Sklavin verlangt hatte, und brachte es ihr. Da erhob sie sich sofort, streifte ihre Ärmel auf, kochte die Speisen und bereitete sie aufs beste zu; dann setzte sie ihm das Mahl vor, und die beiden aßen miteinander, bis sie sich gesättigt hatten. Schließlich trug sie den Wein auf und trank mit ihm; und indem sie ihm freundlich zuredete, gab sie ihm so lange Wein zu trinken, bis er trunken ward und einschlief. Nun aber erhob die Maid sich alsbald, entnahm ihrem Bündel eine Tasche von Leder aus Tâïf', öffnete die und holte aus ihr zwei Nadeln hervor; dann setzte sie sich nieder und arbeitete so lange, bis sie ihr Werk vollendet hatte; das war ein schöner Gürtel, und den hüllte sie, nachdem sie ihn gel.



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säubert und geglättet hatte, in ein Tuch und legte das Ganze unter das Kissen. Danach nahm sie ihre Kleider ab, legte sich neben Nûr ed-Dîn nieder und knetete ihn, bis er aus seinem Schlafe erwachte. Nun fand er neben sich eine Maid, die da war wie reines Silber, weicher als Seide und zarter als der Fettschwanz des Schafes, sichtbarer als ein Panier, und schöner als unter Kamelen das rote Tier'; fünf Fuß hoch war ihre Gestalt, ihre Brüste waren fest geballt; die Brauen geschweift gleich den Bogen, von denen die Pfeile schnellen, ihre Augen gleich den Augen der Gazellen; die Wangen schienen Anemonen zu sein, der Rumpf war zart und fein; der Leib voll kleiner Falten, der Nabel konnte eine Unze von Behennußöl enthalten: und ihre Schenkel waren weich, zwei Kissen aus Straußendaunen gleich; doch dazwischen lag, was keine Zunge zu schildern vermag, bei dessen Erwähnung die Träne schon weint; und es war, als hätte der Dichter sie mit diesen Versen gemeint:

Nacht entstammet ihren Haaren, ihrem Scheitel Morgenrot;
Ihren Wangen Rosenblüten, ihrem Lippentau der Wein.
Paradies ist ihre Nähe, doch ihr Fernsein Höllentod;
Aus den Zähnen stammen Perlen, aus dem Antlitz Vollmondschein.

Und wie trefflich ist das Wort eines anderen Dichters:

Sie kommt dem Monde gleich, sie neigt sich gleich der Weide;
Sie blickt gazellengleich; ihr Hauch ist Ambra fein.
Es ist, als sei der Gram mir fest ins Herz geschmiedet;
Wenn sie von dannen geht, so findet er sich ein.
Ihr Antlitz überstrahlet der Plejaden Glanz;
Und ihrer Stirne Licht beschämt den Neumond ganz.

Und ein dritter Dichter sagt:

Wie Monde strahlen sie, entschleiern ihre Sicheln,
Sie neigen sich wie Zweige, blicken Rehen gleich.



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Und Schwarzgeäugte strahlen dort; und ihre Schönheit
Macht sie durch der Plejaden' Gunst an Gütern reich.

Und sofort wandte Nûr ed-Dîn sich der Sklavin zu und zog sie an seine Brust, sog erst an ihrer Unterlippe, dann an ihrer Oberlippe und ließ schließlich die Zunge zwischen den Lippen in ihren Mund gleiten. Dann kam er über sie, und ihm ward offenbar, daß sie eine undurchbohrte Perle und ein ungebrochenes Füllen war. Er nahm ihr das Mädchentum und konnte ihre Gunst genießen, und ein unlösliches, untrennbares Band der Liebe begann sie zu umschließen. Er ließ Küsse auf ihre Wange fallen, gleichwie die Kiesel ins Wasser sausen, und regte sich wie die fliegenden Lanzen in Kampfesgrausen. Denn Nûr ed-Dîn sehnte sich danach, Nacken zu umschlingen und Lippen saugend zu bezwingen, Locken frei wallen zu lassen und Rümpfe eng zu umfassen, die Zähne in Wangen zu drücken und sich eng an Brüste zu rücken, mit Kairiner Bewegungen und jemenischen Regungen, mit abessinischem Liebesstöhnen und der Hingabe von Indiens Söhnen, mit nubischer Brunst und unterägyptischer Kunst, mit dem Schluchzen, wie es in Damietta bekannt, der Glut wie im oberägyptischen Land, und der Weltvergessenheit, wie sie die Alexandriner übermannt. Und dieser Maid waren all diese Vorzüge geweiht, zusamt ihrer übergroßen Lieblichkeit und Zierlichkeit, wie der Dichter von ihr singt:

In all der Zeit kann ich sie nimmermehr vergessen;
Ich nahe keinem je, der sie nicht nahe bringt.
Es ist, als sei sie nach des Vollmonds Bild erschaffen,
Daß ihrem Herrn und Schöpfer Lob und Preis erklingt.
Ist meine Sünde groß, weil ich sie lieb, so bin ich,
Wenn ich sie sehe, doch zur Reue nicht bereit.



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Sic raubte mir den Schlaf sie brachte Leid und Qualen;
Mein Herze staunt verwirrt ob ihrer Wesenheit.
Ich sang ein Liebeslied, das andre nie verstehen
Als nur der Jüngling, der den Sinn der Lieder kennt.
Ach, niemand weiß von Sehnsucht, wenn sie ihn nicht quälte;
Die Liebe kennt nur der, in dessen Herz sie brennt.

So ruhte nun Nûr ed-Dîn bei jener Maid bis zur Morgensonne in Freude und Wonne. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sic hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 875. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn bei jener Maid ruhte bis zur Morgensonne in Freude und Wonne, angetan mit der Umarmung festgeknüpftem Kleid, sicher vor der Nächte und des Tages Leid; die beiden verbrachten die Nacht im schönsten Beieinandersein, und im trauten Verein brauchten sie um Geschwätz und Gerede nicht besorgt zu sein; wie ein Dichter der Trefflichkeit ihnen diese Worte weiht:

Geh hin zu deinem Lieb und laß des Tadlers Worte!
Denn wer da neidet, ist der Liebe niemals gut.
Ach, der Erbarmer schuf nie einen schönren Anblick,
Als wenn ein hebend Paar auf Einem Bette ruht.
Umschlungen liegen sie, bedeckt vom Kleid der Freude;
Als Kissen dienen ihnen beiden Arm und Hand,
Und sind die Herzen dann in treuer Lieb verbunden,
Zerschlägt auf Erden keiner solch ein stählern Band.
Der du die Liebe an dem Volk der Liebe tadelst,
Kannst du dem kranken Herzen wohl ein Retter sein?
Wenn dir in deinem Leben je ein Treuer nahet,
Ein solcher Freund ist trefflich. Leb für ihn allein!

Als nun der Morgen sich erhob und die Welt mit seinen leuchtenden Strahlen durchwob, erwachte Nûr ed-Dîn aus seinem Schlafe und sah, wie die Maid schon Wasser gebracht hatte.



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Da vollzogen beide die religiöse Waschung, und er sprach die Gebete, die er seinem Herrn schuldig war. Darauf brachte sie ihm ein wenig zu essen und zu trinken, und er aß und trank. Schließlich aber griff die Maid mit ihrer Hand unter das Kissen, zog den Gürtel hervor, den sie in der Nacht gearbeitet hatte, und reichte ihn dem Jüngling, indem sie sprach: ,Mein Gebieter, nimm diesen Gürtel an dich!' Er fragte alsbald: ,Woher ist dieser Gürtel?' Und sie fuhr fort: ,Mein Gebieter, dies ist die Seide, die du gestern um zwanzig Dirhems gekauft hast! Jetzt mache dich auf und trag ihn zum Basar der Perser; gib ihn dem Makler, daß er ihn zum Verkaufe ausrufe, aber verkaufe ihn nur für zwanzig Dinare, bar in die Hand!' ,O Herrin der Schönen,' erwiderte er, ,kann etwas, das zwanzig Dirhems gekostet hat, für zwanzig Dinare verkauft werden, wenn es in einer einzigen Nacht gearbeitet ist?' Darauf sagte sie zu ihm: ,Mein Gebieter, du kennst seinen Wert nicht; bring ihn nur auf den Markt und gib ihn dem Makler, und wenn er ihn ausruft, so wird dir der Wert des Gürtels offenbar werden!' Da nahm Nûr ed-Dîn den Gürtel von der Maid entgegen, trug ihn zum Basar der Perser und gab ihn dem Makler, indem er ihm befahl, ihn auszurufen; er selbst aber setzte sich auf die Bank vor einem Laden. Der Makler ging fort, und als er nach einer Weile zurückkehrte, sprach er zu dem Jüngling: ,Wohlan, mein Herr, nimm den Erlös für deinen Gürtel in Empfang, er hat zwanzig Dinare eingebracht, bar in die Hand!' Als Nûr ed-Dîn diese Worte von dem Makler hörte, verwunderte er sich gar sehr und tanzte vor Freuden hin und her. Dann ging er hin, um die zwanzig Dinare zu holen, aber er schwankte noch zwischen Glauben und Unglauben. Doch als er das Geld erhalten hatte, ging er auf der Stelle fort und kaufte dafür Seide von allen Farben, damit die Maid Gürtel daraus verfertige. Darauf



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kehrte er nach Hause zurück und gab ihr die Seide, indem er sprach: ,Mache all das zu Gürteln und lehre auch mich die Kunst, auf daß ich mit dir arbeiten kann; denn in meinem ganzen Leben habe ich noch nie eine schönere Kunst gesehen als diese, noch auch eine, die reicheren Gewinn einträgt! Bei Allah, sie ist tausendmal schöner als das Kaufmannsgewerbe!' Die Maid lächelte über seine Worte und sprach zu ihm: ,Lieber Herr Nûr ed-Dîn, geh zu deinem Freunde, dem Spezereienhändler, und borge von ihm dreißig Dirhems. Morgen kannst du sie ihm aus dem Erlös des Gürtels zurückzahlen mitsamt den fünfzig Dirhems, die du bereits von ihm geliehen hast.' Da machte er sich auf und ging zu seinem Freunde, dem Spezereienhändler, und sprach zu ihm: ,Lieber Oheim, leih mir noch dreißig Dirhems; morgen, so Allah der Erhabene will, werde ich dir die achtzig Dirhems zusammen wiedergeben.' Der Alte wägte ihm dreißig Dirhems ab, Nûr ed-Dîn nahm sie und ging damit auf den Markt; dort kaufte er Fleisch und Brot, Naschwerk, Früchte und Blumen, wie er es am Tage zuvor getan hatte, und brachte alles der Maid. Der Name jener Maid aber war Marjam die Gürtlerin. Nachdem sie nun das Fleisch erhalten hatte, begann sie alsobald prächtige Speisen zu bereiten, und die setzte sie ihrem Herrn Nûr ed-Dîn vor. Dann richtete sie den 'Weintisch und trat selber herzu, um mit ihm zu trinken; und sie schenkte ihm ein und reichte ihm den Becher, und auch er füllte ihn und gab ihr zu trinken. Wie nun der Wein ihnen beiden die Sinne betörte, gefielen ihr seine anmutige Art und sein feines Wesen, und sie sprach diese Verse:

Ich sprach zum Schlanken, als er aus dem Becher trank,
In den der Moschusduft von seinem Odem sank:
Ward der gepreßt aus deinen Wangen?' Er sprach: ,Nein!
Seit wann denn preßt man aus den Rosenblöttern Wein?'



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So zechten die Maid und Nûr ed-Dîn miteinander, und immer wieder ward ihm von ihrer Hand Becher und Schale dargebracht. und sie bat ihn, ihr einzuschenken und sie zu tränken mit dem, was die Seelen fröhlich macht. Doch jedesmal, wenn er die Hand nach ihr ausstreckte, zog sie sich von ihm zurück in tändelndem Spiel, sodaß ihm in der Tunkenheit ihre Schönheit und Anmut noch immer mehr gefiel; und da sprach er diese Verse:

Eine Schlanke, die den Wein begehrte, sprach zum Trautgesell,
Als er sorgte, daß sich ihr die Lust am Freudentag vergäll:
,Reichst du mir den Kelch des Weines nicht zum Trunke in die Hand.
Magst du ferne von mir nächten!' Und er ward von Furcht gebannt.

In dieser Weise tranken die beiden miteinander, bis die Trunkenheit ihn übermannte und er einschlief. Nun machte sie sich sofort an ihr Werk und begann nach ihrer Gewohnheit an einem Gürtel zu arbeiten. Als sie damit fertig war, säuberte sie ihn und hüllte ihn in ein Blatt Papier; dann legte sie ihre Gewänder ab und ruhte ihm zur Seite bis zum Morgen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 876. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Marjam die Gürtlerin, als sie die Arbeit an dem Gürtel beendet, ihn gesäubert und in ein Blatt Papier gehüllt hatte, ihre Kleider ablegte und zur Seite des Jünglings ruhte bis zum Morgen; und sie waren beisammen in Liebesvereinigung. Dann erhob Nûr ed-Dîn sich und erfüllte seine Pflicht des Gebetes; und sie reichte ihm den Gürtel mit den Worten: ,Trag ihn auf den Markt und verkaufe ihn für zwanzig Dinare, wie du gestern den ersten verkauft hast!' Da nahm er ihn hin, brachte ihn zum Basar und verkaufte ihn um zwanzig Dinare; dann begab er sich zu dem



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Spezereienhändler und zahlte ihm die achtzig Dirhems zurück, indem er ihm für seine Güte dankte und den Segen des Himmels auf ihn herabrief. Der fragte ihn: ,Mein Sohn, hast du die Sklavin verkauft?' Doch Nûr ed-Dîn erwiderte: ,Willst du mein Unglück heraufbeschwören? Wie könnte ich die Seele aus meinem Leibe verkaufen?' Darauf erzählte er ihm sein Erlebnis von Anfang bis zu Ende und berichtete ihm alles, was geschehen war. Dessen freute sich der alte Spezereienhändler gar sehr, und seine Freude kannte keine Grenzen mehr; und er sprach: ,Bei Allah, mein Sohn, du machst mich froh. So Gott will, möge es dir immer gut gehen! Wahrlich, ich will nur dein Bestes um meiner Liebe zu deinem Vater und der Dauer unserer Freundschaft willen.' Da verließ Nûr ed-Dîn den Scheich und begab sich alsobald zum Basar, kaufte Fleisch und Früchte, Wein und alles, was er brauchte, nach seiner Gewohnheit. und brachte es der Maid. Und von nun an blieben der Jüngling und die Maid ein ganzes Jahr zusammen bei Speise und Trank, in Frohsinn und Heiterkeit, in Liebe und trautem Verein. In jeder Nacht verfertigte sie einen Gürtel, und am nächsten Morgen verkaufte er ihn für zwanzig Dinare; von denen gab er so viel aus, wie er nötig hatte, während er das übrige der Maid gab, damit sie es für die Zeit der Not aufbewahre. Als aber das Jahr verstrichen war, sprach die Maid zu ihm: ,O Nûr ed-Dîn, mein Gebieter, wenn du morgen den Gürtel verkaufst, so kaufe mir für den Erlös bunte Seide in sechs Farben! Denn ich gedenke dir ein Tuch zu machen, das du um deine Schultern legen sollst, so schön, wie sich seiner noch kein Kaufmannssohn, ja auch kein Königssohn erfreut hat.' Als danach Nûr ed-Dîn zum Basar gegangen war und den Gürtel verkauft hatte, kaufte er die bunte Seide, wie die Maid es ihm gesagt hatte, und brachte sie ihr. Und Marjam die Gürtlerin



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arbeitete eine volle Woche an dem Tuche; jede Nacht, wenn sie den Gürtel beendet hatte, arbeitete sie an dem Tuch, bis es fertig war. Darauf gab sie es Nûr ed-Dîn, und der legte es um die Schultern und ging auf dem Basar umher. Da blieben die Kaufherren und die vornehmen Leute der Stadt in Reihen um ihn stehen, um seine Schönheit und jenes Tuch, das so schön gearbeitet war, anzuschauen.

Nun begab es sich, daß Nûr ed-Dîn, als er eines Nachts im Schlafe ruhte, plötzlich aus dem Schlummer erwachte und hörte, wie seine Sklavin bitterlich weinte und diese Verse sprach:

Der Abschied vom Geliebten ist in nächster Näh -
Ach, wehe ob der Trennung, weh, o Unglück, weh!
Zersprungen ist mein Herz, ach, wehe meinem Leid
Um all die Freudennächte in vergangner Zeit!
Nun mit!.? der Neider bald mit seinem bösen Spiel
Der Augen auf uns schauen; und er gewinnt sein Ziel.
Ach, größres Unheil als der Neid bedroht uns nicht,
Wenn uns das Aug der Späher und Verleumder sticht.

Da fragte er sie: ,O Marjam, meine Gebieterin, was ist dir, daß du weinst?' Sie gab ihm zur Antwort: ,Ich weine ob der Qual der Trennung; denn mein Herz fühlt sie schon.' ,O Herrin der Schönen,' rief er, ,wer sollte uns denn trennen können, da ich dich doch von allen Geschöpfen am innigsten liebe und am zärtlichsten heget' Und sie entgegnete: ,Ach, ich liebe dich zwiefach so sehr wie du mich; doch wenn die Menschen zu gut von den Schicksalsmächten denken, so geraten sie in Leid; und schön spricht der Dichter in seinen Worten:

Du dachtest gut von Tagen, wenn sie günstig waren;
Und auf des Schicksals Drohen gabst du keine acht.
Du ließest von der Nächte Frieden dich umgaukeln;
Doch oftmals kommt das Dunkel auch in klarer Nacht.
Am Himmel stehen Sterne, ungezählte Scharen;
Allein die Finsternis bedeckt nur Sonn und Mond.



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Wie viele Bäume sind auf Erden, grüne, kahle;
Doch nur was Früchte trägt, wird nicht vom Stein verschont.
Du siehst ja, wie im Meer das Aas nach oben treibt,
Die Perle aber drunten in der Tiefe bleibt.

Dann fuhr sie fort: ,O Nûr ed-Dîn, mein Gebieter, wenn du willst, daß wir nicht getrenntwerden, so nimm dich vor einem fränkischen Manne in acht, der auf dem rechten Auge blind und am linken Beine lahm ist; er ist ein alter Mann, mit dunklem Gesicht und struppigem Bart, und er wird die Ursache unserer Trennung sein. Ich hab gesehen, daß er in diese Stadt gekommen ist, und ich glaube, daß er nur um mich zu suchen hier ist.' Nûr ed-Dîn sagte darauf: ,O Herrin der Schönen, wenn meine Augen ihn erblicken, so schlage ich ihn tot und mache ihn zu einem warnenden Beispiel!' Doch Marjam rief: ,Mein Gebieter, töte ihn nicht! Sprich nicht mit ihm und laß dich nicht auf Kauf und Verkauf mit ihm ein, verkehr nicht mit ihm, sitz und geh nicht mit ihm, ja, wechsle kein einziges Wort mit ihm! Ich flehe zu Allah, daß er uns vor des Mannes Unheil und Tücke bewahre!' Als es Morgen ward, nahm Nûr ed-Dîn den Gürtel, trug ihn zum Basar und setzte sich auf die Bank vor einem Laden, um mit den Söhnen der Kaufleute zu plaudern. Doch da kam Schläfrigkeit über ihn, und er schlief auf jener Ladenbank ein. Während er nun dort schlummerte, geschah es, daß jener Franke, begleitet von sieben anderen Franken. zur selben Zeit über den Markt kam. Da sah er, wie Nûr ed-Dîn auf der Bank lag, das Gesicht mit jenem Tuch bedeckt, dessen einen Zipfel er in der Hand hielt. Der Franke setzte sich neben ihm nieder, nahm den Zipfel des Tuchs und wandte ihn in seiner Hand hin und her; das tat er eine Weile, bis Nûr ed-Dîn es bemerkte und aus dem Schlaf erwachte. Nun sah er den Franken, den die Maid ihm beschrieben hatte, wirklich



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zu seinen Häupten sitzen, und da schrie er ihn mit einem lauten Schrei an, so daß jener erschrocken auffuhr und zu ihm sprach: ,Warum schreist du uns so an? Haben wir dir denn etwas gestohlen?' Doch Nûr ed-Dîn rief: ,Bei Allah, Verfluchter, hättest du mir etwas gestohlen, so würde ich dich zum Wachthauptmann schleppen!' Der Franke aber fuhr fort: ,Du Muslim, bei deinem Glauben und bei dem, was dir heilig ist, sage mir, woher du dies Tuch hast!' Und Nûr ed-Dîn antwortete: ,Es ist die Arbeit meiner Mutter.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 877. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn, als der Franke ihn fragte, wer jenes Tuch gemacht habe, ihm zur Antwort gab: ,Es ist die Arbeit meiner Mutter; sie hat es für mich mit eigener Hand verfertigt.' Nun fragte der Franke weiter: ,Willst du es mir verkaufen und das Geld dafür von mir in Empfang nehmen?' ,Bei Allah, du Verfluchter,' rief Nûr ed-Dîn, ,ich verkaufe es nicht, weder dir noch einem andern. Sie hat nur dies eine gemacht, und zwar allein für mich.' ,Verkaufe es mir, ich will dir auf der Stelle fünfhundert Dinare dafür geben; und laß sie, die es für dich gemacht hat, dir ein anderes, schöneres verfertigen.' ,Ich verkaufe es nie und nimmer, denn es gibt in dieser ganzen Stadt nicht seinesgleichen.' ,Lieber Herr, willst du es mir nicht einmal für sechshundert Dinare feinen Goldes verkaufen?' Und nun bot der Franke immer je hundert Dinare mehr, bis er neunhundert geboten hatte. Da sagte Nûr ed-Dîn: ,Allah wird mir schon anderen Verdienst schenken als durch diesen Verkauf. Ich will es nie und nimmer verkaufen, auch nicht für zweitausend Dinare oder noch mehr!' Aber jener Franke ließ nicht ab, den Jüngling mit Geldangeboten für



