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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES JUWELIERS HASAN VON BASRA

Einst lebte in alten Zeiten und in längst entschwundenen Vergangenheiten ein Kaufherr, der in der Stadt Basra wohnte; jener Mann hatte zwei Söhne, und er besaß großen Reichtum. Nun beschloß Allah, der Allhörende und Allwissende, daß dieser Kaufmann zur Barmherzigkeit Gottes des Erhabenen einging und all jenes Gut verlassen mußte; da erfüllten seine beiden Söhne die Pflicht, ihn aufzubahren und zu begraben. Dann



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teilten sie das Gut unter sich zu gleichen Teilen, und ein jeder von ihnen nahm hin, was ihm zufiel; und sie eröffneten jeder einen Laden, der eine als Kupferschmied, der andere aber als Goldschmied. Eines Tages, als der Goldschmied in seinem Laden saß, erschien plötzlich ein Perser, der im Basare unter den Leuten dahinschritt, bis er zu dem Laden des jungen Goldschmiedes kam; und er blickte auf seine Arbeit, und nachdem er sie mit kundigem Auge genau betrachtet hatte, gefiel sie ihm. Der Name des Goldschmiedes aber war Hasan. Der Perser sprach zu ihm, indem er bewundernd das Haupt wiegte: ,Bei Allah. du bist ein schöner Goldschmied!' Und wiederum schaute er seine Arbeiten an, während der Jüngling in ein altes Buch schaute, das er in der Hand hielt, und die Leute berückt waren von seiner Schönheit und Lieblichkeit und seines Wuchses Ebenmäßigkeit. Wie es dann Zeit zum Nachmittagsgebete ward, leerte sich der Laden von den Leuten, und nun trat der persische Mann zudem Goldschmied und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, du bist ein schöner jüngling! Sag, was für ein Buch ist dies? Du hast keinen Vater, und ich habe keinen Sohn. Aber ich kenne eine Kunst, die von allen Künsten der Welt die beste ist.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 779. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der persische Mann zu dem Goldschmied Hasan trat und zu ihm sprach: ,Mein Sohn, du bist ein schöner Jüngling! Du hast keinen Vater, und ich habe keinen Sohn. Aber ich kenne eine Kunst, die von allen Künsten der Welt die beste ist. Viele Menschen haben mich schon gebeten, ich solle sie darin unterweisen; aber ich habe noch nie eingewilligt, auch nur einen von ihnen sie zu lehren. Doch jetzt hat meine Seele freiwillig beschlossen, dich



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darin zu unterrichten, und ich will dich zu meinem Sohne machen und zwischen dir und der Armut eine Schranke setzen, auf daß du von dieser Arbeit, von der Mühe mit Hammer und Kohle und Feuer befreit werdest.' Da fragte Hasan ihn: ,Guter Herr, wann willst du mich das lehren? 'Jener antwortete ,Morgen will ich zu dir kommen und will dir vor deinen Augen aus Kupfer lauteres Gold machen.' Darüber freute sich Hasan, und nachdem er von dem Perser Abschied genommen hatte, begab er sich zu seiner Mutter. Als er bei ihr eintrat, sprach er den Friedensgruß vor ihr; dann aß er mit ihr, und hernach erzählte er ihr von seinem Erlebnis mit dem Perser; doch dabei war er noch ganz verwirrt und ohne rechten Verstand und Besinnung. So sprach denn seine Mutter zu ihm: ,Was ist dir, mein Sohne Hüte dich, auf das Geschwätz der Leute zu hören, besonders auf das der Perser, und folge nie ihrem Rate! Denn die Kerle sind Betrüger; sie lehren die Schwarzkunst, aber sie übertölpeln die Menschen und nehmen ihnen ihr Geld ab und verzehren es unter falschen Vorspiegelungen.' Doch Hasan erwiderte ihr: ,Liebe Mutter. wir sind arme Leute', und wir haben nichts, wonach es ihn verlangen könnte, so daß er uns betrügen will. Nein, fürwahr, dieser Perser ist ein rechtschaffener, ehrwürdiger Mann, dem man die Ehrlichkeit ansieht; es ist nur so, daß Allah mir sein Herz geneigt gemacht hat.' Die Mutter verstummte vor Zorn, während ihres Sohnes Herz so voller Erregung war, daß der Schlaf in jener Nacht vor lauter Freude über die Worte des Persers nicht zu ihm kam. Als es Morgen ward, machte er sich auf, nahm die Schlüssel mit und öffnete den Laden; und siehe, da kam auch schon der Perser auf um zu. Hasan erhob sich vor ihm und wollte ihm die Hände küssen; aber der entzog ihm die Hand und ließ es nicht zu. Und er



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sprach: ,Hasan, setze den Schmelztiegel auf und halte den Blasebalg bereit!' Der tat, wie ihm der Perser befohlen hatte, und setzte die Kohlen in Brand. Dann fragte der Perser ihn: ,Mein Sohn, hast du Kupfer bei dir?' ,Ich habe eine zerbrochene Schüssel', gab er zur Antwort; und jener befahl ihm, die Metallschere fest anzusetzen und die Schüssel in kleine Stücke zu zerschneiden. Er tat, wie jener gesagt hatte, schnitt kleine Stücke und warf sie in den Schmelztiegel; dann fachte er das Feuer mit dem Blasebalg an, bis das Kupfer flüssig geworden war. Nun streckte der Perser seine Hand nach seinem Turban, holte aus ihm ein gefaltetes Papier heraus, öffnete es und streute in den Tiegel von seinem Inhalt etwa ein halbes Quentchen von einem Pulver, das gelbem Arzneipulver glich. Darauf befahl er Hasan, wieder mit den Bälgen zu blasen, und der tat es, bis die Masse ein Barren Goldes geworden war. Als der Jüngling das sah, ward er sprachlos und ganz verwirrt durch die Freude, die über ilm kam. Und er nahm den Barren und wandte ihn hin und her; dann nahm er eine Feile und prüfte ihn und fand, daß er aus lauterem, allerkostbarstem Golde bestand. Da war er wie von Sinnen und ganz starr im Übermaße der Freude; und er neigte sich über die Hand des Persers, um sie zu küssen. Aber der entzog sie ihm und sprach zu ihm: ,Nimm diesen Barren und trag ihn auf den Markt; verkaufe ihn und nimm den Erlös dafür eilends an dich, ohne zu sprechen!' Nun ging Hasan zum Markt und gab den Barren dem Ausrufer; als der ilm von ihm empfangen hatte, rieb er ihn auf dem Prüfsteine und fand, daß er lauteres Gold war. Das Gebot darauf ward mit zehntausend Dirhems eröffnet; aber bald boten die Kaufleute mehr dafür, und um fünfzehntausend Dirhems verkaufte Hasan seinen Barren. Er nahm sein Geld, eilte nach Hause und erzählte seiner Mutter alles, was er getan hatte; und er fügte



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hinzu: ,Liebe Mutter, ich habe diese Kunst bereits gelernt.' Doch sie lächelte über ihn und sprach: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 780. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Mutter Hasans des Goldschmieds, als er ihr erzählte, was der Perser getan hatte, und hinzufügte: ,Liebe Mutter, ich habe diese Kunst bereits gelernt', nur sprach: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann verstummte sie in ihrem Ärger. Hasan aber nahm in seiner Unwissenheit einen Mörser, brachte ihn dem Perser. der im Laden geblieben war, und setzte ihn vor ihm nieder. Der fragte ihn: ,Mein Sohn, was willst du mit diesem Mörser machen?' Hasan erwiderte: ,Wir wollen ihn ins Feuer tun und Barren Goldes daraus machen.' Da lachte der Perser und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, bist du denn ganz von Sinnen, daß du am selben Tage zwei Goldbarren zum Markte tragen willst? Weißt du denn nicht, daß die Leute dann Verdacht gegen uns schöpfen würden, so daß unser Leben in Gefahr käme? Doch, mein Sohn, wenn ich dich diese Kunst gelehrt habe, so darfst du sie nur ein einziges Mal im Jahre ausüben, und das wird dir auch genug einbringen von einem Jahre zum anderen.' ,Du hast recht, mein Gebieter', antwortete der Jüngling; und er blieb im Laden, setzte den Schmelztiegel auf und warf Kohlen ins Feuer. Der Perser fragte: ,Was hast du vor, mein Sohn?' ,Lehre mich die Kunst!' erwiderte jener. Da lachte der Perser von neuem und rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Mein



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Junge, du bist wirklich kurz von Verstand, und du bist für diese Kunst ganz und gar nicht geeignet. Kann je im Leben ein Mensch diese Kunst an offener Straße oder in den Basaren lernen? Wenn wir uns an dieser Stätte mit ihr beschäftigen, so werden die Leute über uns reden: Die da treiben die Schwarzkunst! Dann wird auch die Obrigkeit von uns hören, und unser Leben wird auf dem Spiel stehen. Wenn du also, mein Sohn, diese Kunst lernen willst, so komm mit mir in mein Haus!' So machte denn Hasan sich auf, schloß den Laden und ging mit dem Perser fort. Aber während er dahinschritt, kamen ihm plötzlich die Worte seiner Mutter in den Sinn, und er machte sich in seiner Seele tausend Gedanken; und er blieb eine Weile mit gesenktem Haupte stehen. Da wandte der Perser sich um, und als er ihn so dastehen sah, rief er lachend: ,Bist du denn von Sinnen? Ich habe in meinem Herzen nur Gutes mit dir vor; wie kannst du da glauben, ich wollte dir ein Leids antun?' Und er fügte hinzu: ,Wenn du dich davor fürchtest, mit mir in mein Haus zu gehen, so will ich mit dir in deines kommen und will dich dort lehren.' ,So ist es, mein Oheim', erwiderte Hasan; und der Perser fuhr fort: ,Geh du vor mir her!' Da ging Hasan ihm voran auf dem Wege zu seiner Wohnung, und der Perser folgte ihm, bis sie dort ankamen. Hasan trat in sein Haus ein und kündete seiner Mutter, die er dort fand, daß der Perser mit ihm gekommen sei; der Perser selbst aber blieb an der Haustür stehen. Darauf richtete sie alles im Hause für sie; und als sie ihre Arbeit getan hatte, ging sie fort. Alsbald meldete Hasan dem Perser, er könne hereinkommen, und so trat der Mann ins Haus. Dann nahm Hasan eine Schüssel in seine Hand und eilte mit ihr auf den Markt, um in ihr etwas zum Essen zu holen. Und bald, nachdem er fortgegangen war, kam er mit den Speisen zurück und setzte sie dem Perser vor,



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indem er zu ihm sprach: ,Iß, mein Gebieter, auf daß Brot und Salz zwischen uns seien; und Allah der Erhabene strafe den, der dem Bunde von Brot und Salz untreu wird!' ,Du hast recht. mein Sohn', erwiderte der Perser; aber dann lächelte er und fuhr fort: ,Ja, ja, mein Sohn! wer kennt den Wert von Brot und Salze' Darauf trat er heran und aß mit Hasan, bis sie gesättigt waren; und nun sagte der Perser: ,Mein Sohn Hasan, hole uns ein wenig Süßigkeiten!' So ging denn Hasan wieder zum Markte und holte zehn Schalen' voll Süßigkeiten, erfreut über die Worte des Persers. Und nachdem er sie jenem vorgesetzt hatte, aß der davon, und Hasan aß mit ihm. Zuletzt sagte der Perser zu ihm: ,Allah lohne dir mit Gutem, mein Sohn! Deinesgleichen nehmen die Menschen sich zum Freunde, und sie offenbaren ihm ihre Geheimnisse und lehren ihn, was ihm Nutzen bringt.' Und er fügte hinzu: ,Hasan, hol das Gerät!' Kaum hatte Hasan diese Worte vernommen, da sprang er hinaus wie ein Füllen, das im Frühjahr auf die Weide gelassen wird, und er eilte zum Laden, nahm das Gerät, lief zurück und stellte alles vor den Perser hin. Der zog ein Stück Papier hervor und sprach: ,O Hasan, bei dem Bunde von Brot und Salz, wärest du mir nicht lieber als ein eigen Kind, so würde ich dich nicht in diese Kunst einweihen. Jetzt habe ich von diesem Elixier nur noch dies kleine Päcklein übrig; aber schau zu, wenn ich später die Kräuter mische und vor dich hinlege! Wisse, mein Sohn, mein Hasan, du mußt auf je zehn Pfund Kupfer ein halbes Quentchen von dem nehmen, was in diesem Papier ist; dann werdendie zehn Pfund alsbald zu reinem, lauterem Golde.' Und weiter sprach er zu ihm: ,Mein Sohn, mein Hasan, in diesem Papier sind noch drei Unzen nach ägyptischem Gewicht; und wenn das, was darinnen sich befindet, verbraucht ist, so



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will ich dir neues bereiten.' Hasan nahm das Päckchen hin und entdeckte in ihm etwas Gelbes, das noch feiner war als das erste; da sagte er: ,Mein Gebieter, wie heißt dies? Wo ist es zu finden? Und woraus wird es bereitet?' Der Perser lächelte, denn er dachte schon gierig daran, über Hasan Gewalt zu gewinnen; und er sprach zu ihm: ,Wonach fragst du auch immer! Tu dein Werk und schweig still!' Da holte Hasan eine Schale aus dem Hause, zerschnitt sie und warf die Stücke in den Tiegel; dann streute er darauf ein wenig von dem, was in dem Papier war, und sofort entstand ein Barren von lauterem Golde. Wie er das sah, freute er sich über die Maßen, ja, seine Sinne verwirrten sich, da er nur an jenen Barren denken konnte. Nun aber zog der Perser eilends aus seinem Turban ein Päcklein hervor, in dem sich Bendsch befand, so stark, daß ein Elefant, wenn er daran gerochen hätte, von einer Nacht zur andern in Schlaf gesunken wäre; davon nahm er ein Stückchen und tat es in ein Stück von den Süßigkeiten. Dann sprach er: ,O Hasan, du bist mein Sohn geworden, ja, du bist mir lieber als meine Seele und mein Gut; ich habe aber eine Tochter, die will ich mit dir vermählen. 'Hasan erwiderte ihm: ,Ich bin dein Diener; was immer du an mir tust, das ist bei Allah dem Erhabenen gut aufgehoben.' Und der Perser fuhr fort: ,Mein Sohn, sei geduldigen Sinnes und laß deine Seele ausharren, so wird dir nur Gutes widerfahren!' Damit gab er ihm das Stück von den Süßigkeiten, Hasan nahm es, küßte ihm die Hand und tat es in den Mund, ohne zu ahnen, was ihm im Verborgenen bestimmt war. Kaum hatte er das Stück Zuckerwerk verschluckt, so fiel er vornüber, und die Welt versank vor ihm. Als der Perser ihn ansah, wie das Unheil über ihn gekommen war, freute er sich über die Maßen; und er sprang auf und rief: ,Jetzt bist du mir in die Falle gegangen, du Galgenstrick, du Araberhund! Viele



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Jahre habe ich nach dir gesucht, bis ich dich gefunden habe, o Hasan!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 781. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als Hasan der Goldschmied das Stück von den Süßigkeiten, das der Perser ihm gab, gegessen hatte und ohnmächtig zu Boden gesunken war, der Perser sich über die Maßen freute und rief: ,Viele Jahre habe ich nach dir gesucht, bis ich dich gefunden habe!' Dann gürtete er sich, fesselte Hasan die Arme und band ihm die Füße an die Hände; darauf holte er eine Kiste. nahm die Sachen, die darinnen waren, heraus und legte Hasan hinein und verschloß sie über ihm. Ferner leerte er eine andere Kiste, legte in sie alles Gold, das Hasan besaß, dazu auch die Goldbarren, die er gemacht hatte, den ersten und den zweiten', und verschloß auch sie. Nach alledem lief er eilends zum Markt, holte einen Lastträger herbei und lud ihm die beiden Kisten auf; der brachte sie ihm an eine Stätte außerhalb der Stadt und setzte sie an der Meeresküste nieder. Dort begab der Perser sich zu dem Schiffe, das vor Anker lag und das für ihn bestimmt und ausgerüstet war, und dessen Kapitän auf ihn wartete. Als die Schiffsleute ihn sahen, kamen sie zu ihm herab, hoben die beiden Kisten auf und trugen sie an Bord. Und der Perser rief dem Kapitän und all den Seeleuten zu: ,Auf zur Fahrt! Das Werk ist vollbracht, und wir haben unser Ziel erreicht.' Nun rief der Kapitän den Seeleuten zu: ,Lichtet die Anker und bisset die Segel!' Und das Schiff stach bei günstigem Winde in See. So stand es um den Perser und um Hasan.



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Wenden wir uns nun zu Hasans Mutter zurück! Sie wartete auf ihn bis zum Abend; als sie jedoch weder einen Laut noch irgendeine Kunde von ihm vernahm, ging sie zum Hause hinüber. Sie sah es offen stehen, ging hinein, fand aber niemanden darin, auch die beiden Kisten und das Geld konnte sie nicht entdecken. Daran erkannte sie, daß ihr Sohn verloren war und daß ihn das Schicksal ereilt hatte; und sie schlug sich ins Gesicht und zerriß ihre Kleider, sie schrie und klagte und begann zu rufen: ,Wehe, mein Sohn! Wehe, die Frucht meines Herzens!' Dann sprach sie diese Verse:

Geduld versagte mir, es wuchs in mir die Sorge;
Es wuchs mein Klagen und mein Elend, seit du fern.
Bei Gott, ich kann's nicht fassen, daß du mir genommen!
Wie trag ich's, daß er schwand, er, meiner Hoffnung Stern?
Wie kann mich Schlaf erquicken, seit mein Freund geschieden?
Und wen erfreut denn wohl ein Leben voller Leid?
Du gingst und ließest Haus und Volk in heißem Sehnen;
Du trübtest meinen Quell, so klar vor dieser Zeit!
Du warst in allen Nöten mir ein treuer Helfer;
Mein Ruhm, mein Stolz, mein Halt warst du auf Erden hier.
Verwünscht sei jener Tag, an dem du meinen Augen
Entschwandest, bis zum Tag der Wiederkehr zu mir!

Dann begann sie wiederum zu weinen und zu klagen bis zum Anbruch des Tages. Da kamen die Nachbarn zu ihr herein und fragten sie nach ihrem Sohne; und sie erzählte ihnen, was zwischen ihm und dem Perser vorgegangen war, und sie glaubte fest, sie würde ihn hinfort niemals mehr wiedersehen. Dann irrte sie weinend im Hause umher. Und wie sie dort so umherging, sah sie plötzlich zwei Zeilen, die an der Wand geschrieben standen; da ließ sie einen Schriftgelehrten kommen, und der las sie ihr vor. Sie lauteten aber also:



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Bei Nacht erschien mir Lailas' Schattenbild im Schlummer.
Vor Tag; die Freundesschar schlief in der Wüste dort.
Und als das Nachtgebild, das zu mir kam, mich weckte,
Da fand ich leer das Haus, und fern den Wallfahrtsort.

Als die Mutter Hasans diese Verse hörte, schrie sie auf und rief: ,Ja, wahrlich, mein Sohn, das Haus ist leer, und der Wallfahrtsort ist fern.' Die Nachbarn nahmen darauf Abschied von ihr. nachdem sie ihr gewünscht hatten, sie möge stark bleiben und bald wieder mit ihrem Sohne vereinigt werden, und gingen ihrer Wege. Aber die Mutter weinte immerfort, zu allen Stunden der Nacht und zu allen Zeiten des Tages; und sie ließ mitten im Hofe des Hauses ein Grabmal erbauen und darauf den Namen Hasans und den Tag schreiben, an dem er verloren ging. Von diesem Grabe trennte sie sich fortan nicht mehr; immerdar weilte sie bei ihm, seit ihr Sohn ihr genommen war.

Kehren wir nun von ihr zu ihrem Sohne und dem Perser zurück! Der Perser war nämlich ein Feueranbeter, der die Muslime glühend haßte und immer, wenn er einen von den Gläubigen in seine Gewalt bekam, ihn umbrachte. Er war ein gemeiner Schurke, ein Schätzesucher und verbrecherischer Schwarzkünstler, wie der Dichter von ihm sagt:

Er ist ein Hund, ein Hundesohn und eines Hundes Enkel;
Nichts Gutes ist in einem Hund, der einem Hund entsprossen.

Oder wie ein anderer sagt:

Ein Sohn gemeinen Volks, ein Hundesohn, ein Teufel,
Ein Bastard und ein Sohn der Sunde und ein Ketzer.



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Der Name jenes Verfluchten lautete Bahrâm der Feueranbeter, und er pflegte in jedem Jahre einen von den Muslimen zu rauben und ihn bei einem verborgenen Schatze zu opfern. Und wie nun sein Anschlag wider Hasan den Goldschmied gelungen war und er mit ihm von Tagesanbruch bis zum Beginne der Nacht dahingefahren war, legte das Schiff am Festlande an bis zum Morgen. Als die Sonne aufging und das Schiff wieder weitersegelte, befahl der Perser seinen Sklaven und Dienern, die Kiste zu bringen, in der Hasan lag. Nachdem sie den Befehl ausgeführt hatten, öffnete er sie und nahm den Jüngling heraus; dann ließ er ihn an Essig riechen und blies ihm ein Pulver in die Nase. Da nieste Hasan und gab das Bendsch wieder von sich, öffnete die Augen und schaute nach rechts und links hin um sich. Als er sich aber mitten im Meere auf einem fahrenden Schiffe zur Seite des bei ihm sitzenden Persers sah, erkannte er, daß er überlistet war durch einen Betrug, den der verfluchte Feueranbeter an ihm verübt hatte, und daß er in eben die Gefahr geraten war, vor der seine Mutter ihn gewarnt hatte. Und er sprach die Worte, die keinen, der sie spricht, zuschanden werden lassen, die Worte: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Wahrlich, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu Ihm kehren wir zurück. O mein Gott, geruhe deine Güte in deinem Ratschluß mir nicht zu versagen, laß mich deine Heimsuchung geduldig ertragen, o Herr der Welten!' Dann wandte er sich zu dem Perser und redete ihn mit sanften Worten an, indem er sprach: ,O mein Vater, was ist das für eine Tat? Wo bleibt nun der Bund von Brot und Salz und der Eid. den du mir geschworen hast?' Der aber starrte ihn an und rief: ,Du Hund, weiß jemand wie ich etwas von Brot und Salz? Ich habe jetzt schon tausend Burschen wie dich, weniger einen, umgebracht,



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und du sollst das Tausend vollmachen!' So laut schrie er ihn an, daß Hasan verstummte, da er nun wußte, daß der Pfeil des Schicksals ihn getroffen hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 282 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als er sah, daß er dem verfluchten Perser in die Hände gefallen war, ihn mit sanften Worten anredete, daß es ihm aber nichts nutzte. sondern jener ihn so laut anschrie, daß er verstummte, da er nun wußte, daß der Pfeil des Schicksals ihn getroffen hatte. Alsbald befahl der Verruchte, seine Fesseln zu lösen: und dann gab man ihm ein wenig Wasser zu trinken, während der Feueranbeter lachte und sprach: ,Bei dem Feuer im Lichtgewand, beim Schatten und bei der Hitze Brand, ich glaubte nicht, daß du in mein Netz fallen würdest. Aber das Feuer hat mir Macht über dich gegeben und mir geholfen, dich zu greifen, so daß ich mein Ziel erreichen kann, indem ich heimfahre und dich ihm zum Opfer bringe und seine Gunst gewinne.' Da sagte Hasan zu ihm: ,Du hast also Verrat begangen an Brot und Salz!' Doch der Feueranbeter erhob seine Hand und versetzte ihm einen solchen Schlag, daß er niederfiel und mit den Zähnen in das Schiffsdeck biß und ohnmächtig liegen blieb, während ihm die Tränen über die Wangen rannen. Weiter befahl der Feueranbeter seinen Dienern, ihm ein Feuer anzuzünden; und als Hasan ihn fragte: ,Was willst du damit tun?' antwortete jener: ,Dies ist das Feuer, das Licht und Funken entsendet, und ihm bringe ich Verehrung dar. Wenn du es auch anbetest gleich mir, so will ich dir die Hälfte von meiner Habe geben und dich mit meiner Tochter vermählen.' Hasan aber schrie ihn an mit den Worten: ,Wehe dir, du bist ein Feueranbeter,



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ein Ketzer, du gehörst zu denen, die das Feuer verehren statt des allmächtigen Königs der Ehren, der Tag und Nacht hervorgebracht! Das ist der unseligste Glaube.' Darob ergrimmte der Feueranbeter, und er rief: ,Willst du dich mir nicht fügen, du Araberhund, und meinen Glauben annehment' Aber Hasan fügte sich ihm nicht darin; und nun befahl der verruchte Feueranbeter, nachdem er sich vor dem Feuer niedergeworfen hatte, seinen Dienern, Hasan flach aufs Gesicht niederzuwerfen. Als die das getan hatten, begann er mit einer Geißel aus geflochtenen Riemen so lange auf ihn einzuschlagen, bis ihm die Seiten wund waren; dabei rief der Arme um Hilfe, doch er fand keinen Helfer, und er flehte um Schutz, doch keiner schützte ihn. So erhob er seinen Blick zum allmächtigen König der Ehren und bat ihn im Namen des auserwählten Propheten, Hilfe zu gewähren. Schon war es, als ob die Kräfte der Geduld ihn verließen, und die Tränen begannen ihm regengleich über die Wangen zu fließen; und er sprach diese beiden Verse:

Mein Gott, ich will mich deinem Schicksalsspruche fügen;
Wenn dies dein Wille ist, so übe ich Geduld.
Sie waren hart und grausam wider uns im Herrschen;
Verzeihst du wohl in Gnaden die vergangne Schuld?

Darauf befahl der Feueranbeter den Sklaven, sie sollten den Jüngling aufrecht hinsetzen und ihm etwas Speise und Trank bringen; doch als sie es brachten, weigerte er sich zu essen und zu trinken. Der Feueranbeter aber quälte ihn immerfort, Tag und Nacht, solange sie dahinfuhren, während Hasan sich in Geduld faßte und demütig zu Allah, dem Allgewaltigen und Glorreichen, flehte; denn das Herz des Verfluchten hatte sich gegen ihn verhärtet. Drei Monate lang segelten sie auf dem Meere weiter, und Hasan ward in dieser Zeit stets von dem Perser gefoltert. Als aber die drei Monate vollendet waren,



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entsandte Allah der Erhabene einen Sturm; und die See wurde schwarz und warf in wildem Tosen das Schiff hin und her. Da sagten der Kapitän und die Seeleute: ,Dies alles kommt, bei Allah, nur durch diesen Burschen, der schon seit drei Monaten bei dem Feueranbeter dort Qualen leidet; das ist vor Allah dem Erhabenen nicht erlaubt.' Dann erhoben sie sich wider den Perser und töteten seine Diener und alle, die bei ihm waren. Und als jener sah, daß sie seine Leute umgebracht hatten, war er des Todes gewiß und fürchtete für sein Leben. Deshalb befreite er Hasan von seinen Fesseln, zog ihm die alten Kleider aus, die er trug, und legte ihm neue an. Und er suchte ihn zu versöhnen, indem er ihm versprach, er wollte ihn die Kunst lehren und in seine Heimat zurückführen; und er fügte hinzu: ,Mein Sohn, trag mir nicht nach, was ich dir getan habe!' Hasan aber antwortete: ,Wie kann ich dir je wieder trauen?' Da sagte jener: ,Mein Sohn, gäbe es keine Schuld, so gäbe es auch keine Verzeihung. Fürwahr, ich habe dir alles dies nur angetan, um deine Standhaftigkeit zu erproben; und du weißt, daß alles in Gottes Hand ruht.' Die Seeleute und der Kapitän freuten sich über die Befreiung Hasans, und er betete für sie und pries Allah den Erhabenen und dankte ihm. Da legte sich der Sturm, das Dunkel klärte sich auf, und Wind und Fahrt waren wieder günstig. Nun sprach Hasan zu dem Feueranbeter: ,Du Perser, wohin ziehst du?' ,Mein Sohn,' antwortete jener, ,ich ziehe nach dem Berge der Wolken, auf dem sich das Elixier befindet, das wir zur Schwarzkunst brauchen.' Und er schwor beim Feuer und beim Lichte, daß es für Hasan nichts mehr gäbe, was er zu fürchten hätte. So ward denn Hasan ruhig in seinem Herzen und freute sich über die Worte des Feueranbeters, und er aß und trank und schlief mit ihm, und jener kleidete ihn in seine eigenen Kleider. Sie fuhren nochmals drei Monate lang



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dahin, und schließlich ging das Schiff mit ihnen vor Anker bei einem langen Strande, der mit weißen, gelben, blauen, schwarzen und noch andersfarbigen Kieseln bedeckt war. Als nun das Schiff festlag, erhob sich der Perser und sprach: ,Auf, Hasan, geh an Land! Wir haben jetzt erreicht, was wir suchten und begehrten.' Da machte Hasan sich auf und begab sich mit dem Perser an Land, nachdem der seine Sachen der Obhut des Kapitäns anvertraut hatte. Dann gingen die beiden weiter, bis sie weit von dem Schiffe entfernt und den Blicken der Leute entschwunden waren. Darauf setzte der Feueranbeter sich nieder, holte aus seiner Tasche eine kleine kupferne Trommel hervor und eine seidene Schlagschnur, die mit Gold durchwirkt und mit Talismanen besetzt war, und schlug die Trommel. Sobald er das getan hatte, erhob sich fern am anderen Ende der Steppe eine Staubwolke. Hasan aber wunderte sich über sein Tun und fürchtete sich vor ihm; schon bereute er, daß er mit ihm gelandet war, und seine Farbe erblich. Der Feueranbeter schaute ihn an und sprach zu ihm: ,Was ist dir, mein Sohn? Bei dem Feuer und dem Lichte, dir droht gar keine Gefahr mehr von mir. Wäre es nicht, daß mein Ziel nur durch dich erreicht werden kann, so hätte ich dich nicht aus dem Schiffe herausgeführt. Freue dich alles Guten; denn diese Staubwolke kommt von etwas, das wir besteigen wollen und das uns helfen wird, diese Steppe zu durchqueren, so daß ihre Beschwerden leicht für uns werden.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 783. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Perser zu Hasan sprach: ,In jener Staubwolke ist etwas, das wir besteigen wollen und das uns helfen wird, diese Steppe zu durchqueren,



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so daß ihre Beschwerden leicht für uns werden.' Und es dauerte nur eine kleine Weile, da erhob sich die Staubwolke über drei edlen Kamelinnen; und der Perser bestieg die eine, Hasan die zweite, und sie luden ihre Wegzehrung auf die dritte. Dann ritten sie sieben Tage lang dahin, bis sie in ein weites Gelände kamen; und als sie in jenes Gelände hinabritten, erblickten sie eine Kuppel, die auf vier Pfeilern aus rotem Golde ruhte. Dort saßen sie ab von den Kamelinnen und traten unter die Kuppel, aßen und tranken und ruhten sich aus. Als Hasan nun zufällig seitwärts blickte, entdeckte er etwas Hohes, und er fragte:., ,Was ist das, mein Oheim?' ,Das ist ein Schloß', erwiderte der Feueranbeter; und Hasan fuhr fort: ,Wollen wir uns nicht aufmachen und dort hineingehen, damit wir uns in ihm ausruhen und es uns anschauen können?' Doch der Perser sprang auf und rief: ,Sprich mir nicht von diesem Schlosse da! Dort wohnt mein Feind, und mir ist mit ihm etwas begegnet; doch jetzt ist nicht die Zeit, dir davon zu erzählen.' Dann schlug er sofort wieder die Trommel, die Kamelinnen eilten herbei, und die beiden saßen auf und ritten von neuem sieben Tage dahin. Als aber der achte Tag anbrach, fragte der Feueranbeter: ,Hasan, was siehst du jetzt?' ,Ich sehe Wolken und Nebel zwischen Osten und Westen', erwiderte der Jüngling; doch der Perser entgegnete ihm: ,Das sind weder Wolken noch Nebel, nein, das ist ein mächtiger, hoher Berg, an dem sich die Wolken teilen. Doch über ihm gibt es keine Wolken mehr; so unendlich hoch ist er, so gewaltig türmt er sich empor. Dieser Berg ist mein Ziel; auf ihm befindet sich, was wir suchen. Deswegen habe ich dich mit mir hierher gebracht. und was ich vorhabe, kann nur durch deine Hand vollbracht werden.' Als Hasan das hörte, gab er sein Leben verloren; und er sprach zu dem Feueranbeter: ,Bei dem, was du



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anbetest, und bei dem Glauben, dem du anhängst, sage mir, welches der Zweck ist, um dessentwillen du mich hierher gebracht hast!' Jener gab ihm zur Antwort: ,Wisse, die Kunst des Goldmachens kann nur mit Hilfe eines Krautes ausgeübt werden, das an der Stätte wächst, wo die Wolken vorüberziehen und sich zerteilen. Das ist eben dieser Berg, und das Kraut findet sich auf ihm; wenn wir dieses Krautes habhaft werden, so will ich dir zeigen, welcher Art diese Kunst ist.' Hasan sagte in seiner Angst nur: ,Ja, mein Gebieter!' Doch er fühlte sich dem Tode nahe und weinte ob der Trennung von seiner Mutter und seinem Volke und seiner Heimat; und er bereute, daß er dem Rate seiner Mutter nicht gefolgt war, und sprach diese beiden Verse:

Schau auf das Tun des Herren, wie er deinen Weg
So bald zur heißersehnten Rettung lenkt!
Verzweifle nicht, wenn du in Not geraten bist;
Wie oft wird Wundergnade in der Not geschenkt!

Die beiden ritten nun weiter, bis sie jenen Berg erreichten; an seinem Fuße machten sie Halt, und da erblickte Hasan eine Burg auf der Höhe des Berges. Drum fragte er den Feueranbeter: ,Was ist das für eine Burg?' Jener antwortete: ,Das ist die Stätte der Dämonen, der Ghûle und Satane.' Darauf stieg der Perser von seiner Kamelin herunter und befahl auch Hasan abzusitzen; und er ging auf ihn zu, küßte ihm das Haupt und sprach zu ihm: ,Trag mir nicht nach, was ich an dir getan habe! Ich will dich bewachen, während du zur Burg hinaufsteigst, und ich beschwöre dich, betrüge mich um nichts von dem, was du von dort mitbringen wirst; wir beide, ich und du, wollen dann gleichen Teil daran haben.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Hasan; der Perser aber öffnete einen Sack und zog daraus eine Mühle hervor; desgleichen nahm er aus



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ihm ein Maß Weizen. Den mahlte er auf jener Mühle; und aus dem Mehl knetete er drei runde Brotfladen und buk sie. nachdem er das Feuer entzündet hatte. Schließlich holte er wiederum die Kupfertrommel und die bestickte Schlagschnur und schlug die Trommel. Da kamen die Kamele; eins von ihnen wählte er aus, und nachdem er es geschlachtet hatte, zog er ihm die Haut ab. Und nun wandte er sich zu Hasan und sprach zu ihm: ,Höre, mein Sohn, o Hasan, auf das, was ich dir einschärfe!' ,Ich tu es', erwiderte jener; und der Perser fuhr fort: ,Lege dich in diese Haut; ich will dich darin einnähen und auf der Erde liegen lassen; dann werden die Geier kommen und mit dir auf den Gipfel des Berges fliegen. Nimm dies Messer mit, und wenn die Vögel aufhören zu fliegen und du merkst, daß sie dich dort oben niedergelegt haben, so schneide mit ihm die Haut auf und krieche heraus. Die Vögel werden vor dir erschrecken und von dir fortfliegen; du aber schau herab zu mir vom Gipfel des Berges und rufe mich an, so werde ich dir sagen, was du zu tun hast.' Darauf machte er ihm die drei Brotfladen zurecht sowie einen Schlauch Wassers und legte alles zu ihm in die Haut; erst dann nähte er ilm darin ein. Nachdem er sich von ihm entfernt hatte, kamen die Geier, hoben ihn auf, flogen mit ihm zur Höhe des Berges empor und legten ihn dort nieder. Sobald Hasan bemerkte, daß die Geier ihn hingelegt hatten, schlitzte er die Haut auf, kroch aus ihr heraus und rief den Feueranbeter. Als der seine Worte vernahm, freute er sich und begann im Übermaß der Freude zu tanzen und rief ihm zu: ,Wende dich um und sage mir, was du siehst!' Da wandte Hasan sich um und erblickte viele vermoderte Gebeine und daneben eine Fülle von Brennholz; und wie er dem Perser alles, was er gesehen, kundgetan hatte, rief der: .Das ist das Gewünschte und Gesuchte. Nimm von dem



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Brennholz sechs Bündel und wirf sie mir herunter; denn damit üben wir die Schwarzkunst!' Hasan warf ihm die sechs Bündel zu; und als der Feueranbeter sah, daß sie bei ihm waren, rief er Hasan zu: ,Du Galgenstrick, ich habe erreicht, was ich von dir wollte; wenn du es wünschest, so bleib auf diesem Berge; sonst wirf dich zur Erde hinab, so daß du den Tod findest!' Damit ging er fort. Hasan aber rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Dieser Hund hat mich betrogen.' Dann setzte er sich nieder und beklagte sein Los, indem er diese Verse sprach:

Hat Gott einmal dem Menschen Unglück' zuerkannt,
Und hat dann dieser auch Gesicht, Gehör, Verstand,
So macht Er ihm die Ohren taub, das Herze blind,
Zieht den Verstand aus ihm gleichwie ein Haar geschwind,
Bis Er, wenn Er an ihm sein Werk vollendet hat,
Verstand ihm wiedergibt; der geht mit sich zu Rat.
Drum frag von dem, was eintritt, niemals, nie's geschah;
Denn alles hier ist nur durch Los und Schicksal da! — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 784. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Feueranbeter, nachdem er Hasan zum Bergesgipfel hinaufgeschickt hatte und sich von ihm das, was er brauchte, hatte herabwerfen lassen, ihn schmähte und verließ und seiner Wege ging, und daß der Jüngling ausrief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Dieser verfluchte Hund hat mich betrogen.' Dann stand er auf, blickte nach rechts und nach links und schritt auf dem Kamm des Berges dahin, in seiner Seele gewiß, daß er des Todes sei. So ging er weiter, bis er zu der anderen Seite des Berges kam; dort sah er zu Füßen der Höhe ein blaues Meer, brandend



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und von Wogen gepeitscht, deren jede so hoch wie ein großer Berg war. Er setzte sich nieder und sprach die Verse aus dem Koran, die ihm gegenwärtig waren, und er flehte zu Allah dem Erhabenen, er möchte ihn erlösen, sei es durch den Tod oder durch Befreiung aus dieser Not. Dann sprach er für sich selbst das Begräbnisgebet und warf sich ins Meer hinab; und siehe da, die Wogen trugen ihn durch die Huld Allahs des Erhabenen wohlbehalten dahin, bis er unversehrt aus dem Meere an Land gehen konnte; so geschah es durch die Allmacht Gottes des Erhabenen. Da freute er sich und pries Allah den Erhabenen und dankte ihm. Und alsbald machte er sich auf den Weg, um etwas zu suchen, das er essen könnte. Während er nun so dahinschritt, kam er zu der Stätte, an der er zusammen mit Bahrâm dem Feueranbeter gewesen war; von dort ging er noch eine Weile weiter, da sah er plötzlich ein großes Schloß, das in die Lüfte emporragte. In das trat er ein, und siehe, es war das Schloß, nach dem er den Feueranbeter gefragt und über das jener ihm gesagt hatte: ,In diesem Schlosse wohnt mein Feind.' Nun sagte sich Hasan: ,Bei Allah, ich muß in das Innere dieses Schlosses gehen; vielleicht wartet meiner dort die Rettung.' Er hatte aber, als er dorthin gekommen war, die Tür offen gefunden und war durch sie eingetreten, und nun sah er in der Vorhalle eine Bank, auf der zwei Jungfrauen saßen, Monden gleich; zwischen den beiden stand ein Schachbrett, und sie waren beim Spiel. Eine von ihnen hob den Kopf nach ihm und rief voller Freuden: ,Bei Allah, das ist ein Menschenkind; und ich glaube, er ist der, den Bahrâm der Feueranbeter in diesem Jahre hierhergeschleppt hat.' Als Hasan ihre Worte vernahm, warf er sich den beiden zu Füßen und weinte bitterlich; und er sprach: ,Ja, meine Gebieterinnen, ich bin, bei Allah, jener Unglückliche!' Da sagte die jüngere Maid



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zu ihrer älteren Schwester: ,Sei du meine Zeugin, o Schwester, daß dieser hier mein Bruder ist durch einen Bund und Eid vor Allah, sein Tod soll mein Tod sein, sein Leben mein Leben, ich will mich freuen ob seiner Freude und will trauern ob seiner Trauer.' Darauf trat sie zu ihm, umarmte ihn und küßte ihn, nahm ilm bei der Hand und führte ihn weiter ins Schloß hinein, während ihre Schwester sie begleitete. Dort nahm sie ihm die zerfetzten Kleider ab, die er trug, und brachte ihm ein königliches Gewand und legte es ihm an. Dann bereitete sie für ihn Speisen von allerlei Art, und nachdem sie ihm die vorgesetzt hatte, ließ sie sich mit ihrer Schwester bei ihm nieder, und beide aßen mit ihm. Dann sprachen sie zu ihm: ,Erzähl uns, wie es dir mit dem Hund, dem gemeinen Zauberer ergangen ist, von der Zeit an, da du in seine Hände fielst, bis zu der Zeit, da du dich von ihm befreitest. Nachher wollen wir dir erzählen, was wir mit ihm erlebt haben, von Anfang bis zu Ende. damit du auf deiner Hut bist, wenn du ihn einmal wieder siehest.' Als Hasan diese Worte von ihnen vernommen und ihre Freundlichkeit gegen ihn erkannt hatte, ward seine Seele ruhig, und er kam wieder zu Sinnen und begann ihnen seine Erlebnisse mit jenem Perser zu erzählen, von Anfang bis zu Ende. Dann fragten sie ihn: ,Hast du ilm auch nach diesem Schlosse gefragt?' Er gab zur Antwort: ,Jawohl, ich habe ihn gefragt; aber er sagte mir: Ich höre nicht gern von ihm sprechen; denn dies Schloß gehört den Satanen und Teufeln.' Da wurden die beiden Jungfrauen sehr zornig, und sie riefen: ,Hat dieser Ketzer uns zu Satanen und Teufeln gemacht?' ,So ist es', erwiderte Hasan; und die jüngere Maid, die Schwester Hasans, rief: ,Bei Allah, ich will ihn des schmählichsten Todes sterben lassen und ihm den Hauch der Welt nehmen.' Hasan fragte darauf: ,Wie willst du zu ihm gelangen und ihn töten?



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Frist doch ein tückischer Zauberer.' Jene fuhr fort: ,Er wohnt in einem Garten, der al-Muschaijad' heißt; es geht nicht anders, ich muß ihn in Kürze umbringen.' Und ihre Schwester sprach: ,Hasan hat die Wahrheit gesprochen; alles, was er von diesem Hund gesagt hat, ist wahr. Jetzt aber erzähle du ihm unsere ganze Geschichte, auf daß sie ihm im Gedächtnis bleibe.' Nun hub die jüngere Maid an: ,Wisse, mein Bruder, wir gehören zu den Königstöchtern; unser Vater ist einer von den großmächtigsten Geisterkönigen, und er hat Heere und Wächter und Diener aus der Schar der Mârids. Allah der Erhabene hat ihm sieben Töchter von einer Frau geschenkt; aber Torheit, Eifersucht und Halsstarrigkeit erfüllten ihn über alle Maßen, so daß er uns mit keinem Manne vermählt hat. Und er berief seine Wesire und Freunde und sprach zu ihnen: ,Könnt ihr mir einen Ort nennen, den niemand betreten kann, weder ein menschliches Wesen noch eines aus der Geisterwelt, an dem viele Bäume mit Früchten sprießen und viele Bäche fließen?' Sie gaben ihm zur Antwort: ,Was willst du damit tun, o größter König unserer Zeit?' Und er fuhr fort: ,Ich will meine sieben Töchter dorthin bringen.' ,O König,' erwiderten sie, ,der rechte Ort für sie ist das Schloß am Berge der Wolken, das ein Dämon aus der Zahl der abtrünnigen Geister errichtet hat, jener, die sich wider den Bund mit unserem Herrn Salomo -über ihm sei Heil! —empörten. Seit der den Tod gefunden, hat niemand mehr nach ihm dort gewohnt, weder ein Geisterwesen noch ein Mensch, weil es so weit abgelegen ist, daß niemand zu ihm gelangen kann. Dort siehst du ringsumher die Bäume mit Früchten sprießen und die Bächlein fließen, und das Wasser, das es rings umströmt, ist



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süßer als Honig und kühler als Schnee, und wenn irgendeiner, der mit Aussatz oder Knollsucht oder irgendeiner anderen Krankheit behaftet ist, daraus trinkt, so wird er zur selbigen Stunde geheilt.' Als unser Vater davon gehört hatte, schickte er uns zu diesem Schlosse; auch sandte er Streiter und Mannen mit uns und ließ für uns alles aufspeichern, dessen wir hier bedürfen. Wenn er zu uns reiten will, so läßt er die Trommel schlagen; dann versammeln sich bei ihm alle, und er wählt aus, wer mit ihm reiten soll, während die übrigen wieder fortziehen. Wenn unser Vater aber wünscht, daß wir zu ihm kommen, so befiehlt er seinen Zauberdienern, uns zu bringen; die kommen dann zu uns, nehmen uns mit und führen uns vor ihn, auf daß er sich unserer erfreue und wir unsere Sehnsucht nach ihm stillen; danach bringen sie uns an unsere Wohnstatt zurück. Wir haben noch fünf Schwestern; aber die sind fortgegangen, um in der Steppe dort zu jagen, wo es so viel Wild gibt, daß man seine Zahl nicht berechnen kann. An je zwei von uns kommt immer die Reihe, daheimzubleiben, um die Speisen zu bereiten; heute war die Reihe an uns, an mir und meiner Schwester hier, und so sind wir geblieben, um für sie das Mahl zu rüsten. Wir haben schon oft zu Allah, dem Gepriesenen und Erhabenen, gefleht, er möchte uns ein menschliches Wesen schicken, das uns Gesellschaft leiste. Drum sei Allah Dank, daß er dich zu uns geführt hat! Hab Zuversicht und quäl dich nicht; dir soll kein Leid widerfahren!' Hasan aber freute sich und sprach: ,Preis sei Allah, der uns auf den Weg der Rettung geführt und uns die Herzen geneigt gemacht hat!' Dann erhob sich seine Schwester, faßte ihn an der Hand und führte ihn in ein Gemach; dort holte sie für ihn Linnen und Decken, wie sie kein Sterblicher besitzen kann. Und nach einer Weile kamen auch ihre Schwestern von Jagd und Hatz wieder



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heim, und die beiden machten sie mit der Geschichte Hasans bekannt; jene freuten sich über ihn, kamen in das Gemach, begrüßten ihn und wünschten ihm Glück zu seiner Rettung. Dann lebte er bei ihnen in Herrlichkeit und Freuden, er zog mit ihnen aus zu Jagd und Hatz und erlegte das Wild. So ward Hasan mit ihnen vertraut, und er blieb in solcher Weise bei ihnen, bis sein Leib wieder gesund war und geheilt von allem, was ihn betroffen hatte; ja, sein Leib ward wieder stark und dick und fett, da er so gut bewirtet wurde und bei ihnen an jener Stätte weilen durfte. Er konnte sich mit ihnen ergötzen und erquicken in jenem herrlichen Schlosse und in den Gärten der Bäume und Blumen. Die Schwestern waren stets freundlich zu ihm und heiterten ihn mit Worten auf; so war denn auch bald alles Trübe und Häßliche von ihm gewichen, und die Mädchen hatten ihre große Freude an ihm. Auch er hatte seine Freude an ihnen, ja fast noch mehr als sie an ihm. Nun erzählte die jüngste Prinzessin ihren Schwestern von dem Feueranbeter Bahrâm, und daß er sie zu Satanen und Teufeln und Ghûlen gemacht hätte; und sie schworen ihr, sie wollten ihn gewißlich umbringen.

