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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON MASRÛR UND ZAIN EL-MAWÂSIF'

Einst lebte in alten Zeiten und längst entschwundenen Vergangenheiten ein Kaufherr des Namens Masrûr; dieser Mann war einer der schönsten Männer seiner Zeit, viel Geld und Gut war ihm gegeben, und er führte das herrlichste Leben. Doch er liebte es, sich in den Blumengärten und Baumgärten zu ergehen, und sein Herz war von der Liebe zu den schönen Frauen ganz erfüllt. Nun traf es sich eines Nachts, als er im Schlafe lag, daß ihm träumte, er sei in einem wunderschönen Blumengarten, und dort waren vier Vögel, darunter auch eine Taube, weiß wie glänzendes Silber. Jene gefiel ihm, und eine heiße Liebe zu ihr überkam sein Herz. Danach aber mußte er sehen, wie ein großer Vogel, der auf ihn niederschoß, ihm diese Taube aus der Hand riß; und darüber grämte er sich sehr. Als er dann erwachte und die Taube nicht fand, rang er mit seiner Sehnsucht bis zum Morgen; und er sagte sich: ,Ich muß gewißlich heute zu jemandem gehen, der mir diesen Traum deuten kann.' — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 846. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann Masrûr, als er aus seinem Schlafe erwachte, mit seiner Sehnsucht bis zum Morgen rang und dann, als der Tag anbrach, sich sagte: ,Ich muß gewißlich heute zu jemandem gehen, der mir diesen Traum deuten kann.' Darauf ging er fort, indem er



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sich bald nach rechts und bald nach links wandte, bis er schon weit von seiner Wohnung entfernt war; doch er fand niemanden, der ihm den Traum hätte auslegen können. Darauf wollte er nach Hause zurückkehren, und wie er so auf seinem Wege dahinschritt, kam ihm plötzlich der Gedanke, im Hause eines der Kaufherren einzukehren; jenes Haus gehörte einem der reichsten Männer. Als er aber dort ankam, hörte er plötzlich, wie in ihm aus betrübtem Herzen eine Stimme der Schmerzen diese Verse sprach:

Der Morgenzephir weht zu uns von ihrer Stätte
Mit zartem Hauche, dessen Duft den Kranken heut.
An der verlaßnen Wohnstatt Spuren stand ich fragend;
Von Trümmern ward den Tränen Antwort still erteilt.
Ich sprach: O Zephirwind, bei Allah, laß mich wissen,
Ob dieser Stätte Wonne einstmals wiederkehrt!
Wird mich das Reh von zartem, schönem Wuchs beglücken?
Versonnen war sein Blick. der mich durch Leid verzehrt.

Als Masrûr diese Stimme hörte, schaute er durch das Tor hinein und sah einen der herrlichsten Gärten und am fernen Ende einen Vorhang aus rotem Brokat, der mit Perlen und Juwelen bestickt war. Hinter ihm befanden sich vier junge Frauen, unter denen eine saß, die nicht ganz fünf Fuß, aber mehr als vier Fuß maß, leuchtend wie der volle Mond, der droben am Himmeiszelte thront; ihre Augen waren von schwarzem Licht, ihre Brauen beieinander dicht; ihr Mund schien Salomos Siegel zu sein, ihre Lippen Korallen und ihre Zähne Perlenreihn. Sie bezauberte den Verstand durch ihre Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit. Als Masrûr sie erblickte, trat er durch das Tor hinein und ging weiter, bis er zu dem Vorhang kam; da hob sie ihr Haupt zu ihm empor und schaute ihn an. Er grüßte sie, und sie erwiderte seinen Gruß in süßer Rede Fluß. Doch wie er sie nun aus der Nähe betrachtete,



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ward sein Verstand entzückt und sein Herz entrückt. Dann schaute er den Garten an, und dort sah er jasmin und Levkojen, Veilchen und Rosen, Orangenblüten und all die anderen duftenden Blumen. Jeder Baum war mit Früchten bedeckt; und Wasser rann von vier Estraden herab, die einander gegenüberlagen. Er blickte die erste Estrade an, und rings um ihr fand er ein Schriftband, auf dem mit Zinnober diese Verse geschrieben waren:

O Haus, die Trauer kehre niemals bei dir ein.
Und möge deinem Herrn das Glück nie untreu sein!
Ein herrlich, freundlich Haus sei du für jeden Gast,
Wird auch dem Gaste sonst die Stätte oft zur Last!

Dann schaute er die zweite Estrade an und fand auf ihr ein Schriftband von rotem Golde mit diesen Versen:

O Haus, du mögest stets im Glücksgewande leuchten,
Solang im Garten Vögel singen, immerdar!
Und süße Düfte mögen allzeit in dir wehen!
In dir mög Glück erstrahlen jedem Liebespaar!
Es lebe stets dein Volk in Ehren und in Wonnen.
Solang am Himmel glänzt der Wandelsterne Schar!

Als er darauf die dritte Estrade anschaute, sah er ein azurblaues Schriftband, das diese Verse enthielt:

In dir, o Haus, sei immer Glück mit Ruhm vereint,
Solang die Nächte dunkeln und das Taglicht scheint!
Das Glück empfange jeden, der dein Tor betrat,
Und Segen überhäufe jeden, der dir naht!

Und an der vierten Estrade entdeckte er, als er hinschaute, ein Schriftband in gelber Farbe, das aus diesem Verse bestand:

Dies ist ein Garten hier und dies hier ist sein Teich,
Ein schöner Ort, o Herr, du bist erbarmungsreich.

Und ferner waren in jenem Garten Vögel von allen Arten, Nachtigallen, Ringtauben, Holztauben und andere Tauben, von denen jede ihr eigenes Lied sang, während die junge Frau



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sich anmutig hin und her wiegte in ihrer Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit, so daß ein jeder, der sie sah, von ihr bezaubert wurde. Und sie rief: ,O du Mann dort, was führt dich in ein Haus, das nicht dein Haus ist, und zu Frauen, die nicht deine Frauen sind, ohne daß ihr Herr es dir erlaubt hat?' ,O meine Gebieterin,' erwiderte er ihr, ,ich sah diesen Garten, und mir gefiel sein herrlich grüner Schein, der Duft seiner Blümelein und der Gesang seiner Vögelein; so trat ich denn ein, um mich hier eine Weile umzuschauen und dann wieder meiner Wege zu gehen.' Darauf sagte sie: ,Das geschehe herzlich gern!' Wie nun der Kaufmann Masrûr ihre Worte hörte und dabei ihren liebreizenden Blick und ihren herrlichen Wuchs anschaute, ward er bezaubert von ihrer Schönheit und Anmut und von der Lieblichkeit des Gartens und der Vögel. Da war es, als ob sein Verstand ihn verließe, er war ganz ratlos, und er sprach diese Verse:

Der Mond geht auf in aller seiner Herrlichkeit
Und scheint auf duftig kühle Hügel weit und breit,
Auf Myrten, Heckenrosen und auf Veilchen auch -
Von allen Blättern weht ein Duft mit zartem Hauch.
O Garten, aller Schönheit ein vollkommen Bild.
In dir hat sich der schönste Blumenschmuck enthüllt.
Und neben Schatten scheint der volle Mond hervor:
Und seine schönsten Weisen singt der Vögel Chor.
Von Ringeltaube, Drossel, von der Nachtigall,
Der wilden Taube klingt in mir der süße Schall.
In meine,,: Herzen weilt die Sehnsucht, ganz verwirrt
Ob ihrer Schönheit, wie der Trunkne ratlos irrt.

Als nun Zain el-Mawâsif diese Verse von Masrûr gehört hatte, schaute sie ihn an mit einem Blick, der ließ tausend Seufzer in ihm zurück und raubte ihm Sinn und Verstand. Und sie antwortete auf sein Lied mit diesen Versen:



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Glaub nicht, du könntest ihr, an der du hängst, dich nahen;
Und schneid die Wünsche ab, die dir die Hoffnung gab!
Laß ab von deinem Streben; sieh, du wendest nimmer
Die Schöne, die du liebst, von ihrem Wege ab!
Mein Blick bringt denen, so da lieben, herbe Pein;
Und was du sagst, soll nie bei mir geachtet sein.

Als Masrûr ihre 'Worte vernommen hatte, wappnete er sich mit Geduld; er verbarg sein Geheimnis in seinem Innern, dachte nach und sprach bei sich selber: ,Gegen Unglück hilft nur die Geduld.' Sie blieben nun so beisammen, bis die Nacht hereinbrach; dann befahl sie, den Tisch zu bringen, und der ward vor die beiden hingebreitet; auf ihm aber lagen allerlei Gerichte, Wachteln, junge Tauben und Lammfleisch. Und sie aßen, bis sie gesättigt waren. Darauf gebot sie, den Tisch fortzutragen, und als das geschehen war, ließ sie die Geräte zum Waschen bringen. Nachdem die beiden ihre Hände gewaschen hatten, ließ sie die Leuchter aufstellen, und darin wurden Kerzen entzündet, die mit Kampfer durchduftet waren. Und schließlich sprach Zain el-Mawâsif: ,Bei Allah, meine Brust ist mir heute nacht beklommen; denn ich bin vom Fieber gepackt.' Da rief Masrûr: ,Allah weite dir die Brust und verscheuche deinen Gram!' Doch sie fuhr fort: ,O Masrûr, ich bin gewohnt, Schach zuspielen; sag an, verstehst du etwas davon?' ,Jawohl, ich bin darin erfahren', antwortete er ihr. Darauf ließ sie das Schachbrett vor sich bringen; und siehe, es war aus Ebenholz, eingelegt mit Elfenbein; und die Felder waren geschmückt mit Gold von leuchtendem Schein; die Figuren aber waren aus Perlen und Rubinen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 847. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß die Sklavinnen, als Zain el-Mawâsif sie das Schachbrett bringen hieß, es brachten und vor sie hinstellten. Wie Masrûr es erblickte, bewunderte er es in seinem Sinne; Zain el-Mawâsif aber wandte sich zu ihm und fragte ihn: ,Willst du die roten oder die weißen?' Er gab ihr zu Antwort: ,O Herrin der schönen Frauen und Zierde der Welt im Morgengrauen, nimm du die roten, denn sie sind schön und geziemen dir mehr, und laß mir die weißen Figuren!' Sie sagte: ,Ich bin es zufrieden', nahm die roten Figuren und stellte sie gegenüber den weißen auf; dann hob sie die Hand zu den Figuren, um den ersten Zug auf dem Plane zu tun. Da erblickte Masrûr ihre Fingerspitzen und sah, daß sie schneeweiß waren wie der Kuchenteig; durch deren Schönheit und durch die zarte Anmut der Schönen ward er ganz verwirrt. Sie aber schaute ihn an und sprach zu ihm: ,Masrûr, laß dich nicht verwirren, sondern fasse dich und bleib fest!' Darauf erwiderte er: ,O du Schöne, der die Monde den Vorrang lassen, wie kann ein Liebender, wenn er dich sieht, in Geduld sich fassen?' Während er so sprach, da rief sie auch schon: ,Schachmatt!' und so schlug sie ihn. Zain el-Mawâsif wußte jedoch, daß er von der Liebe zu ihr betört war, und sie sprach zu ihm: ,Ich spiele mit dir nur um einen Einsatz, der genannt ist, und eine Summe, die bekannt ist.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er; und sie fuhr fort: ,Schwöre mir, und ich will dir schwören, daß keiner von uns beiden den anderen betrügt.' Nachdem die beiden dies einander geschworen hatten, sprach sie: ,Masrûr, wenn ich dich schlage, so will ich zehn Dinare von dir haben; und wenn du mich schlägst, so gebe ich dir ein Nichts.' Er glaubte, daß er gewinnen würde, und so sprach er zu ihr: ,Meine Gebieterin, bleib aber deinem Eid getreu, denn ich sehe, du bist mir in diesem Spiel überlegen.' ,Ich bin damit



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einverstanden', erwiderte sie; und die beiden begannen wieder zu spielen, indem sie mit den Bauern vorrückten. Sie aber ließ rasch die Königinnen folgen, reihte sie auf und vereinte sie mit den Türmen und rückte nach Herzenslust die Springer vor. Nun trug Zain el-Mawâsif auf dem Haupte ein Tuch aus blauem Brokat; das nahm sie von ihrem Kopfe, und nachdem sie ihren Ärmel von einem Handgelenk, das einer Lichtsäule glich, aufgestreift hatte, fuhr sie mit der Hand über die roten Figuren und sprach: ,Gib acht auf dich!' Allein Masrûr ward ganz verwirrt, Sinn und Verstand verließen ihn, er blickte nur auf ihre schlanke Gestalt und ihre zarten Reize und war entzückt und ganz berückt, so daß seine Hand, die er nach den weißen Figuren hob, sich auf die roten legte. ,O Masrûr,' rief sie, ,wo ist dein Verstand? Die roten gehören mir und die weißen dir!' Er antwortete ihr: ,Wer dich anschaut, hat keine Gewalt über seinen Verstand.' Und als sie sah, wie es mit ihm stand, nahm sie ihm die weißen und gab ihm die roten. Da spielte er mit diesen; aber sie schlug ihn doch. Immer weiter spielte er mit ihr, während sie ihn schlug und er ihr jedesmal zehn Dinare zahlte. Darum sprach Zain el-Mawâsif, in der Erkenntnis, daß die Liebe zu ihr ilm ganz erfüllte: ,Masrûr, du wirst nie dein Ziel erreichen, es sei denn, du schlägst mich, wie wir vereinbart haben; von jetzt an will ich mit dir nur noch um einen Einsatz von hundert Dinaren spielen.' ,Herzlich gern!' erwiderte er ihr, und sie spielte von neuem mit ihm und gewann das Spiel. Und so ging es immer weiter, indem er ihr jedesmal die hundert Dinare zahlte. Bis zum Morgen blieben sie bei ihrem Tun, ohne daß er sie ein einziges Mal geschlagen hätte. Da sprang er auf die Füße; und als sie ihn fragte: ,Was willst du tun, Masrûr?' gab er zur Antwort: ,Ich will in meine Wohnung gehen und Geld holen; vielleicht erreiche



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ich doch noch das Ziel meiner Hoffnungen.' ,Tu, was du willst und was dir gut dünkt!' sprach sie; und er ging nach Hause und holte all sein Geld. Und als er wieder bei ihr war, sprach er diese beiden Verse:

Ich sah im Traum, ein Vogel flog an mir vorüber;
Das war im trauten Garten voller Blütenpracht.
Allein, wenn er nun wirklich kommt und ich ihn jage,
So wird durch deine Gunst der Traum erst wahr gemacht.

Masrûr kehrte also mit all seinem Gelde zu ihr zurück und begann wieder mit ihr zu spielen; doch sie schlug ihn immer, und er konnte nicht ein einziges Mal von ihr gewinnen. Drei Tage lang spielten sie, bis sie ihm alles abgenommen hatte, was er besaß. Und wie all sein Geld verspielt war, fragte sie ihn: ,Masrûr, was willst du jetzt tun?' ,Ich will mit dir um meinen Spezereienladen spielen', erwiderte er. Sie fragte weiter: ,Wieviel ist jener Laden wert?' ,Fünfhundert Dinare', gab er zur Antwort; und dann spielte er mit ihr fünf Spiele um den Laden, und sie gewann auch den. Und weiter spielte er mit ihr um seine Sklavinnen, Äcker, Gärten und Grundstücke, und sie nahm ihm alles ab, alles, was er besaß. Schließlich schaute sie ihn an und fragte ihn: ,Hast du noch etwas im Besitz, das du einsetzen kannst?' Da sagte er zu ihr: ,Bei Dem, der mich in das Netz der Liebe zu dir verstrickt hat: nichts ist in meiner Hand geblieben, weder Geld noch sonst etwas, weder viel noch wenig!' Doch sie sprach zu ihm: ,O Masrûr, eine Sache, die in Freuden begann, soll nicht in Trauer enden. Wenn du jetzt traurig bist, so nimm dein Geld, verlaß uns und geh deiner Wege, und ich will dich von aller Verpflichtung gegen mich lossprechen!' Masrûr erwiderte ihr: ,Bei Dem, der uns diese Dinge bestimmt hat: wolltest du mir auch das Leben nehmen, es würde für deine Huld nur ein geringer Einsatz sein; denn



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ich liebe nur dich allein!' Dann fuhr sie fort: ,Masrûr, geh nunmehr und hole den Kadi und die Zeugen und verschreib mir alle deine Besitztümer und Ländereien!' ,Herzlich gern!' erwiderte er; dann machte er sich alsobald auf, holte den Kadi und die Zeugen und führte sie zu ihr. Als der Kadi sie erblickte, entfloh ihm der Verstand und vergingen ihm die Sinne, und sein Gemüt ward verwirrt durch die Schönheit ihrer Fingerspitzen. Und er sprach zu ihr: ,Ich stelle dir diese Urkunde nur unter der Bedingung aus, daß du die Ländereien und Sklavinnen und anderen Besitztümer kaufst und daß sie so in dein freies Verfügungsrecht übergehen.' Darauf sagte sie: ,Das haben wir schon vereinbart. Schreib du mir also eine Urkunde. daß der Besitz von Masrûr, seine Sklavinnen und all sein Eigentum übergehen sollen in das Besitztum von Zain el-Mawâsif um einen Preis, der soundso viel beträgt!' Der Kadi schrieb die Urkunde, und die Zeugen setzten ihre Unterschriften darunter; und Zain el-Mawâsif nahm das Schriftstück an sich. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 848. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Zain el-Mawâsif, nachdem sie das Schriftstück von dem Kadi erhalten hatte. das da besagte, alles, was Masrûrs Eigentum gewesen sei, solle nun ihr Eigentum werden, zu ihm sprach: ,Masrûr, nun geh deiner Wege!' Doch ihre Sklavin Hubûb wandte sich zu ihm und sprach zu ihm: ,Sage uns einige Verse her!' Und da sprach er über das Schachspiel diese Verse:

Jetzo klag ich um das Schicksal, was es alles mir gebracht;
Ja, ich klage um Verlust und Schachspiel und der Blicke Macht,
Um die Liebe einer Schönen, die so zart und wonnig ist,
Daß auf dieser Erde weder Weib noch Mann mit ihr sich >>ißt.