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das Tuch in Versuchung zu führen, und nun bot er gar tausend Dinare. Da sagten einige von den Kaufleuten, die zugegen waren: ,Wir verkaufen dir dies Tuch; zahle diesen Preis!' Dennoch rief Nûr ed-Dîn: ,Ich verkaufe es nicht, bei Allah!' Darauf sprach einer der Kaufleute zu ihm: ,Bedenke, mein Sohn, dies Tuch ist hundert Dinare wert, wenn es hoch kommt und wenn sich jemand findet, der darauf begierig ist. Wenn nun dieser Franke im ganzen tausend Dinare dafür bezahlt, so gewinnst du neunhundert, und was willst du noch mehr als einen solchen Gewinn? Deshalb rate ich dir, verkaufe ihm dies Tuch und nimm die tausend Dinare an; dann sag der, die es für dich gemacht hat, sie solle dir ein anderes, schöneres verfertigen! So nimmst du diesem verfluchten Franken. dem Feinde unseres Glaubens, die tausend Dinare ab.' Aus Scheu vor den Kaufleuten verkaufte Nûr ed-Dîn dem Franken das Tuch um tausend Dinare, und der zahlte ihm das Geld in Gegenwart der Leute; doch als der Jüngling sich umwenden und zu seiner Sklavin Marjam gehen wollte, um ihr die frohe Botschaft von seinem Verdienst durch den Franken zu bringen, rief jener: ,Ihr Herren Kaufleute, haltet den Herrn Nûr ed-Dîn zurück; denn ihr sollt mit ihm heute abend meine Gäste sein! Ich habe nämlich ein Faß alten griechischen Weines bei mir, dazu ein fettes Lamm, Früchte, Naschwerk und Blumen; deshalb erfreut mich heute abend durch eure Gesellschaft, und keiner von euch bleibe zurück!' Da sprachen die Kaufleute: ,Lieber Herr Nûr ed-Dîn, wir wünschen, daß du an einem solchen Abend bei uns seiest, auf daß wir mit dir plaudern können, und wir bitten dich, du wollest in deiner Güte bei uns bleiben, so daß wir mit dir die Gäste dieses Franken sein können; er ist doch ein freigebiger Mann.' Dann beschworen sie ihn sogar bei dem Eide der Scheidung und hinderten ihn mit



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Gewalt daran, nach Hause zu gehen. Und danach gingen sie sogleich hin, schlossen die Läden, nahmen Nûr ed-Dîn mit sich und begleiteten den Franken zu einem schönen, geräumigen Saal mit zwei Estraden. Dort hieß er sie sich setzen und breitete vor ihnen einen Tisch von wunderbarer Arbeit, ein herrliches Kunstwerk; darauf waren Gestalten von solchen, die das Herz zerbrechen, und anderen, denen es gebrochen ward, von Liebenden und Geliebten, von Bittenden und Gebetenen. Auf jenen Tisch stellte der Franke kostbare Schalen aus Porzellan und aus Kristall, die alle mit Naschwerk, Früchten und Blumen von köstlicher Art gefüllt waren. Darauf brachte er ihnen ein Faß voll alten griechischen Weines und befahl, ein fettes Lamm zu schlachten; und nachdem er ein Feuer entzündet hatte, begann er jenes Fleisch zu rösten und die Kaufleute damit zu speisen. Auch gab er ihnen von jenem Weine zu trinken. indem er sie durch Zeichen auf Nûr ed-Dîn hinwies, daß sie ihn zum Trinken ermuntern sollten; so schenkten sie ihm denn immerfort ein, bis er trunken ward und die Besinnung verlor. Als der Franke ihn nun im Rausche versunken sah. sprach er zu ihm: ,Du erfreust uns heut abend durch deine Gesellschaft, lieber Herr Nûr ed-Dîn; willkommen, herzlich willkommen!' Und er, der Mann aus dem Frankenland, redete mit freundlichen Worten auf den Jüngling ein, trat nahe an ihn heran, setzte sich an seine Seite und flüsterte ihm eine Weile heimliche Worte zu; schließlich sprach er zu ihm: ,Mein lieber Herr Nûr ed-Dîn, willst du mir nicht deine Sklavin verkaufen, jene, die du in Gegenwart dieser Kaufherren vor einem Jahre um tausend Dinare gekauft hast? Ich will dir sogleich fünftausend als Preis für sie zahlen, so gewinnst du viertausend Dinare.' Nûr ed-Dîn weigerte sich, aber jener Franke ließ nicht ab, ihm mit Speise und Trank zuzusetzen



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und in ihm den Wunsch nach dem Gelde zu erwecken, bis er ihm schließlich zehntausend Goldstücke für die Sklavin bot. Da lallte Nûr ed-Dîn in seinem Rausche vor all den Kaufleuten: ,Ich verkaufe sie dir, her mit den zehntausend Dinaren!' Über diese Worte war der Franke aufs höchste erfreut, und er rief die Kaufleute zu Zeugen an; und nun verbrachten sie die Nacht bei Speise und Trank und in lauter Wonne bis zum Aufgang der Sonne. Darauf rief der Franke seine Diener und befahl ihnen: ,Bringt das Geld!' Als sie es ihm gebracht hatten, zählte er vor Nûr ed-Dîn die zehntausend Dinare in barem Gelde hin und sprach zu ihm: ,Mein lieber Herr Nûr ed-Dîn, nimm dies Geld als Preis für deine Sklavin, die du mir in der letzten Nacht in Gegenwart dieser muslimischen Kaufleute verkauft hast.' Aber Nûr ed-Dîn rief: ,Du Verruchter, ich habe dir nichts verkauft, du belügst mich, ich habe ja gar keine Sklavinnen!' Der Franke jedoch fuhr fort: ,Du hast mir deine Sklavin verkauft, und diese Kaufherren sind Zeugen wider dich für den Verkauf.' Und alle Kaufleute sagten: ,Jawohl, Nûr ed-Dîn, du hast ihm deine Sklavin in unserer Gegenwart verkauft; wir sind Zeugen wider dich, daß du sie ihm für zehntausend Dinare verkauft hast. Wohlan, nimm das Geld, übergib ihm die Sklavin, und Allah wird dir statt ihrer eine bessere geben! Verdrießt es dich etwa, Nûr ed-Dîn, daß du eine Sklavin für tausend Dinare gekauft, ein und ein halbes Jahr ihre Schönheit und Anmut genossen, jeden Tag und jede Nacht dich ihrer Gesellschaft und ihrer Liebe erfreut hast, und daß du jetzt neuntausend Dinare mehr erhalten hast, als sie ursprünglich gekostet hat? Außerdem hat sie dir jeden Tag einen Gürtel gemacht, den du für zwanzig Dinare verkaufen konntest. Nach alledem weigerst du dich jetzt, sie zu verkaufen, und hältst den Gewinn für zu gering! Welcher Gewinn könnte



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größer sein als dieser Gewinn? Welcher Nutzen größer als dieser Nutzen? Wenn du sie liebst, nun wohl, du hast dich doch in dieser ganzen Zeit an ihr sättigen können: also nimm doch das Geld und kaufe dir eine andere, die noch schöner ist als sie! Oder auch wir wollen dir eine von unseren Töchtern vermählen gegen eine Morgengabe von weniger als die Hälfte dieses Preises. Die Tochter soll noch schöner sein als die Sklavin, und du kannst dann den Rest des Geldes als Kapital in deiner Hand behalten.' So redeten die Kaufleute unablässig auf Nûr ed-Dîn ein mit freundlichen und bestechenden Worten. bis er die zehntausend Dinare als Preis für die Sklavin annahm. Sofort ließ der Franke die Kadis und die Zeugen rufen, und sie schrieben ihm eine Urkunde darüber, daß er die Sklavin namens Marjam die Gürtlerin von Nûr ed-Dîn gekauft habe.

Während all dies mit Nûr ed-Dîn geschah, saß Marjam die Gürtlerin da und wartete auf ihren Herrn den ganzen Tag bis Sonnenuntergang und von Sonnenuntergang bis Mitternacht. Als ihr Herr auch dann noch nicht zu ihr zurückkehrte, ward sie bekümmert und begann bittere Tränen zu vergießen. Der alte Spezereienhändler hörte, wie sie weinte, und sandte seine Frau zu ihr; als die zu der Maid eintrat und ihre Tränen sah. sprach sie zu ihr: ,Liebe Herrin, was ist dir, daß du weinst?' Jene gab zur Antwort: ,Liebe Mutter, sieh, ich warte auf die Heimkehr meines Herren Nûr ed-Dîn; aber bis zu dieser Stunde ist er noch nicht gekommen, und ich fürchte, jemand hat meinetwegen eine List wider ihn ersonnen, damit er mich verkauft, und die List ist gelungen, so daß er mich wirklich verkauft hat.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 878. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß Marjam die Gürtlerin zur Frau des Spezereienhändlers sprach: ,Ich fürchte, jemand hat um meinetwilen eine List wider meinen Herrn ersonnen, damit er mich verkauft, und die List ist gelungen, sodaß er mich wirklich verkauft hat.' Doch jene erwiderte ihr: ,Liebe Herrin Marjam, wenn man deinem Herrn auch diesen Saal voll Gold böte, er würde dich nie verkaufen; denn ich kenne seine Liebe zu dir. Nein, liebe Herrin Marjam, es ist wohl eine Gesellschaft aus der Stadt Kairo von seinen Eltern eingetroffen, und er hat ihnen ein Gastmahl bereitet an der Stätte, an der sie abgestiegen sind, weil er sich schämte, sie hierher zu führen, denn diese Stätte wäre nicht geräumig genug für sie. Oder vielleicht ist ihr Stand auch zu gering, als daß er sie in sein eigenes Haus bringen könnte. Oder er will dich vor ihnen verbergen und verbringt die Nacht bei ihnen bis zum Morgen. So Allah der Erhabene will, wird er morgen früh wohlbehalten zu dir kommen. Darum belade deine Seele nicht mit Harm und Gram, meine Herrin; denn das ist sicher der Grund. weshalb er heute nacht von dir fern weilt! Sieh, ich will diese Nacht über bei dir bleiben und dich trösten, bis dein Herr heimkehrt!' Und so suchte die Frau des Spezereienhändlers die Sorgen Marjams zu verscheuchen und ihr Trost zuzusprechen, bis die Nacht ganz vorüber war. Als es aber Morgen ward, sah Marjam, wie ihr Herr Nûr ed-Dîn in die Gasse eintrat, begleitet von jenem Franken und umgeben von einer Schar von Kaufleuten. Kaum hatte sie die erblickt, so begann sie an allen Gliedern zu erbeben, ihre Farbe erblich, und sie begann zu schwanken wie ein Schiff auf hoher See im Sturm. Als die Frau des Spezereienhändlers das sah, sprach sie zu ihr: ,Liebe Herrin Marjam, warum muß ich sehen, daß sich dein Anblick verwandelt, daß dein Antlitz erbleicht und deine Züge ganz erschaffen?'



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Die Maid gab ihr zur Antwort: ,Meine Herrin, bei Allah, mein Herz sagt mir, die Trennung ist nah und das Ende des Beisammenseins ist da!' Darauf begann sie zu stöhnen und in Seufzer auszubrechen, und sie hub an diese Verse zusprechen:

Denke an den Abschied nie;
Denn er bringt uns bittre Leiden!
Wenn die Sonne untergeht,
Wird sie bleich vor Schmerz im Scheiden.
Doch bei froher Wiederkehr
Geht sie auf im Strahlenmeer.

Dann weinte Marjam so bitterlich, daß ihrem Schmerz kein anderer glich; denn sie war der Trennung gewiß. Und sie sprach zur Frau des Spezereienhändlers: ,Liebe Herrin, sagte ich dir nicht, man würde wider meinen Herrn Nûr ed-Dîn eine List ersinnen, damit er mich verkaufe? Ich zweifle nicht, daß er mich in der vergangenen Nacht an diesen Franken verkauft hat, gerade den, vor dem ich ihn gewarnt habe. Doch Vorsicht hilft wider das Schicksal nicht, und jetzt ist dir die Wahrheit meiner Worte offenbar geworden.' Während sie so mit der alten Frau redete, trat auch schon ihr Herr Nûr ed-Dîn zu ihr ein; die Maid schaute ihn an und sah, daß seine Farbe erblichen war, daß er an allen Gliedern zitterte und daß Gram und Reue sein Antlitz durchfurchten. Da sprach sie zu ihm: ,O Nûr ed-Dîn, mein Gebieter, mir scheint, du hast mich verkauft!' Er aber weinte bitterlich, stöhnte und seufzte und sprach diese Verse:

Dies ist der Lauf der Welt! Ach, Vorsicht bringt kein Heil!
Hab ich gefehlt, so fehlt doch nie des Schicksals Pfeil.
Hat Gott einmal dem Menschen Unglück zuerkannt,
Und hat dann dieser auch Gehör, Gesicht, Verstand.
So macht Er ihm die Ohren taub, das Auge blind,
Zieht den Verstand aus ihm gleichwie ein Haar geschwind,



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Bis Er, wenn Er an ihm sein Werk vollendet hat.
Verstand ihm wiedergibt; der geht mit sich zu Rat.
Drum frag von dem, was eintritt, niemals, wie's geschah;
Denn alles hier ist nur durch Los und Schicksal da!

Und nun begann Nûr ed-Dîn sich vor der Maid zu entschuldigen, indem er zu ihr sprach: ,Bei Allah, o Marjam, meine Gebieterin, die Feder machte zur Tat, was Allah beschlossen hat. Die Leute haben eine List wider mich ersonnen, damit ich dich verkaufte; und die List ist gelungen, und ich habe dich wirklich verkauft. Wahrlich, ich habe mich aufs schwerste wider dich vergangen; aber vielleicht wird durch Ihn, der jetzt die Trennung über uns verhängt, dereinst in Gnaden ein Wiedersehen geschenkt.' Sie erwiderte ihm: ,Ich habe dich davor gewarnt, denn ich ahnte das Unheil.' Darauf zog sie ihn an ihre Brust, küßte ihn auf die Stirn und sprach diese Verse:

Bei deiner Liebe, nie vergeß ich deine Freundschaft,
Wenn auch die heiße Sehnsucht mich zu Tode plagt!
Ich klage und ich weine stets bei Nacht und Tage,
Gleichwie im Baum auf sünd'ger Höh die Taube klagt.
Mein Leben ist vergällt, mein Lieb, nach deinem Scheiden;
Ach, seit du fern, ist mir ein Wiedersehn versagt!

Während die beiden sich noch umschlungen hielten, erschien plötzlich der Franke vor ihnen und trat heran, um die Hände der Herrin Marjam zu küssen. Sie aber schlug ihm mit der Hand auf die Wange und rief: ,Hinweg, Verruchter! Unablässig bist du mir gefolgt, bis du schließlich meinen Herrn betört hast. Aber, du Verfluchter, so Allah der Erhabene will, wird noch alles gut werden!' Der Franke lachte ob ihrer Worte, doch er staunte ob ihrer Tat, und so entschuldigte er sich vor ihr, indem er sprach: ,Marjam, meine Herrin, was ist denn meine Schuld? Dieser dein Herr Nûr ed-Dîn hat dich



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mit seiner Zustimmung und nach freiem Belieben verkauft. Beim Messias, hätte er dich lieb, so hätte er sich nicht wider dich vergangen! Und hätte er nicht sein Verlangen an dir gestillt, so hätte er dich nicht verkauft. Sagt doch einer der Dichter:

Wer mich nicht mag, der flieh und weiche bald von mir!
Wenn ich ihn wieder nenne, bin ich ja ein Tor.
Die weite, weite Welt ist mir noch nicht so eng,
Daß ich mir den, der mich nicht mag, allein erkor!'

Nun war diese Sklavin die Tochter des Königs der Franken; und dessen Hauptstadt dehnte sich nach allen Seiten weit, und sie war reich an Kunstwerken, seltsamen Dingen und des Wachstums Fruchtbarkeit, gleich der Stadt Konstantinopel. Daß diese Maid aber ihres Vaters Stadt verließ, war eine seltsame Geschichte, und daran knüpfen sich wunderbare Berichte; und die wollen wir jetzt der Reihe nach aneinanderfügen, um den Hörer zu erfreuen und zu vergnügen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 879. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Grund, weshalb Marjam die Gürtlerin ihren Vater und Mutter verließ, verbunden war mit einer seltsamen Geschichte und einem wunderbaren Berichte. Sie war bei ihrem Vater und ihrer Mutter in Liebe und Zärtlichkeit erzogen worden und war unterrichtet in der Kunst der Rede, des Schreibens und des Rechnens, ferner im Reiten und in der Rittertugend. Auch hatte sie alle Handfertigkeiten gelernt, Sticken und Nähen, Weben, Gürtelmachen und Knüpfen, Vergolden des Silbers und Versilbern des Goldes, kurz alle Künste der Männer und der Frauen, und so wurde sie die Perle ihrer Zeit und in den Tagen ihres Jahrhunderts die herrlichste Maid. Dazu hatte



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Allah, der Allgewaltige und Glorreiche, sie mit Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Vollkommenheit so reichlich ausgestattet, daß sie auch darin alles Volk ihrer Zeit übertraf. Nun warben um sie die Könige der Inseln bei ihrem Vater; aber immer, wenn einer sie von ihm zur Gemahlin erbat, so weigerte er sich, sie ihm zu vermählen, da er sie so innig liebte und sich nicht eine einzige Stunde lang von ihr trennen konnte. Er hatte keine andere Tochter als sie, und obwohl er viele Söhne hatte, so stand sie seinem Herzen doch näher als sie alle. Nun begab es sich in einem der Jahre, daß sie in eine schwere Krankheit verfiel und dem Tode nahe war. Da tat sie ein Gelübde, sie wolle, wenn sie von dieser Krankheit geheilt würde, eine Pilgerfahrt zu demunddem Kloster machen, das auf derundder Insel lag. Jenes Kloster stand nämlich bei den Franken in hohen Ehren, und sie brachten ihm Gelübde dar und erhofften Segen von ihm. Als darauf Marjam von ihrer Krankheit genas, wollte sie das Gelübde, das sie für sich jenem Kloster dargebracht hatte, zur Tat machen. Da entsandte ihr Vater, der König der Franken, sie auf einem kleinen Schiffe zu dem Kloster; auch sandte er einige von den Töchtern der Vornehmen seiner Hauptstadt mit ihr sowie einige Ritter, die ihr zu Diensten sein sollten. Doch gerade als sie sich dem Kloster näherten, kam des Wegs ein Schiff der Muslime, der Glaubensstreiter auf dem Wege Allahs; die raubten alles, was sich auf jenem Schiffe befand, Ritter und Jungfrauen, Schätze und Kostbarkeiten. Und sie verkauften ihre Beute in der Stadt Kairawân; dabei fiel Marjam in die Hand eines persischen Mannes, eines der Kaufleute. Jener Perser aber war unfähig zu zeugen, er konnte nicht zu den Frauen eingehen, und keiner Frau Nacktheit war je vor ihm enthüllt worden; der nahm sie in seinen Dienst. Doch bald darauf verfiel dieser Mann in eine



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schwere Krankheit, so daß er dem Tode nahe war, und die Krankheit dauerte eine Reihe von Monaten. Während dieser Zeit pflegte Marjam ihn mit der größten Sorgfalt, bis daß Allah ihn von seiner Krankheit genesen ließ. Da gedachte der Perser all der Fürsorge und Güte und der treuen Pflege, die sie ihm hatte zuteil werden lassen, und er wollte sie für das Gute belohnen, das sie an ihm getan hatte. So sprach er denn zu ihr: ,Erbitte dir eine Gunst von mir, Marjam!' Sie antwortete: ,Mein Gebieter, ich erbitte mir von dir, daß du mich nur an den verkaufst, den ich wünsche und liebe.' Und er fuhr fort: ,So sei es! Das soll meine Pflicht gegen dich sein. Bei Allah, Marjam, ich will dich nur dem Manne verkaufen, den du wünschest, und ich lege deinen Verkauf in deine Hand!' Das erfreute sie über die Maßen. Der Perser hatte ihr aber auch den Islam dargeboten, und sie war Muslimin geworden, nachdem er sie die Pflichten des Gottesdienstes gelehrt hatte. So lernte sie in jener Zeit von dem Perser die Satzungen ihres neuen Glaubens und die Dinge, die ihr oblagen; auch lehrte er sie den Koran sowie etwas von den Wissenschaften des göttlichen Rechts und von den Überlieferungen des Propheten. Als er schließlich mit ihr nach Alexandria kam, bot er sie zum Verkaufe aus an den, der ihr gefallen würde, indem er den Verkauf in ihre Hand legte, wie wir bereits erzählt haben. Und es kaufte sie, wie wir auch berichtet haben, 'All Nûr ed-Dîn. So war es gekommen, daß sie ihr Land verließ.

