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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM FISCHER CHALÎFA

In alten Zeiten und in längst entschwundenen Vergangenheiten lebte einst in der Stadt Baghdad ein Fischersmann, Chalîfa geheißen; jener Mann hatte kein Geld und Gut, er war ein armer Schlucker, der sich in seinem ganzen Leben noch keine Frau hatte nehmen können. Nun begab es sich eines Tages, daß er sein Netz nahm und wie gewöhnlich zum Strome ging, um vor den anderen Fischern zu fischen. Wie er dann am Ufer



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stand, gürtete er sich und zog die Ärmel empor. Darauf trat er ans Wasser, breitete sein Netz aus und warf es einmal und zweimal, ohne daß etwas darin heraufkam. Und er warf es immer wieder aus, bis er zehn Würfe mit ihm getan hatte; als er auch dann noch nichts gefangen hatte, ward ihm die Brust beklommen. und sein Sinn ward ihm verwirrt, und er rief: ,Ich bitte Allah den Allmächtigen um Verzeihung, Ihn, außer dem es keinen Gott gibt, den Lebendigen und Beständigen, und ich bereue vor ihm. Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Was Allah will, das geschieht; und was Er nicht will, das geschieht nicht. Unser täglich Brot kommt von Allah, dem Allgewaltigen und Glorreichen. Wenn Allah seinem Knechte gibt, so versagt ihm niemand; doch wenn Er seinem Knechte versagt, so gibt ihm niemand.' Dann sprach er im Übermaß seines Kummers diese beiden Verse:

Trifft das Geschick dich eines Tags mit seinem Unheil,
So weite deine Brust und halt Geduld bereit.
Denn der Geschöpfe Herr schenkt dir in seiner Gnade
Und seiner reichen Güte Freude nach dem Leid.

Darauf setzte er sich eine Weile nieder und sann über sein Schicksal nach, indem er sein Haupt zu Boden senkte; und danach sprach er diese Verse:

Gedulde dich in des Geschickes Bitterkeit und Süße;
Und wisse, Gott kann, was er will, zu Ende führen.
Die Sorgen können über Nacht Geschwüren gleichen,
Die du gepflegt hast, bis sie ihre Heilung spüren.
Die Schicksalsschläge fahren über uns einher
Und schwinden aus dem Sinn, als wären sie nicht mehr.

Und nun sprach er bei sich selber: ,Ich will noch dies eine Mal das Netz auswerfen im Vertrauen auf Allah; vielleicht wird er



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meine Hoffnung nicht zuschanden werden lassen!' Dann trat er ans Ufer und warf das Netz, soweit sein Arm reichte, in den Strom, wickelte das Seil auf und wartete eine ganze Weile. Danach zog er das Netz an sich und fand, daß es schwer war. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 832. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fischer Chalîfa sein Netz manches Mal ins Meer warf, ohne etwas zu fangen; daß er dann über sein Schicksal nachsann und die genannten Verse sprach; daß er sich schließlich sagte: ,Ich will noch dies eine Mal das Netz auswerfen im Vertrauen auf Allah, vielleicht wird er meine Hoffnung nicht zuschanden werden lassen'; daß er dann sich aufmachte und das Netz warf und eine ganze Weile wartete, es an sich zog und fand, daß es schwer war. Als er dessen Schwere bemerkte, bewegte er es vorsichtig in die Höhe und zog es, bis es ans Land kam, und siehe, darin befand sich ein lahmer und einäugiger Affe! Wie Chalîfa den erblickte, rief er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah! Wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück! Was ist das für ein gemeines Glück, was für ein elendes Gewinnerstück! Was ist es denn mit mir an diesem gesegneten Tage? Doch all dies geschieht nach dem Ratschlusse Allahs des Erhabenen!' Dann nahm er den Affen, legte ihm einen Strick um, ging mit ihm auf einen Baum zu, der dort am Ufer des Stromes wuchs, und band das Tier an ihm fest. Er hatte aber auch eine Geißel bei sich; die nahm er nun in die Hand, hob seinen Arm empor und wollte die Geißel auf den Affen niedersausen lassen. Doch da ließ Allah diesen Affen mit deutlicher Stimme reden; und das Tier sprach zu ihm: ,O Chailfa, halte deine Hand zurück und schlag mich nicht; laß mich



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hier, wie ich am Baum gebunden bin, geh wieder zum Fluß hinab, wirf dein Netz und vertraue auf Allah, er wird dir dein täglich Brot gewähren!' Nachdem Chalîfa diese Worte aus dem Munde des Affen vernommen hatte, ergriff er das Netz, schritt zum Strome, warf es aus und ließ das Seil hängen. Dann zog er es an und fand, daß die Last noch schwerer war als das erste Mal. Und so mühte er sich denn mit dem Netze ab, bis es ans Land kam. Aber schau, es war wieder ein Affe darin; der hatte gespaltene Vorderzähne, seine Augen waren mit Bleiglanz geziert und seine Hände mit Henna gefärbt; sein Gesicht grinste, und um den Leib trug er einen zerfetzten Lappen. Da rief Chalîfa: ,Preis sei Allah, der die Fische des Meeres in Affen verwandelt hat!' Dann ging er zu jenem ersten Affen, der noch an dem Baume festgebunden war, und sprach zu ihm: ,Sieh, du Unglücksvieh, wie scheußlich war der Rat, den du mir gegeben hast! Nur du hast mich auf diesen zweiten Affen gebracht. Nur weil du mir in deiner Lahmheit und Einäugigkeit' am Morgen begegnet bist, habe ich heute früh solch Mißgeschick und Mühe und gewinne keinen Dirhem, keinen Dinar!' Darauf nahm er seinen Stock in die Hand, schwang ihn dreimal durch die Luft und wollte den Affen damit treffen. Doch der schrie ihn um Gnade an und rief: ,Ich beschwöre dich bei Allah, vergib mir um dieses meines Gefährten willen; erbitte von ihm, was du willst; er wird dich zu dem führen, was du wünschest.' Chalîfa warf den Stock fort und ließ von dem Tiere ab. Und alsbald wandte er sich zu dem zweiten Affen. und als er neben ihm stand, sprach jener zu ihm: ,Chalîfa, meine Worte werden dir nichts nützen, wenn du nicht auf das hörst, was ich dir sage. Aber wenn du auf mich hörst und mir folgst und mir nicht zuwider handelst, so wirst du durch mich



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zu Reichtum kommen.' ,Was hast du mir zu sagen,' antwortete Chalîfa, ,daß ich dir darin gehorchen sollte?' Der Affe fuhr fort: ,Laß mich angebunden hier, wo ich bin, und geh zum Strom und wirf dein Netz, und hernach will ich dir sagen, was du tun sollst.' Da nahm Chalîfa denn sein Netz, schritt zum Flusse, warf es aus und wartete eine Weile; dann zog er es hoch und fand, daß es schwer war. Wiederum mühte er sich mit ihm ab, bis er es ans Land gebracht hatte; und siehe, wiederum war ein Affe darin, doch dieser Affe war rot und trug blaue Kleider, seine Hände und Füße waren aber auch mit Henna gefärbt, und ebenso waren seine Augen mit Bleiglanz geschminkt. Kaum hatte Chalîfa den erblickt, so rief er aus: .O Gott, o großer Gott! Gepriesen sei der Herr der Herrlichkeit! Fürwahr, dieser Tag ist gesegnet von Anfang bis zu Ende; sein Stern ging glückverheißend auf im Antlitze des ersten Affen, und den Inhalt eines Blattes erkennt man aus der Überschrift. Dieser Tag ist der Tag der Affen; in dem Flusse gibt es keine Fische mehr. Heute sind wir ausgezogen, um nichts als Affen zu fischen. Gelobt sei Allah, der die Fische in Affen verwandelt hat!' Dann wandte er sich zu dem dritten Affen und sprach zu ihm: ,Was bist du denn, du Unglücksviehe' Der Affe erwiderte: ,Kennst du mich nicht, Chalîfa?' ,Nein', sagte der Fischer; und das Tier fuhr fort: ,Ich bin der Affe von Abu es-Sa'adât, dem jüdischen Wechsler.' ,Und was tust du für ihn?' fragte Chalîfa. Darauf gab der Affe zur Antwort: ,Morgens früh begebe ich mich zu ihm, und dann verdient er fünf Dinare; und spät am Abend zeige ich mich ihm wieder, und er verdient noch einmal fünf Dinare.' Da wandte Chalîfa sich zu dem ersten Affen und sprach zu ihm: ,Sieh, du Unglückstier, wie trefflich die Affen anderer Leute sind! Aber du begegnest mir am Morgen mit deiner Lahmheit und Einäugigkeit und



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deinem Unglücksgesicht, und so werde ich ein armer und hungriger Bettler.' Darauf griff er wieder zum Stock, schwang ihn dreimal durch die Luft und wollte ihn auf das Tier niederfahren lassen. Doch da rief der Affe von Abu es-Sa'adât ihm zu: ,Laß ihn, o Chalîfa, und heb deine Hand von ihm! Komm zu mir, daß auf ich dir sage, was du tun sollst.' Also warf Chalîfa den Stock wieder aus der Hand, trat zu ihm hin und fragte ihn: ,Was hast du mir zu sagen, du Herr aller Affen?' Jener antwortete ihm: ,Nimm das Netz und wirf es in den Strom; laß mich und jene beiden Affen hier bei dir bleiben! Und was du heraufholst, das bringe herzu mir, so will ich dir sagen, was dich erfreut!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 833. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Affe von Abu es-Sa'adât zu Chalîfa sprach: ,Nimm dein Netz und wirf es in den Strom. Und was du nun darin heraufholst, das bringe her zu mir; so will ich dir sagen, was dich erfreut!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Fischer, nahm das Netz, warf es über die Schulter und sprach diese Verse:

Ist mir die Brust beengt, so fleh ich zu dem Schöpfer,
Der alles Schwere bald zum Leichten machen kann.
Denn eh der Blick sich hebt, wird frei durch Gottes Gute,
Wer im Gefängnis liegt, und heil der kranke Mann.
Befiehl dem Herren deine Wege immerdar!
Denn Seine Huld ist jedem Klugen offenbar.

Darauf sprach er noch diese beiden Verse:

O du, der du die Menschen in die Mühsal stürzest.
Du machst, daß Sorge wie des Elends Ursach weicht.
O laß mich nie begehren, was sich mir versaget;
Wie mancher, der begehrt, hat nie sein Ziel erreicht.



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Als Chalîfa diese Verse gesprochen hatte, ging er zum Strom hinab, warf das Netz aus und wartete eine Weile; dann zog er es hoch, und siehe da, in ihm befand sich ein Barsch mit einem großen Kopfe, mit einem Schwanze, der einem Schöpflöffel glich, und Augen, die wie zwei Dinare aussahen. Wie Chalîfa diesen Fisch erblickte, freute er sich; denn er hatte noch nie in seinem Leben seinesgleichen gefangen. Und voll Verwunderung nahm er ihn und trug ihn zu dem Affen des Juden Abu es-Sa'adât, so stolz, als besäße er schon die ganze Welt. Da fragte ihn der Affe: ,Was willst du mit diesem Fische tun, o Chalîfa? Und was willst du mit deinem Affen anfangen?' Der Fischer antwortete ihm: ,Ich will dir sagen, o Herr aller Affen, was ich tun will. Wisse denn, zuallererst will ich auf ein Mittel sinnen, das verfluchte Tier dort, meinen Affen, zu beseitigen; an seiner Stelle will ich dich annehmen, und ich will dir jeden Tag zu essen geben, was du nur wünschest.' Und der Affe fuhr fort: ,Da du nun mich erwählt hast, will ich dir sagen, was du tun sollst, und dadurch soll dein Schicksal gebessert werden, so Allah der Erhabene will. Drum achte auf das, was ich dir sage! Das ist, daß du noch einen Strick bereit hältst und mich mit ihm an einen Baum bindest, mich dann verlässest, mitten auf den Damm gehst und dein Netz in den Tigrisfluß wirfst. Wenn du es ausgeworfen hast, so warte ein wenig, und dann zieh es hoch, so wirst du in ihm einen Fisch finden, so schön, wie du ihn in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen hast. Den bringe her zu mir, und ich werde dir sagen, was du weiter tun sollst!' Und alsobald ging Chalîfa hin, warf das Netz inden Tigrisfluß und zog es wieder hoch. Da erblickte er in ihm einen Wels von der Größe eines Lammes, wie er noch in seinem ganzen Leben nie einen gesehen hatte; der war noch größer als der erste Fisch. Er nahm ihn und brachte ihn dem Affen; und



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jener sprach zu ihm: ,Hole dir etwas grünes Gras und tu die Hälfte davon in einen Korb; lege den Fisch darauf und deck ihn mit der anderen Hälfte zu! Uns aber laß hier angebunden zurück, und geh, nachdem du den Korb auf deine Schulter gehoben hast, in die Stadt Baghdad! Wenn dich jemand anredet oder dich fragt, so gib ihm keinerlei Antwort, bis du in die Straße der Geldwechsler eintrittst; dort findest du am oberen Ende den Laden des Meisters Abu es-Sa'adât, des Juden, des Scheichs der Wechsler, und du wirst ihn sehen, wie er auf einem Polster sitzt mit einem Kissen hinter sich und zwei Kä— sten vor sich, einen für das Gold und einen für das Silber, umgeben von Mamluken, Sklaven und Dienern. Tritt auf ihn zu, setze den Korb vor ihm nieder und sprich zu ihm: ,O Abu es-Sa'adât, ich zog heute zum Fischfang aus und warf das Netz auf deinen Namen; da schickte mir Allah der Erhabene diesen Fisch.' Er wird fragen: ,Hast du ihn schon jemand anders gezeigt außer mir?' Und du erwidere ihm: ,Nein, bei Allah!' Dann wird er ihn dir abnehmen und dir einen Dinar geben; den gib ihm zurück! Darauf wird er dir zwei Dinare geben; auch die gib ihm zurück! Alles, was er dir reicht, gib ihm wieder, und gäbe er dir auch das Gewicht des Fisches in Gold! Nimm nichts von ihm an! Schließlich wird er zu dir sprechen: ,Sage mir, was du haben willst'; und du antworte ihm: ,Bei Allah, ich verkaufe ihn nur um zwei Worte.' Wenn er dann fragt: ,Welches sind die beiden Worte?' so erwidere ihm: ,Erhebe dich und sprich: Bezeuget ihr, die ihr auf dem Markte anwesend seid, daß ich den Affen des Fischers Chalîfa eintausche gegen meinen Affen, daß ich sein Los eintausche gegen mein Los, und sein Glück gegen mein Glück! Das ist der Preis für den Fisch, und ich habe kein Gold nötig.' Wenn er das tut, so will ich jeden Morgen und jeden Abend zu dir kommen, und