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Ach, sie kerbte ihre Pfeile, die ihr Auge auf mich schoß,
Und sie rückte allbesiegend vor auf mich mit ihrem Troß,
Mit den Roten und den Weißen, Kriegern all von starker Macht;
Und sie stand vor mir zum Kampfe, und sie rief mir zu: Hab acht!
Ihre Fingerspitzen, die sie zeigte, überwanden mich,
Als die Nacht das Dunkel senkte, das dem schwarzen Haare glich.
Keine Rettung kam den Weißen, die ich zog, daß ich gewann,
Da mich in der Liebe Qual ein Strom der Tränen überrann.
Bauern, Türme mußten weichen und der Königinnen Schar;
Und es kehrte um das Heer der Weißen, das geschlagen war.
Ja, sie traf mich mit dem Pfeile, der aus ihren Blicken kam;
Jener Pfeil zerriß das Herz mir und erfüllte es mit Gram.
Und sie legte mir die Wahl dann zwischen beiden Heeren vor;
Ach, ich wählte jene weißen Heereshaufen - und verlor.
Freilich sprach ich: ,Diese weißen Heereshaufen freuen mich,
Sie sind das, was ich begehre; und die Roten sind für dich.'
Und wir spielten um den Einsatz, der auch meinem Wunsch entsprach;
Doch erreichte ich mein Ziel nicht, da's an ihrer Huld gebrach,
O du Feuer meines Herzens, meine Sehnsucht, meine Pein
In dem Wunsche, einer mondesgleichen Schönen nah zu sein.
Was mein Herz mit Glut erfüllet und mit Schmerzen, das ist nicht
Geld und Gut, nein, nur der Blick aus deiner hellen Augen Licht.
Ach, nun bin ich ganz verworren und bestürzt in meinem Leid;
Und ob solcher Schicksalsschläge tadle ich die böse Zeit.
Als sie sagte: ,Weshalb bist du so bestürzt?' sprach ich zu ihr:
,Wer da trinkt, kommt nicht durch Trunkenheit zu des Verstandes Zier.'
Mein Verstand ward mir entrissen durch das zarte Menschenbild:
Oh, das felsenharte Herz in seinem Innern werde mild!
Und ich raffte mich zusammen, sagte: Heute wird sie mein
Durch den Einsatz, und ich brauche nicht voll Furcht und Angst zu sein.
Immer sehnte sich mein Herz nach ihrer Nähe, bis ich gar
Nun zu meinem großen Elend doppelt arm geworden war.
Kehrt sich wohl, wer liebt, von Liebe, die ihn quälte, wieder ab,
Sänke er auch in des Liebesleides tiefes Wellengrab?
Und da ist er nun, der Sklave; keinen Heller nennt er sein.
Fern vom Ziele, und gefangen von der Sehnsucht und der Pein.



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Als Zain el-Mawâsif diese Verse von ihm hörte, wunderte sie sich ob der Beredsamkeit seiner Zunge, und sie sprach zu ihm: ,Masrûr, tu solche Torheit ab von dir! Kehr zu deiner Vernunft zurück und geh deiner Wege! Du hast jetzt dein Geld und Gut im Schachspiel vergeudet; aber dein Ziel hast du nicht erreicht. Und dir bleibt von allen Wegen kein einziger mehr offen, der dich zum Ziele führen könnte.' Da schaute Masrûr auf Zain el-Mawâsif und sprach zu ihr: ,Meine Gebieterin, verlange von mir irgend etwas; alles, was du verlangst, soll dir gegeben werden, ich will es dir bringen und dir zu Füßen legen.' Doch sie gab ihm zur Antwort: ,Masrûr, du hast ja gar kein Geld mehr!' ,O du mein alles in der Welt, bleibt mir auch gar kein Geld, so hilft mir unter den Männern ein Held.' ,Soll nun der Gebende zu einem werden, der sich geben läßt?' ,Ich habe Anverwandte und Freunde, und die werden mir alles geben, um was ich sie bitte.' ,Ich wünsche von dir vier Blasen mit stark duftendem Moschus, vier Unzen Galia', vier Pfund Ambra, viertausend Dinare und vierhundert Gewänder aus goldgesticktem Königsbrokat. Wenn du mir diese Dinge bringst, Masrûr, so will ich dir meine Gunst gewähren.' ,Das ist mir ein leichtes, o du. die du die Monde beschämst', erwiderte er: und dann verließ er sie, um ihr das zu holen, was sie von ihm verlangt hatte. Doch sie schickte ihm die Sklavin Hubûb nach, damit sie sähe, in welchem Ansehen er bei den Leuten stände, von denen er gesprochen hatte. Während er nun in den Straßen der Stadt dahinging, wandte er sich zufällig um, und da erblickte er Hubûb in der Ferne. Deshalb blieb er stehen, bis sie ihn erreicht hatte, und fragte sie: ,Hubûb, wohin gehst du?' Sie erwiderte ihm: ,Meine Herrin



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hat mich aus demunddem Grunde hinter dir hergeschickt', und erzählte ihm, was Zain el-Mawâsif ihr gesagt hatte, von Anfang bis zu Ende. Er sagte darauf: ,Bei Allah, Hubûb, ich habe keinerlei Gut mehr in meiner Hand.' Nun fragte sie: ,Warum hast du es ihr denn versprochene' Er antwortete: ,Wieviel verspricht man nicht, ohne es zu halten! In der Liebe muß man Zeit gewinnen.' Als Hubûb dies von ihm hörte, sprach sie zu ihm: ,O Masrûr, hab Zuversicht und quäl dich nicht! Bei Allah. ich werde das Mittel sein, durch das du mit ihr vereint wirst.' Dann ging sie auf und davon; und sie schritt immer weiter dahin, bis sie zu ihrer Herrin zurückkam, und dort weinte sie bitterlich. Dann aber sprach sie zu ihr: ,Meine Gebieterin, bei Allah, er ist ein Mann von großem Ansehen, und er ist geehrt unter den Menschen.' Da hub ihre Herrin an: ,Wider den Ratschluß Allahs des Erhabenen gibt es kein Mittel! Dieser Mann hat wahrlich kein mitleidvolles Herz bei uns gefunden; wir haben ihm seine Habe abgenommen, und er hat bei uns keine Liebe gefunden und keine Neigung, ihm hold zu sein. Ach, wenn ich mich seinem Wunsche füge, so muß ich fürchten, daß die Sache ruchbar wird.' Doch Hubûb erwiderte ihr: ,Meine Gebieterin, es ist uns nicht leicht, daß er in solche Not gekommen ist und daß ihm seine Habe genommen ist. Und du hast doch niemanden bei dir außer mir und deiner Sklavin Sukûb; wer von uns beiden sollte über dich zu schwätzen wagen, da wir doch deine ergebenen Dienerinnen sind?' Sie senkte eine Weile ihren Kopf zu Boden; und dann sprachen die Sklavinnen zu ihr: ,O Herrin, unser Rat ist der, daß du ihm nachsendest und ihm Huld erweisest und nicht duldest, daß er einen von den Geizhälsen anbetteln muß. Wie bitter ist doch das Betteln !'Da hörte sie auf die Worte der Sklavinnen, rief nach Tintenkapsel und Papier und schrieb ihm diese Verse:



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Die Liebe naht, Nia b; drum frei: dich ohne Zögern;
Wenn schwarze Nacht sich senkt, so komm zur frohen Tat!
Doch bitte nicht um Geld bei Filzen, o du Jüngling!
Ich war ja trunken, jetzt kam mir verständ'ger Rat.
Jetzt sei dir all dein Gut von mir zurückgegeben;
Und obendrein, Masrûr, schenk ich dir meine Huld.
Denn trotz der Hörte, die dein grausam Lieb dir zeigte,
Warst du noch voller Süße, willig zur Geduld.
Drum eile, dir zum Heil, genieße unsre Liebe,
Und handle rasch, so daß kein Mensch die Kunde teilt!
Komm eilends her zu mir und laß kein Säumen walten
Und iß der Liebe Frucht, wenn fern der Gatte weilt!

Nachdem sie den Brief gefaltet hatte, gab sie ihn der Sklavin Hubûb; die nahm und brachte ihn zu Masrûr, den sie weinend fand und die Dichterworte sprechen hörte:

Es blies mir in das Herz ein Wind von Liebesnöten.
Zerriß mein ganzes Innre durch die heiße Glut.
Noch größer ward mein Leiden, seit mein Lieb geschwunden,
Und aus den Lidern rann der Tränen reiche Flut.
Ach, wurde ich die Ängste, die mich quälen, kunden,
So würde harter Stein und Fels zur Stunde weich.
O ,'mißt ich, ob ich noch, was ,nich erfreut, erlebe,
Ob Hoffnung sich erfüllt, ob ich mein Ziel erich h,
Ob sich der Hörte Nächte nach der Trennung wenden
Und ob die Schmerzen, die im Herzen wohnen, enden!— —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 849. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Masrûr, als die Leidenschaft ihn durchtobte, Verse sprach, von Sehnsucht erfüllt. Und gerade während er jene Verse leise vor sich hersang und wiederholte, hörte ihn Hubûb, und sie klopfte an seine Tür. Da ging er hin und öffnete ihr; und sie trat ein und reichte ihm den Brief. Nachdem er ihn hingenommen und gelesen hatte,



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sprach er zu ihr: ,Hubûb, was für Kunde bringst du von deiner Herrin?' Sie antwortete: ,Mein Gebieter, du weißt, daß in diesem Briefe sich findet, was mich der Antwort entbindet, und du bist bekannt als ein Mann von Verstand.' Masrûr freute sich über die Maßen, und er sprach diese beiden Verse:

Es kam der Brief, und seine Worte brachten Freude;
Ich schlösse ihn so gern in meines Herzens Schrein!
Als ich ihn küßte, wuchs in mir die heiße Sehnsucht;
Es schien der Liebe Perle drin verhüllt zu sein.

Dann schrieb er einen Brief als Antwort und gab ihn Hubûb; die nahm ihn, trug ihn zu Zain el-Mawâsif, und als sie bei ihr war, begann sie vor ihrer Herrin seine Reize zu schildern und seine trefflichen Eigenschaften und seine edle Gesinnung zu preisen; denn sie war ihm eine Helferin dazu geworden, daß er mit ihrer Herrin vereinigt werden sollte. Zain el-Mawâsif aber sprach: ,Ach, Hubûb, er zögert, zu uns zu kommen.' ,Er wird sogleich hier sein', antwortete Hubûb; und kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da kam er auch schon und klopfte an die Tür. Sie öffnete ihm, empfing ilm und führte ihn zu ihrer Herrin Zain el-Mawâsif hinein; und die begrüßte ihn, hieß ihn willkommen und zog ihn an ihre Seite nieder. Dann sprach sie zu ihrer Sklavin Hubûb: ,Bring ihm ein Gewand von den allerschönsten!' Da ging Hubûb hin und holte ein goldgesticktes Gewand; Zain el-Mawâsif aber nahm es in die Hand und warf es ihm über, während sie sich selber eins der prächtigsten Kleider anlegte und ein Netz aus glänzenden Perlen um ihr Haupt schlang. Und um dies Netz band sie eine Binde aus Brokat, die mit Perlen, Rubinen und anderen juwelen bestickt war; unter diese Binde aber ließ sie von den Schläfen zwei Zöpfe herabhängen, deren jeder einen mit gleißendem Golde eingefaßten Rubin trug; und ihr Haar ließ



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sie herabwallen schwarz wie die dunkle Nacht. Zuletzt beräucherte sie sich mit Aloeholz und durchduftete sich mit Moschus und Ambra. Während ihre Sklavin Hubûb zu ihr sprach: ,Allah behüte dich vor dem bösen Blick!"schritt sie dahin in stolzem Gang und wiegte sich anmutig; und die Sklavin sprach von den schönen Versen, die sie wußte, die folgenden:

Den schwanken Weidenzweig beschämt sie, wenn sie schreitet;
Der Liebe Volk bezaubert ihrer Blicke Macht.
Ein Mond, der aus dem Dunkel ihrer Haare leuchtet.
Ja, eine Sonne über dunkler Locken Pracht!
O glücklich, wem sie ihre Schönheit nächtens lieh;
Er schwört bei ihrem Leben, und er stirbt durch sie.

Zain el-Mawâsif dankte ihr; dann trat sie zu Masrûr hervor wie der leuchtende Vollmond hinter der Wolken Flor. Als er sie sah, sprang er auf die Füße und rief: ,Wenn mein Gedanke mich nicht trügt, so ist dies kein menschliches Wesen, sondern eine Paradiesesbraut!' Darauf hieß sie den Tisch bereiten, und als der kam, waren auf seinen Rand diese Verse geschrieben:

Kehr dort ein, wo die Löffel und die Pfannen weilen;
Erfreue dich am Rebhuhn und an Bratenteilen;
Dazu noch eine Wachtel, die ich immer meine,
Mit zarten Hühnern und mit Küken im Vereine.
Wie schön war doch der Braten, der so rosig leuchtet,
Wenn Essig aus den Schalen das Gemüse feuchtet!
Wie schön war auch der Reis mit zarter Milch -da drangen
Die Hände tief hinein in ihn bis zu den Spangen!
Ach, wie beklagt mein Herz zwei Arten von den Fischen;
Die lagen neben Brot vom Dreschpflug' auf den Tischen.



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Und sie aßen und sie tranken, waren vergnügt und voll heiterer Gedanken; dann ward der Speisetisch fortgenommen, und man ließ den Tisch des Weines kommen. Nun kreisten Becher und Schale bei ihnen immer weiter, und ihre Gemüter wurden heiter. Masrsûr aber sprach, indem er den Becher füllte: ,O du, deren Sklave ich bin und die du meine Herrin bist!' und dann sang er diese Verse:
Mich wundert's, wird mein Auge jemals satt sich sehen
An einer Maid, die behr im Schönheitsglanze scheint?
Sie kann zu ihrer Zeit nicht ihresgleichen haben,
Die Leibessehönheit widder Seele Adel eint.
Der Zweig der Weide neidet ihr des Wuchses Zartheit,
Wenn ihren Gang des Ebenmaßes Kleid umflicht.
Den Vollmond in der Nacht beschämt ihr strahlend Antlitz;
Auf ihrem Scheitel ruht des Neumonds Silberlicht.
Wenn sie auf Erden wandelt, breitet sich ihr Duft
Wohl über Berg und Tal in lauer Zephirsluft.

Als er sein Lied beendet hatte, sprach sie: ,O Masrûr, wer treu an seinem Glauben festhält und Brot und Salz mit uns gegessen hat, dem müssen wir das Seine geben. Tu alle diese Gedanken von dir, und ich will dir deinen Besitz zurückgeben, alles, was ich dir abgenommen habe!' Er gab zur Antwort: ,Meine Gebieterin, ich spreche dich frei von dem, was du da sagst, wenn du auch den Eid, der zwischen mir und dir bestand, gebrochen hast; und ich will hingehen und ein Muslim werden.' Ihre Sklavin Hubûb aber sprach zu ihr: ,Meine Herrin, du bist jung an Jahren und weißt viel, und ich bitte um die Fürsprache des Allmächtigen bei dir. Wenn du meinem Geheiß nicht folgst und mir das Herz nicht tröstest, so will ich heute nacht nicht in deinem Hause schlafen.' Da erwiderte ihr die Herrin: ,Hubûb, es geschehe, wie du willst! Erhebe dich und rüste uns ein anderes Zimmer!' Die Sklavin Hubûb erhob



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sich, rüstete ein anderes Zimmer, schmückte es und durchduftete es aufs schönste, wie ihre Herrin es liebte und gern hatte. Sie holte die Speisen herein und brachte dann auch den Wein; Becher und Schale kreisten unter ihnen immer weiter. und ihre Gemüter wurden heiter. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 850. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Sklavin Hubûb, als Zain el-Mawâsif ihr befahl, das traute Gemach herzurichten. sich erhob; sie brachte die Speisen herein und auch den Wein; Becher und Schale kreisten unter ihnen immer weiter, und ihre Gemüter wurden heiter. Da sagte Zain el-Mawâsif: ,O Masrûr, genaht ist die Zeit der Vereinigung und der Gunst; und erstrebst du meine Liebe mit solcher Brunst, so sing uns ein Lied von hoher Kunst!' Da sang Masrûr dies Lied:

Ach, ich ward gefangen, und mein Herz war heiß entbrannt,
Als die Hoffnung auf das Nahsein durch die Trennung schwand,
Als die Maid ich liebte, deren Wuchs mein Herz entzückt,
Die durch ihre zarte Wange mir den Geist berückt.
Sie hat dicht vereinte Brauen, Augen schwarzer Pracht;
Ihre Zähne leuchten gleich wie Blitze, wenn sie lacht.
Ihres Alters Jahre zählen zehn und dazu vier;
Drachenblut sind meine Tränen in der Lieb zu ihr.
Zwischen Bach und Garten hab ich sie zuerst erspäht
Mit dem Antlitz gleich dem Monde, der am Himmel steht.
Und ich stand vor ihr, gefangen und von Scheu ereilt;
,Allah grüße,' sprach ich, ,die im Heiligtume weilt!'
Meinen Gruß gab sie zurück mir; denn sie war bedacht
Auf die Reihe süßer Worte gleich der Perlenpracht.
Doch als sie mein Wort an sie vernommen, sah sie ein,
Was ich wollte; und ihr Herz ward hart gleichwie von Stein.
Und sie sprach: ,Ist solche Rede nicht Verwegenheit?'