Wenden wir uns nun zu ihrem Vater, dem König der Franken! Als der vernahm, wie es seiner Tochter und ihren Begleitern ergangen war, kam ein gewaltiger Schrecken über ihn; und er sandte Schiffe hinter ihr her, die besetzt waren mit Heerführern, Rittern und mannhaften Helden. Aber sie fanden keine Spur von ihr, trotzdem sie auf allen Inseln der Muslime



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suchten, und so kehrten sie zu ihrem Vater zurück mit Klageruf und Wehgeschrei und des Jammers Litanei. Ihr Vater aber sandte in seiner tiefen Trauer um sie nunmehr jenen Alten nach ihr aus, der auf dem rechten Auge blind und am linken Beine lahm war; das war nämlich sein Großwesir, ein trutziger Tyrann voller Listen und Trug. Dem befahl er, in allen Ländern der Muslime nach ihr zu suchen und sie zu kaufen, sei es auch um eine Schiffsladung von Gold. Jener Verruchte forschte also nach ihr auf den Inseln des Meeres und in allen Städten. ohne daß er eine Kunde von ihr erhalten hätte, bis er zur Stadt Alexandria kam. Dort fragte er nach ihr, und bald erfuhr er, daß sie bei Nûr ed-Dîn 'All, dem Kairiner, war; und nun nahm das Schicksal seinen Lauf. Er ersann eine List wider ihren Herrn und kaufte sie von ihm, wie wir berichtet haben, nachdem er ihre Spur gefunden hatte durch das Tuch, das niemand so schön herstellen konnte wie sie; er hatte auch vorher die Kaufleute verständigt und war mit ihnen übereingekommen, daß er die Maid durch eine List gewinnen wolle. Als sie dann in seine Gewalt gekommen war, weinte und jammerte sie immerfort. Er aber sprach zu ihr: ,O Marjam, meine Gebieterin, tu ab von dir diese Trauer und dies Weinen; mache dich auf mit mir zur Stadt deines Vaters. zum Lande deiner Herrschaft, zur Stätte deiner Macht und deiner Heimat, damit du wieder bei deinen Dienerinnen und Dienern bist! Laß doch dies elende Leben in der Fremde! Ich habe um deinetwillen genug mühevolle Reisen gemacht und genug Geld ausgegeben; denn ein und ein halbes Jahr bin ich umhergezogen, habe mich abgemüht und Schätze aufgewendet, seit mir dein Vater befahl, dich zu kaufen, sei es auch um eine Schiffsladung von Gold!' Darauf begann der Wesir des Königs der Franken ihr die Füße zu küssen und sich vor ihr zu demütigen; immer und immer



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wieder küßte er ihr die Hände und die Füße, aber ihr Grimm gegen ihn wuchs um so mehr, je mehr er sich vor ihr erniedrigte; und sie sprach zu ihm: ,Du Verfluchter, Allah der Erhabene lasse dich dein Ziel nicht erreichen!' Und nun brachten ihr die Diener ein Maultier mit goldgesticktem Sattel und setzten sie darauf; und über ihrem Haupte errichteten sie einen Baldachin aus Seide mit goldenen und silbernen Stäben. Die Franken aber umringten sie und eilten mit ihr fort, bis sie mit ihr durch das Meerestor hinauszogen; und sie führten sie in ein kleines Boot, ruderten es bis zu einem großen Schiffe hin und brachten sie auf ihm an Bord. Dann rief der einäugige Wesir den Seeleuten zu: ,Richtet den Mast auf!' Sie taten es sogleich, hißten die Segel und die Flaggen, rollten Linnen und Baumwolle auf und bemannten die Ruder; und nun fuhr das Schiff mit ihnen ab. Derweilen aber schaute Marjam immer nach Alexandria zurück, bis es ihren Augen entschwand, und sie weinte heimlich bittere Tränen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 880. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Marjam die Gürtlerin, als der Wesir des Königs der Franken sie auf dem Schiffe entführte, immer nach Alexandria zurückschaute. bis es ihren Augen entschwand. Dann begann sie zu weinen und zu klagen und in Tränen auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:

O Heimat des Geliebten, seite ich dich einstens
Noch wieder? Doch wie wär mir Gottes Absicht kund?
Der Trennung Schiffe segeln eilends mit uns weiter;
Mein müdes Auge wird von meinen Tränen wund.
Ich wein um einen Freund, mein höchstes Ziel im Leben.
Der meine Schmerzen lindert und mein Siechtum heut.



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O du mein Gott, sei du bei ihm mein Stellvertreter:
Ein Gut, dir anvertraut, wird einst zurückerteilt!

So weinte und klagte Marjam immerfort, wenn sie ihres Freundes gedachte. Die Ritter kamen wohl zu ihr, um sie zu trösten; doch sie achtete ihrer Worte nicht, da sie nur dem Rufe der Leidenschaft und der Sehnsucht folgte. Und wiederum begann sie zu weinen und zu stöhnen und zu klagen, und sie sprach diese Verse:

Der Liebe Zunge spricht zu dir in meinem Innern;
Sie kündet dir von mir, daß ich so lieb dich hab.
In meiner Brust erglüht der Liebe Kohlenfeuer,
Ein wundes, banges Herz, das mir dein Abschied gab.
Wie oft verberge ich der Liebe heiße Glut;
Doch sind die Lider wund, es rinnt die Tränenflut!

In solchem Zustande blieb Marjam während der ganzen Reise, da sie keine Ruhe fand und da ihr alle Geduld entschwand. So erging es ihr bei dem einäugigen, lahmen Wesir.

Sehen wir nun, was mit Nûr ed-Dîn 'All, dem Kairiner, geschah, dem Sohne des Kaufmannes Tâdsch ed-Dîn! Ihm ward, als Marjam das Schiff bestiegen hatte und fortgefahren war, die Welt zu eng, so daß auch er keine Ruhe fand und auch ihm alle Geduld entschwand. Und er begab sich zu dem Gemache, in dem er mit Marjam gewohnt hatte; und der Anblick erschien seinen Augen schwarz und düster. Als er aber dort das Gerät sah, mit dem sie die Gürtel verfertigt hatte, und die Kleider, die ihren Leib einst schmückten, drückte er alles an seine Brust und weinte; die Tränen begannen mit Gewalt aus seinen Augen hervorzubrechen, und er hub an, diese Verse zusprechen:

Kehrt nach der Trennung wohl Vereinigung noch wieder,
Nach all der langen Zeit des Seufzens und der Qual?



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Ach, was vergangen ist, kann niemals wiederkehren -
Und doch, naht mir zum Glück die Freundin noch einmal?
Und wird uns Allah wohl in Zukunft noch vereinen?
Sind meinem Lieb die Liebesschwüre noch bekannt?
Sie, die ich ahnungslos verlor, hält sie die Treue
Und hütet sie den Bund, der früher uns verband?
Ich bin dem Tod verfallen, seit sie mir genommen;
Gefällt's dem Lieb, wenn mich der Tod von hinnen rafft?
Ich bin so traurig -ach, was nutzt denn meine Trauer?
Ich schwinde hin im Leid der heißen Leidenschaft.
Die Zeit verging, in der wir uns vereinigt sahen.
Wird mir vom Schicksal wohl dereinst mein Wunsch gewährt?
O Herz, mehr' deinen Schmerz! O Auge, ströme über
Von Tränen, bis in dir die Träne sich verzehrt!
Weh, daß mein Lieb sofern! Weh, daß Geduld mich meidet,
Daß mir ein Helfer fehlt und daß mein Leid sich mehrt!
Ich fleh zum Herrn der Menschen, daß er mir in Gnaden
Die Rückkehr meines Liebs, mein einstig Glück, beschert.

Dann weinte Nûr ed-Dîn so bitterlich, daß seinem Schmerze kein anderer glich; und während er in alle Winkel des Gemaches schaute, sprach er diese beiden Verse:

Ich sehe ihre Spuren und vergeh vor Sehnsucht;
An ihrer Lagerstatt vergieß ich meine Zähren.
Ich bitte Ihn, der jetzt mich scheiden hieß von ihnen,
Er möge gnädig einst die Heimkehr mir gewähren.

Dann sprang Nûr ed-Dîn plötzlich auf, verschloß die Tür des Hauses und lief eilends zum Meeresstrand; dort blickte er auf die Ankerstätte des Schiffes, das mit Marjam fortgesegelt war, und er weinte und begann in Seufzer auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:

Ich grüße dich, die du mir immer unersetzlich!
Jetzt bin ich nah und fern, mich quält ein zwiefach Leid.
Nach dir verlange ich zu jeder Zeit und Stunde,
Ich sehn' mich, wie der Durst'ge nach der Tränke schreit.



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Bei dir nur weilt mein Ohr, mein Herze und mein Auge;
Und söller ist als Honig die Erinnrung mir.
Und o mein Schmerz, als dich die fremde Schar mir raubte!
Auf jenem Schiffe, entschwand die Hoffnung mein mit dir.

Nun begann Nûr ed-Dîn sein Jammern und Weinen mit Seufzen und Stöhnen und Klagen zu vereinen; und er rief: ,O Marjam, Marjam! Hab ich dich nur im Traume gesehen, oder ist alles nur in den Irrgängen von Nachtgesichtern geschehene' Und wieder begann er in leidenschaftliche Seufzer auszubrechen, und er hub an, diese Verse zu sprechen:

Werd ich dich wiedersehen, seit ich dich verlor?
Klingt wohl in unserm Heim dein Ruf noch an mein Ohr?
Wird uns das Haus vereinen, wo das Glück uns schien?
Wird mir mein Herzenswunsch, der deine dir verliehn?
Für mein Gebein nimm einen Sarg, wohin du eilst;
Begrab mich neben dir, wo du nur immer weilst!
Hält ich der Herzen zwei, mit einem würd ich leben,
Das andre, sehnsuchtsvolle, deiner Liebe geben.
Und wollt man mich nach meinem Wunsch an Gott befragen,
,Des Herren Huld, und dann die deine', würd ich sagen.

Während aber Nûr ed-Dîn immer noch so weinte und rief: ,O Marjam, Marjam!' kam plötzlich ein alter Mann aus einem Schiffe an Land und trat auf ihn zu; er sah den Jüngling weinen und hörte ihn diese beiden Verse sprechen:

O Marjam, schönste Maid, kehr heim! Von meinen Augen
Strömt wie ein Wolkenbruch der Tränen heiße Flut.
Das kunde meinen Tadlern hier, auf daß sie sehen,
Wie meines Auges Lid ertränkt im Wasser ruht!

Da sprach der Alte zu ihm: ,Mein Sohn, mich deucht, du weinst um die Sklavin, die gestern mit dem Franken fortgefahren ist.' Als Nûr ed-Dîn diese Worte aus dem Munde des Scheichs vernahm, sank er zu Boden und blieb eine lange



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Weile in Ohnmacht liegen; doch wie er dann wieder zu sich kam, weinte er so bitterlich, daß seinem Schmerze kein andrer glich. Darauf sprach er diese Verse:

Kehrt wohl Vereinigung nach solcher Trennung wieder?
Und kommt zu uns des trauten Glück's Vollkommenheit?
Denn ach, in meinem Herzen brennt die heiße Sehnsucht;
Gerede der Verleumder bringt ihm bittres Leid.
Bei Tag umfangen mich Verstörung und Verwirrung;
Zur Nachtzeit hoffe ich dein Traumbild zu erspähn.
Bei Gott, nicht eine Stunde laß ich von der Liebe;
Wie könnt es anders sein, obgleich Verleumder schmähn?
Die Maid, so zart gebildet und so schlanken Leibes,
Hat Augen, deren Pfeil mich tief ins Herze sticht.
Ihr Wuchs ist gleich dem Reis der Weide dort im Garten;
Vollkommen schön, beschämt sie gar der Sonne Licht.
Und scheute ich nicht Gott, den Herrn der Herrlichkeit,
Ich neunte diese Schöne Herrn der Herrlichkeit.

Wie nun jener Alte auf Nûr ed-Dîn blickte und sich überzeugte von seiner Lieblichkeit und seines Wuchses Ebenmäßigkeit, von seiner Zunge Beredsamkeit und seiner mannigfachen Worte Zierlichkeit, da ward sein Herz um ihn betrübt, und er hatte Mitleid mit seiner Not. Dieser Scheich aber war der Führer eines Schiffes, das nach der Stadt jener Sklavin fahren sollte, und auf dem sich hundert gläubige muslimische Kaufleute befanden. Und er sprach zu dem Jüngling: ,Gedulde dich; es wird noch alles gut werden! So Allah, der Gepriesene und Erhabene, will, werde ich dich zu ihr bringen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 881. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der alte Schiffsführer zu Nûr ed-Dîn sprach: ,Ich werde dich zu ihr bringen, so Allah der Erhabene will', und daß der Jüngling fragte:



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,Wann fährt dein Schiff ab?' Darauf erwiderte jener: ,Nach drei Tagen wollen wir zu Glück und Gedeihen aufbrechen.' Als Nûr ed-Dîn dies von dem Kapitän hörte, freute er sich gar sehr, und er dankte ihm für seine Güte und seine Freundlichkeit. Dann gedachte er der Tage der Liebesseligkeit und der Vereinigung mit seiner unvergleichlichen Maid; und er weinte bitterlich und sprach diese Verse:

Wird der Erbarmer wohl mich noch mit dir vereinen?
Werd ich mein Ziel erreichen, Herrin, oder nicht?
Wird das Geschick mir deine Wiederkunft gewähren,
So daß ich auf dein Bild mein sehnend Auge richt?
Wenn ich ein Wiedersehn erkaufen könnt, mein Leben
Gab ich; allein ich seit den Preis noch höher streben.

Dann begab Nûr ed-Dîn sich unverzüglich zum Basar, kaufte dort alles, was er an Zehrung und Ausrüstung für die Reise nötig hatte, und kehrte zu dem Schiffsführer zurück. Als der ihn wieder erblickte, sprach er zu ihm: ,Mein Sohn, was hast du da bei dir?' Der Jüngling antwortete: ,Meine Wegzehrung und was ich sonst noch für die Reise nötig habe.' Über diese Worte lachte der Alte, und er fuhr fort: ,Mein Sohn. willst du etwa einen Ausflug machen, um dir die Säule der Masten' anzusehen? Zwischen dir und deinem Ziele liegt eine Reise von zwei Monaten, wenn der Wind gut und das Wetter günstig ist!' Dann ließ er sich von Nûr ed-Dîn einige Dirhems geben, ging selber auf den Markt und kaufte ihm alles, was er für die Reise nötig hatte, in genügender Menge; auch ließ er ihm einen Krug mit frischem Wasser füllen. Nun wartete Nûr ed-DIn noch drei Tage auf dem Schiffe, bis die Kaufleute sich



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reisefertig gemacht und alle ihre Angelegenheiten geordnet hatten und an Bord gingen. Dann ließ der Kapitän die Segel spannen, und man fuhr einundfünfzig Tage lang zur See. Doch danach kamen die Korsaren über sie, die Piraten der See; die plünderten das Schiff, nahmen alle, die an Bord waren, gefangen und schleppten sie in die Stadt der Franken, um sie dem König vorzuführen; unter ihnen befand sich auch Nûr ed-Dîn. Der König befahl, sie ins Gefängnis zu werfen; und gerade, als man sie zum Kerker führte, traf das Fahrzeug ein, auf dem sich die Prinzessin Marjam die Gürtlerin mit dem einäugigen Wesir befand; und als die Korvette die Stadt erreichte, eilte der Wesir an Land zum König und brachte ihm die frohe Botschaft von der wohlbehaltenen Ankunft seiner Tochter Marjam der Gürtlerin. Da wurden die Freudentrommeln geschlagen, und die Stadt ward aufs schönste geschmückt; und der König zog mit seinem ganzen Heere und den Großen seines Reiches auf den Weg zum Meere hinaus, um sie zu empfangen. Nachdem das Schiff im Hafen vor Anker gegangen war, kam die Prinzessin Marjam an Land, und er umarmte und begrüßte sie; und auch sie begrüßte ihn. Dann befahl er, ihr ein edles Roß zu bringen, und ließ sie auf ihm reiten. Als sie in den Palast kamen, eilte ihre Mutter ihr entgegen, umarmte sie und begrüßte sie und fragte sie, wie es ihr ergehe und ob sie noch Jungfrau wäre wie vordem bei ihnen, oder ob sie eine vom Manne berührte Frau geworden sei. Marjam antwortete ihr: ,Wenn eine Maid im Lande der Muslime von Händler zu Händler verkauft wird und einem jeden untertan ist, wie kann sie dann wohl Jungfrau bleiben? Der Händler, der mich erstand, bedrohte mich mit Schlägen und vergewaltigte mich und nahm mir das Mädchentum; dann verkaufte er mich einem anderen, und der andere wieder einem anderen.'



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Als ihre Mutter diese Worte von ihr vernehmen mußte, ward das helle Tageslicht finster vor ihrem Angesicht. Darauf wiederholte sie diese Worte vor dem König, und da er sich die Sache sehr zu Herzen nahm, erfaßte ihn ein schwerer Gram: und alsbald berichtete er den Großen seines Reiches und den Rittern, was mit ihr geschehen war. Die sprachen zu ihm: ,O König, sie ist von den Muslimen besudelt worden, und nur das Fallen von hundert Häuptern der Muslime kann sie wieder reinigen.' Da befahl der König, die gefangenen Muslime, die im Kerker lagen, allesamt vor ihn zu führen, unter ihnen auch Nûr ed-Dîn. Und weiter befahl der König, ihnen die Köpfe abzuschlagen. Der erste, der enthauptet wurde, war der Schiffsführer; dann wurden die Kaufleute enthauptet, einer nach dem andern, bis allein noch Nûr ed-Dîn übrig war. Schon hatten sie ihm den Saum seines Kleides abgerissen und ihm damit die Augen verbunden, schon hatten sie ihn zum Blutleder geführt und wollten ihm den Kopf abschlagen, da eilte plötzlich, gerade in jenem Augenblick, eine alte Frau auf den König zu und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, du hast jeder Kirche fünf gefangene Muslime gelobt, wenn Gott dir deine Tochter Marjam wiedergäbe, damit sie uns in unserem Dienste behilflich sein sollten. Nun ist deine Tochter, die Herrin Marjam, zu dir zurückgekehrt; drum erfülle dein Gelübde, das du gelobt hast.' Der König erwiderte ihr: ,Mütterchen, bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, von den Gefangenen ist mir nur noch dieser eine übrig geblieben, der gerade getötet werden soll. Nimm ihn mit dir, damit er dir im Dienste der Kirche helfe, bis daß wieder gefangene Muslime zu uns kommen; dann will ich dir vier andere schicken! Wärest du früher gekommen, ehe diese Gefangenen enthauptet wurden, dann hätte ich dir so viele gegeben, wie du



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wünschtest.' Die Alte dankte dem König für seine Gnade und wünschte ihm Dauer des Lebens, des Ruhmes und des Gedeihens. Dann trat sie sogleich an Nûr ed-Dîn heran und hob ihn vom Blutleder empor; und als sie ihn anschaute, erkannte sie in ihm einen Jüngling lieblich und zierlich, von zarter Haut und mit einem Antlitz gleich dem vollen Mond, wenn er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront. Sie nahm ihn mit und führte ihn in die Kirche und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, zieh deine Kleider aus, die du trägst; denn die taugen nur für den Dienst des Sultans.' Darauf brachte die Alte dem Jüngling eine Kutte aus schwarzer Wolle und eine Kapuze aus schwarzer Wolle und einen breiten Gürtel. Jene Kutte legte sie ihm an, die Kapuze zog sie ihm über den Kopf, und den Gürtel band sie ihm um den Leib; dann befahl sie ihm, in der Kirche seinen Dienst zu tun. Sieben Tage lang verrichtete er dort den Dienst; da kam, während er bei seiner Arbeit war, jene Alte plötzlich auf ihn zu und sprach zu ihm: ,O Muslim, nimm deine seidenen Kleider und lege sie an; nimm auch diese zehn Dirhems und geh auf der Stelle fort: du kannst dir heute die Stadt ansehen, bleib aber keinen Augenblick länger hier, damit du nicht dein Leben verlierst!' Nûr ed-Dîn fragte sie: ,O Mutter, was gibt es?' Und die Alte antwortete ihm: ,Wisse, mein Sohn, die Tochter des Königs, die Herrin Marjam die Gürtlerin, will jetzt in die Kirche kommen, um durch diese Wallfahrt ihres Segens teilhaftig zu werden; sie will Opfer darbringen zum Dank für ihre glückliche Befreiung aus dem Lande der Muslime und die Gelübde erfüllen, die sie dem Messias gelobt hat, wenn er sie erretten würde. Bei ihr sind vierhundert Jungfrauen, die alle vollkommen sind an Schönheit und Lieblichkeit; unter ihnen ist die Tochter des Wesirs, und die anderen sind die Töchter der Emire und der Großen des



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Reiches. Sie werden in diesem Augenblick eintreffen, und wenn ihre Augen dich in dieser Kirche erblicken, so werden sie dich mit Schwertern in Stücke schlagen.' Nûr ed-Dîn nahm die zehn Dirhems von der Alten, nachdem er seine eigenen Kleider wieder angelegt hatte, ging hinaus zum Basar und wanderte in den Straßen der Stadt umher, bis er alle Stadtteile und Tore kannte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 872. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn, nachdem er seine eigenen Kleider wieder angelegt hatte, die zehn Dirhems von der Alten entgegennahm, zum Basar hinausging und eine Weile fortblieb, bis er die Stadtteile kannte; dann kehrte er zur Kirche zurück. Da sah er, wie Marjam die Gürtlerin, die Tochter des Königs der Franken, der Kirche nahte, begleitet von vierhundert Mädchen, hochbusigen Jungfrauen, wie Monde anzuschauen; unter ihnen war die Tochter des einäugigen Wesirs, und die anderen waren die Töchter der Emire und der Großen des Reiches; und sie selbst schritt in ihrer Mitte dahin, als wäre sie der Mond unter den Sternen. Als Nûr ed-Dîn sie nun wiederschaute, konnte er nicht mehr an sich halten, sondern rief aus tiefstem Herzen: ,O Marjam! O Marjam!' Kaum hatten die Jungfrauen diesen Schrei des Jünglings, der ihre Herrin anrief, gehört, so stürzten sie auf ihn und zückten die blanken Klingen wie der Blitz und wollten ihn sofort erschlagen. Marjam aber wandte sich um, und als sie ihn betrachtete, erkannte sie, daß er es wirklich war. Da rief sie den Mädchen zu: ,Laßt ab von diesem Jüngling! Ohne Zweifel ist er von Sinnen; die Zeichen des Wahnsinns stehen ihm im Gesicht geschrieben.' Als Nûr ed-Dîn diese Worte



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von der Herrin Marjam vernahm, entblößte er sein Haupt, rollte mit den Augen, ließ die Arme hängen und krümmte die Füße, indem er den Geifer aus beiden Mundwinkeln herausschäumen ließ. Die Herrin Marjam aber sprach: ,Habe ich euch nicht gesagt, daß der dort wahnsinnig ist? Bringt ihn mir her und tretet dann von ihm zurück, damit ich höre, was er sagen will; denn ich verstehe die Sprache der Araber! Ich will schauen, was es mit ihm ist und ob die Krankheit seines Irrsinns geheilt werden kann oder nicht.' Darauf schleppten ihn die Jungfrauen herbei, brachten ihn vor die Prinzessin und traten zurück. Sie aber sprach zu ihm: ,Bist du wirklich um meinetwillen hierher gekommen und hast dein Leben aufs Spiel gesetzt und dich irrsinnig gestellt?' Nûr ed-Dîn gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin, hast du nicht das Dichterwort vernommen:

Sie sprachen: ,Liebe macht dich irre.' Und ich sagte:
,Das Leben gibt ja nur den Irren Süßigkeit.
Bringt meinen Wahnsinn her! Bringt sie, die mich berückte!
Wenn sie den Wahnsinn teilt, sei mir der Tadel weit!'