Als das Jahr sich vollendet hatte, erschien der Verfluchte von neuem, und er hatte einen jungen Muslim bei sich, der so schön war wie der Mond; der lag in Fesseln und litt die grausamsten Qualen. Der Perser machte mit ihm Halt bei den Mauern des Schlosses, in dem Hasan die Mädchen getroffen hatte; und gerade saß Hasan an dem Bache unter den Bäumen. Als er aber jenen erblickte, bebte ihm das Herz, und seine Farbe erblich, und er schlug die Hände zusammen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 785. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist



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mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan dem Goldschmied, als er den Feueranbeter erblickte, das Herz bebte und daß seine Farbe erblich und er seine Hände zusammenschlug. Und er sprach zu den Jungfrauen: ,üm Allahs willen, meine Schwestern, helft mir, diesen Verfluchten zu töten! Da ist er schon wieder! Aber er ist in eurer Hand. Und er hat einen jungen Muslim bei sich, einen Sohn vornehmer Leute; den quält er mit vielen schmerzlichen Foltern. Jetzt möchte ich ihn töten und meines Herzens Durst an ihm stillen; ich will diesen Jüngling von seinen Qualen befreien und mir himmlischen Lohn erwerben. Wenn dieser junge Muslim dann in seine Heimat zurückkehrt und wieder mit seinen Brüdern und seiner Sippe und seinen Freunden vereinigt ist, so ist das ein Almosen von euch, und ihr werdet den Lohn Allahs des Erhabenen gewinnen.' ,Wir hören und gehorchen Allah und dir, o Hasan!' erwiderten die Mädchen; und alsbald schlugen sie sich die Kinnschleier um, legten die Rüstungen an und gürteten sich mit den Schwertern. Für Hasan aber brachten sie einen edlen Renner, eins der herrlichsten Rosse, und sie statteten ihn mit einer vollständigen Rüstung aus und wappneten ihn mit prächtigen Waffen. Dann zogen sie alle hinaus und trafen den Feueranbeter, wie er gerade ein Kamel geschlachtet und abgehäutet hatte und wie er den Jüngling quälte und zu ihm sprach: ,Kriech in diese Haut hinein!' Da plötzlich kam Hasan von rückwärts auf ihn zu, ohne daß der Perser eine Ahnung davon hatte, und schrie ihn so laut an, daß er ihn in Todesschrecken versetzte. Dann eilte er zu ihm hin und sprach zu ihm: ,Halt ein, du Verruchter! Du Feind Allahs und Feind der Muslime! Du Hund, du Verräter! Du Feueranbeter! Du bösen Weges Betreter! Verehrst du das Feuer im Lichtgewand und schwörst beim Schatten und bei der Hitze Brande' Der Perser blickte



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auf, und als er Hasan erkannte, sprach er zu ihm: ,Mein, Sohn, wie bist du entronnen? Wer hat dich zur ebenen Erde heruntergebracht?' Hasan erwiderte: ,Mich hat Allah der Erhabene gerettet, Er, der jetzt dein Leben in die Hände deiner Feinde gegeben hat! Du schlugst mich den ganzen Weg hindurch wund, du Ketzer, du ungläubiger Hund; dafür bist du jetzt im Netze der Not gefangen und vom Wege ab in die Irre gegangen. Weder Mutter noch Bruder kann dir jetzt nützen, weder ein Freund im Leid noch ein heiliger Eid. Du sagtest ja selbst: Wer da Brot und Salz verrät, an dem soll Allah Rache nehmen. Und du hast Brot und Salz verraten: deshalb hat Allah der Erhabene dich in meine Hand fallen lassen, und der Weg zur Rettung von mir ist dir fern.' Da winselte der Feueranbeter: ,Bei Allah, mein Sohn, du bist mir lieber als mein Leben und als das Licht meiner Augen!' Doch Hasan trat auf ihn zu und traf ihn eilends auf den Nacken. sodaß sein Schwert ihm glitzernd durch die Halssehnen fuhr; und Allah ließ seine Seele ins Höllenfeuer sausen, an die Stätte voller Grausen. Darauf nahm der Jüngling den Sack, den jener bei sich gehabt hatte, öffnete ihn und holte daraus die Trommel und die Schlagschnur hervor, und als er mit dieser auf die Trommel schlug, kamen die Kamele wie der Blitz auf ilm zu. Nun befreite er den Jüngling von seinen Fesseln, setzte ilm auf eines der Kamele und belud das andere mit Wegzehrung und Wasser, indem er sprach: ,Zieh, wohin du willst!' So zog denn jener von dannen, nachdem Allah der Erhabene ihn aus aller Not durch die Hand Hasans befreit hatte. Die Jungfrauen aber, als sie sahen, wie Hasan dem Feueranbeter den Hals durchschlug, freuten sich unendlich über ihn, umringten ihn und bewunderten seine Tapferkeit und seine große Kühnheit; und sie priesen ihn ob seiner Heldentat und wünschten ihm Glück zu seiner



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Rettung, und sie fügten hinzu: ,O Hasan, durch die Tat, die du getan, hast du dem Rachegedanken Heilung gebracht und hast Wohlgefallen gefunden vor dem hochherrlichen König der Macht.' Dann kehrte er mit den Jungfrauen in das Schloß zurück und weilte dort mit ihnen bei Speise und Trank, Spiel und Vergnügen; ja, das Leben bei ihnen gefiel ihm so sehr, daß er seiner Mutter vergaß. Doch während er so mit ihnen das herrlichste Leben führte, erhob sich plötzlich vor ihnen auf der ferneren Seite der Steppe eine große Staubwolke, die den Himmel verdunkelte. Da sprachen die Jungfrauen zu ihm: ,Erhebe dich, Hasan, geh in dein Gemach und verbirg dich; oder, wenn du willst, so geh in den Garten und verstecke dich zwischen den Bäumen und Reben; doch dir soll kein Leid widerfahren!' Da machte er sich auf, ging hin und verbarg sich innerhalb des Schlosses in seinem Gemache, nachdem er dessen Tür verriegelt hatte. Nach einer Weile tat sich die Staubwolke auf, und unter ihr erschien ein gewaltiges Heer gleich dem tosenden Meer; das kam von dem König, dem Vater der jungfrauen. Als nun die Truppen angekommen waren, nahmen die Prinzessinnen sie mit den höchsten Ehren auf und bewirteten sie drei Tage lang; und dann fragten sie sie, wie es ihnen ergehe und was ihr Begehr sei. Jene erwiderten: ,Wir kommen vom König, um euch zu holen.' ,Und was wünscht der König von uns?' fragten die Prinzessinnen; die Leute antworteten: ,Einer der Könige rüstet eine Hochzeit, und er möchte, daß ihr bei dieser Feier zugegen seid und euch ergötzet.' Nun fragten die Jungfrauen weiter: ,Wie lange sollen wir von unserer Wohnstätte fern sein?' Da ward ihnen gesagt: ,Die Reise dorthin und zurück und der Aufenthalt werden zwei Monate dauern.' Die Prinzessinnen gingen darauf ins Schloß hinein zu Hasan, taten ihm alles kund und sprachen zu ihm: ,Sieh, diese



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Stätte ist deine Stätte, unser Haus ist dein Haus; hab Zuversicht und gräm dich nicht, hab keine Furcht und sei nicht traurig; denn du weißt ja, daß niemand hierher zu uns gelangen kann! Sei ruhigen Herzens und frohen Sinnes, bis wir wieder bei dir sind! Da hast du auch die Schlüssel zu unseren Gemächern. Aber, lieber Bruder, wir bitten dich bei dem Bunde der Brüderschaft, öffne jene Tür dort nicht; denn sie zu öffnen geht dich nichts an!' Darauf nahmen sie Abschied von ihm und machten sich auf den Weg zusammen mit den Kriegern, während Hasan allein im Schlosse zurückblieb. Aber bald ward ihm die Brust beklommen, seine Geduld hatte ein Ende genommen, und tiefe Betrübnis war über ihn gekommen; er fühlte sich so verlassen, und er empfand schmerzliche Trauer ob der Trennung von ihnen, ja, das weite, weite Schloß ward ihm eng. Wie er sich nun einsam und verlassen sah, sprach er in Gedanken an die Jungfrauen diese Verse:

Die ganze weite Welt ward eng in meinen Augen,
Und trübe ward bei ihrem Anblick mir der Sinn;
Mir trübte sich die Freude, seit die Freunde gingen,
Und Tränen rinnen über meine Lider hin.
Der Schlummer wich von meinem Auge, seit sie schieden,
Mein ganzes Innre ist von Traurigkeit durchtränkt.
Wer weiß, ob wohl die Zeit uns jemals wieder einet
Und mir ihr nächtlich trautes Plaudern wieder schenkt? — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 786. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, nachdem die Jungfrauen von ihm gegangen waren, allein im Schlosse zurückblieb und daß ihm die Brust ob der Trennung von ihnen beklommen ward. Dann begann er allein auf Jagd in die Steppe zu ziehen, das Wild heimzubringen und zu schlachten



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und allein zu essen; dennoch wuchs in ihm das Gefühl der Verlassenheit und die Unruhe, eben weil er immer einsam war. Nun machte er sich auf und streifte im Schlosse umher und erforschte alle seine Teile. Er öffnete die Gemächer der Prinzessinnen und fand in ihnen so viele Schätze, daß sie den Beschauern wohl den Verstand rauben konnten; aber er hatte an nichts der Art seine Freude, weil die Jungfrauen fern waren. Da entbrannte in seinem Herzen ein Feuer um der Tür willen, die ihm seine Schwester zu öffnen verboten hatte; denn sie hatte ihm ja befohlen, er solle sich ihr nicht nahen und sie niemals aufmachen. Und er sprach bei sich selber: ,Meine Schwester hat mir sicher nur deshalb verboten, diese Tür zu öffnen, weil dort etwas ist, das sie vor aller Augen behüten will. Bei Allah, ich will hingehen und sie aufmachen und sehen, was darinnen ist, sollte meiner dort auch das Todesgeschick warten.' So nahm er denn den Schlüssel und öffnete die Tür; aber er fand dort nichts von Schätzen, sondern er entdeckte nur eine Treppe am oberen Ende des Raumes, die mit Steinen von jemenischem Onyx überwölbt war. Er stieg auf jener Treppe empor und ging hinauf, bis er zur Dachterrasse des Schlosses kam. ,Also dies ist es, was sie mir vorenthalten hat', sagte er sich und ging dort oben umher; da sah er hinab auf eine Stätte unten vor dem Schlosse, die voller Felder und Gärten war, mit Bäumen und Blumen, wilden Tieren und der Vögel Schar; die brachten zum Preise Allahs des Erhabenen, des Einigen, des Allbezwingers ihre Lieder dar. Und während er auf diese Lustgärten schaute, sah er plötzlich ein tosendes Meer mit brandenden Wogen ringsumher. Dann forschte er immer weiter auf jenem Schlosse, nach rechts und links, und kam schließlich zu einem Pavillon, der auf vier Säulen ruhte; darin sah er einen Ruheplatz, der kunstvoll ausgelegt war mit Edelsteinen aller Art,



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wie Hyazinthen, Smaragden, Ballasrubinen und noch anderen Juwelen. Die Bausteine aber waren abwechselnd aus Gold, Silber, Hyazinth und grünem Smaragd. Inder Mitte des Pavilions befand sich ein Becken, das mit Wasser gefüllt war; und darüber war ein Gitterwerk aus Sandelholz und Aloeholz. dessen Maschen gebildet waren aus Stäbchen von rotem Golde und von grünem Smaragd, und es trug einen Schmuck von mancherlei Edelsteinen und Perlen, deren jede so groß war wie ein Taubenei. Neben dem Becken stand ein Thron aus Aloeholz, der mit Perlen und Juwelen besetzt und mit rotem Golde vergittert war; alle Arten von farbigen Edelsteinen und kostbaren Metallen befanden sich an ihm, und sie waren so eingelegt, daß immer die gleichen Arten einander in der Reihenfolge entsprachen. Und ringsumher sangen die Vögel ihre mannigfachen Weisen, um Allah den Erhabenen mit ihren schönen Stimmen und verschiedenen Melodien zu preisen. Kurz, es war ein Prachtbau, wie ihn kein Perserkönig und kein Kaiser besaß. Hasan aber ward verwirrt, als er ihn erblickte. und er setzte sich in ihm nieder und hielt Umschau nach allen Seiten. Während er nun dort saß, voll Staunen über den prächtigen Bau und über die Herrlichkeit dessen, was er an Perlen und Edelsteinen barg, und über all die anderen kunstvollen Dinge, die sich dort befanden, und als er weiterhin mit Verwunderung auf jene Felder schaute und hörte, wie die Vöglein sangen, deren Lieder zum Preise Allahs, des Einen und Allmächtigen, erklangen, und als er über das Werk dessen nachsann, dem Allah der Erhabene die Kraft gegeben hatte, diesen Pavillon von so gewaltiger Pracht zu erbauen -, da erblickte er plötzlich zehn Vögel, die von der Landseite her kamen und auf das Becken in jenem Pavillon zuflogen. Hasan erkannte, daß sie zu dem Becken fliegen wollten, um von seinem Wasser



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zu trinken; und deshalb verbarg er sich vor ihnen, da er befürchtete, sie würden vor ihm flüchten, wenn sie ihn erblickten. Sie flogen zu einem großen schönen Baum hinab und umkreisten ihn; unter ihnen schaute Hasan einen Vogel von wunderbarer Schönheit, den herrlichsten unter ihnen, den die anderen dienstbereit umgaben; und staunend sah er, wie jener Vogel mit seinem Schnabel nach den neun anderen pickte und sich gegen sie stolz gebärdete, während sie sich scheu zurückzogen. Doch Hasan stand in der Ferne, als er ihnen zuschaute. Darauf setzten sich die Vögel auf den Thron, und ein jeder von ihnen riß sich mit seinen Krallen die Haut auf und schlüpfte hinaus: denn siehe da. es waren Federkleider, und aus diesen Kleidern kamen zehn Jungfrauen hervor, durch deren Schönheit der Mond seinen Glanz verlor. Nachdem sie also ihre Kleider abgelegt hatten, stiegen sie alle in das Wasserbecken und badeten sich; dabei begannen sie zu spielen und zu scherzen, indem die schönste Vogelmaid die anderen niederwarf und untertauchte, während sie vor ihr flohen und nicht wagten, ihre Hände nach ihr auszustrecken. Als Hasan sie nun so erblickte, war er wie von Sinnen, und sein Verstand ward ihm geraubt; und jetzt wußte er, daß die Prinzessinnen ihm nur aus diesem Grunde verboten hatten, die Tür zu öffnen. Denn sogleich ward er von heftiger Liebe zu der Vogelmaid ergriffen, als er sie dort sah in ihrer Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit, wie sie spielte und scherzte und mit Wasser besprengte. Er stand da und starrte sie an und seufzte, daß er nicht bei ihnen sein konnte; sein Verstand war berückt von der Schönheit der vornehmsten Maid, sein Herz hing in den Maschen der Liebe zu ihr, er war ganz in das Netz der Leidenschaft verstrickt. Das Auge schaute, und im Herzen brannte ein Feuer; und die Seele ist leicht zum Bösen geneigt.'



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Hasan weinte vor Sehnsucht nach ihrer Schönheit und ihrer Anmut; immer heißer loderten die Flammen in seinem Herzen um ihretwillen, ja, eine wilde Glut, deren Funken nie erloschen, stieg in ihm empor und eine Leidenschaft, deren Spur sich nicht verlor. Dann traten die Mädchen aus jenem Becken heraus, während Hasan sie sah, ohne daß sie ihn erblicken konnten. Immer noch schaute er voll Staunen auf ihre Schönheit und Anmut, ihr holdes Wesen und ihren Liebreiz. Und als sein Blick auf die vornehmste Maid fiel und er sie betrachtete, wie sie nackt dastand, ward ihm sichtbar, was zwischen ihren Schenkeln lag, gleich einer herrlichen runden Kuppel, die auf vier Pfeilern ruht, und die wie eine Schale aus Silber oder aus Kristall erstrahlte.' Als nun alle aus dem Wasser hervorgekommen waren, legte eine jede von ihnen ihre Kleider und ihren Schmuck an. Die vornehmste Maid aber kleidete sich in ein grünes Prachtgewand; da übertraf sie durch ihre Anmut die Schönen in aller Welt. und der Glanz ihres Antlitzes überstrahlte den Vollmond, der die Nacht erhellt. Sie beschämte die schwanken Reiser durch der Bewegungen Lieblichkeit und verwirrte die Gedanken der Liebenden durch Ahnung von stolzer Grausamkeit; sie war, wie der Dichter sagt:

Die Maid erschien im hellen Strahlenglanz;
Von ihrer Wange borgt die Sonne Licht.
Sie kam in ihrem Prachtgewand, so grün
Wie Laub, das sich um die Granate flicht.
Ich sprach zu ihr: Wie heiße! dies Gewand?
Worauf sie Worte schönen Sinnes sprach:



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Die Herzen unsrer Freunde brachen wir;
Da wehte Zephir, der das Herze brach.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 787. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als er die Vogelmädchen aus dem Wasserbecken herauskommen sah und als die vornehmste Maid ihm durch ihre Schönheit und Anmut den Verstand geraubt hatte, jene Verse sprach. Und als darauf die Mädchen ihre Gewänder angelegt hatten, setzten sie sich nieder, um zu plaudern und zu scherzen, während Hasan noch immer dastand und sie anschaute, versunken im Meere seiner Liebe und irrend im Tale seiner trüben Gedanken. Dabei sagte er sich: ,Bei Allah, meine Schwester hat mir nur deshalb gesagt, ich solle diese Tür nicht öffnen, weil diese Mädchen hier sind und weil sie fürchtet, ich könnte einer von ihnen in Liebe anhangen.' Und immer wieder schaute er auf die Reize jener Maid; denn sie war ja das lieblichste Wesen, das Allah zu ihrer Zeit geschaffen hatte, und sie übertraf an Schönheit alle Menschen. Sie hatte einen Mund gleich Salomos Zauberring; ihr Haar war schwärzer als die Nacht für den Liebeskranken. wenn ihn die Geliebte mit Härte empfing. Dem Neumond am Ramadan-Feste' glich ihre Stirn, die helle; ihre Augen waren wie die der Gazelle. Ihre Adlernase war von Strahlenglanz umfangen; rot wie Anemonen waren ihre Wangen. Korallen gleich waren ihre Lippen beide; ihre Zähne glichen Perlen auf güldenem Geschmeide. Ihr Hals war wie ein Silberbarren



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über einem Rumpfe, dem Weidenzweige gleich; ihr Leib war an Fältchen und Winkeln reich. Und sein Anblick hätte den Liebeskranken zu Allah flehen lassen; ihr Nabel konnte eine Unze Moschus von süßestem Wohlgeruch fassen. Ihre Schenkel waren dick und rund wie ein marmornes Säulenpaar, oder wie zwei Kissen, deren jedes mit Straußendaunen angefüllt war. Und dazwischen war etwas einem herrlichen Hügel gleich, oder wie ein Hase mit gestutzten Ohren, so weich, und es hatte Dach und Pfeiler zugleich. Diese Maid übertraf an Schönheit und Wuchs alle beide, das Schilfrohr und den Zweig der Weide. Und sie war, wie der liebeskranke Dichter von ihr agt:

Der Jungfrau Lippentau ist süß gleichwie der Honig;
Ihr Blick ist schärfer als ein Schwert aus Inderstahl.
Und sie beschämt, wenn sie sich biegt, den Zweig der Weide;
Und lacht sie, kommt aus ihrem Mund ein Blitzesstrahl.
Ich glich den aufgereihten Rosen ihre Wange;
Sie wies es ab und sprach: Wer mich zu Rosen bannt
Und meine Brust Granatenfrüchten gleicht, ist schamlos;
Granaten fehlt ein Zweig, der meine Brust umspannt.
Bei meiner Anmut, meinen Augen, meinem Herzblut,
Beim Himmel meiner Gunst, der Härte Höllenpein,
Wenn er mich wieder so vergleicht, will ich die Süße
Des Nahe seins ihm weigern, ihn dem Elend weihn.
Da heißt es: In den Gärten sind der Rosen viele! Wie meine Wange nicht! Kein Zweig dem Leibe gleich!
Wenn drum bei ihm im Garten, was mir gleicht, sich findet,
Weshalb kommt er zu mir und sucht in meinem Reich?

Die Mädchen spielten und scherzten immer weiter, während Hasan still auf seinen Füßen stand und sie anstarrte und Essen und Trinken vergaß, bis die Zeit des Nachmittagsgebetes nahte. Da sprach die Maid zu ihren Gespielinnen: ,Ihr Königskinder, es wird schon spät für uns, und unser Land ist fern;



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wir haben auch diese Stätte hier schon zur Genüge genossen. Wohlan, laßt uns jetzt in unsere Heimat fliegen!' So machte sich denn eine jede von ihnen auf und legte ihr Federkleid an. Und als sie sich ganz in diese ihre Gewänder eingeschlossen hatten, wurden sie wieder zu Vögeln, wie sie es zuvor gewesen waren, und sie flogen allesamt davon, mit jener Maid in ihrer Mitten. Da gab Hasan die Hoffnung auf sie verloren, und er wollte sich erheben, um in den Palast hinunterzugehen; aber die Kraft zum Aufstehen versagte ihm. Tränen rannen ihm über die Wangen, die stärkste Leidenschaft erfüllte ihn, und er sprach diese Verse:

Erfüllung des Gelübdes möge Gott mir weigern,
Ist mir hinfort des Schlummers Süße noch bekannt!
Nach eurem Scheiden soll mein Aug sich nie mehr schließen,
Noch Ruhe mich erquicken, seit ihr euch gewandt!
Und doch, im Schlummer möcht ich wähnen euch zu schauen -
O wären nur des Schlafes Träume Wirklichkeit!
So lieb ich denn den Schlummer, ohne ihn zu wünschen,
Auf daß ihr doch im Traume mir zugegen seid!

Darauf schritt Hasan langsam weiter, ohne auf den Weg zu achten, bis er wieder unten im Schlosse war; von dort schleppte er sich weiter und kam schließlich zur Tür seines Gemaches. Er trat ein und verschloß alsbald die Tür hinter sich; dann legte er sich krank darnieder, ohne zu essen, ohne zu trinken, nur versunken im Meer seiner trüben Gedanken. Doch er weinte und klagte über sein Leid bis zum Morgen; und als es Tag ward, sprach er diese Verse:

Die Vögel flogen fort am Abend und entschwanden;
Doch wer aus Liebe stirbt, ist nicht mit Schuld im Bund.
Die Liebe halte ich geheim, solang ich's trage;
Erst wenn die heiße Sehnsucht siegt, so wird sie kund.
Es kam zu mir bei Nacht das Bild der Morgenschönen;
Doch meiner Nacht des Sehnens strahlt kein Morgenrot.



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Ich klag um sie; wer keine Liebe kennt, der schlummert;
Mit mir trieb grausam Spiel ein Sturm der Liebesnot.
Gern geb ich meine Tränen hin, mein Gut, mein Herzblut,
Verstand und auch mein Leben -Geben bringt Gewinn.
Die allerschlimmste Art von Übel und von Elend
Ist immer doch der Schönen spröder, harter Sinn.
Man sagt, die Gunst der keuschen Schönen sei verboten,
Und liebend Blut vergießen sei erlaubtes Ziel.
Was kann der Liebeskranke tun, als nur sich opfern?
Ergibt sich gern dahin um Liebe, wie im Spiel.
Ich schreie auf in Sehnsucht, heißer Liebesglut -
Ach, Klagen ist des Liebestoren einzig Gut!

Nachdem die Sonne aufgegangen war, öffnete er die Tür des Gemaches und ging wieder zu der Stätte hinauf, an der er am Tage zuvor gewesen war; dort setzte er sich nieder, gegenüber dem Pavillon, bis daß der Abend nahte; aber keiner von den Vögeln kam wieder, solange Hasan auch auf sie wartete. Da weinte er bitterlich, bis er ohnmächtig ward und auf den Boden niedersank. Und als er wieder zu Bewußtsein kam, schleppte er sich fort und stieg ins Schloß hinunter; nun war es Nacht geworden, und die ganze Welt ward ihm eng. Und er weinte und klagte über sein Los die ganze Nacht hindurch, bis der Morgen kam mit seinem Strahl und die Sonne aufging über Berg und Tal. Er aß nicht und trank nicht, er schlief nicht und hatte keine Ruhe; bei Tage war er in Trostlosigkeit versunken, bei Nacht war er wach und starrte wie trunken, so sehr erfüllten ihn die Gedanken an seine Not und die Übermacht der Sehnsucht. Und er sprach die Worte des liebeskranken Dichters:

Die du der Morgensonne Strahlenschein verdunkelst,
Die du das zarte Reis beschämst und es nicht weißt,
Wüßt ich, ob mir die Zeit einst deine Rückkehr schenket
Und ob die Glut erlischt, die mir das Herz zerreißt,



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Und ob wir dann beim Wiedersehen uns umarmen,
Und ob einst Brust an Brust und Wang an Wange ruht!
Wenn einer sagt, die Lieb sei Süßigkeit, der wisse:
Die Lieb hat Tage, bittrer als der Aloe Blut. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 788. Nacht anbrach, fahr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan der Goldschmied, als die Liebe so mächtig in ihm ward, jene Verse sprach, während er allein in dem Schloß war und niemanden hatte, der ihn trösten konnte. So saß er dort in seinem großen Liebesschmerze; da plötzlich erhob sich eine Staubwolke aus der Steppe, und nun machte er sich auf und lief hinab und verbarg sich; denn er wußte, daß die Herrinnen des Schlosses kamen. Es dauerte nur eine kleine Weile, bis die Truppen Halt machten und rings um das Schloß lagerten. Auch die Prinzessinnen saßen ab, traten in das Schloß und legten ihre Waffen ab und die Rüstungen, die sie trugen. Doch die jüngste Prinzessin, die Schwester Hasans, legte ihre Rüstung nicht ab, sondern eilte sofort in sein Gemach, und als sie ihn dort nicht fand, suchte sie nach ihm; schließlich entdeckte sie ihn in einer der Kammern des Schlosses, wie er dort lag, krank und abgezehrt; sein Leib war hager, seine Glieder waren mager, seine Farbe war bleich, und seine Augen waren tief eingesunken; da er ja Speise und Trank verschmäht und immerdar geweint hatte um seiner heißen Liebe zu jener Maid willen. Als aber seine Schwester, die Fee, ihn in solchem Zustande sah, erschrak sie und war fast wie von Sinnen; und sofort fragte sie ihn, wie es um ihn stehe, in welcher Not er sei, was ihn betroffen habe. indem sie mit den Worten schloß: ,Sag mir's, mein Bruder, damit ich auf ein Mittel sinne, dein Leid zu verscheuchen, und



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mich für dich opfere!' Doch er weinte bitterlich und sprach als Antwort die Verse:

Wer liebt, dem bleibt in seiner Einsamkeit,
Fern seinem Lieb, nur Kümmernis und Leid,
Von innen Siechtum, draußen Fieberglut,
Zuerst Gedenken, dann Gedankenflut!

Wie seine Schwester das hörte, bewunderte sie seine beredten und feinen Worte und die schöne Rede, die sich in den Versen seiner Antwort offenbarte; und sie sprach zu ihm: ,Lieber Bruder, wann bist du in diese Not geraten, in der du biste Wann ist solches über dich gekommene Denn ich sehe dich dein Leid in Verse ergießen und deine Tränen in Strömen fließen. Um Allahs willen, mein Bruder, und bei der Heiligkeit der Liebe, die zwischen uns besteht, sage mir, was es mit dir auf sich hat, enthülle mir dein Geheimnis und verbirg mir nichts von dem, was dir zugestoßen ist, als wir fern waren; denn um deinetwillen ist mir die Brust beklommen und das Leben verdüstert!' Doch er seufzte und vergoß Tränen gleich dem Regen und sprach: ,Ich fürchte, liebe Schwester, wenn ich es dir sage, so wirst du mir nicht zu meinem Ziele verhelfen, sondern mich elend sterben lassen in meiner Qual.' ,Nein, bei Allah,' erwiderte sie, ,ich will dich nicht im Stiche lassen, auch wenn es mich das Leben kosten sollte!' Da erzählte er ihr, was ihm widerfahren war und was er gesehen, nachdem er die Tür geöffnet hatte, und er gestand ihr, daß die heiße Liebe zu der Maid, die er geschaut habe, der Grund seines Kummers und seiner Not sei; ferner auch, daß er seit zehn Tagen keine Speise und keinen Trank mehr gekostet habe. Dann weinte er bitterlich und sprach diese Verse:

Gebt mir das Herz in meine Brust, so wie ich's kannte,
Den Augen gebet Schlummer, und dann geht, ihr Leute!



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Glaubt ihr, die Nächte hätten treue Lieb gewandelt?
Nein, wer sich wandeln kann, der sei des Todes Beute!

Da weinte seine Schwester über seine Tränen, gerührt durch seine Not. und sie hatte Mitleid mit ihm, weil er so verlassen war. Dann sprach sie zu ihm: ,Lieber Bruder, hab Zuversicht und gräm dich nicht! Ich will mein Leben für dich aufs Spiel setzen und mich für dich opfern, damit du zufrieden werdest; und ich will einen Plan für dich ersinnen, wenn er mich auch Gut und Blut kostet, um dir deinen Wunsch zu erfüllen, so Allah der Erhabene will. Doch ich rate dir ernst, mein Bruder, verbirg das Geheimnis vor meinen Schwestern und offenbare keiner von ihnen, wie es um dich steht, auf daß nicht mein Leben mit dem deinen verloren gehe! Und wenn sie dich fragen, ob du die Tür geöffnet habest, so antworte ihnen: ,Nein, ich habe sie gar nicht aufgemacht; mein Herz war ja so bekümmert, weil ihr fern von mir weiltet und ich mich nach euch sehnte und so einsam im Schlosse saß.' ,Ja, das ist der rechte Rat', erwiderte Hasan; dann küßte er ihr das Haupt, und sein Sinn ward heiter, und die Brust ward ihm weit. Er hatte sich ja vor seiner Schwester gefürchtet, weil er die Tür geöffnet hatte, und jetzt verspürte er neues Leben in sich, nachdem er vor übergroßer Angst schon den Tod vor Augen gesehen hatte. Dann bat er seine Schwester um ein wenig Speise, und sie ging hin und holte sie für ihn. Darauf aber trat sie zu ihren Schwestern ein, traurig und weinend über ihren Bruder. Jene fragten sie, was es mit ihr auf sich habe, und sie sagte ihnen, sie sei betrübt um ihren Bruder, der krank sei und seit zehn Tagen gar keine Nahrung zu sich genommen habe. Als jene dann nachdem Grunde seiner Krankheit fragten, fuhr sie fort: ,Daran ist unsere Trennung von ihm schuld; denn wir hatten ihn ja allein gelassen. Diese Tage, in denen wir ihm fern waren, sind



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ihm länger geworden als tausend Jahre. Wir dürfen ihm keinen Vorwurf machen; denn er ist ein einsamer Fremdling. Wir haben ihn allein zurückgelassen, er hatte niemanden, der ihn tröstete oder seinem Herzen Mut zusprach; er ist doch auch noch sehr jung, und vielleicht hat er an die Seinen und an seine Mutter gedacht, die eine hochbetagte Frau ist. Und da mag er geglaubt haben, daß sie zu jeder Stunde der Nacht und zu jeder Tageszeit um ihn weint und um ihn trauert, während wir früher ihn durch unsere Gesellschaft von solchen Gedanken ablenkten.' Als ihre Schwestern diese Worte von ihr vernommen hatten, weinten sie tief bekümmert um ihn und sprachen: ,Bei Allah, ihn trifft kein Vorwurf!' Darauf gingen sie zu den Kriegern hinaus und entließen sie; und nun begaben sie sich zu Hasan und begrüßten ihn. Wie sie sahen, daß seine Schönheit geschwunden war, daß seine Farbe erblichen und sein Leib abgezehrt war, da weinten sie aus Mitleid mit ihm, setzten sich zu ihm, trösteten ihn und suchten sein Herz aufzuheitern, indem sie mit ihm plauderten und ihm erzählten, welch seltsame und wunderbare Dinge sie erlebt hatten und wie es dem Bräutigam mit seiner Braut ergangen war. Einen ganzen Monat über blieben die Prinzessinnen bei ihm, indem sie ihn trösteten und freundlich mit ihm sprachen; doch mit jedem Tag häufte sich bei ihm Krankheit auf Krankheit, und jedesmal, wenn die Schwestern ihn in solchem Elend sahen, weinten sie bitterlich um ihn, am meisten von ihnen aber weinte die jüngste Maid. Als jedoch der Monat zu Ende war, sehnten die Prinzessinnen sich danach, zu Jagd und Hatz auszureiten, und als sie dies beschlossen hatten, luden sie ihre jüngste Schwester ein, mit ihnen zu reiten. Aber sie erwiderte ihnen: ,Bei Allah, liebe Schwestern, ich kann nicht mit euch hinausziehen, solange mein Bruder in diesem Zustande ist, ja, nicht eher, als bis er



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wieder gesund ist und die Schmerzen, die er jetzt leidet, ihn verlassen haben. Nein, ich will bei ihm bleiben und ihn pflegen.' Als die anderen diese Worte von ihr hörten, lobten sie ihre Hochherzigkeit und sprachen zu ihr: ,Für alles, was du an diesem Fremdling tust, wirst du von Allah belohnt werden.' Und sie ließen sie bei ihm im Schlosse zurück und ritten aus, indem sie Zehrung für zwanzig Tage mit sich nahmen. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 789. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessinnen, als sie zu Pferde stiegen und zu Jagd und Hatz ausritten, ihre jüngste Schwester bei Hasan im Schlosse zurückließen. Wie sie sich dann von dem Schlosse entfernt hatten und ihre Schwester wußte, daß sie schon eine weite Strecke geritten waren, begab sie sich zu ihrem Bruder und sprach zu ihm: ,Lieber Bruder, wohlan, zeige mir jene Stätte, an der du die Mädchen gesehen hast!' Er rief: ,Im Namen Allahs!' Herzlich gern!' und freute sich über ihre Worte und war schon sicher, sein Ziel zu erreichen. Dann wollte er sich mit ihr aufmachen. um ihr die Stätte zu zeigen, aber er konnte nicht gehen; so trug sie ihn denn auf ihren Armen fort, öffnete für ihn die Tür zu der Treppe und brachte ihn bis zum Dache des Schlosses hinauf. Als sie nun beide oben waren, wies er ihr die Stätte. an der er die Mädchen gesehen hatte, zeigte ihr den Pavillon und das Wasserbecken. Da sprach sie zu ihm: ,Lieber Bruder, beschreib mir, wie sie aussahen und wie sie kamen!' Und nun schilderte er ihr, was er von ihnen gesehen hatte, vor allem bei.



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schrieb er ihr die Maid, die er liebte; doch als sie diese Beschreibung hörte, erblich ihr Antlitz, und sie sah aus wie verwandelt. Er fragte sie: ,Meine Schwester, dein Antlitz ist erblichen, und du siehst aus wie verwandelt!' Und sie antwortete ihm: ,Mein Bruder, wisse, diese Maid ist die Tochter eines der großmächtigen Geisterkönige; ihr Vater herrscht über Menschen und Geister, über Zauberer und Wahrsager, über Stämme und Wächter, über viele Länder und Städte und Inseln. und er besitzt gewaltigen Reichtum. Unser Vater ist einer seiner Statthalter, und niemand vermag etwas wider ihn wegen der großen Anzahl seiner Krieger und der weiten Ausdehnung seines Reiches und der Fülle seines Reichtums. Er hat seinen Kindern, den Mädchen, die du gesehen hast, ein Land angewiesen, das eine volle Jahresreise lang und breit ist, und dies Land ist von einem mächtigen Strom rings umgeben, so daß niemand dorthin gelangen kann, sei es ein Mensch oder ein Geisterwesen. Und er hat ein Heer von Jungfrauen, die mit dem Schwerte schlagen und mit der Lanze stechen können, fünfundzwanzigtausend, von denen eine jede, wenn sie ihr Roß bestiegen und ihre Kriegsrüstung angelegt hat, es mit tausend tapferen Rittern aufnimmt. Er hat sieben Töchter, die ihren Schwestern' an Tapferkeit und Rittertugend gleich sind, ja, sie noch übertreffen; und die älteste Tochter hat er über jenes Land gesetzt, das ich dir genannt habe. Sie ist Herrin über ihre Schwestern, und sie ist an Tapferkeit und Rittertum, an List und Klugheit und Zauberkraft stärker als alles Volk in ihrem Reiche. Die Mädchen, die bei ihr waren, sind die Großen ihres Reiches, ihre Wächterinnen und Vertraute ihrer Herrschaft. Und jene Federkleider, in denen sie fliegen, sind das Werk der Zauberer unter den Geistern. Wenn du diese Maid gewinnen und dich



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mit ihr vermählen willst, so mußt du hier sitzen und auf sie warten. Sie kommen immer am ersten Tage eines jeden Monats an diese Stätte; wenn du sie nahen siehst, so verbirg dich und hüte dich sehr, dich zu zeigen, sonst ist unser aller Leben verloren. Merke dir, was ich dir sage, und bewahre es in deinem Gedächtnisse! Setze dich also an eine Stätte, die ihnen nahe ist, von der du sie erblicken kannst, während sie dich nicht' sehen! Wenn sie dann ihre Federkleider abgelegt haben, so wirf deinen Blick auf das Kleid, das der Vornehmsten gehört, eben jener, die dein Begehr ist; das nimm an dich, und gib acht, daß du kein anderes nimmst. Dies Kleid ist es, das sie in ihr Land trägt, und hast du es in Besitz, so hast du sie in deiner Gewalt. Doch sei auf deiner Hut, daß du dich nicht von ihr betören lässest, wenn sie sagt: ,O du, der du mein Kleid fortgenommen hast, gib es mir zurück; sieh, ich bin hier, bin vor dir und in deiner Gewalt!' Wenn du es ihr gibst, so tötet sie dich und reißt unseren ganzen Palast über uns nieder und tötet auch unseren Vater. Du weißt also, wie es um dich steht! Wenn ihre Schwestern sehen, daß ihr Kleid fortgenommen ist, so werden sie auffliegen und sie allein sitzen lassen; dann tritt du zu ihr, ergreife sie bei den Haaren und zieh sie an dich! 'Wenn du sie an dich gezogen hast, so hast du sie in deiner Macht; dann ist sie wirklich in deiner Gewalt. Danach aber achte immer sorgfältig auf das Federkleid; denn nur solange du es hast, ist sie in deiner Hand und deine Gefangene, da sie nur in ihm zu ihrem Lande zurückfliegen kann. Trag sie dann hinunter in dein Gemach; verrate ihr aber nicht, daß du das Federkleid im Besitz hast!' Als Hasan die Worte seiner Schwester hörte, ward sein Herz ruhig, seine Erregung legte sich, und alle seine Schmerzen wichen von ihm. Rasch erhob er sich auf seine Füße, küßte seiner Schwester das Haupt und machte sich dann auf und



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ging mit ihr von der Höhe des Schlosses hinunter; dort legten sich beide zur Nachtruhe nieder, und er pflegte seiner selbst, bis daß der Morgen kam. Als die Sonne aufgegangen war, erhob er sich, öffnete die Tür und stieg zum Dache hinauf. Dann setzte er sich nieder und blieb bis zum Abend dort sitzen. während seine Schwester ihm etwas Speise und Trank und Kleider zum Wechseln brachte; darauf schlief er ein. In dieser Weise blieb er dort jeden Tag, bis der neue Monat kam. Sobald er den Neumond erblickt hatte, begann er nach den Vögeln zu spähen; und während er so dasaß, kamen sie plötzlich auf ihn zu wie der Blitz. Kaum hatte er sie erblickt, so verbarg er sich an einer Stätte, wo er sie beobachten konnte, während sie ihn nicht sahen. Nun kamen die Vogelmädchen herunter, ein jedes von ihnen ging an seine Stelle und legte sein Kleid ab, desgleichen tat auch die Maid, die er liebte; und all das geschah dicht neben Hasan. Als die Maid dann mit ihren Schwestern in das Becken gestiegen war, machte sich Hasan ans Werk und schlich ganz leise, leise dahin, indem er sich versteckt hielt und Allah der Erhabene seine Verborgenheit schützte. Und er ergriff das Kleid, ohne daß ihn eine einzige von ihnen bemerkte, da sie miteinander spielten und scherzten. Wie sie aber ihr Spiel beendet hatten, kamen sie hervor, und eine jede von ihnen legte ihr Federkleid an, nur die Maid, die er liebte, suchte nach dem ihren und fand es nicht. Da schrie sie auf und schlug sich ins Gesicht und zerriß ihr Gewand. Ihre Schwestern eilten zu ihr hin und fragten sie, was mit ihr geschehen sei; und als sie ihnen berichtete, daß ihr Federkleid verschwunden sei, weinten sie alle und schrieen und schlugen sich ins Angesicht. Doch als der Abend nahte, konnten sie nicht mehr bei ihr verweilen und ließen sie auf dem Dache des Schlosses zurück. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 790. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Maid, nachdem Hasan ihr Federkleid fortgenommen hatte, nach ihm suchte, es aber nicht fand, und daß ihre Schwestern aufflogen und sie allein zurückließen. Und als Hasan sah, daß sie fortgeflogen und ihrem und seinem Auge entschwunden waren, lauschte er nach ihr und hörte, wie sie sagte: ,O du, der mein Kleid genommen und mich nackt gemacht hat, ich bitte dich, gib es mir zurück und bedecke meine Blöße, auf daß Allah dich nie meine Qual kosten lasse!' Kaum hatte Hasan ihre Stimme vernommen, so ward ihm der Verstand durch seine Liebe zu ihr berückt, ja, seine Leidenschaft wuchs noch, und er hatte keine Geduld mehr, ihr fern zu bleiben. Er sprang aus seinem Versteck hervor, eilte dahin und stürzte auf sie zu, und nachdem er sie ergriffen hatte, zog er sie an sich und trug sie nach unten ins Schloß hinab; da brachte er sie in sein Gemach und warf seinen Mantel über sie, während sie weinte und sich auf die Hände biß. Dann schloß er sie ein, begab sich zu seiner Schwester und tat ihr kund, daß er sie erbeutet und in seine Gewalt bekommen und in sein Gemach getragen habe; und er schloß mit den Worten: ,Dort sitzt sie jetzt und weint und beißt sich auf die Hände.' Als seine Schwester das hörte, begab sie sich alsbald zudem Gemach und trat zu der Gefangenen ein; die fand sie weinend und trauernd dasitzen. Sie küßte den Boden vor ihr und begrüßte sie; die junge Herrin aber sprach zu ihr: ,O Königstochter, tun Leute wie ihr so schmähliche Taten an Töchtern der Könige? Du weißt, daß mein Vater ein mächtiger König ist und daß alle Könige der Geister vor ihm zittern und seine Macht fürchten. Bei ihm sind Zauberer und



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Weise, Wahrsager, Teufel und Mârids, denen keiner zu widerstehen vermag. Unter seiner Hand steht so viel Volks, daß nur Allah seine Zahl kennt. Wie ziemt euch da, ihr Königstöchter, sterbliche Männer bei euch aufzunehmen und sie in unsere und eure Geheimnisse schauen zu lassen? Wie sollte denn sonst dieser Mensch uns haben nahen können?' Die Schwester Hasans erwiderte ihr: ,O Königstochter, dieser Mensch ist vollkommen an Edelmut, er plant kein übel Ding; sondern er liebt dich - und die Frauen sind doch nur für die Männer geschaffen. Wenn er dich nicht liebte, wäre er nicht um deinetwillen so krank geworden, daß er beinahe aus Verlangen nach dir sein Leben verloren hätte.' Und sie erzählte ihr alles, was Hasan ihr von seiner Liebe berichtet hatte, wie die Mädchen im Fluge gekommen seien und sich gebadet hätten, und wie ihm von ihnen allen keine gefallen habe außer ihr, da die anderen ja ihre Dienerinnen seien, die sie in das Becken unterzutauchen pflegte, und da keine einzige von ihnen ihre Hand nach ihr zu recken wagte. Als die Prinzessin das hörte, gab sie die Hoffnung auf Befreiung verloren; Hasans Schwester aber ging fort und brachte ihr ein kostbares Gewand und legte es ihr an. Ferner holte sie ihr etwas Speise und Trank und aß mit ihr; so beruhigte sie ihr das Herz und verscheuchte ihr die Sorgen. Und sie fuhr fort, ihr in sanfter und milder Weise freundlich zuzusprechen, und schloß mit den Worten: ,Hab doch Mitleid mit ihm, der dich nur ein einziges Mal sah und dann wurde wie einer, dem die Liebe zu dir den Tod brachte.' Und wieder und wieder sprach sie ihr Trost zu und versuchte sie zu versöhnen, indem sie Worte lieblicher Rede an sie richtete. Doch die Maid weinte immer noch, bis der Morgen anbrach. Da endlich faßte sie wieder Mut und hörte auf zu weinen, weil sie erkannt hatte, daß sie gefangen war und daß es keine Befreiung für sie mehr gab.