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Ich darauf: ,Von dem, der liebet, sei der Tadel weit!
Bist du heute mir zu Willen, ist die Sache leicht.
Deinesgleichen ist geliebt, und hebend, wer mir gleicht.'
Als sie meinen Wunsch erkannte, kam von ihr der Ruf,
Unter Lächeln: ,Bei dem Herrn, der Erd und Himmel schuf,
Ich bin Jüdin, streng ist meines Judenglaubens Welt;
Aber du hast dich den Nazarener,, beigesellt.
Wie kannst du mir nahen, da du nicht von meiner Art?
Willst du solches tun, so bleibt dir Reue nicht erspart.
Ist's in Lieb erlaubt? Mit beiden Glauben spielst du gar;
Und man wird von mir mit Tadel reden immerdar.
Um die beiden Glauben ist es ganz und gar geschehn,
Gegen meinen und den deinen wirst du dich vergehn.
Liebst du mich, so werde jude, nur aus Liebesbrunst.
Alles soll dir nichts mehr gelten außer meiner Gunst!
Schwör bei deinem heil'gen Buche' einen wahren Eid,
Daß du unsre Liebe treu bewahrst in Heimlichkeit.
Hoch und heilig bei der Thora' schwör ich dir zur Stund
Immer wahre ich die Treue unsrem Liebesbund.'
Und ich schwor bei allem, was ich glaube und verehr;
Ebenso schwor sie mir einen Eid, gar hoch und hehr.
Und ich fragte sie: ,Wie heißt du, Ziel der Wünsche, sag?'
Da sprach sie: ,Zain el-Mawâsif' in dem Rosenhag.'
,O Zain el-Mawâsif,' rief ich, ,schaue mich hier an,
Dessen Herze ganz gefangen in der Liebe Bann!'
Hinter ihrem Schleier sah ich ihre Lieblichkeit.
Ach, da ward ich ganz erfüllt von sehnsuchtsvollem Leid.
Vor dem Schleier stehend klagt ich demutsvoll die Not,
Die in meinem Herzen jetzt mit Allgewalt gebot.
Als sie sah, wie ich das Opfer übergroßer Liebe war,
Bot sie fröhlich lächelnd meinem Blick ihr Antlitz dar.
Von dem Glück der Liebe spurten wir schon einen Hauch;
Duft des Moschus legte sie auf Hals und Hände auch.
Und von ihrem Dufte schien der Raum erfüllt zu sein;



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Von dem Mund küßt ich ein Lächeln und den reinsten Wein.
Gleich dem Weidenzweige bog sie sich in Kleiderpracht;
Ihre Gunst, die einst verboten, ward erlaubt gemacht.
Und wir waren eng beisammen auf der Liebe Au,
Küßten und umarmten uns und sogen Lippentau.
Höchste Erdenfreude ist es, wenn der, den man liebt,
An derselben Stätte weilet und sich ganz ergibt! Sie erhob sich, um zu scheiden, bei des Tages Nahn;
Schöner war ihr Antlitz als der Mond am Himmelsplan.
Und beim Abschied stand ihr auf der Wange ein Geschmeid
Von der Tränen Perlen, ausgestreut und aufgereiht. Nie vergeß ich Allahs Bund in meines Lebens Zeit,
Noch der Nächte süße Wonnen, noch den hehren Eid!

Darüber war Zain el-Mawâsif entzückt, und sie sprach: ,O Masrûr, wie herrlich sind doch deine Geistesgaben! Möge dein Feind keine Lebensdauer haben!' Dann trat sie in die Kammer und rief Masrûr zu sich; da trat auch er zu ihr ein und zog sie an seine Brust und umarmte und küßte sie; so erreichte er, was ihm einst erschien als ein Ding der Unmöglichkeit, und er freute sich über des Liebesglückes Süßigkeit, die sich ihm jetzt doch noch geweiht. Nun sagte Zain el-Mawâsif: ,Masrûr, deine Habe ist mir jetzt verwehrt, und sie ist wieder dein, da wir ja Liebende geworden sind.' So gab sie ihm all sein Hab und Gut zurück, das sie ihm abgenommen hatte; und dann fragte sie: ,Masrûr, hast du einen Blumengarten, in den wir uns begeben können, um uns dort zu ergötzen?' Er gab zur Antwort: ,Jawohl, meine Herrin, ich habe einen Blumengarten, wie es seinesgleichen nicht gibt.' Darauf begab er sich in sein Haus und befahl seinen Sklavinnen, ein prächtiges Mahl zu bereiten und ein schönes Zimmer mit einem großen Kronleuchter herzurichten. Alsdann berief er Zain el-Mawâsif zu sich, und nachdem sie mit ihren Sklavinnen gekommen war,



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aßen sie und tranken sie, waren fröhlich und guter Dinge; der Becher kreiste zwischen ihnen immer weiter, und ihre Gemüter wurden heiter. Und als Lieb mit Lieb allein war, sprach sie: ,Masrûr, mir kommt ein zierliches Lied in den Sinn, das möchte ich zur Laute singen.' ,Sing es!' antwortete er; und sie nahm die Laute in die Hand, stimmte sie und griff in die Saiten; und sie begann lieblich zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Vom Klang der Saiten zieht die Freude in mich ein.
Wie mundet in der Frühe uns der edle Wein!
Die Liebe offenbart das sinnbetörte Herz,
Der Schleier fällt, Gefühl erhebt sich himmelwärts
Mit klarem Weine. den die Schönheit hell umkränzt,
Wie wenn die Sonne in der Hand von Monden' glänzt
In einer Nacht, die uns mit ihren Freuden nahe
Und die des Schmerzes Reif durch Glück vertrieben hat.

Und als sie ihre Verse beendet hatte, sprach sie zu ihm: ,O Masrûr, sing uns etwas von deinen Gedichten und laß uns kosten von deinen Früchten!' Da sang er diese Verse:

Wir freuen uns des Vollmonds, der den Wein uns bringt,
Wenn in den Gärten uns der Laute Spiel erklingt,
Wenn früh die Taube girrt und wenn der Zweig sich neigt,
Und wenn dort auf den Pfaden höchste Lust sich zeigt.

Nachdem er seine Verse beendet hatte, sprach Zain el-Mawâsif zu ihm: ,Sing uns ein Lied über das, was zwischen uns vorgefallen ist, wenn du in deiner Liebe zu mir aufrichtig bist.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt der verstatteten Rede an. Doch als die 851. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet o worden, glücklicher König, daß Zainel-Mawâsif zu Masrûr



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sprach: ,Wenn du in deiner Liebe zu mir aufrichtig bist, so sing uns ein Lied über das, was zwischen uns beiden vorgefallen ist.' ,Herzlich gern!' erwiderte er und trug diesen Gesang vor:

Steh und hör, was mir geschehen
In der Liebe zu dem Reh!
Mit dem Pfeil schoß die Gazelle,
Und ihr Blick tat mir so weh.
Liebe hat mich überwältigt,
Lieb, in der kein Plan mir nutzt:
Ich ergab mich einer Schönen,
Die ein Wall von Pfeilen schützt.
Ich erblickte sie im Garten
Voller Ebenmäßigkeit.
Grüßend naht ich, und sie grüßte,
Mich zu hören gern bereit.
Fragt ich nach dem Namen, sprach sie:
,Der ist meiner Schönheit Bild;
Denn er ist Zain el-Mawâsif'
Und ich rief: ,O sei mir mild!
Ach, es brennt in mir die Sehnsucht:
Keiner liebt dich so wie ich.'
Doch sie sprach: ,Lockt meine Gunst dich,
Liebst du mich herzinniglich,
Nun, so wünsch ich großen Reichtum,
Der kaum je ermessen ward.
Kleider will ich von dir haben
Aus der feinsten Seidenart;
Einen viertel Zentner Moschus
Für die Liebe einer Nacht;
Ferner Perlen, Karneole
Von der allerschönsten Pracht;
Silber auch, vom ungemischten,
Zu des Schmuckes schönster Zier.'
Ach, ich zeigte mich geduldig;
Doch mein Herz verzagte schier!
Endlich gab sie ihre Gunst mir



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In der Nacht beim Neumondschein.
Wenn mich einer darob tadelt,
Sage ich: ,Ihr Leute mein,
Sie hat langer Locken Fülle,
Deren Farbe gleich der Nacht;
Auf der Wange glühen Rosen,
Wie zu Feuersglut entfacht.
Ihre Augen bergen Schwerter,
Und ihr Blick ist gleich dem Pfeil;
Rauschtrank wird aus ihrem Munde,
Reiner Lippentau, zuteil.
Ihre Zähne sind wie Schnüre
Edler Perlen aufgereiht,
Und ihr Hals gleicht dem des Rehes,
Herrlich in Vollkommenheit.
Wie von Marmor ist ihr Busen,
Hügeln sind die Brüste gleich;
Und im Leib hat sie ein Fältchen,
Das an Wohlgerüchen reich.
Doch darunter ist noch etwas,
Meiner Hoffnung schönster Stern;
Das ist weich, und das ist rundlich,
Ach, es ist so zart, ihr Herrn!
Einem Königsthrone gleicht es;
Darauf richt ich meinen Sinn;
Zwischen beiden Pfeilern ziehen
Sich Estraden hoch dahin.
Doch was dorten noch verborgen,
Raubt den Männern den Verstand:
Denn es sind da große Lippen
Und dazu ein schwellend Band.
Wie das Rot im Auge glänzt es,
Was Kameles Lippe gleicht;
Kommst du zu ihm mit dem Willen,
Der durch Tat sein Ziel erreicht.
Findest du ein warm Willkommen,
Doch in Kraft und Feierstaat,



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Das den Kühnen gar zurücktreibt,
Wenn er keine Kampf kraft hat.
Manchmal kannst du ihm begegnen
Mit dem Bart seit langer Zeit;
Solches meldet dir ein edler.
Schöner Mann der Stattlichkeit.
Wie ja auch Zain el-Mawâsif,
Sie, so schön und wunderbar.
Nachts kam ich zu ihr gegangen,
Fand dort, was so süß mir war.
Eine Nacht verbracht ich mit ihr -
Aller Nächte schönstes Licht! Als der Morgen nahte, ging sie,
Neumondgleich von Angesicht.
Gleich der hohen Lanze schwankte
Ihres Leibes schlanke Pracht:
Und sie sprach zu mir beim Abschied:
,Kehrt wohl wieder solche Nacht?'
Ich sprach: ,Meiner Augen Zier,
Wann du willst, dann komm zu mir!"

Zain el-Mawâsif war über die Maßen entzückt von diesem Gesang, und höchste Fröhlichkeit kam über sie. Dann sprach sie: ,O Masrûr, fast ist die Dämmerung schon zu sehen, so bleibt nichts übrig als fortzugehen; sonst könnte ein Ärgernis entstehen.' ,Herzlich gern!' erwiderte er; und er stand auf und brachte sie in ihr Haus zurück. Dann begab er sich wieder heim und verbrachte den Rest der Nacht, indem er über ihre Reize nachsann. Als dann der Morgen sich einstellte und die Welt mit seinem Glanz und Licht erhellte, machte er ein prächtiges Geschenk bereit, brachte es ihr und setzte sich an ihre



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Seite. So lebten sie eine Reihe von Tagen in Herrlichkeit und Freuden. Dann aber kam eines Tages zu ihr ein Brief von ihrem Gatten, der ihr seine baldige Rückkehr meldete. Da sprach sie bei sich selber: ,Möge Allah ihn nicht behüten noch am Leben erhalten! Wenn er hierher kommt, so wird unser Leben getrübt; wollte der Himmel, daß ich die Hoffnung auf ihn aufgeben könnte!' Als darauf Masrûr zu ihr kam und sich setzte, um wie immer mit ihr zu plaudern, sprach sie zu ihm: ,O Masrûr, eine Botschaft von meinem Gatten ist zu uns gekommen, die besagt, daß er in Kürze von seiner Reise zu uns zurückkehren wird. Was ist nun zu tun, da keiner von uns beiden ohne den anderen leben kann?' Er gab ihr zur Antwort: ,Ich weiß nicht, was geschehen soll. Aber du kennst das Wesen deines Gatten besser und genauer; und obendrein gehörst du zu den klügsten Frauen und bist eine Meisterin in allen Listen, die da Pläne ersinnen kann, deren die Männer nicht fähig sind.' Darauf sagte sie: ,Er ist ein harter Mann, und er wacht eifersüchtig über die Seinen. Aber wenn er von der Reise kommt und du von seiner Ankunft hörst, so begib dich zu ihm, begrüße ihn und setz dich an seine Seite; dann sprich zu ihm: ,Bruder, ich bin ein Spezereienhändler', und kaufe von ihm einige Spezereien verschiedener Art. Darauf besuche ihn öfters, unterhalte dich des längeren mit ihm, und wenn er irgend etwas von dir verlangt, dann widersprich ihm nicht! So wird vielleicht, was ich plane, wie durch Zufall geschehen.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Masrûr; und er verließ sie, während in seinem Herzen das Feuer der Liebe brannte. Als nun ihr Gatte nach Hause kam, zeigte sie sich über seine Ankunft erfreut, und sie hieß ihn willkommen und begrüßte ihn. Als er ihr aber ins Gesicht schaute, sah er, daß es von gelber Farbe war; denn sie hatte es vorher mit Safran gewaschen und so eine Weiberlist angewandt.



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Nun fragte er sie nach ihrem Ergehen, und sie erzählte, sie sei seit der Zeit seiner Abreise krank gewesen, sie samt ihren Sklavinnen; und sie fügte hinzu: ,Ach, unsere Herzen waren um dich besorgt, da du so lange fortbliebst!' Dann klagte sie ihm, wie wehe die Trennung tut, und sie vergoß eine Tränenflut. Schließlich sagte sie noch: ,Hättest du nur einen Genossen bei dir gehabt, so hätte mein Herz nicht in all dieser Sorge um dich geschwebt. Drum bitte ich dich um Allahs willen, mein Gebieter, reise nicht wieder ohne einen Gefährten, und laß mich nicht ohne Kunde von dir, auf daß ich in Herz und Sinn über dich beruhigt bin!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 852. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als Zain el-Mawâsif zu ihrem Gatten sagte: ,Reise nicht ohne einen Gefährten und laß mich nicht ohne Kunde von dir, auf daß ich in Herz und Sinn über dich beruhigt bin!' jener ihr antwortete: ,Herzlich gern! Bei Allah, du mahnst zu rechter Tat, vortrefflich ist dein Rat! So wahr mir dein Leben am Herzen liegt, es soll geschehen, wie du wünschest!' Dann schaffte er einen Teil seiner Waren in seinen Laden, eröffnete ihn wieder und setzte sich, um sie im Basar zu verkaufen. Während er so in seinem Laden saß, siehe, da kam Masrûr des Wegs; der begrüßte ihn, setzte sich ihm zur Seite und begann ein Gespräch mit ihm, ja, er plauderte eine ganze Weile mit ihm. Dann zog er einen Geldbeutel hervor, band ihn auf und entnahm ihm Goldgeld; das reichte er dem Gatten von Zain el-Mawâsif mit den Worten: ,Gib mir für diese Dinare einige Arten von Spezereien, ich will sie in meinem Laden verkaufen.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Kaufmann und gab ihm, was er verlangte. Hinfort



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besuchte Masrûr ihn von Tag zu Tage, bis schließlich der Gatte von Zain el-Mawâsif sich zu ihm wandte und sprach: ,Ich suche nach einem Manne als Teilhaber im Geschäfte.' Masrûr erwiderte ihm: ,Auch ich suche nach einem Manne, mit dem ich das Geschäft teilen kann. Mein Vater war ein Kaufmann im Lande Jemen, und er hinterließ mir viel Geld, und ich fürchte, daß dies mir dahinschwinden könnte.' Da blickte der Kaufmann ihn an und sprach: ,Willst du mir ein Teilhaber sein? So will ich dir ein Teilhaber sein, ein Freund und Gefährte, mögen wir uns auf Reisen begeben oder still zu Hause leben: und dann lehre ich dich Verkauf und Kauf, des Nehmens und des Gebens Verlauf.' ,Herzlich gern!' antwortete ihm Masrûr; und alsbald nahm der Kaufmann ihn mit sich, führte ihn in sein Haus und bat ihn, in der Vorhalle sich zu setzen, während er selbst zu seiner Gattin hineinging und zu ihr sprach: ,Sieh, ich habe einen Teilhaber gewonnen, und ich habe ihn zu Gast geladen; darum richte uns ein schönes Mahl her!' Zain el-Mawâsif war erfreut; denn sie erkannte, daß Masrûr es war. So rüstete sie denn ein prächtiges Gastmahl, indem sie die schönsten Speisen auftrug, da sie sich so sehr freute, daß ihr Plan mit Masrûr geglückt war. Und weil der Gast schon im Hause des Kaufmanns war, sprach der zu seiner Gattin: ,Geh mit mir zu ihm hinaus, heiß ihn willkommen und sprich zu ihm: ,Du beehrst uns.' Sie aber zeigte sich zornig und sprach zu ihm: ,Willst du mich vor einen fremden, unbekannten Mann führen? Ich nehme meine Zuflucht zu Allah! Wenn du mich auch in Stücke schnittest, ich will mich nicht vor ihm zeigen!' Ihr Gatte entgegnete ihr: ,Warum scheust du dich vor ihm? Er ist ein Christ, und wir sind Juden; und außerdem werden wir beide, ich und er, Teilhaber.' Dennoch bestand sie darauf: ,Ich habe keine Lust, mich vor dem fremden Manne zu