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dann wirst du jeden Tag zehn Dinare verdienen. Zu dein Juden Abu es-Sa'adât aber wird an jedem Morgen sein neuer Affe kommen, das ist dies einäugige und lahme Tier, und Allah wird ihn jeden Tag mit einer Buße heimsuchen, die er bezahlen muß; das wird so lange geschehen, bis er arm geworden ist und gar nichts mehr besitzt. Höre auf das, was ich dir sage; dann hast du Segen und bist aufrechten Wegen!' Als der Fischer Chalîfa diese Worte des Affen vernommen hatte, sprach er zu ihm: ,Ich nehme den Rat an, den du mir gibst, o König aller Affen. Aber diesen Unseligen dort möge Allah nimmer segnen! Ich weiß nicht, was ich mit ihm tun soll.' Der Affe erwiderte ihm: ,Laß ihn ins Wasser gehen und laß auch mich dorthin gehen!' ,Ich höre und gehorche!' sagte Chalîfa, trat an die Affen heran, band sie los und ließ sie ihrer Wege gehen. Nachdem nun jene in den Fluß hinabgelaufen waren, machte Chalîfa sich wieder an den Fisch; er nahm ihn, wusch ihn, legte ihn auf grünem Grase in den Korb und bedeckte ihn auch mit Gras; dann nahm er seine Last auf die Schulter und ging fort, indem er dies Lied sang:

Überlaß dein Los dem Herrn des Himmels: du bist sicher dann.
Übe Gute all dein Leben: keine Reue ficht dich an!
Geh nicht zu verdächt'gem Volke; sonst kommt auch auf dich Verdacht;
Hüte deine Zunge, schmäh nicht; wirst mit Schmähung sonst bedacht! — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 834. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fischer Chalîfa, als er sein Lied gesungen hatte, mit dem Korb auf der Schulter weiterging und dahinschritt, bis er in die Stadt Baghdad kam. Wie er aber durch die Straßen zog, erkannten ihn die Leute und riefen ihm zu: ,Was hast du da, o Chalifat' Doch



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er wandte sich nach keinem einzigen von ihnen um, bis er zur Straße der Geldwechsler kam; und er schritt zwischen den Läden weiter, wie ihm der Affe geraten hatte, und schließlich erblickte er jenen Juden. Er sah ihn, wie er in seinem Laden thronte, umgeben von dienenden Sklaven, als wäre er einer der Könige von Chorasân. Kaum war Chalîfas Blick auf ihn gefallen, so erkannte er ihn, ging auf ihn zu und trat vor ihn hin. Und als der Jude sein Haupt erhob, erkannte auch er ihn und sprach zu ihm: ,Sei mir willkommen, Chalîfa! Was begehrst du? Was wünschest du? Wenn jemand dich angefahren oder mit dir gestritten hat, so sage es mir, und ich will mit dir zum Wachthauptmann gehen, auf daß er dir dein Recht wider ihn verschafft!' Doch Chalîfa entgegnete: ,Nein, bei deinem Haupte, Meister der Juden, niemand hat mich angefahren. Aber ich zog heute von Hause fort, indem ich meine Sache auf dein Glück stellte, ich ging zum Flusse und warf mein Netz in den Tigris, und da kam dieser Fisch hoch.' Damit öffnete er den Korb und warf den Fisch vor den Juden hin. Wie der ihn sah, hatte er Gefallen an ihm und sprach: ,Bei der Thora und bei den zehn Geboten', als ich gestern nacht schlief, sah ich im Traume Esra' vor mir stehen, der zu mir sprach: ,Wisse, o Abu es-Sa'adât, ich habe dir ein schönes Geschenk gesandt!' Vielleicht ist dieser Fisch das Geschenk, ja, ganz gewiß.' Dann schaute er Chalîfa an und sprach zu ihm: ,Bei deinem Glauben, hat jemand schon den Fisch gesehen außer mir?' Der Fischer antwortete: ,Nein, bei Allah und bei Abu Bekr. dem Wahrhaftigen, du Meister der Juden, niemand hat ihn gesehen außer dir!' Da wandte der Jude sich zu einem seiner Diener und sprach zu ihm: ,Komm, nimm diesen Fisch und trag ihn ins



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Haus! Laß Sa'âda ihn zurichten und backen und braten, bis ich meine Arbeit getan habe und heimkehre!' Und Chalîfa sagte auch zu ihm: ,Geh, Bursche, laß die Frau des Meisters einen Teil davon backen und den anderen braten!' ,Ich höre und gehorche, mein Gebieter!' antwortete der Diener, nahm den Fisch und brachte ihn ins Haus. Der Jude aber streckte seine Hand nach einem Dinar aus und reichte ihn dem Fischer Chalîfa, indem er zu ihm sprach: ,Nimm das für dich, o Chalîfa, und gib es für die Deinen aus!' Als der nun das Geldstück in seiner Hand sah, rief er: ,Preis sei dem Herrn der Herrlichkeit!' als ob er noch nie in seinem Leben Gold gesehen hätte. Und nachdem er den Dinar genommen hatte, ging er einige Schritte weiter. Aber da dachte er an den Rat des Affen und eilte zurück; er warf dem Juden den Dinar hin und rief: ,Nimm dein Gold und gib den Fisch her, der anderen Leuten gehört! Dienen andere Leute dir etwa zum Spott?' Als der Jude seine Worte vernahm, glaubte er, Chalîfa scherze mit ihm, und gab ihm noch zwei Dinare zu dem ersten hinzu. Doch der Fischer sprach zu ihm: ,Gib den Fisch her ohne Scherz! Woher kannst du wissen, daß ich den Fisch um diesen Preis verkaufe?' Nun ergriff der Jude wieder zwei Dinare mit der Hand und sprach: ,Nimm diese fünf Dinare als Preis für den Fisch und laß ab von der Habgier!' Chalîfa nahm sie in seine Hand und ging mit ihnen davon voller Freuden; dabei starrte er das Gold an und rief in seinem Staunen: ,Gott sei gepriesen! Der Kalif von Baghdad hat sicher nicht so viel, wie ich heute habe!' Und er ging dahin, bis er das Ende der Marktstraße erreichte; da aber dachte er wieder an die Worte des Affen und an den Auftrag, den der ihm gegeben hatte, und so kehrte er noch einmal zum Juden zurück. Er warf ihm das Gold hin, und da sagte der Wechsler: ,Was ist das mit dir, Chalîfa2 Was willst du denn



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haben? Willst du deine Dinare in Dirhems umwechseln?' Doch jener rief: ,Ich will weder Dirhems noch Dinare; ich will nur, daß du mir den Fisch herausgibst, der anderen Leuten gehört.' Da ward der Jude zornig und schrie ihn an mit den Worten: ,Du Fischer, du bringst mir da einen Fisch, der nicht einen Dinar wert ist, und ich gebe dir dafür fünf Dinare, und du bist noch nicht zufrieden? Bist du denn besessen? Sage mir, für wieviel willst du ihn verkaufen?' Chalîfa gab ihm zur Antwort: ,Ich verkaufe ihn weder um Silber noch um Gold, ich verkaufe ihn nur für zwei Worte, die du mir sagen sollst.' Als der Jude ihn von zwei Worten' reden hörte, traten ihm die Augen aus dem Schädel heraus, sein Atem ging schwer, und er knirschte die Zähne hin und her; und er rief: ,O du Abschaum der Muslime, willst du, daß ich um deines Fisches willen meinen Glauben aufgebe, und willst du mich abwendig machen von dem Bekenntnis und der Überzeugung, die ich von meinen Vorfahren ererbt habe?' Dann rief er nach seinen Dienern, und als die vor ihm erschienen, sprach er zu ihnen: ,He, ihr da, ergreift diesen Unglückskerl, zerschlägt ihm mit Hieben den Nacken und laßt die bittersten Schmerzen der Schläge ihn zwacken!' Da fielen sie mit Schlägen über ihn her und prügelten ihn so lange, bis er unter den Ladentisch fiel; nun rief der Jude ihnen zu: ,Laßt ab von ihm, damit er wieder aufstehen kann!' Chalîfa jedoch sprang auf, als ob ihm nichts geschehen sei; und der Jude sprach zu ihm: ,Sage mir, was willst du als Preis für diesen Fisch haben? Ich will ihn dir geben; denn du hast jetzt gerade nichts Gutes von mir erhalten.' Der Fischer gab ihm zur Antwort: ,Mache dir keine Sorgen wegen der



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Schläge, Meister! Ich kann so viel Schläge vertragen wie zehn Esel.' Über diese Worte mußte der jude lachen, und er sprach zu ihm: ,üm Gottes willen, sage mir, was du haben willst, ich will es dir -bei meinem Glauben -geben!' Darauf erwiderte der Fischer: ,Als Preis für diesen Fisch wird mich nichts von dir zufrieden stellen außer den beiden Worten!' Der jude fuhr fort: ,Mich deucht, du verlangst von mir, ich solle Muslim werden.' ,Bei Allah,' rief nun Chalîfa, ,wenn du, o Jude, zum Islam übertrittst, so wird dein Bekenntnis weder den Muslimen nützen noch den Juden schaden. Und wenn du in deinem Unglauben beharrst, so schadet er nicht den Muslimen noch auch nützt er den Juden. Nein, was ich von dir wünsche, ist dies, daß du dich erhebest und sprichst: Bezeuget mir, o ihr Leute des Marktes, daß ich meinen Affen gegen den Affen des Fischers Chalîfa umtausche und mein Los in der Welt gegen sein Los, mein Glück gegen sein Glück!' Der Jude erwiderte darauf: ,Wenn das dein Wunsch ist, so ist es für mich ein leichtes.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 835. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jude zum Fischer Chalîfa sprach: ,Wenn das dein Wunsch ist, so ist es für mich ein leichtes.' Und sogleich erhob sich der Jude, und als er auf seinen Füßen stand, sprach er die Worte, wie sie der Fischer Chalîfa ihm gesagt hatte; dann wandte er sich zu ihm und sprach zu ihm: ,Hast du sonst noch etwas von mir zu forderen? ,Nein', erwiderte der Fischer; und der Jude sagte: ,So zieh hin in Frieden!' Zur selbigen Stunde machte Chalîfa sich auf, nahm seinen Korb und sein Netz und begab sich zum Tigrisfluß; dort warf er das Netz aus, und als er es wieder heraufzog,



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fand er, daß es schwer war, und er konnte es nur mit Mühe heraufholen. Als er es aber an Land gebracht hatte, sah er, daß es gefüllt war mit Fischen von allen Arten. Da kam auch schon eine Frau auf ihn zu, die eine Schüssel trug; sie gab ihm einen Dinar, und er gab ihr Fische dafür. Nach ihr kam auch noch ein Eunuch zu ihm und kaufte ihm gleichfalls für einen Dinar Fische ab; und so ging es weiter, bis er für zehn Dinare Fische verkauft hatte. Dann verkaufte er täglich für zehn Dinare, zehn Tage lang, bis er hundert Golddinare zusammengebracht hatte.