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So sprach sie denn zu Hasans Schwester: ,O Königstochter, dies alles hat Allah mir auf die Stirn geschrieben, diese Verbannung und diese Trennung von meiner Heimat, meinem Volke und meinen Schwestern; und in Geduld muß ertragen werden, was der Herr bestimmt hat!' Darauf wies die Schwester Hasans ihr ein Gemach im Schlosse an, das schönste, das es dort gab; und sie blieb bei ihr, um sie noch weiter zu trösten und ihr Gemüt zu beruhigen, bis sie sich endlich mit ihrem Schicksal zufrieden gab, so daß ihre Brust sich weitete und sie wieder lachen konnte; und nun wich von ihr alle Trauer und Angst wegen der Trennung von den Ihren und ihrem Vaterlande, von ihren Schwestern und ihren Eltern und ihrer Herrschaft. Dann ging Hasans Schwester zu ihm und sprach zu ihm: ,Wohlan, geh zu ihr in ihr Gemach und küsse ihre Hände und Füße!' Er ging hinein und tat es; dann küßte er sie auf die Stirn und sprach zu ihr: ,O Herrin der Schönen, o Leben der Seelen und Wonnen der Beschauer, sei ruhigen Herzens, ich habe dich nur deshalb gefangen genommen, daß ich bis zum Tage der Auferstehung dein Knecht sei; und diese meine Schwester soll deine Magd sein. Meine Gebieterin, ich begehre nichts anderes, als mich mit dir zu vermählen nach dem Gesetze Allahs und seines Gesandten; und ich will in meine Heimat reisen, dort will ich mit dir in der Stadt Baghdad leben und will dir Sklavinnen und Sklaven kaufen. Ich habe auch eine Mutter, eine der besten unter den Frauen, die wird dir dienen. Es gibt dort kein schöneres Land als unser Land; alles dort ist besser als irgendwo in einem anderen Lande. Auch das Volk und die Leute dort sind trefflich und heiteren Angesichts.' Während er ihr so Trost zusprach, ohne daß sie ihm ein einziges Wort erwiderte, pochte es plötzlich an die Tür des Schlosses. Und als Hasan hinausging, um zu sehen, wer dort sei, fand



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er die Prinzessinen, die von Jagd und Hatz heimgekehrt waren. Er freute sich dessen und empfing sie mit Grüßen des Willkommens; sie wünschten ihm Heil und Gesundheit, und er wünschte ihnen das gleiche. Darauf stiegen sie von ihren Rossen und traten in das Schloß ein; eine jede von ihnen ging in ihr Gemach, legte die beschmutzten Kleider ab und hüllte sich in schöne Gewänder. Sie hatten aber auf ihrer Jagd und Hatz viel Wild gefangen, Gazellen und Wildkühe, Hasen und Löwen, Hyänen und andere Tiere; einige davon ließen sie zum Schlachten herbeibringen, doch die übrigen verwahrten sie bei sich im Schlosse. Nun stand Hasan da mit geschürzten Kleidern und schlachtete das Wild für sie, während sie spielten und sich vergnügten und an allem ihre große Freude hatten. Als er mit dem Schlachten fertig war, setzten sie sich und machten etwas von dem Fleisch zurecht, um es als Morgenmahl zu verzehren; Hasan aber trat zu der ältesten Prinzessin hin und küßte ihr das Haupt, und ebenso küßte er die Häupter der übrigen, eines nach dem anderen. Da sprachen sie zu ihm: ,Du lässest dich wirklich gar sehr zu uns herab, lieber Bruder, und wir bewundern das Übermaß deiner Liebe zu uns. Doch das sei ferne, o Bruder! Dies ist etwas, was wir an dir tun müssen; denn du bist ein Mensch und als ein solcher würdiger denn wir, die wir nur Geister sind.' Ihm aber brachen die Tränen aus den Augen, und er weinte bitterlich. Und nun fuhren sie fort: ,Was ist dir? Warum weinst du? Du machst uns das Leben traurig heute durch deine Tränen. Es scheint, du sehnst dich nach deiner Mutter und nach deiner Heimat. Wenn dem so ist, wollen wir dich ausrüsten und mit dir in deine Heimat und zu deinen Lieben ziehen.' ,Bei Allah,' tiefer, ,ich wünsche nicht, mich von euch zu trennen!' Da fragten sie: ,Wer von uns hat dir denn etwas zuleide getan, daß du so traurig bist?'



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Doch er schämte sich zu sagen: ,Mich quält nur die Liebe zu der Maid', da er fürchtete, sie würden das an ihm mißbilligen; und so schwieg er und tat ihnen nichts über sich kund. Seine Schwester aber hub an: ,Er hat einen Vogel aus der Luft gefangen, und er möchte, daß ihr ihm helft, ihn zu zähmen.' Da schauten sie alle ihn an und sprachen zu ihm: ,Wir stehen dir alle zu Diensten; was du nur verlangst, wollen wir tun. Erzähle uns jedoch deine Geschichte und verbirg uns nichts von dem, was dich betroffen hat!' Nun sagte er zu seiner Schwester: ,Erzähle du ihnen meine Geschichte! Ich schäme mich vor ihnen, und ich kann ihnen nicht mit diesen Worten unter die Augen treten.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 791. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan zu seiner Schwester sprach: ,Erzähle du ihnen meine Geschichte! Ich schäme mich vor ihnen, und ich kann ihnen nicht mit diesen Worten unter die Augen treten.' So sprach sie denn zu ihnen: ,Liebe Schwestern, als wir fortgezogen waren und diesen Unglücklichen allein gelassen hatten, ward es ihm Angst im Schlosse, und er fürchtete, es könne jemand zu ihm einbrechen; ihr wißt ja, die Menschkinder haben einen schwachen Verstand. Und so öffnete er die Tür, die zum Dache des Schlosses führt, in seiner Herzensangst und im Gefühl seiner Einsamkeit; er stieg hinauf und setzte sich dort nieder, schaute dabei ins Tal hinab, blickte aber auch immer nach der Tür hin. aus Furcht, es könne jemand ins Schloß kommen. Während er eines Tages so dasaß, erschienen plötzlich zehn Vögel vor ihm, die auf das Schloß zuflogen und immer näher kamen, bis sie sich in dem Becken niederließen, das sich in dem Pavillon



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befindet. Dann blickte er auf den Vogel, der unter ihnen der schönste war und der nach den anderen mit seinem Schnabel pickte, während unter ihnen keiner war, der seine Kralle nach ihm auszustrecken wagte. Dann legten sie plötzlich ihre Krallen an den Hals, rissen die Federkleider herunter und traten aus ihnen hervor, indem ein jeder von ihnen zu einer Maid wurde, so schön wie der Mond in der Nacht seiner Fülle. Darauf entkleideten sie sich der Gewänder, die sie trugen, während Hasan dastand und ihnen zuschaute, stiegen in das Wasser und begannen zu spielen; die vornehmste Maid aber tauchte die anderen unter, olme daß eine von ihnen die Hand nach ihr zu recken wagte; sie war die schönste unter ihnen von Angesicht und die ebenmäßigste an Wuchs, und sie hatte das prächtigste Gewand. Bei ihrem Spiel blieben sie, während Hasan dastand und ihnen zuschaute, bis die Zeit des Nachmittagsgebetes nahte; dann erst kamen sie aus dem Becken hervor, legten ihre Gewänder wieder an, schlüpften in die Federkleider und hüllten sich darin ein und flogen von dannen. Da wurde ihm der Sinn verstört, und in seinem Herzen entbrannte ein Feuer um des vornehmsten Vogels willen, und er bereute, daß er jenem nicht sein Federkleid fortgenommen hatte. Und nun wurde er krank, und er blieb oben auf dem Schlosse, um auf sie zu warten; er versagte sich Speise und Trank und Schlaf und lebte in dieser Weise dahin, bis der Neumond erschien. Da kamen, während er dort saß, die Vögel nach ihrer Gewohnheit wieder, legten ihre Kleider ab und stiegen in das Becken; er aber nahm das Kleid der vornehmsten Maid weg. Denn da er wußte, daß sie nur mit ihm fliegen konnte, holte er es und verbarg es aus Furcht, sie könnten ihn sehen und ihn töten. Dann wartete er, bis die anderen aufgeflogen waren, ergriff die Maid und brachte sie vom Dache des Schlosses herunter.' ,Wo



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ist sie jetzt?' fragten ihre Schwestern; und sie gab ihnen zur Antwort: ,Sie ist bei ihm in demunddem Gemach.' Weiter sprachen sie: ,Schildere sie uns, liebe Schwester!' Da hub sie an: ,Sie ist schöner als der Mond in der Nacht seiner Fülle; ihr Antlitz ist leuchtender als die Sonne, ihr Lippentau süßer als Honig, und ihr Wuchs ist schlanker als das schwanke Reis. Aus schwarzem Auge kommt ihres Blickes Macht, ihr Angesicht strahlt wie der Mond in der Nacht, ihre Stirn ist gleich weißer Blütenpracht; ihr Busen ist wie aus Edelstein, ihre Brüste sind wie zwei Granatäpflein, ihre Wangen könnten zwei Äpfel sein. Ihr Leib ist ganz in Fältchen gehüllt, ihr Nabel gleicht einem Elfenbeinbüchschen mit Moschus gefüllt, und ihre Beine gar gleichen einem marmornen Säulenpaar. Sie bezaubert die Herzen durch ihrer dunklen Augen Gewalt, durch ihres schlanken Leibes zierliche Gestalt und durch ihrer Hüften schwere Wucht. und ihr Wort hellt des Kranken Sucht. Ihr Wuchs ist herrlich, ihr Lächeln lieblich, als wäre sie der Mond. der in seiner Fülle am Himmel thront.' Als die Prinzessinnen diese Lobpreisungen gehört hatten, blickten sie auf Hasan und sprachen zu ihm: ,Zeige sie uns!' Da machte er sich auf mit ihnen, liebeverstört wie er war, und führte sie zu dem Gemache. in dem die Königstochter war; nachdem er es geöffnet hatte, trat er zuerst ein, während die Mädchen ihm folgten. Und als die sie erblickten und ihre Anmut mit eigenen Augen sahen, küßten sie den Boden vor ihr, indem sie ihre schöne Gestalt und ihre herrlichen Eigenschaften bewunderten; dann boten sie ihr den Friedensgruß und sprachen zu ihr: ,Bei Allah, o Tochter des großmächtigen Königs, dies ist ein gewaltig Ding. Hättest du unter den Frauen diesen Sterblichen rühmen hören, so hättest du dein ganzes Leben lang ihn bewundert. Er liebt dich über alle Maßen; aber, o Königstochter, er begehrt



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nichts Schimpfliches, nein, er wünscht dich zu seiner gesetzmäßigen Gattin. Hätten wir gewußt, daß Jungfrauen ohne Männer leben können, so hätten wir ihn von seinem Vorhaben zurückgehalten, wiewohl er keinen Boten zu dir sandte, sondern selbst zu dir kam. Er hat uns auch berichtet, daß er das Federkleid verbrannt hat; sonst hätten wir es ihm abgenommen.' Dann erbot sich eine von den Jungfrauen der Prinzessin, als ihr Sachwalter bei der Eheschließung zu dienen, und so schloß diese ihren Ehebund mit Hasan; er reichte der Sachwalterin die Hand und legte seine Hand in die ihre, während sie die Prinzessin auf Grund ihrer Einwilligung mit ihm vermählte. Danach feierten sie ihr Hochzeitsfest, wie es sich für Königstöchter geziemt, und führten Hasan zu ihr ein. Nun öffnete Hasan das Tor und hob den Schleier empor, und er brach ihre Siegel; da wuchs seine Liebe zu ihr, und mächtig ward seine Leidenschaft im Verlangen nach ihr. Und als er nun das Ziel seiner Wünsche erreicht hatte, wünschte er sich Glück und sprach diese Verse:

Bezaubernd ist dein Wuchs und dunkelschwarz dein Auge;
Auf deinem Antlitz ruht der Schönheit Strahlenschein.
Ich seit in meinem Aug der Bilder allerschönstes,
Die Hälfte ist Rubin, ein Drittel Edelstein;
Ein Fünftel ist aus Moschus, Ambra ist ein Sechste!.
Die Perle, der du gleichst, ist nicht an Glanz so reich.
Gleich dir hat Eva niemals jemanden geboren;
Auch in den Himmelsgarten ist dir niemand gleich.
Wenn du mich quälen willst, so ist es Brauch der Liebe;
Und willst du mir verzeihn, so steht's dir frei, zu tun.
O schönste Zier der Welt, o höchstes Ziel der Wünsche,
Wen läßt die Schönheit deines Angesichtes ruhn? — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 792.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, nachdem er zu der Königstochter eingegangen war und ihr das Mädchentum genommen hatte, Wonnefreuden durch sie genoß, so daß seine Liebe zu ihr und sein Verlangen nach ihr noch wuchsen, und daß er dann zu ihrem Lobe jene Verse sprach, während die Prinzessinnen an der Tür standen. Als die seine Verse vernahmen, riefen sie ihr zu: ,O Königstochter, hörst du die Worte des Sterblichen? Wie kannst du uns noch tadeln, seit ihn die Liebe zu dir die Verse hat sprechen lassen?' Und wie sie das hörte, ward sie fröhlich und heiter und voll Freuden. Darauf blieb Hasan vierzig Tage lang bei ihr in Glück und Fröhlichkeit, in Wonnen und in Seligkeit. Und die Prinzessinnen rüsteten für ihn jeden Tag ein neues Fest und überhäuften ihn mit Güte und mit Geschenken und Kostbarkeiten. Während er in solch herrlicher Freude bei ihnen weilte. versöhnte sich auch die Königstochter mit dem Aufenthalt bei ihnen und vergaß die Ihren. Nach diesen vierzig Tagen aber sah Hasan eines Nachts, als er schlief, im Traume seine Mutter. die um ihn trauerte; ihre Glieder waren hager, und ihr Leib war mager, ihre Farbe war erblichen, und ihre Schönheit war gewichen, während es ihm doch so gut erging. Und wie sie ihn in diesem Glücke schaute, sprach sie zu ihm: ,O mein Sohn, o Hasan, wie kannst du so vergnüglich in der Welt leben und mich vergessen? Sieh, wie es mir ergeht, seitdem du fort bist! Ich vergesse dich nie, und meine Zunge wird nie ablassen, deinen Namen zu nennen, bis ich sterbe. Ich habe auch ein Grabmal für dich bei mir im Hause erbaut, so daß ich dich nie vergesse. O wüßte ich doch, ob ich es noch erleben werde, daß ich dich wiedersehe, mein Sohn, und daß wir dann wieder wie zuvor miteinander vereint sind!' Da erwachte Hasan aus



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seinem Schlafe, weinend und klagend, seine Tränen rannen ihm über die Wangen wie der Regen, und er ward von seinem Kummer tief erregt, so daß seine Tränen nicht trockneten und der Schlaf nicht mehr zu ihm kam; er konnte keine Ruhe finden, und seine Geduld begann zu schwinden. Am nächsten Morgen kamen die Prinzessinnen zu ihm, wünschten ihm einen guten Morgen und begannen bei ihm fröhlich zu sein, wie es ihr Brauch war; er aber achtete ihrer nicht. Deshalb fragten sie seine Gemahlin, was ihm sei; doch sie erwiderte: ,Ich weiß es nicht.' Sie fuhren fort: ,Frage ihn nach seinem Leid!' Nun trat sie an ihn heran und sprach zu ihm: ,Was ist dir, mein Gebieter?' Da seufzte er auf in seinem Kummer und berichtete ihr, was er im Traume gesehen hatte; dann sprach er diese beiden Verse:

Der Unruh Geist kam über uns, wir wurden ratlos.
Wir möchten nahe sein und können es doch nicht.
Jetzt müssen wir der Liebe wachsend Leid erfahren;
So leicht sie ist -, fur uns ist sie ein schwer Gewicht.

Seine Gemahlin teilte den Prinzessinnen mit, was er ihr gesagt hatte, und als jene seine Verse hörten, hatten sie Mitleid mit seiner Not, und sie sprachen zu ihm: ,Behebe es dir; im Namen Allahs! Wir können dich nicht hindern, sie zu besuchen, nein, wir wollen dir dazu verhelfen mit allen unseren Kräften. Doch es geziemt sich, daß du dich nicht ganz von uns trennst, sondern uns besuchst, wäre es auch nur einmal in jedem Jahre.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er ihnen; und die Prinzessinnen begannen alsbald, ihm Zehrung für die Reise zu rüsten und ihm seine junge Gemahlin auszustatten mit Schmuck und Prachtgewändern und allen anderen wertvollen Dingen, die niemand beschreiben kann; und für ihn hielten sie Kostbarkeiten bereit, die keine Feder aufzuzählen vermag. Dann



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schlugen sie die Trommel, und von allen Seiten kamen die Dromedare herbei. Aus ihnen wählten sie solche, die alles das tragen konnten, was sie vorbereitet hatten. Darauf hießen sie die junge Frau und Hasan aufsitzen und ließen ihnen fünfundzwanzig Kisten voll Gold und fünfzig voll Silber aufladen. Drei Tage lang ritten sie mit ihnen dahin, und sie legten in dieser Zeit einen Weg von drei Monaten zurück; dann nahmen sie Abschied von den beiden und wollten heimkehren. Aber die Jüngste von ihnen, Hasans Schwester, fiel ihm um den Hals und weinte, bis sie in Ohnmacht sank. Und als sie wieder zu sich kam, sprach sie diese Verse:

O wäre doch der Tag der Trennung nie gewesen!
Er ließ in unsre Augen keinen Schlummer kommen;
Er hat die Bande zwischen uns und dir zerrissen;
Er hat uns allen Mut und Leibeskraft genommen

Nachdem sie diese Verse gesprochen hatte, nahm sie von ihm Abschied, indem sie ihm einschärfte, wenn er in seine Heimat gekommen und mit seiner Mutter wieder vereinigt wäre und wenn dann sein Herz sich beruhigt hätte, so solle er nie vergessen, sie alle sechs Monate einmal zu besuchen; und sie schloß mit den Worten: ,Wenn dich irgendein Leid bedrückt, oder wenn du ein Unheil fürchtest, so schlag die Trommel des Feueranbeters; dann werden die Dromedare zu dir kommen. und du sitz auf und kehre zu uns zurück, bleib uns nicht fern!' Er versprach es ihr mit einem Eide; und dann beschwor er die Prinzessinnen, sie möchten umkehren. Da wandten sie sich zur Heimkehr, nachdem sie ihm Lebewohl gesagt hatten; und sie trauerten ob der Trennung von ihm, am meisten aber seine Schwester, die jüngste Maid; die war um ihre Ruhe gebracht, zum Ausharren hatte sie nicht mehr die Macht, und sie weinte Tag und Nacht.



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Lassen wir sie nun heimziehen und sehen wir, wie es Hasan erging! Er zog mit seiner Gemahlin dahin Tage und Nächte lang, indem er durch Steppen und Wüsten drang, durch Täler und über Felsgestein, in der Mittagsglut und im Morgensonnenschein. Allah aber hatte ihnen glückliche Ankunft bestimmt, und so erreichten sie die Stadt Basra und zogen in ihr weiter, bis sie ihre Dromedare vor dem Tor seines Hauses niederknieen ließen. Hasan schickte die Tiere fort und trat an die Tür, um sie zu öffnen, da hörte er, wie seine Mutter weinte mit leiser Stimme aus einem Herzen, durchwühlt von brennenden Schmerzen; und sie sprach diese Verse:

Wie kann der Schlummer kosten, den der Schlaf geflohen,
Der in den Nächten wacht, wenn alle andren ruhn?
Einst war er im Besitz von Reichtum, Sippe, Ehre;
Ein Fremdling seines Hauses, einsam ward er nun.
In seinem Herzen brennen Kohlen, wohnen Seufzer
Und eine Sehnsucht -ach, sie kann nicht stärker sein!
Ihn traf das Liebesleid, ein Leid, das mächtig herrsche!;
Er klagt ob seiner Not, doch fügt er sich darein.
Sein Aussehn zeigt, daß er, verzehrt von Liebesglut,
In Trauer lebt; und das bezeugt der Tränen Flut.

Hasan weinte, als er seine Mutter weinen und klagen hörte; dann aber pochte er laut an die Tür. Seine Mutter fragte: ,Wer ist dort?' und er rief ihr zu: ,Mach die Tür auf!' Doch als sie geöffnet hatte und ihn anschaute und erkannte, sank sie ohnmächtig zu Boden. Da sprach er ihr so lange sanft und freundlich zu, bis sie wieder zu sich kam; und nun umarmte er sie, und sie zog ihn an ihre Brust und küßte ihn. Dann brachte er all sein Hab und Gut ins Haus hinein, während seine Gemahlin ihm und seiner Mutter zuschaute. Die Mutter aber sprach, da jetzt ihr Herz getröstet war und Allah sie mit ihrem Sohne wieder vereinigt hatte, diese Verse:



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Das Schicksal hat sich mein erbarmt,
Gerührt durch all mein heißes Leid.
Es hat mir meinen Wunsch erfüllt
Und mich von meiner Angst befreit.
Ich will die Sünden all verzeihn,
Die es an mir bis heute tat,
Ja, auch die Schuld, daß es mein Haupt
In weißes Haar gekleidet hat. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 793. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasans Mutter sich dann niedersetzte und mit ihrem Sohne plauderte. Und sie fragte ihn: ,Wie ist es dir mit dem Perser ergangen, mein Sohn?' Er antwortete ihr: ,Liebe Mutter, er war nicht nur ein Perser, sondern auch ein Feueranbeter; er pflegte das Feuer zu verehren statt des mächtigen Königs der Ehren.' Und dann erzählte er ihr, wie jener an ihm gehandelt hatte; wie er mit ihm fortzog und ihn in die Kamelshaut legte und einnähte, wie die Raubvögel ilm aufhoben und auf dem Gipfel des Berges niederlegten. Auch berichtete er ihr, wie er dort oben alle die toten Menschen sah, die der Feueranbeter überlistet und auf dem Berge zurückgelassen hatte, nachdem sie seinen Auftrag ausgeführt hatten; wie er sich dann von dem Berge ins Meer hinabstürzte und Allah der Erhabene ihn beschützte und zu dem Schlosse der Prinzessinnen brachte; wie dort die eine Maid ihn zu ihrem Bruder machte und er bei ihnen blieb: wie Allah den Feueranbeter dorthin führte und er ihn tötete. Und schließlich erzählte er ihr von seiner Liebe zu der Prinzessin, wie er sie einfing und was sonst noch mit ihr geschah, bis Allah sie beide, Mutter und Sohn, wieder vereinigte. Mit Staunen hörte sie seine Geschichte an, und sie pries Allah den Erhübenen,



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der ihn wohlbehalten und sicher hatte heimkehren lassen. Dann trat sie an die Lasten heran, betrachtete sie und fragte ihn danach; als er ihr berichtet hatte, was darinnen war, freute sie sich über die Maßen. Und zuletzt ging sie zu der jungen Frau, um mit ihr zu plaudern und sie zu unterhalten; doch als ihr Blick auf sie fiel, ward ihr Verstand durch deren Liebreiz bezaubert, und voller Freude bewunderte sie ihre Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit. Wiederum hub die Mutter an: ,Preis sei Allah, mein Sohn, für deine wohlbehaltene und glückliche Heimkehr!' Und dann setzte sie sich neben der jungen Frau nieder und heiterte sie auf und tröstete ihr das Herz. Am nächsten Morgen früh aber ging sie zum Basar hinunter und kaufte zehn Gewänder, das Prächtigste, was es in der Stadt an Kleidern gab; auch brachte sie herrlichen Hausrat für sie herbei. Dann kleidete sie die junge Frau ein und schmückte sie mit allem Schönen. Darauf begab sie sich zu ihrem Sohne und sprach: ,Mein Sohn, mit all diesem Reichtum können wir nicht in dieser Stadt wohnen bleiben; du weißt, wir sind arme Leute, und das Volk wird uns verdächtigen, daß wir Schwarzkunst treiben. So laß uns denn nach der Stadt Baghdad ziehen, dem Horte des Friedens, damit wir dort unter dem Schutze des Kalifen bleiben können; dann sollst du in einem Laden sitzen und Kaufhandel treiben, in der Furcht Allahs, des Allmächtigen und Glorreichen, und Er wird dir das Tor zum Glück öffnen durch diesen Reichtum.' Hasan hieß ihre Worte gut und machte sich sofort ans Werk, indem er fortging, sein Haus verkaufte und die Dromedare kommen ließ; und nachdem er sie mit seinem Hab und Gut beladen und auch Mutter und Gemahlin hatte aufsitzen lassen, brach er auf Zuerst zog er dahin, bis er zum Tigris kam; dort mietete er ein Schiff nach Baghdad und ließ alles



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an Bord bringen, sein Hab und Gut, seine Mutter und seine Gemahlin, ja alles, was bei ihm war. Als er darauf selbst an Bord gegangen war, fuhr das Schiff mit ihnen bei günstigem Winde zehn Tage lang stromauf, bis sie Baghdad in Sicht bekamen. Über diesen Anblick waren sie erfreut, und als das Schiff mit ihnen in den Hafen eingelaufen war, eilte er sofort in die Stadt und mietete ein Vorratshaus in einem der Châne. In das ließ er seine Habe aus dem Schiffe überführen; dann ging er mit den Seinen zum Chân und blieb dort eine Nacht. Am nächsten Morgen wechselte er seine Kleider, und als der Makler ihn sah, fragte er ihn, wessen er bedürfe und was er wünsche. Hasan erwiderte ihm: ,Ich brauche ein Haus, das schön und geräumig ist.' Da zeigte jener ihm die Häuser, die er zu verkaufen hatte, und Hasan fand Gefallen an einem Hause, das früher einem der Wesire gehört hatte; er kaufte es von dem Makler um hunderttausend Golddinare und zahlte ihm den Preis. Darauf kehrte er zu dem Chân zurück, in dem er abgestiegen war, und ließ alles, was er mitgebracht hatte, in das Haus schaffen. Dann ging er auf den Markt und kaufte alles, was für das Haus nötig war, Geräte, Teppiche und sonstigen Hausrat, auch kaufte er Sklaven, darunter einen kleinen schwarzen Sklaven fürs Haus. Nun wohnte er dort mit seiner Gattin herrlich und in Freuden, drei Jahre lang; und sie schenkte ihm zwei Söhne, von denen er den einen Nâsir. den anderen Mansûr nannte. Doch als die Zeit verstrichen war, gedachte er seiner Schwestern, der Prinzessinnen, und erinnerte sich an ihre Güte gegen ihn, wie sie ihm zu seinem Ziele verholfen hatten; und die Sehnsucht nach ihnen überkam ihn. So begab er sich zum Basar der Stadt und kaufte dort Schmuck und kostbare Stoffe und Naschwerk. wie sie es nie gesehen noch kennen gelernt hatten. Seine Mutter fragte ihn,



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weshalb er solche Kostbarkeiten gekauft habe, und er antwortete ihr: ,Ich habe beschlossen, zu meinen Schwestern zu reisen, die mir so viel Wohltaten erwiesen haben und durch deren Güte und Huld ich all meinen Reichtum erhalten habe, den ich besitze. So will ich denn mich zu ihnen begeben und sie wiedersehen und dann bald zurückkehren, so Allah der Erhabene will.' ,Mein Sohn, bleib nicht lange fern von mir!' sagte sie darauf; und er fuhr fort: ,Wisse, liebe Mutter, wie du es mit meiner Gattin halten sollst! Jenes Federkleid von ihr liegt in einer Kiste, die in der Erde vergraben ist; bewahre es, damit sie es nicht findet und nimmt und mit ihren Kindern davonfliegt! Wenn sie fort sind, werde ich nie mehr eine Kunde von ihnen vernehmen und aus Gram um sie sterben. Drum gib acht, liebe Mutter, ich warne dich, sprich nie zu ihr davon! Denke daran, daß sie die Tochter eines Geisterkönigs ist und daß es unter allen Geisterherrschern keinen mächtigeren gibt als ihren Vater, keinen, der reicher wäre an Truppen und Schätzen! Bedenke auch, daß sie die Herrin ihres Volkes war und bei ihrem Vater die höchste Ehrenstellung hatte; sie ist gar hochgemut, drum diene du ihr selbst und laß es nie zu, daß sie zur Tür hinausgeht oder zum Fenster hinausschaut oder über die Mauer; denn ich bin um sie besorgt wegen eines Windhauches, wenn er weht. Sollte ihr irgendein Unheil dieser Welt zustoßen, so töte ich mich selbst um ihretwillen!' Da sagte die Mutter: ,Allah verhüte, daß ich dir zuwiderhandle, mein Sohn! Ich bin nicht irre, so daß ich diesen Auftrag, den du mir einschärfst, nicht befolgen sollte. Reise, mein Sohn, und sei gutes Mutes; so Allah der Erhabene will, wirst du wohlbehalten heimkehren und sie wiedersehen, und dann wird sie dir berichten, wie ich an ihr gehandelt habe. Doch bleib nicht länger aus, mein Sohn, als die Reise erfordert!' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sic hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 794. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als er die Reise zu den Prinzessinnen beschlossen hatte, seiner Mutter den Auftrag gab, wie wir ihn erzählt haben. Nun wollte es aber das Schicksal, daß seine Gemahlin hörte, wie er mit seiner Mutter sprach, ohne daß die beiden etwas davon wußten. Darauf ging Hasan vor die Stadt hinaus und schlug die Trommel; alsbald kamen die Kamele, und er lud zwanzig Lasten von Kostbarkeiten des Irak auf sie. Dann nahm er Abschied von seiner Mutter und von seiner Gemahlin und seinen Kindern, von denen das eine ein Jahr, das andere jedoch zwei Jahre alt war. Nachdem er jetzt noch einmal zu seiner Mutter gegangen war und ihr alles von neuem eingeschärft hatte, saß er auf und zog zu seinen Schwestern. Ohne Aufenthalt ritt er dahin Tag und Nacht über Berg und Tal, durch der Ebenen Sand und über felsiges Land, zehn Tage hindurch. Am elften Tage aber kam er zu dem Schlosse, und er trat zu seinen Schwestern ein mit den Geschenken, die er ihnen gebracht hatte. Als sie ihn erblickten, freuten sie sich und beglückwünschten ihn zu seiner wohlbehaltenen Ankunft. Seine eigene Schwester aber schmückte das Schloß von innen und von außen. Dann nahmen sie die Geschenke in Empfang, führten ihn in sein altes Gemach wie zuvor und fragten ihn nach seiner Mutter und seiner Gemahlin; und er berichtete ihnen, daß sie ihm zwei Söhne geboren hatte. Als seine Schwester, die jüngste Prinzessin, ihn so wohl und glücklich sah, freute sie sich über die Maßen und sprach diesen Vers:

Ich frag den Wind nach dir, wenn er vorüberzieht;
An meinem Herzen ziehst vorüber du allein.



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Drei Monate lang blieb er bei ihnen als hochgeehrter Gast; er lebte herrlich und in Fröhlichkeit, in Glück und Seligkeit und zog auf Jagd und Hatz. So stand es um ihn.

Sehen wir aber, was bei seiner Mutter und bei seiner Gemahlin geschah! Als Hasan fortgezogen war, blieb seine Gemahlin einen Tag und einen zweiten bei seiner Mutter; doch am dritten Tage sprach sie zu ihr: ,Ach Gott! Ach Gott! Nun bin ich seit drei Jahren bei ihm, und soll ich da nicht einmal ins Badehaus gehen?' Und sie weinte, so daß ihre Mutter Mitleid mit ihrem Kummer hatte und zu ihr sprach: ,Liebe Tochter, wir sind hier doch Fremde, und dein Gemahl weilt nicht in der Stadt. Wenn er hier wäre, so würde er selbst dich bedienen; aber ich weiß niemanden. Also, liebe Tochter, ich werde dir das Wasser wärmen und dir das Haupt waschen in dem Bade, das in unserem Hause ist.' Doch jene erwiderte ihr: ,Meine Gebieterin, hättest du solche Worte zu einer der Sklavinnen gesprochen, sie hätte verlangt, daß du sie auf dem Markt verkauftest, und wäre nicht bei euch geblieben. Die Männer trifft kein Vorwurf, meine Gebieterin; denn sie sind eifersüchtig, und ihnen kommt rasch der Gedanke, daß die Frau, wenn sie aus dem Hause geht, vielleicht etwas Schamloses tun könnte. Aber die Frauen sind doch nicht alle gleich, meine Gebieterin, und du weißt, daß die Frau, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, sich durch niemanden davon abbringen läßt; dann kann keiner über sie wachen oder sie hüten, keiner kann sie zurückhalten vom Badehause oder von irgend etwas anderem, sie tut doch, was sie will.' Dann weinte sie, fluchte ihrem Schicksal und begann um sich und ihre Verlassenheit Klage zu erheben. Die Mutter aber, die Mitleid mit ihrem Jammer hatte und wußte, daß alles, was sie sagte, unvermeidlich war, ging hin und machte alles bereit, dessen sie



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für das Bad bedurfte, nahm sie mit sich und führte sie zum Badehaus. Als die beiden dort eingetreten waren, legten sie ihre Kleider ab, und alle Frauen schauten die junge Frau an und priesen Allah, den Allgewaltigen und Glorreichen, und betrachteten die herrliche Gestalt, die Er geschaffen hatte. Auch alle die Frauen, die nur am Bade vorübergingen, kamen herein und bewunderten sie, und bald drängten sich die Frauen um sie, und man konnte nicht mehr durch das Bad hindurchgehen wegen der Menge von Frauen, die darin waren. Nun traf es sich, daß wegen dieses seltsamen Ereignisses an jenem Tage auch eine von den Sklavinnen des Beherrschers der Gläubigen Harûn er-Raschîd in das Bad kam; die hieß Tuhfa die Lautnerin. Als sie das Gedränge von Frauen sah und das Bad so voll von Frauen und Mädchen, daß niemand hindurchgehen konnte, fragte sie, was es gäbe. Da erzählte man ihr von der jungen Frau; und sie trat an sie heran, blickte sie an und betrachtete sie, und ganz bezaubert von ihrer Schönheit und Anmut, pries sie Allah, den herrlichen Herrn der Herrlichkeit, für die schönen Gestalten, die Er erschaffen hat. Aber sie ging nicht weiter hinein und badete nicht, sondern blieb stehen und starrte die Prinzessin an, bis sie ihr Bad beendet hatte und herauskam und ihre Kleider anlegte; sie erschien ihr aber immer noch schöner. Nachdem jene also den heißen Raum verlassen hatte, setzte sie sich auf den Teppich und die Kissen, während die Frauen sie anschauten; und als sie das bemerkte, ging sie fort. Tuhfa die Lautnerin jedoch, die Sklavin des Kaufen, begleitete sie, bis sie ihr Haus erfahren hatte; dann nahm sie Abschied von ihr und kehrte zum Kalifenpalast zurück. Sie hielt nicht eher ihren Schritt inne, als bis sie vor die Herrin Zubaida kam und den Boden vor ihr küßte. Die sprach zu ihr: ,O Tuhfa, warum bist du so lange im Bade geblieben?' ,Meine



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Gebieterin,' erwiderte sie ihr, ,ich habe ein Wunder gesehen, wie ich nie ein gleiches weder unter den Männern noch unter den Frauen erblickt habe; das hat mich so gefangen genommen, mich so verwirrt und sprachlos gemacht, daß ich mir nicht einmal den Kopf gewaschen habe.' Als Zubaida nun fragte: ,Was war es denn?' fuhr sie fort: ,Ich habe im Badehause eine junge Frau gesehen mit zwei kleinen Knaben, so schön wie Monde; ihresgleichen hat noch nie jemand gesehen, weder vor ihr noch nach ihr, und in der ganzen Welt gibt es keine so schöne Gestalt wie sie. Bei deiner Huld, meine Herrin, wenn du den Beherrscher der Gläubigen mit ihr bekannt machst, so läßt er ihren Gatten töten und nimmt sie von ihm fort; denn ihresgleichen findet sich nie wieder unter den Frauen. Ich habe auch nach ihrem Gatten gefragt, und da sagte man mir, ihr Gatte sei ein Kaufherr und heiße Hasan aus Basra; und dann bin ich ihr gefolgt, von dem Augenblicke an, da sie das Bad verließ, bis sie in ihr Haus ging. Und ich habe gesehen, daß es das Haus des Wesirs ist mit den zwei Toren. von denen eines auf den Fluß, das andere aufs Land führt. Ich fürchte wirklich, meine Herrin, der Beherrscher der Gläubigen wird, wenn er von ihr hört, das Gesetz übertreten und ihren Gatten töten, um sich mit ihr zu vermählen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 795. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Herrin Zubaida, als die Sklavin des Beherrschers der Gläubigen die Gemahlin Hasans aus Basra gesehen und ihre Schönheit der Herrscherin beschrieben hatte, indem sie hinzufügte: ,Ich fürchte wirklich, der Beherrscher der Gläubigen wird, wenn er von ihr hört, das Gesetz übertreten und ihren Gatten töten,



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um sich mit ihr zu vermählen', darauf erwiderte: ,He, Tuhfa. besitzt die Frau da wirklich so viel Schönheit und Anmut. daß der Beherrscher der Gläubigen um ihretwillen sein Seelenheil für weltliche Lust verkaufen und die heilige Satzung übertreten sollte? Doch bei Allah, ich muß diese Frau gewißlich sehen; und wenn sie nicht so ist, wie du gesagt hast, so lasse ich dir den Kopf abschlagen. Du Dirne, es gibt im Palaste des Beherrschers der Gläubigen dreihundertundsechzig Frauen, den Tagen des Jahres an Zahl gleich; sollte sich unter ihnen nichte eine finden so schön wie die, von der du sprichst?' Die Sklavin gab zur Antwort: ,Nein, bei Allah, meine Gebieterin, auch in ganz Baghdad ist keine ihr gleich, sogar unter allen Persern und Arabern nicht; fürwahr, Allah, der Allgewaltige und Glorreiche, hat keine wie sie erschaffen!' Da rief die Herrin Zubaida nach Masrûr; und als der kam und den Boden vor ihr küßte, sprach sie zu ihm: ,Masrûr, geh in das Haus des Wesirs, das mit den zwei Toren, dem einen am Wasser und dem andern auf der Landseite, und bring mir die junge Frau, die dort wohnt, samt ihren Kindern und der Alten, die bei ihr ist. eilends und ohne Verzug!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Masrûr, ging hinaus und eilte weiter, bis er vor der Tür jenes Hauses ankam. Nachdem er gepocht hatte, kam die alte Mutter Hasans herbei und fragte: ,Wer ist vor der Tür?' Er antwortete ihr: ,Masrûr, der Diener des Beherrschers der Gläubigen.' Sie öffnete, und er trat ein; er sprach den Gruß, und sie erwiderte ihn und fragte nach seinem Begehr. Da hub er an: ,Die Herrin Zubaida, die Tochter el-Kâsims, die Gemahlin des Beherrschers der Gläubigen Harûn er-Raschîd, des sechsten der Nachkommen von el-'Abbâs', dem Oheim des



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Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, entbietet dich zu sich, dich und die Frau deines Sohnes und ihre Kinder: denn die Frauen haben ihr von ihr und von ihrer Schönheit erzählt.' ,O Masrûr,' antwortete die Mutter Hasans, ,wir sind Fremdlinge, und mein Sohn, der Gatte der jungen Frau, ist nicht in der Stadt; und er hat mir befohlen, daß weder ich noch sie zu irgendeinem der Geschöpfe Allahs des Erhabenen gehe; und ich fürchte, es könnte irgend etwas geschehen, und wenn mein Sohn dann kommt, so wird er sich töten. Darum bitte ich, o Masrûr, verlange in deiner Güte nicht das von uns, was wir nicht zu tun vermögen!' Doch er fuhr fort: ,Meine Gebieterin, wenn ich wüßte, daß hierin eine Gefahr für euch läge, so würde ich nicht von euch verlangen, daß ihr kommt. Die Herrin Zubaida will sie nur sehen: dann soll sie heimkehren. Also widersetze dich nicht, sonst mußt du es bereuen! Wie ich euch mitnehme, ebenso will ich euch auch wohlbehalten heimführen, so Allah der Erhabene will.' Da nun Hasans Mutter sich ihm nicht widersetzen konnte, so ging sie ins Haus hinein, machte die junge Frau bereit und führte sie dann mit ihren Kindern hinaus. Darauf zogen sie hinter Masrûr her, der ihnen voranging, bis zum Schlosse des Kalifen; dort führte er sie hinauf, bis er sie vor die Herrin Zubaida brachte. Sie küßte den Boden vor ihr und fichte den Segen des Himmels auf sie herab; die junge Frau aber war verschleiert. Da sprach die Herrscherin zu ihr: ,Willst du dein Antlitz nicht entschleiern, auf daß ich es anschauen kanne' Die Prinzessin küßte den Boden vor ihr und enthüllte ein Antlitz, das den Vollmond am Himmeiszelte beschämte. Als nun die Herrin Zubaida sie sah. heftete sie ihren Blick auf sie und ließ ihn über sie hinschweifen, während das Schloß von ihrem Lichte und dem Glanze ihres Antlitzes erstrahlte. Da ward die Herrscherin von



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ihrer Schönheit bezaubert, und ebenso ein jeder, der im Schlosse war; ja, alle, die sie erblickten, wurden berückt, und keiner vermochte mit dem andern zu reden. Doch die Herrin Zubaida erhob sich, hieß auch die Prinzessin aufstehen, zog sie an ihre Brust und setzte sie neben sich auf den Thron; dann befahl sie, das Schloß zu schmücken. Ferner gab sie Befehl, ihr eins der prächtigsten Gewänder zu bringen, dazu ein Halsband von den kostbarsten Edelsteinen, und legte ihr beides an. Dann sprach sie zu ihr: ,O Herrin der Schönen, wahrlich, du hast mir gefallen und meine Augen mit Bewunderung erfüllt. Doch sag, was für Schätze hast du?' ,Hohe Herrin,' erwiderte die Prinzessin, ,ich habe ein Federkleid; und wenn ich es anlegen würde vor deinen Augen, so könntest du eins der schönsten Wunderwerke sehen und würdest darüber staunen, und alle, die es erblickten, würden von Geschlecht zu Geschlecht über seine Schönheit sprechen.' ,Und wo ist dies dein Kleid?' fragte die Herrscherin. Darauf sagte die Prinzessin: ,Es ist bei der Mutter meines Gatten; verlange du es für mich von ihr!' Nun fuhr die Herrin Zubaida fort: ,Mütterchen, bei meinem Leben, geh hin und bring mir ihr Federkleid, auf daß sie uns zeige, was sie damit tun kann; hernach nimm es wieder mit.' Doch die Alte erwiderte ihr: ,Die da ist eine Lügnerin! Hast du je eine Frau im Federkleid gesehen? Das kommt doch nur den Vögeln zu.' Allein die Prinzessin sagte zu der Herrin Zubaida: ,Bei deinem Leben, hohe Herrin, sie hat mein Federkleid, und es ist in einer Truhe, die in der Schatzkammer des Hauses vergraben ist.' Da nahm die Herrscherin von ihrem Halse eine Juwelenkette, die alle Schätze des Perserkönigs und des Kaisers wert war, und sagte: ,Mütterchen, nimm diese Kette'; und sie reichte sie ihr und fuhr fort: ,Bei meinem Leben, geh hin und bring mir das Kleid, damit wir es uns ansehen, und



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dann nimm es zurück!' Die Alte aber schwor ihr, sie hätte dies Kleid nie gesehen und wisse auch nicht, wo es zu finden sei. Da schrie die Herrin Zubaida sie an und nahm ihr den Hausschlüssel ab; dann rief sie Masrûr, und als der kam, befahl sie ihm: ,Nimm diesen Schlüssel, geh zum Hause, öffne es und tritt in die Schatzkammer, deren Tür soundso aussieht; in ihrer Mitte ist eine Truhe vergraben: die hole herauf, brich sie auf und bringe das Federkleid, das darinnen ist, und lege es vor mich hin!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 796. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Herrin Zubaida, nachdem sie der Mutter Hasans den Schlüssel abgenommen und ihn Masrûr gegeben hatte, zu ihm sprach: ,Nimm diesen Schlüssel. öffne die und die Schatzkammer, hole aus ihr die Truhe heraus. brich sie auf und nimm aus ihr das Federkleid, das darinnen ist, und lege es vor mich hin!' und daß Masrûr darauf sagte: ,Ich höre und gehorche!' Dann nahm er den Schlüssel von der Herrscherin entgegen und machte sich auf den Weg; und auch die alte Mutter Hasans stand auf, mit Tränen im Auge und voller Reue, daß sie der Prinzessin willfahrt hatte und mit ihr ins Badehaus gegangen war, da jene doch nur aus List nach dem Bade verlangt hatte. Und die alte Frau trat nun mit Masrûr in das Haus ein und öffnete selbst die Schatzkammer; und er ging in sie hinein, holte die Truhe heraus und entnahm ihr das Federkleid. Nachdem er es in ein Tuch eingehüllt hatte, brachte er es der Herrin Zubaida; die nahm es in die Hände. wandte es hin und her, indem sie seine schöne Arbeit bewunderte, und reichte es der jungen Frau mit den Worten: ,Ist dies dein Federkleid?' ,Ja, meine Gebieterin!' antwortete



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sie, streckte ihre Hand danach aus und nahm es von ihr voller Freuden entgegen. Dann prüfte sie es und erkannte, daß es unverletzt war wie zuvor, und daß keine Feder von ihm verloren war. Hocherfreut darüber erhob sie sich von ihrem Sitze neben der Herrin Zubaida, öffnete das Federkleid, das sie in den Händen hielt, nahm ihre beiden Kinder an ihren Busen und hüllte sich darin ein. Nun ward sie durch die Macht Allahs, des Allgewaltigen und Glorreichen, zu einem Vogel; darüber erstaunte die Herrin Zubaida und jedermann, der zugegen war, —alle verwunderten sich über ihr Tun. Darauf begann sie sich zu biegen und zu wiegen, und sie schritt dahin, tanzend und spielend, während alle, die zugegen waren, auf sie schauten, ganz bezaubert durch ihre Bewegungen. Und sie hub mit lieblicher Stimme an: ,O meine Herrinnen, ist dies schön getan?' ,Jawohl,' erwiderten die Anwesenden, ,o Herrin der Schönen, alles, was du tust, ist schön.' Und sie fuhr fort: ,Was ich jetzt aber tun werde, ist noch schöner, o meine Herrinnen!' Und alsbald breitete sie ihre Flügel, flog mit ihren Kindern empor, schwebte über die Kuppel des Schlosses und setzte sich auf das Dach des Saales. Alle schauten ihr mit großen Augen zu und riefen: ,Bei Allah, dies ist eine seltsame und schöne Kunst, so etwas haben wir noch niemals gesehen!' Als aber die Prinzessin in ihre Heimat fortfliegen wollte, gedachte sie Hasans; und sie rief: ,Höret, o meine Herrinnen!' und sprach diese Verse:

Der du dieses Land verlassen und die Ferne aufgesucht,
Der du zu geliebten Freunden hingeeilt in rascher Flucht,
Meinst du denn, ich hätte nur in Freuden unter euch geweilt
Und durch euch sei nie mein Leben von der Kümmernis ereilt?
Seit ich einst gefangen wurde und ins Netz der Liebe fiel,
Machte er die Lieb zum Kerker und zog fort zu fernern Ziel.
Als mein Kleid verborgen wurde, glaubte er, ich würde nie



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Zum Allmächt'gen, Einen, flehen, daß er es mir wieder lieh.
Seiner Mutter gab er Auftrag, daß sie es verwahren sollt
Im Gemache, und er wurde mir zum Feinde, der mir grollt.
Doch ich hörte, was sie sagten, und ich prägte es mir ein,
Und ich hoffte noch, mir würde reiches Glück beschieden sein.
Denn mein Gang zum Badehause war nur eine List derart,
Daß dem Volk bei meinem Anblick der Verstand verworren ward.
Er-Raschîds Gemahlin ward von meiner Schönheit ganz entzückt,
Als sie erst mit eignen Augen rechts und links mich angeblickt.
Und ich rief: Es sei, Gemahlin des Kalifen, dir bekannt,
Aus den allerschönsten Federn habe ich ein Prachtgewand.
Trüg ich es auf meinem Leibe, sähest du ein Wunder dann,
Das die Sorgen all zerstreuen und den Kummer tilgen kann.
Die Gemahlin des Kalifen fragte mich: Wo ist denn dies?
Und ich sprach: Im Hause dessen, der es dort verbergen ließ.
Eilends stürzte sich Masrûr darauf und brachte es ihr her;
Siehe da. von ihm erstrahlte bald ein helles Lichtermeer.
Ich entnahm es seinen Händen, und als ich es aufgetan,
Sah ich rasch des Busens Wölbung und die Knöpfe auch daran.
Und ich stieg hinein, indem ich meine Kinder bei mir trug,
Und ich breitete die Flügel und stieg auf in raschem Flug.
O du Mutter meines Gatten, sag ihm, wann er wiederkehrt:
Haus und Hof muß er verlassen, so er mir zu nahn begehrt.