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zeigen, den mein Auge noch nie gesehen hat und den ich nicht kenne.' Ihr Gatte glaubte, daß sie die volle Wahrheit spräche, und so drang er denn immer weiter in sie, bis sie sich erhob, sich in ihre Gewänder hüllte, die Speisen nahm und zu Masrûr hinausging und ihn willkommen hieß. Er aber neigte sein Haupt zu Boden, als schäme er sich; und wie der Kaufmann ihn so gesenkten Hauptes dastehen sah, sprach er bei sich: ,Der ist sicher ein Frommer!' Dann aßen sie, bis sie gesättigt waren; und als die Speisen abgetragen waren, brachte man den Wein. Zain el-Mawâsif aber saß Masrûr gegenüber, und sie sah ihn an, und er sah sie an, bis der Tag vergangen war. Da begab Masrûr sich nach Hause, mit lodernden Flammen im Herzen. Der Gatte von Zain el-Mawâsif aber dachte noch lange über die feine Art und die Schönheit seines Gefährten nach. Als die Nacht kam, brachte seine Gattin wie immer das Nachtmahl. Nun hatte er einen Sprosser' im Hause; und wenn er beim Essen saß, so pflegte der Vogel zu ihm zu kommen und mit ihm zu essen und über seinem Kopfe zu schweben. Aber der Vogel hatte sich inzwischen an Masrûr gewöhnt und hatte mit ihm gegessen und ihn umflattert, sooft er bei Tische saß. Als jetzt Masrûr verschwand und sein Herr wieder da war, erkannte er ihn nicht und nahte sich ihm nicht; da begann der Kaufmann nachzusinnen, was es mit dem Vogel auf sich habe und weshalb er sich von ihm fern halte. Zain el-Mawâsif aber konnte nicht schlafen, da ihr Herz immer nur an Masrûr dachte; und das blieb so noch eine zweite und eine dritte Nacht. Da merkte der Jude ihren Zustand, und als er sie in ihrer Verstörtheit beobachtete, schöpfte er Verdacht gegen sie. In der vierten Nacht erwachte er aus seinem Schlafe um Mitternacht und hörte seine Gattin im Schlafe reden, wie sie Masrûrs Namen



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nannte, während sie an ihres Gatten Seite ruhte; wieder schöpfte er Verdacht gegen sie, doch er verbarg seinen Argwohn. Als es Morgen ward, ging er zu seinem Laden und setzte sich nieder. Während er dort saß, kam Masrûr auf ihn zu und grüßte ihn; er gab ihm den Gruß zurück und sprach: ,Willkommen, mein Bruder!' Dann fügte er noch hinzu: ,Ich hatte schon Sehnsucht nach dir.' Sie saßen eine ganze Weile plaudernd beisammen, und danach hub er wieder an: ,Auf, Bruder, komm mit mir in mein Haus, damit wir den Bund der Brüderschaft abschließen können!' Masrsûr erwiderte: ,Herzlich gern!' Und als sie das Haus erreicht hatten, ging der jude vorauf und meldete seiner Frau, daß Masrûr käme und daß er mit ihm Geschäfte beraten und den Bund der Brüderschaft abschließen wolle; und er fügte hinzu: ,Bereite uns ein schönes Mahl; du mußt auch bei uns zugegen sein und sehen, wie wir Brüderschaft schließen!' Doch sie rief: ,üm Gottes willen, führe mich nicht vor diesen fremden Mann; ich habe nicht den Wunsch, mich vor ihm zu zeigen.' Da ließ er ab von ihr und befahl den Sklavinnen, Speise und Trank zu bringen; danach lockte er auch den Vogel, den Sprosser, herbei, aber der setzte sich auf den Schoß Masrûrs und achtete seines Herrn nicht. Nun fragte der jude: ,Lieber Herr, wie heißt du denn?' Und jener antwortete: ,Ich heiße Masrûr.' Dies war aber ja gerade der Name, den seine Gattin die ganze Nacht hindurch im Schlafe genannt hatte. Und wie er nun seinen Kopf hob, sah er, daß sic ihm zuwinkte und mit den Augen Zeichen gab; so wußte er denn, daß er überlistet war; und er sprach: ,Lieber Herr, entschuldige mich noch so lange, bis ich meine Vettern geholt habe, damit sie Zeugen der Verbrüderung werden!' ,Tu, was dir gut dünkt!' erwiderte Masrûr; und der Gatte von Zain el-Mawâsif ging fort, stellte sich aber hinter dem Wohnzimmer auf. —



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 853. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Gatte von Zain el-Mawâsif zu Masrûr sprach: ,Entschuldige mich noch so lange, bis ich meine Vettern geholt habe, damit sie Zeugen des Abschlusses der Verbrüderung zwischen uns beiden werden!' Dann aber ging er fort, begab sich hinter das Wohnzimmer und stellte sich dort auf; denn es befand sich da ein Fenster. das in den Saal führte, und zu dem war er gegangen, so daß er die beiden beobachten konnte, während sie ihn nicht sahen. Inzwischen hatte Zain el-Mawâsif ihre Magd Sukûb gefragt: ,Wohin ist dein Herr gegangene' und die hatte ihr erwidert: ,Hinaus aus dem Hause.' Darauf sprach sie: ,Verschließe die Tür und lege den eisernen Riegel vor und öffne ihm nicht eher, als bis er an die Tür klopft und du es mir sagst!' ,So sei es', erwiderte die Sklavin. All das geschah, während ihr Gatte sie beobachtete. Darauf nahm Zain el-Mawâsif den Becher, mischte den Wein mit Rosenwasser und Moschuspulver und ging zu Masrûr. Der aber eilte auf sie zu und sprach zu ihr: ,Bei Gott, der Tau deiner Lippen ist süßer als dieser Wein.' Und sie gab ihm, und er gab ihr zu trinken; dann besprengte sie ihn mit Rosenwasser vom Scheitel bis zu den Füßen, bis daß der Duft davon den ganzen Raum erfüllte. Während alledem sah ihr Gatte ihnen zu, erstaunt über die große Liebe, die zwischen den beiden bestand; zugleich aber füllte sich sein Herz mit Zorn über das, was er sehen mußte, und nicht nur der Grimm kam über ihn, sondern er ward auch von heftiger Eifersucht gepackt. So ging er denn an die Tür, allein er fand sie verschlossen; da pochte er in seinem großen Zorn gar heftig. Die Sklavin rief: ,O Herrin, mein Gebieter ist gekommen.' Jene



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rief: ,Öffne ihm! Hätte Gott ilm nur nicht in Sicherheit heimgeführt!' Als die Sklavin dann geöffnet hatte, fragte er sie: ,Was ist denn mit dir, daß du die Tür zuschließt?' Sie antwortete: ,So war es während deiner Abwesenheit; sie war immer geschlossen und nie geöffnet weder bei Tag noch bei Nacht.' Da sagte er: ,Das hast du gut gemacht, so gefällt es mir.' Dann ging er zu Masrûr hinein, indem er lachte und seinen Kummer verbarg; und er sprach: ,O Masrûr, laß uns heute noch von der Verbrüderung absehen, wir wollen unseren Bruderbund an einem anderen Tage abschließen, nur nicht heute.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte jener, ,tu, wie du willst!' So ging denn Masrûr nach Hause. während der Gatte von Zain el-Mawâsif über seine Lage nachzusinnen begann und nicht wußte, was er tun sollte; sein Gemüt war schwer betrübt, und er sprach bei sich selber: ,Selbst der Sprosser verleugnet mich, und die Sklavinnen verschließen mir die Tür vor der Nase und kehren sich einem anderen zu.' Und im Übermaße seines Kummers begann er diese Verse zu sprechen:

Masrûr verlebt die Zeit, die durch der Tage Wonnen
Verschönt ihm wird, allein mein Leben ist zerstört.
In meiner Liebe hat das Schicksal mich verraten:
In meinem Herzen brennt die Glut, die sich noch mehrt.
Mein Glück war durch die Schöne hell - es ist vergangen;
Und dennoch hält die Schönheit mich in ihrem Bann.
Mit eignern Auge schaut ich ihre hohe Anmut;
Und ihre Liebe tat es meinem Herzen an.
Ach lange ist es her, da stillte sie mir huldvoll
Den Durst durch Wein von ihren Lippen, si?!! und klar!
Warum, o Sprosser, hast du mich denn auch verlassen
Und hütest deine Liebe einem andren dar?
Ach, meine Blicke schauten wunderbare Dinge -
Die hätten mir im Schlaf die Augen aufgeweckt!
Ich sah mein eigen Lieb die Liebe mein vergeuden,



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Und wie mein Sprosser auch sich scheu vor mir versteckt!
Ja, bei dem Herrn der Menschen, der, was Er beschlossen,
In dieser Welt noch immer sicher durchgeführt:
Dem frechen Wicht, der sich in ihre Nähe wagte
Und ihre Gunst genoß, zahl ich, was ihm gebührt!

Als Zain el-Mawâsif seine Verse hörte, begann ihr ganzer Leib zu zittern, und sie erblich und sprach zu ihrer Sklavin: ,Hast du diese Verse gehört?' Die antwortete: ,Ich hab ihn in meinem ganzen Leben noch nicht solche Verse reden hören. Aber laß ihn sagen, was er will!'

Da nun der Gatte von Zain el-Mawâsif sich von der Wahrheit seines Argwohns überzeugt hatte, begann er alles zu verkaufen, was er besaß; denn er sagte sich: ,Wenn ich sie nicht aus ihrer Heimat fortführe, so werden die beiden nie und nimmer von dem ablassen, was jetzt zwischen ihnen vorgeht.' Nachdem er dann all seinen Besitz verkauft hatte, fälschte er einen Brief und las ihn ihr vor, indem er behauptete, dieser Brief käme von seinen Vettern, und er enthalte deren Wunsch, daß er und seine Gattin sie besuchen möchten. Sie fragte: ,Wie lange werden wir bei ihnen sein?' ,Zwölf Tage', gab er zur Antwort; und sie willigte darin ein. Dann fragte sie weiter: ,Soll ich einige Sklavinnen mit mir nehmen?' Er antwortete: ,Nimm Hubûb und Sukûb mit, und laß Chatûb hier.' Dann machte er eine schöne Kamelsänfte für sie bereit und rüstete zum Aufbruch mit ihnen. Zain el-Mawâsif aber sandte eine Botschaft an Masrûr: ,Wenn die Zeit, die zwischen uns verabredet wurde, verstrichen ist, ohne daß wir zurückgekehrt sind, so wisse, daß er uns einen Streich gespielt und uns überlistet hat und daß es ihm gelungen ist, uns zu trennen. Du aber vergiß nicht die Treuschwüre, die uns verbinden! Ich bin in Sorge wegen seiner argen List.' Und während ihr Gatte mit



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den Vorbereitungen für die Reise beschäftigt war, begann Zain el-Mawisif zu weinen und zu klagen, sie fand keine Ruhe mehr und irrte Tag und Nacht umher. Ihr Gatte bemerkte es wohl, aber er achtete ihrer nicht. Als sie nun sah, daß ihr Gatte von der Reise nicht ablassen wollte, suchte sie ihre Kleider und all ihre Sachen zusammen und hinterlegte sie bei ihrer Schwester; nachdem sie der alles erzählt hatte, was ihr widerfahren war, nahm sie Abschied von ihr und verließ sie unter Tränen. Dann kehrte sie zu ihrem Hause zurück und sah, wie ihr Gatte schon die Kamele geholt hatte und damit beschäftigt war, die Lasten aufzuladen: für Zain el-Mawâsif hielt er das schönste Kamel bereit. Und als sie nun einsah, daß sie sich unweigerlich von Masrûr trennen mußte, ward sie ganz verstört. Es traf sich aber, daß ihr Gatte noch in Geschäften fortgehen mußte; nun trat sie zur ersten Tür und schrieb darauf diese Verse. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 854. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Zain el-Mawâsif ganz verstört wurde, als sie sah, wie ihr Gatte schon die Kamele geholt hatte, so daß sie der Abreise nun gewiß sein mußte. Es traf sich aber, daß ihr Gatte noch in Geschäften fortging; da trat sie zur ersten Tür und schrieb darauf diese Verse:

O Taube dieser Stätte, bringe unsre Grusse
Vom Lieb zu dem Geliebten, da man uns getrennt!
Und kunde ihm, daß immer ob der schönen Tage,
Die nun entflohn, der Schmerz in meiner Seele brennt!
So soll auch meine Liebe immerdar erglühen
In Trauer uni das Glück, das einst uns froh gemacht.
ja, wir verlebten Zeiten reiner Lust und Freude
Und konnten beieinander meilen Tag und Nacht.
Doch ach, da schreckte uns der Ruf des Trennungsraben,



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Der uns die Abschiedsstunde krächzend offenbart.
Wir zogen fort und ließen leer die trauten Stätten;
O, blieb uns das Verlassen unsres Heinis erspart!

Dann trat sie zu der zweiten Tür und schrieb auf sie diese Verse:

Der du dem Tore nahst, bei Gott, ich bitt dich, schaue
Die Schönheit meines Liebs im Dunkeln, und dann sage,
Daß ich, gedenk ich seiner Nähe, immer weine,
Daß meine Tränen nutzlos fliessen, wenn ich klage!
Und sprich: Vermagst du nicht im Leiden auszuharren,
So magst du Staub und Asche auf das Haupt dir legen.
Und zielt nach Ost und Westen hin durch alle Lande:
Und sei geduldig; Gott ist hilfreich allerwegen!

Darauf trat sie zur dritten Tür, weinte bitterlich und schrieb darauf diese Verse:

Gemach, Masrûr, wenn du dich ihrem Hause nahest,
So tritt dort an die Türen; lies, was sie dort schrieb.
Vergiß den Bund der Liebe nicht, bist du wahrhaftig;
Und denk, wie manche Nacht ihr süß und bitter blieb!
Bei Gott, Masrûr, vergiß doch nie, wie du ihr nah warst,
Und wie sie Glück und Freude jetzt in dir verließ!
Nein, weine uni die Zeit, da wir uns froh vereinten
Und sie bei deinem Nahn die Schleier fallen hieß!
Ziel: durch die fernsten Länder hin um meinetwillen;
Durchwate Ströme. suche mich: im Wüstensand!
Vergangen sind die Nächte, die uns einst vereinten,
Seit vor der Trennung Dunkelheit ihr Licht entschwand.
Behüte Gott die fernen Tage unsrer Freude,
Da wir die Blumen pflückten in der Wünsche Land!
Warum sind sie nicht so geblieben, wie ich hoffte?
Ihr Kommen und ihr Gehen ward von Gott gesandt.
Kehrt wohl der Tag einst wieder, der uns neu vereinet,
Daß ich an ihm dem Herrn Gelübdes Lösung bin'?
Bedenke, alle Dinge stehn in Dessen Händen,
Der jedem,; auf die Stirn des Schicksals Zeichen zieht!'



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Danach weinte sie bitterlich und kehrte ins Haus zurück, indem sie klagte und jammerte. Und im Gedenken an das, was vergangen war, sprach sie: ,Preis sei Gott, der dies über uns verhängt hat!' Doch von neuem begann sie zu trauern, daß sie von ihrem Geliebten scheiden und ihr Haus verlassen mußte. Und sie sprach diese Verse:

Der Friede Gottes sei mit dir, du leeres Haus!
Das Schicksal hat in dir die Freuden jetzt geendet.
O Taube dieser Stätte, klage immerdar
Um sie, die sich von ihren schönen Monden wendet.
Gemach, Masrûr, jetzt weine, da du mich verlierst!
Das Auge mein verliert den Glanz, da wir uns trennen.
Und säh dein Aug am Abschiedstag mein brennend Herz,
So würde meiner Tränen Glut noch heißer brennen.
Vergiß du nie den Bund in eines Garten Schatten,
Wo Schleier sich auf uns herabgelassen hatten!

Und schließlich trat sie zu ihrem Gatten: der hob sie in die Sänfte, die er für sie gerüstet hatte. Und als sie auf dem Rücken des Kamels saß, sprach sie diese Verse:

Der Friede Gottes sei mit dir, du leere Stätte!
Wir waren dort so lang, und harrten immer mehr.
O wären meines Lebens Nächte abgeschnitten,
Daß ich in deinem Schutz verzückt gestorben wär!
Ich traure in der Ferne, sehn' mich nach der Heimat.
Die ich so lieb; ich weiß noch nicht, wie mir geschah.
O wußt ich, ob ich einst die Wiederkehr erlebe
Und alles froh dort seh, wie ich es früher sah!

Da sprach ihr Gatte zu ihr: ,O Zain el-Mawâsif, sei nicht traurig ob der Trennung von deinem Heim; du wirst bald zu ihm zurückkehren!' Und so begann er ihr Herz zu trösten und ihr freundlich zuzusprechen. Dann ritten sie weiter dahin, bis sie draußen vor der Stadt waren und die Landstraße einschlugen;



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nun fühlte sie, wie die Trennung zur Gewißheit geworden war, und sie grämte sich sehr darob.