Nun wohnte dieser Fischer in einem Raume an einer Stätte. wo die Kaufleute vorbeigingen. Und während er eines Nachts dort in seinem Gemache lag, sagte er bei sich selber: ,Du, Chalîfa, alle Leute kennen dich als einen armen Fischersmann; du hast aber jetzt hundert goldene Dinare. Sicherlich wird der Beherrscher der Gläubigen Harûn er-Raschîd durch irgendwelche Leute von dir hören; und vielleicht hat er gerade Geld nötig und wird dich holen lassen und zu dir sagen: ,Ich brauche eine Summe von Dinaren; und mir ist berichtet worden, daß du hundert Dinare besitzest; leih sie mir!' Dann werde ich sagen: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich bin ein armer Mann, und wer dir berichtet hat, ich hätte hundert Dinare, der hat über mich gelogen. Die habe ich nämlich nicht, und ich habe auch nichts dergleichen.' Dann wird er mich dem Wachthauptmann überantworten und zu ihm sagen: ,Zieh ihm die Kleider aus und foltere ihn mit Schlägen, bis er bekennt und die hundert Dinare, die er hat, hergibt.' Also scheint es mir, das Beste, was ich tun kann, um mich gegen diese Gefahr zu schützen, ist dies, daß ich mich sofort daran mache und mich selbst mit der Geißel foltere, damit ich schon an die Schläge gewöhnt bin.' Und so sprach sein Haschischrausch zu ihm:



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,Auf! zieh deine Kleider aus!' Sofort sprang er auf, legte seine Kleider ab und nahm eine Geißel. die er besaß, in die Hand. Er hatte aber auch ein ledernes Kissen: und nun führte er abwechselnd einen Schlag auf jenes Kissen und auf seine eigene Haut, indem er rief: ,Ach! Ach! Bei Allah, das ist nicht wahr, mein Gebieter, sie lügen von mir, ich bin ein armer Fischersmann, ich besitze nichts von den eitlen Gütern dieser Welt!' Nun hörten die Leute, wie der Fischer Chalîfa sich selber geißelte und mit der Geißel auf das Kissen schlug; denn dadurch, daß die Schläge auf seinen Leib und auf das Kissen niedersausten, entstand Lärm in der Stille der Nacht. Unter denen, die ihn hörten, waren auch die Kaufleute, und die sprachen: ,Was ist wohl mit diesem armen Kerl, daß er so schreit? Wir hören auch die Hiebe auf ihn niederfallen. Sind etwa Räuber bei ihm eingebrochen, und sind sie es, die ihn so mißhandeln?' Da machten sich denn alle auf, weil sie den Schall der Schläge und das Geschrei hörten, und sie kamen aus ihren Wohnungen hervor und begaben sich zu der Kammer Chalîfas, aber sie fanden sie geschlossen. Nun sagten sie zueinander: ,Vielleicht sind die Räuber von rückwärts durch die Halle bei ihm eingedrungen; wir müssen aufs Dach klettern.' Deshalb stiegen sie auf das Dach und kletterten durch die Dachluke hinunter. Da sahen sie ihn nackt, wie er sich selbst geißelte, und sie sprachen zu ihm: ,Was ist dir, Chalîfa? Was ist mit dir geschehen?' Er gab ihnen zur Antwort: ,Wisset, ihr Leute, ich habe einige Dinare verdient, und ich fürchte, die Kunde davon wird dem Beherrscher der Gläubigen Harûn er-Raschîd hinterbracht werden, und dann wird er mich vor sich kommen lassen und diese Dinare von mir verlangen; dann werde ich leugnen, und wenn ich leugne, so fürchte ich, er wird mich foltern lassen. Nun foltere ich mich also selber, um mich an das zu gewöhnen, was



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da kommen wird.' Die Kaufleute lachten ihn aus und sprachen zu ihm: ,Laß doch solche Narreteien! Allah segne dich nicht, noch die Dinare, die du verdient hast! Du hast uns in dieser Nacht wirklich beunruhigt und unsere Herzen erschreckt.' Da hörte Chalîfa auf, sich zu geißeln, und schlief bis zum Morgen. Als er sich dann aus dem Schlafe erhob und an seine Arbeit gehen wollte, dachte er an die hundert Dinare, die in seinem Besitz waren, und er sprach bei sich selber: ,"Wenn ich die zu Hause lasse, so werden die Diebe sie stehlen; und wenn ich sie in einen Gürtel um meinen Leib tue, so wird sie vielleicht jemand bemerken und mir auflauern, bis ich an einsamer Stelle fern von den Menschen allein bin, und mich töten und mir das Geld abnehmen. Aber ich habe einen Plan, der ist fein, der ist ganz vortrefflich!' Und er machte sich auf der Stelle daran, sich eine Tasche im Kragen seines Kittels zu nähen; und er band die hundert Dinare in einen Beutel und steckte ihn in die Tasche. die er gemacht hatte. Dann ging er hin, holte sein Netz und seinen Korb und seinen Stab und machte sich auf den Weg, bis er zum Tigrisflusse kam. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 836. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fischer Chalîfa, nachdem er die hundert Dinare in seine Tasche gesteckt hatte, seinen Korb und seinen Stab und sein Netz nahm und zum Tigrisflusse ging; dort warf er sein Netz aus, doch als er es herauszog, hatte er nichts darin gefangen. Darauf begab er sich von jener Stätte an eine andere und warf an ihr sein Netz von neuem aus; aber wiederum kam es leer hoch. Und dann wanderte er von Ort zu Ort, bis er eine halbe Tagereise weit von Baghdad entfernt war; immer warf er das Netz aus, ohne etwas



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zu fangen. Da sprach er zu sich: ,Bei Allah, ich will mein Netz nur noch dies eine Mal ins Wasser werfen, mag mir ein Fang glücken oder nicht.' Und er schleuderte das Netz mit all seiner Kraft und in all seiner Wut hinaus; und siehe, da flog der Beutel mit den hundert Dinaren aus seinem Kragen und fiel mitten in den Strom hinein und wurde von der starken Strömung fortgetragen. Rasch warf Chalîfa das Netz aus der Hand, zog seine Kleider aus, ließ sie am Ufer zurück, sprang in den Strom und tauchte hinter dem Beutel her. Immer wieder tauchte er unter und wieder auf, wohl an die hundert Male, bis seine Kraft ermattete und er ganz erschöpft auftauchte, ohne jenen Beutel gefunden zu haben. Wie er nun die Hoffnung auf ihn verloren gab, kam er wieder ans Ufer, und dort fand er nur den Stock, das Netz und den Korb; als er aber nach seinen Kleidern suchte, fand er keine Spur von ihnen. Da sprach er bei sich selber: ,Das ist doch der gemeinste von denen, für die das Sprichwort geprägt ward: Die Pilgerfahrt ist nicht vollkommen ohne die Paarung mit dem Kamel."Darauf breitete er das Netz aus und schlang es sich um den Leib; den Stock nahm er in die Hand. den Korb auf die Schulter und lief von dannen, indem er wie ein brünstiges Kamel trabte und bald nach rechts, bald nach links, bald rückwärts, bald vorwärts rannte, mit wirrem Haar und staubbedeckt, gleich als wäre er ein rebellischer Dämon, aus Salomos Kerker logelassen. So viel von dem Fischer Chalîfa!

Nun wende unsere Erzählung sich zu dem Kalifen Harûn er-Raschîd! Der hatte einen Freund, einen Juwelier, des Namens Ibn el-Kirnâs; und alle Leute, Kaufherren, Makler und



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Unterhändler wußten, daß Ibn el-Kirnâs der Kaufmann des Kaufen war. Alles, was in der Stadt Baghdad an Kostbarkeiten und seltenen Dingen jeder Art verkauft wurde, konnte nicht eher zum Verkauf kommen, als bis es ihm gezeigt wurde; dazu gehörten auch die Mamluken und die Sklavinnen. Eines Tages, als jener Kaufmann, der da Ibn el-Kirnâs genannt war, in seinem Laden saß, kam der Scheich der Makler zu ihm mit einer Sklavin, wie sie noch kein Auge je erblickt hatte, vollkommen an Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit; und zu ihren Vorzügen gehörte auch, daß sie in allen Wissenschaften und Künsten bewandert war, daß sie Verse zu dichten und alle Musikinstrumente zu spielen verstand. Ibn el-Kirnâs, der Juwelier, kaufte sie um fünftausend Golddinare, kleidete sie für tausend Dinare ein und brachte sie dem Beherrscher der Gläubigen. Sie blieb jene Nacht über bei ihm; und der Kalif prüfte sie in jeder Wissenschaft und in jeder Kunst und fand, daß sie in allen Zweigen des Wissens und Könnens erfahren war, ohnegleichen in ihrer Zeit. Ihr Name aber war Kût el-Kulûb, und sie war, wie der Dichter sagt:

Den Blick wend ich zurück, sooft sie sich enthüllet;
Sie weist zurück, wenn sie dem Blicke sich versagt.
Ihr Hals gleicht dem des Rehs, sooft sie sich nur wendet;
,Das Reh hat manche Wendung', ward schon oft geklagt.

Doch wo bleibt dies neben den Worten eines anderen:

Wer bringt mir eine Braune von vielbesung'nem Wuchse,
Der braunen, schlanken Speeren vom Samhar-Rohre 1 gleicht,
Mit sehnsuchtsvollen Lidern und seidenweichem Flaume.
Die aus dem wunden Herzen des Liebsten nie entweicht?

Als es wieder Morgen ward, schickte der Kalif Harûn er-Raschîd nach dem Juwelier Ibn el-Kirnâs; und als der vor ihm



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erschien, wies er ihm zehntausend Dinare als Preis für jene Sklavin an. Das Herz des Kalifen aber ward ganz von jener Sklavin, die Kût el-Kulûb geheißen war, eingenommen; er vernachlässigte die Herrin Zubaida Hint el-Kâsim, die Tochter seines Oheims, und vernachlässigte auch alle seine Odalisken. Einen ganzen Monat lang ging er nicht von jener Sklavin fort außer zum Freitagsgebet; aber auch dann kehrte er sogleich zu ihr zurück. Die Großen des Reiches waren darüber ungehalten, und sie führten deshalb Klage bei dem Wesir Dscha'far, dem Barmekiden. Der Wesir hatte Geduld mit dem Beherrscher der Gläubigen, bis es wieder Freitag ward; dann ging er in die Moschee, und als er mit dem Beherrscher der Gläubigen zusammentraf, erzählte er ihm alles, was er an Geschichten vernommen hatte, die mit seltsamer Liebe zusammenhängen, um ihn so von dem abzulenken, was ihm im Sinne lag. Da sprach der Kalif zu ihm: ,O Dscha'far, bei Allah, dies ist nicht durch meinen freien Willen geschehen; mein Herz ist im Netze der Liebe gefangen, und ich weiß nicht, was ich tun soll.' Der Wesir Dscha'far erwiderte ihm: ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, diese Odaliske Kût el-Kulûb ist jetzt dein Eigentum geworden, und sie gehört zur Zahl deiner Dienerinnen; was aber die Hand besitzt, danach begehrt die Seele nicht mehr. Doch ich möchte dir noch etwas anderes sagen; und das ist dies: der höchste Ruhm der Könige und Prinzen ist es, wenn sie sich tummeln im Jagdrevier und sich üben im Spiel und Turnier. Wenn du das tust, so wirst du dadurch von ihr abgelenkt werden, und vielleicht wirst du sie vergessen.' ,Gut ist, was du sagst, o Dscha'far,' sprach der Kalif, ,laß uns sogleich noch in dieser Stunde zur jagd aufbrechen!' Als nun das Freitagsgebet beendet war, verließen die beiden die Moschee, saßen alsbald auf und zogen aus zu Jagd und Hatz. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 837. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif Harûn er-Raschîd und Dscha'far, nachdem sie zu Jagd und Hatz ausgeritten waren, ihres Weges dahinzogen, bis sie ins offene Land kamen. Beide, der Beherrscher der Gläubigen und der Wesir Dscha'far, waren auf Maultieren beritten, und da sie in das Gespräch miteinander vertieft waren, so eilte das Geleit ihnen voraus. Bald aber ward ihnen die Hitze allzu groß, und da sagte er-Raschîd: ,Dscha'far, ich bin sehr durstig geworden.' Dann schaute er sich um und erblickte auf einem hohen Hügel eine Gestalt; da fragte er den Wesir: ,Siehst du, was ich sehe?' Jener antwortete: ,Ja, o Beherrscher der Gläubigen, ich sehe eine Gestalt auf einem hohen Hügel. Das ist entweder ein Gartenhüter oder der Wächter eines Gurkenfeldes. Auf jeden Fall wird es in seiner Nähe nicht an Wasser mangeln.' Und er fügte hinzu: ,Ich will zu ihm hingehen und dir Wasser von dort holen.' Doch er-Raschîd sagte: ,Mein Maultier ist rascher als deins; darum bleib du hier um des Geleites willen. Indessen will ich selbst hinreiten und bei dem Manne Wasser trinken und dann zurückkehren.' Alsbald spornte er sein Maultier an, und das schoß dahin wie der sausende Wind oder wie Wasser, das im Sturzbach rinnt; und so stob es weiter, bis der Kalif bei jener Gestalt ankam, und das war nur ein Augenblick. In der Gestalt aber trat ihm der Fischer Chalîfa entgegen. Und er-Raschîd sah, wie er nackt dastand, nur in ein Fischernetz gehüllt; er sah seine hochroten Augen wackeln, als wären sie zwei Feuerfackeln; es war ein Bild, vor dem ihm graute, als jener vornüber schaute, mit Staub bedeckt und wirrem Haar, als wäre er ein Löwe oder



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ein Dämon gar. Als er-Raschîd ihn grüßte, erwiderte er den Gruß; doch er war voll Wut, und man hätte Feuer entzünden können an seines Atems Glut. Dann fragte ihn der Kalif: ,Mann, hast du vielleicht Wasser bei dir?' Chalîfa erwiderte: ,Du da. bist du blind oder verrückt? Dort ist der Tigrisfluß vor dir, hinter diesem Hügel.' So ritt er-Raschîd denn um den Hügel herum und zum Tigrisflusse hinab; dort trank er und tränkte sein Maultier. Dann kam er sofort wieder herauf und kehrte zu dem Fischer Chalîfa zurück und sprach zu ihm: ,Was ist dir, Mann, daß du hier stehst? Was für ein Gewerbe hast du?' Jener gab ihm zur Antwort: ,Diese Frage ist noch absonderlicher und merkwürdiger als deine Frage nach Wasser! Siehst du denn nicht das Gerät meines Gewerbes auf meiner Schulter?' Da fragte ihn der Kalif: ,Bist du etwa ein Fischer?' ,Jawohl', erwiderte jener; und er-Raschîd fuhr fort: ,Wo ist dein Kittel? Wo ist dein Rock? Wo ist dein Gürtel? und wo sind deine anderen Kleider?' Nun waren das eben die Dinge, die dem Fischer gestohlen waren, genau so wie der Kalif sie genannt hatte, Stück für Stück. Und als Chalîfa den Kalifen so reden hörte, glaubte er in seinem Sinne, jener sei der Mann, der ihm seine Kleider am Ufer des Flusses gestohlen habe. Da lief er denn sofort von dem Hügel herunter, schneller als der blendende Blitz, fiel dem Maultier des Kalifen in die Zügel und schrie ihn an: ,Mann, her mit meinen Sachen! Laß das Scherzen und Spaßen!' Doch er-Raschîd antwortete: ,Bei Allah, ich habe deine Kleider nicht gesehen, und ich weiß nichts von ihnen!' Weil der Kalif dicke Wangen und einen kleinen Mund hatte, so sprach der Fischer zu ihm: ,Vielleicht bist du von Beruf ein Sänger oder ein Flötenspieler. Doch das ist gleich, gib mir meine Sachen, wie sie sind, sonst schlage ich dich mit diesem Stock so mächtig, daß du dein Wasser auf