Darauf sagte Marjam: ,Bei Allah, o Nûre-Dîn, du hast wider dich selbst gesündigt. Ich habe dich vor all dem gewarnt, ehe es eintraf; aber du hast nicht auf mein Wort geachtet, sondern bist deinem eigenen Gelüste gefolgt. Und ich habe dir das doch kundgetan nicht infolge einer Offenbarung noch durch Deutung der Gesichtszüge noch wegen eines Traumgesichts, sondern weil meine eigenen Augen es mir bezeugten; denn ich hatte den einäugigen Wesir gesehen, und ich wußte, daß er nur auf der Suche nach mir in jene Stadt gekommen war.' ,Ach, meine liebe Herrin Marjam,' rief er, ,wir suchen Zuflucht bei Allah vor dem Fehltritt der Verständigen!' Und überwältigt von dem schweren Bewußtsein seiner Tat, sprach er, wie der Dichter gesprochen hat:



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Verzeih die Schuld, in die mein Fuji hineingeglitten!
Dem Knecht gebühtret ja von seinem Herren Huld.
Die bittre Reue kommt, wenn Reue nichts mehr nützet:
Dem Sünder ist's genug als Strafe fur die Schuld.
Ich tat, was Strafe fordert, und ich hab's gestanden;
Wo ist nun das Gebot der Gnade und der Huld?

Darauf machten Nûr ed-Dîn und die Herrin Marjam die Gürtlerin einander so viele zärtliche Vorwürfe, daß es zu lange währen würde, sie alle zu erzählen. Ein jeder von beiden berichtete dem anderen, was ihm widerfahren war, und sie vertrauten ihr Leid den Versen an, während über ihre Wangen die Tränenflut in Strömen rann; sie klagten einander ihre heftige Leidenschaft und der heißen Liebespein Schmerzenskraft, bis sie keine Kraft zum Reden mehr hatten und der Tag zur Rüste ging und sich verlor in des Dunkels Schatten. Nun trug die Herrin Marjam ein grünes Prachtgewand, das war mit rotem Golde bestickt und mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, und dadurch ward ihre Schönheit und Anmut und die Zartheit ihres Wesens noch erhöht, wie so trefflich der Dichter von ihr sagte:

Sie nahte vollmondgleich, in wallenden Gewänder,,,
Den grünen, und im Haar, das frei herab ihr hing.
,Wie heißt du?' fragte ich; sie sprach: ,Ich bin die Schöne,
Die in der heißen Liebesglut die Herzen fing.
Ich bin das weiße Silber, bin das Gold, das edle,
Mit dein Gefangne sich aus harter Haft befrein.'
Dann sprach ich: ,Deine Hörte hat mich ganz vernichtet!'
Sie sagte: ,Klagst du mir? Mein Herz ist ja von Stein!'
Da rief ich: ,Mag dein Herze auch ein Felsen sein,
Gott ließ die Quelle sprudeln aus dem Felsgestein.'

'Weil aber die Nacht dunkelte, trat die Herrin Marjam zu den Jungfrauen und fragte sie: ,Habt ihr die Tür verschlossen?' Jene antworteten: ,Ja, wir haben es getan.' Da nahm die Prinzessin



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ihre Frauen und führte sie an eine Stätte, genannt die Stätte der Jungfrau Maria, der Mutter des Lichts, weil die Christen glauben, daß ihr Geist und ihre geheime Kraft sich dort befinden. Nun begannen die Mädchen dort um Segen zu flehen, und dann zogen sie durch die ganze Kirche. Nachdem sie ihre Wallfahrt beendet hatten, wandte die Herrin Marjam sich zu ihnen, indem sie sprach: ,Ich will jetzt allein in dieser Kirche bleiben und ihres Segens teilhaftig werden. Denn mich quält die Sehnsucht nach ihr, da ich so lange fern im Lande der Muslime war. Ihr aber, die ihr nunmehr eure Wallfahrt vollzogen habt, schlafet nun, wo ihr wollt!' ,Herzlich gern! Tu du, was dir beliebt!' erwiderten jene, verließen sie, verteilten sich in der Kirche und legten sich zum Schlafe nieder. Die Herrin Marjam wartete, bis sie nichts mehr bemerken konnten; dann machte sie sich auf und suchte nach Nûr ed-Dîn. Den fand sie, wie er in einer Ecke gleichsam auf Kohlen saß und ihrer harrte. Als sie ihm nahte, sprang er auf und küßte ihr die Hände; doch sie setzte sich nieder und ließ ihn an ihrer Seite sitzen. Darauf legte sie ihren Schmuck und ihre Prachtgewänder und das kostbare Linnen ab und zog Nûr ed-Dîn an ihre Brust und umschlang ihn mit den Armen. Und die beiden hörten nicht auf, sich zu küssen und in die Arme zu schließen und das Liebesspiel zu genießen. Dabei sprachen sie: ,Wie kurz ist die Nacht, die uns vereint, indes der Tag der Trennung so lang erscheint!' Und sie sprachen auch diese Dichterworte:

O Liebesnacht, du Erstlingsfrucht der Zeit,
Du strahlst als heller Nächte Herrlichkeit!
Am Nachmittag bringst du den Morgen mir;
Bist du des Morgenrotes Augenzier?
Bist du ein Traum, der müden Augen kam?



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O Trennungsnacht, wie lange währest du!
Dein Ende neigt sich deinem Anfang zu -
Ein leerer Kreis, der doch kein Ende hat,
Bis sich der Tag der Auferstehung naht!
Verschmähtes Lieb stirbt, auferweckt, vor Gram.

Während sie so beisammen waren in höchster Seligkeit und schönster Fröhlichkeit, begann plötzlich einer von den Dienern der heiligen Frau die Glocke' zu schlagen oben auf dem Kirchenbau; und er rief nach ihrer Weise zu des Glaubens Pflicht, wie der Dichter von ihm spricht:

Ich sah, wie er die Glocke schlug, und sprach zu ihm:
Wer lehrte denn dat Reh, daß es die Glocke schlägt?
Zu meiner Seele sprach ich: Was betrübt dich mehr,
Wenn dir die Glocke oder Abschiedsstunde schlägt? — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 883. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Marjam die Gürtlerin und Nûr ed-Dîn in Freuden und Wonnen beisammen waren, bis der Glockendiener auf das Dach der Kirche stieg und die Glocke läutete. Sogleich erhob sie sich und legte ihre Kleider und ihren Schmuck wieder an. Darüber ward Nûr cd-Dîn bekümmert, und seine Freude ward getrübt, und er begann zu weinen und in Tränen auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:

Ich küßte immerdar die Wange rosenrot
Und biß voll Leidenschaft, was mir die Wange bot,
Bis daß, als uns zur Freude unser Späher schlief
Und als der Schlummer dessen Augen zu sich rief,



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Der Glockenklang erscholl, der fur der Seinen Schar
Gleichwie der Ruf zum Beten den Muslimen war.
Da stand sie eilends auf und glitt in ihr Gewand,
Als fürchte sie den Stern, vom Neid herabgesandt,
Und rief: O du mein Wunsch, du aller Wünsche Ziel,
Es naht der Morgen schon in weißen Lichtes Spiel.
Ich schwöre: Hätte ich nur einen Tag der Macht
Und wäre Sultan in gewalt'ger Herrscherpracht,
So risse ich die Mauern aller Kirchen ein
Und ließe jeden Pfaff der Welt des Todes sein!

Noch einmal zog die Herrin Marjam den Jüngling an ihre Brust und küßte ihm die Wange, und dann sprach sie zu ihm: ,Sag, Nûr ed-Dîn, seit wieviel Tagen bist du in dieser Stadt?' ,Sieben Tage', antwortete er; und sie fragte weiter: ,Bist du schon in dieser Stadt umhergegangen, und kennst du ihre Straßen und Durchgänge und ihre Tore auf der Landseite und auf der Seeseite?' ,Jawohl.' ,Und kennst du auch den Weg zum Opferkasten in der Kirche?' ,Jawohl.' ,Da du dies alles kennst, so geh, wenn es wieder Nacht wird und wenn das erste Drittel der Nacht verstrichen ist, alsbald zum Opferkasten und nimm aus ihm, soviel du wünschest und begehrst! Dann öffne die Kirchentür zu dem unterirdischen Gang, der zum Meere führt! Dort wirst du ein kleines Schiff mit zehn Seeleuten finden: und wenn der Schiffsführer dich sieht, so wird er dir seine Hand reichen. Gib du ihm deine Hand. so wird er dich ins Schiff holen: dann warte, bis ich zu dir komme! Doch hüte dich, und noch einmal hüte dich, daß dich in dieser Nacht der Schlaf übermannt: sonst wirst du bereuen, wenn die Reue dir nichts mehr nützt!' Darauf nahm die Herrin Marjam Abschied von Nûr ed-Dîn und verließ ihn sogleich; und sie weckte ihre Dienerinnen und all die Jungfrauen aus ihrem Schlaf, nahm sie mit sich und führte sie zur Tür der Kirche. Dort pochte sie,



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und die Alte öffnete ihr. Nachdem sie hinausgetreten war, erblickte sie die Diener und die Ritter. die dort warteten, und sie brachten ihr ein scheckiges Maultier. Sie stieg auf, und die Diener errichteten über ihr einen seidenen Baldachin. während die Ritter den Zügel des Maultieres ergriffen und die Jungfrauen sich hinter ihr aufreihten. Dann umringten die Wächter sie mit gezogenen Schwertern und schritten mit ihr dahin, bis sie ihr zum Palaste ihres Vaters das Geleit gegeben hatten.

Wenden wir uns nun von Marjam der Gürtlerin wieder zu Nûr ed-Dîn, dem Kairiner! Der hielt sich weiter hinter dem Vorhang versteckt, hinter dem er und Marjam verborgen gewesen waren, und wartete, bis es heller Tag war und die Tür der Kirche offen stand. Da strömte das Volk in Scharen hinein, und er mischte sich unter die Menge. Als er aber jener Alten, der Vorsteherin der Kirche, begegnete, fragte sie ihn: ,Wo hast du in der letzten Nacht geschlafen?' Er antwortete: ,An einem Orte in der Stadt, wie du mir befohlen hast.' Und die Alte fuhr fort: ,Du hast recht getan, mein Sohn; denn wenn du in der Kirche übernachtet hättest, so hätte sie dich des schmählichsten Todes sterben lassen.' Da rief Nûr ed-Dîn: ,Preis sei Allah, der mich vor den Schrecken dieser Nacht behütet hat!' Dann versah er eifrig seinen Dienst in der Kirche, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit dunkler Finsternis umfing; da ging er hin und öffnete den Opferkasten und nahm aus ihm an Juwelen heraus, was nicht beschwert und doch von hohem Wert. Danach wartete er, bis das erste Drittel der Nacht vergangen war; und nun machte er sich auf und schlich zu der Tür des unterirdischen Ganges, der zum Meere führte, indem er Allah um Schutz anflehte. Dann schritt er in dem Gange weiter, bis er zur Ausgangstür kam; die öffnete er, trat hinaus und ging zum Meeresstrand. Dort, nicht weit von



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der Tür, fand er das Schiff am Meeresufer vor Anker liegen. Auch sah er den Kapitän, einen betagten Greis von schönem Aussehen und mit langem Barte, wie er mitten auf dem Schiffe dastand, während die zehn Leute vor ihm aufgereiht waren. Nûr ed-Din reichte ihm die Hand, wie Marjam ihm befohlen hatte; und der Alte nahm die Hand und zog ihn vom Ufer hinüber, so daß der Jüngling auch mitten aufs Schiff kam. Darauf rief der Kapitän den Seeleuten zu: ,Holt den Anker des Schiffes vom Ufer ein und laßt uns abfahren, ehe der Tag anbricht!' Doch einer von den zehn Seeleuten sprach: ,Herr Kapitän, wie können wir abfahren, da doch der König uns kundgetan hat, er wolle morgen auf diesem Schiffe dies Meer durchfahren, um zu erforschen, was sich hier herumtreibt, weil er die muslimischen Räuber für seine Tochter fürchtet?' Da schrie der Kapitän sie an: ,Weh euch, ihr Verfluchten! Ist es so weit mit euch gekommen, daß ihr mir nicht gehorchen wollt und mir Widerworte gebt?' Darauf zog der alte Kapitän sein Schwert aus der Scheide und schlug damit dem, der gesprochen hatte, auf den Hals, so daß die Klinge ihm blitzend zum Nacken herausfuhr. Nun hub ein zweiter an: ,Was hat denn unser Gefährte Arges begangen, daß du ihm den Kopf abschlägst?' Da reckte der Alte wiederum seine Hand nach dem Schwert und hieb auch diesem Sprecher den Hals durch. Ja, dieser Kapitän dort schlug allen Seeleuten die Köpfe ab, einem nach dem anderen, bis er alle zehn getötet hatte; dann warf er die Leichen an Land. Schließlich wandte er sich zu Nûr ed-Dîn und schrie ihn mit einem so furchtbaren Schrei an, daß der Jüngling erzitterte, und er sprach: ,Geh an Land und zieh den Ankerpfahl heraus!' Nûr ed-Dîn hatte Angst vor dem Schwertstreich und lief eilends hin, sprang an Land und zog den Pflock heraus; dann kletterte er schneller als der blendende Blitz wieder an



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Bord. Der Kapitän erteilte ihm seine Befehle: ,Tu dies und tu das! Wende hierhin und dorthin und schau nach den Sternen!' Alles, was der Schiffsführer ihm befahl, tat Nûr ed-Dîn mit zagendem und zitterndem Herzen, während der Alte selber die Segel des Schiffes ausspannte; und so segelte es mit ihnen dahin auf das tosende Meer mit den brandenden Wogen ringsumher. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 884. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der alte Kapitän, nachdem er die Segel des Schiffes ausgespannt hatte, mit Nûr ed-Dîn auf das tosende Meer hinausfuhr, von günstigem Winde getrieben. Derweilen hielt Nûr ed-Dîn sich an der Rahe' fest, versunken im Meere der Gedanken und immer von seinen Sorgen bedrängt, da er nicht wußte, was in der Zukunft für ihn verborgen war; und sooft er den Kapitän ansah, erbebte ihm das Herz. und er ahnte nicht, wohin der Schiffsführer mit ihm steuerte. So blieb er von Sorgen und Nöten beunruhigt, bis es heller Tag ward; als er dann aber den Kapitän anblickte, sah er, daß er sich mit der Hand an den langen Bart gegriffen hatte und daran zupfte, so daß er ihm abfiel und in der Hand blieb; und wie er genauer hinschaute, erkannte er, daß es ein falscher, angeklebter Bart gewesen war. Darauf schaute Nûr ed-Dîn die Gestalt des Kapitäns von neuem an und ließ seinen Blick prüfend auf ihr verweilen, und siehe da, es war die Herrin Marjam, seine Geliebte. die seinem Herzen so teuer war. Sie hatte nämlich eine List ersonnen, also daß sie den eigentlichen Kapitän töten konnte, ihm die Gesichtshaut mit dem Barte abzog und



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das Ganze nahm und vor ihr Gesicht klebte. Nûr ed-Dîn bewunderte ihre tapfere Tat und ihr mutiges Herz; er ward fast von Sinnen ob seiner Fröhlichkeit. und die Brust ward ihm weit vor Seligkeit. Und er sprach zu ihr: ,Willkommen, du mein Wunsch und mein Begehr und Ziel meiner Hoffnung!' Von Sehnsucht und Freude umfangen, in der festen Zuversicht, er werde an das Ziel seines Hoffens gelangen, begann er mit schöner Stimme zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Erzähl dem Volk. das meine Lieb nicht kennt
Zur Maid, von der sie all die Ferne trennt.
Wie unter meinem Volk ich litt; ja, fraget dann! Mein sü Sang, mein zartes Lied begann
Voll Lieb zu ihr, die mir im Herzen ruht.
Gedenk ich ihrer, wird mein Leid geheilt
In meinem Herzen, und der Schmerz enteilt.
Doch heiße Sehnsucht wächst in mir und bangt,
Wenn mein betrübtes Herz nach ihr verlangt
Und Menschen reden, was die Liebe lüt.
Ich kümmre mich um ihren Tadel nicht
Und achte nie, wenn man von Trost mir spricht.
Allein die Liebe weihte mich dem Schmerz.
Verbrannte wie mit Kohlen mir das Herz:
In meinem Innern brennt die heiße Glut.
O Wunder, sie hat Siechtum mir gebracht,
Daß mich der Schlummer flieht in finstrer Nacht.
Sie wandte sich, ließ mich allein und glaubt,
In Liebe Blut vergießen sei erlaubt,
Und hält ihr grausam Tun gar noch für gut.
Sag an, wer ist's, der solchen Rat dir gibt.
Daß du den Jüngling meidest, der dich liebt?
So wahr ich leb, bei Ihm, der dich erschuf
Erreichet dich der bösen Tadler Ruf,
Bei Gott, sie reden wie die Lügenbrut!



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Mir heile Allah nie das bittre Leid.
Mein Herze werde nie von seiner Glut befreit,
Wenn ich ob deiner Liebe müde klag,
Ich, der ich neben dir doch keine mag!
Quäl nur mein Herz, und wenn du willst, sei gut!
Ich hab ein Herz, das dir die Treue hält.
Bist du auch hart, daß es dem Leid verfällt.
Magst du mir zürnen oder gütig sein -
Tu, was du wünschest, mit dem Knechte dein!
Er geizet nie fur dich mit seinem Blut.

Als Nûr ed-Dîn sein Lied beendet hatte, war die Herrin Marjam von höchster Bewunderung erfüllt, und sie dankte ihm für seine Worte; und dann sprach sie zu ihm: ,Wem es so ergeht, dem geziemt es, daß er auf dem Wege der Männer wandle und nicht wie verächtliche Wichte handle!' Nun hatte die Herrin Marjam ein starkes Herz und war vertraut mit der Kunst der Schiffahrt auf dem Salzmeere, auch kannte sie alle Winde und ihre Wechsel und alle Fahrstraßen des Meeres. Und Nûr ed-Dîn sprach zu ihr: ,Meine Gebieterin, hättest du mich noch länger in diesem Zustande gelassen, so wäre ich im Übermaße der Angst und des Schreckens gestorben, zumal ein Feuer in mir brannte von Sehnsucht und Liebesleid und schmerzlicher Qual der Verlassenheit.' Sie lächelte ob seiner Worte; doch dann ging sie alsobald hin und holte ein wenig Speise und Trank. Da aßen sie und tranken, erquickten sich und waren voll froher Gedanken. Dann aber holte sie Rubine hervor und andere Edelsteine, alle Arten von Juwelen und kostbaren Schätzen, allerlei Schmuck aus Gold und aus Silber, was nicht beschwert und doch von hohem Wert, Dinge, die sie mitgenommen und aus dem Palast ihres Vaters und aus seinen Schatzkammern entführt hatte; all das breitete sie vor Nûr ed-Dîn aus, und er freute sich dessen über die Maßen. Derweilen



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war der Wind gleichmäßig günstig, und das Schiff segelte immer weiter; so fuhren sie dahin, bis sie die Stadt Alexandria erreichten und ihre alten und neuen Landzeichen, auch die Säule der Masten, erblickten. Als sie in den Hafen eingefahren waren, sprang Nûr ed-Dîn sogleich von Bord an Land und band das Schiff an einen der Steine, die den Walkern gehörten; dann nahm er etwas von den Schätzen, die Marjam mitgebracht hatte, und sprach zu ihr: ,Warte im Schiff, meine Gebieterin. bis ich mit dir in Alexandrien einziehen kann, wie ich es gern tun möchte.' Sie gab ihm zur Antwort: ,Es ist aber nötig, daß dies schnell geschieht; denn Saumseligkeit in Geschäften hat Reue im Gefolge.' ,Bei mir gibt es keine Saumseligkeit', rief er, und indem er Marjam im Schiffe zurückließ, begab er sich zum Hause des Spezereienhändlers, des Freundes seines Vaters. um von seiner Frau einen Schleier, einen Überwurf, Schuhe und einen Umhang zu entleihen, wie sie die Frauen von Alexandria tragen. Aber er dachte nicht an das, was jenseits aller Berechnung war, an die Wechselfälle der Zeit, die da reich ist an Dingen wunderbar.