Während all das geschah, saß Masrûr in seinem Hause und dachte über sein Schicksal und das Geschick seiner Geliebten nach. Da kam über sein Herz ein Ahnen von der Trennung; und er stand alsobald auf und eilte fort, bis er zu ihrem Hause kam. Dort fand er das Tor geschlossen und sah die Verse, die Zain el-Mawâsif geschrieben hatte. Zuerst las er die Zeilen auf der äußeren Tür; und als er die gelesen hatte, sank er ohnmächtig zu Boden. Wie er dann aus seiner Ohnmacht erwachte, öffnete er die erste Tür, trat ein zu der zweiten Tür und sah, was sie dort geschrieben hatte; und desselbigengleichen tat er an der dritten Tür. Wie er all diese Inschriften gelesen hatte, wuchs in ihm der sehnenden Liebe Kraft und die heftige Leidenschaft; und er zog hinaus auf ihrer Spur, indem er eilends dahinschritt, bis er die Karawane erreichte. Da sah er sie in der Nachhut. während ihr Gatte um seiner Ware willen im Vortrab ritt. Und wie er sie erblickte, klammerte er sich an die Sänfte, weinend und klagend vor Trennungsqual, und er sprach diese Verse:

O müßt ich doch, um welcher Schuld uns trafen
Die Trennungspfeile auf so lange Zeit!
O Herzenswunsch, ich kam zum Hause heute,
Als ich gepeinigt war vom Liebesleid.
Da sah ich denn die Stätte leer und öde,
Und klagte um den Abschied, klagte immer mehr.
Die Mauern fragte ich nach der Geliebten,
Wohin sie ging; und ach, mein Herz war schwer.
Sie sprachen: Aus dem Haus zog sie von dannen,
Im Herzen barg sie ihre Liebe scheu. Sie schrieb für mich die Zeichen auf die Mauern;
So handelt nur das wissend Volk der Treu.



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Als Zain el-Mawâsif diese Verse hörte, erkannte sie, daß Masrûr sie sprach. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 855. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Zain el-Mawâsif, als sie diese Verse vernahm, erkannte, daß Masrûr sie sprach; und sie weinte mit ihren Sklavinnen und sprach zu ihm: ,O Masrûr, um Gottes willen, kehre um, damit mein Gatte dich und mich nicht beisammen sieht!' Wie Masrûr das hörte, sank er in Ohnmacht; und als er wieder zu sich kam, nahmen die beiden Abschied voneinander. Da sprach er diese Verse:

Früh zum Aufbruch rief der Führer, ehe noch das Dunkel wich
Vor dem Morgen; und das Volk des Lagerplatzes regte sich.
Tiere wurden aufgesattelt, alles mühte sich im Drang,
Und die Karawane eilte, als der Sänger summend sang. Süßer Duft von ihr erfüllte bald die Lande überall;
Rasch bewegten sich die Schritte hin durch jenes Wütstental.
Sie bezwang mein Herz durch Liebe; dennoch zog sie durch die Flur,
Und sie ließ mich einsam irren morgens früh auf ihrer Spur.
Ihr Gefährten, ach, ich wünschte, ewiglich bei ihr zu sein;
Und jetzt netze ich den Boden durch die Flut der Tränen mein.
Wehe, wehe meinem Herzen nach der Trennung! Welchen Schmerz
Legte mir die Hand des Abschieds grausam in mein armes Herz!

Doch Masrûr folgte immer noch weinend und klagend den Reiterinnen, während sie ihn anflehte, vor Tagesanbruch umzukehren und sie nicht zu entehren. Da trat er denn wiederum an die Sänfte heran, nahm zum zweiten Male Abschied von ihr und sank eine Zeit lang in Ohnmacht. Als er aber wieder zu sich kam, entdeckte er, daß die Karawane weitergezogen war; und nun wandte er sich in die Richtung, in der sie gegangen



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war, und indem er den Wind, der von dort kam, in sich einsog, begann er diese Verse zu singen:

Kein Wind des Nahseins kam dem Sehnsuchtsvollen:
Er klagte ob der Liebe Gluten nur.
Es wehte ihm ein Zephir in der Frühe:
Da fand er sich allein auf weiter Flur,
Aufs Krankenbett geworfen durch das Leiden,
Wie ihm das Aug voll blut'ger Tränen blieb.
Die Freundin zog mit meiner Seel von dannen
Auf einem Tiere, das der Treiber trieb.
Bei Gott, der Wind des Nahseins weht allein,
Blick ich ihr in den Augenstern hinein.

Darauf kehrte Masrûr zu ihrem Hause zurück, von heißer Sehnsucht verzehrt, und er fand es von allem Gerät geleert; auch die Freundin war ja fortgegangen, und er weinte, bis seine Tränen ihm durch die Kleider drangen. Da fiel er in Ohnmacht, und es war, als wollte seine Seele den Leib verlassen. Als er wieder zu sich kam, sprach er diese beiden Verse:

Erbarme dich, o Stätte, meines Leids und Elends
Und meines Siechtums, meiner Tränen Flut.
Gewähr mir einen Hauch von ihrem süßen Dufte;
Vielleicht tut der dent wunden Herzen gut.

Als Masrûr dann aber in sein eigenes Haus zurückgekehrt war, ward er ganz verwirrt durch all das, was geschehen war, und er weinte immerdar, zehn Tage lang blieb er so dort.

Wenden wir uns nun von Masrûr wieder zu Zain el-Mawâsif! Sie erkannte, daß ihr Gatte sie überlistet hatte, da er zehn Tage lang mit ihr dahinzog; danach machte er mit ihr in einer Stadt Halt. Dort schrieb Zain el-Mawâsif einen Brief an Masrûr und übergab ihn ihrer Sklavin Hubûb mit den Worten: ,Sende diesen Brief an Masrûr, auf daß er wisse, wie der Jude uns überlistet und hintergangen hat!' Die Sklavin nahm das



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Schreiben von ihr entgegen und sandte es an Masrûr. Und als der es empfing, bedrückten die Worte ihn schwer, und er weinte, bis der Boden benetzt ward ringsumher. Dann schrieb er einen Brief und sandte ihn an Zain el-Mawâsif; an seinen Schluß aber hatte er diese beiden Verse geschrieben:

Wo ist denn noch ein Weg wohl zu des Trostes Pforten?
Und wie kann der sich trösten, den die Glut verzehrt?
Wie herrlich waren uns die Zeiten, die entschwanden!
Ach, wär uns doch von ihnen etwas noch beschert!

Als dies Schreiben Zain el-Mawâsif erreichte, nahm sie es hin, las es und gab es ihrer Sklavin Hubûb mit den Worten: ,Halt es geheim!' Dennoch erfuhr ihr Gatte von ihrem Briefwechsel; und deshalb nahm er Zain el-Mawâsif und ihre Sklavinnen und reiste mit ihnen eine Strecke von zwanzig Tagen; dann machte er mit ihnen in einer anderen Stadt Halt. So stand es nun um Zain el-Mawâsif.

Was aber Masrûr betraf, so versagte sich ihm der Schlaf, er konnte keine Ruhe finden, und seine Geduld begann zu schwinden. In solchem Zustand blieb er eine ganze Weile, bis sich ihm eines Nachts die Augen schlossen; und dasah er im Traum, daß Zain el-Mawâsif im Garten zu ihm kam und ihn umarmte. Als er aber aus dem Schlaf erwachte und sie nicht fand, da ward der Verstand ihm irre und der Geist wirre, von seinen Augen strömte die Tränenflut, und sein Herz war erfüllt von heißer Liebesglut. Und er sprach diese Verse:

Ich größe sie, die ,nich im Schlaf besucht als Traumbild,
Die meine Sehnsucht weckt und meine Liebe mehrt.
Aus solchem Schlaf erheb ich mich in heißem Sehnen,
Nach ihr, die ihren Anblick mir im Traum gewährt.
Sagt wohl der Traum die Wahrheit über die Geliebte
Und stillet mein Verlangen und mein Liebesleid?
Ach, bald umarmt sie mich, und bald läßt sie ,nich nahen,



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Bald tröstet mich ihr Wort ort voll süßer Lieblichkeit;
Und als wir uns im Traume dann genug gescholten
Und als mein Auge voll von heißen Tränen war,
Da sog ich süßen Tau von ihren roten Lippen,
Der war wie Wein voll Moschusduft, so rein und klar;
Es war so wundersam, was uns im Traum geschehen,
Wie ich bei ihr Erfüllung meiner Wünsche fand! Doch als ich mich vom Schlaf erhob, da war kein Traumbild,
Nein, nur der Sehnsucht und der Liebe heißer Brand.
Jetzt, da ich sie gesehen, bin ich wie von Sinnen;
Und ohne Wein zu trinken, bin ich trunken schier.
O du mein Zephirwind, bei Gott, trag du die Wünsche
Der Sehnsucht zu ihr hin und grüfte sie von mir!
Sprich: Deinem Lieb, dem du in Treuen zugewandt,
Gab das Geschick den Todeskelch mit rauher Hand.

Darauf begab er sich wieder zu ihrem Hause; weinend ging er des Weges, bis er dort ankam und die Stätte anschaute und von neuem sah, daß sie leer war. Doch plötzlich war ihm, als schaue er vor sich ihr Bild, als sei ihre Gestalt vor seinen Augen enthüllt; nun lohte Feuer in seinem Herzen, und heißer wurden seine Schmerzen, und er sank ohnmächtig nieder. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 856. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Masrûr, als er Zain el-Mawâsif im Traume sah, wie sie ihn umarmte, sich über die Maßen freute. Und als er aus seinem Schlafe erwachte, ging er zu ihrem Hause; doch da er es immer noch leer fand, ward er tiefbetrübt und sank ohnmächtig zu Boden. Wie er dann wieder zu sich kam, sprach er diese Verse:

Ich sog den Duft von ihr, von Weidenblüten, ein,
Und ging mit einem Herzen, voll von Qual und Pein.
Die Sehnsucht wollt ich heilen, armer Liebestor,



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An einer Stätte, die den trauten Freund verlor.
Doch ach, ich wurde krank durch Trennung, Sehnsucht, Leid:
Ich dachte der Geliebten und der alten Zeit.

Als er diese Verse zu Ende gesprochen hatte, hörte er, wie ein Rabe neben dem Hause krächzte; da brach er in Tränen aus und rief: ,Ach Gott, nur über dem verlassenen Haus stößt der Rabe sein Krächzen aus.' Dann seufzte er und stöhnte und sprach diese Verse:

Was klagt der Rabe um die Stätte der Geliebten?
In meinem Innern lobt ein Feuer hoch empor
Aus Trauer um die Zeit der Liebe, die vergangen,
Bis sich mein Herz gleichwie im Abgrund ganz verlor.
Ich sterb in Leid; in mir erglüht der Sehnsucht Flamme;
Ich schreibe Briefe, doch der Bote fehlet mir.
Weih um den hagern Leib! Mein Lieb ist nun entschwunden;
Verleb ich wohl wie einst die Nächte noch mit ihr?
O Zephir, wenn dein Hauch am Morgen zu ihr eilt,
So bring er Gruß und Wunsch zur Stätte, da sie weihe.

Nun hatte Zain el-Mawâsif eine Schwester des Namens Nasîm' ,und die hatte ihm von einer hohen Stelle aus zugeschaut. Wie sie ihn dort in solchem Zustande sah, weinte sie und seufzte und sprach diese Verse:

Wie oft kehrst du zu dieser Stätte und beklagst sie,
Wo doch das Haus betrübt um den Erbauer weint?
Eh die Bewohner schwanden, herrschten hier die Freude
Und heller Sonnenglanz, der in die Herzen scheint.
Wo sind die vollen Monde, die hier einst erstrahlten?
Das arge Schicksal raubte ihre schönste Zier.
Nun laß die Schöne, der du dich so traut geselltest;
Und schau, vielleicht kommt noch ein Tag und zeigt sie dir!
Wenn du nicht warst, die Menschen wären nie geschwunden,
Du hättest auch den Raben droben nicht gefunden.



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Masrûr weinte bitterlich, als er diese Worte vernahm und als ihm der Sinn der Verse zu Bewußtsein kam. Die Schwester wußte auch, daß die beiden erfüllt waren von der sehnenden Liebe Kraft und von der heftigsten Leidenschaft. Und sie sprach zu ihm: ,Uni Gottes willen, Masrûr, verlaß diese Stätte, auf daß niemand dich bemerke und etwa glaube, du kämst um meinetwillen! Du hast ja schon meine Schwester vertrieben, und nun willst du auch noch mich vertreiben? Du weißt, wenn du nicht gewesen wärest, so wäre dies Haus nicht von seinen Bewohnern verlassen. Vergiß sie und laß ab von ihr; was vergangen ist, ist vergangen!' Als Masrûr diese Worte von ihrer Schwester hörte, weinte er bitterlich; und er sprach zu ihr: ,Nasîm, wenn ich fliegen könnte, so würde ich in meiner Sehnsucht zu ihr fliegen. Wie kann ich sie da vergessen?' Sie erwiderte ihm: ,Dir bleibt nichts, als dich zu gedulden!' Doch er sprach: ,üm Gottes willen, ich bitte dich, schreib du ihr einen Brief von dir aus und verschaffe mir eine Antwort, auf daß meine Seele sich tröste und das Feuer erlösche, das in meinem Innern brennt!' ,Herzlich gern!' antwortete sie, und sie nahm Tintenkapsel und Papier, während Masrûr ihr seine große Sehnsucht und, was er durch den Trennungsschmerz litt, beschrieb. So sprach er denn: ,Dieser Brief bringt die Worte eines Betrübten, der von der Liebe betört ist, eines Armen, der durch die Trennung verstört ist, der keine Ruhe zu finden vermag, weder bei Nacht noch bei Tag, der Tränen vergießt und in ihnen zerfließt. Wahrlich, die Tränen haben seine Lider wund gemacht, und brennender Schmerz ward in seinem Innern entfacht. Lang währt sein Leid, groß ist seine Rastlosigkeit, gleich der eines Vogels, der seinen Genossen verlor; und der Tod steht ihm nahe bevor. Ach, mein Schmerz um die Trennung von dir! Ach, meine Trauer um das verlorene Vereintsein mit



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dir! Meinen Leib verzehrt die Hagerkeit, meine Tränen rinnen zu jeder Zeit; mich beengen Berg und Tal, und ich spreche diese Verse im Übermaße meiner Qual:

Mein Schmerz um diese Stätte muß auf immer bleiben;
Nach ihr, die in ihr wohnte, sehn' ich mich so sehr.
Ich send euch eine Botschaft meiner zarten Inbrunst;
Der Schenke reichte mir den Liebesbecher her.
Weil du entschwunden bist und in der Ferne weilest,
Ergießt sich von den Lidern meiner Tränen Flut.
Der du die Sänften führst, halt an mit der Geliebten;
In meinem Herzen lodert immer heißre Glut.
Verkünde der Geliebten meinen Gruß und sage:
,Von roten Lippen nur wird Heiltrunk ihm zuteil.
Die Zeit zermalmte ihn und trennte die Gemeinschaft,
Sie traf den Lebensodem mit der Trennung Pfeil.'
Sprich ihr von meiner Pein, von meinen heißen Qualen,
Seitdem sie von mir schied - was alles ich erleid!
Ich schwöre einen Eid bei deiner Liebe, daß ich
Den Bund der Treue dir bewahre allezeit.
Nie wankte ich, und nie vergaß ich deine Liebe;
Wer kann vergessen, wenn ihn echte Lieb erfüllt?
Dir send ich meinen Gruß, dir send ich meine Wünsche
In einem Brief vom Duft des Moschus eingehüllt.

Ihre Schwester Nasîm staunte ob der Beredsamkeit seiner Zunge und seiner schönen Gedanken und zierlichen Verse, und sie fühlte Mitleid mit ihm. Und sie versiegelte den Brief mit feinstem Moschus, nachdem sie ihn mit Nadd' und Ambra durchduftet hatte. Dann brachte sie ihn einem der Kaufleute und sprach zu ihm: ,Übergib dies nur meiner Schwester oder ihrer Sklavin Hubûb!' Er antwortete: ,Herzlich gern!'

Als nun der Brief zu Zain el-Mawâsif kam, wußte sie, daß Masrûr ihn vor gesprochen hatte; denn sie erkannte in ihm seine



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Seele an der Zartheit seiner Gedanken. Sie küßte ihn und legte ihn auf ihre Augen, während die Tränen ihr von den Lidern rannen; und sie weinte so lange, bis sie in Ohnmacht sank. Als sie wieder zu sich kam, rief sie nach Tintenkapsel und Papier und schrieb ihm eine Antwort auf seinen Brief. und darin schilderte sie ihm ihre Sehnsucht und ihr Verlangen und ihre Liebesqual, alles, was sie erdulden mußte in ihrem Wunsche nach dem Geliebten, und sie klagte ihm ihr Leid und wie der Schmerz um ihn sie erfüllte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 857. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Zainel-Mawâsif an Masrûr als Antwort auf seinen Brief schrieb: ,Dieser Brief gelange zu meinem Herrn und Meister und Gebieter, meines tiefsten Geheimnisses Hüter! Wisse, ich irre schlaflos ohne Ruhe umher, und meiner sorgenvollen Gedanken werden immer mehr. Dein Fernsein kann ich nicht länger ertragen, o du, dessen herrliche Reize Sonne und Mond überragen. Die Sehnsucht plagt mich, die Leidenschaft zernagt mich. Und wie sollte es wohl anders sein, da ich schon zu den Sterbenden zählet Du Glanz der Welt, du Zierde des Lebens, wird sie, deren Lebensgeister versinken, noch einmal den süßen Becher trinken? Ich gehöre weder zu der Lebenden noch zu der Toten Schar.' Und dazu brachte sie ihm diese Verse dar:

Dein Brieflein, o Masrûr, erregte bittre Schmerzen;
Bei Gott, ich kann's nicht tragen, fern von dir zu sein.
Als ich die Zeilen las, da sehnte sich mein Innres;
Und immer strömten Tränen aus dem Auge mein.
Wenn ich ein Vogel wär, ich flög, von Nacht beschattet;
Dir ferne kenn ich Wachteln und das Manna' nicht.