Und als sie ihr Lied beendet hatte, sprach die Herrin Zubaida zu ihr: ,Willst du nicht wieder zu uns herunterkommen, auf daß wir uns an deiner Schönheit satt sehen können, o du Herrin der Holdseligen? Preis sei Ihm, der dir verlieh der Rede Lieblichkeit und der Schönheit Strahlenkleid!' Doch sie erwiderte: ,Es sei ferne, daß wiederkehren sollte, was vergangen ist!' Dann sprach sie zur Mutter Hasans -ach, der war nun dem Leid und Elend geweiht -: ,Bei Allah, meine Gebieterin, o Mutter Hasans, die Trennung von dir betrübt mich. Wenn dein Sohn heimkommt, und wenn ihm die Tage der Trennung zu lang erscheinen und er begehrt, mir zu nahen und sich mit mir zu



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vereinen, von den Stürmen zerzaust, in denen die sehnende Liebe braust, so soll er auf den Inseln von Wâk' zu mir kommen!' Und alsbald flog sie mit ihren Kindern in die Höhe und schwebte ihrer Heimat zu. Wie aber die Mutter Hasans das sah, weinte sie und schlug sich ins Angesicht, und sie jammerte, bis sie in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zu sich kam, sprach die Herrin Zubaida zu ihr: ,O meine Herrin Pilgerin, ich ahnte nicht, daß dies geschehen würde; hättest du mir von ihrem Wesen berichtet, so hätte ich dir nicht widersprochen. Erst jetzt habe ich erfahren, daß sie zu den fliegenden Geistern gehört. Ja, wenn ich gewußt hätte, daß sie von der Art ist, so hätte ich ihr nicht gestattet, das Kleid anzulegen, und hätte sie nicht ihre Kinder fortnehmen lassen. Doch nun, meine Herrin, sprich mich von Schuld frei!' Die alte Frau konnte nichts anderes tun als sagen: ,Du bist frei von Schuld !'Dann aber eilte sie aus dem Kalifenschlosse fort und immer weiter, bis sie in ihr Haus kam; dort schlug sie sich wieder ins Angesicht, bis sie von neuem in Ohnmacht fiel. Und als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, kam über sie die Sehnsucht nach der jungen Frau und ihren Kindern und nach dem Anblick ihres Sohnes; und sie sprach diese Verse:

Am Tag der Trennung mußt ich weinen, weil ihr schiedet;
Mir bricht das Herz, weil ihr jetzt fern der Heimat seid.
Ich rief im Trennungsschmerze, der mich ganz versenget,
Von Tränen wund das Aug in bittrem Herzeleid:
Dies ist die Trennung! Gibt's für uns ein Wiedersehn? Denn ohne Kraft zu schweigen ließt ihr mich zurück. Ach, daß sie wiederkehrten, um die Treu zu wahren!
Vielleicht kommt, wenn sie kommen, auch mein einstig Glück.



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Dann ging sie hin und grub im Hofe des Hauses drei Gräber; zu denen ging sie weinend in allen Stunden der Nacht und zu allen Tageszeiten. Als sie aber das Fernsein ihres Sohnes nicht mehr ertragen konnte und als Unruhe, Sehnsucht und Kummer mächtig in ihr wurden, sprach sie diese Verse:
Dein Bild ist zwischen meinen Lidern immerdar;
Dein denk ich, mag mein Herze pochen oder schweigen.
Und deine Liebe kreist in meinem ganzen Leib
Gleichwie die Säfte in den Fruchten auf den Zweigen.
Sobald ich dich nicht seh, ist mir die Brust beengt;
Die Tadler schelten mich nicht mehr ob meiner Leiden.
O du, der mich mit Liebe ganz durchdrungen hat,
Ob dessen Liebe alle Sinne von mir scheiden:
Hab Mitleid, früchte den Erbarmer auch in mir!
Denn Todesängste litt ich durch die Lieb zu dir. 

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 797. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Mutter Hasans in allen Stunden der Nacht und zu allen Tageszeiten weinte, weil ihr Sohn und seine Gattin und seine Kinder fern von ihr waren. So stand es um sie.

Wenden wir uns nun zu Hasan! Als der zu den Prinzessinnen gekommen war, beschworen sie ihn, drei Monate bei ihnen zu bleiben; darauf brachten sie Schätze für ihn herbei, beluden zehn Kamele damit, fünf mit Gold und fünf mit Silber, ferner rüsteten sie Wegzehrung für ihn, eine Traglast, und dann ließen sie ihn aufbrechen und begleiteten ihn. Als er sie aber beschwor, sie möchten umkehren, kamen sie auf ihn zu, um ilm zu umarmen und ihm Lebewohl zu sagen. Zuerst trat die jüngste Prinzessin zu ihm, umarmte ihn und weinte, bis sie in Ohnmacht sank. Hernach sprach sie diese beiden Verse:



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Wann wird durch deine Näh gelöscht das Trennungsfeuer,
Mein Wunsch nach dir erfüllt, erneuert alte Zeit?
Mich hat der Trennungstag erschreckt und tief bekümmert,
Gebieter mein, der Abschied mehrte noch mein Leid.

Dann kam die zweite Prinzessin zu ihm, umarmte ihn und sprach diese beiden Verse:

Von dir zu scheiden heißt vom Leben Abschied nehmen;
Und dich zu missen ist, wie wenn man Zephir' mißt.
Dein Fernsein ist ein Feuer, das mein Herz versenget;
Im Garten Eden weil' ich, wenn du nahe bist.

Darauf trat die dritte Prinzessin an ihn heran, umarmte ihn und sprach diese beiden Verse:

Den Abschied unterließen wir am Trennungstage:
Das war nicht Überdruß noch böse Art zu nennen.
Du bist ja meine Seele, wahrlich und wahrhaftig;
Wie kann ich mich von meiner eignen Seele trennen?

Auch die vierte Prinzessin trat heran, umarmte ihn und sprach diese beiden Verse:

Daß er von Trennung sprach, ließ meine Tränen rinnen,
Als er bei seinem Abschied dieses Wort genannt.
Nun seht den Perlenschmuck an meinem Ohre hängen,
Der dort aus meiner heißen Zähren Flut entstand!

Dann kam die fünfte Prinzessin herbei, umarmte ihn und sprach diese beiden Verse:

O zieh nicht fort! Ich kann doch ohne dich nicht leben,
Ja, selbst zum Abschiednehmen hab ich keine Kraft.
Mir fehlen auch Geduld, um Trennung zu ertragen,
Und Tränen, die verlaßner Stätten Anblick schafft.



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Und die sechste Prinzessin trat hervor, umarmte ihn und sprach diese beiden Verse:

Als jene Schar in weite Ferne zog
Und als die Sehnsucht mir das Herz zerriß,
Rief ich: O hätt ich eines Königs Macht,
Ich nähm gewaltsam jedes Schiff gewiß!

Zuletzt kam die siebente Prinzessin zu ihm, umarmte ihn und sprach diese beiden Verse:

Siehst du ihn Abschied nehmen, hab Geduld
Und lasse dich durch Fernsein nicht erschrecken.
Doch warte auf die rasche Wiederkehr;
Denn Heimkehrhoffnung muß der Abschied wecken.

Dazu sprach sie noch diese beiden Verse:

Ich traure um dein Fernsein und um deine Trennung;
Doch hab ich nicht das Herz, dir Lebewohl zu sagen.
Und Allah weiß, wenn ich von dir nicht Abschied nehme,
So ist es Furcht davor, den Abschied zu ertragen.

Darauf wollte Hasan von ihnen Abschied nehmen; doch weil er sich von ihnen trennen mußte, weinte er, bis er in Ohnmacht sank; hernach sprach er diese Verse:

Am Trennungstag vergossen meine Augen Perlen,
Die ich zu einem Tränenhalsband aufgereiht.
Der Treiber trieb die Tiere singend, mir versagten
Geduld und Herzensfassung und Beharrlichkeit.
Ich sagte Lebewohl und zog betrübt von dannen,
Verließ die Orte und die Stätten, mir so traut;
Ich kehrte um, des Wegs nicht achtend; meine Seele
Ist nur erfreut, wenn sie dich wiederkehren schaut.
Du mein Gefährte, horche auf der Liebe Worte;



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Fern sei es, daß dein Herz, was ich dir sag, vergißt!
O Seele, wenn du dich von ihnen trennst, so scheide
Von Lust des Lebens, wünsch ihm keine lange Frist!

Und nun zog er eilends fort, Tag und Nacht, bis er in Baghdad ankam, der Stätte des Friedens und dem heiligen Asyl der Abbasidenkalifen; doch er ahnte nicht, was dort nach seiner Abreise geschehen war. So trat er denn zu seiner Mutter ins Haus ein, um sie zu begrüßen; aber da sah er ihren Leib so hager, ihr Gebein so mager von all dem Klagen und Wachen, all dem Weinen und Jammern, daß sie gleichwie ein Zahnstocher geworden war und ihm kein Wort erwidern konnte. Rasch entließ er die Kamele; dann trat er an seine Mutter heran und fragte sie nach seiner Gattin und seinen Kindern. Doch sie weinte, bis sie in Ohnmacht sank; und als er sie in solchem Elend sah, eilte er weiter ins Haus und suchte nach seiner Gattin und seinen Kindern, aber er fand von ihnen keine Spur. Darauf blickte er nach der Schatzkammer und entdeckte, daß sie offen stand, daß die Truhe geöffnet war und daß in ihr kein Kleid mehr lag. Nun wußte er, daß sie den Weg zu ihrem Federkleide gefunden und es an sich geommen hatte, daß sie davongeflogen war und auch ihre Kinder mit sich genommen hatte. Als er dann zu seiner Mutter zurückkehrte und sah, daß sie wieder zu sich gekommen war, fragte er sie nach seiner Gattin und nach seinen Kindern. Sie weinte und sprach: ,Mein Sohn, Allah möge dir ihren Verlust reichlich ersetzen! Hier sind ihre drei Gräber.' Wie Hasan diese Worte von seiner Mutter vernahm, stieß er einen lauten Schrei aus, fiel ohnmächtig zu Boden und blieb so liegen vom frühen Morgen bis zum Mittag; da kam über seine Mutter neuer Kummer zu dem alten hinzu, und schon gab sie sein Leben verloren. Als er aber wieder erwachte, weinte er, schlug sich ins Angesicht, zerriß seine



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Kleider und irrte verstört im Hause umher. Dann sprach er diese beiden Verse:

Die Liebe hat enthüllt, was einst verborgen war.
O daß der Sehnsucht Feuer nimmermehr erlischt!
Weni ward der Jugend Feuer in den Trank gemischt?
Ich trank den Trunk der Liebe voll und rein und klar!

Dazu auch diese beiden:

Es klagten über Trennungsleid schon Menschen früher;
Wer lebt, wer starb, ward schon durch Scheiden sinn verstört.
Doch wahrlich, dies Gefühl, das meine Rippen bergen,
Hab ich noch nie erlebt, noch auch davon gehört!

Als er diese Verse gesprochen hatte, nahm er sein Schwert, zückte es und ging zu seiner Mutter. Zu ihr sprach er: ,Wenn du mir nicht die volle Wahrheit sagst, so schlag ich dir den Kopf ab und töte auch mich selbst!' ,Ach, lieber Sohn,' rief sie, ,tu solches nicht! Ich will es dir sagen.' Dann fuhr sie fort: ,Tu dein Schwert in die Scheide und setze dich, auf daß ich dir berichte, was geschehen ist!' Nachdem er dann sein Schwert in die Scheide gestoßen und sich neben seine Mutter gesetzt hatte, erzählte sie ihm alles von Anfang bis zu Ende; und sie fügte hinzu: ,Lieber Sohn, hätte ich nicht gesehen, wie sie weinte, weil sie in das Badehaus gehen wollte, und hätte ich nicht befürchtet, du würdest mir zürnen, wenn sie nach deiner Rückkehr sich bei dir beklagte, so wäre ich nie mit ihr dorthin gegangen. Und wenn die Herrin Zubaida nicht wider mich ergrimmt wäre und mir nicht mit Gewalt den Schlüssel abgenommen hätte, so hätte ich nie das Federkleid herausgegeben, sollte es auch mein Tod gewesen sein! Aber du weißt, mein Sohn, daß niemand um den Vorrang an Macht mit dem Kalifen streiten kann. Als man ihr das Kleid gebracht hatte, nahm sie es und wandte es hin und her, da sie glaubte, es könne etwas



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daran fehlen; doch wie sie entdeckte, daß nichts mit ihm geschehen war, freute sie sich, nahm ihre Kinder und band sie an ihrem Gürtel fest und warf sich das Federkleid über, nachdem die Herrin Zubaida sogar alles, was sie selber trug, abgelegt und ihr gegeben hatte, um sie zu ehren und um ihrer Schönheit willen. Kaum hatte sie das Federkleid angelegt, so schüttelte sie sich und ward zum Vogel; dann schritt sie im Palast hin und her, während alle, die sie sahen, ihre Schönheit und Anmut bewunderten. Dann aber flog sie empor, und als sie oben auf dem Schlosse war, da blickte sie mich an und rief mir zu: ,Wenn dein Sohn heimkommt und wenn ihm die Nächte der Trennung zu lang erscheinen und er begehrt, mir zu nahen und sich mit mir zu vereinen, von den Stürmen zerzaust, in denen die sehnende Liebe braust, so soll er seine Heimat verlassen und zu den Inseln von Wâk kommen!' Dies ist es, was sich mit ihr zugetragen hat, während du fern warst.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 798. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als er die Worte seiner Mutter vernommen hatte, die ihm alles erzählte, was seine Gattin bei ihrer Flucht getan hatte, einen lauten Schrei ausstieß und in Ohnmacht sank; so blieb er bis zum Abend liegen. Als er dann endlich wieder zu sich kam, schlug er sich ins Angesicht und wand sich auf dem Boden, einer Schlange gleich, während seine Mutter ihm zu Häupten saß und weinte bis Mitternacht. Da kam er wieder zur Besinnung und weinte bitterlich und sprach diese Verse:

So haltet an und schaut auf ihn, den ihr verlasset!
Wird nach der Härte eure Huld ihm zugewandt?
Ihr seht ihn zweifelnd an ob seiner langen Krankheit;



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Es ist, bei Gott, als hättet ihr ihn nie gekannt.
Er ist, weil er euch liebt, nicht anders als ein Toter:
Als Toter gilt er; doch er klagt noch seine Not.
Drum glaubet nicht, die Trennung wäre leicht zu tragen:
Wer liebt, dein ist sie schwer, noch schwerer als der Tod!

Als er diese Verse gesprochen hatte, begann er von neuem im Hause umherzuirren, klagend und weinend und jammernd, fünf Tage lang, ohne Speise und Trank zu kosten. Doch dann trat seine Mutter zu ihm und beschwor ihn flehentlich, vom Weinen abzulassen; allein er achtete ihrer Worte nicht, sondern weinte und klagte immer weiter, während seine Mutter ihn zu trösten suchte, ohne daß er auf sie hörte. Darauf sprach er diese Verse:

Ist dies der Lohn für jedes Treugesinnten Liebe?
Soll dies die Art der schwarzgeäugten Rehe sein?
Ist zwischen ihre Lippen nicht der Bienen Honig
Geträufelt oder auch ein edler, süßer Wein?
Erzählt mir die Geschichte des, der vor Lieb gestorben;
Denn Trost gibt jedem Ruh, den Kümmernis beschlich!
Komm nicht bei Nacht aus Scheu vor Tadelwort des Tadlers:
Der erste bist du nicht, des Mut dem Zauber wich!'

In solchem Elend weinte Hasan immer weiter bis zum Morgen. Doch schließlich fielen ihm die Augen zu, und er sah seine Gattin im Traume, wie sie betrübt war und weinte; da fuhr er mit einem Schrei aus seinem Schlaf empor und sprach diese beiden Verse:

Dein Bild entschwindet nie, nicht eine einz'ge Stunde;
Im Herzen wies ich ihm den Platz der Ehren zu.
Hofft ich auf Heimkehr nicht, ich wäre bald gestorben;
Wär nicht das Bild im Traum, ich [(mdc keine Ruh.



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Als es dann heller Morgen ward, begann er nur noch mehr zu klagen und zu weinen; immer rannen ihm die Tränen aus den Augen, immer war sein Herz betrübt, er wachte bei Nacht und enthielt sich der Speise, und er verharrte in diesem Zustande einen ganzen Monat lang. Erst als dieser Monat vergangen war, kam es ihm in den Sinn, sich zu seinen Schwestern zu begeben, auf daß jene ihm vielleicht bei seinem Plane, sie wiederzugewinnen, behilflich wären. Er ließ alsbald die Dromedare kommen und belud fünfzig von ihnen mit Kostbarkeiten aus dem Irak, während er eines von ihnen bestieg. Nachdem er die Sorge für das Haus seiner Mutter anvertraut und alle seine Schätze, abgesehen von wenigen Dingen, die er im Hause ließ, sicher verborgen hatte, machte er sich auf den Weg zu seinen Schwestern, um bei ihnen Hilfe zu suchen, daß er wieder mit seiner Gattin vereint würde. So zog er ohne Aufenthalt dahin, bis er das Schloß der Prinzessinnen auf dem Wolkenberge erreichte. Und als er dort zu ihnen eingetreten war, überreichte er ihnen die Geschenke; sie hatten ihre Freude an ihnen, wünschten ihm Glück zu seiner sicheren Ankunft und sprachen zu ihm: ,O unser Bruder, was ist der Grund dafür, daß du so schnell wiederkommst? Du bist doch erst vor zwei Monaten von uns gegangen.' Da weinte er und sprach diese Verse:

Betrübt ist meine Seele, seit ihr Lieb geschwunden,
Und keine Lebenslust kann ihr noch Freude leihn.
Ich krank' an einem Leid, des Heilung niemand kennet;
Die Krankheit heilen kann doch nur ihr Arzt allein.
O die du mir des Schlummers Süße raubst, du machtest,
Daß ich nach dir den Wind befrage, wenn er weht,
Ob er dem Lieb wohl nahe war, das alle Reize
Vereint, um die mein Auge jetzt in Tränen steht.
O Wind, in ihrem Lande pflegest dn zu schweben -
Kann wohl ein Hauch mit ihrem Duft das Herz beleben?



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Und als er diese Verse gesprochen hatte, stieß er einen lauten Schrei aus; dann sank er ohnmächtig nieder. Die Prinzessinnen aber saßen rings um ihn und weinten, bis er aus seiner Ohnmacht erwachte. Als er wieder zu sich kam, sprach er diese beiden Verse:

Vielleicht mag das Geschick noch seine Zügel wenden
Und doch noch Gutes bringen trotz der Zeiten Neid;
Vielleicht hilft mir mein Schicksal, fördert meine Wünsche
Und schafft mir neue Freude noch aus altem Leid.

Auch nach diesen Versen weinte er, bis er in Ohnmacht fiel. Und als er wieder zu sich kam, sprach er die folgenden beiden Verse:

O die du mir das schwerste Leid und Siechtum brachtest.
Bist du in Liebe glücklich, daß auch ich es sei?
Kannst du mich so verlassen ohne Schuld und Ursach?
Ach, nahe mitleidsvoll! Die Trennung sei vorbei!

Als er seine Verse beendet hatte, weinte er von neuem, bis er in Ohnmacht sank. Und als er erwachte, sprach er diese Verse:

Mich floh der Schlummer, und es nahte mir das Wachen;
Das Auge mein vergießt verborgner Tränen viel.
Aus Liebe weint es Tränen gleich den Karneolen;
Die werden mehr und mehr in langer Zeiten Spiel.
O Volk der Liebe. Sehnsucht weckte mir ein Feuer,
Das unter meinen Rippen seine Glut entfacht. Ach, wenn ich dein gedenke, fließen mir die Tränen,
Wie wenn die Blitze zucken und der Donner kracht.

Gleichfalls nach diesen Versen weinte er, bis die Ohnmacht über ihn kam. Und als sie ihn verließ, sprach er die folgenden Verse:

Hast du in Lieb und Kümmernis wie ich gelitten?
Ist deine Lieb zu mir gleich meiner Lieb zu dir?
Die Liebe sei verflucht! Wie ist sie doch so bitter!
Und wissen möcht ich's wohl, was will sie denn von mir?
Sind wir auch weit entfernt, dein schönes Antlitz spiegelt
Sich stets in meinen Augen, wo ich auch nur bin.



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Mein Herze denkt betrübt der Stätte, da du weilest;
Und wenn die Taube gurrt, erregt sie mir den Sinn.
Ach, Taube, die du nächtelang dem Freunde rufest,
Du mehrest mir die Sehnsucht, bringst mir herbes Leid.
Du machst, daß meine Augen ohn Ermüden weinen
Um eine Herrin, die dem Blicke jetzt so weit.
Um sie nur klage ich zu jeder Zeit und Stunde;
Mich schmerzt in dunkler, schwarzer Nacht der Sehnsucht Wunde.

Als seine Schwester seine Worte vernommen hatte, war sie zu ihm geeilt; und wie sie ihn ohnmächtig am Boden liegen sah, schrie sie auf und schlug sich ins Angesicht. Ihre Schwestern hatten sie gehört und waren herbeigekommen; da sahen auch sie Hasan in Ohnmacht liegen und setzten sich rings um ihn und beklagten ihn.' Und als sie ihn anschauten, blieb es ihnen nicht mehr verborgen, wie er ergriffen war von heftiger Leidenschaft und von der sehnenden Liebe Kraft. Nun fragten sie ihn nach seinem Erlebnisse; und weinend berichtete er ihnen, was während seines Fernseins geschehen war, wie seine Gattin davongeflogen sei und ihre Kinder mit sich genommen habe. Tiefbetrübt um seinen Schmerz fragten sie ihn, was sie beim Fortfliegen gesagt habe. Er gab zur Antwort: ,Liebe Schwestern, sie hat zu meiner Mutter gesagt: ,Sage deinem Sohne, wenn er heimkommt und wenn ihm die Nächte der Trennung zu lang erscheinen und er begehrt, mir zu nahen und sich mit mir zu vereinen, von den Stürmen zerzaust, in denen die sehnende Liebe braust, so soll er zu mir nach den Inseln von Wâk kommen!' Als sie diese Worte aus seinem Munde vernahmen, blinzelten sie einander zu und versanken in Nachdenken. Dann schauten die Prinzessinnen alle einander an. und Hasan blickte auf sie. Und nachdem sie darauf eine Weile die



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Köpfe zu Boden gesenkt hatten, schauten sie wieder auf und sprachen: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Und sie fügten hinzu: ,Recke deine Hand zum Himmel empor, und wenn du den Himmel erreichen kannst, so wirst du auch deine Gemahlin wieder erreichen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 799. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessinnen zu Hasan sprachen: ,Recke deine Hand zum Himmel empor, und wenn du ihn erreichen kannst, so wirst du auch deine Gemahlin und deine Kinder wieder erreichen', und daß ihm darauf die Tränen wie Regen über die Wangen rannen, bis sie ihm die Kleider benetzten. Dann sprach er diese Verse:

Mich quälten rote Wangen und die Augensterne;
Seit mich der Schlummer floh, ist mir die Kraft geraubt.
Den Leib verzehrte mir der zarten Schönen Härte:
Ihm blieb kein Lebensodem, wie die Menschheit glaubt.
Schwarzäugig schreiten sie gazellengleich und strahlen
Von Schönheit, deren Anblick Fromme selbst verführt.
Sie schweben gleich dem Windhauch morgens früh im Garten;
Ich sank in Qual und Gram, von ihrem Bann berührt.
Der Schönsten unter ihnen weihte ich mein Hoffen;
Sie hat mein Herz zu heißer Feuersglut entfacht,
Die Maid. so zart von Gliedern, die voll Anmut schreitet;
Ihr Antlitz gleicht dem Morgen, doch ihr Haar der Nacht.
Sie bannte mich. Wie oft erlag ein tapfrer Mann
Durch Wang und Aug der Schönen schon dem Liebesbann!

Als er seine Verse beendet hatte, weinte er wieder, und die Prinzessinnen weinten mit ihm, von Mitleid und Eifer für ihn ergriffen. Und sie begannen ihn zu trösten, und sie sprachen ihm Mut zu und wünschten ihm, daß er bald wieder mit seiner



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Gattin vereint würde. Dann trat seine Schwester an ihn heran und sprach zu ihm: ,Lieber Bruder, hab Zuversicht und gräm dich nicht; fasse dich in Geduld, so wirst du dein Ziel erreichen; denn wer sich in Geduld und Ausharren bewährt, der erlangt, was er begehrt. Geduld ist der Schlüssel zum Heil; denn der Dichter sagt:

Laß nur das Schicksal mit verhängten Zügeln jagen,
Und leichten Sinnes stets verbringe du die Nacht!
Denn eh des Auges Blick, gesenkt, sich wieder lieber,
Hat Allah schon ein Ding zum anderen gemacht.

Dann fuhr sie fort: ,So fasse dir ein Herz und stärke deinen Sinn; wer zehn Jahre alt werden soll, stirbt nicht im neunten Jahre. Weinen und Gram und Kummer bringen Krankheit und Siechtum. Bleibe bei uns, bis du ausgeruht bist! Und ich werde dir einen Plan ersinnen, wie du zu deiner Gattin und zu deinen Kindern gelangen kannst, so Allah der Erhabene will.' Doch er weinte bitterlich und sprach diese beiden Verse:

Wenn ich von meines Leibes Siechtum auch genese,
So wird doch meines Herzens Krankheit nicht geheilt.
Denn [hr der Liebe Krankheit gibt es keine Heilung,
Als wenn das Lieb bei dem Geliebten wieder weilt.

Darauf setzte er sich neben seine Schwester, und sie begann mit ihm zu plaudern. Als sie ihn nach dem Grunde fragte, weshalb seine Gattin fortgeflogen wäre, erzählte er ihr davon; und da sagte sie zu ihm: ,Bei Allah, mein Bruder, ich wollte dir raten, du solltest das Federkleid verbrennen; aber Satan ließ es mich vergessen.' Und sie begann wieder mit ihm zu plaudern und ihn zu trösten. Als er aber ungeduldig ward und die Unruhe ihn überwältigte, sprach er diese Verse:

In meinem Herzen wohnt ein Lieb, das mir vertraut:
Was Gott beschlossen hat, das läßt sich nie vermeiden.



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Sie hat Arabiens Schönheit ganz in sich vereint;
Sie ist ein Reh und will auf meinen: Herzen weiden.
In meiner Lieb zu ihr versagt mir Kraft und Mut;
Ich weine -mag das Weinen keinen Nutzen tragen!
Ach, sieben Jahr und sieben zählt die Schöne jetzt,
Ein neuer Mond von fünf und fünf und noch vier Tagen.'

Als seine Schwester ihn so ergriffen sah von heftiger Leidenschaft und von der verzehrenden Liebe Kraft, trat sie zu ihren Schwestern, mit Tränen im Auge und Trauer im Herzen, und weinte sich aus vor ihnen; und sie warf sich vor ihnen nieder. küßte ihnen die Füße und bat sie, ihrem Bruder zu helfen, daß er sein Ziel erreiche und wieder mit seinen Kindern und seiner Gattin vereint werde, und beschwor sie, einen Plan zu ersinnen, der ihn zu den Inseln von Wâk bringen würde. Sie weinte so lange vor ihren Schwestern, bis auch sie zu weinen begannen und zu ihr sprachen: ,Sei gutes Mutes; wir wollen uns eifrig darum mühen, daß er mit den Seinen wieder vereint wird, so Allah der Erhabene will.' Dann blieb er noch ein volles Jahr bei ihnen, aber nie vermochte sein Auge die Tränen zurückzuhalten. Nun hatten die Prinzessinnen einen Oheim, einen leiblichen Bruder ihres Vaters, und der hieß 'Abd el-Kuddûs; er war der ältesten Schwester in herzlicher Liebe zugetan, und er pflegte in jedem Jahre einmal zu ihr zu kommen und ihr alle ihre Wünsche zu erfüllen. Ihm hatten die Prinzessinnen erzählt, wie es Hasan mit dem Feueranbeter ergangen war und wie er den Unhold hatte töten können; und darüber hatte der Oheim sich gefreut. Er hatte der ältesten Prinzessin auch einen Beutel voll Weihrauch geschenkt mit den Worten: ,Tochter meines Bruders, wenn dir irgend etwas Sorge macht oder etwas Verdrießliches dir begegnet oder wenn dir ein Wunsch in den



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Sinn kommt, so wirf diesen Weihrauch ins Feuer und nenne meinen Namen; dann werde ich schnell bei dir sein und dir deinen Wunsch erfüllen.' Diese Worte waren am ersten Tage des Jahres gesprochen. Und jetzt sprach jene Prinzessin zu einer von ihren Schwestern: ,Sieh, das ganze Jahr ist verstrichen, und mein Oheim ist noch nicht gekommen. Wohlan, reib die Feuerhölzer und bring mir die Büchse mit dem Weihrauch!' Jene ging erfreut hin und brachte die Büchse, öffnete sie, nahm etwas von dem Weihrauch heraus und reichte es ihrer Schwester. Die nahm es und warf es ins Feuer und sprach den Namen ihres Oheims aus. Und noch war der Weihrauch nicht verbrannt, da erhob sich vom anderen Ende des Tales eine Staubwolke: nach einem Weilchen tat die Wolke sich auf, und unter ihr erschien ein Scheich, der auf einem Elefanten ritt, während das Tier unter seinem Reiter brüllte. Als die Prinzessinnen ihn sehen konnten, winkte er ihnen mit seinen Händen und Füßen. Wiederum nach einem Weilchen kam er bei ihnen an, stieg von dem Elefanten und trat zu ihnen ein; da umarmten sie ihn, küßten ihm die Hände und sprachen den Friedensgruß vor ihm. Dann setzte er sich, und die Mädchen begannen mit ihm zu plaudern und fragten ihn, weshalb er ferngeblieben sei. Er gab zur Antwort: ,Ich saß noch eben mit meiner Gattin, eurer Muhme, zusammen; da roch ich den Weihrauch, und ich kam sofort zu euch auf dem Elefanten da. Doch was wünschest du, Tochter meines Bruders?' Darauf sagte sie: ,Lieber Oheim, wir hatten Sehnsucht nach dir; das Jahr war schon verstrichen, und du pflegst sonst nicht länger als ein Jahr von uns fernzubleiben.' Und er fuhr fort: ,Ich war beschäftigt; aber ich hatte schon beschlossen, morgen zu euch zu kommen.' Sie dankten ihm und wünschten ihm Segen und plauderten weiter mit ihm. —



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 800. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die älteste Prinzessin, als sie und ihre Schwestern mit ihrem Oheim plauderten, zu ihm sprach: ,Lieber Oheim, wir haben dir von Hasan aus Basra erzählt, den der Feueranbeter Bahrâm hierher geführt hatte, und auch davon, wie Hasan den Unhold umbrachte; ferner haben wir dir von der Maid erzählt, der Tochter des Großkönigs, die er gefangen nahm, und von all den Drangsalen und Schrecknissen, die er damals ertrug, und davon, wie er die Königstochter einfing und sich mit ihr vermählte, und wie er schließlich mit ihr in seine Heimat zog.' ,Jawohl,' erwiderte er, ,und was ist ihm seither widerfahrene' Die Prinzessin antwortete: ,Sie hat ihn verraten, nachdem er durch sie mit zwei Kindern gesegnet war; sie hat die Kleinen genommen und ist mit ihnen in ihr Land geflogen, während er fern war. Zu seiner Mutter sprach sie damals: ,Wenn dein Sohn wieder da ist, und wenn ihm die Nächte der Trennung zu lang erscheinen und er begehrt, mir zu nahen und sich mit mir zu vereinen, von den Stürmen zerzaust, in denen die sehnende Liebe braust, so soll er zu mir nach den Inseln von Wâk kommen.' Da schüttelte der Alte sein Haupt und biß sich auf den Finger; dann neigte er sein Haupt zu Boden und begann mit seinem Finger Zeichen auf die Erde zu malen. Nun wandte er sich nach rechts und nach links und schüttelte wiederum den Kopf, während Hasan ihm zuschaute, ohne daß jener ihn sehen konnte. Die Prinzessinnen aber sprachen zu ihrem Oheim: ,Gib uns eine Antwort; denn unsere Herzen sind schon zerrissen!' Doch er schüttelte wiederum den Kopf und sprach zu ihnen: ,Meine Töchter, dieser Mann hat sich viel gemüht und sich in schauerliche



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Schrecknisse und gewaltige Gefahren gestürzt; denn er kann zu den Inseln von Wâk keinen Zutritt erlangen.' Da riefen die Prinzessinnen Hasan herbei, und als er zu ihnen kam, trat er zum Scheich 'Abd el-Kuddûs, küßte ihm die Hand und sprach den Friedensgruß vor ihm. Der Alte hatte seine Freude an ihm und ließ ihn an seiner Seite sitzen. Darauf sagten die Prinzessinnen zu ihrem Oheim: ,Lieber Oheim, tu unserem Bruder die Wahrheit kund von dem, was du uns gesagt hast!' Und jener hub an: ,Mein Sohn, erspare dir diese schweren Qualen! Du kannst nicht zu den Inseln von Wâk gelangen, dienten dir auch die fliegenden Geister und die Wandersterne als ihrem Meister; denn zwischen dir und jenen Inseln liegen sieben Täler und sieben Meere und sieben gewaltige Gebirge. Wie kannst du also an jenen Ort gelangen? Wer soll dich dorthin bringen? Um Allahs willen, kehr bald um und mühe dein Herz nicht ab!' Als Hasan diese Worte von dem Scheich 'Abd el-Kuddûs vernahm, weinte er, bis er in Ohnmacht fiel; und die Prinzessinnen, die rings um ihn saßen, weinten mit ihm. Die jüngste Prinzessin aber zerriß ihre Kleider und schlug sich ins Angesicht, bis auch sie ohnmächtig niedersank. Als flunder Scheich 'Abd el-Kuddûs sie in diesem Übermaße des Grams und der schmerzlichen Erregung sah, erbarmte er sich ihrer, und von Mitleid mit ihnen ergriffen sprach er zu ihnen: ,Schweiget!' Dann sprach er zu Hasan: ,Sei gutes Mutes und hoffe mit Freuden darauf, dein Ziel zu erreichen, so Allah der Erhabene will!' Und er fügte hinzu: ,Auf, mein Sohn, sammle deine Kraft und folge mir!' Da machte Hasan sich auf, nachdem er von den Prinzessinnen Abschied genommen hatte, und folgte ihm in der freudigen Hoffnung, daß er sein Ziel erreichen werde. Der Scheich aber rief den Elefanten, und als der gekommen war, stieg er auf, nahm Hasan hinter sich und jagte



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mit ihm drei Tage und Nächte dahin wie der blendende Blitz, bis er zu einem ungeheuren blauen Gebirge kam, dessen Steine alle von blauer Farbe waren. Inmitten jenes Gebirges lag eine Höhle, und vor ihr befand sich ein Tor aus chinesischem Eisen. Nun nahm der Scheich den Jüngling bei der Hand und ließ ihn hinab; dann saß er selber ab und sandte den Elefanten fort. Nachdem er darauf an das Tor der Höhle herangetreten war und angeklopft hatte, tat die Tür sich auf, und ein schwarzer, haarloser Sklave trat heraus, der einem Dämonen glich; inder rechten Hand trug er ein Schwert und in der linken einen Schild aus Stahl. Wie er den Scheich 'Abd el-Kuddûs erblickte. warf er Schwert und Schild aus der Hand. trat auf den Alten zu und küßte ihm die Hand. Da nahm der Alte Hasan bei der Hand und führte ihn hinein, während der Sklave die Tür hinter ihnen schloß. Hasan aber sah, daß die Höhle sehr groß und geräumig war und daß sie einen gewölbten Gang hatte; in dem schritten sie etwa eine Meile dahin. Ihr Weg endete in einer weiten Ebene; und von hier begaben sie sich zu einer Ecke des Berges, in der sich zwei große Tore aus gegossenem Messing befanden. Scheich 'Abd el-Kuddûs öffnete eines von den beiden, trat ein und schloß es, nachdem er zu Hasan gesagt hatte: ,Bleibe du hier bei dieser Tür; doch hüte dich, sie zu öffnen und hineinzugehen, während ich eintreten und bald zu dir zurückkehren will!' Als nun der Scheich hineingegangen war, blieb er eine volle Stunde fort; dann kam er wieder, indem er einen gezäumten Hengst mit sich führte; der lief so geschwind, als flög er im Wind, und flog er drein, so holte der Staub ihn nicht mehr ein. Der Alte brachte das Tier zu Hasan und sprach zu ihm: ,Sitz auf!' Dann öffnete er das zweite Tor, und hinter ihm erschien eine weite Wüste. Nachdem Hasan das Roß bestiegen hatte, zogen beide durch das Tor und bc



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fanden sich nun in jener Wüste. Da sprach der Scheich zu Hasan: ,Mein Sohn. nimm dies Schreiben und reit auf diesem Roß dorthin, wohin es dich trägt. Wenn du siehst, daß es am Tor einer Höhle gleich dieser stille steht, so steig ab von seinem Rücken, wirf ihm die Zügel über den Sattelknopf und laß es frei! Es wird in die Höhle hineingehen; du aber tritt nicht mit ihm ein, sondern bleibe am Tore fünf Tage lang stehen, ohne zu ermüden. Am sechsten Tage wird ein schwarzer Scheich zu dir heraustreten, der trägt ein schwarzes Gewand, und sein langer weißer Bart wallt ihm bis auf den Nabel herab. Sobald du ihn erblickst, küsse ihm die Hände, ergreif den Saum seines Gewandes und lege ihn auf dein Haupt, und dann weine vor ihm, bis er sich deiner erbarmt und dich nach deinem Begehren fragt! Wenn er also zu dir spricht: ,Was ist dein Begehr?' so überreiche ihm dies Schreiben. Er wird es von dir hinnehmen, ohne dir ein Wort zu sagen, und wird hineingehen und dich allein lassen. Bleib du wiederum an deiner Stätte stehen, fünf Tage lang, ohne zu ermüden! Am sechsten Tage aber schau nach ihm aus, ob er zu dir kommt. Tritt er selber zu dir heraus, so wisse, daß dein Wunsch dir erfüllt wird; kommt aber einer seiner Diener zu dir, so wisse, daß jener, der zu dir heraustritt, dich töten will - und damit ist alles zu Ende. Wisse, mein Sohn, daß jeder, der sich in Gefahr begibt, auch sein Leben aufs Spiel setzt.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 801. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Scheich 'Abd el-Kuddûs, nachdem er Hasan das Schreiben übergeben hatte, ihm kundtat, was ihm begegnen würde, und zu ihm sprach: ,Jeder, der sich in Gefahr begibt, setzt auch sein Leben aufs Spiel. Wenn



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du also für dein Leben fürchtest, so setze es nicht dem Untergange aus. Fürchtest du dich aber nicht, dann auf, an dein Werk! Jetzt habe ich dir alles klargemacht. Wenn du zu deinen Freundinnen zurückkehren willst, so ist der Elefant noch da, und er kann dich zu den Töchtern meines Bruders zurückbringen; die werden dich dann in dein Land geleiten und dich deiner Heimat wiedergeben; und Allah wird dir etwas Besseres gewähren als diese Frau, an die du dein Herz gehängt hast.' Doch Hasan antwortete dem Scheich: ,Wie kann mich das Leben noch freuen, wenn ich mein Ziel nicht erreichet Bei Allah, ich werde nie und nimmer umkehren, bis ich meine Geliebte erlange oder mein Geschick mich ereilt!' Dann weinte er und sprach diese Verse:

Als mich mein Lieb verließ, stand ich im Übermaße
Der Leidenschaft und schrie in meinem tiefen Leid.
In Sehnsucht küßte ich den Staub, wo sie gelagert;
Doch das verlieh mir nur noch größre Bitterkeit.
Sie, die entschwunden, schütze Gott! Mein Herz denkt ihrer:
Ich ward dem Schmerz vertraut, der Freude ward ich gram.
Sie sagten mir: Geduld! und zogen mit ihr weiter,
Entfachten meine Seufzer, als die Trennung kam.
Mich schreckte nur der Abschied und ihr Wort: Gedenke
Doch meiner, fern von mir; vergiß die Freundschaft nie!
Bei wem soll ich hinfort noch Schutz und Hoffnung suchen?
In Freuden und in Leiden hoffte ich auf sie.
Weh Qual, als ich beim Abschied mich zur Umkehr wandte!
Darüber freute sich der bösen Feinde Chor.
Weh Schmerz, dies war es ja, wovor ich mich gefürchtet!
Du Glut in meinem Herzen, lohe hoch empor!
Ist fern mein Lieb, so will ich nicht mehr weiterleben;
Doch kehrt es heim, o welche Freude, welches Glück!
Seit sie entschwunden, rann mir Träne über Träne;
Bei Gott, mein Auge hielt die Zähren nie zurück.



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Als der Scheich 'Abd el-Kuddûs die Worte Hasans und seine Verse vernommen hatte, wußte er, daß der Jüngling von seinem Vorhaben nicht ablassen würde und daß Worte auf ihn keinen Eindruck machten; er war fest überzeugt, daß er ganz gewiß sein Leben aufs Spiel setzen würde, wenn er auch den Tod vor Augen hätte. So sprach er denn: ,Wisse, mein Sohn, die Inseln von Wâk sind sieben an der Zahl; auf ihnen wohnt ein gewaltiges Heer, und jenes Heer besteht nur aus Jungfrauen. Die Bewohner der inneren Inseln sind Teufel und Mârids und Zauberer und verschiedene Geisterstämme; wer ihr Land betritt, der kehrt nie zurück; und noch nie ist einer, der zu ihnen vorgedrungen ist, wieder heimgekommen. Um Allahs willen, kehre du jetzt rasch um zu deinem Volke! Du weißt doch, die Prinzessin, die du suchst, ist die Tochter des Königs aller dieser Inseln. Wie kannst du Zutritt zu ihr erlangen? Höre auf mich, mein Sohn; und vielleicht wird Allah dir eine bessere als sie an ihrer Statt geben!' Doch Hasan rief: ,Bei Allah, mein Gebieter, wenn ich auch um der Liebe zu ihr willen in Stücke zerschnitten werden sollte, so würde meine Leidenschaft und Sehnsucht nur wachsen. Ich muß, ja, ich muß meine Gattin und meine Kinder wiedersehen und zu den Inseln von Wâk vordringen; und so Allah der Erhabene will, werde ich nur mit ihr und meinen Kindern heimkehren.' Da sprach der Scheich 'Abd el-Kuddûs: ,So ist es denn gar nicht anders möglich, als daß du die Fahrt unternimmst?' ,So ist es,' erwiderte Hasan, ,und ich erbitte von dir nur Gebete um Hilfe und Beistand, auf daß Allah mich bald wieder mit meiner Gattin und meinen Kindern vereine.' Darauf weinte er im Übermaße seiner Sehnsucht und sprach diese Verse:

Du bist mein Wunsch, du bist das schönste der Geschöpfe;
Du bist mir lieb gleichwie mein Auge und mein Ohr.