Kehren wir nun von Nûr ed-Dîn und Marjam der Gürtlerin zurück zu ihrem Vater, dem König der Franken! Der vermißte, als es Morgen ward, seine Tochter Marjam, und als er sie nicht finden konnte, fragte er ihre Dienerinnen und ihre Eunuchen nach ihr. Sie gaben zur Antwort: ,O unser Herr, sie ist gestern abend ausgegangen und hat sich in die Kirche begeben; hernach haben wir nichts mehr von ihr vernommen.' Während noch der König mit den Dienerinnen und Eunuchen redete, ertönten plötzlich, zu ebenjener Zeit, unten am Schlosse zwei so laute Schreie, daß sie von überall widerhallten. Der König fragte: ,Was ist geschehen?' Und die Leute erwiderten: ,O König, am Meeresstrande sind zehn Männer ermordet aufgefunden,



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und das Schiff des Königs ist verschwunden. Wir sahen auch die Tür des Ganges, der von der Kirche zum Meere führt, offen stehen; auch der Gefangene, der als Diener bei der Kirche war, ist nicht mehr da.' Nun rief der König: ,Wenn mein Schiff, das am Strande lag, verschwunden ist, so befindet sich ohne allen Zweifel meine Tochter Marjam auf ihm.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 885. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Frankenkönig, als seine Tochter Marjam vermißt wurde und ihm auch die Meldung gebracht wurde, daß sein Schiff verschwunden sei, ausrief: ,Wenn mein Schiff verschwunden ist, so befindet sich ohne allen Zweifel meine Tochter Marjam auf ihm.' Dann ließ er unverzüglich den Hafenaufseher kommen und sprach zu ihm: ,Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, wenn du nicht sofort mit einer Schar von Kriegern meinem Schiffe nachsetzest und es mir mit denen bringst, die sich auf ihm befinden, lasse ich dich des schmählichsten Todes sterben und mache dich zu einer Warnung für viele.' Dann schrie der König ihn laut an, so daß er zitternd von ihm forteilte; er begab sich aber zur Alten von der Kirche und fragte sie: ,Hast du von dem Gefangenen, der bei dir war, nichts über seine Heimat vernommen noch darüber, aus welchem Lande er kam?' Sie erwiderte ihm: ,Er pflegte zu sagen, daß er aus der Stadt Alexandria sei.' Als der Hauptmann diese Worte von der Alten gehört hatte, kehrte er sogleich zum Hafen zurück und rief den Seeleuten zu: ,Macht euch bereit und hißt die Segel!' Sie taten, wie er ihnen befahl, und stachen in See. Tag und Nacht fuhren sie ohne Aufenthalt dahin, bis sie die Stadt Alexandria erreichten, und zwar zu eben jener Stunde,



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in der Nûr ed-Dîn von Bord gegangen war und die Herrin Marjam auf dem Schiffe zurückgelassen hatte. Unter den Franken befand sich aber auch der einäugige Wesir, der sie von Nûr ed-Dîn gekauft hatte. Als sie nun das angebundene Schiff sahen, erkannten sie es, und sie banden ihr eigenes Schiff etwas entfernt von ihm fest: dann fuhren sie hinüber in einem kleinen Boot. das sie bei sich hatten und das nur zwei Ellen Tiefgang besaß. Hundert Streiter befanden sich in diesem Boote, darunter auch der einäugige, lahme Wesir, jener tyrannische, trutzige Gesell und teuflische Rebell, jener verschlagene Räubersmann. vor dessen Listen niemand sicher war, als wäre er Abu Mohammed el-Battâl 1 sogar. Sie ruderten rasch dahin, bis sie das Schiff erreichten; und sie sprangen hinauf und fielen alle auf einmal darüberher, aber sie fanden auf ihm niemanden außer der Herrin Marjam. Nachdem sie die Prinzessin und das Schiff, auf dem sie sich befand, in ihre Gewalt gebracht hatten und an Land gestiegen und dort eine Weile geblieben waren, kehrten sie schnurstracks zu ihren Schiffen zurück; jetzt hatten sie erreicht, was sie wollten, ohne Kampf und ohne Schwertstreich. Danach machten sie sich wieder auf zum Lande der Christen; sie fuhren bei günstigem Winde dahin, immer weiter, in sicherer Hut, bis sie bei der Stadt der Franken ankamen; dort begaben sie sich mit der Prinzessin Marjam zu ihrem Vater, der auf dem Throne seiner Herrschaft saß. Doch als der König sie erblickte, sprach er zu ihr: ,Wehe dir, du Verräterin, wie konntest du den Glauben der Väter und Vorväter ablegen und den Schutz des Messias, auf den wir vertrauen allerwegen? Und dem Glauben der Vagabunden folgen, das heißt dem Islam, der mit dem Schwerte wider das Kreuz und die Bilder



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kam?' Marjam gab ihm zur Antwort: ,Mich trifft keine Schuld! Ich ging bei Nacht zur Kirche, um zur Jungfrau Maria zu wallfahrten und ihres Segens teilhaftig zu werden; und während ich nichts ahnte, überfielen mich dort plötzlich muslimische Räuber, verstopften mir den Mund und fesselten mich; dann schleppten sie mich auf das Schiff und führten mich in ihr Land. Ich aber hinterging sie und redete mit ihnen von ihrem Glauben, bis sie mir die Fesseln lösten; und ehe ich mich dessen versah, holten deine Mannen mich ein und befreiten mich. Und bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, beim Kreuze und dem, der an ihm gekreuzigt wurde, ich freue mich über die Maßen. daß ich ihren Händen entronnen bin, meine Brust ist weit, und froh ist mein Sinn. weil mir die Befreiung aus den Banden Muslime zuteil geworden ist.' Aber ihr Vater rief: ,Du lügst, du Metze, du Dirne! Bei dem, was das Evangelium, wohlbewahrt, an Verbotenem und Erlaubtem offenbart, ich lasse dich des schmählichsten Todes sterben und mache dich zu, einer Warnung voll Verderben. War es dir nicht genug, was du früher getan hattest, als deine List wider uns gelang, und mußt du jetzt wieder mit deinen Lügen zu uns kommen?' Darauf befahl der König, sie zu töten und über dem Palasttore zu kreuzigen. Aber in eben jenem Augenblick trat der einäugige Wesir ein, der seit langer Zeit die Prinzessin liebte, und er rief: ,O König, töte sie nicht, sondern vermähle sie mit mir! Ich will sie aufs sorgfältigste bewachen, und ich will nicht eher zu ihr eingehen, als bis ich für sie ein Schloß aus festem Gestein errichtet habe mit so hohen Mauern, daß kein einziger Dieb auf seine Dachterrasse klettern kann. Und wenn ich es fertig gebaut habe, so will ich vor seinem Tore dreißig Muslime töten und zum Sühneopfer an den Messias für mich und für sie werden lassen !'Der König gewährte ihm seine Bitte



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und erlaubte den Priestern, Mönchen und Rittern, ihm die Prinzessin zu vermählen; und als jene sie darauf mit dem einäugigen Wesir vermählt hatten, gab er die Erlaubnis, daß man mit dem Bau eines hochragenden Schlosses beginne, wie es ihrem Stande entsprach. Da machten sich die Arbeiter ans Werk. So viel von der Prinzessin Marjam und ihrem Vater und dem einäugigen Wesir!

Wenden wir uns nun zu Nûr ed-Dîn und zu dem Spezereienhändler! Als der Jüngling zu dem Freunde seines Vaters gekommen war, entlieh er von dessen Frau einen Umhang, einen Schleier und Schuhe, kurz, alle Kleidungsstücke, wie die Frauen Alexandrias sie tragen; dann kehrte er mit diesen Sachen zum Meeresstrande zurück und suchte das Schiff, auf dem die Herrin Marjam war; doch er fand die ,Luft leer und das Heiligtum fern". — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 886. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn, als er ,die Luftleer und das Heiligtum fern' fand, betrübten Herzens ward; und er vergoß Tränen immerfort und sprach das Dichterwort:

Bei Nacht erregte Su'das' Schatten mir die Seele.
Vor Tag; die Freundesschar schlief in der Wüste dort.
Und als das Nachtgebild, das mir genaht, mich weckte,
Da fand ich leer die Luft und fern den Wallfahrtsort.

Dann ging Nûr ed-Dîn an der Küste des Meeres entlang und blickte nach rechts und nach links; da sah er plötzlich, wie Leute sich am Strande zusammenrotteten und riefen: ,Ihr Muslime. die Ehre der Stadt Alexandria ist dahin, seitdem die Franken



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in sie eindringen können, um ihre Bewohner zu rauben, und dann in aller Gemächlichkeit in ihr Land zurückkehren, ohne verfolgt zu werden von einem derer, die den Islam bekennen, noch auch derer, die sich Glaubensstreiter nennen!' Als Nûr ed-Dîn sie fragte, was geschehen sei, berichteten sie ihm: ,Junger Herr, eines von den Schiffen der Franken ist soeben voll Bewaffneter in diesen Hafen eingedrungen; die Leute haben ein Schiff, das hier vor Anker lag, mit allem, was darinnen war, fortgeschleppt und sind dann in aller Sicherheit wieder zu ihrem Land gefahren.' Wie der Jüngling diese Worte von ihnen vernahm, fiel er ohnmächtig nieder; und nachdem er wieder zu sich gekommen war, fragten die Leute ihn nach seiner Geschichte, und da berichtete er ihnen seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende. Kaum hatten jene alles begriffen, so fing ein jeder von ihnen an, ihn zu schelten und zu schmähen und zu rufen: ,Warum konntest du sie denn nicht ohne Umhang und Schleier in die Stadt hinauf bringen?' So fuhren ihn die Leute mit harten Worten an, einer nach dem andern. Nur einige sagten: ,Laßt ihn; er trägt genug an dem, was er gelitten hat!' Doch immer noch hatte fast ein jeder ein schmerzendes Wort für ihn und schoß den Pfeil des Tadels wider ihn, bis er von neuem in Ohnmacht sank. Während nun die Leute sich so mit Nûr ed-Dîn beschäftigten, kam plötzlich der alte Spezereienhändler des Wegs, und als er das Gedränge sah, ging er dorthin, um zu erfahren, was es gäbe; da sah er Nûr ed-Dîn ohnmächtig in ihrer Mitte liegen. Sogleich setzte er sich ihm zu Häupten nieder und suchte ihn zum Bewußtsein zurückzurufen. Als aber der Jüngling wieder zu sich kam, sprach er zu ihm: ,Mein Sohn, in welchem Zustande muß ich dich sehen?' Jener gab ihm zur Antwort: ,Lieber Oheim, ich hatte die Maid, die mir verloren gegangen war, aus ihres Vaters Stadt in einem



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Schiffe hierher gebracht, nachdem ich auf der Fahrt viel Ungemach erduldet hatte; und als ich mit ihr hier ankam, band ich das Schiff am Ufer fest, ließ sie darin zurück und begab mich zu deiner Wohnung; dort empfing ich von deiner Gattin Sachen für die Maid, in denen ich sie zur Stadt führen wollte; doch da kamen die Franken und raubten das Schiff mit der Maid darauf und fuhren in aller Sicherheit zu ihren eigenen Schiffen zurück.' Als der alte Spezereienhändler diese Worte von Nûr ed-Dîn vernommen hatte, ward das helle Tageslicht finster vor seinem Angesicht; und er grämte sich gar sehr um den Jüngling. Dann sprach er zu ihm: ,Mein Sohn, warum hast du sie denn nicht ohne Umhang vom Schiffe in die Stadt geführt? Aber jetzt nützt das Reden nichts mehr; drum erhebe dich, mein Sohn, und komm mit mir in die Stadt; vielleicht wird Allah dir eine Sklavin bescheren, die noch schöner ist als sie und die dich über ihren Verlust trösten wird. Preis sei Allah. der dich an ihr nichts verlieren ließ! Ja, mögest du durch sie noch gewinnen! Und, mein Sohn, dir ist bekannt, Vereinigung und Trennung liegen in des höchsten Königs Hand.' Doch Nûr ed-Dîn erwiderte ihm: ,Lieber Oheim. ich kann mich nie und nimmer über ihren Verlust trösten, ich werde nie ablassen, sie zu suchen, wenn ich auch um ihretwillen den Kelch des Unheils leeren muß!' ,Mein Sohn,' fuhr der Alte fort, ,was hast du in deinem Sinne beschlossen zu tun?' Der Jüngling antwortete darauf: ,Ich gedenke ins Land der Christen zurückzukehren, in die Stadt der Franken einzudringen und mein Leben zu wagen, mag es sich zum Guten oder zum Bösen wenden!' Da sprach der Alte zu ihm: ,Mein Sohn, es gibt ein bekanntes Sprichwort: Nicht alleweil bleibt der Krug heil! Wenn sie dir auch beim ersten Male nichts angetan haben, so werden sie dich diesmal vielleicht umbringen, zumal sie dich



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jetzt ja ganz genau kennen.' Dennoch beharrte Nûr ed-Dîn darauf: ,Laß mich ziehen, lieber Oheim! Eher will ich um ihrer Liebe willen eines raschen Todes sterben, als fern von ihr langsam aus Verzweiflung zugrunde gehen.'

Nun hatte der Zufall des Schicksals es gewollt, daß im Hafen ein Schiff zur Ausfahrt bereit lag, dessen Reisende schon alle ihre Geschäfte erledigt hatten; gerade hatten die Seeleute die Ankerpflöcke herausgezogen, und da sprang Nûr ed-Dîn an Bord. Das Schiff segelte dann eine Reihe von Tagen dahin, und Wind und Wetter waren den Reisenden günstig. Während sie so auf der Fahrt waren, erschien plötzlich eines der fränkischen Schiffe, die auf hoher See umherkreuzten und jedes Schiff kaperten, das sie in Sicht bekamen, aus Besorgnis um die Königstochter vor den muslimischen Piraten; und wenn sie ein Schiff erbeutet hatten, so brachten sie alle, die darauf waren, zum König der Franken, und der ließ sie hinrichten, um durch sie das Gelübde zu erfüllen, das er um seiner Tochter Marjam willen getan hatte. Als die Franken jenes Schiff erblickten, auf dem sich Nûr ed-Dîn befand, kaperten sie es, nahmen alle, die darauf waren, mit sich und führten sie zum König, dem Vater Marjams. Wie sie nun vor ihm standen, sah er. daß es ihrer hundert muslimische Männer waren, und er gab sofort Befehl, sie hinzurichten. Nûr ed-Dîn war auch unter ihnen, und von allen, die dort abgeschlachtet wurden, blieb er allein übrig; denn der Henker hatte ihn bis zuletzt übrig gelassen, da es ihn um seine Jugend und um seine schlanke Gestalt leid tat. Als aber der König auf ihn schaute, erkannte er ihn recht wohl, und er sprach zu ihm: ,Bist du nicht Nûr cd-Dîn, der schon früher einmal bei uns war vor diesem Tage?' Da rief jener: ,Ich bin nie bei euch gewesen, und ich heiße auch nicht Nûr ed-Dîn, ich heiße Ibrahîm!' ,Du lügst,' fuhr der



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König ihn an, ,du bist Nûr ed-Dîn, der, den ich der alten Vorsteherin der Kirche geschenkt habe, damit er ihr im Kirchendienste helfe.' Doch Nûr ed-Dîn wiederholte: ,Hoher Herr, ich heiße Ibrahîm!' Nun sagte der König: ,Wenn die Alte, die Vorsteherin der Kirche, kommt und dich sieht, so wird sie wissen, ob du Nûr ed-Dîn bist oder ein anderer.' Während die beiden noch miteinander redeten, trat plötzlich, zu eben jener Zeit, der einäugige Wesir ein, der sich mit der Tochter des Königs vermählt hatte; und nachdem er den Boden vor dem König geküßt hatte, sprach er zu ihm: ,O König, vernimm, der Bau des Schlosses ist beendet. Du weißt, daß ich dem Messias gelobt habe, ich wolle, wenn ich den Bau beendet hätte, vor seinem Tore dreißig Muslime opfern; deshalb komme ich, um mir von dir dreißig Muslime zu holen, damit ich sie töten und durch sie mein Gelübde an den Messias erfüllen kann. Sie sollen mir übergeben werden als eine Anleihe, für die ich verantwortlich bin, und wenn ich selbst Gefangene habe, will ich dir andre dreißig dafür wiedergeben.' Der König erwiderte: ,Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, ich habe nur noch diesen einen Gefangenen übrig.' Und indem er auf Nûr ed-Dîn zeigte, sprach er: ,Nimm ihn und töte ihn jetzt; die anderen will ich dir schicken, sobald ich wieder Gefangene von den Muslimen erhalte!' Da nahm der einäugige Wesir den Jüngling in Empfang und führte ilm zu dem Schlosse, um ihn auf der Schwelle des Tores zu opfern. Doch die Maler sprachen zu ihm: ,Hoher Herr, wir haben noch zwei Tage mit dem Malen zu tun; hab Geduld mit uns und warte mit der Hinrichtung dieses Gefangenen, bis wir mit dem Malen ganz fertig sind! Vielleicht kommen auch noch volle dreißig für dich zusammen, und dann kannst du alle auf einmal opfern und dein Gelübde an einem einzigen Tage erfüllen.' Darauf



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befahl der Wesir, man solle Nûr ed-Dîn in den Kerker werfen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 887.. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir befahl, man solle Nûr ed-Dîn in den Kerker werfen; da schleppten die Leute ihn gefesselt in den Stall, wo er hungernd und dürstend sein Los beklagte und schon den Tod vor Augen sah.

Nun traf es sich nach dem vorherbestimmten Ratschluß und dem unabänderlichen Schicksal, daß der König zwei Hengste besaß, leibliche Brüder. von denen der eine Sâbik und der andere Lâhik hieß; Tiere, wie ihrer eines zu besitzen selbst die Perserkönige vergeblich gewünscht hätten. Der eine von den beiden Hengsten war von reinem Grau, der andere aber schwarz wie die finstere Nacht. Und die Könige der Inseln pflegten zu sagen: Wer uns einen von diesen beiden Hengsten stiehlt, dem wollen wir alles geben, was er verlangt, an rotem Golde, Perlen und Edelsteinen.' Aber es gelang niemandem, einen von diesen beiden Hengsten zu stehlen. Einer von den beiden nun erkrankte in der Art, daß ihm das Weiße in den Augen gelb wurde. Da ließ der König alle Tierärzte kommen, um ihn zu heilen: doch keiner von ihnen vermochte es. Eines Tages trat der einäugige Wesir, der Gemahl der Prinzessin, zum König ein, und da er ihn um jenes Hengstes willen bekümmert sah, wollte er ihn von seiner Kümmernis befreien, und so sprach er zu ihm: ,O König, gib mir den Hengst, ich will ihn heilen!' Der König übergab ihm das Tier und ließ es in den Stall bringen, in dem Nûr ed-Dîn gefangen lag; doch als das Pferd von seinem Bruder getrennt war, stieß es einen lauten Schrei aus und wieherte so stark, daß es alle Leute durch



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sein Geschrei erschreckte. Da der Wesir wohl wußte, daß der Hengst nur deshalb so laut schrie, weil er von seinem Bruder getrennt war, so ging er zum König und meldete es ihm. Und als der Herrscher sich von der Wahrheit seiner 'Worte überzeugt hatte, sprach er: ,Wenn dieser Hengst, der doch nur ein Tier ist, die Trennung von seinem Bruder nicht ertragen kann, wie soll es dann mit denen sein, die vernunftbegabt sind?' Darauf befahl er den Stallknechten, sie sollten den anderen Hengst zu seinem Bruder in das Haus des Wesirs, des Gatten Marjams, bringen, und fügte hinzu: ,Sagt dem Wesir: Der König läßt dir sagen, daß diese beiden Hengste ein Geschenk von ihm an dich sind um seiner Tochter Marjam willen.' Während Nûr ed-Dîn gefesselt und gebunden dort im Stalle lag, sah er die beiden Hengste an und entdeckte in den Augen des einen von ihnen eine Trübung. Da er ein wenig von Pferden und von der Behandlung ihrer Krankheiten verstand, so sprach er bei sich: ,Bei Allah, dies ist die rechte Gelegenheit für mich! Ich will den Wesir belügen, indem ich zu ihm spreche: ,Ich kann dies Pferd heilen.' Dann will ich etwas mit ihm tun, was seine Augen völlig vernichtet, und der Wesir wird mich töten lassen, so daß ich endlich Ruhe habe von diesem elenden Leben.' Er wartete also, bis der Wesir in den Stall kam, um nach den beiden Hengsten zu schauen. Sobald jener eintrat, sprach Nûr ed-Dîn zu ihm: ,Mein Gebieter, was wird mir von dir zuteil werden, wenn ich dies Pferd heile und ihm durch ein Mittel seine Augen wieder gesund mache?' ,Bei meinem Haupte,' antwortete der Wesir, ,wenn du es heilst, so will ich dein Leben verschonen und dich eine Gnade von mir erbitten lassen.' Der Jüngling fuhr fort: ,Hoher Herr, befiehl, daß man mir die Hände löse!' Da befahl der Wesir, sie ihm zu lösen; Nûr cd-Din aber ging hin, nahm ungeformtes Glas und zerstieß es;



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ferner nahm er ungelöschten Kalk und vermischte ihn mit Zwiebelsaft. Das Ganze legte er auf die Augen des Hengstes und verband sie ihm, und dann sprach er bei sich: ,Jetzt werden seine Augen erlöschen, und mich wird man töten, so daß ich Ruhe finde von diesem elendem Leben.' Darauf legte er sich nieder und verbrachte jene Nacht frei von den quälenden Sorgen, und er demütigte sich vor Allah dem Erhabenen, indem er sprach: ,O Herr, du weißt alles, und das überhebt mich des Bittens.' Als nun der Morgen kam mit seinem Strahl und die Sonne leuchtete über Berg und Tal, trat der Wesir in den Stall, und wie er dem Pferde die Binde von den Augen genommen hatte und sie anschaute, sah er in ihnen die schönsten Augen von der Welt durch die Macht des Königs, der alles erhellt. Da sprach er zu Nûr ed-Dîn: ,O Muslim, ich habe in der ganzen Welt noch niemanden gefunden, der so schöne Kenntnisse hat wie du. Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, du machst mich über die Maßen staunen, denn kein einziger Tierarzt in unserem Lande vermochte dies Pferd zu heilen.' Dann trat er an Nûr ed-Dîn heran, löste ihm mit eigener Hand die Fußfesseln und kleidete ihn in ein kostbares Prachtgewand; ferner machte er ihn zu seinem Stallmeister, wies ihm Gehalt und Einkünfte an und gab ihm eine Wohnung in einem Stockwerk über dem Stalle. In dem neuen Schlosse aber, das der Wesir für die Herrin Marjam gebaut hatte, befand sich ein Fenster, das auf das alte Haus des Wesirs und auf das Stockwerk, in dem Nûr ed-Dîn wohnte, hinausführte. Nun blieb der Jüngling eine Reihe von Tagen dort, indem er sich durch Essen und Trinken pflegte, sich freute und heitere Gedanken hegte und über die Pferdeknechte zu gebieten und verbieten hatte. Jeden von ihnen, der ausblieb und die Pferde in dem Stalle, in dem er Dienst hatte, nicht fütterte,



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den warf er zu Boden, verprügelte ihn mit heftigen Schlägen und ließ ihm eiserne Fesseln an die Füße legen. Der Wesir aber hatte an dem Jüngling die allergrößte Freude, ihm. weitete sich die Brust. und er war voller Lust: freilich ahnte er nicht, wie sich sein Schicksal noch gestalten sollte. Doch Nûr ed-Dîn ging jeden Tag zu den beiden Hengsten hinunter und striegelte sie mit eigener Hand, da er wußte, wie lieb und wert die beiden dem Wesir waren.