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dich laufen läßt und deine Kleider besudelst!' Als der Kalif sah, daß der Fischer Chalîfa den Stock in Händen hatte und ihm überlegen war, sagte er sich: ,Bei Allah, ich kann von diesem wahnsinnigen Bettler auch nicht einen halben Schlag mit diesem Stock ertragen.' Er trug aber ein Obergewand aus Atlas; das legte er ab, und dann sprach er zu Chalîfa: ,Mann, nimm dies Gewand an Stelle deiner Kleider!' Der Fischer nahm es, drehte es hin und her und sagte: ,Meine Kleider sind zehnmal soviel wert wie der bunte Mantel da!' Doch der Kalif entgegnete: ,Zieh ihn an, bis ich dir deine Kleider bringe!' Chalîfa legte das Gewand, das er genommen hatte, an und sah, daß es ihm zu lang war; da ergriff er ein Messer, das er bei sich hatte und das an den Henkel seines Korbes angebunden war, und schnitt damit unten an dem Gewande etwa ein Drittel des Ganzen ab, sodaß es ihm bis eben unter die Kniee reichte. Dann wandte er sich zu er-Raschîd und sprach zu ihm: ,üm Allahs willen, Pfeifer, sag mir, wie hoch ist dein Lohn im Monat bei deinem Meister für das Flötenspiel?' Der Kalif antwortete ihm: ,Mein Lohn beträgt in jedem Monat zehn Golddinare.' Und Chalîfa fuhr fort: ,Bei Allah, armer Kerl, du tust mir leid. So wahr Gott lebt, die zehn Dinare verdiene ich jeden Tag! Willst du nicht bei mir in Dienst treten? Ich will dich die Kunst des Fischfangens lehren und den Gewinn mit dir teilen. Dann kannst du jeden Tag fünf Dinare verdienen; du bist dann mein Diener, und ich schütze dich mit diesem Stock gegen deinen Meister.' ,Ich bin es zufrieden', gab er-Raschîd zur Antwort; und Chalîfa sagte darauf: ,Steig jetzt ab von der Eselin und binde sie an, damit sie uns später dazu dient, die Fische zutragen; und du komm her, ich will dich sogleich das Fischen lehren!' Alsbald stieg der Kalif von dem Rücken seiner Mauleselin, band sie fest und schürzte seine Säume in seinen



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Gürtel. Chalîfa aber rief ihm zu: ,He, Pfeifer, fasse dies Netz so an, lege es so über deinen Unterarm und wirf es so in den Tigris!' Da faßte der Kalif sich ein Herz, tat, wie der Fischer es ihm gezeigt hatte, warf das Netz in den Strom und zog daran, vermochte es aber nicht heraufzuziehen. Nun eilte Chalîfa herbei und zog mit ihm daran; aber auch die beiden konnten es nicht einholen. Und Chalîfa rief: ,O du Unglückspfeifer, ich hab deinen Mantel für meine Kleider genommen beim ersten Male, aber diesmal will ich deine Eselin für mein Netz nehmen, und wenn ich sehe, daß es zerrissen ist, so verprügle ich dich, daß dein Wasser auf dich fließt und du dich besudelst.' Doch er-Raschîd sprach zu ihm: ,Laß uns beide zugleich anziehen!' Da zogen die beiden selbander; aber sie konnten jenes Netz nur mit großer Mühe ans Ufer bringen. Und als sie es endlich hochgezogen hatten, schauten sie es an, und siehe, es war voll von Fischen aller Art und jeglicher Farbe. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 838. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fischer Chalîfa und der Kalif, nachdem sie das Netz eingeholt hatten, es voll von Fischen jeglicher Art fanden. Da rief Chalîfa: ,Bei Allah, Pfeifer, du bist zwar häßlich; aber wenn du dich auf den Fischfang verlegst, so wirst du einmal ein berühmter Fischer werden. Und jetzt ist es das beste, wenn du auf deine Eseln steigst und auf den Markt reitest und zwei Körbe holst; ich will so lange auf die Fische hier achten, bis du wiederkommst, und dann wollen wir sie auf die Eseln laden. Ich habe die Waage und die Pfundgewichte und alles, was wir brauchen; dann können wir das Ganze mit uns nehmen, und du hast nichts zu tun, als die Waage zu halten und die Preise



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einzustecken. Wir haben jetzt Fische, die zwanzig Dinare wert sind; also beeile dich, die Körbe zu bringen, und bleib mir nicht zu lange fort!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Kalif. ließ den Fischer bei den Fischen und ritt eilends auf seiner Mauleseln davon; dabei war er höchst vergnügt und mußte immer über sein Abenteuer mit dem Fischer lachen, bis er wieder zu Dscha'far kam. Als der ihn erblickte, sprach er zu ihm: ,O Beherrscher der Gläubigen, du hast wohl, als du zum Trinken gingst, einen schönen Garten gefunden und bist hineingegangen und hast allein in ihm gelustwandelt.' Wie er-Raschîd die Worte des Ministers hörte, lachte er von neuem; und nun kamen alle Barmekiden und küßten den Boden vor ihm und sprachen zu ihm: ,O Beherrscher der Gläubigen, Allah mache dir die Freuden von langer Dauer und behüte dich vor aller Trauer! Was war der Grund deines langen Ausbleibens, als du zum Trinken gingst, und was ist dir begegnet?' Der Kalif erwiderte ihnen: ,Ich hatte ein seltsames Erlebnis. ein vergnügliches, wunderbares Begebnis.' Dann erzählte er ihnen von dem Fischer Chalîfa, was er mit ihm erlebt hatte und wie der zu ihm gesagt hatte: ,Du hast mir meine Kleider gestohlen'; wie er dem Fischer sein Obergewand gegeben und wie jener ein Stück davon abgeschnitten hatte, als er sah, daß es ihm zu lang war. Da rief Dscha'far: ,Bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, ich hatte schon im Sinne, dich um das Gewand zu bitten; jetzt aber will ich sofort zu dem Fischer eilen und es ihm abkaufen.' Doch der Kalif sprach zu ihm: ,Bei Allah, er hat am unteren Ende ein Drittel des Ganzen abgeschnitten und es so verdorben. Aber, Dscha'far, ich bin müde von meiner Fischerei im Strom, denn ich habe viele Fische gefangen; die hab ich am Ufer des Stromes bei meinem Meister Chailfa liegen lassen, und er steht noch dort und wartet auf mich, daß ich



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zu ihm zurückkehre und ihm zwei Körbe bringe und dazu noch das Hackmesser.' Dann sollen wir beide, ich und er, auf den Markt gehen und die Fische verkaufen und Erlös dafür teilen.' Da hub Dscha'far an: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich will euch jemanden bringen, der von euch kauft.' Doch der Kalif sprach: ,O Dscha'far, bei meinen reinen Vorfahren, wer nur immer mir einen von den Fischen bringt, die vor Chalîfa liegen, jenem Manne, der mich das Fischen gelehrt hat, dem gebe ich einen Golddinar dafür!' Und nun verkündete der Ausrufer unter dem Gefolge: ,Gehet hin und kauft Fische für den Beherrscher der Gläubigen!' Alsbald machten die Mamluken sich auf und eilten zum Ufer des Stromes; und während Chalîfa auf den Beherrscher der Gläubigen wartete, daß er ihm zwei Körbe brächte, da stürzten plötzlich die Mamluken wie die Geier über ihn her, rissen die Fische an sich und taten sie in Tücher, die mit Gold durchwirkt waren, indem sie sich darum schlugen, zu ihm zu gelangen. Chalîfa rief: ,Diese Fische gehören sicher zu den Fischen des Paradieses!' Darauf nahm er zwei Fische in die rechte Hand und zwei in die linke, lief bis an den Hals in das Wasser und rief: ,O Allah, um dieser Fische willen laß deinen Knecht, den Pfeifer, meinen Teilhaber, in diesem Augenblick zu mir kommen!' Doch da trat plötzlich ein schwarzer Sklave auf ihn zu; das war der Oberste von allen schwarzen Sklaven, die der Kalif besaß, und der Grund, weshalb er hinter den Mamluken zurückgeblieben war, war der, daß sein Roß unterwegs stehen geblieben war, um Wasser zu lassen. Als der nun zu der Stätte Chalîfas ankam und dort keine Fische mehr fand, weder wenig noch viel, schaute er nach rechts und nach links und sah den Fischer Chalîfa im Wasser



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stehen mit seinen Fischen. Und er rief ihm zu: ,Du Fischer, komm!' Aber der entgegnete ihm: ,Geh weg, und sei nicht aufdringlich!' Darauf trat der Eunuch näher zu ihm heran und sprach: ,Her mit den Fischen da, ich will dir den Preis bezahlen.' Doch Fischer Chalîfa erwiderte dem Eunuchen: ,Bist du kurz von Verstand? Ich verkaufe sie nicht.' Da schwang der Schwarze seine Keule wider ihn; und Chalîfa schrie ihm zu: ,Schlag nicht, du Wicht! Das Geschenk ist besser als die Keule!' Dann warf er ihm die Fische zu, der Eunuch ergriff sie, legte sie in sein Tuch und steckte seine Hand in die Tasche. Als er darin aber keinen einzigen Dirhem fand, sprach er: ,Du Fischer, du hast Unglück; denn bei Allah, ich habe gar kein Geld bei mir. Aber komm morgen in den Palast des Kalifen und sprich: ,Führt mich zu dem Eunuchen Sandal.' Dann werden dich die Eunuchen zu mir führen, und wenn du dort zu mir kommst. so wird dir von mir zuteil werden, was dir bestimmt ist, und darauf kannst du wieder deiner Wege gehen.' ,Ach ja,' rief jetzt der Fischer, ,dieser Tag ist gesegnet; sein Segen zeigte sich von Anfang an!' Alsdann nahm er sein Netz auf die Schulter und ging weiter, bis er nach Baghdad zurückkam. Wie er dort durch die Straßen schritt, sahen die Leute das Gewand des Kalifen an ihm und starrten ihm nach, bis er in das Viertel kam. an dessen Eingangstor der Laden des Schneiders des Beherrschers der Gläubigen lag. Als der Schneider den Fischer Chalîfa sah, angetan mit einem Gewande, das tausend Dinare wert war und das zu den Kleidern des Kalifen gehörte, rief er: ,He, Chalîfa, woher hast du dies Gewand?' Der Fischer antwortete ihm: ,Was bist du so vorwitzig? Ich habe es von dem erhalten, dem ich das Fischen beigebracht habe und der mein Lehrling geworden ist. Ich habe ihm den Verlust seiner Hand erspart';



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denn er hatte meine Kleider gestohlen, und dafür hat er mir diesen Mantel gegeben.' Nun erkannte der Schneider, daß der Kalif ihm begegnet war, als er fischte, und daß er mit ihm seinen Scherz getrieben und ihm das Gewand gegeben hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 839. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Schneider erkannte, daß der Kalif dem Fischer Chalîfa begegnet war, als er fischte, und mit ihm seinen Scherz getrieben und ihm das Gewand gegeben hatte. Darauf begab sich der Fischer nach Hause.

Wenden wir uns nun wieder von ihm zu dem Kalifen Harûn er-Raschîd! Der war damals ja nur deshalb zu Jagd und Hatz ausgeritten, damit er von der Sklavin Kût el-Kulûb abgelenkt würde. Inzwischen war Zubaida, als sie von der Sklavin hörte und von der Liebe des Kalifen zu ihr, von dem ergriffen, was die Frauen ergreift, von der Eifersucht, und zwar so sehr, daß sie Speise und Trank verweigerte und sich den süßen Schlaf versagte. Und sie hatte nur darauf gewartet, daß der Kalif einmal abwesend oder verreist wäre, um Kût el-Kulûb in eine tückische Falle zu locken. Und als sie damals erfahren hatte, daß der Kalif zu Jagd und Hatz ausgeritten war, befahl sie den Sklavinnen, daß sie den Palast aufs schönste und prächtigste schmücken sollten; auch hielt sie Speisen und Süßigkeiten bereit und füllte unter anderm eine Porzellanschale mit dem allerfeinsten Zuckerwerk, in das sie Bendsch getan und das sie so vergiftet hatte. Dann befahl sie einem der Eunuchen, zu der Sklavin Kût el-Kulûb zu gehen und sie einzuladen, mit der Herrin Zubaida Hint el-Kâsim, der Gemahlin des Beherrschers der Gläubigen, zu speisen und ihr zu sagen: ,Die Gemahlin des Beherrschers der Gläubigen hat heute Arznei getrunken, und da sie



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von deiner lieblichen Stimme vernommen hat, so wünscht sie zu ihrer Unterhaltung etwas von deiner Kunst zu hören.' Darauf erwiderte die Sklavin: ,Ich höre und gehorche Allah und der Herrin Zubaida!' Und sie erhob sich sofort, ohne zu ahnen, was in der dunklen Zukunft für sie verborgen war; die Instrumente, deren sie bedurfte, nahm sie mit sich, und dann machte sie sich mit dem Eunuchen auf den Weg. Sie schritt dahin, bis sie zur Herrin Zubaida eintrat, und als sie zu ihr hereingekommen war, küßte sie den Boden vor ihr viele Male. Danach erhob sie sich wieder und sprach: ,Mit der Herrin der wohlbehüteten Erhabenheit und der majestätischen Unnahbarkeit, dem Sproß der Abbasiden, der Prophetentochter, sei der Frieden! Von Allah werde dir Glück und Heil in allen Tagen und Jahren zuteil!' Dann trat sie unter die Sklavinnen und Eunuchen; und nun hob die Herrin Zubaida ihr Haupt zu ihr empor und schaute auf ihre Schönheit und Anmut. Da erblickte sie eine herrliche Maid: ihre Wangen waren rund und weich, ihre Brüste den Granatäpfeln gleich; ihr Antlitz strahlte im Vollmondschein, ihre Stirne war blütenrein, ihre Augen schauten tiefdunkel drein; versonnen senkten sich ihre Lider. doch heller Glanz schien von ihrem Angesicht wider; als höbe sich von ihrer Stirn die Sonne empor und als bräche das Dunkel der Nacht aus ihren Locken hervor; als hauchte ihr Odem Moschus duft aus und als blühte auf ihren Wangen ein Blumenstrauß. Es war, als ginge der Mond aus ihrer Stirn auf und als beugte sich ein Zweig in ihrer schwanken Gestalt; sie glich dem vollen Mond, der im Dunkel der Nacht am Himmel thront. Aus ihren Augen sprach der Liebe Gewalt, ihre Brauen waren von Bogengestalt, während ihrer Lippen Paar aus Korallen gebildet war. So geschah es, daß sie jeden, der sie erblickte, durch ihre Schönheit verwirrte und jeden, der sie schaute,



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durch ihre Blicke blendete - Ruhm sei Ihm, der sie schuf und bildete und vollendete! —und daß man auf sie die Worte des Dichters über eine, die ihr glich, anwendete:

Du siehst, wie Menschen sterben, wenn sie zürnet.
Und durch ihr Hold sein Leben wiederkehrt.
Aus ihren Augen wirft sie Zauberblicke
Und tötet und belebt, wen sie begehrt.
Sie nimmt die Menschen durch den Blick gefangen,
Als mußten sie an ihr gleich Knechten hangen.