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Du hast mein Herz gewonnen, und Ja wohnst darinnen;
Ich leb in Trauer, Herrin, seit ich dich verlor.
Doch glaube nicht, ich ließe ab von meiner Liebe;
Ach, deine Liebe hat mir Armem Leid gebracht.
Du schiedest, meine Freude schied bei deinem Scheiden.
Und was so hell einst war, ward mir zur trüben Nacht.
Du ließest mich im Schmerze auf die Sterne schauen,
Ich weine Tränen gleich dem wilden Regenguß.
O Nacht, du währest lang dem, der in bangen Sorgen
Der Liebe auf den Strahl des Mondes harren muß.
Wenn du, o Wind, dem Stamm dich nahst, in dem sie weilet,
So bring ihr meinen Gruß das Leben, ach, vergeht! Und kunde ihr von dem, was ich an Schmerzen leide!
Denn die Geliebte weiß nicht, wie es um mich: steht.

Als Hasan seine Verse beendet hatte, weinte er bitterlich, bis er wieder in Ohnmacht fiel. Und als er zur Besinnung kam, sprach Scheich 'Abd el-Kuddûs zu ihm: ,Mein Sohn, du hast noch eine Mutter, laß sie nicht den Schmerz deines Verlustes kosten!' Aber Hasan rief: ,Bei Allah, mein Gebieter, ich will nur mit meiner Gattin heimkehren; sonst mag mich mein Geschick ereilen!' Und wiederum weinte und klagte er, und er sprach diese Verse:

Bei::: Recht der Liebe, nie soll Fernen,, Treue brechen!
Ich bin der Mann nicht, der den: Bunde untreu wird.
Und wenn ich meine Qual den Leuten schildern wollte,
Sie sprächen: Der da ist von Wahnsinn ganz verwirrt.
Ach, Liebesleid sind Trauer, Jammer, Herzenspein -
Wer alles das erträgt, wie kann der anders sein?

An diesen Versen erkannte der Alte von neuem, daß Hasan von seinem Vorhaben nicht ablassen würde, trotz aller Todesgefahr; so gab er ihm denn das Schreiben, betete für ihn und ermahnte ihn, wie er handeln solle, indem er sprach: ,Ich habe dich in dem Schreiben empfohlen an Abu er-Ruwaisch, den



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Sohn der Bilkîs, der Tochter von Mu'în; er ist mein Meister und Lehrer. und alle Menschen und Geister verehren ihn und fürchten ihn.' Dann fügte er hinzu: ,Nun ziehe hin mit dem Segen Gottes!' Also machte Hasan sich auf, er ließ dem Rosse die Zügel schießen und flog mit ihm dahin schneller als der Blitz. Zehn Tage lang jagte er auf seinem Renner ohne Aufenthalt weiter, bis er vor sich etwas gewaltiges Großes erblickte. das schwärzer war als die Nacht und die Welt von Ost bis West versperrte. Als er sich dem näherte, wieherte das Roß unter ihm; da eilten plötzlich Scharen von Rossen herbei, zahlreich wie die Regentropfen, für die ward keine Zahl genannt und Hilfe wider sie war unbekannt; und sie begannen sich an Hasans Roß zu reiben. Er fürchtete sich vor ihnen und ritt voller Angst weiter, umringt von jenen Pferden, bis er zu der Höhle kam, die der Scheich 'Abd el-Kuddûs ihm beschrieben hatte. Das Roß machte bei ihrem Tore Halt, und Hasan stieg ab und warf ihm die Zügel über das Sattelhorn. Darauf lief das Roß in die Höhle hinein, während Hasan am Tore stehen blieb, wie der Scheich 'Abd el-Kuddûs ihm befohlen hatte; und er begann darüber nachzudenken, wie wohl der Ausgang seines Unterfangens sein würde, ratlos und verstört, ohne zu wissen, wie es ihm noch ergehen sollte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 802. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, nachdem er von dem Rücken des Rosses abgestiegen war, bei dem Tore der Höhle stehen blieb und darüber nachdachte, wie wohl der Ausgang seines Unterfangens sein würde, ohne zu wissen, wie es ihm noch ergehen sollte. Dort, am Eingange der Höhle, blieb er ununterbrochen stehen, fünf Tage und fünf Nächte



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lang, wachend und bang, ratlos und in Gedanken daran, daß er sich getrennt hatte von Sippe und Heimatland, von Gefährten und Freundesband, mit Tränen im Auge und Trauer im Herzen. Auch gedachte er seiner Mutter und sann nach über sein Schicksal und über die Trennung von seiner Gattin und seinen Kindern und über alles, was er schon erduldet hatte; und er sprach diese Verse:

Bei dir ist Herzensheilung, wenn das Herze schwindet,
Und wenn der Tränenstrom vom Saum der Lider rinnt.
Wenn Trennung, Trauer, Sehnen, Pilgern in der Fremde,
Der Heimat fern, und Leid - wenn all das Macht gewinnt.
Ich bin ja nur ein Mann, erfüllt von heißer Liebe,
Die Ferne der Geliebten brachte herbes Leid.
Und wenn mich meine Liebe so ins Elend stürzte -
Welch Edler wäre gegen Schicksalsschlag gefeit?

Kaum hatte Hasan diese Verse beendet, da kam auch schon der Scheich Abu er-Ruwaisch heraus zu ihm, schwarz und in schwarzen Gewändern. Als Hasan ihn erblickte, erkannte er ihn alsbald nach der Beschreibung, die ihm der Scheich 'Abd el-Kuddûs gegeben hatte. Und er warf sich sogleich vor ihm nieder, rieb seine Wangen an seinen Füßen, ergriff einen Fuß des Alten und legte ihn auf sein Haupt und weinte vor ihm. Da sprach der Scheich Abu er-Ruwaisch zu ihm: ,Was ist dein Begehr, mein Sohn?' Hasan streckte ihm seine Hand mit dem Schreiben entgegen und reichte es ihm; der Scheich aber nahm es von ihm hin und trat in die Höhle zurück, ohne ihm noch ein Wort zu sagen. Nun blieb Hasan wieder an seiner Stätte vor dem Tore sitzen, wie ihm der Scheich 'Abd el-Kuddûs befohlen hatte; und er weinte. Ununterbrochen saß er dort an derselben Stelle, fünf Tage lang; seiner Unruhe ward noch mehr, seine Furcht wuchs, und Angst bedrängte ihn gar sehr,



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er weinte und verzweifelte fast durch den Schmerz der Trennung und der Schlaflosigkeit Last. Dann sprach er diese Verse:

Dem König des Himmels soll Lobgesang sein!
Der Liebende hanget in schwebender Pein.
Wer nie vom Geschmacke der Liebe geschmeckt,
Der weiß nicht, welch furcht bare Leiden sie weckt.
Ja, schöß ich dem Strom meiner Tränen das Tor,
So quöllen die Ströme des Blutes hervor.
Wie mancher der Freunde verhärtet sein Herz
Und richtet den Sinn auf der anderen Schmerz!
Doch wenn der Gefährte die Treue mir wahre,
So sag ich: Mir bleiben die Tränen erspart.
Allein ich vergehe, da Leid mich befiel,
Und wurde dem Auge des Unheils ein Ziel.
Es weint um mein Weh das Getier auf dem Feld;
Es weinen die Vögel am himmlischen Zelt.

So klagte Hasan ohne Unterlaß, bis die Morgenröte leuchtete. Da aber kam der Scheich Abu er-Ruwaisch zu ihm heraus, in weiße Gewänder gekleidet, und winkte ihm mit der Hand, er solle eintreten. Hasan trat ein, und der Alte ergriff ihn bei der Hand und führte ihn in das Innere der Höhle, während der Jüngling von Freude erfüllt ward und schon sicher glaubte, er habe sein Ziel erreicht. Einen halben Tag lang schritt der Scheich mit ihm dahin; dann kamen sie zu einem gewölbten Torweg mit einem stählernen Tor. Der Alte öffnete das Tor und führte Hasan hindurch in eine Vorhalle, die mit Onyxsteinen überwölbt und mit Goldschmuck verziert war. In ihr schritten sie weiter, bis sie in eine große, weite Halle kamen, die mit Marmorsteinen ausgelegt war; in ihrer Mitte befand sich ein Garten, vom Dufte der Blüten umfangen, reich an Bäumen mit Früchten behangen, wo auf den Bäumen die Vöglein sangen und ihre Lieder zum Preis des allmächtigen Königs erklangen.



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In jener Halle befanden sich vier Estraden, immer eine der anderen gegenüber, und auf jeder Estrade war eine Stätte zum Sitzen hergerichtet, rings um einen Springbrunnen; und an jeder Ecke dieser Springbrunnen befand sich ein goldenes Löwenbildnis. An jeder dieser Stätten stand ein Stuhl, auf dem eine menschliche Gestalt saß mit einer großen Menge von Büchern vor sich und eine goldene Räucherpfanne in den Händen, die Feuer und Räucherwerk enthielt. Vor den Alten saßen Jünger, die ihnen aus den Büchern vorlasen. Als nun die beiden dort eintraten, erhoben sich die Alten vor ihnen, um sie zu ehren, und Abu er-Ruwaisch gab ihnen ein Zeichen, die Jünger zu entlassen. Nachdem jene es getan hatten, traten sie alle vier heran, setzten sich vor dem Scheich nieder und fragten ihn, was es mit Hasan auf sich habe. So gab er denn Hasan ein Zeichen und sprach zu ihm: ,Erzähle der Versammlung deine Geschichte, alles, was dir widerfahren ist, von Anfang bis zu Ende!' Doch Hasan weinte bitterlich und berichtete ihnen dann erst seine ganze Geschichte. Und als er mit seinem Bericht zu Ende war, riefen alle die Alten: ,Ist dieser wirklich der, den der Feueranbeter zum Wolkenberge durch Geier hinauftragen ließ, eingenäht in eine Kamelshaut?' ,Jawohl', erwiderte Hasan; und sie wandten sich an den Scheich Abu er-Ruwaisch mit den Worten: ,Meister Bahrâm brachte es durch eine List dahin, daß der Jüngling auf den Berg hinaufkam. Doch wie ist er heruntergekommen, und was für Wunderdinge hat er dort oben gesehen?' Da sprach der Scheich Alu er-Ruwaisch: ,Hasan, erzähle ihnen, wie du heruntergekommen bist, und berichte ihnen auch, welche Wunderdinge du gesehen hast!' Nun tat er ihnen alles, was er erlebt hatte, im einzelnen kund, von Anfang bis zu Ende; wie er den Perser in seine Gewalt bekommen und ihn getötet, ferner wie er den



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Jüngling befreit und die Prinzessin eingefangen hatte, wie seine Gattin ihm aber die Treue gebrochen hatte und mit seinen Kindern davongeflogen war, kurz, alles, was er an Schrecknissen und Drangsalen erduldet hatte. Die Alten erstaunten über seine Erlebnisse, und indem sie sich zu dem Scheich Abu er-Ruwaisch wandten, sprachen sie zu ihm: ,Großmeister, bei Allah, dieser Jüngling ist des Mitleids wert. Willst du ihm wohl helfen, daß er seine Gattin und seine Kinder wiedergewinne? — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 803. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alten, nachdem Hasan ihnen seine Geschichte erzählt hatte, zum Scheich Abu er-Ruwaisch sagten: ,Dieser Jüngling ist des Mitleids wert. Willst du ihm wohl helfen, daß er seine Gattin und seine Kinder wiedergewinne?' Darauf erwiderte er ihnen: ,Meine Brüder, dies ist ein groß und gefährlich Ding. Ich habe noch niemanden gesehen, der seines Lebens so wenig achtete wie dieser Jüngling. Ihr wißt doch, daß die Inseln von Wâk schwer zugänglich sind und daß noch nie einer dorthin gelangt ist, ohne sein Leben zu gefährden. Ferner kennt ihr die Stärke ihrer Bewohner und ihre Wächtergeister. Ich habe auch einen Eid geschworen, ihren Boden nie zu betreten noch auch mich wider sie in irgend etwas zu vergehen. Wie soll dieser da zu der Tochter des Großkönigs gelangen? Wer hat die Macht, ihn zu ihr zu führen oder ihm in seinem Unterfangen zu helfen?' ,O Großmeister,' antworteten die Alten, ,dieser Jüngling ist von der Sehnsucht verzehrt; er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt und hat dir das Schreiben deines Bruders 'Abd el-Kuddûs überbracht; nun geziemt es sich für dich, ihm zu helfen.'



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Da küßte Hasan dem Scheich die Füße, hob den Saum seines Gewandes und legte ihn sich aufs Haupt, indem er weinte und sprach: ,Ich flehe dich an, bei Allah, vereinige mich wieder mit meinen Kindern und meiner Gattin, sollten mir dadurch auch Leben und Seele verloren gehen.' Die vier Alten aber weinten mit ihm und sprachen zum Scheich Abu er-Ruwaisch: ,Erwirb dir himmlischen Lohn durch diesen Unglücklichen und handle edel an ihm um deines Bruders Scheich 'Abd el-Kuddûs willen!' Nun sagte er: ,Dieser unglückliche Jüngling weiß nicht, wessen er sich unterfängt; doch wir wollen ihm helfen, soweit es in unserer Macht steht.' Hasan freute sich, als er seine Worte vernahm, und küßte allen die Hand. einem nach dem andern, indem er sie um Hilfe anflehte. Da nahm Abu er-Ruwaisch Papier und Tintenkapsel, schrieb einen Brief, versiegelte ihn und gab ihn Hasan; ferner überreichte er ihm einen Lederbeutel, der Weihrauch und Feuerhölzer und noch andere Dinge enthielt, und sprach zu ihm: ,Gib acht auf diesen Beutel; und wenn du in irgendeine Not gerätst, so verbrenne etwas von diesem Weihrauch und nenne meinen Namen: dann werde ich alsbald bei dir sein und dich aus der Not befreien!' Darauf befahl er einem der Alten, ihm sogleich einen Dämonen von den fliegenden Geistern zu bringen. Als der zur Stelle war, fragte ihn der Scheich Abu er-Ruwaisch: ,Wie heißest du?' und jener antwortete: ,Dein Knecht heißt Dahnasch ibn Faktasch.' Und der Scheich fuhr fort: ,Tritt dicht an mich heran!' Jener tat es, und Scheich Abu er-Ruwaisch legte seinen Mund an das Ohr des Dämonen und flüsterte ihm Worte zu; und der Dämon bewegte seinen Kopf. Dann sprach der Scheich zu Hasan: ,Wohlan, mein Sohn, steig auf die Schulter dieses fliegenden Dämonen Dahnasch. Doch wenn er dich zum Himmel emporträgt und du den Lobgesang der Engel in der Höhe



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hörst, so stimme du nicht in den Lobgesang ein; sonst seid ihr beide des Todes. du und er!' Hasan erwiderte: ,Ich werde kein einziges Wort sagen.' Und der Scheich fuhr fort: ,O Hasan, wenn er mit dir fortfliegt, wird er dich am nächsten Tage zur Zeit der Morgendämmerung in einem Lande absetzen, das schneeweiß ist wie Kampfer. Und wenn er dich dort niedergelassen hat, so geh zehn Tage allein weiter, bis du zum Tore einer Stadt gelangst! Bist du dort angekommen, so tritt ein und frage nach ihrem König. Sobald du vor ihn gebracht bist, sprich den Gruß vor ihm, küsse ihm die Hand und gib ihm diesen Brief! Was er dir dann rät, darauf gib acht!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Hasan, und er erhob sich zugleich mit dem Dämonen; auch die Alten erhoben sich, beteten für ihn und empfahlen ihn der Obhut des Dämonen. Nachdem dieser nun den Jüngling auf seine Schulter genommen hatte, schwebte er mit ihm bis zu den Wolken des Himmels empor und flog mit ihm den Tag und die Nacht über dahin, während er den Lobgesang der Engel im Himmel hören konnte. Als aber der Morgen dämmerte, setzte er ihn in einem Lande nieder, das so weiß wie Kampfer war, verließ ihn und eilte von dannen. Wie Hasan dessen gewahr wurde, daß er sich auf der Erde befand und daß niemand bei ihm war, zog er weiter, Tag und Nacht, zehn Tage lang, bis er zum Tor einer Stadt gelangte. Dort trat er ein und fragte nach dem König; man wies ihm den Weg zu dem Herrscher und sagte ihm, er heiße König Hassûn, der Herrscher des Kampferlandes; und er habe so viele Krieger und Mannen, daß sie die ganze Erde in ihrer Länge und Breite anfüllen könnten. Nun hat Hasan um Zulassung vor den König, und als ihm die Erlaubnis gewährt war, trat er ein und sah einen mächtigen Herrscher vor sich; und er küßte den Boden vor ihm. Der König sprach zu ihm: ,Was ist dein Begehr?' Da



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küßte Hasan den Brief und reichte ihn dem Herrscher. Der nahm ihn, und nachdem er ihn gelesen hatte, schüttelte er eine Weile sein Haupt. Dann sprach er zu einem seiner Würdenträger: ,Nimm diesen Jüngling und bring ihn im Hause der Gäste unter!' Jener nahm ihn und führte ihn fort, bis er ihm dort seine Wohnstätte angewiesen hatte. Drei Tage lang blieb Hasan in dem Hause, indem er aß und trank und niemanden sah außer dem Diener, der bei ihm war. Jener Diener aber plauderte mit ihm und unterhielt sich mit ihm und fragte ihn nach seinen Erlebnissen und danach, wie er in dies Land gekommen sei. So erzählte ihm denn Hasan alles, was ihm begegnet war und in welcher Not er sich befand. Am vierten Tage aber führte der Diener ihn fort und brachte ihn vor den König. Der sprach zu ihm: ,O Hasan, du bist zu mir gekommen mit dem Wunsche, die Inseln von Wâk zu betreten, wie mir der Großmeister kundgetan hat. Mein Sohn, ich will dich in diesen Tagen dorthin senden, aber auf deinem Wege liegen viele Gefahren und dürre Wüsten voller Schrecknisse. Harre aus, es wird sich alles zum Guten wenden, ich werde gewißlich ein Mittel finden, um dich an dein Ziel zu bringen, so Allah der Erhabene will! Wisse, mein Sohn, hier liegt ein Heer von Dailamiten', die in die Inseln von Wâk eindringen wollen, und sie sind versehen mit Waffen und Rossen und Kriegsgerät; aber sie haben bisher noch nicht eindringen können. Jedoch, mein Sohn. um des Großmeisters Abu er-Ruwaisch willen, des Sohnes der Bilds. der Tochter Mu'îns, kann ich dich nicht unverrichteter Sache zu ihm zurückschicken. Bald werden Schiffe von den Inseln von Wâk kommen; bis dahin ist es nur noch



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eine kurze Zeit. Und sobald eines von ihnen eintrifft, werde ich dich auf ihm einschiffen; und ich werde dich den Seeleuten anempfehlen, auf daß sie dich behüten und zu den Inseln von Wâk bringen. Jedem, der dich nach deinem Stande und nach deiner Geschichte fragt, erwidere, du seiest aus der Sippe des Königs Hassûn, des Herrschers im Kampferlande; und wenn das Schiff bei den Inseln anlegt und der Kapitän dich an Land gehen heißt, so steige aus. Du wirst dort überall am Strande eine große Menge von Bänken sehen; wähle dir eine Bank aus, setze dich darunter und rühre dich nicht! Wenn es dann Nacht wird und du siehst, wie das Heer der Frauen sich um die Waren drängt, so strecke du deine Hand aus und fasse die Frau an, die sich auf die Bank setzt, unter der du verborgen bist, und flehe um ihren Schutz! Wisse, mein Sohn, wenn sie dir Schutz gewährt, so hast du dein Ziel erreicht und wirst zu deiner Frau und deinen Kindern gelangen; doch wenn sie dir ihren Schutz verweigert, so traure um dich selbst und gib alle Hoffnung auf das Leben verloren, sei gewiß, daß du dann des Todes bist! Darum, mein Sohn, bedenke, daß du dein Leben aufs Spiel setzest! Mehr kann ich für dich nicht tun; und damit Gott befohlen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 804. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Hassûn, nachdem er diese Worte zu Hasan gesprochen und ihm die Ermahnungen gegeben hatte, die wir erwähnt haben, und ihm ferner gesagt hatte: ,Mehr kann ich nicht für dich tun', darauf noch hinzufügte: ,Hätte die Gnade des Himmelsherrn sich nicht deiner angenommen, so wärest du nicht bis hierher gekommen.' Als Hasan diese Worte von König Hassûn hörte, weinte er, bis er



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in Ohnmacht fiel; und als er wieder zu sich kam, sprach er diese beiden Verse:

Ganz unverrückbar ist die Zeit, die mir bestimmt ist.
Sind ihre Tage einst erfüllt, so sterbe ich.
Und griffen mich auch Löwen an in ihrem Dickicht,
Ich würde ihrer Herr -bis meine Zeit verstrich.

Nachdem er die Verse gesprochen hatte, küßte er den Boden vor dem König und sprach zu ihm: ,Großmächtiger König, wie viele Tage sind es noch, bis die Schiffe kommen?' Der Herrscher antwortete ihm: ,Es ist noch ein Monat: dann werden sie zwei Monate hier verweilen, um die Waren zu verkaufen, die sie geladen haben. Darauf kehren sie erst in ihre Heimat zurück, und so kannst du nicht eher hoffen dorthin zu fahren, als nach drei' vollen Monaten.' Dann befahl der König dem Jüngling, ins Haus der Gäste zu gehen, und gab Anweisung, ihm alles zu bringen, dessen er bedurfte an Speise und Trank und Kleidung, wie es sich für Könige ziemte. Einen Monat also blieb Hasan im Hause der Gäste; danach kamen die Schiffe, und der König zog, von den Kaufleuten begleitet, hinaus und nahm auch Hasan mit zu den Schiffen. Dort erblickte er ein großes Fahrzeug, auf dem sich viel Volks befand, zahlreich wie der Sand am Meere, dessen Zahl niemand kannte außer Ihm, der es erschaffen hatte. Jenes Fahrzeug ging draußen auf der See vor Anker, und es hatte kleine Boote, auf denen seine Warenladung an Land geschafft wurde. Hasan blieb dort bei den Leuten, bis sie die Waren aus dem Schiffe an Land gebracht und verkauft und neue Einkäufe gemacht hatten; da fehlten an der Zeit zum Aufbruch nur noch drei Tage. Nun ließ der König den Jüngling vor sich kommen, rüstete ihn mit allem aus, dessen er bedurfte, und gab ihm große Geschenke.



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Danach berief er den Kapitän jenes Schiffes und sprach zu ihm: ,Nimm diesen Jüngling mit in deinem Fahrzeug; doch laß niemanden von ihm wissen! Bring ihn zu den Inseln von Wâk und laß ihn dort: aber kehre nicht mit ihm hierher zurück!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Kapitän; und der König ermahnte Hasan: ,Laß keinen von den Leuten auf dem Schiffe etwas von dir wissen, teile auch niemandem deine Geschichte mit, sonst bist du des Todes!' Auch Hasan sprach: ,Ich höre und gehorche!' und er sagte dem König Lebewohl, nachdem er gebetet hatte, er möge lange leben und immerdar möge Allah ihm Sieg über alle seine Neider und Feinde geben. Dafür dankte ihm der König, und er wünschte dem Jüngling gute Ankunft und Erfüllung seines Wunsches. Dann übergab er ihn dem Kapitän; der tat ihn in eine Kiste und brachte ihn darin auf einem Boot an Bord. während die Mannschaft damit beschäftigt war, die Waren zu laden. Darauf ging das Schiff in See und fuhr ohne Aufenthalt zehn Tage lang dahin; am elften Tage aber erreichten sie Land, und der Kapitän führte ihn aus dem Schiffe heraus. Wie Hasan nun an Land gestiegen war, sah er dort viele Bänke, deren Zahl nur Allah kannte; und er schritt weiter, bis er zu einer Bank gelangte, die ihresgleichen nicht hatte, und unter der verbarg er sich. Als die Nacht anbrach, kam eine große Schar von Frauen gleich schwärmenden Heuschrecken; sie gingen zu Fuß und hielten gezückte Schwerter in den Händen und waren ganz eingehüllt in Panzer. Kaum hatten die Frauen die Waren erblickt, so machten sie sich mit ihnen zu schaffen; danach aber setzten sie sich auf die Bänke, um auszuruhen, und eine von ihnen ließ sich auf die Bank nieder, unter der Hasan sich befand. Der ergriff den Saum ihres Gewandes, legte ihn auf sein Haupt, warf sich vor ihr nieder und begann ihr Hände und Füße zu küssen und zu weinen. Sie



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sprach: ,He, du da, steh auf, elle dich jemand sieht und totschlägt!' Da kam Hasan unter der Bank hervor, sprang auf seine Füße und küßte ihr die Hände; dann sprach er zu ihr: ,Meine Gebieterin, ich stehe unter deinem Schutze.' Und er weinte von neuem und sprach: ,Hab Erbarmen mit einem, der von seinem Volke, seiner Gattin und seinen Kindern getrennt ist, der herbeigeeilt ist, um mit ihnen wieder vereinigt zu werden, der sein Leben und seine Seele aufs Spiel gesetzt hat! Hab Erbarmen mit mir und sei gewiß, daß du dafür mit dem Paradiese belohnt werden wirst! Wenn du aber meine Bitte nicht erhören willst, so flehe ich dich an bei Allah, dem allmächtigen Schützer, schütze mich!' Die Kaufleute starrten ihn an, während er zu ihr sprach. Doch als sie seine Worte vernommen hatte und sah, wie er sich demütigte, erbarmte sie sich seiner, und ihr Herz hatte Mitleid mit ihm; denn sie erkannte, daß er nur um einer ernsten Sache willen sein Leben in Gefahr gebracht hatte und dorthin gekommen war. So sprach sie denn zu Hasan: ,Mein Sohn, hab Zuversicht und gräm dich nicht! Beruhige dein Herz und dein Gemüt, geh an deine Stätte zurück und verbirg dich unter der Bank wie zuvor bis zur kommenden Nacht!' Darauf nahm sie Abschied von ihm, und Hasan kroch wieder unter die Bank wie zuvor. Die Kriegerinnen aber blieben die Nacht über dort, zündeten Kerzen an, die mit Aloeholz und Nadd' und rohem Ambra vermischt waren. Als der Tag anbrach, kamen die Boote wieder zum Lande, und die Kaufleute waren damit beschäftigt, alle Güter und Waren heranzuschaffen, bis die Nacht kam, während Hasan immer noch unter der Bank verborgen war, mit Tränen im Auge und Trauer im Herzen, und nicht wußte, was ihm im Verborgenen vorherbestimmt war. Wie er nun so dasaß, kam plötzlich die



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Kaufherrin, deren Schutz er angefleht hatte, zu ihm, reichte ihm einen Panzer, ein Schwert, einen vergoldeten Gurt und einen Speer. Dann verließ sie ihn aus Furcht vor den Truppen; Hasan aber wußte, als er das sah, daß die Kaufherrin ihm diese Rüstung gebracht hatte, damit er sie anlege. So legte er sich denn den Panzer um. schnallte den Gurt um seinen Leib. schlang sich das Schwert um die Schulter, so daß es ihm unter der Achselhöhle hing, und nahm den Speer in die Hand. Dann setzte er sich auf jene Bank; und seine Zunge versäumte es nicht, den Namen Allahs des Erhabenen anzurufen, sondern bat um seinen Schutz. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 805. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als er die Waffen erhielt, die ihm die Kaufherrin gegeben hatte, eben jene Frau, deren Schutz er vorher angefleht und die ihm damals gesagt hatte: ,Setze dich unter die Bank und laß niemanden etwas von dir erfahren!' sich die Rüstung anlegte und sich auf die Bank setzte, indem seine Zunge nicht vergaß, den Namen Allahs zu nennen, und Gott um Schutz anflehte. Während er nun so dasaß, erschienen plötzlich Fackeln und Laternen und Kerzen; denn die Heere der Frauen waren gekommen. Da stand Hasan auf, mischte sich unter die Schar und ward gleich einer von ihnen. Als aber die Morgendämmerung nahte, machten sich die Scharen wieder auf den Weg, und Hasan zog mit ihnen dahin, bis er zu ihrem Lager kam; dort ging eine jede in ihr Zelt. Hasan aber trat in das Zelt einer von ihnen, und siehe, es war das Zelt jener Frau, die er um Schutz angefleht hatte. Sobald sie darinnen war, warf sie ihre Waffen nieder und legte Panzer und Schleier ab; da tat auch Hasan seine Waffen von



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sich. Und er blickte auf seine Schutzherrin und mußte sehen, daß sie eine grauhaarige Alte war mit blauen Augen' und einer großen Nase, ein Schrecken der Schrecken, das häßlichste Geschöpf, das es nur geben konnte; ihr Gesicht war pockennarbig, sie hatte keine Augenbrauen, die Zähne waren ihr abgebrochen, die Wangen voller Runzeln, ihr Haar war grau, ihre Nase troff. und ihr Mund floß über von Geifer. Sie war, wie der Dichter von ihresgleichen sagt:

Sie birgt in des Gesichtes Winkeln neun der Plagen,
Von denen jede grausig wie die Hölle ist.
Ja, eklig sieht sie aus, und häßlich ist ihr Wesen -,
Ein Bild des Schweines, das im Schmutze wühlt und frißt.

Sie war ein haarloses Teufelsweib gleich einer Schlange mit fleckigem Leib. Als nun die Alte auf Hasan blickte, sprach sie verwundert: ,Wie mag dieser da in diese Lande gekommen sein? Auf welchem Schiffe ist er hierher gelangt? Wie konnte er unversehrt bleiben?' Und sie fragte ihn, was es mit ihm auf sich habe, immer noch erstaunt über seine Ankunft. Da fiel Hasan vor ihr nieder und rieb sein Gesicht an ihren Füßen und weinte, bis er in Ohnmacht fiel. Als er dann wieder zu sich kam, sprach er diese Verse:

Wann wird uns das Geschick Vereinigung gewähren?
Wann bringt es nach der Trennung uns ein Wiedersehn?
Wann werd ich ihrer mich erfreuen, die ich liebe?
Wann weicht der Tadel und die Liebe bleibt bestehn?
Ach, wenn des Niles Flut gleich meinen Tränen strömte,
Sie ließ auf Erden nichts von Wasser unbedeckt,
Sie überschwemmte den Hidschâz, das Land Ägypten,
Das Syrerland und auch, wo sich Irâk erstreckt.
Dies hat, o du mein Lieb, die Härte dein getan:
Sei gütig und versprich, dich wieder mir zu nah,,!



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Nachdem Hasan seine Verse gesprochen hatte, ergriff er den Saum der Alten, legte ihn auf sein Haupt und begann zu weinen und sie um Schutz anzuflehen. Und wie die Greisin sah, daß Liebesweh in ihm brannte und daß schmerzlicher Kummer ihn bannte, neigte sich ihr Herz ihm zu, und sie gewährte ihm ihren Schutz, indem sie sprach: ,Sei ganz unbesorgt!' Dann fragte sie ihn wiederum, wie es um ihn stehe, und er erzählte ihr alles, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Voll Staunen hörte sie seiner Erzählung zu, und dann fuhr sie fort: ,Beruhige dein Herz und beruhige dein Gemüt! Du hast nichts mehr zu fürchten; du bist an das Ziel deiner Wünsche gelangt und hast erreicht, was du begehrst, so Allah der Erhabene will.' Darüber war Hasan hocherfreut; die Alte aber ließ den Hauptleuten des Heeres melden, sie sollten sich versammeln, und das war am letzten Tage des Monats. Als jene nun vor ihr erschienen, sprach sie zu ihnen: ,Geht hin und verkündet dem ganzen Heere, es solle morgen in der Frühe ausziehen! Niemand solle zurückbleiben; denn wer zurückbleibt, soll des Todes sein!' ,Wir hören und gehorchen!' sprachen die Hauptleute, und sie gingen hin und gaben im ganzen Heere Befehl zum Aufbruch am nächsten Morgen; darauf kehrten sie zurück und meldeten es ihr. Daran erkannte Hasan, daß sie die Befehlshaberin der Truppen war und Macht und Gewalt über sie hatte; und er legte jenen ganzen Tag über seine Waffen nicht von seinem Leibe. Der Name jener Alten aber, bei der er war, hieß Schawâhi, und sie trug den Beinamen Umm cd-Dawâhi.' Diese Alte nun erließ Befehle und Verbote. bis der Morgen graute; da zogen alle Truppen von ihren Standorten



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aus, doch die Alte zog nicht mit ihnen. Als die Truppen aufgebrochen waren und das Lager geräumt hatten, sprach Schawâhi zu Hasan: ,Tritt nah an mich heran, mein Sohn!' Er trat herzu und blieb vor ihr stehen; sie aber redete ihn an und sprach: ,Was ist der Grund, der dich veranlaßte, dein Leben aufs Spiel zu setzen und in dies Land zu kommen? Wie konntest du dich freiwillig ins Verderben stürzen? Sage mir die Wahrheit über alles, was dich angeht, und verbirg mir nichts davon! Doch fürchte dich nicht; denn du bist einer, dem ich mein Wort gegeben habe, ich habe dir Schutz versprochen, ich habe Erbarmen und Mitleid mit deiner Not! Wenn du mir die Wahrheit sagst, so werde ich dir helfen, dein Ziel zu erreichen, sollten dadurch auch Seelen sterben und Leiber verderben. Da du zu mir gekommen bist, soll dir von mir kein Leid widerfahren, und ich will keinen von allen Bewohnern der Inseln von Wâk dir in Bösem nahen lassen.' Da erzählte er ihr seine Geschichte von Anfang bis zu Ende und berichtete ihr von seiner Gattin und den Vögeln, wie er die eine von den zehn Vogeljungfrauen eingefangen und sich mit ihr vermählt hatte; wie er dann mit ihr zusammen gewesen war, bis sie ihm zwei Söhne geschenkt hatte; wie sie dann aber die Kinder genommen und mit ihnen davongeflogen war, nachdem sie erfahren hatte, wo sich ihr Federkleid befand. Kurz, er verbarg ihr nichts von dem, was er von Anfang an bis zu jenem Tage erlebt hatte. Doch wie die Alte seine Worte vernommen hatte, schüttelte sie den Kopf und sprach zu Hasan: ,Preis sei Allah, der dich behütet und hierher gebracht und zu mir geführt hat! Wärest du einer anderen in die Hände gefallen, so wäre dein Leben verwirkt gewesen, und dein Wunsch wäre dir nicht erfüllt worden. Aber deine reine Absicht und deine echte Liebe und das Übermaß deiner Sehnsucht nach deiner Gattin und



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deinen Kindern. all das hat dich dem Ziele deiner Wünsche nahe gebracht. Liebtest du sie nicht und littest du nicht um ihretwillen, so hättest du dich nicht in diese Gefahr gestürzt. Gott sei Lob und Dank für deine glückliche Ankunft! So ziemt es uns denn, daß wir deinen Wunsch erfüllen und dir zu deinem Ziele verhelfen, damit du bald erreichst, was du erstrebst, so Allah der Erhabene will. Doch wisse, mein Sohn, deine Gattin ist auf der siebenten von den Inseln von Wâk, und zwischen uns und ihr liegt eine Reise von sieben Monaten bei Tag und bei Nacht. Von hier aus müssen wir zuerst in ein Land reisen, das man das Vogelland nennt; und dort kann keiner von uns die Rede des anderen verstehen, weil die Vögel so laut schreien und mit den Flügeln schlagen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 806. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte zu Hasan sprach: ,Deine Gattin ist auf der siebenten Insel, und das ist die größte der Inseln von Wâk, und zwischen uns und ihr liegt eine Reise von sieben Monaten. Von hier aus müssen wir zuerst zum Vogellande reisen, und dort kann keiner von uns die Rede des anderen verstehen, weil die Vögel so laut schreien und mit den Flügeln schlagen. In jenem Lande ziehen wir elf Tage und Nächtelang dahin. Danach kommen wir von ihm zu einem anderen Lande, das heißt das Land der wilden Tiere: und weil das Geschrei der Tiere des Feldes, der Hyänen und der anderen wilden Tiere und das Geheul der Wölfe und das Gebrüll der Löwen so laut ist, können wir nichts anderes hören. In jenem Lande müssen wir zwanzig Tage lang dahinziehen. Dann verlassen wir es und kommen in ein drittes Land, das das Geisterland genannt wird; dort schreien die Geister laut, Feuer steigen



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auf, Funken und Rauch fliegen aus ihren Mäulern hervor, sie heulen und gebärden sich wild, versperren uns den Weg, betäuben unsere Ohren und blenden unsere Augen, so daß wir nicht mehr hören noch sehen können. Dort darf niemand hinter sich schauen, sonst kommt er um; und der Reiter legt in jenem Lande seinen Kopf auf das Sattelhorn und hebt ihn drei Tage lang nicht empor. Schließlich aber liegt vor uns ein großer Berg und ein strömender Fluß, die beide an die Inseln von Wâk angrenzen. Wisse aber, mein Sohn, alle diese Truppen bestehen aus Jungfrauen, und über uns herrscht eine königliche Frau von den sieben Inseln von Wâk; und diese sieben Inseln haben eine Ausdehnung von einer vollen Jahresreise für einen schnellen Reiter. Am Ufer jenes Stromes steht ein anderer Berg, der heißt der Berg von Wâk, dieser Name ist ihm gegeben nach einem Baume, dessen Zweige Menschenköpfen gleichen. Wenn die Sonne dort aufgeht, so schreien alle jene Köpfe, und: ,Wâk! Wâk!" erschallt ihr Ruf. ,Preis sei dem König, der die Welt erschuf!' Sobald wir ihren Ruf hören, wissen wir, daß die Sonne aufgeht. Ebenso auch, wenn die Sonne untergeht, schreien jene Köpfe, und: ,Wâk! Wâk!' erschallt ihr Ruf, ,Preis sei dem König, der die Welt erschuf!' Und dann wissen wir, daß die Sonne untergegangen ist. Kein sterblicher Mann darf unter uns verweilen, j a, er darf uns nicht einmal nahen und unseren Boden betreten. Zwischen uns und der Königin, die über dies Land herrscht, liegt eines Monats Reise von dieser Küste aus. Alle Untertanen, die in jenem Lande wohnen, sind in ihrer Gewalt; und ferner sind in ihrer Gewalt die Stämme der Dämonen, der Mârids und Satane; und dazu noch sind in ihrer



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Gewalt so viele Zauberer, daß ihre Zahl niemand kennt außer Dem, der sie erschuf. Wenn du nun Furcht hast, so will ich einen mit dir schicken, der dich an die Küste bringt, und einen anderen kommen lassen, der dich mit sich auf ein Schi nimmt und dich in dein Land führt. Wenn es dir aber gefällt, bei uns zu bleiben, so will ich dich nicht hindern; dann will ich dich hüten gleich meinem Augapfel, bis daß du dein Ziel erreichst, so Allah der Erhabene will.' Er gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin, ich will mich nie von dir trennen, bis ich wieder mit meiner Gattin vereint bin oder das Leben verliere.' Und sie erwiderte ihm: ,Das ist ein leichtes. Sei gutes Mutes; denn bald soll dir dein Wunsch erfülltwerden, so Allah der Erhabene will! Ich muß aber auch die Königin von dir wissen lassen, auf daß sie dir hilft, zu deinem Ziele zu gelangen.' Da betete Hasan für sie, küßte ihr Haupt und Hände und dankte ihr für ihre gute Tat und das Übermaß ihrer Freundlichkeit. Dann rüstete er sich zum Aufbruch mit ihr; aber er dachte dabei an den Ausgang seines Unterfangens und an all die Schrecken seiner Wanderschaft; und er begann zu weinen und zu klagen und diese Verse zu sprechen:

Ein Zephir wehte von der Stätte der Geliebten;
Du siehst mich krank im Übermaß von Liebesleid.
Die Nacht des Wiedersehens ist ein heller Morgen,
Der Tag des Scheidens eine Nacht voll Dunkelheit.
Der Abschied von dem Lieb ist, ach, so hart, so bitter:
Das Scheiden der Gefährtin ist unsagbar schwer.
Nur ihr allein will ich ob ihrer Härte klagen;
Ich habe keinen trauten Freund auf Erden mehr.
Daß ich dich je vergessen könnte, ist undenkbar,
Der böse Tadler kann mein Herze nie entweihn.
O du, an Schönheit einzig, meine Lieb ist einzig;
O du, allein in deiner Art, ich bin allein!



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Wenn einer sich in Liebe dir zu weihn begehrt
Und Tadel furchtet, ist er selbst des Tadels wert.

Darauf befahl die Alte, die Trommeln zum Aufbruch zu schlagen; das Heer machte sich auf den Weg, und auch Hasan brach auf, zusammen mit der Alten, doch er war versunken in der Gedanken Meer und sprach jene Verse vor sich her. Die Alte suchte Hinzu stärken und ihm Trost zu spenden; aber er konnte nicht zur Besinnung kommen, noch dem, was sie ihm sagte, seinen Geist zuwenden. So zogen sie ohne Aufenthalt dahin, bis sie zu der ersten Insel von den sieben kamen; und das war die Vogelinsel. Als sie dort einzogen, glaubte Hasan wegen des furchtbaren Geschreis, die Welt sei auf den Kopf gestellt; ihm schmerzte der Kopf, sein Verstand ward verwirrt, seine Augen wurden geblendet und seine Ohren betäubt; gewaltiger Schrecken ken kam über ihn, und er sah schon den Tod vor Augen. Dabei sagte er sich: ,Wenn dies das Land der Vögel ist, wie mag dann erst das Land der wilden Tiere sein!' Wie jene Alte, die da Schawâhi genannt ward, ihn in solchen Ängsten sah, lächelte sie über ihn und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, wenn es dir so auf der ersten Insel ergeht, was soll dann aus dir werden, wenn du zu den andern Inseln kommst?' Da flehte er zu Allah und demütigte sich vor ihm und bat ihn, daß er ihm helfe wider das, womit er ihn heimgesucht hatte, und ihn sein Ziel erreichen lasse. Und sie zogen weiter, bis sie das Land der Vögel durchquert und verlassen hatten. Dann traten sie in das Land der wilden Tiere ein, und nachdem sie es verlassen hatten, kamen sie in das Land der Dämonen. Als Hasan das erblickte. kam Furcht über ihn, und er bereute es, daß er mit dorthin gezogen war. Er fichte jedoch Allah den Erhabenen um Hilfe an und zog mit dem Heere weiter; wie sie dann das Land der Dämonen hinter sich hatten, erreichten sie den Strom und



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stiegen am Fuße eines mächtigen hochragenden Berges ab; dort, am Ufer des Stromes, schlugen sie ihre Zelte auf. Und die Alte ließ für Hasan neben dem Strome eine marmorne Bank aufstellen, die mit Perlen und Edelsteinen und Barren roten Goldes verziert war. Nachdem er sich darauf gesetzt hatte, rückten die Kriegerinnen heran, und die Alte stellte sie vor ihm zur Schau. Dann ward das ganze Zeltlager rings um ihn aufgeschlagen, und alle ruhten eine Weile aus; danach aßen und tranken sie und schliefen sorglos, da sie nun das Land ihrer Bestimmung erreicht hatten. Hasan aber hatte einen Kinnschleier vor sein Antlitz gelegt, so daß von ihm nur seine Augen zu sehen waren. Nun kam eine Schar von den Mädchen nahe zum Zelte Hasans heran. Dort legten sie ihre Kleider ab und gingen in den Strom hinein, während Hasan ihnen zuschaute, wie sie badeten und spielten und sich vergnügten, ohne zu wissen, daß er sie sah; denn sie glaubten doch, er sei eine von den Töchtern der Könige. Da reckte sich ihm die Rute, als er sie ihrer Gewänder entkleidet sah. Auch sah er, was sich zwischen ihren Schenkeln befand von mannigfacher Art, von schlanker Zierlichkeit, von voller Üppigkeit, an den Lippen breit, vollkommen und eben und weit. Dem Monde gleich war einer jeden Angesicht, und ihre Haare glichen der Nacht über dem Tageslicht; denn sie waren Königstöchter. Das alles geschah, während er auf dem Lager saß, das die Alte für ihn hatte aufstellen lassen. Und als sie fertig waren, kamen sie aus dem Flusse hervor, nackt und dem Monde gleich in der Nacht seiner Fülle. Alle Kriegerinnen versammelten sich vor Hasan, da die Alte befohlen hatte, im ganzen Lager auszurufen, sie sollten sich vor seinem Zelte versammeln, ihre Kleider ablegen, in den Strom hinabgehen und sich baden; denn sie wollte erfahren, ob seine Gattin unter ihnen wäre und er sie erkennen würde. Und sie



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begann, ihn über jede zu befragen, wenn eine Schar nach der anderen vorbeikam; doch er antwortete immer: ,Unter diesen ist sie nicht, meine Gebieterin!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 807. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte Hasan über die Mädchen befragte, wenn eine Schar nach der anderen vorbeikam, ob er seine Gattin unter ihnen erkenne; doch jedesmal, wenn sie ihn nach einer Schar fragte, antwortete er ihr: ,Unter diesen ist sie nicht, meine Gebieterin!' Danach aber als letzte von allen kam eine Maid, bedient von zehn Sklavinnen und dreißig Kammerfrauen, die alle hochbusige Jungfrauen waren; sie legten ihre Kleider ab und gingen mit ihr in den Strom, doch sie begann ihr Spiel mit ihnen zu treiben, warf sie ins Wasser und tauchte sie unter. Das tat sie eine ganze Weile; dann kamen alle aus dem Wasser hervor und setzten sich nieder. Nun brachte man ihr Tücher aus golddurchwirkter Seide; und sie nahm sie und trocknete sich mit ihnen ab. Darauf brachte man ihr Kleider und Prachtgewänder und Schmuck, alles Arbeiten der Dämonen; und sie nahm sie und legte sie an. Dann begann sie mit ihren Dienerinnen im Heere umherzuschreiten; und als Hasan sie sah, war es ihm, als flöge sein Herz, und er sprach: ,Diese ist von allen am ehesten der Vogelmaid gleich, die ich in dem Teiche des Schlosses meiner Schwestern gesehen habe; auch sie pflegte mit ihren Gefährtinnen ihr Spiel zu treiben wie diese hier.' Da fragte die Alte: ,Hasan, ist dies deine Gattin?' Doch er antwortete: ,Nein, bei deinem Leben, meine Gebieterin, diese ist doch nicht meine Gattin; ich habe sie auch in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Unter all den Mädchen, die ich auf dieser Insel gesehen habe, ist keine



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meiner Gattin gleich; keine gleicht ihr an des Wuchses Ebenmäßigkeit noch an Schönheit und Lieblichkeit.' Weiter sagte die Alte: ,Beschreib sie mir und tu mir all ihre Eigenschaften kund, auf daß ihr Bild sich meinem Geiste einpräge; denn ich kenne jede Maid auf den Inseln von Wâk, da ich die Befehlshaberin des Heeres der Jungfrauen bin und über sie gebiete; wenn du sie mir beschreibst, so werde ich sie erkennen und für dich ein Mittel ersinnen, wie du sie wiedergewinnen kannst.' Und Hasan erwiderte ihr: ,Aus meiner Gattin Antlitz leuchtet der Schönheit Gewalt, und sie hat eine herrliche Gestalt; glatt sind ihre Wangen, hoch sieht man den Busen prangen; dunkel glänzt ihrer Augen Licht, ihre Schenkel sind von schwerem Gewicht; die Zähne erglänzen im weißen Kleid, ihre Rede ist von süßer Lieblichkeit; ihr ganzes Wesen ist zart und weich, und sie ist dem schwanken Zweige gleich; ihre Reize sind wunderbar, rosig ist ihr Lippenpaar'; auf ihrer rechten Wange ist ein Mal, und auf ihrem Leib, dem weichen, ist unter dem Nabel ein Zeichen; ihr Antlitz, an Glanz so reich, ist dem runden Monde gleich; ihr Leib ist schmal, doch schwer sind die Hüften zumal; ihr Lippentau setzt dem Leiden des Kranken ein Ziel, gleichwie el-Kauthar und es-Salsabîl."Da sprach die Alte: ,Wolle mir deine Beschreibung in noch mehr Worte fassen; Allah soll dich noch mehr von ihr bezaubert werden lassen!' Und Hasan fuhr fort: ,Meine Gattin hat ein holdselig Angesicht, schwarzen Glanz sprüht ihrer Augen Licht; glatt sind ihre Wangen über dem Halse, dem schmalen und langen; der Anemone gleicht ihrer Wangen rosiger Schein, ihr



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Mund einem Siegelringe mit rotem Edelstein; und ob ihrer Zähne blitzendem Glanz vergißt man Becher und Weinkrug ganz. Sie ward geschaffen im Tempel der Lieblichkeit, und zwischen ihren Schenkeln ist der Thron der Kalifenherrlichkeit, und diesem Schreine gleicht keine andere Stätte der Heiligkeit, wie ihm auch der Dichter die Verse geweiht:

Ein Wort, das meine Sinne band.
Hat Lettern, weit und breit bekannt.
Nimm viermal fünf, und hänge dann
Sogleich noch sechsmal zehn daran.'