Nun hatte der einäugige Wesir eine Tochter, eine Jungfrau von höchster Anmut, einer flüchtigen Gazelle gleich oder einem Zweige, wiegend und weich. Und es begab sich eines Tages, daß sie an dem Fenster saß, das auf das Haus des Wesirs schaute und auf das Gemach, in dem Nûr ed-Dîn wohnte. Da hörte sie, wie des Jünglings Stimme erklang und wie er sich über sein Leid tröstete, indem et diese Verse sang:

O Tadler mein, du lebst so froh dahin,
Und alle Wonnen freuen deinen Sinn.
Wenn dich das Schicksal traf mit seinem Leid,
Du sprächest bald ob seiner Bitterkeit:
Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!
Doch du bist sicher jetzt vor seinem Neid,
Vor seiner Mißgunst, seiner Grausamkeit.
Drum schilt den Armen, schwer Geprüften nicht,
Der in dein Übermaß der Sehnsucht spricht:
Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!
Sei gegen die, so lieben, gut und mild,
Und hilf doch dem nicht, der sie immer schilf,
Auf daß dich nicht das gleiche Band umschlingt
Und man dir nicht den Kelch der Leidet, bringt!
Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!



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El, ich dich kannte, lebt ich auf der Welt
Gleich wie ein freier, sorgenloser Held.
Die Liebe kannt ich nicht, die immer wacht.
Bis sie auch mich bezwang mit ihrer Macht:
Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!
Die Liebe und ihr Elend kennt nur der.
Auf dem ihr Siechtum lastet, lang und schwer,
Dem in der Sehnsucht sein Verstand entflieht
Und der den bittren Becher vor sich sieht:
Ach die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!
Wie manches Auge, das im Dunkel wacht,
Ward nur durch sie um süßen Schlaf gebracht!
Wie oft erregte sie der Tränen Flut,
Die über Wangen strömt mit heißer Glut:
Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!
Wie mancher Mann, von Liebespein geplagt,
Ist wach, da ihm das Leid den Schlaf versagt!
Er legt das Kleid des schweren Siechtums an,
Weil er den Schlummer nicht mehr finden kann:
Ach,, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen he?!.? in meinem Herzen!
Geduld versagt, Gebein vergeht vor Glut,
Die Tränen rinnen gleichwie Drachenblut;
Mich hungert, bitter ward die Speise jetzt,
Die sonst durch ihre Süßigkeit mich letzt:
Ach,, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen.
Unselig ist ein Mann, der liebt wie ich,
Von dem in dunkler Nacht der Schlummer wich!
Er schwimmt im Meere der Verlassenheit
Und klagt uni: Liebe und ihr schweres Leid:



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Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!
Wer ist es, den die Liebe nicht zerfrißt?
Und wer entrinnt auch ihrer kleinsten List?
Wer dann noch lebt, der lebt so ganz allein.
Und wer kann dann noch froh und ruhig sein?
Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!
O Herr, nimm du dich des Gequälten an!
Beschütz ihn, Herr, der Schutz gewähren kann!
Und schenke ihm die rechte Festigkeit,
Und sei ihm hold in allein seinem Leid:
Ach, die Lieb und ihre Schmerzen
Brennen heiß in meinem Herzen!

Kaum hatte Nûr ed-Din alle seine Worte beendet und die Verse seines Liedes vollendet, da sprach die Tochter des Wesirs bei sich: ,Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, dieser Muslim ist ein schöner Jüngling! Doch er ist ohne Zweifel ein Liebender, der von seiner Geliebten getrennt ist. Ich möchte wohl wissen, ob die Geliebte dieses Jünglings ebenso schön ist wie er, und ob sie ebenso empfindet wie er oder nicht. Wenn seine Geliebte ebenso schön ist wie er, dann geziemt es ihm, Tränen zu vergießen und in Klagen ob seiner Leidenschaft zu zerfließen. Ist sie aber nicht schön, so vergeudet er sein Leben, wenn er klagt, und der Freuden Speise ist ihm versagt.' — —<(

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 888. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Tochter des Wesirs bei sich sprach: ,Wenn seine Geliebte schön ist, so geziemt es ihm, daß er Tränen vergießt; ist sie aber nicht schön,



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so vergeudet er sein Leben, wenn er in Seufzer zerfließt.' Nun war Marjam die Gürtlerin, die Gattin des Wesirs, am Tage zuvor in den neuen Palast hinübergeführt worden; und da die Tochter des Wesirs erfahren hatte, daß ihr die Brust beklommen war, so beschloß sie, zu ihr zu gehen, mit ihr zu plaudern und ihr über jenen Jüngling Nachricht zu bringen und über das, was sie gehört hatte von seinem Singen. Doch noch ehe sie ihre Absicht ausführen konnte, sandte die Herrin Marjam, die Gattin ihres Vaters, schon nach ihr, auf daß sie mit ihr plaudere und sie auf heitere. Als sie nun zu der Prinzessin kam, sah sie, wie ihr das Herz schwer war, wie ihr die Tränen über die Wangen rannen; ja, die Arme weinte so bitterlich, daß ihrem Schmerze kein anderer glich; aber dann hielt sie die Tränen zurück und beklagte in diesem Lied ihr Geschick:

Mein Leben schwindet hin. die Liebesleiden bleiben;
Die Brust ist mir beengt, da Sehnsucht mich verzehrt.
Mein Herz ist mir geschmolzen durch den Schmerz der Trennung;
Es hoffe, daß noch der Tag des Nahseins wiederkehrt,
Auf daß die Liebesnacht uns ganz vereint!
So scheltet ihn nicht mehr, ihn, dessen Herz gefangen
Und dem die Sehnsuchtsqual den hagren Leib verzehrt!
Entsendet nicht des Tadels Pfeil auf seine Liebe;
Wer liebt, dem ist auf Erden größtes Leid beschert,
Wiewohl die bittre Liebe süß erscheint.

Da sprach die Tochter des Wesirs zur Herrin Marjam: ,Was ist dir, o Prinzessin? Dein Herz ist schwer, und dein Sinn findet keine Ruhe mehr.' Doch als die Herrin Marjam diese Worte vernahm, dachte sie von neuem daran, wie jetzt die Stunden dahingeschwunden mit all der wonnevollen Seligkeit, und sie klagte in diesen Versen ihr Leid:

Ich will die Trennung von dem Freund geduldig tragen
Und Tränen weinen gleichwie Perlen aufgereiht;



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Vielleicht wird Gott mir doch noch einstmals Trost gewähren,
Denn Er verbirgt die Freude in des Leides Kleid.

Darauf sprach die Tochter des Wesirs: ,O Prinzessin, laß dir das Herz nicht schwer sein, sondern komm mit mir sogleich an das Fenster des Schlosses! Wir haben nämlich im Stalle einen schönen Jüngling von schlanker Gestalt und süßer Redegewalt, der scheint ein einsamer Liebender zu sein.' Die Herrin Marjam fragte: ,Aus welchen Anzeichen erkennst du, daß er ein einsamer Liebender ist?' ,O Prinzessin,' antwortete die Wesirstochter, ,ich erkenne es daran, daß er Lieder und Verse singt, sodaß seine Stimme Tag und Nacht erklingt.' Da sprach die Herrin Marjam bei sich selber: ,Sind die Worte der Wesirstochter wahr, so ist es offenbar, daß sie sich auf den armen, betrübten Jüngling beziehn, auf 'Alt Nûr ed-Dîn. Ich möchte doch wohl wissen, ob er wirklich jener Jüngling ist, von dem sie spricht!' Und wiederum ward die Herrin Marjam ergriffen von der heftigsten Leidenschaft und von der sehnenden Liebe Kraft; sie erhob sich sofort und ging mit der Tochter des Wesirs zum Fenster und schaute hinaus. Da sah sie ihren Geliebten, ihren Herrn Nûr ed-Dîn, und als sie ihren Blick fest auf ihn richtete, erkannte sie ihn mit aller Sicherheit. Freilich war er krank durch seine leidenschaftliche Liebe zu ihr und verzehrt von dem Feuer der Liebespein und von den Schmerzen der Verlassenheit und der sehnsuchtsvollen Traurigkeit; ja, die Auszehrung schien ihn fast zu zernagen, und er hub an, sein Leid mit diesem Liede zu klagen:

Mein Herze ist ein Knecht, und meine Tränen rinnen.
Daß selbst die Regenwolke nicht mehr folgen kann!
Mein Weinen und mein Wachen und die Glut der Liebe.
Das Klagen und der Schmerz um den geliebten Mann,
Und ach, mein brennend Herz, mein Seufzen und mein Kummer -



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Das sind in voller Zahl acht Plagen, die ich trag,
An die sich fünf und fünf in gleicher Folge reihen.
Wohlan, seid still und hört auf das, was ich euch sag:
Erinnerung und Sorge, Stöhnen, schweres Siechtum
Und heiße Sehnsucht, dann das ewig bange Leid
Durch Mühsal und durch Fremde und durch Jugendhoffen,
Durch Schmerz um den Verlust und starre Traurigkeit.
Geduld entschwindet mir, die Leiden zu ertragen;
Und wenn Geduld versagt, so naht Verzweiflung mir.
In meinem Herzen toben heiße Liebeswünsche;
O der du fragest nach der Glut im Herzen hier,
Weshalb die Tränen Feuer in der Brust entfachen,
Weshalb die Lohe immer brennt im Herzen mein:
Vernimm, mich hat ertränkt die Sintflut meiner Zähren;
Von einer Hölle tret ich in die andre ein!

Wie nun die Herrin Marjam ihren Herrn Nûr ed-Dîn anschaute und seines Liedes schönen Klang und seinen herrlichen Sang hörte, ward sie immer gewisser, daß er es wirklich war. Doch sie verbarg ihr Geheimnis vor der Tochter des Wesirs und sprach zu ihr: ,Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, ich hatte nicht geglaubt, daß du etwas von meiner Traurigkeit wüßtest!' Dann erhob sie sich sogleich, trat von dem Fenster zurück und ging wieder in ihr Gemach, während die Tochter des Wesirs sich an ihre Arbeit begab. Nachdem die Herrin Marjam eine geraume Weile gewartet hatte, begab sie sich wieder zum Fenster und setzte sich dort nieder; dann schaute sie zu ihrem Herrn Nûr ed-Dîn hinüber und betrachtete seinen Liebreiz und die Anmut seines Wesens, und sie sah in ihm den vollen Mond, wie er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront. Doch er seufzte ohn Unterlaß, und es strömte seiner Tränen Naß; denn er gedachte der Freude in vergangenen Tagen, und er begann sein Leid in diesen Versen zu klagen:



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Ich hoffe, meinem Lieb vereint zu werden; nie
Geschah's, und bitter war, was mir das Leben lieh.
Es strömen gleich der Meeresflut die Tränen mein;
Doch wenn ich meinen Tadler seh, so halt ich ein.
Weh ihm, der rief, daß uns die Trennung nahe sei!
Hätt ich die Zunge sein, ich schnitte sie entzwei.
Kein Tadel trifft das Schicksal, was es auch nur schafft;
Mir mischte es den Trank mit reinster Galle Saft.
Zu wem soll ich mich wenden, als zu dir allein?
Dort, wo du weilest, ließ ich ja das Herze mein.
Wer schafft mir Recht vor ihr, die grausam Herrschaft führt
Und desto härter wird, je mehr sie Macht verspürt?
Ich stellte meine Seele unter ihre Hand,
Sie raffte "mich dahin und auch das Unterpfand.
Um ihre Liebe opfert ich mein Leben schon;
Für das, was ich geopfert, sei die Gunst mein Lohn!
O liebes Reh, das mir in meinem Herzen weil,'.
Genug der Trennungsschmerzen haben mich ereilt.
In deinem Antlitz eint sich aller Reize Huld;
Und ach, um deinetwillen flieht mich die Geduld -,
Ich nahm sie in mein Herz, da nahte ihm der Gram:
Und doch, ich murrte nicht, daß ich zu Gast sie nahm.
Ach, meine Tränen fluten wie ein wildes Meer;
Und wüßt ich einen Pfad, ich schritt' auf ihm einher.
Ich fürchte, ich muß sterben ob der heißen Qual:
So schwindet mir nun auch der letzte Hoffnungsstrahl.

Als Marjam hörte, wie Nûr ed-Dîn, der einsam Liebende, arme Verstörte, diese Verse sang, kamen ihr die Zähren bei seiner Stimme Klang. Ihr Auge begann in eine Tränenflut auszubrechen, und sie hub an, diese Verse zu sprechen:

Ich sehnte mich nach meinem Freund; als ich ihn fand
War ich befangen, Blick und Zunge war gebannt.
Ich hielt bereit zum Schelten ganze Bände schon;
Als wir uns sahen, war mir jedes Wort entflohn. J



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Kaum hatte Nûr ed-Dîn die Worte der Herrin Marjam vernommen, so erkannte er sie; und er weinte bitterlich und sprach: ,Bei Allah, dies ist der Gesang der Herrin Marjam der Gürtlerin; das ist wahr, bei meiner Seel, ohne Zweifel und ohne Fehl!'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 889. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn, als er die Stimme diese Verse singen hörte, bei sich selber sprach: ,Dies ist der Gesang der Herrin Marjam; das ist wahr, bei meiner Seel, ohne Zweifel und ohne Fehl! Nun möchte ich wissen, ob meine Vermutung richtig ist, ob sie wirklich dort ist oder eine andere.' Dann begann er ob der wachsenden Schmerzen in Klagen auszubrechen, und er hub an, diese Verse zu sprechen:

Als er, der meine Liebe schalt, mich einstmals sah.
Wie ich mein Liebchen traf in einem fernen Land
Und ich beim Wiedersehn kein Wort des Tadels sprach,
Wiewohl schon manch Betrübter Trost im Tadel fand,
Da sprach er:, Was bedeutet denn dies Schweigen nur,
Das dich zurückhält vom gerechten harten Wort?'
Ich sprach zu ihm: ,O du, der du kein Wissen hast
Von echter Liebe Art, o du, des Zweifels Hort,
Das Zeichen dessen, der die rechte Liebe hat,
Ist, daß er schweigt, wenn er sich der Geliebten naht.'

Als er dies Lied beendet hatte, holte die Herrin Marjam Tintenkapsel und Papier und schrieb darauf: ,Nach der Anrufung des hochgeehrten Namens Allahs schreibe ich dir des ferneren: Der Friede Allahs sei mit dir und seine Barmherzigkeit und sein Segen, und ich melde dir, daß deine Sklavin Marjam dich grüßt, sie, die sich so sehr nach dir sehnt, und dies ist ihre Botschaft



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an dich. Sobald dies Schreiben in deine Hände gelangt, mache dich unverzüglich daran, alles, was sie von dir verlangt, auf das sorgsamste zu erfüllen; und hüte dich, ja hüte dich, ihr zuwider zu handeln oder zu schlafen! Wenn das erste Drittel der Nacht verstrichen und somit die günstigste Zeit genaht ist, so tu nichts andres, als daß du die beiden Rosse sattelst und mit ihnen vor die Stadt hinausziehst! Wenn dich jemand fragt, wohin du gehst, so erwidere ihm: ,Ich mache den Tieren Bewegung'; wenn du das sagst, wird dich niemand hindern, weil das Volk sich darauf verläßt, daß die Tore geschlossen sind.' Dann hüllte die Herrin Marjam das Blatt in ein seidenes Tuch und warf es aus dem Fenster dem Jüngling hinüber; der fing es auf, las es und verstand, was darinnen geschrieben war, und erkannte die Handschrift der Herrin Marjam. Da küßte er den Brief und führte ihn an seine Stirn und gedachte an alles, was er mit ihr an Wonnen der Liebeslust genossen hatte; er begann in Tränen auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:

Es kam ein Brief von dir zu mir in finstrer Nacht;
Der hat im Herzen Freud und Liebesleid entfacht;
Er weckte Liebesfreuden aus vergangner Zeit.
Gepriesen sei der Herr ob all dem Trennungsleid!

Sobald die dunkle Nacht anbrach, machte Nûr ed-Dîn sich daran, die beiden Hengste aufzuschirren, und dann wartete er, bis das erste Drittel der Nacht verstrichen war. Nun legte er ihnen alsbald die schönsten Sättel auf und führte die beiden Hengste aus dem Stall hinaus, verriegelte die Tür und begab sich mit ihnen zum Stadttor; dort setzte er sich nieder und wartete auf die Herrin Marjam.

Wenden wir uns nun von Nûr ed-Dîn zur Prinzessin Marjam! Die ging sofort in den Saal, der für sie in dem Schosse berge



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richtet war, und fand den einäugigen Wesir dort sitzen, wie er sich auf ein Kissen lehnte, das mit Straußendaunen gefüllt war; doch er scheute sich, die Hand nach ihr auszustrecken oder sie anzureden. Als sie ihn erblickte, rief sie im Herzen ihren Gott an und sprach in Gedanken: ,O Gott, laß ihn m nicht sein Ziel bei mir erreichen, und verhänge nicht über mich Befleckung nach der Reinheit!' Darauf trat sie anilin heran, indem sie tat, als ob sie ihn liebe, setzte sich an seine Seite und schmeichelte ihm, indem sie sprach: ,Mein Gebieter, warum wendest du dich ab von mir? Bist du zu stolz oder zierst du dich nur bei mir? Ein bekanntes Sprichwort besagt: Wo das Grüßen lässig vor sich geht, grüßt der Sitzende den, der steht! Wenn du also, mein Gebieter, nicht zu mir kommst noch auch mich anredest, so werde ich zu dir kommen und dich anreden.' Da gab er ihr zur Antwort: ,Dein ist die Gunst und die Güte, o Königin der Herrlichkeit auf der Erde weit und breit! Kann ich etwas anderes als einer deiner Knechte sein und der geringste von den Dienern dein? Ich scheute mich nur, mich mit Reden vorzudrängen in deiner erlauchten Gegenwart, o du Perle von einziger Art! Mein Antlitz liegt vor dir auf dem Boden.' Doch sie erwiderte: ,Laß dies Gerede und bring uns zu essen und zu trinken!' Da rief der Wesir seine Dienerinnen und Eunuchen und befahl ihnen, Speise und Trank zu bringen; und nun trugen sie einen Tisch auf mit allem, was da kreucht und fleugt und im Meere des Weges zeucht: Flughühner und Wachteln gepaart, junge Tauben und Milchlämmer zart, fette Gänse, gebratene Hühner und andere Tiere von jeglicher Farbe und Art. Die Herrin Marjam streckte ihre Hand aus nach dem Tische und aß, auch reichte sie dem Wesir die Bissen mit den Fingerspitzen und küßte ihn auf den Mund. Und beide aßen, bis sie gesättigt waren; dann wuschen sie sich die Hände. Danach



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hoben die Eunuchen den Speisetisch empor und setzten ihnen den Tisch mit dem Weine vor; Marjam schenkte ein und trank und reichte dem Wesir zu trinken, indem sie ihn so eifrig bediente, daß ihm das Herz fast davonflog vor Fröhlichkeit und seine Brust sich füllte mit lauter Seligkeit. Als ihm aber der Verstand der rechten Besinnung schwand und die Gewalt des Rausches ihn band, griff sie mit der Hand in ihre Tasche und holte aus ihr ein Kügelchen von reinem maghrebinischen Bendsch hervor; wenn von dem ein Elefant auch nur ein ganz klein wenig gerochen hätte, so schliefe er gar von Jahr zu Jahr; und dies hatte sie für jene Stunde bereit gehalten. Sie lenkte nun die Aufmerksamkeit des Wesirs ab, zerbröckelte das Kügelchen in den Becher, füllte ihn und reichte ihn dem Trunkenen, der schon vor Freuden so ohne Besinnung war, daß er seinem Auge nicht traute, wenn sie ihm den Becher reichte. Doch kaum hatte er ihn genommen und getrunken und kaum war das Gift in seinen Magen gesunken, da fiel er sofort wie in Krämpfen zu Boden. Die Herrin Marjam aber sprang auf, holte eiligst zwei Paare von großen Satteltaschen und füllte sie mit dem, was nicht beschwert und doch kostbar ist an Wert. mit Juwelen, Rubinen und allen Arten von Edelsteinen; auch nahm sie etwas Speise und Trank mit sich und hüllte sich in Rüstung und Waffenkleid, die Gewandung für Kampf und Streit. Ferner nahm sie für Nûr ed-Dîn Dinge, die ihn erfreuen sollten, Kleider von königlicher Pracht und Waffen von allbezwingender Macht. Dann warf sie sich die Satteltaschen über die Schulter und eilte zum Schlosse hinaus, da sie hochgemut und tapfer war, und machte sich auf den Weg zu dem Jüngling.