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Versagt ist mir das Leben, seit du mich verließest,
Da mir in heißem Trennungsschmerz die Kraft gebricht.

Dann bestreute sie den Brief mit Pulver aus Moschus und Ambra, versiegelte ihn und sandte ihn durch einen Kaufmann, zudem sie sprach:, Übergib ihn nur meiner Schwester Nasîm!' Sobald aber Nasîm ihn erhalten hatte, schickte sie ihn zu Masrûr; der küßte ihn und legte ihn auf seine Augen und weinte, bis er in Ohnmacht fiel. So stand es nun um die beiden.

Sehen wir aber, was der Gatte von Zain el-Mawâsif tat! Als der wiederum von den Briefen zwischen ihnen hörte, zog er mit ihr und ihren Sklavinnen weiter von Ort zu Ort. Da sprach Zain el-Mawâsif zu ihm: ,Ach Gott, wohin willst du mit uns ziehen und uns immer weiter von der Heimat fortführen?' Er gab zur Antwort: ,Ich will mit euch ein Jahr lang reisen, auf daß euch keine Botschaften von Masrûr mehr erreichen können. Ich sehe, wie ihr all mein Geld genommen und es an Masrûr gegeben habt; aber alles, was ich verloren habe, will ich von euch wieder eintreiben. Ich will doch sehen, ob Masrûr euch nützt, oder ob er die Macht hat, euch aus meiner Hand zu befreien!' Dann begab er sich zu einem Schmied und ließ von ihm drei Paar eiserne Fußfesseln machen und holte sie sich. Nachdem er den Frauen darauf ihre seidenen Gewänder abgenommen, ihnen härene Kleider angelegt und sie mit Schwefel durchräuchert hatte, ließ er den Schmied zu ihnen kommen und sprach zu ihm: ,Leg diese Fesseln an die Füße dieser Frauen!' Zuerst führte er Zain el-Mawâsif zu ihm; als der Schmied sie sah, wußte er nicht, wie ihm geschah, er biß sich in die Fingerspitzen, sein Verstand entwich aus seinem Haupte, und heißes Verlangen kam über ihn. Und er sprach zu dem Juden: ,Was haben denn diese Frauen verbrochen?' Jener erwiderte: ,Sie sind meine Sklavinnen; sie haben mein Geld gestohlen und



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sind mir davongelaufen!' Der Schmied aber fuhr fort: ,Allah mache deine Gedanken zuschanden! Bei Gott. stände diese Frau vor dem Oberkadi, er würde sie nicht strafen, wenn sie auch täglich tausend Sünden beginge! Aber sie trägt auch gar nicht das Aussehen einer Diebin zur Schau, und sie kann es nicht ertragen, daß ihr das Eisen an die Füße gelegt wird.' Dann bat er den Juden, sie nicht in Fesseln zu schmieden, und legte bei ihm Fürbitte für sie ein, daß ihr die Fesselung erspart bleiben möchte. Als sie nun sah, daß der Schmied für sie bei ihrem Gatten bat, sprach sie zu diesem: ,Ich bitte dich um Gottes willen, zeige mich nicht vor diesem fremden Mann!' Da fragte der Jude sie: ,Wie konntest du dich denn vor Masrûr zeigen?' Sie aber gab ihm keine Antwort. Dann nahm er die Fürsprache des Schmiedes insoweit an, daß dieser ihr leichte Fesseln an die Füße legen durfte, während er den Sklavinnen schwere Eisen anlegen mußte; denn Zain el-Mawâsif hatte einen zarten Leib, der keine Härte ertragen konnte. Doch sie und ihre Sklavinnen mußten die härenen Kleider bei Tag und bei Nacht tragen, bis daß ihre Leiber abgemagert waren und ihre Farbe erblich. Das Herz des Schmiedes aber war von heißer Liebe zu Zain el-Mawâsif erfüllt; und während er nach Hause ging, begann er in laute Seufzer auszubrechen, und er hub an, diese Verse zu sprechen:

Die Rechte dein, o Schmied, verdorre; denn tun Fuße
Und Muskeln legte sie die Fesseln dort so hart!
Du fesseltest die Fuße einer zarten Herrin,
Der Menschheit größtes Wunder, das erschaffen ward.
Ja, wärest du gerecht, so wären jene Spangen
Aus Eisen nicht, sie wären nur von reinem Gold.
Und wenn der Oberkadi ihre Schönheit sähe,
Er setzte stolz sie auf den Thron und wir ihr hold.



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Nun ging aber zufällig der Oberkadi gerade an dem Hause des Schmiedes vorbei, als er diese Verse sang, und er ließ ihn holen. Wie der Mann vor ihm stand, sprach er zu ihm: ,Du Schmied, wer ist die, von der du so voll Inbrunst sprichst und die dein Herz so mit Liebe erfüllt hat?' Der Schmied richtete sich auf vor dem Kadi, küßte ihm die Hände und sprach zu ihm: ,Allah lasse die Tage unseres Herrn Kadi lange dauern und schenke ihm Freude im Leben! Die Frau sieht soundso aus.' Und er schilderte ihm Zain el-Mawâsif, ihre Schönheit und Lieblichkeit, ihres Wuchses Ebenmäßigkeit, ihre Anmut und Vollkommenheit. ihr liebliches Gesicht, ihren schlanken Leib und ihre Hüften schwer von Gewicht. Ferner berichtete er ihm, was sie durch schmähliche Gefangenschaft, durch Fesseln und Mangel an Nahrung erleiden mußte. Da sagte der Kadi: ,Du Schmied, führ sie zu mir und zeige sie mir, auf daß ich ihr zu ihrem Recht verhelfe. Denn du bist nunmehr für diese Frau verantwortlich geworden; wenn du sie nicht zu mir führst, so wird Allah dich strafen am Tage des Gerichts.' ,Ich höre und. gehorche!' erwiderte der Schmied und begab sich unverzüglich zur Wohnung von Zain el-Mawâsif. Doch er fand die Tür verschlossen, und er hörte eine Stimme von zartem Klang, die aus betrübtem Herzen drang; denn Zain el-Mawâsif sprach zu jener Zeit diese Verse:
Ich war in meiner Heimat mit dein Freund verbunden:
Erfüllte mir die Becher mit dem klaren Wein.
Die kreisten dann bei uns in ungetrübter Freude;
Wir kannten Abend nicht, noch Morgensonnenschein.
Ja, wir verlebten eine Zeit, die uns erfreute
Durch Becher, Laute, Harfe und Glückseligkeit.
Jetzt trennte des Geschickes Wechsel unsre Freundschaft;
Mein Lieb ist fern, die Zeit der reinen Freude weit.
Ach, hütte doch der Trennungsrabe nie geschrien!
Ach, daß der Tag der Liebesnähe wieder schien!



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Der Schmied vernahm diese Verse, die feinen, und weinte, gleichwie die Wolken weinen. Dann klopfte er bei ihnen an die Tür, und die Frauen fragten: ,Wer steht an der Tür?' Er antwortete ihnen: ,Ich, der Schmied'; und dann berichtete er ihnen, was der Kadi gesagt hatte, und wie er wünsche, sie möchten zu ihm kommen und Klage vor ihm erheben, auf daß er ihnen ihr Recht verschaffe. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 858. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Zain el-Mawâsif, als der Schmied ihr berichtet hatte, was der Kadi gesagt, und wie er wünsche, sie möchten zu ihm kommen und Klage vor ihm erheben, und daß er ihren Gegner strafen wolle, um ihnen ihr Recht zu verschaffen, darauf zur Antwort gab: ,Wie können wir zu ihm gehen, da doch die Tür vor uns verschlossen ist und die Fesseln an unseren Füßen sind, während der Jude die Schlüssel hat?' Der Schmied rief ihnen zu: ,Ich will Schlüssel für die Schlösser machen, und mit ihnen will ich die Tür und die Fesseln öffnen.' Da fragte sie: ,Wer wird uns denn das Haus des Kadis zeigen?' ,Ich will es euch beschreiben', erwiderte der Schmied; doch Zain el-Mawâsif fuhr fort: ,Wie können wir zum Kadi gehen, da wir härene Kleider tragen, die mit Schwefel durchräuchert sind?' Der Schmied sagte: ,Euch wird der Kadi keinen Vorwurf machen, da ihr ja in solcher Not seid.' Dann ging er sofort hin und machte Schlüssel für die Schlösser; und darauf öffnete er die Tür und die Fesseln, nahm ihnen die Fesseln von den Füßen und führte die Frauen hinaus und zeigte ihnen den Weg zum Hause des Kadis. Hubûb aber nahm ihrer Herrin die härenen Kleider ab, die sie trug, ging mit ihr ins Bad, wusch sie und kleidete sie in seidene Gewänder,



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so daß sic wieder schön war wie sonst. Zum großen Glücke traf es sich, daß ihr Gatte bei einem der Kaufleute zu einer Feier eingeladen war; und so legte Zain el-Mawâsif ihren schönsten Schmuck an und begab sich zum Hause des Kadis. Als der sie erblickte, erhob er sich vor ihr. Sie begrüßte ihn mit sanfter Rede und Worten voll Süßigkeit, und sie durchbohrte ihn mit den Pfeilen ihrer Blicke zu gleicher Zeit, indem sie zu ihm sprach: ,Gott schenke unserem Herrn Kadi ein langes Leben und stärke durch ihn alle, die sich vor Gericht begeben!' Dann berichtete sie ihm, was sie von dem Schmied erfahren, wie seine Taten für sie so edel gewesen waren, während der jude ihnen solche Qual auferlegte, daß sie die Herzen tief erregte. Ja, sie sagte ihm, daß sie schon vor dem Tode standen und keine Rettung mehr fanden. Da fragte der Kadi: ,Edle Frau. wie heißest du?' ,Ich heiße Zain el-Mawâsif,' erwiderte sie, ,und diese meine Sklavin heißt Hubûb.' Darauf sagte der Kadi zu ihr: ,Dein Name paßt zu der, die er benennt, so daß man am Worte den Sinn erkennt.' Sie aber lächelte und verhüllte ihr Antlitz. Und der Kadi fuhr fort: ,Zain el-Mawâsif, hast du einen Gatten oder nicht?' Sie erwiderte: ,Ich habe keinen Gatten.' ,Und welches ist dein Glaube?' ,Der Glaube, Islam genannt, von dem besten der Menschen' bekannt.' ,Schwöre mir bei dem heiligen Gesetze, das voller Zeichen und Mahnungen ist, daß du eine Bekennerin des Glaubens des besten der Geschöpfe bist!" Sie schwor es ihm und sprach das Glaubensbekenntnis. Dann fragte der Kadi sie: ,Wie konnte deine Jugend bei diesem Juden verschwendet werden?' Sie gab zur Antwort: ,Wisse, o Kadi -Allah möge dir ein langes Leben voller Gnaden geben, Er lasse dir alle deine Wünsche geraten und besiegle deine Handlungen durch



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fromme Taten! —, mein Vater hinterließ mir bei seinem Tode funfzehntausend Dinare; aber er legte sie in die Hände dieses Juden, auf daß er damit Handel treibe, und zwar so, daß der Gewinn zwischen mir und ihm geteilt werde, während das Kapital durch die gesetzliche Urkunde gesichert war. Da nun mein Vater gestorben war, so begehrte der Jude mich und erbat mich von meiner Mutter, auf daß er sich mit mir vermähle. Meine Mutter sagte zu ihm: ,Wie kann ich sie ihrem Glauben abwendig und zur Jüdin machen? Bei Allah, ich werde dich der Obrigkeit anzeigen.' Bei diesen Worten erschrak der jude, und so nahm er das Geld und floh nach der Stadt Aden. Sobald wir hörten, daß er in der Stadt Aden war, begaben wir uns auf die Suche nach ihm; und als wir ihn in jener Stadt trafen, sagte er uns, er treibe Warenhandel und kaufe eine Ware nach der anderen. Wir glaubten ihm, doch er betrog uns immerfort, bis er uns schließlich sogar gefangen setzte, uns fesselte und uns aufs schlimmste quälte. Jetzt sind wir Fremde im Lande, und wir haben keinen Helfer außer Allah dem Erhabenen und unserem Herrn Kadi.' Als der Kadi diesen Bericht vernommen hatte, sprach er zu ihrer Sklavin Hubûb: ,Ist dies deine Herrin? Seid ihr Fremde? und hat sie keinen Gatten?' ,So ist es', erwiderte die Sklavin; und er fuhr fort: ,Vermähle mich mit ihr, und ich verpflichte mich, die Sklaven freizulassen, zu fasten, die Pilgerfahrt zu machen und Almosen zu geben, wenn ich euch nicht euer Recht verschaffe wider diesen Hund, nachdem ich ihn bestraft habe für das, was er tat!' ,Ich höre und gehorche dir!' erwiderte ihm Hubûb; und der Kadi sagte: ,Geh hin und tröste dein Herz und das Herz deiner Herrin; morgen, so Allah der Erhabene will, werde ich diesen Ketzer holen lassen und euch euer Recht wider ihn verschaffen, und dann sollst du Wunder der Strafe an ihm sehen.' Die Sklavin



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rief Segen auf sein Haupt herab und verließ ihn, während er zurückblieb voll Kummer und Verlangen, von Sehnsucht und Liebe gefangen. Sie ging also mit ihrer Herrin fort von ihm und fragte nach dem Hause des zweiten Kadis, und die Leute wiesen ihr den Weg zu ihm. Wie die beiden dann vor ihn traten, berichteten sie ihm das gleiche; und ebenso machten sie es mit dem dritten und vierten Kadi, bis ihre Sache allen vier Kadis vorgetragen war. Jeder von ihnen bat sie, sich mit ihm zu vermählen, und zu jedem sagte sie: ,Es sei!' Doch keiner von den vieren wußte etwas von dem andern. Jeder von ihnen trug Verlangen nach ihr, ohne daß der jude etwas davon ahnte, da er noch immer in dem Hause der Festfeier war. Als der Morgen anbrach, erhob sich die Sklavin, legte ihrer Herrin die prächtigsten Gewänder an und begab sich mit ihr zu den vier Kadis in den Gerichtssaal. Als sie die Kadis dort sitzen sah, enthüllte sie ihr Antlitz, indem sie ihren Schleier hob, und begrüßte sie. Die gaben ihr den Gruß zurück, und ein jeder von ihnen erkannte sie. Einer von ihnen war beim Schreiben: dem fiel die Feder aus der Hand. Der andere sprach gerade und begann nun zu stottern. Der dritte war beim Rechnen, und der verrechnete sich. Und sie sprachen zu ihr: ,O du herrliche Maid von wundersamer Lieblichkeit, sei du nur gutes Muts; wir werden dir ganz gewißlich dein Recht verschaffen und deinen Wunsch erfüllen!' Sie rief den Segen des Himmels auf sie herab, nahm Abschied von ihnen und ging ihrer Wege. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 859. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Kadis zu Zain el-Mawâsif sprachen: ,O du herrliche Maid von wundersamer



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Lieblichkeit, sei du nur gutes Muts, da dir zum Ziel verholfen und dein Wunsch erfüllt werden soll!' Sie rief den Segen des Himmels auf sie herab, nahm Abschied von ihnen und ging ihrer Wege. All dies geschah, während der Jude mit seinen Freunden beim Mahle saß und nichts davon erfuhr. Zain el-Mawâsif aber bat alle, denen die Entscheidungen gebührten, und alle, die dort die Feder führten, sie möchten ihr Hilfe wider diesen ungläubigen Ketzer leihn und sie von der schmerzlichen Qual befrein. Dann weinte sie und sprach diese Verse:

O Auge mein, vergieße Tränen gleich der Sintflut;
Vielleicht erlischt durch meine Tränen noch mein Leid!
Nachdem ich goldbestickte Seide einst getragen,
Ward zum Gewande mir der Mönche hören Kleid.
Als Wohlgeruch ward Schwefel Duft für meine Kleider;
Wie anders als von Nadd und Myrte duften sie!
Ach, wüßtest du, Masrûr wie es mir jetzt ergehet,
Du trügest meine Schmach und meine Schande nie.
Und in des Eisens Fesseln liegt Hubûb gefangen
Bei ihm, der nicht den Einen Gott als Richter nennt.
Ich hab der Juden Art und Glauben abgeschworen;
Mein Glaube ist der höchste, den die Menschheit kennt.
Vor dem Erbarmer fall ich nieder wie Muslime,
Und drum befolg ich das Gesetz Mohammeds nur.
Masrûr, gedenke stets der Liebe, die uns bindet;
Bewahre du den Bund der Treue und den Schwur!
Um deiner Liebe willen ließ ich meinen Glauben
Und ich verbarg die Liebe, die so hoch und hehr.
Nun eile du zu mir, wenn du die Treue wahrest,
Wie es die Edlen tun, und säume nimmermehr!