Dann weinte Hasan und sang dies Lied:

O Herz, wenn dich dein Lieb verrät, so meid es nicht.
Und sag ihm nicht das Wort, das von Vergessen spricht!
Üb stets Geduld; du bringst die Feinde noch ins Grab;
Denn Allah ließ noch nie von dem, der ausharrt, ab.

Und auch dies Lied:

Willst du zu allen Zeiten immer sicher sein.
So darfst du nicht zu froh, noch ganz verzweifelt sein.
Harr aus und traure nie; leb nicht in Saus und Brans.
Bist du in Not, so denke: ,Dehnten wir nicht aus?"

Da neigte die Alte ihr Haupt eine Weile zu Boden; und als sie es wieder zu Hasan emporhob, sprach sie: ,O Gott, allmächtiger Gott! Wahrlich, durch dich bin ich heimgesucht, o Hasan! Hätte ich dich doch nie kennen gelernt! Die Frau, die du mir beschrieben hast, ist also wirklich deine Gattin; und ich kenne sie sehr wohl nach deiner Beschreibung: sie ist die älteste Tochter des Großkönigs, die über alle die Inseln von Wâk herrscht. Öffne deine Augen und mach dir deine Lage



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klar; und wenn du schläfst, so erwache: es ist dir unmöglich, jemals zu ihr zu gelangen! Und solltest du auch bis zu ihr durchdringen, so kannst du sie doch nimmermehr gewinnen, denn zwischen dir und ihr ist ein Abstand wie zwischen Himmel und Erde. Also, mein Sohn, kehre sofort um, stürze dich nicht selbst ins Verderben, noch auch mich mit dir; denn mich deucht, sie ist dir nicht beschieden! Geh dorthin zurück, woher du gekommen bist, damit wir nicht beide unser Leben verlieren!' Und sie fürchtete für sich und für ihn. Als Hasan die Worte der Alten vernommen hatte, weinte er bitterlich, bis er in Ohnmacht fiel; die Alte aber sprengte ihm so lange Wasser ins Gesicht, bis er aus seiner Ohnmacht erwachte. Da begann er wieder zu weinen, also daß er seine Kleider mit den Tränen benetzte; so sehr bedrängten ihn Kummer und Gram, weil die Alte ihm dies gesagt hatte; und er gab sein Leben verloren. Dann sprach er zu der Alten: ,Meine Gebieterin, wie kann ich denn umkehren, nachdem ich bis hierher gekommen bin? Ich hatte in meiner Seele nicht geglaubt, daß es dir unmöglich wäre, meinen Wunsch zu erfüllen, zumal du die Befehlshaberin über das Heer der Jungfrauen bist und Gewalt über sie hast.' Doch sie erwiderte ihm: ,Ich beschwöre dich bei Allah, mein Sohn, wähle dir eine Jungfrau unter jenen aus! Ich will sie dir geben anstatt deiner Gattin, auf daß du nicht in die Hand der Könige füllest und ich dann keine Macht habe, dich zu befreien. Noch einmal, ich beschwöre dich bei Allah. höre auf meine Worte, wähle dir eine von diesen Mädchen aus. laß ab von jener Frau, kehre alsbald wohlbehalten in dein Land zurück und laß mich nicht deine Angst kosten. Bei Allah, du stürzest dich in große Not, daß schwere Gefahr dir droht, aus der dich niemand erretten kann.' Da senkte Hasan sein Haupt zu Boden und weinte bitterlich; dann aber sprach er diese Verse:



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Ich sprach zu meinen Tadlern: Lasset ab vom Tadel!
Fur nichts als nur fur Tränen ward mein Aug gemacht.
Die Tränen meines Auges quellen, strömen über
Auf meine Wangen, seit mein Lieb mir Qual gebracht.
Laßt mich der Liebe! Ach, mein Leib ist hingeschwunden;
Denn in der Liebe lieb ich meinen Unverstand.
O du mein Lieb, ich sehn' nach dir mich immer wilder:
Warum wird mir denn nicht dein Mitleid zugewandt?
Nach Schwur und nach Gelübde tatest du mir unrecht.
Verrietest unsern Bund und ließest mich allein.
Am Tag der Trennung, als du in die Ferne zogest,
Da schenktest du mir hart den Trank des Elends ein.
O Herze mein, vergeh in heißer Liebesglut!
O Auge mein, ergieße deiner Tränen Flut! — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 808. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als die Alte zu ihm gesagt hatte: ,Ich beschwöre dich bei Allah, mein Sohn, höre auf meine Worte, wähle dir eine von diesen Jungfrauen, laß ab von deiner Gattin und kehre alsbald wohlbehalten in dein Land zurück!' sein Haupt zu Boden senkte und bitterlich weinte und die genannten Verse sprach. Und als er sein Lied beendet hatte, weinte er, bis er in Ohnmacht fiel; die Alte aber sprengte ihm so lange Wasser ins Gesicht, bis er wieder aus seiner Ohnmacht erwachte. Darauf hub sie an und sprach: ,Liebster Herr, kehre in dein Land zurück; denn wenn ich mit dir in die Stadt ziehe, so ist dein Leben und mein Leben verloren! Und wenn die Königin von alledem erfährt, so wird sie mir Vorwürfe machen, weil ich mit dir in ihr Land gekommen bin, auf ihre Inseln, zu denen keiner von den Söhnen der Menschenkinder Zutritt hat. Ja, sie wird mich töten, weil ich dich mit mir gebracht und dir diese Jungfrauen gezeigt habe,



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die du im Strome gesehen hast, obwohl noch nie ein Mann sie berührte, noch ein Gemahl sie zur Ehe führte.' Hasan schwor ihr, daß er sie nicht mit irgendeinem bösen Gedanken angeschaut habe. Doch sie fuhr fort: ,Mein Sohn, kehre zurück in dein Land! Ich will dir so viel Reichtümer und Schätze und Kostbarkeiten geben, daß du alle Frauen entbehren kannst. Höre auf mein Wort, kehre sogleich um und bringe dein Leben nicht in Gefahr! Siehe, ich rate dir gut!' Als aber Hasan ihre Worte vernommen hatte, weinte er und rieb seine Wangen an ihren Füßen und sprach: ,Meine Herrin und Gebieterin, du Trost meiner Augen, wie kann ich umkehren, nachdem ich zu dieser Stätte gelangt bin, ohne sie, die ich suche, gesehen zu haben? Jetzt bin ich nahe der Stätte, an der die Geliebte weilt, ich hoffe, daß die Zeit des Wiedersehens näher eilt, und vielleicht wird mir vom Geschick noch die Vereinigung zuerteilt.' Dann sprach er diese Verse:

O Königin der Schönheit, Gnade dein Gefangnen
Der Augen, die von Perserkönigs Macht erglühn!
Du übertriffst mit deinem Hauch den Duft des Moschus;
Du strahlest heller als der schönen Rosen Blühn.
Der weiche Zephir bläst, wo du dich niederlässest;
Der Frühlingswind verbreitet süßen Duft von dort.
O Tadler, halte ein zu tadeln und zu raten!
Ich höre jetzt nicht mehr auf solcher Mahnung Wort.
Warum denn tadelst du und schiltst du meine Liebe.
Da dir von alledem doch keine Kenntnis ward?
Mich schlug ein schmachtend Augenpaar in seine Bande,
Gab ,nich der Liebe preis, erbarmungslos und hart.
Ich streue ungebundne Tränen, wenn ich dichte;
Da hast du ungebundne Rede und ein Lied!
Der Wangen Röte hat mein Herze schmelzen lassen;
Es leimt mein Leib, wie wenn ihn Kohlenglut durchzieht.
Sagt, Freunde, wenn ich immun von meiner Rede lasse:



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Welch Rede gibt es dann, die mir das Herz erfreu?
Mein Leben weihte ich der Liebe zu den Schönen:
Doch Allah schafft Verlornes oftmals wieder neu.

Als Hasan diese Verse beendet hatte, ward die Alte von Mitleid mit ihm gerührt; und sie schaute ihn an, tröstete ihn und sprach zu ihm: ,Hab Zuversicht und quäl dich nicht, befreie deine Gedanken von der Sorge! Bei Allah, ich will mit dir mein Leben wagen, bis du dein Ziel erreichst oder mein Geschick mich ereilt.' Da ward ihm das Herz leicht und die Brust weit, und er setzte sich nieder, um mit der Alten zu plaudern, bis der Tag zur Rüste ging. Und als es Abend ward, zerstreuten sich alle die Jungfrauen, die einen von ihnen gingen in ihre Häuser in der Stadt, die anderen nächtigten in den Zelten. Darauf nahm die Alte Hasan mit sich, führte ihn in die Stadt und wies ihm einen Raum für sich allein an, damit niemand ihn sähe und es der Königin melde, so daß sie ihn töte und den töte, der ihn gebracht hatte. Und sie bediente ihn selber und suchte ihn mit Furcht zu erfüllen vor der Majestät des Großkönigs, des Vaters seiner Gattin; er aber weinte vor ihr und sprach: ,Meine Gebieterin, ich wähle den Tod für mich selbst und bin der Welt überdrüssig, wenn ich nicht wieder mit meiner Gattin und meinen Kindern vereinigt werde. Ich wage mein Leben daran: entweder erreiche ich mein Ziel, oder ich sterbe.' Und nun begann die Alte darüber nachzusinnen, auf welche Weise er seine Gattin finden und wieder mit ihr vereint werden könne, und wie diesem Armen geholfen werden könne, der sein Leben aufs Spiel setzte, der sich weder durch Furcht noch durch irgend etwas anderes von seinem Vorhaben abbringen ließ und seiner selbst vergaß, wie es im Sprichworte heißt: Der Liebende hört nicht auf die Worte dessen, der von Liebe frei ist. Jene Jungfrau also, von der die Alte gesprochen



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hatte, war die Königin der Insel, auf der die beiden weilten, und sie hieß Nûr el-Huda; und diese Königin hatte sechs 'jungfräuliche Schwestern, die bei ihrem Vater wohnten, dem Großkönig, der über die sieben Inseln und alle Gebiete von Wâk herrschte. Der Thron jenes Königs stand in der größten Stadt jenes Landes; seine älteste Tochter jedoch, eben jene Nûr el-Huda, herrschte über die Stadt. in der sich Hasan befand, und über die Gebiete, die zu ihr gehörten. Da nun die Alte sah, wie Hasan von dem brennenden Verlangen erfüllt war, mit seiner Gattin und seinen Kindern wiedervereint zu werden, machte sie sich auf und begab sich zum Palaste der Königin Nûr el-Huda; dort trat sie zu ihr ein und küßte den Boden vor ihr. Jene Alte aber hatte Anspruch auf die Gunst der Königin, da sie alle Töchter des Königs erzogen hatte; so hatte sie auch Einfluß auf alle, war geehrt bei ihnen und stand beim König in Ansehen. Nachdem sie nun bei der Königin Nûr el-Huda eingetreten war, erhob diese sich vor ihr, umarmte sie, ließ sie an ihrer Seite sitzen und fragte sie nach ihrer Reise. Die Alte erwiderte ihr: ,Bei Allah, meine Gebieterin. es war eine gesegnete Reise, und ich habe dir ein Geschenk mitgebracht, das ich dir alsbald überreichen werde.' Und sie fügte hinzu: ,Meine Tochter, du, die größte Königin unseres Zeitalters, ich habe etwas Wunderbares mitgebracht, und ich möchte es dir zeigen, damit du mir hilfst, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.' ,Was ist denn das?' fragte die Königin; und da erzählte die Alte ihr die Geschichte Hasans von Anfang bis zu Ende, doch sie zitterte wie ein Rohr an dem Tage, an dem der Sturmwind weht, und fiel gar vor der Königstochter nieder, indem sie zu ihr sprach: ,Hohe Herrin, ein Mensch erflehte meinen Schutz an der Meeresküste; er hatte sich unter der



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Bank verborgen, und ich gewährte ihm Schutz. Dann nahm ich ihn mit mir in dem Heere der Jungfrauen, nachdem er die Rüstung angelegt hatte, so daß ihn niemand erkennen konnte, und ich führte ihn in die Stadt.' Und weiter sprach sie zu ihr: ,Ich versuchte ihn mit Furcht vor deiner Majestät zu erfüllen, und ich schilderte ihm deine Macht und deine Stärke; aber sooft ich ihn auch zu schrecken suchte, immer weinte er und sprach Verse und sagte: ,Ich muß meine Gattin und meine Kinder gewinnen, oder ich sterbe; ohne sie kann ich nicht in mein Land zurückkehren.' Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt und ist zu den Inseln von Wâk gekommen; in meinem ganzen Leben habe ich noch nie einen Sterblichen gesehen, der ein festeres Herz und kühneren Mut besäße als er; nur hat die Liebe ganz und gar Macht über ihn gewonnen.' - —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 809. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, nachdem sie der Königin Nûr el-Huda die Geschichte Hasans erzählt hatte, mit den Worten schloß: ,Ich habe noch nie jemanden gesehen, der ein festeres Herz besäße als er; nur hat die Liebe ganz und gar Macht über ihn gewonnen.' Doch als die Königin ihre Worte vernommen und die Geschichte Hasans begriffen hatte, ergrimmte sie gewaltig und neigte ihr Haupt eine Weile zu Boden; nachdem sie es dann wieder emporgehoben hatte, blickte sie auf die Alte und sprach zu ihr: ,O du Unglücks alte, ist deine Schlechtigkeit so weit gediehen, daß du Männer aufliest und sie mit dir auf die Inseln von Wâk bringst, ja sogar mit ihnen vor mich treten willst, ohne dich vor meiner Majestät zu fürchten? Beim Haupte des Königs, hätte ich nicht Pflichten gegen dich, weil du mich erzogen und immer verehrt



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hast, so würde ich dich und ihn in diesem Augenblicke den schimpflichsten Tod erleiden lassen, auf daß sich die Wanderer an dir ein Beispiel nähmen, du Verfluchte, und kein einziger je wieder etwas täte, wie du es getan hast, solch eine verruchte Tat, die noch nie jemand gewagt hat! Doch geh hin und bring ihn mir sofort, auf daß ich ihn sehe.' Da ging die Alte fort von ihr, ganz verwirrt und ohne zu wissen, wohin sie ihre Schritte lenkte, indem sie sich sagte: ,Mit all diesem Unheil hat Allah mich durch diese Königin um Hasans willen heimgesucht.' So schritt sie dahin, bis sie zu Hasan eintrat; zudem sprach sie: ,Auf, folge dem Rufe der Königin, o du, dessen letztes Stündlein gekommen ist!' Da machte er sich auf mit ihr; doch seine Zunge rief unaufhörlich den Namen Allahs des Erhabenen an, und er betete: ,O Gott, steh mir huldvoll in deinem Ratschlusse bei und mach mich von deiner Heimsuchung frei!' Sie ging mit ihm dahin, bis sie ihn vor Nûr el-Huda gebracht hatte; vorher aber schärfte sie ihm ein, wie er mit der Königin reden solle. Als er dann vor der Herrscherin stand, sah er, daß sie den Kinnschleier angelegt hatte, und nachdem er den Boden vor ihr geküßt hatte, begrüßte er sie mit dem Heilsgruße und sprach diese beiden Verse:

Gott lasse deine Macht in Freuden dauern.
Mit Seinen Gaben überschütt Er dich!
Der Herr erhöhe dich an Ruhm und Ansehn
Und helf dir wider Feinde mächtiglich!

Nachdem er seine Verse vorgetragen hatte, gab die Königin der Alten ein Zeichen, ihm vor ihr Fragen zu stellen, damit sie seine Antworten höre. So hub denn die Alte an: ,Die Königin erwidert deinen Gruß und läßt dich fragen, wie du heißest, aus welchem Lande du kommst, wie deine Gattin und deine



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Kinder heißen, um derentwillen du hierher gekommen bist, und welches der Name deiner Heimatstadt ist.' Da sprach er, festen Herzens und vom guten Geschick begünstigt: ,O größte Königin unserer ganzen Zeit, in den Tagen unseres Zeitalters von einzigartiger Herrlichkeit, was mich angeht, so heiße ich Hasan, der Tief betrübte, und meine Heimatstadt ist Basra. Den Namen meiner Gattin kenne ich nicht; doch von meinen Söhnen heißt der eine Nâsir, der andere Mansûr.' Als die Königin die Worte seines Berichts vernommen hatte, sprach sie: ,Von wo hat sie ihre Kinder mit sich genommene' ,O Königin,' gab er zur Antwort, ,aus der Stadt Baghdad, und zwar aus dem Schlosse des Kaufen.' Und weiter fragte sie: ,Hat sie auch etwas gesagt, als sie fortflog?' Hasan erwiderte: ,Sie sprach zu meiner Mutter: ,Wenn dein Sohn heimkehrt und wenn ihm die Zeit der Trennung zu lange währt und er mir wieder zu nahen begehrt, von den Stürmen zerzaust, in denen die sehnende Liebe braust, so soll er zu mir kommen auf die Inseln von Wâk!' Die Königin Nûr el-Huda schüttelte ihr Haupt und fuhr dann fort: ,Wenn sie nicht mehr nach dir verlangt hätte, so hätte sie deiner Mutter nicht diese Worte gesagt. Ja, wenn sie dich nicht mehr wünschte und dein Kommen nicht begehrte, so hätte sie dich ihre Stätte nicht wissen lassen und dich nicht in ihr Land entboten.' Darauf sagte Hasan: ,O du, der Könige Gebieterin und aller Reichen und Armen Herrscherin, was geschehen ist, habe ich dir kundgetan; ich habe dir nichts von allem verborgen. Und nun nehme ich meine Zuflucht zu Allah und zu dir. Sei nicht grausam gegen mich, sondern hab Mitleid mit mir und gewinne dir um meinetwillen den Lohn und die Vergeltung des Himmels, hilf mir, daß ich mit meiner Gattin und meinen Kindern wieder vereinigt werde! Gib mir zurück mein verlorenes Glück



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und meinen Augentrost, meine Kinder und hilf mir, sie wiederzuschauen!' Dann begann er zu weinen und zu seufzen und zu klagen und diese Verse vorzutragen:

Ich preis dich laut, solang die Ringeltaube girrt,
Wenn mein gerechter Wunsch auch nicht erfüllet wird.
Und werd ich von vergangner Freude jetzt durchbebt,
So hab ich doch den Grund davon in dir erlebt.

Die Königin Nûr el-Huda senkte ihr Haupt zu Boden und schüttelte es eine lange Weile; als sie es dann wieder emporhob, sprach sie zu Hasan: ,Ich habe Erbarmen und Mitleid mit dir, und ich habe beschlossen, dir alle Mädchen der Stadt und meines ganzen Insellandes zu zeigen. Wenn du deine Gattin erkennst, so will ich sie dir übergeben; erkennst du sie aber nicht, so lasse ich dich töten und über der Haustür der Alten kreuzigen.' Hasan gab ihr zur Antwort: ,Ich nehme diese Bedingung von dir an, o größte Königin unserer Zeit.' Und dann sprach er diese Verse:

Du wecktest Liebesqual in mir und bliebest ruhig;
Du nahmst dem wunden Aug den Schlaf und schliefest dann.
Du hattest mir versprochen, mich nicht hinzuhalten;
Doch du verrietest mich in deiner Ketten Bann.
Ich liebte dich als Kind und wußte nichts von Liebe.
So töte mich denn nicht; ob Unrecht klag ich laut.
Hält dich die Gottesfurcht nicht ab, ein Lieb zu töten,
Das nachts, wenn andre schlafen, auf die Sterne schaut?
Bei Gott, mein Volk, wenn ich gestorben bin, so schreibet
Auf meines Grabes Stein: Ein Liebestor ruht hier.
Dann spricht ein Jüngling wohl, den auch die Liebe quälet,
Wenn er mein Grab erblickt, den Friedensgruß vor mir.

Als er seine Verse beendet hatte, wiederholte er: ,Ich willige in die Bedingung ein, die du mir gestellt hast', und rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah,



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dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann gab die Königin Nûr el-Huda Befehl, alle Mädchen der Stadt sollten zum Schlosse heraufkommen und an Hasan vorüberziehen, keine sollte zurückbleiben; und zwar befahl sie der alten Schawâhi, sie sollte selbst in die Stadt hinuntergehen und alle Mädchen von dort vor die Königin in ihr Schloß führen. Und bald darauf konnte die Herrscherin die Mädchen zu Hasan hineinführen, immer je hundert zur Zeit, bis es keine Mädchen mehr in der Stadt gab, das sie ihm nicht gezeigt hätte. Doch seine Gattin erblickte er nicht unter ihnen. Und als die Königin ihn fragte mit den Worten: ,Hast du sie unter diesen allen gesehen?' antwortete er ihr: ,Bei deinem Leben, o Königin, sie ist nicht unter ihnen!' Da ergrimmte die Königin gewaltig wider ihn und sprach zu der Alten:, Geh hin und hole alle, die im Palaste sind, und führe sie ihm vor!' Doch auch, als jene ihm alle Mädchen, die im Palaste waren, zeigte, konnte er seine Gattin unter ihnen nicht entdecken; und so sprach er zur Königin: ,Bei deinem Haupte, o Königin, sie ist nicht unter ihnen!' Die Königin aber rief voll Zorn denen zu, die sie umgaben: ,Ergreift ihn und schleift ihn fort, mit dem Gesicht zur Erde! Schlagt ihm den Kopf ab, auf daß keiner nach ihm sich erdreiste, seinen Blick zu unserem Wesen zu erheben, zu uns in unser Land zu kommen und den Boden unserer Inseln zu betreten!' Da schleppten die Leute ihn auf dem Boden fort, warfen den Saum seines Kleides über ihn, so daß sie ihm die Augen bedeckten, und stellten sich mit den Schwertern ihm zu Häupten auf, des Befehls gewärtig. Doch nun trat Schawâhi zur Königin heran, küßte den Boden vor ihr, ergriff den Saum ihres Gewandes, legte ihn sich aufs Haupt und sprach: ,O Königin, bei dem Rechte der Erziehung, das ich an dir habe, übereile dich nicht mit ihm, zumal du weißt, daß dieser



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Ärmste ein Fremdling ist und sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, daß er Dinge erduldet hat, wie sie noch nie einer vor ihm ertragen, hat, und daß Allah, der Allmächtige und Glorreiche, ihn vor dem Tode beschützt hat, weil ihm ein langes Leben bestimmt ist! Er hat von deiner Gerechtigkeit gehört und ist in dein Land und zu deiner wohlbehüteten Stätte gekommen. Wenn du ihn jetzt töten lässest, so wird die Kunde von dir durch die Wanderer verbreitet werden, daß du die Fremden hassest und sie umbringst. Auf alle Fälle aber ist er, wenn seine Frau sich nicht in deinem Lande findet, in deiner Gewalt und kann durch dein Schwert getötet werden. Wann du nur immer verlangst, daß er vor dir erscheine, kann ich ihn dir zurückbringen. Ferner habe ich ihm nur deshalb meinen Schutz gewährt, weil mein Sinn auf deine Großmut gerichtet war, um des Rechtes der Erziehung willen, das ich an dir habe, und so habe ich ihm mich dafür verbürgt, daß du ihm zu seinem Ziele verhelfen würdest; denn ich kenne doch deine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Wenn ich nicht all das von dir gewußt hätte, so hätte ich ihn doch nie in dein Land gebracht. Ich habe mir auch gesagt, die Königin würde an ihm Gefallen finden und an den Versen, die er spricht, sowie an seiner reinen und feinen Rede, die einer Schnur von aufgereihten Perlen gleicht. Jetzt ist dieser Jüngling nun einmal in unser Land gekommen und hat von unserem Brote gegessen; darum haben wir Pflichten gegen ihn.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 810. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als die Königin Nûr el-Huda ihren Dienern befohlen hatte, Hasan zu ergreifen und ihm den Kopf abzuschlagen, die Alte sie zu besänftigen



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suchte und zu ihr sprach: ,Er ist nun einmal in unser Land gekommen und hat von unserem Brote gegessen; darum haben wir Pflichten gegen ihn, zumal ich ihm auch versprochen hatte, ihn mit dir zusammenzuführen. Du weißt, daß die Trennung ein schweres Leid ist, und du weißt auch, daß die Trennung den Tod bringen kann, zumal die Trennung von den Kindern. Jetzt ist von allen unseren Frauen keine mehr übrig außer dir; so zeige auch du ihm dein Antlitz!' Da lächelte die Königin und sprach: ,Woher soll der mein Gatte sein und Kinder von mir haben, so daß ich ihm mein Antlitz zeigen sollte?' Dennoch befahl sie, Hasan herbeizubringen; und als er zu ihr hereingeführt war und vor ihr stand, entschleierte sie ihr Antlitz. Kaum aber hatte er es gesehen, da stieß er einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig zu Boden. Die Alte jedoch sprach ihm solange gütig zu, bis er wieder zur Besinnung kam. Und als er aus seiner Ohnmacht erwachte, sprach er diese Verse:

O Zephir, der du wehest aus dem Land Irak
Auf die Gefilde derer, die da rufen: ,W1k',
Ei! hin und kunde ihr, der ich mein Herze gab,
Daß ich der Liebe bittren Trank gekostet hab!
Mein Liebling, sei mir hold und üb Barmherzigkeit;
Denn ach, mein Herz vergehet ob der Trennung Leid!

Als er seine Verse beendet hatte, erhob er sich, schaute die Königin an und stieß von neuem einen Schrei aus, der so laut war, daß der Palast durch ihn fast auf alle niederstürzte, die in ihm waren. Und wiederum fiel er ohnmächtig zu Boden. Doch die Alte sprach ihm immer gütig zu, bis er erwachte; und als sie ihn fragte, was ihm sei, sprach er: ,Diese Königin ist entweder meine Gattin, oder sie gleicht meiner Gattin am meisten von allen Leuten.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 811. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, als sie Hasan fragte, was ihm sei, von ihm die Antwort erhielt: ,Diese Königin ist entweder meine Gattin, oder sie gleicht meiner Gattin am meisten von allen Leuten.' Da sagte die Königin zu der Alten: ,Weh dir, o Amme, dieser Fremdling ist entweder besessen oder von Sinnen; denn er schaut mir mit starren Augen ins Antlitz.' Doch die Alte erwiderte ihr: ,O Königin, dieser jüngling ist entschuldbar. Denn das Sprichwort sagt: Für Liebesleid ist kein Mittel bereit, nur sein Wesen gleicht der Besessenheit.' Hasan aber weinte bitterlich und sprach diese beiden Verse:

Ich sehe ihre Spuren und vergeh vor Sehnsucht;
An der verlaßnen Statt vergieß ich meine Zähren
Und bitte Ihn, der mich durch ihren Fortgang quälte,
Er möge ihre Heimkehr gnädig mir gewähren.

Darauf sprach Hasan zur Königin: ,Bei Allah, du bist nicht meine Gattin; aber du gleichst ihr am meisten von allen Leuten.' Da lachte Königin Nûr el-Huda, bis sie auf den Rücken fiel und sich dann auf die Seite legte. Aber danach hub sie an: ,Mein Freund, sei behutsam, prüfe mich genau und antworte mir dann auf das, wonach ich dich frage! Tu von dir all die Verzücktheit, Ratlosigkeit und Befangenheit; denn siehe, das Heil ist dir nahe!' Hasan erwiderte: ,O du der Könige Gebieterin, der Reichen und Armen Schützerin, als ich dich erblickte, ward ich wie von Sinnen, da du entweder meine Gattin sein oder ihr von allen Leuten am meisten gleichen mußtest. Jetzt aber frage mich, was du willst!' Und sie fuhr fort: ,Was ist es an deiner Gattin, das mir gleicht?' Er gab ihr zur Antwort:



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,Hohe Herrin, alles, was an dir ist an Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Zierlichkeit, wie deines Wuchses Ebenmäßigkeit und deiner Rede Süßigkeit, das zarte Rot deiner Wangen und deiner Brüste Prangen, und all die anderen Reize -alles gleicht ihr!' Da wandte die Königin sich zu Schawâhi Umm ed-Dawâhi und sprach zu ihr: ,Mütterchen, führe ihn zu der Stätte zurück, an der er bei dir weilte, und nimm ihn in deine eigene Obhut, bis ich erforscht habe, was es mit ihm auf sich hat. Wenn dieser Mann wirklich hochherzigen Sinn besitzt, indem er Freundschaft und Treue und Liebe wahrt, so geziemt es uns, ihm zu helfen, daß er sein Ziel erreicht, zumal er in unser Land gekommen ist und von unserer Speise gegessen hat, trotz allem, was er ertragen mußte an Beschwerden der Reisen von Land zu Land und an furchtbaren Gefahren, die er bestand. Doch wenn du ihn in dein Haus gebracht hast, so empfiehl ihn der Pflege deiner Dienerschaft und kehre eiligst zu mir zurück. Und so Allah der Erhabene will, wird sich alles zum Guten wenden!' Darauf machte die Alte sich auf den Weg, indem sie Hasan mit sich nahm, führte ihn in ihre Wohnung und befahl ihren Sklavinnen und Sklaven und Dienern, ihm aufzuwarten. Sie gab Befehl, daß jene ihm alles bringen sollten, dessen er bedurfte, und daß ihm nichts von allem, was ihm zukam, fehlen sollte. Darauf kehrte sie eiligst zur Königin zurück, und die befahl ihr, sie solle ihre Rüstung anlegen und mit tausend heldenhaften Reiterinnen aufbrechen. Die alte Schawâhi gehorchte dem Befehl, legte ihre Waffenrüstung an und brachte die tausend Reiterinnen herbei. Und als sie dann vor der Königin stand und ihr meldete, daß die Schar zur Stelle sei, gab diese den weiteren Befehl, nach der Stadt des Großkönigs, ihres Vaters. zu ziehen und dort bei seiner Tochter Manâr es-Sanâ,



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ihrer jüngsten Schwester, abzusteigen und zu ihr zu sprechen: ,Kleide deine beiden Söhne in die Panzer, die ihre Muhme ihnen gemacht hat, und schicke sie zu ihr; denn sie sehnt sich nach ihnen!' Und sie fügte noch hinzu: ,Ich mache es dir zur Pflicht, mein Mütterchen, daß du Hasans Sache geheim hältst; und wenn du die beiden Kinder von ihr erhalten hast, so sprich zu ihr: ,Deine Schwester lädt dich ein, sie zu besuchen.' Wenn sie dir also ihre Kinder gegeben hat und sich selbst zum Besuche aufmacht, so komm du mit den beiden eilends zu mir und laß die Mutter in Muße folgen. Und komm du auf einem anderen Wege als dem, den sie einschlägt; deine Reise sei bei Tag und bei Nacht, und sei auf deiner Hut, daß niemand etwas von alledem erfährt! Ich schwöre jetzt mit allen Eiden, wenn es sich erweist, daß meine Schwester seine Gattin ist, und wenn es offenbar wird, daß ihre Kinder seine Söhne sind, so will ich ihn nicht hindern, sie alle an sich zu nehmen und mit ihnen in seine Heimat zurückzukehren.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 812. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin sprach: ,Ich schwöre bei Allah und verpflichte mich mit allen Eiden, wenn es sich erweist, daß sie seine Gattin ist, so will ich ihn nicht hindern, sie an sich zu nehmen, nein, ich will ihm vielmehr helfen, sie zu gewinnen und mit den Seinen in seine Heimat zurückzukehren.' Die Alte vertraute ihren Worten: denn sie wußte nicht, was jene bei sich beschlossen hatte. Die Böse hatte nämlich in ihrer Seele den Plan gefaßt, Hasan zu töten, wenn ihre Schwester nicht seine Frau wäre und wenn deren Kinder ihm nicht gleich sähen. Und weiter sprach die Königin zu der Alten: ,Mein Mütterchen, wenn meine Vermutung



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mich nicht trügt, so ist meine Schwester Manâr es-Sanâ seine Gattin; doch Allah weiß es am besten. Denn jene Beschreibung ist ihre Beschreibung, und alle die Eigenschaften, die er geschildert hat, die herrliche Anmut und die strahlende Schönheit, finden sich bei niemandem außer bei meinen Schwestern. zumal bei der jüngsten.' Darauf küßte die Alte ihr die Hand, kehrte zu Hasan zurück und tat ihm kund, was die Königin gesagt hatte; er aber ward von Freuden wie von Sinnen, eilte auf sie zu und küßte ihr das Haupt. Doch sie sprach zu ihm: ,Mein Sohn, küsse mich nicht auf das Haupt, küsse mich auf den Mund, und dieser Kuß möge die Freude über deine Rettung besiegeln! So hab denn Zuversicht und quäl dich nicht; und deine Brust werde weit und frei! Mißgönne mir nicht den Kuß auf den Mund; denn ich bin die Ursache deines Wiedersehens mit ihr! Drum noch einmal, tröste Herz und Gemüt. atme voll aus freier Brust, dein Blick sei froh und deine Seele heiter!' Darauf sagte sie ihm Lebewohl und wandte sich zum Gehen, während er diese beiden Verse sprach:

Ich hab in meiner Lieb zu dir nun vier der Zeugen,
Wo sonst in allen Dingen nur zwei Zeugen sind:
Das Pochen meines Herzens, meiner Glieder Beben,
Mein siecher Leib, die Zunge, der das Wort gerinnt.

Ferner sprach er auch diese beiden Verse:

Wenn mein Aug um zweier Dinge willen blut'ge Tränen weint,
Bis es gar von seinem Schwinden Kunde uns zugeben scheint,
Wird den beiden ihres Rechtes nicht der zehnte Teil gebracht:
Das ist Scheiden der Geliebten und der Jugendblüte Pracht.'

Die Alte machte sich also, gerüstet wie sie war, mit den tausend gewappneten Reiterinnen, die sie herbeigeholt hatte, auf



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den Weg zu jener Insel, auf der die Schwester der Königin weilte; und sie zog ihres Weges dahin, bis sie im Lande der Prinzessin ankam; es lag zwischen der Stadt von Nûr el-Huda und der Stadt ihrer Schwester ein Weg von drei Tagen. Als nun Schawâhi jene Stadt erreicht hatte und zu Manâr es-Sanâ, der Schwester der Königin, eingetreten war, sprach sie den Friedensgruß vor ihr, überbrachte ihr die Grüße ihrer Schwester Nûr el-Huda und berichtete ihr, daß jene nach ihr und ihren Kindern Sehnsucht habe. Auch tat sie ihr kund, daß die Herrscherin ihr Vorwürfe mache, weil sie ihr keinen Besuch abgestattet habe. Da sagte Prinzessin Manâr es-Sanâ zu ihr: ,Ich bin im Unrecht gegen meine Schwester, und ich habe meine Pflicht verabsäumt, da ich sie nicht besucht habe. So will ich ihr denn sofort einen Besuch abstatten.' Dann befahl sie, ihre Zelte vor die Stadt zu bringen, und sie nahm mit sich für ihre Schwester Geschenke und Kostbarkeiten, wie sie ihr gebührten. Der König aber, ihr Vater, schaute gerade durch ein Fenster seines Palastes, und als er die Zelte aufgeschlagen sah, fragte er, was das bedeute. Es ward ihm geantwortet: ,Die Prinzessin Manâr es-Sanâ hat ihre Zelte an jener Straße aufschlagen lassen, da sie ihre Schwester Nûr el-Huda zu besuchen gedenkt.' Als der König das hörte, rüstete er ein Heer aus, das sie zu ihrer Schwester geleiten sollte; auch ließ er aus seinen Schatzkammern so viele Schätze, Vorräte an Speise und Trank, Kostbarkeiten und Edelsteine herbeischaffen, daß keine Worte sie beschreiben können. Nun hatte der König sieben Töchter, leibliche Schwestern von demselben Vater und derselben Mutter mit Ausnahme der jüngsten. Die älteste hieß Nûr el-Huda, die zweite Nadschm es-Sabâh, die dritte Schams ed-Duha, die vierte Schadscharat ed-Durr, die fünfte Kût el-Kulûb, die sechste Scharaf el-Banât; die siebente aber hieß



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Manâr es-Sanâ, und sie war die jüngste, sie, die Gattin Hasans, und sie war nur von Vaters Seite her die Schwester der anderen. Die Alte aber trat von neuem heran und küßte den Boden vor Manâr es-Sanâ; da fragte die Prinzessin: ,Hast du einen Wunsch, mein Mütterchen?' Und Schawâhi gab ihr zur Antwort: ,Die Königin Nûr el-Huda, deine Schwester, gebietet dir, deine beiden Söhne anders zu kleiden und ihnen die Rüstungen anzulegen, die sie ihnen gemacht hat, und die beiden durch mich zu ihr zu senden; ich soll sie mitnehmen und mit ihnen vorausreiten, um ihr die frohe Botschaft deiner Ankunft zu melden.' Als Manâr es-Sanâ die Worte der Alten vernommen hatte, erblich sie und senkte ihr Haupt zu Boden. Lange Zeit saß sie gebeugten Hauptes da; dann aber schüttelte sie ihr Haupt und hob es zu der Alten empor und sprach zu ihr: ,O Mutter, mein Innerstes zittert, und mir pocht das Herz, da du von meinen Kindern sprichst. Seit der Zeit, da sie geboren wurden, hat niemand ihre Gesichter geschaut, weder ein Geisterwesen noch ein Menschenkind, weder Frau noch Mann; ja, ich hüte sie sogar vor dem Zephir, wenn er bläst.' Die Alte aber rief: .Was für Worte sind das, meine Gebieterin? Fürchtest du etwa, daß deine Schwester ihnen ein Leids antut?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 813. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte zur Herrin Manâr es-Sanâ sprach: ,Was für Worte sind das, meine Gebieterin? Fürchtest du etwa, daß deine Schwester ihnen ein Leids antut? Der Himmel schütze deinen Verstand! Wenn du auch der Königin hierin nicht gehorchen wolltest, so könntest du doch nicht ihrem Willen zuwider handeln; denn sie



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wird dich deshalb zur Rede stellen. Freilich, meine Gebieterin, diese Kinder sind noch klein, und es ist zu verstehen, daß du um sie besorgt bist; denn die Liebe ist rasch bereit, Schlimmes zu almen. Aber, liebe Tochter. du kennst doch meine Zärtlichkeit und meine Liebe zu dir und zu deinen Kindern; ich habe euch ja vor ihnen aufgezogen. Und wenn ich sie in meine Obhut nehme, so will ich meine Wange für sie zum Kissen machen, ich will mein Herz auftun und sie darin bergen; darum bedarf ich auch keiner Ermahnung, sie in einem Falle wie diesem zu schützen. Hab Zuversicht und quäl dich nicht, schicke sie mit mir zu ihr; ich werde höchstens einen Tag oder zwei vor dir dort sein!' So drang sie unablässig in sie, bis die Prinzessin ihr nachgab, aus Furcht vor dem Zorn ihrer Schwester und ohne zu wissen, was in der dunklen Zukunft für sie verborgen war. Und sie willigte ein, die Kinder mit der Alten zu schicken. Aber zuvor ließ sie die beiden noch zu sich kommen, badete sie und übergab sie der Alten, nachdem sie alles für sie bereitet, ihre Kleider ausgezogen und ihnen die Rüstungen angelegt hatte. Jene nahm sie und eilte mit ihnen davon wie ein Vogel im Fluge, doch auf einem anderen Wege als dem, den ihre Mutter einschlagen wollte, genau so wie die Königin Nûr el-Huda ihr eingeschärft hatte; und sie zog in aller Eile mit ihnen dahin, da sie um sie besorgt war, bis sie in die Nähe der Stadt von Königin Nûr el-Huda kam. Dann überschritt sie mit ihnen den Strom, zog in die Stadt ein und begab sich mit ihnen alsbald zu ihrer Muhme, der Königin. Als die sie erblickte, hatte sie ihre Freude an ihnen; und sie umarmte sie, zog sie an ihre Brust und ließ den einen auf ihrem rechten Beine, den anderen auf dem linken Beine sitzen. Dann wandte sie sich zu der Alten und sprach zu ihr: ,Hole mir jetzt Hasan! Ich habe ihm meinen Schutz gewährt



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und ihn verschont mit meinem Schwert; er hat in meinem Hause Zuflucht begehrt und ist in meinem Heime eingekehrt, er, der furchtbare Gefahren bestand und Schrecken des Todes. die immer stärker wurden, überwand. Doch auch jetzt ist er nicht sicher vor Gefahr, noch kann er den Todesbecher trinken, noch kann sein Lebenshauch ins Nichts versinken.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 814. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin Nûr el-Huda, nachdem sie der Alten befohlen hatte, Hasan zu bringen, zu ihr sprach: ,Er ist es, der furchtbare Gefahren bestand und Schrecken des Todes, die immer stärker wurden, überwand; doch auch jetzt ist er nicht sicher vor Gefahr, noch kann er den Todesbecher trinken, noch kann sein Lebenshauch ins Nichts versinken.' Darauf erwiderte ihr die Alte: ,Wenn ich ihn jetzt vor dich bringe, willst du ihn dann mit seinen Kindern vereinen? Und willst du, wenn sie nicht seine Kinder sind, ihm verzeihen und ihn in sein Land heimsenden?' Die Königin aber, als sie diese Worte vernahm, ergrimmte gewaltig und rief: ,Weh dir, du Unglücksalte! Wie lange noch willst du mich in Sachen dieses fremden Mannes überlisten, dessen, der sich wider uns erdreistet und unseren Schleier aufgedeckt und unser Leben ausgeforscht hat? Glaubt er denn, er könnte in unser Land kommen und unsere Gesichter anschauen und unsere Ehre beflecken und hernach wohlbehalten in sein Land zurückkehren? Dann möchte er wohl in seinem Lande und unter seinem Volke sein Wissen übet uns preisgeben, so daß die Kunde von uns zu allen Königen in der ganzen Welt dringt; dann möchten wohl die Kaufleute mit Berichten über uns nach allen Himmelsrichtungen ziehen und erzählen:



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,Ein Sterblicher ist in die Inseln von Wâk eingedrungen, hat das Land der Zauberer und Wahrsager durchzogen, die Gebiete der Dämonen und der wilden Tiere und der Raubvögel betreten und ist wohlbehalten zurückgekehrt!' Das soll nimmermehr geschehen! Ich schwöre bei Ihm, der den Himmel schuf und seinen Bau bereitete, der die Erde ebnete und weitete, der die Geschöpfe erschuf und ihre Zahl leitete, wenn sie nicht seine Kinder sind, so will ich ihn gewißlich töten, ja, ich will ihm mit meiner eigenen Hand den Kopf abschlagen.' Dann schrie sie die Alte so laut an, daß die vor Schrecken zu Boden fiel; und sie hetzte den Kammerherrn und zwanzig Mamluken auf sie, indem sie zu ihnen sprach: ,Schleppt diese Alte mit euch und bringt mir eilends den Burschen, der bei ihr in ihrem Hause ist!' So wurde denn die Alte von dem Kammerherrn und den Mamluken dahingeschleppt, bleich von Angesicht und zitternd an allen Gliedern; und als sie bei ihrer Wohnung ankam, schlich sie zu Hasan hinein. Wie der sie hereinkommen sah, erhob er sich vor ihr, küßte ihr die Hände und begrüßte sie. Doch sie gab ihm den Gruß nicht zurück, sondern sprach zu ihm: ,Auf, folge dem Rufe der Königin! Hab ich dir nicht gesagt, du solltest in dein Land heimkehren? Hab ich dir nicht von alledem abgeraten? Aber du wolltest nicht auf meine Worte hören! Hab ich dir nicht gesagt, ich wollte dir geben, was keiner je erlangen kann, aber du solltest sogleich wieder in deine Heimat ziehen? Doch du gehorchtest mir nicht und hörtest nicht auf mich, du handeltest wider meinen Rat und wähl test lieber das Verderben für mich und für dich. Da hast du nun, was du erwählt hast; der Tod ist nahe. Nun folge dem Rufe dieser gemeinen Dirne, dieser grausamen Tyrannin!' Da sprang Hasan auf, gebrochenen Mutes und betrübten Herzens, und rief in seiner Angst:



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,O Himmel hilf! Mein Gott, sei mir gnädig in der Not, die du über mich verhängt hast, schütze mich, du barmherzigster Erbarmer!' Und indem er sein Leben schon verloren gab, ging er mit den zwanzig Mamluken, dem Kammerherrn und der Alten. Die führten ihn vor die Königin, und da sah er, wie seine beiden Söhne Nâsir und Mansûr auf ihrem Schoße saßen. während sie mit ihnen friedlich spielte. Sowie sein Blick auf sie fiel, erkannte er sie; und er stürzte mit einem lauten Schrei ohnmächtig zu Boden, so sehr hatte ihn die Freude an seinen Kindern überwältigt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 815. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, sowie sein Blick auf seine Kinder fiel, sie erkannte und mit einem lauten Schrei ohnmächtig zu Boden fiel. Als er dann wieder zu sich kam, erkannte er sie von neuem; und auch sie erkannten ihn, und die natürliche Liebe trieb sie, so daß sie sich von dem Schoße der Königin losmachten und zu Hasan eilten; und Allah, der Allgewaltige und Glorreiche, ließ sie reden und ausrufen: ,O unser Vater!' Da weinten die Alte und alle, die zugegen waren, von zärtlichem Erbarmen mit ihnen gerührt, und sie riefen: ,Preis sei Allah, der euch mit eurem Vater wiedervereinigt hat!' Hasan aber, der gerade aus seiner Ohnmacht erwacht war, umarmte seine Söhne unter Tränen und verlor dann von neuem die Besinnung. Und als er von dieser Ohnmacht sich erholt hatte, sprach er die folgenden Verse:

So wahr du lebst, ich kann die Trennung nicht ertragen,
Und brächte mir das Wiedersehen auch den Tod!
Mir sagt dein Schattenbild im Traum: Wir sehn uns morgen.
Doch leb ich noch bis morgen trotz der Feindesnot?