So stand es nun um Marjam; was aber Nûr ed-Dîn anging, — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 890. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Marjam, nachdem sie das Schloß verlassen hatte, sich auf den Weg zu dem Jüngling machte, da sie hochgemut und tapfer war. So stand es nun um Marjam; was aber Nûr ed-Dîn anging, der trotz allen Unglückes treu seiner Liebe anhing, so saß er am Stadttor, um auf Marjam zuwarten, und hielt die Zügel der beiden Hengste in der Hand. Da sandte Allah, der Allgewaltige und Glorreiche, einen Schlaf auf ihn herab, und er schlief ein -doch Er, der niemals schläft, soll gepriesen sein! Nun pflegten gerade damals die Könige der Inseln viel Geld aufzuwenden, um Leute zu bestechen, diese beiden Hengste oder einen von ihnen zu stehlen; und es lebte in jenen Tagen ein schwarzer Sklave, der auf den Inseln aufgewachsen war und der sich auf den Pferdediebstahl verstand. Den hatten die Könige der Franken mit vielem Geld bestochen, einen von den Hengsten zu stehlen, und sie hatten ihm versprochen, sie würden ihm, wenn es ihm gelänge, beide Tiere zu stehlen, eine ganze Insel schenken und ihn in ein prunkvolles Ehrengewand kleiden. Dieser Sklave war schon eine lange Zeit heimlich in der Stadt der Franken umhergezogen, aber er hatte die Hengste nicht rauben können, solange sie bei dem König waren. Doch als der sie dem einäugigen Wesir geschenkt und jener sie in seinen Stall gebracht hatte, freute der Sklave sich über die Maßen, und er entbrannte vor Verlangen, sie in seine Gewalt zu bekommen; denn er sagte sich: ,Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, ich werde sie sicher beide stehlen können!' In eben jener Nacht war der Sklave ausgezogen auf dem Wege zum Stalle, um die Tiere zu rauben. Und während er dahinschlich,



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fiel sein Blick auf Nûr ed-Dîn, den er dort schlafen sah mit den Zügeln der Pferde in seiner Hand. Rasch nahm er ihnen die Zügel vom Kopfe und wollte gerade das eine Roß besteigen, um das andere zu führen, als plötzlich die Herrin Marjam herbeikam, mit den Satteltaschen über der Schulter. Sie hielt den Sklaven für Nûr ed-Dîn, und so reichte sie ihm das eine Paar Satteltaschen; er legte es auf den einen Hengst, und als sie ihm das andere Paar reichte, legte er es auf das andre Tier. Bei alledem sagte er kein Wort, und sie war in dem Glauben, der Mohr sei Nûr ed-Dîn. Dann ritt sie zum Tore hinaus, während der Sklave ihr schweigend folgte; doch nun sprach sie zu ihm: ,Lieber Herr Nûr ed-Dîn, warum schweigst du?' Da wandte der Sklave sich ihr zu und rief voll Zorn: ,'Was redest du da, du Mädchen?' Als sie die barbarischen Laute des Sklaven hörte, wußte sie, daß dies nicht die Sprache Nûr ed-Dîns war; so hob sie denn die Augen auf und schaute ihn an, und nun sah sie, das er Nüstern hatte wie Wasserkrüge. Wie sie das sah, war ihr, als würde das helle Tageslicht finster vor ihrem Angesicht; doch sie sprach zu ihm: ,Wer bist du, o Scheich derer, die als Söhne Harns bekannt, und wie bist du unter den Menschen genannt?' Er antwortete ihr: ,O Tochter der gemeinen Leute, ich heiße Mas'ûd, ich, der ich, wenn die Menschen schlafen. die Rosse erbeute.' Sie hielt ihn für keiner Antwort wert, sondern zückte im selben Augenblick das Schwert und versetzte ihm einen Hieb, der in den Nacken glitt, daß die Klinge blitzend die Halssehnen durchschnitt. Er stürzte zu Boden und wälzte sich in seinem Blute; und Allah ließ seine Seele ins Höllenfeuer sausen, an die Stätte voller Grausen. So gewann die Herrin Marjam beide Hengste wieder; sie ritt auf dem einen, während sie das andere am Zügel führte, und kehrte auf ihrer Spur zurück, um Nûr ed-Dîn zu suchen. Den fand



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sie schlafend an der Stätte, die sie mit ihm für ihre Zusammenkunft verabredet hatte; er hielt die Zügel noch in der Hand, aber er schnarchte in seinem Schlafe und konnte Hand und Fuß nicht unterscheiden. Da stieg sie vom Rücken des Pferdes ab und stieß ihn mit der Hand, so daß er voll Schrecken emporfuhr und ausrief: ,Meine Gebieterin, Preis sei Allah, daß du wohlbehalten angekommen bist!' Doch sie sprach zu ihm: ,Auf, besteige dies Roß, und schweig still!' Alsbald bestieg er den einen Hengst, während die Herrin Marjam den anderen bestieg; so ritten sie zur Stadt hinaus und zogen eine Weile ihres Wegs dahin. Dann wandte Marjam sich zu Nûr ed-Dîn und sprach zu ihm: ,Hab ich dir nicht gesagt, du solltest nicht schlafen? Wer schläft, dem blüht kein Glück.' Er gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin. ich schlief nur deshalb ein, weil mein Herz durch dein Versprechen so ruhig geworden war. Was ist denn geschehen, liebe Herrin?' Da erzählte sie ihm die Geschichte mit dem Sklaven von Anfang bis zu Ende; und er wiederholte: ,Preis sei Allah für deine glückliche Ankunft!' Dann ritten sie in aller Eile weiter und befahlen ihre Wege dem allgütigen, allweisen Leiter; dabei plauderten sie miteinander, bis sie zu dem Sklaven kamen, den die Herrin Marjam getötet hatte, und Nûr ed-Dîn sah, wie jener im Staube dalag einem Dämonen gleich. Da sprach Marjam zu ihm: ,Steig ab, zieh ihm die Kleider aus und nimm ihm die Waffen ab!' Doch er rief: ,Meine Gebieterin, bei Allah, ich kann nicht vom Rücken des Pferdes steigen, ich kann nicht bei ihm stehen, ja, ich kann mich ihm nicht einmal nähern!' Voll Staunen schaute er die grause Gestalt des Toten an, und er dankte der Herrin Marjam für ihre Tat und bewunderte ihre Tapferkeit und ihres Herzens Festigkeit. Dann zogen sie ohn Unterlaß weiter in eiligem Ritt die ganze Nacht hindurch, bis der Morgen sich



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einstellte und die Welt mit seinem Licht und Glanz erhellte und die Sonne mit ihrem Strahl sich breitete über Berg und Tal. Da kamen sie zu einer weiten Au, auf der die Gazellen spielten im Morgentau; ihre Hänge bedeckte das Grün so zart, und überall standen Fruchtbäume von mancherlei Art; ihre Blumen waren bunt gleich den Häuten von Schlangen, während die Vögel sich dort durch die Lüfte schwangen und die Bächlein in mancherlei Windungen sprangen, wie ein Dichter so trefflich singt und darin seine Gedanken zum Ausdruck bringt:

Uns schirmte vor der heißen Glut ein Tal
Mit zwiefach hohen Bäumen allzumal.
Wir hielten; Zweige neigten sich uns lind
Gleichwie die Amine zum entwöhnten Kind.
Dort stillten wir den Durst mit Wasser klar,
Das sü er als der Wein dem Zecher war.
Vor Sonnenstrahlen schützte uns der Hain;
Er hielt sie fern, doch ließ den Zephir ein.
Die Kiesel schrecken die geschmückte Maid;
Sie tastet rasch nach ihrem Perlgeschmeid.'

Und ein anderer sagt:

Ein Tal, in dem die Vöglein zwitschern bei dem Teich,
Wo sehnend Liebeskranke früh am Morgen lauschen;
Und seine Ufer sind dem Paradiese gleich,
An Schatten und an Fruchten reich, und Wasser rauschen.

Dort nun saßen die Herrin Marjam und Nûr ed-Dîn ab, um sich in dem Tale auszuruhen. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 891. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß die Herrin Marjam und Nûr ed-Dîn, als sie in jenem Tale abgestiegen waren, die Früchte zum Essen pflückten und sich durch den Trank aus den Bächen erquickten; sie ließen auch die Hengste los, damit sie auf der Wiese weiden könnten, und die beiden fraßen von dem Grase und tranken aus den Bächen. Dann saßen der Jüngling und die Prinzessin plaudernd beisammen und erzählten einander ihre Geschichte, alles, was sie erlebt hatten. Ein jeder von beiden begann dem andern zu klagen, was er durch den Abschiedsschmerz erlitten und durch das Fernsein und die Sehnsucht ertragen. Während sie so beisammen waren, wirbelte plötzlich eine Staubwolke empor und legte der Welt einen Schleier vor; und die beiden hörten das Wiehern von Rossen und das Klirren von Waffen.

Die Ursache davon aber war die folgende: Nachdem die Prinzessin mit dem Wesir vermählt worden war und dieser in ebenjener Nacht zu ihr hatte eingehen wollen, wünschte am nächsten Tag in der Frühe der König den beiden einen guten Morgen zu bieten, wie es bei den Königen gegenüber ihren Töchtern Sitte ist. So machte er sich denn auf und nahm seidene Stoffe mit sich; auch streute er Gold und Silber aus, auf daß die Eunuchen und die Kammerfrauen danach greifen sollten. Begleitet von einigen Dienern, schritt er dahin, bis er den neuen Palast erreichte; dort aber fand er den Wesir auf dem Teppich liegen und in solchem Zustande, daß er seinen Kopf nicht von seinen Füßen unterscheiden konnte. Alsbald schaute der König im Palast umher, nach rechts und nach links, und da er seine Tochter nirgends erblickte, betrübte sich sein Herz, und sein Gemüt ward voll von Schmerz, und fast entschwand ihm der Verstand. Doch er befahl, heißes Wasser und reinen Essig und Weihrauch zu bringen; und als das alles gebracht war, mischte



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er es zusammen und ließ es dem Wesir in die Nase fließen. Dann schüttelte er ihn, und plötzlich kam das Bendsch wie ein Stück Käse aus seinem Innern hervor. Darauf flößte der König dem Wesir jene Arznei zum zweiten Male durch die Nase ein; und als der Bewußtlose nun erwachte, fragte ihn der König, was mit ihm und mit seiner Tochter Marjam geschehen sei. Jener antwortete ihm: ,Großmächtiger König, ich weiß nichts von ihr, als daß sie mir einen Becher Wein mit eigener Hand zu trinken gab; von jenem Augenblick an bis zu diesem habe ich kein Bewußtsein gehabt, und ich weiß auch nicht, was aus ihr geworden ist.' Als der König die 'Worte des Wesirs vernommen hatte, ward das helle Tageslicht finster vor seinem Angesicht, er zückte sein Schwert und versetzte dem Wesir einen Hieb, der auf sein Haupt niederglitt und blitzend durch seine Backenzähne schnitt. Dann ließ er sofort die Diener und die Stallknechte kommen; und als sie vor ihm standen, fragte er sie nach den beiden Hengsten. Sie antworteten ihm: ,O König, die beiden Hengste sind in dieser Nacht verschwunden, und unser Stallmeister ist auch mit ihnen verschwunden, und als wir aufwachten, fanden wir alle Türen offen.' Da rief der König: ,Bei meines Glaubens Wahrheit und bei meiner heiligen Überzeugung Klarheit, niemand anders hat die beiden Hengste geraubt als meine Tochter und der Gefangene, der einst in der Kirche diente und schon einmal mit ihr geflohen ist. Ich habe ihn ja ganz gewiß erkannt, und nur dieser einäugige Wesir hat ihn meiner Hand entrissen; doch jetzt hat er den Lohn für seine Tat dahin.' Sogleich berief der König seine drei Söhne; das waren heldenhafte Recken, von denen ein jeder es mit tausend Rittern aufnahm im Blachgefild, der Stätte, wo Schwerterhieb und Lanzenstich gilt; und er schrie ihnen den Befehl zu, sie sollten aufsitzen. Sie taten es. und auch



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er selbst saß auf zugleich mit den erlesensten Rittern und den Großen und Vornehmen seines Reiches; und sie folgten den beiden auf der Spur und holten sie in jenem Tale ein. Kaum hatte Marjam sie erkannt, so sprang sie auf ihren Renner, nachdem sie sich mit ihrem Schwerte umgürtet und ihre Waffenrüstung angelegt hatte. Und sie rief dem Jüngling zu: ,Wie steht es mit dir? Ist dir dein Herz bereit zu Kampf und Schlacht und Streit?' Doch er rief ihr zu: ,Ach, ich stehe so fest auf dem Kampfesfeld, wie ein Pflock in der Kleie sich hält!' Und dann sprach er die Verse:

Marjam, sieh nur ab vom Tadel, der mein Herz zerfrißst
Wolle nicht, ich solle töten, was mir peinlich ist!
Mit dem Ruhme eines Streiters werd ich nie bedeckt:
Sieh. vom Krächzen eines Raben werd ich schon erschreckt!
Seh ich eine Maus, so werd ich schon vor Schrecken blaß,
Und ich mache meine Kleider mir vor Ängsten naß.
Ach, ich liebe nur das Stoßen in der Einsamkeit,
Wenn der Leib erfährt, wie Glieder stürmen kampfbereit.'
Dieses ist die rechte Ansicht, und wer anders spricht,
Als wie diese Ansicht aussagt, kennt das Rechte nicht.

Als Marjam hörte, wie Nûr ed-Dîn diese Worte sprach und solche dichterischen Ergüsse verbrach, da erwehrte sich ihr Angesicht eines herzlichen Lächelns nicht. Und sie sprach: ,Mein lieber Herr Nûr ed-Dîn, bleib, wo du bist, ich will dich vor ihrem Unheil bewahren, und wären sie auch zahlreich wie der Sand am Meere!' Doch sie hielt sich sofort kampfbereit und tummelte sich auf dem Rücken ihres Renners; sie ließ die Zügel locker in der Hand und hielt ihre Lanze gegen die Lanzenspitzen der Feinde gewandt. Da stürmte der Hengst unter ihr gleich dem brausenden Winde vor, oder wie das Wasser spritzt aus einem engen Rohr. Denn Marjam war die Tapferste



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unter den Menschen ihrer Zeit, und sie war in den Tagen ihres Jahrhunderts eine einzigartige Maid. Ihr Vater hatte sie in ihrer Jugend gelehrt, auf Rossen zu reiten und durch das Meer der Schlacht zu waten, wenn die nächtlichen Dunkel sich breiten. Zu Nûr ed-Dîn aber rief sie zurück: ,Besteig deinen Renner und reite hinter mir, und wenn wir geschlagen werden, so gib acht, daß du nicht herunterfällst; denn niemand kann dein Roß einholen!' Wie nun der König seine Tochter Marjam erblickte, erkannte er sie mit Sicherheit, und er wandte sich an seinen ältesten Sohn mit den Worten: ,O Bartaut, du mit dem Beinamen Ris el-Killaut 1, das ist deine Schwester Marjam, ohne Zweifel und ohne Fehl! Sie ist wider uns ins Feld gezogen und will mit uns kämpfen und streiten; drum reit wider sie heran und greife sie an! Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, wenn du sie besiegst, so töte sie nicht, eh daß du ihr den Christenglauben dargeboten hast! Kehrt sie zu ihrem alten Glauben zurück, so nimm sie gefangen zu uns heim. Tut sie es aber nicht, so laß sie des schimpflichsten Todes sterben und schmählich zur Warnung für viele verderben; und ebenso soll der Verfluchte, der bei ihr ist, sich durch dich den schimpflichsten Warnungstod erwerben!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Bartaut; dann ritt er sofort wider seine Schwester Marjam ins Feld und griff sie an; und auch sie ritt auf ihn los zum Angriff und stürmte nahe an ihn heran. Bartaut aber rief ihr zu: ,O Marjam, ist dir das noch nicht genug, was uns durch dich geschehen ist, seit du den Glauben der Väter und Vorväter verlassen hast und dem Islam, dem Glauben der Vagabunden, nachgefolgt bist?' Und er fügte noch hinzu: ,Bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, wenn du nicht wieder den Glauben deiner königlichen



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Väter und Vorväter teilst und dabei im schönsten Wandel verweilst, so lasse ich dich des schimpflichsten Todes sterben und schmählich zur Warnung für viele verderben!' Marjam lachte über die Worte ihres Bruders und rief: ,Ferne sei es, fern gar sehr, daß Vergangenes wiederkehr, und wer starb, der lebt nicht mehr! Nein, bitterste Pein flöße ich dir ein! Ich werde nie ablassen von dem Glauben Mohammeds, des Sohnes 'Abdallâhs, dessen Heil alle umfaßt; das ist der wahre Glaube, und ich werde vom rechten Wege nicht weichen, sollte man mir auch den Becher des Verderbens reichen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 892. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Marjam ihrem Bruder zurief: ,Ferne sei es, fern gar sehr, daß ich jemals abließe von dem Glauben Mohammeds, des Sohnes 'Abdallâhs, dessen Heil alle umfaßt, dem Glauben, der uns die rechte Leitung schenkt, wenn man mich auch mit dem Becher des Verderbens tränkt!' Als der verruchte Bartaut diese Worte von seiner Schwester vernahm, ward das helle Tageslicht finster vor seinem Angesicht, ja, das ward ihm schwer und bedrückte ihn sehr. Dann entbrannte zwischen ihnen ein Streit und ein grimmiger Kampf voll Heftigkeit, und die beiden tummelten sich im Tale weit und breit. Beide hielten allen Gefahren stand, und aller Augen richteten sich auf sie, von Staunen gebannt. Dann schwenkten sie eine Weile umeinander und bedrängten einander lange Zeit. Sooft Bartaut seiner Schwester Marjam ein Tor des Kampfes auftat, schloß sie es ihm und vereitelte seinen Plan durch ihre große Geschicklichkeit und ihre mutige Entschlossenheit, durch ihre Kampfeserfahrung und ihre Rittergebarung;



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und so kämpften sie immer weiter, bis der Staub sich wie ein Gewölbe über ihren Häuptern bog und Reiter und Rosse den Blicken entzog, Unablässig drang Marjam auf ihn ein und verlegte ihm den Weg, bis er müde ward und sein Mut schwankte, seine Entschlossenheit versagte und seine Kraft wankte. Da versetzte sie ihm mit dem Schwert einen Hieb, der ihm in den Nacken glitt, so daß die Klinge blitzend durch seine Halssehnen schnitt. Und Allah ließ seine Seele ins Höllenfeuer sausen, an die Stätte voller Grausen. Marjam aber tummelte sich weiter auf dem Blachgefild, an der Stätte, da Schwertstreich und Lanzenstich gilt; sie forderte zum Zweikampf heraus und lud ein zum Waffenstrauß, indem sie rief: ,Ist hier ein Kämpfer, ist hier ein streitbarer Manne Doch kein Schwächung, kein Feigling trete wider mich heran! Wider mich sollen sich nur die Helden der Glaubensfeinde erheben, und ich will ihnen den Kelch schmählicher Strafe zu trinken geben. O ihr götzendienerischen Gesellen, ihr Ketzer und Rebellen, heute sollen die Gesichter der Gläubigen erstrahlen in lichtern Schein, die Gesichter derer aber, die den Barmherzigen leugnen, sollen von schwarzer Farbe sein!' Als der König sah, daß sein ältester Sohn erschlagen war, schlug er sich ins Angesicht, zerriß seine Kleider, rief seinen zweiten Sohn und sprach zu ihm: ,O Bartûs, du mit dem Beinamen Chara es-Sûs', zieh eilends aus, mein Sohn, zum Kampfe wider deine Schwester Marjam! Nimm Rache an ihr für deinen Bruder Bartaut und bring sie mir in Banden, in Schmach und in Schanden!' ,Lieber Vater, ich höre und gehorche!' sprach der Sohn; dann sprengte er vor gegen seine Schwester Marjam und griff sie an, und auch sie ritt ihm entgegen und griff ihn an. Nun kämpften die beiden einen heftigen Kampf, der noch