Darauf schrieb sie einen Brief, dem sie alles anvertraute, was der Jude ihr angetan hatte, von Anfang bis zu Ende; auch die Verse, die sie gesprochen hatte, schrieb sie darin. Dann faltete sie den Brief und übergab ihn ihrer Sklavin Hubûb, indem sie



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zu ihr sprach: ,Bewahre diesen Brief in deiner Tasche, bis wir ihn an Masrûr senden können!' In demselben Augenblick trat plötzlich der Jude zu ihnen herein und sah, daß sie fröhlich waren. Da rief er: ,Was sehe ich euch so vergnügte Habt ihr vielleicht einen Brief von eurem Freunde Masrûr erhaltene' Doch Zain el-Mawâsif gab ihm zur Antwort: ,Wir haben keinen Helfer außer Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen! Er ist es. der uns von deiner Grausamkeit befreien wird. Wenn du uns nicht in unser Land und an unsere Heimstätte zurückbringst, so werden wir morgen bei dem Statthalter und dem Kadi dieser Stadt Klage wider dich führen.' Der Jude aber fuhr fort: ,Wer hat euch die Fesseln von den Füßen genommen? Ja, wahrhaftig, ich muß für jede von euch Fesseln machen lassen, die zehn Pfund schwer sind, und dann mit euch durch die Stadt ziehen.' Da sagte Hubûb: ,Alles, was du wider uns ersinnst, wird auf dich selbst zurückfallen, so Allah der Erhabene will, auf dich, der du uns aus unserer Heimat fortgeschleppt hast! Morgen werden wir mit dir vor den Statthalter dieser Stadt treten.' So verbrachten sie die Nacht bis zum Morgen; dann erhob sich der jude und eilte zum Schmied, um neue Fesseln für die Frauen machen zu lassen. Aber auch Zain el-Mawâsif erhob sich mit ihrer Sklavin und begab sich zum Gerichtssaale. Nachdem sie eingetreten war, schaute sie die Richter an und begrüßte sie. Alle Richter gaben ihr den Gruß zurück; und der Oberkadi sprach zu denen, die ihn umgaben: ,Wahrlich, die Frau ist schön wie Fâtima, die Tochter des Propheten! Und jeder, der sie schaut, liebt sie und beugt sich vor ihrer Schönheit und Anmut.' Darauf entsandte er mit ihr vier Boten, die alle Nachkommen des Propheten waren, indem er zu ihnen sprach: ,Schleppt ihren Widersacher in schimpflichster Weise herbei!' So geschah es dort.



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Inzwischen war der Jude, nachdem er die Fesseln hatte machen lassen, in seine Wohnung zurückgekehrt; als er aber die Frauen dort nicht fand, wußte er nicht, was er tun sollte. Und wie er so dasaß, erschienen plötzlich die Boten, legten Hand an ihn und versetzten ihm heftige Schläge; dann schleppten sie ihn auf seinem Gesicht dahin, bis sie ihn vor den Kadi gebracht hatten. Kaum hatte der ihn erblickt, so schrie er ihm ins Gesicht: ,Weh dir, du Feind Allahs! Ist es so weit mit dir gekommen, daß du diese Schandtaten verübst, diese Frauen hier aus ihrer Heimat fortschleppst, ihnen ihr Geld stiehist und sie zu Jüdinnen machen willst? Wie kannst du es wagen, Gläubige zu Ketzern machen zu wollen?' Der jude erwiderte: ,Mein Gebieter, diese Frau ist mein Weib.' Als die Kadis diese Worte aus seinem Munde vernahmen, schrieen sie alle auf und riefen: ,Werft diesen Hund zu Boden, macht euch mit euren Schuhen über sein Gesicht und schlagt ihn, so daß es ihm weh tut; denn sein Verbrechen kann nicht verziehen werden!' Da rissen sie ihm seine seidenen Kleider herunter, legten ihm die härenen Gewänder seiner Gattin an und warfen ihn zu Boden; und sie zupften ihm den Bart aus und versetzten ihm mit den Schuhen schmerzliche Schläge ins Gesicht. Schließlich setzten sie ihn auf einen Esel, mit dem Gesicht dem Hinterteil des Tieres zugewandt, und gaben ihm den Schwanz des Esels in die Hand; so zogen sie mit ihm durch die ganze Stadt, bis sie ihn überall an den Pranger gestellt hatten. Dann führten sie ihn, tief erniedrigt, wie er war, zum Kadi zurück. Und die vier Kadis fällten das Urteil, man solle ihm die Hände und die Füße abschlagen und darauf kreuzigen. Über diese Worte erschrak der Verfluchte gewaltig, ja, er ward wie von Sinnen und rief: ,O ihr Herren Richter, was wollt ihr nur von mir?' Sie antworteten ihm: ,Sprich: ,Diese Frau ist nicht mein Weib, und das



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Geld ist ihr Geld, und ich habe mich an ihr vergangen und sie aus ihrer Heimat fortgeschleppt.' Da bekannte er all das; die Richter setzten eine Urkunde über sein Geständnis auf, nahmen ihm das Geld ab und gaben es an Zain el-Mawâsif; auch überreichten sie ihr die Urkunde. Darauf ging sie fort, und alle, die ihre Schönheit und Anmut sahen, wurden ganz verwirrt; und ein jeder von den Kadis glaubte, daß ihr Weg sie zu ihm führen würde. Doch als sie ihre Wohnung erreicht hatte, rüstete sie sich mit allem aus, dessen sie bedurfte, und wartete, bis die Nacht eintrat. Dann nahm sie, was nicht beschwert, doch hoch an Wert, und ging mit ihren Sklavinnen in das Dunkel der Nacht hinaus; drei Tage und Nächte lang zog sie ohne Aufenthalt dahin. Während es nun so um Zain el-Mawâsif stand, gaben die Richter ihrerseits Befehl, den Juden, der ihr Gatte war, ins Gefängnis zu werfen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 860. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Richter Befehl gaben, den Juden, den Gatten von Zain el-Mawâsif, ins Gefängnis zu werfen. Als es wieder Morgen ward, erwarteten die Richter und die Zeugen, daß Zain el-Mawâsif vor ihnen erscheinen würde; doch sie kam zu keinem von ihnen. Darauf sagte der Kadi, zu dem sie zuerst gegangen war: ,Ich will heute mich draußen vor der Stadt umsehen; denn ich habe dort zu tun.' Dann bestieg er sein Maultier. nahm seinen Diener mit und ritt überall in den Gassen der Stadt umher, weit und breit, um nach Zain el-Mawâsif zu suchen; allein er konnte keine Kunde von ihr erhalten. Und während er damit beschäftigt war, traf er die anderen drei Kadis, die auch umherzogen; denn jeder von ihnen glaubte, sie habe sich mit keinem anderen verabredet als nur



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mit ihm. Er fragte sie, weshalb sie ausgeritten seien und in den Gassen der Stadt umherstreiften; und als sie ihm berichteten, wie es um sie stand, erkannte er ihre Lage als seine Lage und ihre Frage als seine Frage. Nun suchten sie alle zusammen nach ihr, aber sie konnten keine Kunde von ihr erhalten, und so kehrte ein jeder von ihnen liebeskrank zu seiner Wohnung zurück, und alle legten sich auf das Bett des Siechtums. Doch da erinnerte der Oberkadi sich des Schmiedes und sandte nach ihm. Als der vor ihm stand, sprach er zu ihm: ,O Schmied, weißt du etwas von der Frau, zu der du mir den Weg gewiesen hast? Bei Allah, wenn du sie mir nicht zeigst, so lasse ich dich mit Peitschen schlagen!' Wie der Schmied die Worte des Kadis vernahm, sprach er diese Verse:

Sie, die mich gewann durch Liebe, sie gewann die Schönheit ganz,
Und sie ließ auch nirgend etwas übrig von der Schönheit Glanz.
Rehgleich blickt sie, Ambra haucht sie, und sie strahlt der Sonne gleich;
Meergleich wogt sie, und sie wiegt sich wie der schwanke Zweig so weich.

Dann sagte der Schmied: ,Bei Allah, mein Gebieter, seit ich deine hohe Gegenwart verließ, hat mein Auge sie nicht mehr erblickt. Sie hat von meinem Herzen und von meinem Verstand Besitz ergriffen; alle meine Worte, alle meine Gedanken gehören ihr. Ich ging zu ihrem Hause, aber ich fand sie nicht; auch sah ich niemanden, der mir Kunde von ihr hätte geben können. Es ist, als habe die Meerestiefe sie eingesogen, oder als sei sie zum Himmel emporgeflogen.' Nachdem der Kadi seine Worte vernommen hatte, tat er einen so tiefen Seufzer, daß mit ihm seine Seele fast davonflog; und er sprach: ,Bei Allah, hätten wir sie doch nie gesehen!' Der Schmied ging davon, und der Kadi sank wieder auf sein Bett und siechte um ihretwillen dahin, desselbigengleichen auch die Zeugen und die anderen drei Richter. Die Ärzte kamen häufig zu ihnen;



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aber ach, sie hatten keine Krankheit, die des Arztes bedurfte. Danach traten die Vornehmen unter den Einwohnern zum Oberkadi ein, sprachen den Gruß vor ihm und fragten, wie es ihm ergehe; aber er seufzte und tat ihnen seines Herzens Geheimnis kund, indem er diese Verse sprach:

Lasset ab von eurem Tadel, mir genügt des Siechtums Leid;
Und entschuldigt einen Kadi, der sein Amt den Menschen weiht!
Wer mich wegen Liebe tadelt, der verzeiht mir auch, fürwahr;
Und er schelte nicht! Der Liebe Opfer ist des Tadels bar.
Ja, ich war ein Kadi, und das Schicksal hob mich hoch empor
Durch die Hilfe meiner Schrift und durch die Feder aus dem Rohr,
Bis ich von dem Pfeil getroffen, der da keinen Arzt mehr hat,
Durch die Blicke einer Frau, die blutvergießend mir genaht.
Der Muslimin gleich beklagte sie sich ob der Grausamkeit;
Ihres Mundes Zähne waren gleichwie Perlen aufgereiht.
Als ich ihr ins Antlitz schaute, strahlte mir ein voller Mond.
Der zu finstrer Nacht im Dunkel hoch am Himmelszelte thron,'.
Lächeln spielte wundersam dem hellen Antlitz um den Mund,
Und vom Scheitel bis zum Fuße tat in ihr sich Schönheit kund.
Niemals sah, bei Gott, mein Auge ein Gesicht dem ihren gleich
Unter Menschen in der Perser und in der Araber Reich.
O du Schönheit! Was versprach sie! Damals sagte sie zu mir:
Was ich dir verspreche, Kadi aller Menschen, halt ich dir. Also steht's um mich, und dies ist, was mich schwer betroffen hat;
Fraget nicht nach meinem Leiden, Männer ihr von klugem Rat!

Als der Kadi diese Verse gesprochen hatte, weinte er bitterlich. Dann tat er einen Seufzer, und sein Geist schied aus seinem Leibe. Wie die Leute das sahen, wuschen sie ihn und hüllten ihn in das Totenlaken; und nachdem sie über ihm gebetet und ihn bestattet hatten, schrieben sie diese Verse auf sein Grab:

Die Liebe ward in dein vollendet, der im Grabe
Hier ruht, vom Lieb durch seine Härte hingerafft.
Er war ein Richter einstmals dein Geschlecht der Menschen.
Sein Urteil war gezücktes Schwert und Kerkerhaft.



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Die Lieb hat ihn gerichtet, niemals sahen wir,
Daß sich ein Herr gebeugt vor seiner Magd wie hier.

Darauf empfahlen sie ihn der Gnade Allahs und begaben sich zu dem zweiten Kadi, zusammen mit dem Arzte; doch sie fanden in ihm keinen Schaden noch ein Leiden, das des Arztes bedurfte. Sie fragten ihn, wie es ihm ergehe und wie es um das Sinnen seines Herzens stehe. Er tat ihnen seine Geschichte kund; doch als sie ihn ob eines solchen Zustandes tadelten und schalten, antwortete er ihnen, indem er diese Verse sang:

Durch sie geprüft, so bin ich nicht zu tadeln;
Mich traf ein Pfeil aus eines Schützen Hand.
Es kam zu mir ein Weib, Huhûb geißen,
Und zählte Jahre, von der Zeit gesandt.
Bei ihr war eine Maid mit einem Antlitz.
Noch heller als der Mond in dunkler Nacht.
Sie zeigte ihre Schönheit, und sie klagte;
Es quoll der Augen Tränenflut mit Macht.
Ich lauschte ihrem Wort, als ich sie schaute
Und mich des Mundes Lächeln überwand:
Sie zog, wohin ich ging, mit meinem Herzen
Und machte mich zu meiner Liebe Pfand.
So steht's um mich. Erbarmt euch meiner Pein.
Setzt meinen Schüler hier als Richter ein!

Dann tat er einen Seufzer, und sein Geist entfloh aus seinem Leibe. Die Leute richteten ihn her und begruben ihn; und nachdem sie ihn der Barmherzigkeit Allahs empfohlen hatten, begaben sie sich zu dem dritten Richter. Auch den fanden sie krank, und es erging ihm wie dem zweiten. Ebenso stand es auch um den vierten; sie fanden alle krank vor Liebe zu ihr. Ja, sogar auch die Zeugen waren liebeskrank; denn alle, die sie gesehen hatten, starben aus Liebe zu ihr, oder wenn sie nicht starben, so lebten sie weiter, von heißer Leidenschaft gequält. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 861. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Leute der Stadt alle Kadis und Zeugen krank fanden vor Liebe zu ihr, und daß alle, die sie gesehen hatten, aus Liebe zu ihr starben oder, wenn sie nicht starben, weiterlebten, gequält von heißer Leidenschaft, da sie von heftiger Liebe zu ihr entbrannt waren —Allah erbarme sich ihrer aller! So erging es jenen.

Inzwischen aber war Zain el-Mawâsif in aller Eile eine Reihe von Tagen dahingezogen, bis sie eine weite Strecke durchmessen hatte. Da geschah es eines Tages, als sie mit ihren Sklavinnen ins Land wanderte, daß sie an einem Kloster vorbeikam, in dem ein Abt, des Namens Dânis, mit vierzig Mönchen lebte. Wie der die Schönheit von Zain el-Mawâsif sah, ging er zu ihr hinaus und lud sie ein, indem er sprach: ,Ruhet euch zehn Tage lang bei uns aus! Dann ziehet weiter!' Da stieg sie mit ihren Sklavinnen in jenem Kloster ab. Nachdem sie aber eingetreten war und er ihre Schönheit und Anmut von neuem betrachtet hatte, galt ihm sein Gelübde nichts mehr, und er ward ganz durch sie betört. Und er begann, die Mönche als Boten zu ihr zu senden, einen nach dem andern. um ihre Gunst zu gewinnen. Doch jeder, den er zu ihr schickte, ward von Liebe zu ihr erfüllt und suchte sie zu verführen. während sie sich entschuldigte und sich ihnen versagte. Und immer wieder schickte er einen Mönch nach dem andern zu ihr, bis er alle vierzig abgesandt hatte; ein jeder von ihnen wurde, sobald er sie sah, von Leidenschaft zu ihr ergriffen, und dann suchte er sie mit vielen Schmeichelworten zu verführen, ohne daß er den Namen Dânis erwähnte. Sie aber versagte sich ihnen und gab ihnen die härtesten Antworten. Als nun Dânis



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keine Geduld mehr hatte und von heftiger Leidenschaft bedrängt ward, sprach er zu sich: ,Das Sprichwort besagt: Nur mein eigener Nagel kratzt meine Haut, und nur mein eigener Fuß trägt mich ans Ziel.' Und alsbald erhob er sich und rüstete prächtige Speisen; die trug er hin und setzte sie ihr vor. Nun war dies der neunte von den zehn Tagen, die sie mit ihm als Ruhezeit bei ihm verabredet hatte. Und als er die Speisen vor sie hinsetzte, sprach er: ,Geruhe zu essen, im Namen Gottes, es ist die beste Speise, die wir haben!' Da streckte sie ihre Hand aus und sagte: ,Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers!' und aß mit ihren Sklavinnen! Als das Mahl beendet war, spi ach er zu ihr: ,Meine Herrin, ich möchte dir einige Verse vortragen.' ,Sprich!' sagte sie, und er sprach diese Verse:

Mein Herz bezwangest du mit Blicken und mit Wangen,
Und deiner Liebe gilt mein Wort und mein Gedicht.
Willst du den Kranken, der so glühend liebt, verlassen,
Der mit der Liebe ringt sogar im Traumgesicht?
O laß mich nicht in Liebesleid danieder liegen!
Ich ließ die Klosterpflicht, seit Liebeslüfte wehn.
O Zarte, die in Liebe Blutvergießen billigt,
Erbarm dich meiner Not. erhöre doch mein Flehn!

Als Zain el-Mawâsif sein Lied vernommen hatte, antwortete sie darauf mit diesen beiden Versen:

Der du die Gunst erstrebst, laß Hoffnung dich nicht täuschen,
Und wende dein Verlangen von mir ab, o Mann!
Laß deine Seele nicht, was ihr versagt ist, wünschen;
An die Begierden schließt sich das Verhängnis an!