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So wahr du lebst, o Herrin, seit dem Trennungstage
Erfreut mich nimmermehr die Wonne dieser Welt.
Wenn Allah mich in meiner Liebe sterben lässet,
Sterb ich den Liebestod als großer Glaubensheld.'
Im Innern meines Herzens äste die Gazelle;
Jetzt floh ihr Leib, wie auch kein Schlaf im Aug mir ruht.
Wenn sie dem Richter sagt, mein Blut sei nicht vergossen,
Ist ihrer Wangen Röte Zeuge fur das Blut!

Als nun die Königin sich überzeugte, daß die Kleinen die Kinder Hasans waren und daß ihre Schwester, die Herrin Manâr es-Sanâ, seine Gattin war, die zu suchen er gekommen war, ergrimmte sie sehr, und ihre Wut wider sie kannte keine Grenzen mehr. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 816. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin Nûr el-Huda, als sie sich überzeugt hatte, daß die Kleinen die Kinder Hasans waren und daß ihre Schwester, die Herrin Manâr es-Sanâ, seine Gattin war, die zu suchen er gekommen war, so sehr von Zorn wider sie entbrannte, daß ihre Wut keine Grenzen mehr kannte. Und sie schrie Hasan ins Gesicht. so daß er ohnmächtig niedersank. Als er dann wieder zu sich kam, sprach er diese Verse:

Fern bist du, doch von allen Menschen mir die nächste:
Du weilst in meinem Herzen und bist doch so weit.
Bei Allah, nie hab ich mich andren zugewendet;
Doch trug ich in Geduld des Schicksals Grausamkeit.
Die Nächte kommen wohl und gehn, seit ich dich liebe;
In meinem Herzen lohen Glut und Feuerbrand.



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Einst konnte ich die Trennung keine Stunde tragen;
Wie nun? Es zogen Monde über mich ins Land!
Der Zephir gar, der dich umweht, weckt mir den Neid;
Und eifersüchtig denk ich an die schöne Maid!

Nachdem Hasan seine Verse beendet hatte, fiel er alsbald wieder in Ohnmacht. Als er aber zur Besinnung kam, sah er, daß man ihn auf seinem Gesicht hinaus geschleift hatte; da erhob er sich und schritt weiter, indem er über seine Säume stolperte und kaum noch glaubte, daß er dem entronnen sei, was er von der Königin erleiden mußte. Das war für die Alte Schawâhi schmerzlich anzusehen; aber sie wagte es nicht, zur Königin ein Wort über ihn zu sprechen, da jene so wild ergrimmt war. Und wie Hasan sich nun draußen vor dem Schosse befand. ward er völlig verstört, und er wußte nicht, wohin er gehen, zu wem er kommen, noch welchen Weg er einschlagen sollte. Die Welt in all ihrer Weite ward ihm zu eng, und er hatte niemanden, der ein freundlich Wort mit ihm redete oder ihn tröstete, niemanden, den er um Rat fragen, bei dem er Schutz und Zuflucht suchen konnte. So sah er den sicheren Tod vor Augen, da er nicht zurückreisen konnte und niemanden wußte, der mit ihm reisen würde; ja, er kannte nicht einmal den Weg, und es war ihm unmöglich, das Tal der Dämonen und das Land der wilden Tiere und die Inseln der Raubvögel zu durchziehen; und so gab er sich ganz verloren. Dann weinte er um sein Schicksal, bis er in Ohnmacht sank; als er das Bewußtsein wiedererlangte, gedachte er seiner Kinder und seiner Gattin und ihrer Reise zu ihrer Schwester, und er stellte sich im Geiste vor, was ihr wohl von der Königin, ihrer Schwester, widerfahren würde. Und er bereute, daß er in jenes Land gezogen war und auf niemandes Wort gehört hatte; und er sprach diese Verse:



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Laßt meine Augen weinen, da die Lieben schwanden!
Jetzt ist mein Trost gering, jetzt ward der Not noch mehr.
Ich hab der Trennung Leidensbecher ganz geleeret;
Wem ist Verlust der Lieben nicht untragbar schwer?
Ihr habt der Schande Teppich zwischen uns gebreitet -
Wer hebt dich, Unheilsteppich, endlich von uns ab?
Ich wachte; doch ihr schlief und glaubtet, ich vergöße
Der Lieb -Vergessen ist's, was ich vergessen hab.
Fürwahr, mein Herz brennt heiß danach, mich euch zu nahen;
Ihr seid ja meine Ärzte, habt die Arzenei.
Seht ihr denn nicht, was ich durch eure Hörte leide?
Vor hoch und niedrig ward mein Leid den Blicken frei.
Ach, ich verbarg die Liebe; doch die Sehnsucht zeigt sie;
Mein Herz wird immer von der Liebesglut verbrannt.
Erbarmt euch meiner Not, habt Mitleid mit mir Armem;
Ich gab, getreu dem Bund, Verborgnes nie bekannt.
Ach, wird wohl das Geschick mit euch mich noch vereinen?
Ihr seid mein Herzenswunsch, euch liebt die Seele mein.
Mein Herz ward durch die Trennung wund; o möchte Kunde
Von eurer Stätte mir zum Glück beschieden sein!

Als er diese Verse gesprochen hatte, ging er weiter, bis er vor die Stadt kam; dort gelangte er zu dem Strom, und an dessen Ufer zog er entlang, ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. So stand es um Hasan.

Sehen wir nun, wie es seiner Gattin Manâr es-Sanâ erging! Sie wollte sich am Tage darauf, nachdem die Alte fortgezogen war, auch selbst auf den Weg machen; und während sie sich zum Aufbruch rüstete, trat plötzlich der Kammerherr des Königs, ihres Vaters, zu ihr herein und küßte den Boden vor ihr. — —e Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 817. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als Manâr es-Sanâ sich zum Aufbruch rüstete, plötzlich der Kammerherr



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des Königs, ihres Vaters, zu ihr eintrat, den Boden vor ihr küßte und sprach: ,O Prinzessin, der Großkönig entbietet dir seinen Gruß und ruft dich zu sich.' Da erhob sie sich und begab sich mit dem Kammerherrn zu ihrem Vater, um zu erfahren. was er wünsche. Und als ihr Vater sie sah, ließ er sie an seiner Seite auf dem Thron sitzen und sprach zu ihr: ,Liebe Tochter, wisse, ich habe in dieser Nacht einen Traum gesehen, der mich um dich besorgt macht und mich fürchten läßt, dir könnte aus dieser deiner Reise langer Kummer erwachsen.' Sie fragte: ,Warum, mein Väterchen? Was hast du im Traume gesehen?' Und er fuhr fort: ,Ich träumte, ich wäre in eine Schatzkammer gekommen und hätte dort große Reichtümer, Edelsteine und viele Rubinen gesehen. Und es war, als ob mir von all den Schätzen und all den Edelsteinen nur sieben Steine gefielen; die waren am schönsten von allem, was dort war. Von diesen sieben Edelsteinen wählte ich einen aus; der war wohl der kleinste von ihnen, aber auch der schönste und glänzendste. Und weiter träumte mir, ich nähme diesen Stein in die Hand, da ich an seiner Schönheit Gefallen hatte, und ging mit ihm aus der Schatzkammer hinaus. Und als ich aus der Tür trat, öffnete ich voll Freuden meine Hand und wandte den kostbaren Stein hin und her. Aber da erschien plötzlich ein fremder Vogel, der aus einem fernen Land kam und nicht zu den Vögeln unseres Landes gehörte; der stürzte von Himmel auf mich herab, riß mir den Stein aus der Hand und kehrte mit ihm dorthin zurück, von wo er gekommen war.' Da kam Sorge und Trauer und Angst über mich, und große Furcht schreckte mich aus dem Schlafe auf. So erwachte ich denn betrübt und bekümmert um jenen kostbaren Stein. Und als ich wieder wach war, berief ich die Traumdeuter und Ausleger



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und erzählte ihnen meinen Traum. Sic aber sprachen zu mir: ,Siehe, du hast sieben Töchter, von ihnen wirst du die jüngste verlieren, sie wird dir mit Gewalt wider deinen Willen genommen werden.' Nun bist du, meine Tochter, die jüngste und mir die teuerste und liebste von meinen Töchtern; und du stehst im Begriffe, zu deiner Schwester zu reisen. Ich weiß aber nicht, was dir von ihr widerfahren wird; drum geh nicht fort, sondern kehre in dein Schloß zurück!' Als Manâr es-Sanâ die Worte ihres Vaters vernahm, pochte ihr das Herz, und sie ward um ihre Kinder besorgt; und sie senkte ihr Haupt eine Weile zu Boden. Nachdem sie es dann wieder zu ihrem Vater emporgehoben hatte, sprach sie zu ihm: ,O König, die Königin Nûr el-Huda hat für mich ein Gastmahl gerüstet, und sie wartet von Stunde zu Stunde auf mein Kommen. Seit vier Jahren hat sie mich nicht mehr gesehen; und wenn ich es unterlasse, sie zu besuchen, so wird sie mir zürnen. Höchstens einen Monat werde ich bei ihr bleiben: dann werde ich wieder bei dir sein. Wer ist denn der Mann, der in unser Land eindringen und zu den Inseln von Wâk gelangen kann? Wer ist imstande, das Weiße Land und den Schwarzen Berg zu betreten und die Kampferinseln und das Kristallschloß' zu erreichen? Wie könnte er durch das Tal der Vögel, dann durch das Tal der wilden Tiere, dann durch das Tal der Dämonen ziehen und so auf unseren Inseln landen? Ja, wenn ein Fremdling wirklich hierher kommen sollte, so würde er doch im Meere des Verderbens ertrinken. Drum hab Zuversicht und quäl dich nicht wegen meiner Reise; es hat doch niemand die Macht, unser Land zu betreten!' In dieser Weise redete sie ihm solange zu, bis er ihr die Erlaubnis zur Reise gewährte. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 818. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin ihrem Vater so lange zuredete, bis er ihr die Erlaubnis zur Reise gewährte. Dann gab er Befehl, tausend Reiter sollten mit ihr ziehen, bis sie zum Strome kämen, und dort sollten sie warten. während sie zur Stadt ihrer Schwester züge und sich in ihren Palast begebe; ferner befahl er, sie sollten nach ihrer Rückkehr bei ihr bleiben und sie zu ihrem Vater geleiten. Ihr selbst aber schärfte er ein, nur zwei Tage bei ihrer Schwester zu bleiben und danach eilends heimzukehren. ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie; dann erhob sie sich und ging hinaus, und er gab ihr zum Abschied das Geleit. Die Worte ihres Vaters jedoch hatten tiefen Eindruck auf ihr Herz gemacht, und sie war in Sorgen um ihre Kinder. Doch was kann es nützen, sich gegen den Ansturm des Schicksals durch Vorsicht zu schützen? Sie zog nun drei Tage und Nächte eilends dahin, bis sie den Strom erreichte und an seinem Ufer ihre Zelte aufschlug; dann überschritt sie den Strom, begleitet von einigen ihrer Diener, Gefolgsleute und Wesire. Nachdem sie darauf die Stadt der Königin Nûr el-Huda erreicht hatte, zog sie zum Schlosse hinauf, trat ein zur Königin und erblickte ihre Kinder, wie sie dort weinten und immer riefen: ,O unser Vater!' Da rannen ihr die Tränen aus den Augen, und sie mußte weinen. Dann zog sie die Kinder an ihre Brust und sprach zu ihnen: ,Habt ihr euren Vater gesehen? Wäre die Stunde doch nie gewesen, in der ich mich von ihm trennte! Wüßte ich, daß er noch im Hause der Welt lebt, so würde ich euch zu ihm bringen!' Und sie klagte um sich und um ihren Gatten und um ihre weinenden Kinder und sprach diese Verse:



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O du mein Lieb, trotz allen Fernseins, aller Hörte
Begehr ich dein und liebe dich, wo du auch bist.
Mein Auge wendet immer sich nach deinem Lande;
Mein Herz beklagt die Zeit, die uns verloren ist.
Wie manche Nacht verbrachten wir, von Angst befreit,
In Liebe und beglückt von Treu und Zärtlichkeit.

Als aber ihre Schwester sah, wie sie ihre Kinder ans Herz drückte, und hörte, wie sie sprach: ,Ich selber habe so an mir und an meinen Kindern gehandelt und habe mein Haus zugrunde gerichtet', da bot sie ihr keinen Gruß, sondern schrie sie an: ,Du Dirne, woher hast du diese Kinder? Hast du dich ohne Wissen deines Vaters vermählt oder hast du gebuhlt? Wenn du gebuhlt hast, so müssen wir dich aufs härteste bestrafen; doch wenn du dich ohne unser Wissen vermählt hast, warum hast du dann deinen Gatten verlassen und deine Söhne mitgenommen, so daß du sie von ihrem Vater trenntest, und bist in unser Land gekommen?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 819. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Königin Nûr el-Huda zu ihrer Schwester Manâr es-Sanâ sprach: ,Wenn du dich ohne unser Wissen vermählt hast, warum hast du dann deinen Gatten verlassen und deine Söhne mitgenommen, so daß du sie von ihrem Vater trenntest, und bist in unser Land gekommen? Du hast deine Kinder vor uns verborgen. Glaubst du denn, daß wir darum nicht wüßten? Allah der Erhabene, der die verborgenen Dinge kennt, hat dein Geheimnis ans Licht gebracht, er hat dein Leben offenbar gemacht und deine Blöße enthüllt!' Alsbald befahl sie ihren Wächtern. sie zu ergreifen; und die legten Hand an sie, und die Königin selber



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band ihr die Hände auf den Rücken, legte ihr eiserne Fesseln an und schlug sie so grausam, daß sie ihr das Fleisch zerschnitt, und hängte sie an den Haaren auf. Und sie warf sie ins Gefängnis und schrieb einen Brief an den Großkönig, ihren Vater, um ihm von ihr zu berichten, des Inhalts: ,Wisse, es ist in unserem Lande ein Sterblicher erschienen, und meine Schwester Manâr es-Sanâ behauptet, daß sie ihm rechtmäßig vermählt ist und ihm zwei Söhne geboren hat; sie hat die beiden aber vor uns und vor dir verborgen und nichts über sich laut werden lassen, bis jener Sterbliche, dessen Name Hasan ist, zu uns kam und uns berichtete, daß er sich mit ihr vermählt habe und daß sie lange Zeit bei ihm geblieben sei; dann habe sie ihre Kinder genommen und sei ohne sein Wissen fortgeeilt; zu seiner Mutter aber habe sie bei ihrem Fortgang die Worte gesprochen: ,Deinem Sohn sage, wenn ihn die Sehnsucht plage, so solle er auf den Inseln von Wâk zu mir kommen.' Ich ließ den Mann festnehmen und sandte die alte Schawâhi, um sie und ihre Kinder zu mir zu holen; und sie rüstete sich und kam. Vorher aber hatte ich der Alten befohlen, sie solle mir die Kinder zuerst bringen, indem sie mit ihnen vorauseilte, ehe meine Schwester käme; und so kam die Alte mit den Kindern, ehe Manâr es-Sanâ eintraf. Da schickte ich nach dem Manne, der behauptete, ihr Gatte zu sein; und als er zu mir eintrat und die Kinder sah, erkannte er sie, und sie erkannten ihn. Da war ich überzeugt, daß die Kleinen seine Kinder sind und daß sie seine Gattin ist, und ich sah ein, daß die Rede des Mannes wahr ist und daß ihn kein Tadel trifft. Ich ward mir aber auch dessen bewußt, daß Schmach und Schande nur auf meiner Schwester ruhen, und ich geriet in Sorge, daß unsere Ehre vor dem Volke unserer Inseln bloßgestellt werden könnte. Als nun diese gemeine Dirne zu mir eintrat, da ergrimmte ich



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wider sie und schlug sie heftig und hängte sie an den Haaren auf. Nun habe ich dir von ihr Kunde gegeben; der Befehl aber steht bei dir, und was du uns befiehlst, werden wir tun. Du weißt, daß von dieser Sache unsere Ehre abhängt und daß sie Schmach bringen kann über uns und über dich. Vielleicht werden die Bewohner der Inseln davon hören, und dann werden wir zum Sprichworte unter ihnen. Deshalb geziemt es sich, daß du uns rasche Antwort gibst.' Diesen Brief übergab sie einem Boten, und der brachte ihn dem König. Als aber der Großkönig ihn gelesen hatte, ergrimmte er gewaltig wider seine Tochter Manâr es-Sanâ, und er schrieb sofort einen Brief an seine Tochter Nûr el-Huda, des Inhalts: ,Ich lege ihr Schicksal in deine Hand, und ich gebe dir Gewalt über ihr Blut. Wenn alles sich so verhält, wie du mir gemeldet hast, so töte sie, ohne mich über sie zu befragen!' Als sie den Brief ihres Vaters erhalten und gelesen hatte, ließ sie Manâr es-Sanâ vor sich kommen; die Schwester kam, ertrunken in ihrem Blute, die Hände mit ihrem Haar auf dem Rücken gebunden, mit schweren Eisenketten gefesselt und mit einem härenen Gewande bekleidet. Da stand sie nun vor der Königin, in Schmach und Elend; und als sie sich so furchtbar gedemütigt und so tief erniedrigt sah, gedachte sie ihrer früheren Herrlichkeit, und sie weinte bitterlich und sprach diese beiden Verse:

O Herr, die Feinde trachten mich zu töten.
,Er kann uns nicht entfliehen', ist ihr Wort.
Ich fleh zu dir, daß du ihr Tun vernichtest;
Du, Herr, bist des bedrängten Beters Hort.

Dann weinte sie von neuem bitterlich, bis sie in Ohnmacht sank; und als si wieder zu sich kam, sprach sie diese beiden Verse:

Vertraut ist meinem Herzen Leid, und ich bin's ihm.
Nachdem wir uns gemieden -Edle sind vertraut.



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Ach, meine Sorgen sind nicht nur non Einer Art;
Ich hab sie tausendfach und preise Allah laut.

Und weiter sprach sie diese beiden Verse:

Wie manches Unglück gibt es, gegen das dem Manne,
Wenn Gott ihm keine Hilfe leiht, die Kraft gebricht!
Schwer war's -, als seine Maschen immer enger wurden,
Kam Rettung. Ach, ich glaubte, Rettung käme nicht! 

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 820. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als die Königin Nûr el-Huda befohlen hatte, ihre Schwester Manâr es-Sanâ herbeizubringen, diese vor sie gebracht wurde, gefesselt wie sie war, und daß sie die genannten Verse sprach. Darauf ließ die Königin für sie eine hölzerne Leiter bringen und warf sie darauf der Länge nach nieder; den Eunuchen befahl sie, die Prinzessin rücklings auf der Leiter festzubinden, während sie selbst ihr die Arme ausbreitete und die mit Stricken festband. Dann entblößte sie ihrer Schwester Haupt und wand ihr das Haar um die Leiter; so sehr war alles Mitgefühl aus ihrem Herzen entschwunden. Und als Manâr es-Sanâ sich in einem solchen Zustande der Demütigung und Erniedrigung sah, schrie sie auf und weinte; aber niemand kam ihr zu Hilfe. Da sprach sie zur Königin: ,O Schwester, wie konnte dein Herz sich wider mich erhärten? Hast du denn kein Mitleid mit mir, kein Erbarmen mit diesen kleinen Kindern?' Jene aber, als sie diese Worte hörte, ward nur noch verstockter, und sie schmähte ihre Schwester, indem sie rief: ,O du Buhlerin! O du Dirne! Allah erbarme sich nie dessen, der sich deiner erbarmt! Wie sollte ich Mitleid haben mit dir, du gemeines Weib?' Da sagte Manâr es-Sanâ, die ausgestreckt dalag: ,Ich



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rufe den Herrn des Himmels wider dich an: das, wegen dessen du mich schmähst, hab ich nicht begangen! Bei Allah, ich habe nicht gebuhlt, ich bin rechtmäßig mit ihm vermählt; der Herr weiß, ob ich die Wahrheit spreche oder nicht. Mein Herz erglüht von Zorn wider dich wegen deiner maßlosen Herzenshärte gegen mich. Wie kannst du ohne jedes Wissen mich mit der Anklage der Buhlerei bewerfen? Aber der Herr wird mich von dir befreien. Wenn jedoch das, was du mir von Buhlschaft vorwirfst, wirklich wahr ist, so soll Allah mich deswegen sogleich bestrafen!' Die Königin dachte eine Weile bei sich nach, als sie die Worte ihrer Schwester vernommen hatte; dann aber rief sie: ,Wie wagst du es, mir mit solchen Worten zu nahen?' Und sie stürzte sich auf sie und schlug sie, bis sie ohnmächtig wurde. Da besprengte man ihr Antlitz mit 'Wasser, bis sie wieder zu sich kam; nun waren ihre Reize erblichen von den harten Schlägen, den engen Banden und dem Übermaß der Demütigung, die sie ertragen mußte. Darauf sprach sie diese beiden Verse:

Hab ich denn eine Sünde einst begangen
Und hab ich, was verboten war, getan,
So will ich, was vergangen ist, bereuen;
Ich komm und fleh dich um Verzeihung an.

Als jedoch Nûr el-Huda ihre Verse hörte, ergrimmte sie noch heftiger und sprach zu ihr: ,Willst du vor mir in Versen reden, du Dirne, und willst du dich wegen deiner Todsünden auch noch entschuldigen? Es war meine Absicht, daß du zu deinem Gatten zurückkehren solltest; dann wollte ich deine Schamlosigkeit und dein freche Stirn sehen! Denn du rühmst dich gar noch dessen, was du an Unzucht und Buhlerei und schwerer Sünde begangen hast.' Darauf befahl sie den Dienern, ihr eine Palmenrute zubringen; und als jene die geholt hatten,



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streifte sie sich die Ärmel auf und fiel über die Prinzessin her und schlug sie vom Kopf bis zu den Füßen. Schließlich rief sie nach einer geflochtenen Geißel; wenn man mit der einen Elefanten geschlagen hätte, so wäre er schnell davongerannt. Und mit jener Geißel fiel sie über ihre Schwester her, über Rücken und Leib und alle Glieder, bis sie wieder ohnmächtig ward. Als aber die alte Schawâhi das von der Königin sehen mußte, entfloh sie aus ihrer Gegenwart, indem sie weinte und ihr fluchte. Doch Nûr el-Huda schrie die Eunuchen an mit den Worten: ,Holt sie herbei!' Da eilten sie um die Wette ihr nach, ergriffen sie und schleppten sie vor die Königin; die befahl sofort, sie auf den Boden zu werfen, und sprach zu ihren Sklavinnen: ,Schleift sie auf ihrem Gesicht hinaus!' Und jene schleiften sie dahin und entfernten sie aus den Augen der Königin.

Wenden wir uns nun von ihnen wieder zu Hasan zurück! Der hatte sich, als er seine Kraft zurückgewann, erhoben und war am Ufer des Flusses entlang geschritten. So zog er der Steppe entgegen, immer noch verstört und sorgenvoll und hoffnungslos; ja, er war von all dem Schweren, das ihn getroffen hatte, so betäubt, daß er Tag und Nacht nicht mehr unterscheiden konnte. Immer weiter ging er dahin, bis er zu einem Baume gelangte, an dem er ein Blatt Papier hängen fand; das nahm er mit der Hand herunter und schaute es an, und siehe, es standen diese Verse darauf geschrieben:

Ich sorgte schon für dich, als du
Geborgen warst in Mutters Schoß;
Ich machte dir ihr Herz geneigt,
Daß sie dich in die Arme schloß.
Ich schütze dich vor alle dem,
Was dich in Gram und Kummer bannt.
Erheb in Demut dich vor mir:
Ich führe dich an meiner Hand!



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Und wie er dies Blatt gelesen hatte, gewann er die feste Zuversicht. daß er aus der Not errettet werden und die Wiedervereinigung mit den Seinen erreichen würde. Als er dann aber einige Schritte weitergegangen war, sah er sich plötzlich allein an einer gefährlichen, wüsten Stätte, an der er niemanden fand, der sich ihm hätte gesellen können; da sank ihm das Herz in seiner Einsamkeit und Angst, und seine Glieder bebten ihm an dieser grauenvollen Stätte, und er sprach diese Verse:
Kommst du zum Lande meiner Lieben, Morgenzephir,
So mach, daß meiner Grüße Pülle sie erreicht;
Sag ihnen, daß ich als der Liebe Geisel schmachte
Und daß kein Sehnen meinem Sehnen gleicht.
Vielleicht wird dann ein Hauch von ihrer Liebe weh»
Und mein verfault Gebein zu neuer Kraft erstehn. 

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 821. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als er das Blatt gelesen hatte, die feste Zuversicht gewann, daß er aus der Not gerettet würde, und überzeugt war, daß er die Wiedervereinigung mit den Seinen erreichen würde. Als er dann aber einige Schritte weitergegangen war, sah er sich plötzlich allein an einer gefährlichen, wüsten Stätte, an der keiner war, der sich ihm hätte gesellen können; da weinte er bitterlich und sprach die genannten Verse. Und wiederum ging er einige Schritte am Ufer des Flusses weiter; nun fand er auf einmal zwei kleine Knaben, Söhne der Zauberer und Wahrsager, Wahrsager, und vor ihnen lag eine Messingrute, die mit Zauberzeichen versehen war, und neben der Rute befand sich eine Lederkappe, die aus drei Keilstücken zusammengesetzt und mit stählernen Zaubernamen und Siegeln bedeckt war. Kappe und Rute



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lagen am Boden, und die beiden Knaben stritten sich um sie und schlugen sich, bis Blut zwischen ihnen floß. Der eine rief: ,Ich allein will die Rute haben!' Und ebenso rief der andere: ,Ich allein will die Rute haben!' Da trat Hasan zwischen sie. trennte sie voneinander und sprach zu ihnen: ,Warum dieser Streit?' Sie antworteten ihm: ,Oheim, sei du Richter zwischen uns; Allah der Erhabene hat dich sicherlich zu uns geschickt, damit du zwischen uns gerecht entscheidest.' Da fuhr er fort: ,Erzählt mir eure Geschichte, so will ich zwischen euch richten!' Und nun berichteten sie: ,Wir sind zwei leibliche Brüder. und unser Vater war einer von den großen Zauberern. Erlebte in einer Höhle jenes Berges dort, und als er starb, hinterließ er uns diese Kappe und diese Rute. Mein Bruder sagt nun, er allein wolle die Rute haben; und ich sage: Nein, ich will sie haben. Deshalb richte du zwischen uns und befreie uns voneinander.' Als Hasan ihre Worte vernommen hatte, sprach er zu ihnen: ,Was für ein Unterschied ist zwischen der Rute und der Kappe? Wieviel sind die beiden wert? Die Rute scheint doch nur sechs Heller und die Kappe drei Heller wert zu sein!' Aber sie erwiderten: ,Du kennst ihre Kräfte nicht.' ,Welches sind denn ihre Kräfte?' ,Beiden wohnt eine wunderbare geheime Kraft inne; die Rute ist so viel wert wie die Einkünfte der Inseln von Wâk aus allen ihren Gebieten, und die Kappe ebensoviel.' ,Meine Söhne. um Allahs willen, entdeckt mir ihr Geheimnis!' Und nun erzählten sie: ,Oheim, ihre geheimen Kräfte sind gewaltig; denn unser Vater hat hundertundfünfunddreißig Jahre gebraucht, um sicherzustellen, bis er sie ganz und gar vollkommen machte und die geheimen Kräfte in sie legte und sich ihrer zu wunderbaren Dingen bedienen konnte. Er grub auf ihnen das Bild der kreisenden Sphären ein und konnte mit ihrer Hilfe alle Zauber lösen. Doch als er die beiden vollendet



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hatte, ereilte ihn der Tod, dem keiner entrinnen kann. Das Geheimnis der Kappe besteht darin, daß jeder, der sie sich aufs Haupt setzt, für die Augen aller Menschen unsichtbar wird, so daß niemand ihn erblicken kann, solange er sie auf dem Kopfe behält. Die Rute aber hat die geheime Kraft, daß jeder, der sie besitzt, über sieben Stämme der Geister herrscht, die alle jener Rute dienen und ihrem Befehl und Gebot untertan sind; wenn also irgendeiner, der sie besitzt und in der Hand hält, mit ihr auf den Boden stößt, so huldigen ihm die Könige der Geisterwelt, und alle Dämonen stehen ihm zu Diensten.' Als Hasan diese Worte vernommen hatte, senkte er sein Haupt eine Weile zu Boden; und er sagte sich: ,Bei Allah, ich werde den Sieg erringen durch diese Rute und diese Kappe, so Allah der Erhabene will; und daher gebühren sie mir eher als diesen beiden Knaben. Ich will sie ihnen sofort durch eine List abnehmen. damit ich durch sie eine Hilfe gewinne, mich selbst zu retten und meine Gattin und meine Kinder von dieser tyrannischen Königin zu befreien. Dann wollen wir diese düstere Stätte verlassen, von der kein Sterblicher sonst befreit werden noch entfliehen kann. Sicher hat Allah mich nur deshalb zu diesen beiden Knaben geführt, damit ich ihnen die Rute und Kappe abnehme.' Dann hob er sein Haupt wieder empor und sprach zu den beiden Knaben: ,Wenn ihr eine Entscheidung des Streites wünschet, so muß ich euch auf die Probe stellen. Wer seinen Bruder überwindet, der soll die Rute erhalten; und wer unterliegt, der soll die Kappe haben. Erst wenn ich euch geprüft und zwischen euch unterschieden habe, kann ich wissen, was ein jeder von euch verdient.' ,Lieber Oheim,' erwiderten sie, ,wir stellen es dir anheim, uns zu prüfen; entscheide zwischen uns, wie du es für richtig hältst!' Und Hasan fuhr fort: ,Wollt ihr auf mich hören und auf meine Worte achten?'



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,Jawohl', gaben sie ihm zur Antwort; und nun sprach er zu ihnen: ,Ich will einen Stein nehmen und ihn werfen. Wer von euch zuerst bei ihm ankommt und ihn eher aufhebt als sein Bruder, der soll die Rute haben; wer aber zurückbleibt und ihn nicht als erster erreicht, der erhält die Kappe.' Da sagten sie: ,Wir nehmen dies Wort von dir an und sind damit einverstanden.' Da nahm Hasan einen Stein und warf ihn mit aller Macht, der Stein entschwand den Blicken, und die beiden Knaben liefen um die Wette hinter ihm her. Sobald sie sich aber entfernt hatten, nahm Hasan die Kappe und legte sie an; auch nahm er die Rute in seine Hand. Dann trat er beiseite. um zu sehen, ob das, was die beiden ihm über das Geheimnis ihres Vaters gesagt hatten, auch wahr sei. Der jüngere Knabe erreichte den Stein zuerst, hob ihn auf und kehrte zu der Stätte zurück, an der Hasan sich befand, doch er sah von ihm keine Spur. Da rief er seinem Bruder zu: ,Wo ist der Mann, der zwischen uns entscheiden sollte?' Der andere erwiderte ihm: ,Ich seh ihn nicht, und ich weiß nicht, ist er zum hohen Himmel emporgeflogen oder hat ihn die Tiefe der Erde aufgesogen?' Und nun suchten sie nach ihm, aber sie sahen ihn nicht, während doch Hasan stand, wo er war. Da begannen sie einander zu schmähen und riefen: ,Jetzt sind Rute und Kappe dahin; ich hab sie nicht, und du hast sie nicht. Gerade dies hat uns unser Vater vorhergesagt, aber wir haben vergessen, wovor er uns gewarnt hat.' Dann gingen sie ihres Wegs zurück, während Hasan sich in die Stadt begab, mit der Kappe bekleidet und die Rute in der Hand, ohne daß irgend jemand ihn sehen konnte. Dann trat er in den Palast ein und ging zu der Stätte hinauf, an der Schawâhi Dhât ed-Dawâhi' sich befand. Unter dem Schutze der Kappe konnte er zu ihr hereinkommen, ohne daß



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sie ihn erblickte. Darauf schritt er weiter, bis er vor einem Wandbrette stand, das über ihrem Haupte angebracht war und auf dem sich Glas und Porzellan befand. Er rüttelte daran mit seiner Hand, und sofort fiel alles, was darauf war, zu Boden. Schawâhi Dhât ed-Dawâhi schrie auf und schlug sich ins Angesicht; dann erhob sie sich und stellte die gefallenen Geräte wieder an ihre Stelle, indem sie bei sich sprach: ,Bei Allah, mich deucht, die Königin Nûr el-Huda hat einen Satan zu mir geschickt, der mir diesen Streich gespielt hat. Ich flehe zu Allah dem Erhabenen, daß er mich befreie und mich vor ihrem Zorne schütze. O Gott, wenn sie so abscheulich an ihrer Schwester handelt, sie schlägt und aufhängt, sie, die ihrem Vater so teuer ist, wie wird sie dann erst jemandem tun, der ihr fremd ist wie ich, wenn sie ihm zürnt?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 822. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die alte Dhât cd-Dawâhi sprach: ,Wenn die Königin Nûr el-Huda so an ihrer Schwester handelt, wie wird es dann erst einem Fremden bei ihr ergehen, wenn sie wider ihn ergrimmt?' Dann hub sie an: ,Ich beschwöre dich, o Satan, bei dem Langmütigen, dem Allgütigen, dem Herrn der Pracht, dem Herrscher der Macht, der Menschen und Geister ins Dasein gebracht! Und bei der Schrift, die da eingegraben ist auf dem Siegel Salomos, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! —, daß du mir Rede und Antwort stehest!' Und Hasan antwortete ihr und sprach: ,Ich bin kein teuflischer Geist; ich bin Hasan, den Liebeskummer zerreißt, der da verwirrt und von Sinnen heißt.' Dann hob er die Kappe von seinem Haupte und ward der Alten sichtbar; als sie ihn erkannte, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn beiseite



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und sprach zu ihm: ,Was ist deinem Verstande widerfahren, daß du wieder hierher kommst? Geh fort, verbirg dich! Wenn diese Dirne deine Gattin, die doch ihre Schwester ist, mit solchen Foltern gepeinigt hat, was wird geschehen, wenn sie dich entdeckt?' Darauf erzählte sie ihm alles, was seiner Gattin widerfahren war, und in welchen Ängsten, Qualen und Foltern sie daniederlag. Desgleichen erzählte sie ihm, welche Pein sie erlitten hatte, und sie schloß mit den Worten: ,Die Königin bereut es, daß sie dich hat ziehen lassen, und sie hat dir jemanden nachgeschickt, der dich ihr bringen soll; dem will sie hundert Pfund Goldes geben und zu meinem Range in ihrem Dienst erheben; und sie hat geschworen, wenn man dich zurückbringt, dich und deine Gattin und deine Kinder zu töten.' Dann hub sie an zu weinen und tat Hasan von neuem alles kund, was die Königin ihr angetan hatte, so daß auch er weinte und sprach: ,Meine Gebieterin, wie ist es möglich, aus diesem Land und vor dieser tyrannischen Königin zu entrinnen? Welches Mittel gibt es, das mir dazu verhilft, meine Gattin und meine Kinder zu befreien und dann wohlbehalten mit ihnen in meine Heimat zurückzukehren?' Doch die Alte erwiderte ihm: ,Weh dir! Rette dich selber!' Und als er sagte: ,Ich muß gewißlich sie und meine Kinder von der Königin, ihr zum Trotz, befreien', fuhr sie fort: ,Wie kannst du sie denn, der Königin zum Trotz, befreien? Geh und verbirg dich, mein Sohn, bis Allah der Erhabene Erlaubnis gewährt.' Darauf aber zeigte Hasan ihr die Messingrute und die Kappe; und als die Alte sie erblickte, hatte sie an ihnen eine große Freude und sprach zu ihm: ,Preis sei Ihm, der die Gebeine belebt, wenn sie schon vermodert sind!' Bei Allah, mein Sohn, du und deine Gattin, ihr gehörtet schon zu den Verlorenen; aber jetzt, mein Sohn, seid ihr alle gerettet,



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du und deine Gemahlin und deine Kinder! Denn ich kenne die Rute, und ich kenne den, der sie gemacht hat. Er war mein Meister, der mich in der Zauberei unterwiesen hat, er war ein gewaltiger Zauberer, er hat hundertundfünfunddreißig Jahre gebraucht, bis er diese Rute und diese Kappe vollendete; und als er sie in ihrer Vollkommenheit hergestellt hatte, ereilte ihn der Tod, dem niemand entrinnen kann. Ich habe auch gehört, wie er zu seinen beiden Söhnen sagte: ,Meine Söhne, diese beiden Dinge sind nicht für euch bestimmt; nein, es wird aus fremden Landen einer kommen, der sie euch mit Gewalt abnimmt, ohne daß ihr wisset, wie er sie euch nimmt.' Da sagten sie: ,Vater, tu uns kund, wie es ihm gelingen wird, sie uns zu rauben!' Doch er antwortete: ,Das weiß ich nicht.' Und wie, mein Sohn - so fuhr die Alte fort -, ist es dir gelungen, sie zu gewinnen?' Nun erzählte er ihr, wie er sie den Knaben abgenommen hatte. Und als er ihr das berichtet hatte, freute sie sich darüber und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, da du nunmehr deine Gattin und deine Kinder wiedergewinnen wirst, so höre auf das, was ich dir sage! Für mich ist meines Bleibens nicht länger bei dieser Dirne, nachdem sie gewagt hat, mich so schmählich zu behandeln; ich will mich zur Höhle der Zauberer begeben, um bei ihnen zu bleiben und mit ihnen den Rest meiner Tage zu verbringen. Du aber, mein Sohn, lege die Kappe an und nimm die Rute in die Hand und geh zu deiner Gemahlin und deinen Kindern in den Raum, in dem sie weilen; dort schlag mit der Rute auf den Boden und sprich: ,O ihr Diener dieser Namen!' Dann werden die Diener der Rute zu dir emporsteigen, und wenn einer von den Stammeshäuptern erscheint, so befiehl ihm, was du wünschest und was dir beliebt!' Darauf nahm er Abschied von ihr und verließ sie, indem er die Kappe aufsetzte und die Rute mit sich nahm; und er trat in den Raum,



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in dem seine Gattin lag. Da sah er sie, wie sie fast leblos an der Leiter hing, an die sie mit ihren Haaren festgebunden war, wie ihre Augen in Tränen schwammen und ihr Herz von Kummer erfüllt war wegen ihres Elends, in dem sie keinen Weg zur Befreiung wußte. Ihre Kinder spielten unter der Leiter, während sie ihnen zuschaute und um sie und um sich selber weinte, da solches Unheil über sie gekommen war, da sie durch die Foltern und die schmerzenden Schläge solche Qualen erdulden mußte. Ja, er sah sie furchtbar leiden und hörte sie ihren Schmerz in diese Verse kleiden:

Jetzt blieb ihm nichts als ein fliehender Hauch,
Ein Aug, dessen Stern vom Irrsinn gebannt.
Des Liebenden Herz ist von Feuer versengt, Er, der die Worte zum Sprechen nicht fand.
Der Feind wird gerührt durch das furchtbare Leid -
Weh ihm, dem ein Feind gar noch Mitleiden weiht!

Als Hasan sie in solchem Zustande der Qual und des Elends und der Schmach sehen mußte, weinte er, bis er ohnmächtig ward. Und als er wieder zu sich kam und sah, wie seine Kinder spielten, während ihre Mutter vor dem Übermaß der Schmerzen in Ohnmacht gesunken war, nahm er die Kappe von seinem Haupte. Da riefen sie: ,O unser Vater!' Er aber bedeckte sein Haupt wieder; nun erwachte die Mutter aus ihre Ohnmacht durch das Rufen der Kinder, doch sie konnte ihren Gatten nicht sehen, sie erblickte nur ihre Kinder, die da weinten und riefen: ,O unser Vater!' Ihre Tränen rannen, als sie hörte, daß die Kleinen nach ihrem Vater riefen und weinten; ihr brach das Herz, und ihr Inneres ward zerrissen. Und aus wundern Herzen und einer Seele voll Schmerzen rief sie: ,Ach, wo seid ihr und wo ist euer Vater?' Dann gedachte sie der Zeiten ihres früheren Zusammenseins, sie gedachte auch all dessen,



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was sie nachher erlebt hatte, seit sie von ihm geschieden war, und sie weinte so bitterlich, daß ihre Tränen ihr die Wangen wund machten und die Erde benetzten; ja, ihre Wangen ertranken in ihren Tränen, da sie so heftig weinte. Ihr war auch keine Hand frei, daß sie die Tränen von ihren Wangen hätte abwischen können, und die Fliegen sättigten sich an ihrer Haut; doch sie fand keine Hilfe außer in ihren Tränen, und nur in den Versen fand sie einen Trost, und so sprach sie:

Ich denke an den Trennungstag nach meinem Abschied;
Mir rann ein Tränenstrom, als ich mich abgewandt.
Der Treiber trieb die Tiere, die sie trugen, vorwärts;
Mir brach Geduld und Mut, mein Herze hielt nicht stand.
So kehrt ich planlos um; ich konnt ihn nicht verwinden,
Den heißen Liebeskummer und den grimmen Schmerz.
Doch nahte, als ich heimkam, mir zum ärgsten Leide
Ein Feind in Demut, doch mit schadenfrohem Herz.
O Seele, wenn der Freund dir ferne weilt, so scheide
Von Lebensfreude, lang zu leben wünsche nicht!
O mein Gefährte, hör, was ich von Lieb erzähle;
Dein Herz vergesse nie, was meine Zunge spricht!
Ich kunde dir der Liebe seltsam Melodie
Und ihre Wunderdinge gleich el-Asma'i, 1 ' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 823. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, nachdem er zu seiner Gemahlin eingetreten war, seine Kinder sah und hörte, wie sie die genannten Verse sprach. Dann wandte sie sich nach rechts und nach links, um zu sehen, aus welchem Grunde wohl die Kleinen nach ihrem Vater gerufen hätten; aber sie sah niemanden. Und als sie nichts entdecken konnte,



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wunderte sie sich sehr, daß ihre Kinder gerade zu jener Zeit von ihrem Vater gesprochen hatten. Während sie nun staunend dalag, begann Hasan, der ihre Verse gehört hatte, zu weinen, bis er in Ohnmacht fiel und seine Tränen ihm wie Regengüsse über die Wangen strömten. Danach trat er wieder an die Kinder heran und nahm die Kappe von seinem Haupte. Kaum hatten sie ihn gesehen, so erkannten sie ihn und riefen laut von neuem: ,O unser Vater!' Wiederum mußte die Mutter weinen, als sie hörte, wie jene ihren Vater nannten; und sie rief: ,Dem Ratschlusse Allahs kann niemand entrinnen.' Bei sich selber aber sprach sie: ,Wie seltsam! Warum müssen sie gerade jetzt ihren Vater nennen und nach ihm rufen?' Und sie weinte von neuem und sprach diese Verse:

Des Landes Himmel hat des Mondes Licht verloren;
O Auge mein, vergieße deiner Tränen Flut!
Er ging; wie bleibt mir noch Geduld nach seinem Scheiden?
Ich schwör, jetzt habe ich kein Herz und keinen Mut!
O der du gingst und der du mir im Herzen wohnest,
Gebieter mein, kehrst du zurück nach dieser Zeit?
Was schadet's, wenn er kommt und ich mich sein erfreue
Und er den Tränen und den Schmerzen Mitleid weiht?
Am Trennungstag hat er mein staunend Aug verdunkelt,
Und nie erlischt die Glut, in meiner Brust entfacht.
Ich wünschte, daß er bliebe; doch ein widrig Schicksal
Hat durch die Trennung meinen Wunsch zunicht gemacht.
Bei Allah, mein Geliebter, kehr zurück zu mir!
Was ich an Tränen schon vergoß, genüge dir!