Darauf sprach die Herrin Zubaida zu ihr: ,Willkommen, herzlich willkommen, o Kût el-Kulûb! Setze dich und unterhalte uns durch deine Kunst und dein schönes Können!' ,Ich höre und gehorche!' sprach die Sklavin, setzte sich, streckte ihre Hand aus und ergriff das Tamburin, von dem einer seiner Lobredner diese Verse gesungen hat:

Du mit dem Tamburin, mein Herz verging in Sehnsucht;
Es schreit, wenn du noch spielst, in seinem wilden Weh.
Du hast doch nur ein wundes Herze hingerissen;
Der Mensch begehrt, daß deine Hand nun stille steh.
Dann mögest du ein Wort, ob leicht, ob schwer, mir sagen;
Und spiele, was du willst, wenn nur dein Spiel beglückt!
Sei froh, enthülle deine Wangen, du mein Herzlieb!
Auf, tanze, wiege dich, entzücke, sei entzückt!

Dann schlug sie das Tamburin so lebhaft und sang so schön, daß die Vögel im Fluge innehielten, und daß der ganze Palast mit ihnen zu tanzen schien. Als sie aber das Tamburin aus der Hand gelegt hatte, nahm sie die Flöte, von der dieser Vers gedichtet ward:

In ihren Augen ist ein Kind', das mit den Fingern
Auf echte, schöne Weisen ohne Mißklang zeigt.



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Und wie auch der Dichter in diesem Verse sagt:

Verrät sie ihren Willen, Lieder uns zu spielen,
So ist die Zeit uns hold zu frohem Wiedersehen.

Darauf legte sie die Flöte nieder, nachdem sie alle, die zugegen waren, durch sie entzückt hatte, und griff zur Laute, von der ein Dichter sagt:

Wie mancher grüne Zweig ward zu des Mädchens Laute;
Ihm beuget sich der Edlen Schar von hohem Rang.
In ihrer hohen Kunst berührt die Maid und schlägt ihn
Mit ihren Fingern; ihn verschönt der Töne Klang.

Und sie stimmte die Saiten und straffte die Wirbel, legte die Laute in den Schoß und neigte sich darüber, wie eine Mutter sich über ihr Kind neigt; und es war, als ob der Dichter in diesen Versen von ihr und von ihrer Laute gesungen hätte:

Süß redet sie auf Saiten aus dem Perserland
Und macht verständlich, was man nie zuvor verstand.
Sie kündet, daß die Liebe nur ein Mörder ist
Und daß sie auch dem Muslim den Verstand zerfrißt.
Wie schön gestaltet ist, bei Gott, die Hand der Maid,
Die, ohne einen Mund, der Rede Klang verleiht!
Sie hält der Liebe Strom mit ihrer Laute an,
Gleichwie der kluge Arzt den Blutstrom stillen kann.

Sie spielte ein Vorspiel von vierzehn Weisen und sang ein ganzes Stück zur Laute, das die Zuschauer berückte und die Hörer entzückte. Darauf sang sie diese beiden Verse:

O Segen, daß ich zu dir kam!
Das brachte neue Fröhlichkeit
Und Glück, das nie ein Ende nahm.
Und unbegrenzte Seligkeit. 

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 840. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet



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worden, o glücklicher König, daß die Sklavin Kût el-Kulûb, nachdem sie vor der Herrin Zubaida diese Lieder gesungen und dazu die Saiten geschlagen hatte, nunmehr begann, Zaubereien und Taschenspielerkunststücke und allerlei schöne Handfertigkeiten vorzuführen, so daß die Herrin Zubaida sie fast lieb gewann und bei sich sprach: ,Mein Vetter er-Raschîd ist nicht zu tadeln, daß er sie liebt.' Nun küßte die Sklavin wiederum den Boden vor Zubaida und setzte sich nieder. Dann wurden ihr die Speisen aufgetragen und die Süßigkeiten gereicht, und dabei gab man ihr auch die Schale, in der das Bendsch war; und sie aß davon. Kaum war jedoch dies Zuckerwerk in ihren Magen gelangt, da sank ihr Kopf zurück, und sie fiel im Schlaf zu Boden. Die Herrin Zubaida aber sprach zu ihren Sklavinnen: ,Tragt sie in eine der Kammern, bis ich wieder nach ihr rufe!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie; und Zubaida sprach zu einem der Eunuchen: ,Mach mir eine Truhe und bring sie mir her!' Dann befahl sie, ein Scheingrab zu errichten und zu verbreiten, die Sklavin sei erstickt und gestorben; und sie drohte ihren nächsten Vertrauten, sie würde jedem, der da sage, Kût el-Kulûb sei am Leben, den Kopf abschlagen lassen. Da kehrte plötzlich, gerade zu jener Stunde, der Kalif von Jagd und Hatz zurück, und seine erste Frage galt der Sklavin. Einer seiner Eunuchen, den die Herrin Zubaida beauftragt hatte, er solle, wenn der Kalif nach seiner Sklavin frage, ihm sagen, daß sie gestorben sei, trat nun vor, küßte den Boden vor er-Raschîd und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, dein Haupt möge leben! Vernimm in Gewißheit, daß Kût el-Kulûb an einem Bissen erstickt und gestorben ist.' Da schrie der Kalif: ,Allah erfreue dich nie mit guter Botschaft, du Unglückssklave!' Darauf trat er in den Palast ein und hörte von allen, die im Schlosse waren, daß sie gestorben sei. Und als er fragte,



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wo ihr Grab sei, führte man ihn zu der Grabstätte, zeigte ihm das Grab, das zum Schein gemacht war, und sprach zu ihm: ,Dies ist ihre letzte Ruhestatt.' Und als er es sah, schrie er auf, umklammerte den Leichenstein und weinte und sprach diese Verse:

Bei Gott, o Grab, ging ihre Schönheit jetzt von dannen?
Und schwand der Glanz. der sonst in hehrem Licht erscheint?
O Grab, du bist für mich kein Garten und kein Himmel:
Wie kommt's, daß sich der Zweig hier mit dem Mond vereint?

Und wiederum weinte der Kalif bitterlich, und er blieb dort eine lange Weile; dann verließ er die Grabstätte in tiefer Trauer. Als die Herrin Zubaida nun wußte, daß ihre List geglückt war, sprach sie zu dem Eunuchen: ,Her mit der Truhe!' Der brachte sie, und Zubaida ließ die Sklavin herbeischaffen. und nachdem sie die Schlafende hineingelegt hatte, sprach sie zudem Eunuchen: ,Gib dir alle Mühe, die Truhe zu verkaufen. und mach es dem Käufer zur Bedingung, daß er sie verschlossen kauft; den Erlös aber verteile als Almosen!' Da nahm der Diener die Truhe und verließ die Herrscherin, um ihr Gebot zu erfüllen. So weit von jenen!

Sehen wir nun, wie es dem Fischer Chalîfa weiter erging! Als der Morgen sich einstellte und die Welt mit seinem Licht und Glanz erhellte, sprach er: ,Heute habe ich keine bessere Arbeit, als daß ich zu dem Eunuchen gehe, der mir die Fische abgekauft hat; denn er hat doch mit mir verabredet, ich sollte zu ihm in den Palast des Kalifen kommen.' Darauf trat er aus seiner Wohnstatt hinaus, um sich zum Kalifenschlosse zu begeben. Als er dort ankam, fand er die Mamluken und schwarzen Sklaven und Eunuchen, die da standen und saßen. Er schaute sie an, und siehe, da war auch der Eunuch. der ihm die Fische abgenommen hatte; der saß, und die weißen Sklaven warteten ihm auf. Zufällig rief einer von den Mamluken nach



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ihm, und als er sich umwandte, um zu sehen, wer gerufen habe, erblickte er plötzlich den Fischer. Und wie Chalîfa bemerkte, daß jener ihn gesehen und erkannt hatte, sprach er zu ihm: ,Ich hab nicht verfehlt, Tülpchen!' So halten es Leute von Wort.' Als der Eunuch seine Worte vernommen hatte, lachte er und erwiderte ihm: ,Bei Allah, du hast recht, Fischer!' Nun wollte der Eunuch Sandal ihm etwas geben und steckte schon seine Hand in die Tasche, da erscholl plötzlich ein großer Lärm. Rasch erhob er sein Haupt, um zu sehen, was es gäbe, und siehe, der Wesir Dscha'far, der Barmekide, kam gerade vom Kalifen. Als der Eunuch ihn erblickte, sprang er auf seine Füße vor ihm und ging vor ihm her; und die beiden begannen zu plaudern, indem sie umherwandelten, bis eine lange Zeit verstrichen war. Der Fischer Chalîfa aber stand derweilen da. während der Eunuch seiner nicht mehr achtete. Doch als ihm das Stehen zu lange währte, machte er sich ihm von ferne bemerkbar, winkte ihm mit der Hand und rief: ,Mein Herr Tülpchen, laß mich gehen!' Der Eunuch hörte ihn wohl, aber er schämte sich, ihm zu antworten, weil der Wesir Dscha'far bei ihm war, und so plauderte er weiter mit dem Minister, indem er sich stellte, als bemerke er den Fischer nicht. Doch der begann zu rufen: ,Du säumiger Zahler! Möge Allah jeden Grobian zuschanden werden lassen, jeden, der erst den Leuten ihre Ware abnimmt und sich nachher noch grob gegen sie benimmt! Ich stelle mich jetzt unter deinen Schutz, du mein Herr Kleiebauch', damit du mir gibst, was mir zukommt und ich gehen kann!' Der Eunuch hörte ihn, aber er schämte sich



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vor Dscha'far. Doch auch der Wesir sah, wie Chalîfa dem Eunuchen winkte und auf ihn einredete, obgleich er nicht verstand, was er sagte; so sprach er denn zu dem Eunuchen, dessen Benehmen ihm mißfiel: ,Was will dieser arme Bittsteller von dir?' Da fragte Sandal der Eunuch: ,Kennst du den dort nicht, o unser Herr Wesir?' ,Bei Allah, ich kenne ihn nicht,' antwortete der Minister, ,und woher sollte ich diesen Mann kennen, da ich ihn bis zu diesem Augenblick noch nie gesehen habe?' ,O unser Herr,' erwiderte der Eunuch, ,das ist ja der Fischer, dem wir am Ufer des Tigris die Fische weggenommen haben! Ich hatte keine Fische mehr vorgefunden, und ich schämte mich, mit leeren Händen zum Beherrscher der Gläubigen zurückzukehren, während alle Mamluken welche hatten. Aber als ich dorthin kam, fand ich den Fischer mitten im Flusse stehen, wie er zu Gott betete, mit vier Fischen in den Händen. Ich rief ihm zu: ,Her mit dem, was du bei dir hast, und nimm den Preis dafür!' Nachdem er mir die Fische gegeben hatte, steckte ich meine Hand in die Tasche und wollte ihm etwas geben; aber ich fand nichts darin. Deshalb sagte ich ihm: ,Komm zu mir ins Schloß; dort will ich dir etwas geben, mit dem du dir in deiner Armut helfen kannst.' Nun kam er heute zu mir, und ich griff wieder in meine Tasche und wollte ihm etwas geben, da kamst du gerade, und ich sprang auf, um dir aufzuwarten, so daß ich durch dich von ihm abgelenkt wurde; ihm ist die Sache aber zu lang geworden. Das ist seine Geschichte, und das ist der Grund, weshalb er hier steht.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 841. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Eunuch Sandal, als er dem Barmekiden Dscha'far das Erlebnis mit dem Fischer



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Chalîfa erzählt hatte, mit den Worten schloß: ,Dies ist seine Geschichte, und das ist der Grund, weshalb er hier steht.' Als der Wesir die Worte des Eunuchen vernommen hatte, lächelte er darüber und sprach: ,Du, Eunuch, wie ist es möglich, daß dieser Fischer hierher kommt, zur Zeit, da seine Forderung fällig ist, und du sie ihm nicht begleichst? Weißt du nicht, wer er ist, du Oberhaupt der Eunuchen?' ,Nein', erwiderte jener; und der 'Wesir fuhr fort: ,Er ist der Lehrmeister und der Teilhaber des Beherrschers der Gläubigen. Unserem Herrn, dem Kaufen, ist heute früh die Brust beklommen, das Herz betrübt und der Sinn bekümmert, und nichts wird ihm die Brust weit machen als eben dieser Fischer. Darum laß ihn nicht fortgehen, bis ich mit dem Kaufen über ihn spreche und ihn vor ihn führe! Dann wird Allah ihn vielleicht von seiner Trauer befreien und ihn durch die Anwesenheit des Fischers über den Verlust von Kût el-Kulûb trösten. Und der Herrscher wird ihm etwas geben, durch das er Hilfe findet, und du bist von alledem der Anlaß.' Der Eunuch gab ihm zur Antwort: ,Mein Gebieter, tu, was du wünschest, und Allah der Erhabene erhalte dich als einen Pfeiler für die Herrschaft des Beherrschers der Gläubigen —Er möge ihren Schatten lange dauern lassen und ihren Zweig und ihre Wurzel behüten!' Da machte der Wesir Dscha'far sich auf den Weg zum Kalifen, während der Eunuch den Mamluken befahl, den Fischer nicht zu verlassen. Doch der Fischersmann rief: ,Wie herrlich ist deine Güte, du Tülpchen! Der Suchende ist nun zum Gesuchten geworden! Ich bin gekommen. um mir mein Geld zu holen, und nun hat man mich eingesperrt wegen unbezahlter Steuern.'