Als er nun ihr Lied vernommen hatte, kehrte er in seine Zelle zurück, in trüben Gedanken, und er wußte nicht, was er mit ihr beginnen sollte; und jene Nacht verbrachte er in ärgster Not. Doch wie die Nacht ihren Schleier gesenkt hatte, stand Zain el-Mawâsif auf und sprach zu ihren Sklavinnen: ,Auf,



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laßt uns forteilen; denn wir vermögen nichts gegen vierzig Mönchsgesellen, von denen ein jeder mich verführen will!' ,Herzlich gern!' erwiderten ihr die Mägde. Dann stiegen sie auf ihre Reittiere und ritten zum Klostertor hinaus. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 862. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Zain el-Mawâsif, nachdem sie mit ihren Sklavinnen bei Nacht aus dem Kloster geritten war, ihres Weges dahinzog. Da begegneten sie einer reisigen Karawane und schlossen sich ihr an. Jene Karawane aber war aus der Stadt Aden, in der Zain el-Mawâsif geweilt hatte; und da hörte sie denn, wie die Karawanenleute sich über Zain el-Mawâsif unterhielten und auch erzählten, daß die Kadis und die Zeugen aus Liebe zu ihr gestorben waren, daß die Leute der Stadt sich andere Richter und Zeugen erwählt und den Gatten von Zain el-Mawâsif aus dem Gefängnis befreit hatten. Als sie diese Rede vernommen hatte, wandte sie sich zu ihren Sklavinnen und fragte Hubûb: ,Hörst du nicht, was die da reden?' Die antwortete ihr: ,Wenn sogar die Mönche, deren Satzung besagt, daß die Enthaltung von den Frauen ein frommes Werk ist, von der Liebe zu dir betört wurden, wie sollte es da den Kadis anders ergehen, deren Satzung besagt, daß es im Islam keine Möncherei gibt? Aber laß uns in unsere Heimat eilen, solange es noch verborgen ist, wer wir sind!' So zogen sie denn in aller Eile weiter dahin.

Wenden wir uns nun von Zainel-Mawâsif und ihren Frauen wieder zu den Mönchen zurück! Als die am nächsten Morgen Zain el-Mawâsif aufsuchen wollten, um sie zu begrüßen, fanden sie die Stätte leer, und Krankheit erfüllte ihre Herzen. Und der erste Mönch zerriß sich das Gewand und sprach diese Verse:



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Ihr meine lieben Freunde, kommt herbei, ich scheide
Gar bald von euch und muß dann in der Ferne sein.
Denn ach, in meinem Innern wüten heiße Schmerzen,
Ein tödlich Liebesseufzen schnürt das Herz mir ein
Um einer Schönen willen, die uns hier besuchte
Und die dem vollen Mond am Himmelszelte gleicht.
Sie ging und ließ mich hier, ein Opfer ihrer Schönheit,
Vom Pfeile, der des Lebens Odem trifft, erreicht.

Darauf sprach ein zweiter Mönch diese Verse:

Die du mit meinem Herzen fortzogst, hab Erbarmen
Mit deinem Opfer, bring zurück, was ich verlor! Sie führte meinen Frieden mit sich in die Ferne;
Sie ging, die süße Stimme klingt mir noch im Ohr.
Ja, fern ist sie, und fern ist ihre Wallfahrtsstätte';
Ach, blühte mir im Traum des Wiedersehens Glück!
Sie raubte mir das Herz, als sie von dannen eilte.
Und ließ mich ganz in meiner Tränen Flut zurück.

Und ein dritter Mönch sprach diese Verse:

Du thronst in meinem Herzen, meinen Augen, Ohren;
Mein Herz ist deine Statt, du bist mein ganzes Sein.
Dem Munde ist dein Name süßer noch als Honig;
Wie in den Leib die Seele dringt er in mich ein.
Du ließest mich gleich einem Spane hager werden,
In Liebestränenfluten hast du mich ertränkt.
Laß mich im Traum dich wiedersehn! Vielleicht wird dennoch
Den Wangen Ruhe von der Tränen Schmerz geschenkt.

Darauf sprach ein vierter Mönch diese Verse:

Die Zunge ist verstummt; ich kann von dir nicht reden.
Von deiner Liebe kommt mir Schmerz und bittres Leid.
O voller Mond, der du am Himmel droben thronest,
Durch dich bin ich der Qual und Liebespein geweiht.



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Ein fünfter Mönch wiederum sprach diese Verse:

Ich liebe einen Mond, die Maid von zartem Wuchse;
Ihr schlanker Leib bringt allen Menschen Liebespein.
Der Tau der Lippen gleicht dem Most und edlem Weine,
Die Hißen lasten schwer -sie muß ein Engel sein!
In meinem Herzen brennen Feuer heißen Sehnens;
Und während Menschen reden, naht der Liebestod.
Auf meine Wange rinnen Tränen gleichwie Regen;
Die Tränen glänzen dort wie Karneol so rot.

Dann sprach ein sechster Mönch diese Verse:

Die du in großer Härte mich durch Liebe tötest,
O Weidenzweig, ob dem ein helles Sternbild stand,
Ich klage dir mein Leid und meine heißen Schmerzen,
Du hast mich durch der Rosenwangen Glut verbrannt.
Wer hat aus Lieb zu dir dem Glauben abgeschworen,
Wie ich, und hat Gebet und Andacht ganz verloren?

Und ein siebenter sprach noch diese Verse:

Ach, sie nahm mein Herz gefangen, als des Auges Träne rann,
Und sie hat das Leid erneuert, daß ich's nicht mehr tragen kann.
O, wie bitter ist die Härte, die sich süßen Reizen eint
Und den Pfeil ins Herze sendet jedem, dem sie nur erscheint!
Tadler, lasse deinen Tadel! An Vergangnes rühre nicht!
Niemand wird dir Glauben schenken, wenn dein Mund von Liebe spricht.

Die anderen Mönche und Einsiedler weinten und sprachen Verse ebenso wie jene. Ihr Abt Dânis aber begann noch lauter zu klagen und zu weinen, da er keinen Weg sah, sich mit ihr zu vereinen. Und dann sang er diese Verse:

Geduld versagte mir, als die Geliebte fortzog,
Als sie von mir sich trennte, sie, mein Wunsch, mein Glück.
O du, der Sänften Führer, treib die Tiere gütig;
Vielleicht kehrt sie noch einst zu meinem Haus zurück.
Die Augen mied der Schlaf am Tage ihres Abschieds,
Und neuer Schmerz hat alle Freude hingerafft.



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Was ich durch Liebe leide, klag ich meinem Gotte;
Mein Leib ist mir verzehrt -sie raubte mir die Kraft.

Und da sie nun alle Hoffnung auf sie verloren gaben, kamen sie überein, in ihrem Kloster ein Bildnis von ihr zu schaffen. Und darin vereinigten sich alle, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt. So erging es jenen Mönchen, den Klosterbrüdern.

Sehen wir nun, was mit Zain el-Mawâsif geschah! Sie zog ihres Weges weiter dahin, um ihren Geliebten Masrûr zu suchen, und machte nicht eher Halt, als bis sie zu ihrer Wohnstätte gelangte. Dort öffnete sie die Türen und trat ins Haus ein; dann sandte sie zu ihrer Schwester Nasîm. Und wie ihre Schwester diese Botschaft hörte, ward sie von hoher Freude erfüllt und brachte ihr das Hausgerät und die kostbaren Stoffe. Dann richtete sie ihr das Haus ein, kleidete sie in ihre Gewänder und ließ die Vorhänge über die Türen hinab. Auch räucherte sie mit Aloeholz und Nadd, Ambra und Moschus von feinster Art, bis das Haus von jenem Duft ganz erfüllt war, so herrlich wie nur möglich. Und nachdem Zain el-Mawâsif ihre prächtigsten Gewänder angelegt hatte, schmückte sie sich aufs schönste. All das geschah, während Masrûr noch nicht wußte, daß sie gekommen war; ihn drückte die Sorge schwer, und seine Trauer kannte keine Grenzen mehr. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 863. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als Zain el-Mawâsif ihr Haus betreten hatte, ihre Schwester zu ihr kam mit dem Hausgerät und den Stoffen und ihr das Haus einrichtete und sie in die prächtigsten Gewänder kleidete; all das geschah, während Masrûr noch nicht wußte, daß sie ge



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kommen war; ihn drückte die Sorge schwer, und seine Trauer kannte keine Grenzen mehr. Inzwischen setzte Zain el-Mawâsif sich nieder und plauderte mit ihren Dienerinnen, die zurückgeblieben waren, als sie abreisen mußte; denen erzählte sie alles, was sie erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Dann wandte sie sich zu Hubûb, gab ihr einige Dirhems und hieß sie fortgehen, um Speisen für sie und ihre Dienerinnen zu holen; die ging hin und brachte das Verlangte, Speise und Trank. Und nachdem sie sich an Essen und Trinken gesättigt hatten, befahl sie Hubûb, zu Masrûr zu gehen, zu erkunden, wo er wäre, und zu schauen, wie es wohl um ihn stände.

Masrûr aber konnte keine Ruhe mehr finden, und alle Geduld begann ihm zu schwinden. Wenn er nun erfüllt war von der sehnenden Liebe Kraft und von der heftigsten Leidenschaft. so suchte er Trost in Versen, die der Schmerz ihm weckte, und darin, daß er zu dem Hause ging und die Mauern mit Küssen bedeckte. Und so begab es sich, daß er wieder zu der Stätte schritt, an der sie einst voneinander gingen, und dort ließ er dies wundersame Lied erklingen:

Ich barg, was ich erlitt, doch kam es an den Tag;
Des Auges Schlummer wich, so daß es schlaflos lag.
Ich rief, da mir der Gram das Herze fast zerbricht:
Geschick, mit deinem ew'gen Wechsel quäl mich nicht!
O sehet, wie mein Geist in Qual und Fahrnis schwebt!
Wenn nur der Liebe Herr gerecht mit mir verfährt,
So wäre meinem Aug der Schlummer nicht verwehrt.
O Herrin, sei ihm hold, den Sehnsucht krank gemacht,
Sei mild dem Volkesherrn, den Lieb in Not gebracht,
Ihm, der so reich einst war und jetzt in Armut lebt!
Die Tadler quälten mich, ich folgte ihnen nicht;
Ich machte taub mein Ohr und starr ihr Angesicht.
Den Bund mit der Geliebten hüt ich immerdar.



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Sie sagten: Eine Ferne liebst du. Mein Spruch war:
Laßt ab, der Blick wird blind, wenn Schicksal Unheil webt.

Dann kehrte er in sein Haus zurück und setzte sich weinend nieder; doch schließlich übermannte ihn der Schlaf, und da sah er im Traum. wie Zain el-Mawâsif in ihr Haus kam. Er wachte auf, mit Tränen im Auge, und er machte sich auf den Weg zum Hause von Zain el-Mawâsif, indem er diese Verse sprach:

Kann ich sie denn je vergessen, die durch Liebe mich bezwang,
Seit ein Feuer in mein Herze, heißer als von Kohlen, drang?
Ja, ich liebe sie, um deren Fernsein ich vor Allah klag,
Um der Liebesnächte Schwinden und der Zeiten Schicksalsschlag.
Wann, du meines Herzens höchste Sehnsucht, kehrst du einst zurück,
Daß mich, o du Mondengleiche, noch erfreut der Nähe Glück?

Wie er den letzten dieser Verse sprach, ging er schon in der Straße von Zain el-Mawâsif, und als er dort die Weihrauchdüfte roch, begann Erregung sein Inneres zu bedrängen, und sein Herz drohte ihm die Brust zu sprengen; seine Sehnsucht ward entfacht, und seine Leidenschaft wuchs mit Macht. Da erschien plötzlich Hubûb, die sich aufgemacht hatte, um ihren Auftrag zu erfüllen, und er sah sie, wie sie ihm von dem anderen Ende der Straße entgegenkam. Ihr Anblick erfüllte ihn mit überquellender Freude. Und als Hubûb seiner gewahr wurde, eilte sie auf ihn zu, begrüßte ihn und brachte ihm die frohe Botschaft von der Heimkehr ihrer Herrin Zain el-Mawâsif, und sie fügte hinzu: ,Wisse, sie hat mich ausgesandt, um dich zu suchen.' Ach, da freute er sich so sehr, und sein Glück kannte keine Grenzen mehr. Dann führte Hubûb ihn hinein und kehrte mit ihm zu ihrer Herrin zurück. Kaum hatte die ihn erblickt, so eilte sie von ihrem Ruhelager herab und küßte ihn; und er küßte sie, und sie umarmte ihn, und er umarmte sie. Und sie küßten und umarmten einander so lange,



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bis sie beide im Übermaß der Liebe und des Trennungsschmerzes auf lange Zeit in Ohnmacht sanken. Als sie dann aus ihrer Bewußtlosigkeit erwachten, befahl sie ihrer Sklavin Hubûb, einen Krug voll Zuckerscherbett und einen Krug voll Limonenscherbett zu bringen. Nachdem die Magd alles Verlangte gebracht hatte, aßen und tranken sie miteinander und saßen beisammen, bis die Nacht anbrach, indem sie sich alles erzählten, was ihnen widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. So berichtete sie ihm denn auch, daß sie Muslimin geworden war; darüber freute er sich, und auch er nahm den Islam an; das gleiche taten ihre Dienerinnen, und so bekehrten sich alle zu Allah dem Erhabenen. Als es aber Morgen ward, ließ sie den Kadi und die Zeugen rufen und tat ihnen kund, daß sie Witwe sei und daß die gesetzliche Wartefrist verstrichen sei: und nun wünsche sie sich mit Masrûr zu vermählen. Jene schrieben den Ehevertrag zwischen ihr und ihm nieder, und nun lebten die beiden in aller Freude.

Wenden wir uns nun von Zain el-Mawâsif und Masrûr zu ihrem Gatten, dem Juden! Als das Volk der Stadt ihn aus dem Gefängnisse befreit hatte, brach er von dort auf und begab sich heimwärts. Immer weiter zog er dahin, bis zwischen ihm und der Stadt, in der Zain el-Mawâsif weilte, nur noch ein Weg von drei Tagen lag. Als Zain el-Mawâsif davon Kunde erhielt, rief sie ihre Sklavin Hubûb und sprach zu ihr: ,Geh zum Friedhof der Juden, grab dort ein Grab, lege Basilienkräuter darüber und sprenge Wasser ringsherum. Wenn der jude kommt und nach mir fragt, so sage ihm: ,Meine Herrin ist in ihrem Gram um dich gestorben; jetzt sind zwanzig Tage seit ihrem Tode verstrichen.' Spricht er zu dir: ,Zeige mir ihr Grab!' so führe ihn zu der Grube und bring es zuwege, daß du ihn dort lebendig begräbst.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie.



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Dann räumten sie den Hausrat zusammen und brachten ihn in eine Vorratskammer; sie selbst aber begab sich zum Hause Masrûrs, und dort blieben die beiden zusammen bei Essen und Trinken, immerfort, bis die drei Tage vergangen waren.

Während jene sich so vergnügten, kam der Jude an und pochte an die Tür. Hubûb rief: ,Wer ist an der Tür?' Und er gab zur Antwort: ,Dein Herr.' Da öffnete sie ihm die Tür, und er sah, wie ihr die Tränen über die Wangen rannen. Er fragte alsbald: ,Warum weinst du? Und wo ist deine Herrin?' ,Meine Herrin ist aus Gram um dich gestorben', erwiderte sie; und als er diese Worte von ihr vernahm, ward er ganz verwirrt und weinte bitterlich. Dann fragte er: ,O Hubûb, wo ist ihr Grab?' Da führte sie ihn zum Friedhof und zeigte ihm das Grab, das sie gegraben hatte; er aber vergoß wiederum bittere Tränen und sprach diese Verse:

Wenn mein Aug um zweier Dinge willen blut'ge Tränen weint,
Bis es gar von seinem Schwinden Kunde uns zugeben scheint,
Wird den beiden ihres Rechtes nicht der zehnte Teil gebracht:
Das ist Scheiden der Geliebten und der Jugendblüte Pracht.'

Dann weinte er von neuem bitterlich und sprach diese Verse:

O wehe, wehe! Schmerz! Ich kann es nicht ertragen!
Seit mir mein Lieb genommen, quäl ich mich zu Tod.
Es ist um mich geschehen, seit mein Lieb entschwunden.
Mein Herz zerreißt ob dem, was meine Hand gebot.
Hätt ich doch mein Geheimnis allezeit verborgen,
Die Sehnsucht nicht verkündet, die mein Herz durchloht!
Einst lebte ich ein schönes und zufriednes Leben;
Doch seit sie fern, leb ich in Elend und in Not.
Hubûb, du brachtest mir das Leid durch deine Botschaft;
Denn sie, die in der Welt mir Zuflucht war, ist tot.
Zain el-Mawâsif wär die Trennung nie gewesen!
Sie ist es, die mir Leib und Geist zu trennen droht.



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Ach, ich bereu, daß ich nicht treu dem Bunde blieb,
Und tadle, was ich selbst in Pflicht versäumnis trieb.

Als er seine Verse beendet hatte, begann er zu weinen und Stöhnen und Klagen zu vereinen; dann sank er ohnmächtig nieder. Wie er aber in seiner Ohnmacht dalag, eilte Hubûb herbei, schleppte ihn zum Grabe und legte ihn hinein, während er noch am Leben, aber ohne Besinnung war. Dann schloß sie das Grab über ihm, kehrte zu ihrer Herrin zurück und berichtete ihr, was geschehen war. Die freute sich darüber gar sehr und sprach diese beiden Verse:

Das Schicksal schwor, es wolle immer mich betrüben;
Gebrochen ward dein Schwur, so schaffe Sühnung, Zeit!
Der Tadler starb: doch mein Geliebter ist mir nahe;
Auf denn, zum Freudenrufer! Gürte dir dein Kleid!

Und hinfort blieben sie beieinander, und sie aßen und tranken, scherzten und spielten in frohen Gedanken, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundes bande zerreißt und Söhne und Töchter ins Reich der Toten verweist. Ferner wird erzählt:


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