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heftiger war als der erste. Doch der zweite Bruder sah bald, daß er im Kampf mit ihr versagen mußte, und er wollte sein Heil in eiliger Flucht suchen; allein es war ihm nicht möglich wegen ihrer gewaltigen Kriegskunst. Denn sooft er weichen wollte, nahte sie ihm und hängte sich an ihn und trieb ihn in die Enge, bis sie ihm mit dem Schwert einen Hieb versetzte, der ihm in den Nacken glitt, so daß die Klinge blitzend seine Kehle durchschnitt; so sandte sie ihn seinem Bruder nach. Dann tummelte sie sich wieder im Blachgefild, der Stätte, da Schwertstreich und Lanzenstich gilt, und rief: ,Wo sind die Degen und Ritter verwegen? Wo ist der einäugige, lahme Wesir, des verkrüppelten' Glaubens würdige Ziere' Ihr Vater, der König, aber schrie aus verwundetem Herzen und mit tränenden Augen voll heißer Schmerzen, und er rief: ,Jetzt hat sie auch meinen zweiten Sohn getötet, bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben!' Dann rief er seinen jüngsten Sohn und sprach zu ihm: ,O Fasjân, du mit dem Beinamen Salh es-Subjân', zieh aus, mein Sohn, zum Kampfe mit deiner Schwester, nimm Rache für deine beiden Brüder, miß dich im Streite mit ihr, mag er sich für dich oder wider dich entscheiden! Und wenn du sie besiegst, so laß sie des schimpflichsten Todes sterben.' Da ritt ihr jüngster Bruder gegen sie vor und griff sie an, und auch sie machte sich wider ihn auf voll Entschlossenheit und griff ihn an mit herrlicher Kunst und Tapferkeit, mit ihrer Kriegserfahrung und Rittergebarung, indem sie ihm zurief: ,Du Verfluchter, du Feind Allahs und Feind der Gläubigen, ich sende dich deinen beiden Brüdern nach, und schaurig ist die Stätte der Ungläubigen!' Dann zog sie ihr Schwert aus der Scheide, hieb auf ihn



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drein und schlug ihm den Kopf und beide Arme ab; so sandte sie ihn seinen beiden Brüdern nach ins Grab. Und Allah ließ seine Seele ins Höllenfeuer sausen, an die Stätte voller Grausen. Als nun die Ritter und Reitersmannen, die mit ihrem Vater ausgezogen waren, sahen, daß seine drei Söhne erschlagen waren, jene tapfersten Männer ihrer Zeit, da wurden ihre Herzen mit Schrecken vor der Herrin Marjam erfüllt; die Angst verwirrte sie, und sie ließen ihre Köpfe zu Boden hangen; denn jetzt mußten sie voll Grauen dem Verderben und dem Untergang, der Schmach und der Vernichtung ins Auge schauen. In ihren Herzen war vor Zorn eine feurige Flamme entbrannt, schon hatten sie die Rücken gewandt, und sie flohen hinaus ins weite Land. Doch als der König sehen mußte, daß jetzt, nachdem seine drei Söhne getötet waren, seine Truppen flüchteten, kam Verwirrung über ihn, ihm sank der Mut, und auch in seinem Herzen brannte eine heiße Glut; und er sprach bei sich selber: ,Fürwahr, die Herrin Marjam hat uns überwunden; wenn ich nun mein Leben wage und allein wider sie ausziehe, so wird sie mich vielleicht besiegen und in ihre Gewalt bekommen; dann läßt sie mich des schimpflichsten Todes sterben und als Warnung für viele schmählich verderben, wie sie ja auch ihre Brüder getötet hat. Sie hat jetzt kein Verlangen mehr nach uns, und auch wir begehren nicht, daß sie zurückkehrte. Deshalb halte ich es für das beste, wenn ich meine Ehre wahre und in meine Hauptstadt heimkehre!' Darauf ließ er seinem Rosse die Zügel schießen und ritt in seine Stadt zurück. Doch als er sich in seinem Palaste befand, entbrannte von neuem ein Feuer in seinem Herzen ob des Todes seiner drei Söhne und ob der Flucht seiner Krieger und der Schändung seiner eigenen Ehre. Kaum war eine halbe Stunde vergangen, so berief er die Großen seiner Herrschaft und die Vornehmen



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seines Reiches und klagte ihnen, was seine Tochter Marjam ihm durch die Tötung ihrer Brüder angetan und was er selbst an Kummer und Gram erlitten hatte; und er fragte sie um Rat. Da rieten sie ihm alle, er solle einen Briefschreiben an den Stellvertreter Allahs auf Erden, an den Beherrscher der Gläubigen Harün er-Raschîd, und solle ihm das Geschehene kundtun. So schrieb er denn an er-Raschîd einen Brief, der nach dem Gruße an den Beherrscher der Gläubigen also lautete: ,Wir haben eine Tochter, Marjam die Gürtlerin geheißen, die wurde uns verführt durch einen der muslimischen Gefangenen, namens Nûr ed-Dîn 'All, den Sohn des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn in Kairo; er hat sie bei Nacht mit sich genommen und ist mit ihr auf dem Wege nach seiner Heimat davongeeilt. Deshalb erbitte ich von der Gnade unseres Herrn, des Beherrschers der Gläubigen, er möge sich mit Briefen an alle Länder der Muslime wenden, man solle sie ergreifen und mit einem zuverlässigen Boten wieder zu uns senden.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 893. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König der Franken an den Kalifen, den Beherrscher der Gläubigen Harûn er-Raschîd, einen Brief schrieb, in dem er ihn demütig um seine Tochter Marjam bat und ihn anflehte, er möge sich in seiner Gnade an alle Länder der Muslime wenden, man solle sie ergreifen und mit einem zuverlässigen Boten aus den Dienern seiner Majestät des Beherrschers der Gläubigen wieder zu ihm senden. Und in jenem Briefe stand auch noch geschrieben: ,Wir wollen Euch zum Lohn für Eure Hilfe in dieser Angelegenheit die Hälfte der Stadt Rom überlassen, damit ihr dort Moscheen für die Muslime erbauen könnt, und die Abgaben



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aus ihr sollen Euch gebracht werden.' Nachdem der König diesen Brief auf den Rat der Herren seines Reiches und der Großen seiner Herrschaft geschrieben hatte, faltete er ihn und berief den Wesir, den er an Stelle des einäugigen Wesirs ernannt hatte, und befahl ihm, das Siegel des Königs unter den Brief zu setzen, und desgleichen setzten die Großen des Reiches ihre Siegel darunter, nachdem sie ihre Unterschriften hinzugefügt hatten. Darauf sprach der König zum Wesir: ,Wenn du sie mir zurückbringst, so sollst du von mir die Lehnsgüter zweier Emire erhalten, und ich werde dir ein Ehrenkleid mit zwei Säumen verleihen.' Mit diesen Worten reichte er ihm den Brief und befahl ihm, nach der Stadt Baghdad. dem Horte des Friedens, aufzubrechen und das Schreiben dem Beherrscher der Gläubigen mit eigener Hand zu überreichen. So machte sich denn der Wesir mit dem Briefe auf den Weg und zog durch Täler und Steppen, bis er die Stadt Baghdad erreichte. Und nachdem er sie betreten hatte, verweilte er in ihr drei Tage, bis er sich erholt und ausgeruht hatte; dann fragte er nach dem Schlosse des Beherrschers der Gläubigen Harûn er-Raschîd, und man wies ihm den Weg dorthin. Wie er dort ankam, bat er, der Beherrscher der Gläubigen möge ihm erlauben einzutreten; und nachdem ihm diese Erlaubnis gewährt worden war, trat er zum Herrscher ein, küßte den Boden vor ihm und überreichte ihm das Schreiben des Königs der Franken, zugleich auch Geschenke und wunderbare Kostbarkeiten, wie sie sich für den Beherrscher der Gläubigen geziemten. Kaum hatte der Kalif das Schreiben geöffnet und gelesen und seinen Inhalt verstanden, so befahl er seinen Wesiren, unverzüglich Briefe in alle Länder der Muslime zu entsenden; und sie führten seinen Befehl aus. In diesen Briefen beschrieben sie das Aussehen von Marjam und das



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Aussehen von Nûr ed-Dîn und gaben ihrer beider Namen an; ferner teilten sie mit, daß beide auf der Flucht seien, und jeder, der sie fände, solle sie ergreifen und dem Beherrscher der Gläubigen zuschicken; und schließlich warnten sie davor, in dieser Sache Säumigkeit, Lässigkeit oder Unachtsamkeit walten zu lassen. Dann wurden die Briefe mit Siegeln versehen und durch Eilboten an die Statthalter gesandt; und die machten sich rasch daran, dem Befehle nachzukommen, indem sie überall in den Ländern nach Leuten suchten, die dieser Beschreibung entsprachen. Jenes also geschah von seiten der Könige und ihrer Untertanen.

Sehen wir nun, wie es Nûr ed-Dîn, dem Kairiner, und Marjam der Gürtlerin, der Tochter des Königs der Franken, weiter erging! Die beiden waren nach der Flucht des Königs und seiner Truppen sogleich fortgeritten. Sie zogen nach dem Lande Syrien, vom Allbeschützer geschirmt, und erreichten die Stadt Damaskus. Die Eilboten aber, die der Kalif entsandt hatte, waren einen Tag vor den beiden dort eingetroffen, und der Emir von Damaskus wußte, daß er den Auftrag hatte, beide zu ergreifen, wenn er sie fände, und sie dem Kalifen zu schicken. So geschah es, daß an dem Tage, an dem die beiden in Damaskus einzogen, die Späher ihnen entgegentraten und sie nach ihren Namen fragten. Da sagten sie ihnen die Wahrheit und erzählten ihnen ihre Geschichte und alles, was sie erlebt hatten. Die Späher erkannten die beiden, ergriffen sie und nahmen sie mit sich und brachten sie zum Emir von Damaskus. Der schickte sie zum Kalifen nach der Stadt Baghdad, dem Horte des Friedens; und als ihre Begleiter dort angekommen waren, baten sie um Zutritt zum Beherrscher der Gläubigen Harûn er-Raschîd. Nachdem ihnen die Erlaubnis gewährt worden war, traten sie ein, küßten den Boden vor ihm und sprachen zu ihm:



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,O Beherrscher der Gläubigen, diese hier ist Marjam die Gürtlerin, die Tochter des Königs der Franken, und jener dort ist Nûre-Dîn, der Sohn des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn in Kairo, der Gefangene, der sie ihrem Vater abwendig gemacht hat, sie aus ihrer Heimat und ihrem Lande entführt hat und mit ihr nach Damaskus geflohen ist. Wir haben sie dort entdeckt, gerade als sie die Stadt betraten, und wir haben sie nach ihrem Namen gefragt. Sie sagten uns die Wahrheit, und darauf nahmen wir sie mit; und jetzt haben wir sie vor dich geführt.' Der Kalif blickte Marjam an und sah ihre schlanke und ebenmäßige Gestalt; lieblich war ihrer Rede Gewalt, sie war die schönste der Menschen ihrer Zeit und in den Tagen ihres Jahrhunderts eine einzigartige Maid, durch ihrer Zunge Süßigkeit, ihres Sinnes Festigkeit und ihres Herzens Tapferkeit. Als sie vor ihn trat, küßte sie den Boden vor ihm; dann wünschte sie ihm Macht und Gedeihen von ewiger Dauer und das Ende der Feindschaften und der Trauer. Der Herrscher fand großes Gefallen an ihrer schönen Gestalt, an der Lieblichkeit ihrer Rede und ihrer schnellen Antwort; und er sprach zu ihr: ,Bist du Marjam die Gürtlerin, die Tochter des Königs der Franken?' Sie erwiderte: ,Jawohl, o Beherrscher derer, die sich die Gläubigen nennen, und oberster Leiter derer, die Gottes Einheit bekennen, du, durch den der Glaube im Kampf geborgen ist, und der du ein Sproß des Oheims des Herren der Gottesgesandten bist.' Danach wandte der Kalif seinen Blick auf 'All Nûr ed-Dîn, und als er in ihm einen schönen Jüngling erkannte, der von lieblicher Gestalt war und dem leuchtenden Monde in der Nacht seiner Fülle glich, sprach er zu ihm: ,Bist du 'All Nûr ed-Dîn, der Gefangene, der Sohn des Kaufmanns Tâdsch ed-Dîn in Kairo?' Er gab zur Antwort: ,Jawohl, o Beherrscher derer, die im rechten Glauben leben, und Stütze derer, die



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rechtschaffen streben!' Dann fuhr der Kalif mit seinen Fragen fort: ,Wie kam es, daß du diese Maid aus dem Reiche ihres Vaters entführtest und mit ihr flüchtetest?' Nun begann Nûr ed-Dîn dem Herrscher alles zu erzählen, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Als er aber seinen Bericht beendet hatte, verwunderte der Kalif sich darüber gar sehr, und in seinem Staunen freute er sich fast noch mehr; und er rief: ,Wieviel müssen doch die Menschen erdulden!' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 894. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif Harûn er-Raschîd, als er Nûr ed-Dîn nach seiner Geschichte gefragt und dieser ihm alles berichtet hatte, was ihm widerfahren war. von Anfang bis zu Ende, sich darüber gar sehr verwunderte und rief: ,Wieviel müssen doch die Menschen erdulden!' Dann redete er die Herrin Marjam an und sprach zu ihr: ,Wisse, Marjam, dein Vater, der König der Franken, hat mir über dich geschrieben. Was sagst du dazu ?' Sie erwiderte: ,O Kalif Allahs auf Erden und Vollstrecker der Verordnungen und Pflichten, die uns von seinem Propheten überliefert werden, er verleihe dir Gedeihen von ewiger Dauer und schütze dich vor Feindschaften und Trauer! Du bist der Stellvertreter Allahs auf Erden, und ich bin zu eurem Glauben übergetreten, weil er der rechte und wahre Glaube ist; ich habe den Glauben der Ketzer aufgegeben, die den Messias überziehen mit Lügengeweben. Ich vertraue auf Allah, den Allgütigen, und glaube an die Offenbarung seines Gesandten, des langmütigen. Ich diene Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, und bekenne seine Einheit; ich werfe mich demütig vor ihm nieder und preise seine Herrlichkeit. Und ich spreche vor dem Kaufen:



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Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed Allahs Gesandter ist, den er mit der rechten Leitung und dem wahren Glauben entsandte, daß er ihm über jeden anderen Glauben Sieg verleihe, auch wenn es denen, die Gott einen Gefährten geben, ein Greuel ist.' Steht es nun in deiner Befugnis, o Beherrscher der Gläubigen, daß du dem Briefe des Königs der Ketzer Gehorsam zuwendest und mich in das Land der Ungläubigen sendest, die dem allwissenden König Gefährten geben, das Kreuz verherrlichen und in Verehrung der Bilder leben, ferner auch an die Gottheit Jesu glauben, wiewohl er nur ein Geschöpf war? Wenn du dies mit mir tust, o Kalif Gottes, so werde ich mich an deine Säume hängen am Tage der Heerschau vor Allah, und ich werde mich beklagen bei dem Bruderssohn deines Vorfahren, bei dem Gesandten Allah —Gott segne ihn und gebe ihm Heil! —an jenem Tage, an dem weder Gut noch Kinder Nutzen bringen, sondern nur, daß man heilen Herzens zu Allah kommt." Da sprach der Kalif: ,O Marjam, Gott verhüte, daß ich je solches tun könnte! Wie könnte ich eine muslimische Frau, die sich zu dem einigen Gott und zu seinem Gesandten bekennt, zu dem zurücksenden, was Allah und sein Gesandter verboten haben?' Marjam wiederholte ihr Bekenntnis: ,Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Allahs ist.' Und der Beherrscher der Gläubigen fuhr fort: ,Marjam, Allah segne dich und leite dich noch schöner im Islam! Da du eine Muslimin bist, die den einigen Gott bekennt, so habe ich jetzt gegen dich die bindende Pflicht, daß ich dir nie ein Unrecht tue, wenn mir auch für dich die ganze Welt voll Gold und Edelsteine geboten würde. Drum hab Zuversicht und quäl dich nicht; fühle dich frei in der Brust und froh im



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Herzen! Sag, willigst du ein, soll dieser Jüngling 'All aus Kairo dich als Gatte frein und willst du ihm Gemahlin seine' Darauf sagte Marjam: ,O Beherrscher der Gläubigen, wie sollte ich nicht einwilligen, daß er mein Gatte sei, zumal er mich mit seinem Gelde gekauft und mir die reichste Güte erwiesen hat? Ist er doch in seiner Güte so weit gegangen, daß er um meinetwillen oftmals sein Leben aufs Spiel gesetzt hat!' Da gab unser Herr, der Beherrscher der Gläubigen, sie ihm zur Gemahlin, indem er ihr eine Morgengabe überwies; er berief den Kadi und die Zeugen und die Großen des Reiches an jenem Tage, an dem die Eheurkunde geschrieben wurde, und es war ein großer Tag. Gleich darauf aber wandte der Herrscher sich an den Wesir des Königs der Christen, der zu jener Zeit noch dort war, und sprach zu ihm: ,Hast du gehört, was sie gesagt hat? Wie kann ich sie zu ihrem ungläubigen Vater zurückschicken, da sie doch eine Muslimin ist und die Einheit Gottes bekennt? Vielleicht wird er ihr ein Leids tun oder hart wider sie sein, zumal sie seine Söhne getötet hat, und dann hätte ich am Auferstehungstage die Schuld davon zu tragen. Allah der Erhabene aber hat gesagt: Nie wird Allah den Ungläubigen Gewalt über die Gläubigen geben.' Drum kehre zu deinem König zurück und sage ihm: ,Laß ab von diesem Vorhaben und trachte nicht mehr danach!' Nun war aber jener Wesir ein Schwachkopf, und er sprach zum Kalifen: ,O Beherrscher der Gläubigen, bei des Messias Leben, der uns den rechten Glauben gegeben, es ist mir nicht möglich, ohne Marjam zurückzukehren, wenn sie auch eine Muslimin geworden ist. Würde ich ohne sie zu ihrem Vater heimkommen, so würde er mich töten!' Da rief der Kalif: ,Nehmt diesen Verfluchten und richtet ihn hin!' Und dazu sprach er diesen Vers:



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Dies ist der Lohn für den, der sich empört
Und der auf seinen Herrn und mich nicht hört.

Dann befahl er, dem verruchten Wesir den Kopf abzuschlagen und seine Leiche zu verbrennen. Doch die Herrin Marjam sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, beschmutze dein Schwert nicht mit dem Blute dieses Verfluchten!' Und sie zückte selber ihr Schwert und hieb auf ihn ein und trennte ihm den Kopf von seinem Rumpfe; da ging er ein zum Orte des Verderbens und mußte in der Hölle hausen, einer Stätte voller Grausen. Der Kalif aber wunderte sich über die Kraft ihres Arms und die Stärke ihres Herzens. Danach verlieh er an Nûr ed-Dîn ein prächtiges Ehrengewand und wies ihnen beiden eine Wohnstätte in seinem Schlosse an; auch setzte er ihnen Gehälter, Einkünfte und Pfründen fest und befahl, daß alles, was sie an Kleidern, Hausrat und kostbaren Geräten bedurften, zu ihnen gebracht würde.

So blieben sie eine Weile in Baghdad, indem sie das schönste und froheste Leben führten. Dann jedoch empfand Nûr ed-Dîn Sehnsucht nach seiner Mutter und seinem Vater. und er trug sein Anliegen dem Kalifen vor, indem er ihn um Erlaubnis bat, in seine Heimat zu ziehen und die Seinen besuchen zu dürfen; zugleich aber hatte er Marjam gerufen und sie vor den Herrscher geführt. Da erlaubte jener ihm zu reisen, gab ihm Geschenke und kostbare Seltenheiten und empfahl Marjam und Nûr ed-Dîn einander; ferner befahl er, Briefe zu schreiben an die Emire und Gelehrten und Vornehmen von Kairo. der wohlbewahrten Stadt, in denen er ihnen Nûr ed-Dîn und seine Eltern und seine Gemahlin empfahl und ihnen auftrug, jenen die höchsten Ehren zu erweisen. Als die Kunde davon nach Kairo kam, freute sich der Kaufmann Tâdsch ed-Dîn über die Rückkehr seines Sohnes, und auch seine Mutter freute



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sich über die Maßen. Die Vornehmen und die Emire und die Großen des Reiches zogen ihm entgegen, gemäß dem Auftrag des Kalifen, und hießen ihn willkommen: Und das war ein denkwürdiger und wunderbar schöner Tag, an dem Liebender und Geliebte sich wiederfanden, an dem Sucher und Gesuchte beieinander standen. Dann wurden Festmahle bei den Emiren gefeiert, Tag für Tag der Reihe nach; die Freude an den Gästen begann sich immer noch zu mehren, und man erwies ihnen immer höhere Ehren. Und als Nur ed-Dîn wieder mit seiner Mutter und seinem Vater vereint war, waren sie über die Maßen erfreut, und es wich von ihnen Kummer und Leid. Ebenso aber freuten sie sich über die Herrin Marjam und ließen ihr die höchsten Ehren angedeihn; und Geschenke und Kostbarkeiten von allen Emiren und großen Kaufherren trafen bei ihnen ein. Jeden Tag erlebten sie neue Freude und eine Seligkeit, die größer war als die Freuden zur Festeszeit. So konnten sie sich immer in Freuden und Wonnen und in höchster Glückseligkeit sonnen; schmausend und trinkend verbrachten sie lange Zeit in der schönsten Fröhlichkeit. bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt, der die Häuser und Schlösser vernichtet und die Grabeshöhlen errichtet. Da wurden sie vom Tode aus der Welt entboten und gehörten zu den Scharen der Toten. Preis sei Ihm, dem Lebendigen, der nicht stirbt, und der zur sichtbaren und unsichtbaren Welt die Schlüssel in Seinen Händen hält!

Ferner wird erzählt


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