Als Dscha'far zum Kalifen eintrat, fand er ihn dasitzen mit gesenktem Haupte und beklommener Brust und in trübe Gedanken versunken; dabei sang er die Dichterworte vor sich hin:



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Die Tadler quillen mich, ich soll mich ihrer trösten.
Was soll ich tun? Mein Herz hört nicht auf mein Gebot!
Wie kann ich bei der Liebe einer Maid mich fassen?
Gefaßte Liebe nützt mir nichts seit ihrem Tod.
Nein, ich vergeß sie nie, die mir den Becher brachte
Und mich durch ihrer Blicke Wein zum Trunknen machte!

Wie Dscha'far dann vor dem Kalifen stand, sprach er: ,Mit dir, o Beherrscher der Gläubigen, sei Frieden, mit dir, dem Hüter der Ehre des Glaubens hienieden, dem Sproß des Oheims des Herrn der Gottesgesandten - Allah segne ihn und gebe ihm Heil und all seinen Anverwandten!' Da hob der Herrscher sein Haupt und sprach: ,Auch mit dir sei Friede und die Gnade und der Segen Allahs!' Und Dscha'far fuhr fort: ,Mit der Erlaubnis des Beherrschers der Gläubigen möge sein Knecht ohne Rückhalt reden!' Darauf sagte der Kalif: ,'Wann ist dir je Zurückhaltung in der Rede auferlegt worden, dir, dem Herrn der Wesire? Sprich, was du willst!' Und nun hub der Wesir Dscha'far an: ,Siehe, ich ging hinaus von dir, o unser Gebieter, und wollte mich nach Hause begeben; doch da sah ich deinen Meister und Lehrer und Teilhaber, den Fischer Chalîfa, an der Tür stehen, wie er dir zürnte und sich über dich beklagte und sagte: ,O Gott im Himmel! Ich lehrte ihn den Fischfang, und er ging fort, um mir zwei Körbe zu holen; aber er kam nicht zurück zu mir! Das verträgt sich nicht mit der Teilhaberschaft noch auch mit der Würde der Lehrmeister!' Wenn du jetzt noch Lust zur Teilhaberschaft hast, so ist es gut; wenn nicht, so laß es ihn wissen, damit er sich einen anderen Teilhaber sucht als dich!' Wie der Kalif seine Worte vernahm, lächelte er, und seine Brust ward frei von allem Kummer. Dann sprach er zu Dscha'far: ,Bei meinem Leben, ich beschwöre dich, ist es wahr, was du sagst, daß der Fischer an der Tür steht?' ,Bei deinem



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Leben, o Beherrscher der Gläubigen, Dscha'far, ,er steht an der Tür!' Da sprach der Kalif: ,O Dscha'far, bei Allah, ich will mein Bestes tun, ihm sein Teil zukommen zu lassen! Wenn Allah ihm durch meine Hand Elend sendet. so soll er es haben; und wenn er ihm durch mich Glück zuteil werden läßt, so soll er das erhalten.' Darauf nahm er ein Blatt Papier, zerschnitt es in kleine Stücke und sprach: ,Dscha'far, schreib mit deiner Hand zwanzig Summen Geldes darauf, von einem Dinar bis zu tausend Dinaren; ferner auch die Ämter von Statthaltern und Emiren, von dem geringsten Amte bis zum Kalifat; dazu noch zwanzig Arten von Strafen, von der leichtesten Züchtigung bis zur Hinrichtung.' ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen!' erwiderte Dscha'far und beschrieb die Blätter mit eigener Hand, wie ihm der Kalif befohlen hatte. Danach hub der Kalif an: ,Dscha'far, ich schwöre bei meinen reinen Vorfahren und bei meiner Verwandtschaft mit Hamza und 'Aldi'. ich will den Fischer Chalîfa kommen lassen und ihm befehlen. eins von diesen Blättern zu nehmen, deren Inhalt niemand kennt außer mir und dir. Was darauf steht, das will ich ihm gewähren, ja sogar, wenn das Kalifat darauf steht, so will ich mich seiner entkleiden und es ihm übertragen und es ihm nicht mißgönnen. Wenn hingegen darauf steht, daß er gehängt oder verstümmelt oder sonstwie getötet werden soll, so will ich es an ihm zur Tat machen. Nun geh hin und bring ihn mir!' Als Dscha'far diese Rede hörte, sprach er bei sich: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Womöglich wird für diesen armen Kerl etwas herauskommen, das ihm den Tod einbringt, und dann bin ich die Ursache. Aber der Kalif hat geschworen, und nun bleibt nichts anderes übrig,



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als daß er hereinkommt; und es geschieht ja auch nichts, als was Allah will.' Dann ging er zum Fischer Chalîfa, faßte ihn bei der Hand und wollte ihn hineinführen; aber da ward der Fischer wie von Sinnen, und er sprach bei sich selber: ,Was für eine Torheit von mir, daß ich zu dem Unglückssklaven, dem Tülpchen, gegangen bin, so daß er mich mit dem Kleiebauch zusammenbrachte!' Dscha'far aber ging mit ihm weiter, während die Mamluken vor ihm und hinter ihm schritten und der Fischer sagte: ,Genügte die Verhaftung noch nicht, daß auch noch die Leute da vor mir und hinter mir herlaufen müssen, um mich am Entweichen zu verhindern?' Und Dscha'far führte ihn weiter, bis sie durch sieben Vorhallen gekommen waren; dann sprach er zu Chalîfa: ,Heda, du Fischer, du bist hier vor den Beherrscher der Gläubigen beschieden, den Schützer der Ehre des Glaubens hienieden!' Als er nun den großen Vorhang hob, fiel das Auge des Fischers Chalîfa auf den Kaufen, wie der auf seinem Throne saß, umgeben von den Großen des Reiches, die ihm aufwarteten. Kaum hatte er ihn erkannt, so trat er auf ihn zu und sprach: ,Willkommen, willkommen, mein Pfeiferlein! Es war nicht recht von dir, Fischer zu werden und mich dann sitzen zu lassen, daß ich die Fische bewachte, und selber wegzugehen und nicht wiederzukommen. Eh ich mich dessen versah, kamen die Mamluken auf allen möglichen Tieren an und rissen mir die Fische weg, wie ich so allein dastand; und all das ist deine Schuld. Wenn du rasch mit den Körben gekommen wärest, so hätten wir für hundert Dinare Fische verkauft. Und wie ich nun hierher kam, um mir mein Recht zu holen, haben mich die Leute verhaftet. Aber du, wer hat dich hier verhaftet?' Der Kalif lächelte; dann hob er eine Seite des Vorhangs empor, streckte den Kopf heraus und sprach: ,Komm her und nimm dir eins von diesen Blättern!' Da sagte der Fischer



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Chalîfa zum Beherrscher der Gläubigen: ,Gestern warst du ein Fischer, und heute seh ich, daß du ein Sterndeuter geworden bist. Aber je mehr Gewerbe einer hat, desto ärmer wird er.' Doch Dscha'far fuhr ihn an: ,Nimm sofort das Blatt, ohne WU schwätzen, und tu, wie der Beherrscher der Gläubigen dir befohlen hat!' Nun ging der Fischer Chalîfa hin, streckte seine Hand aus und sprach: ,Das soll nicht wieder vorkommen, daß dieser Pfeifer je mein Diener wird und mit mir fischt!' Dann nahm er das Blatt, reichte es dem Kaufen und sprach: ,Du, Pfeifer, was ist da für mich herausgekommen? Verbirg war nichts davon!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 842. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fischer Chalîfa, nachdem er eins von den Blättern genommen und es dem Kalifen gereicht hatte, zu ihm sprach: ,Du, Pfeifer, was ist da für mich herausgekommen? Verbirg mir nichts davon!' Der Kalif nahm das Blatt in die Hand, reichte es dem Wesir Dscha'far und sprach zu ihm: ,Lies, was darauf steht!' Jener blickte es an und rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Da sprach der Kalif: ,Gute Nachricht, Dscha'far? Was hast du darauf gesehen?' Der Wesir gab zur Antwort: ,O Beherrscher der Gläubigen, auf dem Blatte steht, daß der Fischer hundert Stockschläge erhalten soll.' Sogleich befahl der Kalif, ihm hundert Schläge zugeben; der Befehl ward ausgeführt, und Chalîfa erhielt seine hundert Streiche. Dann aber sprang er auf und rief: ,Gottverdammt ist dies Spiel, du Kleiebauch! Gehören Verhaftung und Prügel zum Spiel?' Da hub Dscha'far an: ,O Beherrscher der Gläubigen, dieser arme Kerl kam zum



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Flusse'; wie kann er da durstig wieder umkehren? Wir hoffen von der Mildtätigkeit des Beherrschers der Gläubigen, daß er noch ein zweites Blatt nehmen dürfe; vielleicht kommt' dann etwas für ihn heraus, das er mitnehmen kann, um sich ihn seiner Armut zu helfen.' ,Bei Allah, o Dscha'far,' rief der Kalif, ,wenn er jetzt ein Blatt zieht, auf dem der Tod für ihn steht, so werde ich ihn sicherlich hinrichten lassen; und dann bist du sei u]d.' Dscha'far erwiderte: ,'Wenn er stirbt, so hat er Ruhe.' Doch der Fischer Chalîfa sprach zu ihm: ,Allah erfreue dich ine du n h gute Botschaft! Habe ich euch Baghdad zu eng gemacht, daß ihr mich töten wollt?' Da sprach Dscha'far: ,Nimm dir ein Blatt und flehe um den Segen Allahs des Erhabenen!' Der Fischer streckte also seine Hand aus, zog ein Blatt und reicht es Dscha'far. Wie der es von ihm hingenommen und gelesen hatte, blieb er stumm. Der Kalif fragte: ,Weshalb schweigst du, o Sohn des Jahja?' Jener gab zur Antwort: ,O Beherrscher der Gläubigen, auf dem Blatte steht, daß der Fischer nichts erhalten soll.' Darauf sagte der Kalif: ,Sein täglich Brot soll ihm nicht von uns kommen; heiß ihn fortgehenaus meinen Augen!' Aber Dscha'far bat: ,Bei deinen reinen Vorfahren, laß ihn noch ein drittes Blatt nehmen; vielleicht wird das ihm den Unterhalt bringen.' Und der Kalif gebot: ,Laß ihn noch ein Blatt nehmen; aber nicht mehr!' Wiederum streckte der Fischer seine Hand aus und zog nun das dritte Blatt; und siehe, darauf stand, dem Fischer solle ein Dinar gegeben werden. Nun sprach Dscha'far zu dem Fischer Chalîfa: ,Ich suchte das Glück für dich; aber Allah gewährte dir nichts als diesen Dinar.' Doch der Fischer antwortete: ,Immer hundert Hiebe für einen Dinar,



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das ist ein großes Glück. Möge Allah dir den Bauch nicht gesund machen!' Der Kalif lachte darüber, und nun führte Dscha'far den Fischer an der Hand hinaus. Als er zum Tor gelangte,, sah ihn der Eunuch Sandal und sprach zu ihm: ,Hierher, Fischer gib uns etwas ab von dem, was der Beherrscher der Gläubigen dir geschenkt hat, als er mit dir scherzte!' Chalîfa erwidert, ihm: ,Bei Allah, du hast recht, Tülpchen! Willst du mit mir) teilen, du Schwarzhaut? Ich habe hundert Stockschläge zu fressen bekommen und einen einzigen Dinar erhalten; und der steht dir frei.' Damit warf er das Goldstück dem Eunuchen zu und ging hinaus, während ihm die Tränen über die Backen niederliefen. Als der Eunuch ihn in dieser Verfassung sah, erkannte er, daß jener die Wahrheit gesprochen hatte; deshalb er ihm nach und rief den Dienern zu, sie sollten ihn zurückholen. Wie die ihn dann zurückgebracht hatten, griff Sandal mit der Hand in die Tasche und zog aus ihr einen roten Beutel hervor; den öffnete und schüttelte er, und siehe, es fielen hundert Golddinare aus ihm heraus. Dann sagte er: ,Du, Fischer, nimm dies Gold als Preis für deine Fische und gehe deiner Wege.' Da strahlte Fischer Chalîfa vor Freuden, er nahm die hundert Dinare, hob auch den Dinar des Kalifen wieder auf, ging von dannen und vergaß die Hiebe. Wie nun Allah der Erhabene es wollte, um seinen Ratschluß zur Tat zu machen, ging der Fischersmann über den Markt der Sklavinnen und sah dort einen großen Kreis, in dem sich viele Leute drängten. Er sprach bei sich: ,Was hat es wohl mi den Leuten dort auf sich?' ging hinund brach sich Bahn durch das Gedränge von Kaufleuten und anderen Zuschauern, und die riefen: ,Gebt Raum für Kapitän Tunichtgut!' Man machte ihm Platz, und nun konnte Chalîfa auch zuschauen. Siehe, dort war ein alter Mann, der aufrecht dastand und vor sich eine Truhe hatte. und auf ihr saß ein Eunuch. Der Alte aber



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rief und sprach: ,O ihr Kaufleute all, ihr Männer des Geldes zumal, wer will es wagen und eilends sein Geld herfragen für diese Truhe unbekannten Inhalts aus dem Hause der Herrin Zubaida Hint el-Kâsim, der Gemahlin des Beherrschers der Gläubigen er-Raschîd? Wieviel bietet ihr - Gott gesegne es euch - ?' Einer von den Kaufleuten hub an: ,Bei Allah, dies ist ein Wagnis! Ein Wort will ich sagen, das wird mir keinem Tadel eintragen: ich biete für sie zwanzig Dinare.' Ein anderer rief: ,Fünfzig Dinare!' Dann boten die Kaufleute immer höher darauf, bis der Preis auf hundert Dinare gestiegen war. Nun fragte der Ausrufer: ,Bietet einer von euch noch mehr, ihr Kaufleute?' Und der Fischer Chalîfa rief: ,Sie sei mein fur hundertundeinen Dinar!' Als die Kaufleute das von Chalîfa hörten, glaubten sie, er scherze, und indem sie über ihn lachten, sprachen sie: ,Eunuch, verkaufe sie an Chalîfa um hundertundeinen Dinar!' ,Bei Allah,' erwiderte der Eunuch, ,ich will sie nur ihm verkaufen. Also nimm sie hin, du Fischer, Gott gesegne sie dir, und her mit dem Geld!' Da holte Chalîfa das Gold heraus, übergab es dem Eunuchen, und der Kauf war abgeschlossen. Dann verteilte der Eunuch das Gold als Almosen an Ort und Stelle, kehrte ins Schloß zurück und berichtete der Herrin Zubaida, was er getan hatte; die war darüber erfreut. Derweilen hob der Fischer Chalîfa die Truhe auf seine Schulter, aber er konnte sie wegen ihrer großen Schwere nicht tragen. So hob er sie denn auf seinen Kopf und brachte sie in sein Stadtviertel; dort nahm er sie wieder herunter und blieb ermüdet stehen, dachte über das nach, was er erlebt hatte, und sprach bei sich: ,Ich möchte wohl wissen, was in dieser Truhe ist!' Dann öffnete er die Tür zu seiner Wohnung und machte sich mit der Truhe zu schaffen, bis er sie in die Wohnung hineingeschoben hatte; darauf bemühte er sich, sie zu



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öffnen, abe. r das gelang ihm nicht. Nun sagte er sich: ,Was ist eigentlich. mit meinem Verstande geschehen, daß ich diese Kiste kaufen mußte? Ich muß sie aufbrechen und sehen, was darin ist!' Darauf machte er sich an das Schloß, aber er konnte es nicht öffnen; und er sprach bei sich: ,Ich will sie bis morgen lassen. Als er sich jedoch zum Schlafe niederlegen wollte, fand er keinen Platz, auf dem er hätte liegen können, weil die Kiste die ganze Kammer ausfüllte. Deshalb stieg er hinauf und legte sich auf ihr nieder; doch als er eine Weile gelegen hatte, siehe, da bewegte sich etwas. Darüber erschrak er, so daß der Schlaf ihn floh und sein Verstand ihm entschwand. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 843. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fischer Chalîfa, als er sich auf die Truhe gelegt und dort eine Weile geruht hatte und als sich dann plötzlich etwas bewegte, erschrak und wie von Sinnen ward. Er sprang aus dem Schlafe auf und rief: ,Mir ist's, als wären Geister in der Kiste! Gott sei Dank, daß ich sie nicht aufgemacht habe! Wenn ich sie aufgemacht hätte, dann wären die im Dunkel über mich hergefallen und hätten mich umgebracht; ja, bei ihnen wäre es mir nicht gut gegangen!' Dann legte er sich wieder hin, um zu schlafen; aber plötzlich bewegte sich die Truhe zum zweiten Male, und zwar noch stärker als zuvor. Chalîfa sprang auf die Füße und rief: ,Da, schon wieder! Das ist aber doch fürchterlich!' Darauf suchte er eiligst nach einer Lampe; aber er fand keine und hatte auch kein Geld, um eine neue zu kaufen; deshalb ging er zum Hause hinaus und rief: ,He, ihr Leute im Viertel!' Die meisten Leute des Stadtviertels schliefen schon, doch bei seinem Geschrei erwachten sie und riefen: ,Was ist dir, Chalîfa?'



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Er antwortete: ,Bringt mir eine Lampe; denn die Geister sind über mich gekommen!' Sie lachten ihn aus, gaben ihm aber eine Lampe, und er nahm sie und kehrte mit ihr in seine Kammer zurück. Dann schlug er mit einem Stein auf das Schloss der Truhe und zerbrach es, und als er sie öffnete, erbickte er darin eine Maid, die einer Paradiesesjungfrau glich. Sie lag dort in der Truhe, vom Bendsch betäubt, doch gerade in diesem Augenblick gab sie das Gift wieder von sich. Und sie erwachte und schlug die Augen auf, und da sie sich beengt fand, rührte sie sich. Als Chalîfa sie erblickte, trat er an sie heran und sprach zu ihr: ,Bei Allah, meine Gebieterin, sag, woher bist du?' Sie aber rief, indem sie die Augen wieder öffnete: ,Bring mir Jasmin und Narzisse!" Da sagte Chalîfa: ,Hier habe ich nur Hennablüten.' Jetzt kam sie ganz wieder zu sich, und da sie den Fischer erblickte, sprach sie zu ihm: ,Was bist du?' Und sie fügte sogleich hinzu: ,Wo bin ich denn?' Er antwortete ihr: ,Du bist in meiner Wohnung!' Und als sie weiter fragte: ,Bin ich nicht im Palaste des Kalifen Harûn er-Raschîd?' rief er: ,Was ist er-Raschîd? Du Verrückte, du bist nichts anderes als meine Sklavin; heute hab ich dich für hundertundeinen Dinar gekauft und dich in meine Wohnung gebracht, wie du in dieser Kiste lagst.' Als die Sklavin seine Worte vernommen hatte, fragte sie ihn: ,Wie heißest du?' Er gab zur Antwort: ,Ich heiße Chalîfa. Wie kommt's, daß mein Stern jetzt günstig ist? Ich kenne meinen Stern doch auch anders!' Lächelnd fuhr sie fort: ,Hör mit solchem Gerede auf! Hast du etwas zu essen?' Darauf sagte er: ,Nein, bei Allah, noch auch etwas zum Trinken. Ich habe, bei Gott, seit zwei Tagen nichts gegessen, und jetzt hätte ich auch gern einen Bissen.' ,Hast du denn kein Geld?' fragte sie weiter; und er rief: ,Gott bewahr diese Kiste,



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die mich arm gemacht hat! Für sie hab ich alles weglaufen lassen, was ich besaß; und jetzt bin ich bankrott.' Wiederum mußte die Sklavin über ihn lachen, und sie sprach: ,Bitte deine Nachbarn um etwas, das ich essen kann; denn ich bin hungrig!' Sofort eilte Chalîfa aus dem Hause hinaus und rief: ,He, ihr Leute vom Viertel!' Die lagen schon wieder im Schlafe, und als sie jetzt aufwachten, riefen sie: ,Was ist dir denn immer, Chalîfa?' ,Liebe Nachbarn,' gab er zur Antwort, ,ich bin hungrig und habe nichts zu essen.' Da brachte ihm der eine einen Laib Brotes, der andere ein Stück Brot. der dritte ein Stück Käse, der vierte eine Gurke; so ward sein Schoß gefüllt, und er ging ins Haus zurück, legte alles vor Kûtel-Kulûb nieder und sprach zu ihr: ,Iß!' Doch sie lachte über ihn und sagte: ,Wie kann ich von diesen Dingen essen, da ich keinen Krug Wassers bei mir habe, aus dem ich trinken könnte! Ich fürchte, ich werde an einem Bissen ersticken und dann sterben.' Chalîfa rief: ,Ich will dir diesen Krug füllen', nahm den Krug und ging mitten auf die Straße und schrie: ,He, ihr Leute des Viertels!' Die aber antworteten ihm: ,Welches Unheil plagt dich heute nacht, Chalîfa?' Da sagte er: ,Ihr gabt mir zu essen, und ich habe gegessen; doch jetzt bin ich durstig, drum gebt mir zu trinken!' Da kam der eine mit einem Krug, der andere mit einer Kanne, der dritte mit einer Tonfliasche; so konnte er seinen Krug füllen, und als er wieder in die Kammer trat, sprach er zu ihr: ,Meine Gebieterin, jetzt fehlt dir doch nichts mehr!' ,Recht,' erwiderte sie, ,für jetzt fehlt mir nichts mehr.' Darauf bat er sie: ,Sprich und erzähle mir deine Geschichte!' Sie entgegnete ihm: ,Heda, wenn du mich nicht kennst, so will ich dir sagen, wer ich bin. Ich bin Kût el-Kulûb, die Sklavin des Kalifen Harûn er-Raschîd! Die Herrin Zubaida ist auf mich eifersüchtig geworden und hat mich mit Bendsch betäubt



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und in diese Truhe gelegt.' Und sogleich fügte sic hinzu: ,Gott sei Dank, daß die Sache noch so leicht ausgegangen und nicht noch viel schlimmer geworden ist! Dies ist mir nur um deines Glückes willen widerfahren; denn du wirst sicherlich vom Kaufen er-Raschîd viel Geld erhalten, das der Grund zu deinem Reichtum werden wird.' Da fragte er: ,Ist er-Raschîd nicht der, in dessen Palast ich gefangen war?' ,Er ist es', erwiderte sie; und der Fischer fuhr fort: ,Bei Allah, ich habe noch nie einen größeren Geizhals gesehen als ihn, jenen Pfeifer, der so wenig Güte und Verstand besitzt! Er hat mir gestern hundert Stockschläge und einen einzigen Dinar gegeben, obwohl ich ihn das Fischen gelehrt und ihn zu meinem Teilhaber gemacht habe. So treulos hat er an mir gehandelt!' Doch sie sprach zu ihm: ,Laß ab von diesen häßlichen Worten, öffne deine Augen und befleißige dich der Höflichkeit, wenn du ihn hinfort wieder siehst; denn dann wirst du ans Ziel deiner Wünsche gelangen!' Als er diese Worte von ihr vernahm, war es ihm, als erwache er aus dem Schlafe, und Allah hob die Hülle von seinem Verstand, um seines Glückes willen; und er sprach: ,Herzlich gern!' Dann sagte er zu ihr: ,Schlaf im Namen Allahs!' So legte sie sich denn zum Schlafe nieder, und auch er schlief, entfernt von ihr, bis zum Morgen. Am nächsten Tage verlangte sie von ihm Tintenkapsel und Papier, und als er ihr beides gebracht hatte, schrieb sie an den Kaufmann, der des Kaufen Freund war, indem sie ihm mitteilte, wie es jetzt um sie stand und wie es ihr ergangen war, so auch, daß sie jetzt bei dem Fischer Chalîfa weile, der sie gekauft habe. Darauf übergab sie ihm das Blatt mit den Worten: ,Nimm dies Blatt und trag es zum Markte der Juweliere; dort frage nach dem Laden des Juweliers Ibn el-Kirnâs; dem gib diesen Brief, ohne ein Wort zu sprechen.' ,Ich höre und gehorche



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!' erwiderte Chalîfa, nahm das Blatt aus ihrer Hand entgegen und trug es zum Juwelenbasar; dort fragte er nach dem Laden von Ibn el-Kirnâs, und als man ihm den gezeigt hatte, trat er auf den Juwelier zu und bot ihm den Friedensgruß. Jener erwiderte den Gruß mit verächtlicher Miene und fragte: ,Was willst du?' Der Fischer reichte ihm das Blatt; der Kaufmann nahm es hin, las es aber nicht, da er vermeinte, dieser Mann sei ein Bettler, der ein Almosen von ihm haben wollte. Dann rief er einem seiner Diener zu: ,Gib ihm einen halben Dirhem!' Aber Chalîfa sprach zu ihm: ,Ich begehre kein Almosen; lies nur den Brief!' So nahm denn der Kaufmann den Brief wieder in die Hand. las ihn und verstand seinen Inhalt. Kaum aber hatte er erkannt, was dort geschrieben war, so küßte er das Blatt und legte es auf sein Haupt. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 844. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibn el-Kirnâs, nachdem er den Brief gelesen und seinen Inhalt verstanden hatte, ihn küßte und sich aufs Haupt legte; dann stand er auf und sprach zu dem Fischer: ,Mein Bruder, wo ist dein Haus?' Jener fragte: ,'Was willst du denn mit meinem Hause? Willst du dorthin gehen und mir meine Sklavin stehlen?' ,Nein,' erwiderte der Kaufmann, ,im Gegenteil, ich will für dich etwas kaufen, auf daß du mit ihr davon essen kannst!' ,Mein Haus ist in demunddem Stadtviertel', sagte Chalîfa; und der Kaufmann fuhr fort: ,Das hast du gut gemacht, du bist doch ein vermaledeiter Teufelskerl!" Dann rief er zwei seiner Sklaven



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und befahl ihnen: ,Führt diesen Mann zum Laden des Geldwechslers Muhsin und sprecht zu ihm: ,Muhsin, gib diesem Manne tausend Golddinare'; dann bringt ihn mir eiligst wieder zurück!' Die beiden Sklaven gingen mit Chalîfa zum Laden des Wechslers und sprachen zu ihm: ,Muhsin, gib diesem Manne tausend Golddinare!' Der gab sie ihm, Chalîfa nahm sie hin und kehrte mit den beiden Sklaven zum Laden ihres Herrn zurück. Den fanden sie, wie er schon auf einem graugescheckten Maultier saß, das tausend Dinare wert war, umgeben von seinen Mamluken und Dienern, und neben ihm stand ein zweites Maultier, dem seinen gleich, gesattelt und gezäumt. Und er sprach zu Chalîfa: ,Im Namen Allahs, steig auf dies Maultier!' Doch der Fischer rief: ,Ich kann nicht reiten; bei Allah. ich fürchte, es wirft mich ab!' Der Kaufmann Ibn el-Kirnâs aber bestand darauf: ,Bei Allah, du mußt reiten!' So ging Chalîfa denn heran, um aufzusitzen; und er kletterte hinauf, das Gesicht nach rückwärts, ergriff den Schwanz des Tieres und fing an zu schreien. Da warf es ihn zu Boden, und alle mußten über ihn lachen. Er aber stand wieder auf und sprach: ,Hab ich dir nicht gesagt, daß ich auf diesem großen Esel nicht reiten kann?' Nun ließ Ibn el-Kirnâs den Fischer auf dem Basar zurück, begab sich zum Beherrscher der Gläubigen und berichtete ihm von der Sklavin; dann kehrte er um und ließ sie in sein Haus bringen. Inzwischen ging Chalîfa zu seiner Wohnung, um nach der Sklavin zu sehen; da erblickte er die Leute des Stadtviertels, die sich zusammengeschart hatten und sprachen: ,Fürwahr, Chalîfa ist heute ganz und gar in furchtbarer Not. Woher mag er diese Sklavin haben?' Einer von den Leuten sagte: ,Er ist doch ein verrückter Kuppler. Wahrscheinlich hat er sie trunken am Wege liegend gefunden und sie aufgehoben und sie in sein Haus geschleppt. Er ist auch nur



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deshalb verschwunden, weil er sich seiner Schuld bewußt ist.' Während sie so miteinander redeten, trat Chalîfa plötzlich auf sie zu, und sie sprachen zu ihm: ,Wie geht es dir, armer Kerl? Weißt du nicht, was über dich gekommen ist?' ,Nein, bei Allah!' erwiderte er; und sie fuhren fort: ,Soeben sind Mamluken hiergewesen; die haben deine Sklavin, die du gestohlen hast, mitgenommen, und sie suchten auch nach dir, aber sie konnten dich nicht finden.' Chalîfa fragte: ,Ja, wie kamen sie denn dazu, mir meine Sklavin zu nehmen?' Da sprach einer: ,Wäre er hier gewesen, so hätten sie ihn totgeschlagen.' Chalîfa jedoch kümmerte sich nicht mehr um sie, sondern lief rasch zum Laden des Ibn el-Kirnâs zurück. Er sah den Kaufmann angeritten kommen und sprach zu ihm: ,Bei Allah, das ist nicht recht von dir; mich hast du abgelenkt, und inzwischen hast du deine Mamluken geschickt, und die haben meine Sklavin geraubt.' Doch der Kaufmann rief: ,Du Tor, komm und schweig still!' Darauf nahm er ihn mit sich und führte ihn zu einem schön gebauten Hause; und nachdem er ihn dort hineingeführt hatte, sah der Fischer die Sklavin auf einem goldenen Lager sitzen, umgeben von zehn Kammerfrauen, wie Monde anzuschauen. Als Ibn el-Kirnâs sie erblickte, küßte er den Boden vor ihr; und sie fragte ihn: ,Was hast du mit meinem neuen Herrn getan, der mich für alles, was er besaß, gekauft hat? ,Meine Gebieterin,' gab er ihr zu Antwort, ,ich habe ihm tausend Golddinare gegeben'; und er erzählte ihr die Geschichte Chalîfas von Anfang bis zu Ende. Da lachte sie und sprach: ,Sei ihm nicht gram; er ist ein Mann aus dem niederen Volk!' Und sie fügte hinzu: ,Diese weiteren tausend Dinare sind ein Geschenk von mir an ihn; und so Allah der Erhabene will, soll er vom Kalifen so viel erhalten, daß er ein reicher Mann wird.' Während sic so miteinander sprachen, trat plötzlich ein Eunuch



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vom Kaufen herein, der gekommen war, um Kût el-Kulûb zu holen; denn der Herrscher hatte erfahren, daß sie im Hause des Ibn el-Kirnâs weilte, und als er das wußte, konnte er die Trennung von ihr nicht mehr ertragen, sondern befahl, sie sofort zu bringen. Und als sie sich nun dorthin begab, nahm sie den Fischer mit sich und zog dahin, bis sie zum Kalifen kam. Wie sie vor ihm stand, küßte sie den Boden vor ihm; er aber erhob sich ihr zu Ehren, begrüßte sie, hieß sie willkommen und fragte sie, wie es ihr bei dem ergangen sei, der sie gekauft habe. Sie erwiderte ihm: ,Das ist ein Mann, namens Fischer Chalîfa, und er steht jetzt dort an der Tür. Er sagte mir, er habe mit unserem Herrn, dem Beherrscher der Gläubigen, noch eine Abrechnung wegen der Teilhaberschaft im Fischfang, die zwischen ihnen beiden bestanden habe.' ,Steht er wirklich an der Tür?' fragte der Kalif; und sie erwiderte: ,Jawohl!' Da befahl er, den Fischer herbeizuführen; und als der herzukam, küßte er den Boden vor dem Kalifen und wünschte ihm Dauer des Ruhmes und des Glücks. Der Kalif wunderte sich darüber, und indem er ihm zulächelte, fragte er ihn: ,Sag, Fischer, warst du wirklich gestern mein Teilhaber?' Chalîfa verstand die Worte des Beherrschers der Gläubigen, faßte sich ein Herz und festigte seinen Sinn und hub an: ,Bei Dem, der dir die Nachfolge des Sohnes deines Oheims verliehen hat, ich kenne die Maid in keiner Weise, ich habe sie nur gesehen und gesprochen.' Darauf berichtete er ihm alles, was ihm begegnet war, von Anfang bis zu Ende, und der Kalif mußte darüber lachen. So erzählte er denn auch die Geschichte mit dem Eunuchen und was er mit dem erlebt hatte, wie der ihm noch die hundert Dinare zu dem einen hinzugegeben, der ihm vom Kalifen zuteil geworden war. Und ferner berichtete er ihm, wie er auf den Markt gegangen war und die Truhe für hundertundeinen



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Dinar gekauft hatte, ohne zu wissen, was darin war. Ja, er erzählte die ganze Geschichte vom ersten bis zum letzten. Derweilen lachte der Kalif immerfort, und die Brust ward ihm frei, und er sprach zu Chalîfa: ,Wir wollen dir geben, was immer du begehrst, du, der du den Besitzern ihr rechtmäßig Gut zurückbringst.' Der aber schwieg; und nun wies der Kalif ihm funfzigtausend Golddinare an, dazu ein kostbares Ehrengewand, wie es die großen Kalifen tragen, und außerdem ein Maultier. Auch schenkte er ihm schwarze Sklaven. so daß er wurde wie einer der Könige jener Zeit. Der Kalif aber freute sich, daß seine Sklavin wieder zu ihm gekommen war, und er wußte, daß all dies ein Werk seiner Gemahlin, der Herrin Zubaida. war. ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 845. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif sich über die Rückkehr seiner Sklavin Kût el-Kulûb freute und wußte, daß all dies ein Werk seiner Gemahlin, der Herrin Zubaida, war; deshalb ergrimmte er wider sie und hielt sich eine lange Zeit fern von ihr, also daß er nie zu ihr hineinging und sich ihr nicht zuneigte. Als sie dessen gewiß war, grämte sie sich sehr wegen seines Zornes, und ihre Farbe erblich, die einst so rosig war. Doch als die Geduld ihr versagte, sandte sie einen Brief an ihren Gemahl, den Beherrscher der Gläubigen, indem sie sich vor ihm entschuldigte und ihre Schuld bekannte und diese Verse schrieb:

Ich sehn' mich nach der Huld, die du mir früher schenkst,
Auf daß ich Gram und Kummer lösche, die ich trug.
O Herr, erbarm dich meiner übergroßen Liebe;
Was ich durch dich erlitt, ist wahrlich schon genug.



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Mein Freund, ich kann's nicht tragen, daß du mir nicht nahest;
Du trübtest mir das Leben, das so licht einst war.
Erfüllst du die Gelübde, die du schwörst, so leb ich;
Mein Tod ist's, bringst du mir die Treue nicht mehr dar.
Es sei, ich hab gesündigt; doch vergib mir nun.
Verzeihen ist, bei Gott, der Freunde schönstes Tun!

Als der Brief der Herrin Zubaida den Kalifen erreichte, und als er, nachdem er ihn gelesen hatte, erkannte, daß sie ihre Schuld eingestand und sich durch ihr Schreiben vor ihm wegen ihres Tuns entschuldigte, sprach er bei sich: ,Siehe, Allah vergibt die Sünden allzumal; denn er ist der Vergebende, der Barmherzige."Und er sandte ihr eine Antwort auf ihren Brief, in der seine Genugtuung und seine Vergebung für das, was vergangen war, ausgesprochen wurde; darüber war sie hocherfreut. Dann wies der Kalif dem Fischer Chalîfa einen monatlichen Sold von fünfzig Dinaren an, und hinfort genoß dieser bei dem Herrscher großes Ansehen, eine hohe Stellung, Ehre und Achtung. Der Fischer aber küßte den Boden vor dem Beherrscher der Gläubigen zum Abschied und schritt mit stolzem Gang von dannen. Als er jedoch zu Tür hinausging, sah ihn der Eunuch Sandal, der ihm die hundert Dinare gegeben hatte, und da er ilm erkannte, sprach er zu ihm: ,Fischer, woher hast du das alles?' Chalîfa erzählte ihm all seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende, und der Eunuch freute sich darüber, zumal er ja der Anlaß seines Reichtums gewesen war; und er sprach zu ihm: ,Willst du mir nicht eine Spende geben von all diesen Schätzen, die dir zugefallen sind?' Da griff Chalîfa mit seiner Hand in die Tasche, zog aus ihr einen Beutel hervor, der tausend Golddinare enthielt, und reichte ihn dem Eunuchen. Der aber entgegnete ihm: ,Behalt dein Geld; Allah



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gesegne es dir!' Denn er war erstaunt über den Edelmut und die Herzensgüte des Mannes, der noch eben so arm gewesen war. Dann verließ Chalîfa den Eunuchen. reitend auf dem Maultier, während die Sklaven ihre Hände hinter dem Sattel auf das Tier legten, und so zog er dahin, bis er zu seiner Herberge kam; die Leute aber starrten ihm nach und verwunderten sich über die Ehren, die ihm zuteil geworden waren. Und nachdem er von dem Rücken des Maultieres abgestiegen war, traten die Leute auf ihn zu und fragten ihn nach der Ursache dieses Glückes; da erzählte er ihnen alle seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende. Dann kaufte er sich ein schöngebautes Haus und verwandte viel Geld darauf, bis es in jeder Weise vollkommen war. In jenem Hause schlug er nun seinen Wohnsitz auf, indem er diese Verse sprach:

Sieh da, ein Haus gleich einem Paradieseshaus;
Es heut die Kranken, und es treibt die Sorgen aus.
Zu einer Ruhmesstätte ist sein Bau geweiht,
Und eitel Glück soll in ihm wohnen allezeit.

Nachdem er sich nun in seinem Hause niedergelassen hatte, bewarb er sich um eine von den Töchtern der vornehmen Leute der Stadt, eine schöne Jungfrau; und er ging zu ihr ein, und er lebte ganz in Wonne und Glück und Freuden; ja, sein Wohlstand wuchs noch immer mehr, und sein Glück ward vollkommen. Und wie er sich in solcher Herrlichkeit sah, dankte er Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, für die Hülle und Fülle der Gnaden und Gaben, die Er ihm verliehen hatte; er pries seinen Herrn als ein dankbarer Mann und führte die Worte des Dichters an:

Gepriesen seist du, dessen Gnade immer währet,
Du, dessen Güte alle Menschen glücklich macht.
Gepriesen seist du mir, o nimm den Preis entgegen!



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Denn deiner Gute, Wohltat, Gnade sei gedacht.
Du hast mich ja mit Huld und Gaben überschüttet
Und überreicher Wohltat; Herr, ich danke dir.
Ja, deiner Güte Meer gibt aller Welt zu trinken;
Du bist in Nöten ihre Zuflucht für und für.
Und du gewährst, o Herr, die Zeichen deiner Gnade,
Du gibst sie reichlich hin, du, der die Schuld verzeiht
Um dessen willen, der den Menschen Mitleid brachte -
Prophet, so wahr und edel und von Schuld befreit,
Dem Allah Segen und das Heil gewähren möge -
Um seiner Helfer' willen und der Heil'gen Schar'
Und der Gefährten' auch, der reinen, edlen, weisen,
Solang im Wald ein Vogel singt, auf immerdar!

Und hinfort besuchte Chalîfa oft den Kalifen Hann er-Raschîd, da er bei ihm Gnade gefunden hatte; und er-Raschîd überhäufte ihn mit seinen Wohltaten und seiner Güte. So lebte Chalîfa immerdar in höchster Freude und Seligkeit, in Ruhm und in Fröhlichkeit, sein Wohlstand ward vermehrt, seine Stellung immer höher geehrt, kurz, er führte ein Leben voll lauterer Wonne, und ihm schien des Glückes hellstrahlende Sonne, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundes bande zerreißt - Preis sei Ihm, dessen Macht sich in ewiger Dauer erhält, dem Lebendigen, Beständigen, der nie dem Tode verfällt!

Ferner wird erzählt


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