Nun konnte Hasan sich nicht mehr gedulden, sondern er riß die Kappe von seinem Haupte: da konnte seine Gattin ihn sehen. Und als sie ihn erkannte, stieß sie einen lauten Schrei aus, der alle, die im Palaste waren, erschreckte. Dann sprach sie zu ihm: ,Wie bist du hierher gekommen? Bist du vom



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Himmel niedergefallen oder aus der Erde emporgestiegen?' Und ihre Augen quollen über von Tränen, und auch Hasan weinte. Doch sie sprach zu ihm: ,Mann, dies ist nicht die Zeit zum Weinen, nicht die Zeit zum Tadeln! Das Schicksal hat seinen Lauf genommen, der Blick ward geblendet; die Feder machte zur Tat, was Gott in seinem Rat von Anbeginn beschlossen hat. Um Allahs willen, woher du auch kommst, geh, verbirg dich, auf daß niemand dich sieht und es meiner Schwester kundtut; sonst wird sie mich und dich ermorden!' Er gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin, Herrin aller Königinnen, ich habe mein Leben gewagt und bin hierher gekommen, um entweder zu sterben oder dich aus deiner Not zu befreien und mit dir und meinen Kindern in mein Land zurückzukehren. dieser Dirne, deiner Schwester, zum Trotz.' Als sie diese Worte von ihm vernahm, lächelte sie, ja, sie mußte laut lachen; sie schüttelte ihr Haupt eine lange Weile, und dann sprach sie zu ihm: ,Weit entfernt, o du meine Seele, weit entfernt ist es. daß irgend jemand mich aus meiner Not erretten könnte, es sei denn Allah der Erhabene! Flieh um dein Leben, eile fort, stürze dich nicht selber ins Verderben! Sie hat ein gewaltiges Heer, dem niemand entgegentreten kann. Und selbst angenommen, du könntest mich befreien und fortziehen, wie willst du dann in dein Land gelangen? Wie kannst du von diesen Inseln und aus den Gefahren dieser furchtbaren Stätten entrinnen? Du hast doch schon auf deinem Wege all die wunderbaren und seltsamen Dinge gesehen, all die Schrecknisse und Fährlichkeiten, die nicht einmal einer der rebellischen Dämone überwinden kann. Drum geh sogleich, häufe mir nicht Kummer auf Kummer, noch Jammer auf Jammer; behaupte nicht, du wollest mich aus diesem Elend erlösen! Denn wer soll mich in dein Land bringen durch all diese Täler, diese dürren Steppen und



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gefährlichen Stätten?' Doch Hasan erwiderte ihr: ,Bei deinem Leben, o du Licht meiner Augen, ich ziehe nicht von hier, ich gehe nicht von dannen, es sei denn mit dir!' Darauf entgegnete sie: ,Mann, wie vermagst du das zu vollbringene Was für ein Geschöpf bist du? Du weißt nicht, was du sprichst! Wenn du auch über Geister und Dämonen, Zauberer und Scharen und Wächter der überirdischen Welt Macht hättest -niemand kann aus diesen Landen entrinnen. Flieh um dein Leben und rette dich und laß mich allein; vielleicht läßt Allah noch ein Ding zum anderen werden!' Hasan aber fuhr fort: ,O Herrin der Schönen, ich bin nur deshalb gekommen, um dich mit Hilfe dieser Rute und dieser Kappe zu retten.' Darauf begann er ihr sein Erlebnis mit den beiden Knaben zu erzählen; doch während er noch sprach, trat die Königin zu ihnen ein, da sie die beiden hatte reden hören. Kaum ward Hasan ihrer gewahr, da setzte er die Kappe auf; die Königin aber sprach zu ihrer Schwester: ,Du Dirne, wer ist der, mit dem du sprachest?' Die Prinzessin antwortete ihr: ,Wer sollte bei mir sein, um mit mir zu sprechen, außer diesen Kindern?' Da griff die Königin zur Geißel und hieb auf ihre Schwester ein, während Hasan dabeistand und zusehen mußte; und sie schlug solange, bis die Arme ohnmächtig ward. Dann befahl sie, die Prinzessin aus jenem Raume in einen anderen zu schaffen; und man band sie los und brachte sie in eine andere Kammer, und Hasan folgte bis zu der Stätte, an die sie geschleppt ward. Dann warfen die Leute sie, ohnmächtig wie sie war, zu Boden und blieben wartend bei ihr stehen. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, sprach sie diese Verse:

Ich trauerte schon lang, weil das Geschick uns trennte;
Und immer rannen mir aus meinem Aug die Traten.
Ich schwor, wenn je die Zeit uns noch vereinen sollte,



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Ich wolle Trennung nie mit einem Wort erwähnen.
Jetzt sag ich meinen Neidern: Sterbt in eurem Kummer!
Bei Gott, ich hab das Ziel erreicht, an das ich dachte.
Jetzt hat die Freude mich so plötzlich überwältigt,
Daß mich das Übermaß des Glücks zum Weinen brachte.
O Auge, warum weinst du denn zu jeder Zeit?
Du weinst in meiner Freude und in meinem Leid!

Als sie ihre Verse beendet hatte, gingen die Sklavinnen fort von ihr. Darauf nahm Hasan die Kappe ab; und seine Gattin sprach zu ihm: ,O Mann, sieh, all dies hat mich nur deshalb betroffen, weil ich mich wider dich aufgelehnt habe und gegen deinen Befehl ohne deine Erlaubnis fortgeflogen bin. Doch ich bitte dich um Gottes willen, zürne mir nicht ob meines Vergehens! Denke daran, daß die Frau erst dann den Wert des Mannes erkennt, wenn sie ihn verloren hat. Ich habe gesündigt, ich habe gefehlt; doch ich flehe zu Allah dem Allmächtigen um Vergebung für das, was ich getan habe. Und wenn Gott uns wiedervereinigt hat, so will ich nie und nimmer mich wieder gegen dein Gebot auflehnen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 814. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasans Gattin ihn um Vergebung bat und zu ihm sprach: ,Zürne mir nicht ob meines Vergehens! Ich flehe zu Allah dem Allmächtigen um Verzeihung.' Doch Hasan, dem das Herz um sie weh tat, sprach zu ihr: ,Dich trifft keine Schuld; nur ich allein habe gefehlt, da ich fortzog und dich bei Leuten zurückließ, die deinen Rang nicht kannten noch auch deinen Wert und deine Würde ermessen konnten. Wisse, du Geliebte meines Herzens. du Freude meiner Seele und Licht meiner Augen, Allah der Hochgepriesene hat mir die Macht gegeben, dich zu befreien;



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nun sag, möchtest du, daß ich dich in das Reich deines Vaters bringe, damit du dort bei ihm erfüllest, was Allah dir bestimmt hat, oder willst du sogleich mit mir in mein Land ziehen, jetzt, da die Rettung genaht ist?' Sie aber erwiderte ihm: ,Wer kann mich erretten, es sei denn der Herr des Himmels? Geh in deine Heimat, gib den Wunsch auf; denn du kennst nicht die Gefahren dieser Länder! Wenn du meinem Rate nicht folgst, so wirst du ja sehen!' Darauf sprach sie diese Verse:

Bei mir, in meiner Macht ist alles, was du wünschest;
Warum denn wendest du dich zornig von mir ab?
Was auch geschah, die Liebe, die uns beide einet,
Sie werde nie vergessen, sinke nie ins Grab!
Zwar der Verleumder hielt sich immer scheu zur Seite:
Als er Entfremdung sah, da trat er erst hervor.
Doch wahrlich, ich vertraue deinem rechten Denken,
Mag der Verleumder stachelnd reden, er, der Tor!
Wir beide wollen das Geheimnis treulich hüten,
Wenn auch des Tadels Schwert gezückt ist und uns dräut.
Den ganzen Tag verlebe ich in heißer Sehnsucht;
Vielleicht kommt noch von dir ein Bote, der mich freut.

Dann weinte sie mit ihren Kindern; und als die Sklavinnen ihre klagenden Stimmen hörten, traten sie zu ihnen ein und fanden die Prinzessin Manâr es-Sanâ und ihre Kinder in Tränen; aber Hasan sahen sie nicht bei ihnen. Da weinten die Sklavinnen aus Mitleid mit ihnen und fluchten der Königin Nûr el-Huda. Nun wartete Hasan, bis die Nacht anbrach und die Wachen, die mit ihrer Obhut betraut waren, zu ihren Ruhestätten gingen; dann aber erhob er sich, gürtete sich, trat zu seiner Gattin ein und befreite sie von den Fesseln. Und er küßte sie aufs Haupt und zog sie an seine Brust, küßte sie auf die Stirn und sprach zu ihr: ,Wie lange haben wir uns danach gesehnt, in unserer Heimat vereinigt zu sein! Ist nun unsere



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Vereinigung hier ein Traum oder Wirklichkeit?' Dann nahm er den älteren Knaben auf den Arm, während sie den jüngeren trug, und beide gingen aus dem Schlosse hinaus; und Allah senkte seinen schützenden Schleier auf sie, so daß sie in Sicherheit dahinschreiten konnten. Als sie draußen vor dem Schlosse waren, blieben sie vor dem Tore stehen, das den Eingang zum Serail der Königin abschloß; doch wie sie dort waren, fanden sie es verschlossen. Da sprach Hasan: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen. Wahrlich, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück!' Nun gaben sie die Hoffnung auf Rettung auf; Hasan sprach: ,O du Zerstreuer der Sorgen!' Dann schlug er die Hände aufeinander und sprach: ,An alles habe ich gedacht und seine Folgen erwogen, nur hieran nicht! Wenn der Tag anbricht, so werden sie uns ergreifen. Und welcher Ausweg bleibt uns dann in dieser Lage?' Darauf sprach Hasan diese beiden Verse:

Du dachtest gut von Tagen, die auch dir gut waren,
Und gabst nicht auf des Schicksals drohend Unheil acht.
Du ließest von der Nächte Frieden dich umgaukeln;
Doch oftmals kommt das Dunkel auch in klarer Nacht.

Dann weinte Hasan, und seine Gattin weinte wegen seiner Tränen und wegen der Schmach, die sie erduldet hatte, und wegen der Schmerzen, die ihr das Schicksal zugefügt hatte. Er aber schaute seine Gemahlin an und sprach diese beiden Verse:

Das Schicksal tritt mir gleichsam als mein Feind entgegen,
An jedem Tage kommt es mir mit neuer Plag;
Es bringt das Gegenteil des Guten, das ich suche,
Und jedem heitren Tage folgt ein trüber Tag.

Alsdann sprach er noch diese Verse:

Mein Schicksal ward mir gram, und doch, es ahnte nicht,
Wie sich an meinem Stolz des Schicksals Tücke bricht.



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Es zeigte mir bei Nacht, was seine Feindschaft bringt;
Ich zeigte ihm dagegen, wie Geduld bezwingt.

Seine Gattin aber sprach zu ihm: ,Bei Allah, wir haben keinen anderen Ausweg, als daß wir uns selber töten und so Ruhe finden vor dieser furchtbaren Not; sonst erleiden wir Höllenqualen im Morgenrot!' Während sie so miteinander sprachen, erklang plötzlich draußen vor dem Tore eine Stimme: ,Bei Allah, o meine Herrin Manâr es-Sanâ, ich werde dir und deinem Gatten Hasan nur öffnen, wenn ihr mir in dem willfahrt, was ich euch sage.' Als sie diese Worte vernahmen, schwiegen sie still und wollten zu der Stätte zurückkehren, an der sie gewesen waren. Aber da sprach die Stimme wieder: ,Was ist euch, daß ihr beide schweigt und mir keine Antwort gebt?' Und nun erkannten sie, wer da sprach; es war die alte Schawâhi Dhât ed-Dawâhi, und sie riefen ihr zu: ,Was du uns auch befiehlst, das wollen wir tun; doch erst öffne uns die Tür, denn dies ist nicht die Zeit zum Reden!' Aber die Alte erwiderte ihnen: ,Bei Allah, ich werde euch nicht eher öffnen, als bis ihr mir beide geschworen habt, daß ihr mich mit euch nehmen wollt und mich nicht bei dieser Metze lassen. Was euch widerfährt, soll auch mir widerfahren; wenn ihr euch rettet, werde auch ich gerettet, und wenn ihr umkommt, so will auch ich umkommen. Denn diese Dirne, diese Tribadin, behandelt mich schmählich und foltert mich immer noch zu jeder Stunde um euretwillen; du aber, meine Tochter, du kennst meinen Wert.' Als die beiden sie nun sicher erkannt hatten, vertrauten sie ihr und schwuren ihr einen Eid, auf den sie sich verließ; und jetzt endlich, nachdem die beiden ihr den verläßlichen Schwur geleistet hatten, öffnete sie ihnen die Tür, und die beiden traten hinaus. Als sie draußen waren, sahen sie die Alte reitend auf einem griechischen Krug aus rotem Ton, um dessen



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Hals ein Strick aus Palmenbast lag, und dieser Krug rollte unter ihr dahin und lief schneller, ein Füllen aus dem Nedschd' laufen kann. Und sie kam auf die beiden zu und sprach zu ihnen: ,Folget mir und fürchtet nichts! Denn ich kenne vierzig Arten der Zauberei, durch deren geringste ich diese Stadt verwandeln kann in ein brausendes Meer mit brandenden Wogen ringsumher, und dazu könnte ich jedes Mädchen dieser Stadt verzaubern, daß es zu einem Fische würde; alles das könnte ich tun, ehe der Morgen graut. Dennoch vermochte ich nichts von diesem Unheil auszuführen aus Furcht vor dem König, ihrem Vater, und aus Rücksicht auf ihre Schwestern; denn sie sind mächtig durch ihre vielen Wachen und Stämme und Diener aus der Geisterwelt. Aber ich werde euch noch Wunder meiner Zauberkunst zeigen; jetzt laßt uns fortziehen im Vertrauen auf den Segen und die Hilfe Allahs des Erhabenen!' Nun freuten sich Hasan und seine Gemahlin; denn sie waren ihrer Rettung gewiß. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 825. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan und seine Gattin und die alte Schawâhi, als sie, ihrer Rettung gewiß, das Schloß verlassen hatten, vor die Stadt hinausgingen. Dort nahm Hasan die Rute in die Hand, schlug mit ihr auf den Boden und sprach, indem er sein Herz festigte: ,Ihr Diener dieser Namen, erscheint und gebt mir Auskunft über eure Brüder!"Da spaltete sich plötzlich die Erde, und aus ihr stiegen sieben' Dämonen hervor, deren Füße noch tief im Innern



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der Erde staken, während ihre Köpfe schon weit in die Wolken ragten. Dreimal küßten sie den Boden vor Hasan, und sie sprachen alle mit Einer Stimme: ,Zu Diensten, o unser Herr, der du über uns herrschest! Was du uns nur gebietest, das führen wir aus, gehorsam deinem Befehle. Wenn du willst, so trocknen wir die Seen aus und rücken dir die Berge von ihren Stätten.' Hasan freute sich über ihre Worte und über ihren schnellen Gehorsam und sprach zu ihnen, indem er sich ein Herz faßte und in seinem Geiste mutig und entschlossen ward: ,Wer seid ihre Wie heißt ihre Zu welchen Stämmen gehört ihr und von welchem Geschlechte, von welcher Sippe, von welchem Volke seid ihre' Da küßten sie den Boden von neuem und erwiderten mit Einer Stimme: ,Wir sind sieben Könige, und ein jeder von uns herrscht als König über sieben Stämme der Geister, Dämonen und Mârids, so daß wir sieben Könige zusammen über neunundvierzig Stämme gebieten, und das sind alle Geister, Dämonen, Mârids, Truppen und Wächter, fliegende und tauchende, Bewohner der Berge, der Steppen und der Leere und die Völker der Meere. Befiehl uns, was du willst! Wir sind deine Diener und Knechte: wer nur immer diese Rute besitzt, herrscht über unsere Nacken insgesamt, und wir schulden ihm Gehorsam.' Als Hasan diese Worte von ihnen vernommen hatte, freute er sich über die Maßen, und desgleichen taten seine Gemahlin und die Alte; und alsbald sprach er zu den Geistern: ,Ich möchte, daß ihr mir eure Stämme und Heere und Wächter zeigt.' Doch sie erwiderten ihm: ,O unser Gebieter, wenn wir dir unser Volk zeigen, so fürchten wir für dich und für die, so bei dir sind; denn es sind gewaltige Scharen, in denen sich Aussehen, Gestalt und Art, Gesichter und Leiber vielfältig offenbaren. Einige von uns sind Köpfe ohne Leiber, andere sind Leiber ohne Köpfe, wiederum



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andere von uns haben das Aussehen von reißenden Tieren und von Löwen. Wenn du es denn nicht anders willst, so würden wir zuerst die Geister vorführen, die wie reißende Tiere aussehen. Doch, o Herr, was verlangst du von uns zur Stunde?' Hasan sagte darauf: ,Ich verlange von euch, daß ihr mich und meine Gattin und diese fromme Frau in dieser Stunde nach der Stadt Baghdad tragt!' Nach diesen Worten ließen sie ihre Köpfe hängen, und Hasan sprach zu ihnen: ,Warum gebt ihr keine Antwort?' Wie aus Einem Munde entgegneten sie: ,O Herr, der du über uns gebietest, wir lebten schon zur Zeit des Herrn Salomo, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! —. und er hat uns schwören lassen, daß wir nie ein Menschenkind auf unseren Rücken tragen würden; und seit jener Zeit haben wir nie einen Sterblichen auf unseren Schultern noch auf unseren Rücken getragen. Doch wir wollen dir sogleich Geisterpferde aufschirren, die dich und deine Gefährten in dein Land bringen werden.' Nun fragte Hasan: ,Wie weit ist denn der Weg von hier nach Baghdad?' Sie antworteten: ,Ein Weg von sieben Jahren für einen schnellen Reiter.' Darob erstaunte Hasan, und er fragte weiter: ,Wie bin ich aber hierher in weniger als einem Jahre gekommen?' Sie erwiderten ihm: ,Allah hat dir die Herzen seiner frommen Diener geneigt gemacht; sonst wärest du niemals in diese Länder und Gegenden gelangt und hättest sie nie mit eigenem Auge geschaut. Denn der Scheich 'Abd el-Kuddûs, der dich den Elefanten besteigen hieß und der dich auf dem glückbringenden Renner' reiten ließ, hat mit dir in drei Tagen eine Strecke durchmessen, die ein schneller Reiter in drei Jahren zurücklegt. Der Scheich Abu er-Ruwaisch gab dich an Dahnasch weiter, und der trug



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dich in einem Tage und in einer Nacht eine Strecke von drei Jahren. All das geschah durch den Segen Allahs des Allmächtigen; denn der Scheich Abu er-Ruwaisch ist vom Stamme des Âsaf, des Sohnes Barachias, und er kennt den größten Namen Allahs. Ferner liegt zwischen Baghdad und dem Schlosse der Jungfrauen ein Weg von einem Jahre; und so sind es insgesamt sieben Jahre.' Als Hasan diese Worte aus ihrem Munde vernommen hatte, erstaunte er gewaltig, und er rief: ,Preis sei Allah, der da leicht macht, was schwer bedrängt, der dem Zerbrochenen Heilung schenkt; der das Ferne nahe rückt und den übermütigen Tyrannen in den Staub hinabdrückt; Ihm, der auch uns alles Schwere leicht gemacht hat, der uns in diese Länder gelangen ließ und mir diese Geschöpfe unterwarf und mich mit meiner Gattin und meinen Kindern wiedervereinigte! Ich weiß nicht, bin ich wach oder in Schlaf versunken, bin ich nüchtern oder trunken?' Dann sprach er, zu ihnen gewendet: ,Wenn ihr uns auf eure Rosse setzt, in wieviel Tagen werden sie uns dann nach Baghdad bringen?' Sie sagten: ,In weniger als einem Jahre werden sie dich dorthin bringen; doch vorher mußt du noch schwere Gefahren und Schrecknisse und Bedrängnisse überstehen, du mußt viele dürre Täler, schaurige Wüsten, Einöden und Stätten des Verderbens durchqueren. Und wir können dir keine Sicherheit versprechen, o Herr, vor dem Volke dieser Inseln.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 826. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Geister zu Hasan sagten: ,Wir können dir keine Sicherheit versprechen, o Herr. vor dem Volke dieser Inseln, noch auch vor dem Unheil des Großkönigs oder vor den Zauberern und Hexen



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meistern. Vielleicht werden sie uns überwältigen und euch uns entreißen; dann wird es uns schlimm ergehen bei ihnen, und ein jeder, den später die Kunde davon erreicht, wird zu uns sprechen: ,Ihr seid Missetäter! Wie konntet ihr dem Großkönig entgegentreten und einen Sterblichen aus seinem Lande entführen und noch dazu seine Tochter mit euch nehmen?' Wärest du allein bei uns - so schlossen sie ihre Worte -, dann wäre es ein leichtes für uns. Doch Er, der dich diese Inseln hat erreichen lassen, hat auch die Macht, dich in deine Heimat zurückzuführen und dich mit deiner Mutter zu vereinen, gar bald und ohne Aufenthalt. So sei denn entschlossen, vertrau auf Allah und fürchte dich nicht! Wir stehen dir zu Diensten, um dich in deine Heimat zu bringen.' Hasan dankte ihnen dafür, indem er zu ihnen sagte: ,Allah vergelte es euch mit Gutem!' Und dann gebot er ihnen: ,Lasset die Rosse eilends kommen!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie, stampften mit den Füßen auf den Boden, so daß er sich spaltete, und verschwanden darin eine Weile. Dann kamen sie wieder. und siehe, sie stiegen mit drei Rossen empor, die waren gesattelt und gezäumt, und über dem Vorderkopf eines jeden Sattels war ein Satteltaschenpaar befestigt, in dessen einer Seitentasche sich ein Krug voll Wasser befand, während die andere mit Wegzehrung angefüllt war. Die Rosse wurden herbeigeführt; Hasan bestieg den einen Renner und nahm eins der Kinder vor sich, seine Gattin aber stieg auf den zweiten und nahm das andere Kind vor sich; und die Alte stieg von ihrem Krug herunter und bestieg das dritte Roß. So brachen sie auf und ritten die ganze Nacht hindurch weiter, bis es Morgen ward; dann lenkten sie vom Wege ab und zogen auf das Gebirge zu, indem ihre Zungen unablässig Allah anriefen, und ritten den ganzen Tag am Fuß der Berge entlang. Während sie so ihres



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Weges dahinzogen, erblickte Hasan plötzlich vor sich einen Berg, gleich einer gewaltigen Rauchsäule, die zum Himmel emporstieg; da sprach er einige Verse aus dem Koran und nahm seine Zuflucht zu Allah vor dem verfluchten Teufel. Jenes Schwarze aber wurde immer deutlicher, je näher sie ihm kamen; und als sie dicht vor ihm waren, erkannten sie in ihm einen Dämon, dessen Kopf einer mächtigen Kuppel glich; seine Eckzähne waren wie Enterhaken, und sein Gaumen schien eine Straße zwischen Häusern zu bilden; seine Nüstern glichen Wasserkannen und seine Ohren ledernen Schilden; sein Maul war wie eine Höhle so weit, und seine Zähne waren gleich steinernen Säulen aufgereiht; er hatte ein Händepaar, das zwei Wurfschaufeln gleich sah, und seine Beine standen wie zwei Masten da; sein Haupt ragte bis in die Wolken empor, während seiner Füße Paar sich tief in der Erde unter der Oberfläche verlor. Als Hasan den Dämon anblickte, verneigte der sich und küßte den Boden vor ihm und sprach zu ihm: ,O Hasan, fürchte dich nicht vor mir; ich bin der Häuptling der Bewohner dieses Landes. Dies ist die erste der Inseln von Wâk; und ich bin ein Muslim, der den einigen Gott verehrt. Ich habe von euch und von eurem Kommen gehört; und als ich erfuhr, wie es um euch steht, hatte ich den Wunsch, aus dem Lande der Zauberer in ein anderes Land zu ziehen, in dem keinerlei Wesen wohnen, fern den Menschen und den Dämonen, um dort allein für mich zu leben und mich, bis mein Schicksal mich ereilt, dem Dienste Allahs zu ergeben. Darum will ich euch geleiten und euer Führer sein, bis ihr diese Inseln verlassen habt; und ich werde nur bei Nacht sichtbar sein. So seid um meinetwillen unbesorgt; denn ich bin ein Muslim, wie ihr Muslime seid!' Über diese Worte des Dämonen freute sich Hasan gar sehr; und er glaubte wieder an die Rettung und



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sprach, zu ihm gewendet: ,Allah vergelte es dir mit Gutem; zieh mit uns unter Allahs Segen!' Da zog der Dämon vor ihnen her, während sie plauderten und scherzten, da ihnen das Herz froh und die Brust weit geworden war; dabei erzählte Hasan seiner Gattin wieder von allem, was ihm widerfahren war und was er gelitten hatte. Die ganze Nacht hindurch zogen sie unablässig weiter. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 827. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß sie die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen unablässig weiterzogen; und die Pferde fuhren mit ihnen einher wie der blendende Blitz. Als aber der Tag anbrach, streckten sie alle ihre Hände in ihre Satteltaschen; da holten sie Zehrung hervor und aßen sie, auch nahmen sie Wasser heraus und tranken es. Dann ritten sie eilends weiter, ohne Aufenthalt, während der Dämon ihnen voranzog; er hatte sich aber mit ihnen abseits von der Straße gewandt auf einen anderen Weg, der nicht begangen war und der am Ufer des Meeres entlang führte; dort zogen sie immer weiter durch Täler und Steppen, einen ganzen Monat lang. Am einunddreißigsten Tage aber stieg vor ihnen eine Staubwolke empor, die legte der Welt einen Schleier vor, daß der Tag durch ihn sein Licht verlor. Als Hasan die erblickte, war ihm, als ob sein Verstand von ihm wich, und seine Farbe erblich; und nun hörten sie ein furchtbares Getöse. Da wandte die Alte sich zu Hasan und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, das sind die Heere der Inseln von Wâk; sie haben uns eingeholt, und noch in dieser Stunde werden sie Hand an uns legen und uns gefangen nehmen.' Hasan fragte: ,Was soll ich tun, Mütterchen?' Sie antwortete ihm: ,Schlag mit der Rute auf die



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Erde!' Er tat es, und alsbald erschienen vor ihm die sieben Könige, sprachen den Gruß vor ihm und küßten den Boden vor ihm und sagten ihm: ,Fürchte dich nicht und sei nicht betrübt!' Hasan freute sich über ihre Worte und sprach: ,Wohlgetan, ihr Herren der Geister und Dämonen! Jetzt ist eure Zeit gekommen.' Und sie fuhren fort: ,Steig du mit deiner Gemahlin und deinen Kindern und mit ihr, die bei euch ist, auf den Berg hinauf! Lasset uns mit jenen da allein; denn wir wissen, daß ihr im Recht seid, jene aber im Unrecht sind, und Allah wird uns den Sieg über sie verleihen!' Nun saßen Hasan und seine Gattin mit den Kindern und auch die Alte von den Rücken der Rosse ab, entließen die Geistertiere und stiegen den Berghang hinauf. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 828. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan und seine Gattin mit den Kindern und die Alte den Berghang hinaufstiegen, nachdem sie die Rosse entlassen hatten. Darauf rückte die Königin Nûr el-Huda heran mit ihren Heeren zur Rechten und zur Linken, und die Hauptleute ritten ringsumher und stellten Schar auf Schar in Schlachtreihen auf. Da prallten die beiden Heere zusammen, und die Scharen begannen sich ineinander zu rammen, und es sprühten die Feuerflammen; der Tapfere drängte heran, doch es floh der furchtsame Mann; und die Dämonen sprühten aus ihren Mäulern feurige Funken, bis die tiefdunkle Nacht über sie hereingesunken. Da trennte sich Heer von Heer, und beide Scharen kämpften nicht mehr; und nachdem sie die Rücken der Pferde verlassen hatten und sich ihre Ruhestätten auf der Erde zurechtgemacht, wurden die Lagerfeuer entfacht. Nun stiegen die sieben Könige zu



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Hasan hinauf und küßten den Boden vor ihm; er aber eilte ihnen entgegen, dankte ihnen und erflehte vom Himmel den Sieg für sie; dann fragte er sie, wie es ihnen mit dem Heere der Königin Nûr el-Huda ergangen sei. Sie erwiderten ihm: ,Jene werden uns nicht länger als drei Tage standhalten können; wir haben sie heute besiegt und etwa zweitausend von ihnen gefangen genommen, und wir haben viel Volks von ihnen getötet, so viele, daß ihre Zahl nicht gezählt werden kann. Drum sei guten Mutes und weite deine Brust!' Dann verließen sie ihn und gingen zu ihrem Heere hinab, um es zu bewachen. Und sie hielten ihr Lagerfeuer immer in Brand, bis der Morgen sich einstellte und alles mit seinem Licht und Glanz erhellte. Da schwangen sich die Ritter auf die feurigen Rosse und ließen die scharfen Schwerter widereinander tanzen und stachen einander mit den braunen Lanzen. Ja, sie blieben auch die Nacht hindurch auf ihren Rossen, wie zwei Meere, die immer aufeinanderprallten, und des Krieges lodernde Fackel ward unter ihnen in Brand gehalten. Und sie hörten nicht auf zu streiten und aufeinander loszufahren. bis die Heere von Wâk geschlagen waren; da zerbrach ihre Macht, und es sank ihre stolze Pracht; ihre Füße glitten aus, und wohin sie nur flohen, war vor ihnen der Niederlage Graus. Alle wandten den Rücken und konnten ihr Heil nur in der Flucht erblicken. Die meisten von ihnen wurden getötet; die Königin Nûr el-Huda aber ward mit den Großen ihres Reiches und ihren Würdenträgern gefangen genommen. Und als es Morgen ward, traten die sieben Könige vor Hasan hin und errichteten ihm einen Thron aus Marmor, der mit Perlen und Edelsteinen eingelegt war. Nachdem er sich daraufgesetzt hatte, stellten sie einen zweiten Thron auf für seine Gemahlin, die Herrin Manâr es-Sanâ; und jener Thron war aus Elfenbein, belegt mit Gold von



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funkelndem Schein. Sie setzte sich darauf; dann stellten die Geister einen dritten Thron daneben für die alte Schawâhi Dhât ed-Dawâhi, und auch sie ließ sich dort nieder. Danach führten sie die Gefangenen vor Hasan, unter ihnen auch die Königin Nûr el-Huda, der die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und die Füße gefesselt waren. Als nun die Alte sie erblickte, rief sie ihr zu: ,Dein Lohn, du Dirne. du Tyrannin, soll nichts anderes sein, als daß man zwei Hündinnen hungern und zwei Stuten dürsten läßt und dich an die Schweife der Stuten festbindet; dann soll man die Pferde zum Wasser treiben, mit den Hündinnen hinter dir, so daß dir die Haut zerrissen wird; und hernach soll man von deinem Fleisch abschneiden und es ihnen zu fressen geben!' Wie konntest du nur so an deiner Schwester handeln, o du Metze, da sie doch rechtmäßig nach der Vorschrift Allahs und seines Gesandten vermählt war! Im Islam gibt es keine Möncherei, und die Ehe gehört zu den Verordnungen der Propheten, über denen der Friede sei! Und die Frauen sind nur für die Männer geschaffen.' Nun gab Hasan den Befehl, die Gefangenen allesamt töten zu lassen, und die Alte schrie: ,Tötet sie, lasset keinen von ihnen übrig!' Doch als die Prinzessin Manâr es-Sanâ ihre Schwester so gefesselt und gefangen sah, weinte sie über ihre Not und sprach zu ihr: ,Schwester, wer ist es, der uns in unserem eigenen Lande gefangen und besiegt hat?' Jene antwortete ihr: ,Dies ist ein gewaltig Ding, daß dieser Mann, der da Hasan heißt, uns überwältigt hat! Allah hat ihm die Macht über uns und über unser ganzes Reich gegeben, und er hat uns die Könige der Geister besiegt.' Doch ihre Schwester fuhr fort: ,Allah half ihm wider euch nur durch diese Kappe und diese Rute,



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mit deren Hilfe er Gewalt über euch erhalten und euch gefangen genommen hat.' Nûr el-Huda war davon überzeugt und wußte nun, daß Hasan seine Gattin auf diese Weise befreit hatte; und sie demütigte sich vor ihrer Schwester, bis diese in ihrem Herzen Mitleid mit ihr empfand und zu ihrem Gatten Hasan sprach: ,Was willst du mit meiner Schwester tun? Siehe, sie ist in deiner Hand, und sie hat dir doch kein Leids angetan, so daß du sie dafür strafen müßtest.' Hasan erwiderte: ,Daß sie dich quälte, ist genug der Missetat!' Doch sie fuhr fort: ,Für all das Leid, das sie mir angetan hat, soll sie entschuldigt sein. Du aber hast das Herz meines Vaters durch meinen Verlust entflammt, und wie soll es ihm ergehen, wenn er auch noch meine Schwester verliert?' Da sprach Hasan zu ihr: ,Die Entscheidung stehe bei dir! Was du wünschest, das tu!' Nun befahl die Prinzessin Manâr es-Sanâ, alle Gefangenen zu befreien; da wurden ihnen um der Schwester willen die Fesseln gelöst und ebenso der Schwester selbst. Als dies geschehen war, trat Manâr es-Sanâ auf ihre Schwester zu und umarmte sie, und beide weinten miteinander; und nachdem sie sich so eine ganze Weile umschlungen gehalten hatten, sprach die Königin Nûr el-Huda zu ihrer Schwester: ,Liebe Schwester, zürne mir nicht wegen dessen, was ich dir angetan habe!' Und die Herrin Manâr es-Sanâ gab ihr zur Antwort: ,Liebe Schwester, all dies war über mich verhängt.' Dann zog sie ihre Schwester zu sich auf den Thron, und beide plauderten miteinander. Darauf stiftete Manâr es-Sanâ aufs schönste Frieden zwischen der Alten und ihrer Schwester, so daß ihnen beiden das Herz leicht ward. Nun entließ Hasan das Heer, das im Dienste der Rute stand, und dankte allen für das, was sie für ihn getan hatten, um seine Feinde zu besiegen. Und die Herrin Manâr es-Sanâ erzählte ihrer Schwester alles, was sie mit ihrem Gatten Hasan erlebt



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hatte, und alles, was er um ihretwillen erlitten und erduldet hatte, indem sie mit den Worten schloß: ,Liebe Schwester, wer solche Taten getan hat, wer solche Kraft besitzt, wem Allah der Erhabene solchen Heldenmut verliehen hat, daß er in unser Land eindrang, dich gefangennahm, dein Heer in die Flucht schlug und deinem Vater, dem Großkönig, der über alle Könige der Geister herrscht, trotzen konnte, —dem darf sein Recht nicht verkürzt werden.' Nûr el-Huda erwiderte: ,Bei Allah, liebe Schwester, du hast recht in dem, was du mir von den Wundern berichtest, die dieser Mann überstanden hat. Ist das alles nur um deinetwillen geschehen, Schwester?' ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 829. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin, nachdem ihre Schwester ihr von Hasans Heldentum berichtet hatte, zu ihr sprach: ,Bei Allah, diesem Manne darf sein Recht nicht verkürzt werden, zumal ihn solche Tugend ziert. Ist nun das alles nur um deinetwillen geschehene' ,So ist es', erwiderte Manâr es-Sanâ; und dann blieben sie plaudernd beieinander bis zum Morgen. Doch als die Sonne aufging, dachten sie an die Weiterreise und nahmen Abschied voneinander; und Manâr es-Sanâ sagte auch der Alten Lebewohl, nachdem sie ja zwischen ihr und Nûr el-Huda, ihrer Schwester, Frieden gestiftet hatte. Und alsbald schlug Hasan mit der Rute auf den Boden; da erschienen wiederum vor ihm deren Diener, sprachen den Gruß vor ihm und sagten zu ihm: ,Preis sei Allah, daß er dein Herz beruhigt hat! Befiehl uns, was du willst, auf daß wir es für dich rascher als im Augenblick tun!' Er dankte ihnen für ihre Worte, indem er sprach: ,Allah vergelte euch mit Gutem!' Dann fuhr er fort: ,Schirret uns zwei Renner von



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den besten der Rosse!' Sie taten auf der Stelle, was er ihnen geboten hatte, indem sie ihm zwei gesattelte Renner brachten; da bestieg Hasan den einen von beiden und nahm den älteren Sohn vor sich, seine Gattin aber bestieg den anderen und nahm ihren jüngeren Sohn vor sich. Auch die Königin Nûr el-Huda und die Alte stiegen aufs Roß; und nun machten sich alle auf den Weg in ihr Land, Hasan und seine Gemahlin zogen zur Rechten, während die Königin Nûr el-Huda und die Alte den Weg zur Linken einschlugen. Einen ganzen Monat lang ritt Hasan mit seiner Gattin und mit seinen Kindern dahin. Danach erblickten sie eine Stadt und sahen, daß rings um sie Bäume sprossen und Bäche flossen. Und als sie jene Bäume erreichten, stiegen sie von den Rossen ab und wollten der Ruhe pflegen. So setzten sie sich denn nieder, um zu plaudern; doch da kamen plötzlich viele Reiter auf sie zu. Als Hasan die erblickte, sprang er auf und eilte ihnen entgegen; und siehe da, es war König Hassûn, der Herrscher des Kampferlandes und des Kristallschlosses', mit seinem Gefolge. Darauf trat Hasan zu dem König, küßte ihm die Hände und begrüßte ihn; sowie der König ihn erkannte, saß er ab vom Rücken seines Reimers und ließ sich mit Hasan auf die Teppiche unter den Bäumen nieder, nachdem er zuvor ihm den Gruß erwidert und ihm voller Freuden Glück zu seiner sicheren Heimkehr gewünscht hatte. Dann sprach er zu ihm: ,Hasan, erzähle mir, was du erlebt hast, von Anfang bis zu Ende!' Als jener ihm dann alles berichtet hatte, bewunderte König Hassûn sprach zu ihm: ,Mein Sohn, noch niemals ist jemand zu den Inseln von Wâk gelangt und von dort zurückgekehrt außer dir allein; es ist ein wunderbar Ding um dich. Doch Allah sei gepriesen für deine glückliche Heimkehr!' Darauf erhob sich der König und stieg zu



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Pferde; auch befahl er Hasan, aufzusitzen und mit ihm zu reiten. Der tat es; und nun ritten alle weiter, bis sie zur Stadt kamen. Dort zogen sie in das Königsschloß ein, König Hassûn saß ab, und Hasan und seine Gemahlin und seine Kinder kehrten im Hause der Gäste ein. Nachdem sie sich dort niedergelassen hatten, blieben sie drei Tage bei ihm und aßen und tranken, scherzten und waren guter Dinge. Darauf bat Hasan den König Hassûn um Erlaubnis, in seine Heimat zurückkehren zu dürfen; der gab sie ihm, und dann saßen sie auf; Hasan und seine Gattin und seine Kinder und auch der König, und sie ritten zehn Tage miteinander dahin. Als der König umzukehren wünschte, sagte er ihnen Lebewohl, und Hasan und seine Gattin und seine Kinder setzten ihre Reise fort. Einen ganzen Monat zogen sie dahin; und als dieser Monat vollendet war, schauten sie eine große Höhle, deren Boden aus Messing war. Da sprach Hasan zu seiner Gemahlin: ,Sieh die Höhle dort! Kennst du sie?' ,Nein', gab sie zur Antwort; und er fuhr fort: ,In ihr wohnt ein Scheich, Abu er-Ruwaisch geheißen, und dem bin ich zu großem Dank verpflichtet; denn er ist es, durch den ich mit dem König Hassûn bekannt wurde.' Dann erzählte er ihr weiter von Abu er-Ruwaisch, und schon trat der Scheich selber aus dem Eingang zur Höhle heraus. Kaum hatte Hasan ihn erblickt, so sprang er von seinem Renner und küßte dem Alten die Hand; der aber begrüßte ihn und wünschte ihm Glück zu seiner wohlbehaltenen Rückkehr und freute sich seiner: und er nahm ihn bei der Hand, führte ihn in die Höhle und setzte sich dort mit ihm nieder. Als Hasan dem Scheich darauf erzählte, was er auf den Inseln von Wâk erlebt hatte. staunte dieser über alle Maßen, und er sprach: ,O Hasan, wie war es dir möglich, deine Gattin und deine Kinder zu befreien?' Da berichtete er ihm von der Rute und von der Kappe; und



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als Abu er-Ruwaisch deren Geschichte vernommen hatte, sprach er voll Verwunderung: ,O Hasan, mein Sohn, wenn diese Rute und diese Kappe nicht gewesen wären, so hättest du nie deine Gattin und deine Kinder befreien können.' ,So ist es, mein Gebieter!' antwortete ihm Hasan. Doch während sie noch so redeten, klopfte es plötzlich an die Tür der Höhle; der Scheich Abu er-Ruwaisch eilte hin, öffnete die Tür und fand den Scheich 'Abd el-Kuddûs, der auf dem Elefanten reitend angekommen war. Und er trat heran und begrüßte den Gast, umarmte ihn, freute sich seiner über die Maßen und beglückwünschte ihn zu seiner wohlbehaltenen Ankunft. Danach aber sprach der Scheich Abu er-Ruwaisch zu Hasan: ,Erzähle dem Scheich' Abd el-Kuddûs alles, was dir widerfahren ist, o Hasan!' Nun begann Hasan dem anderen Scheich alles zu erzählen, was ihm begegnet war, von Anfang bis zu Ende, bis er zu der Geschichte der Rute und der Kappe gelangte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 830. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan dem Scheich 'Abd el-Kuddûs und dem Scheich Abu er-Ruwaisch, mit dem er plaudernd in der Höhle saß, alles erzählte, was ihm begegnet war, von Anfang bis zu Ende, bis er zu der Geschichte von der Rute und von der Kappe gelangte. Da sprach der Scheich 'Abd el-Kuddûs zu Hasan: ,Mein Sohn, du hast jetzt deine Gattin und deine Kinder befreit, und du hast die beiden Dinge nicht mehr nötig. Wir aber haben dir dazu verholfen, daß du zu den Inseln von Wâk gelangen konntest, und ich habe dir Gutes erwiesen um der Töchter meines Bruders willen. Drum bitte ich dich, sei so gütig und freundlich, mir die Rute zu geben und dem Scheich Abu er-Ruwaisch die Kappe zu schenken!' Als



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Hasan die Worte aus seinem Munde vernommen hatte, senkte er sein Haupt zu Boden; denn er schämte sich zu sagen: ,Ich kann sie euch nicht geben', und er sprach bei sich selber: ,Fürwahr, diese beiden Scheiche haben mir große Güte erwiesen, und nur durch sie ist es mir gelungen, die Inseln von Wâk zu erreichen. Wären sie nicht gewesen, so wäre ich nie in jene Gegenden gekommen, hätte meine Frau und meine Kinder nicht befreit und hätte auch diese Rute und diese Kappe nie erhalten.' So hob er denn sein Haupt wieder empor und sprach: ,Ja, ich will euch beides geben. Doch, meine Gebieter, ich fürchte, der Großkönig, der Vater meiner Gattin, wird mit seinen Truppen mir in mein Land nachziehen, und die werden wider mich streiten; ich aber kann mich ihrer nur durch die Rute und die Kappe erwehren.' Da sprach der Scheich 'Abd el-Kuddûs zu Hasan: ,Mein Sohn, fürchte dich nicht, wir werden hier an dieser Stätte als Wächter und Helfer für dich bleiben; und wenn je einer von dem Vater deiner Gattin kommt, so wehren wir ihn von dir ab. So fürchte denn nichts, ganz und gar nichts im geringsten; hab Zuversicht und gräm dich nicht und atme aus freier Brust; denn dir wird kein Leid geschehen!' Als Hasan diese Worte des Alten vernahm, überkam ihn die Scham, und er gab die Kappe dem Scheich Abu er-Ruwaisch, während er zum Scheich 'Abd el-Kuddûs sprach: ,Begleite mich in meine Heimat; dort will ich dir die Rute geben.' Darüber waren die beiden Alten hocherfreut, und sie rüsteten für Hasan so große Schätze und Reichtümer, daß niemand sie beschreiben kann. Nachdem er dann noch drei Tage bei ihnen geblieben war, verlangte es ihn danach, weiterzureisen, und der Scheich 'Abd el-Kuddûs machte sich bereit, mit ihm zu ziehen. Als darauf Hasan sein Reittier bestiegen und seine Gattin auf das andere gesetzt hatte, pfiff 'Abd el-Kuddûs, und



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siehe, da kam mitten aus der Steppe ein gewaltiger Elefant herbei, der Vorderbeine und Hinterbeine im Trabe hob. Den hielt der Scheich an und bestieg ihn, und nun machte er sich mit Hasan und seiner Gattin und seinen Kindern auf den Weg, während der Scheich Abu er-Ruwaisch in die Höhle zurückging. Die andern aber ritten weiter, indem sie die Länder weit und breit durchquerten, während der Scheich 'Abd el-Kuddûs sie auf den leichten Wegen und den kürzesten Strecken führte, bis sie sich dem Ziele näherten; da freute Hasan sich, weil er nun dem Lande seiner Mutter nahe war und weil auch seine Gattin und seine Kinder ihm zurückgegeben waren. Und wie Hasan sich nun wiederum in jenem Lande sah, nachdem er all jene furchtbaren Schrecken überstanden hatte, pries er Allah den Erhabenen und dankte ihm für seine Güte und Huld und sprach diese Verse:

Vielleicht wird Allah uns in kurzer Zeit vereinen:
Dann ruhn wir eng umschlungen Arm in Arm.
Dann künd ich dir das größte Wunder, das ich schaute,
Und was ich leiden mußte durch der Trennung Harm.
Ich will mein Auge heilen, wenn ich auf dich blicke;
Denn ach, das Herz ist mir von Sehnsucht ganz erfüllt.
Ich barg für dich in meinem Herzen eine Kunde;
Die sei bei unsrem Wiedersehen dir enthüllt!
Wenn auch, was du mir tatest, mich zum Tadel triebe -
Mein Tadel würde enden, und es bleibt die Liebe.

Kaum hatte Hasan diese Verse gesprochen, da schaute er aus, und siehe, schon lagen vor ihnen die grüne Kuppel und der Springbrunnen und das grüne Schloß, und der Wolkenberg ward ihnen aus der Ferne sichtbar. Da sprach der Scheich 'Abd el-Kuddûs zu ihnen: ,O Hasan, freue dich der guten Botschaft; denn heute abend noch wirst du als Gast bei den Töchtern meines Bruders sein!' Dessen freute sich Hasan über die Maßen.



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und ebenso auch seine Gemahlin. Darauf stiegen sie bei der Kuppel ab, ruhten und aßen und tranken; dann stiegen sie wieder zu Pferde und ritten weiter, bis sie sich dem Schlosse näherten. Und als sie dort ankamen, traten die Töchter des Königs, des Bruders von Scheich 'Abd el-Kuddûs, zu ihnen heraus. hießen sie willkommen und begrüßten die Ankommenden, zumal auch ihren Oheim; und der erwiderte ihren Gruß und sprach zu ihnen: ,Ihr Töchter meines Bruders, seht, ich habe den Wunsch eures Bruders Hasan erfüllt, ich habe ihm geholfen, seine Gattin und seine Kinder wiederzugewinnen.' Da eilten die Jungfrauen auf Hasan zu und umarmten ihn voller Freuden; sie wünschten ihm Glück zu seiner wohlbehaltenen Heimkehr und zu seiner Wiedervereinigung mit Gattin und Kindern, und es war ein Tag des Festes für sie alle. Dann trat die jüngste Prinzessin, die Schwester Hasans, noch einmal zu ihm, umarmte ihn und weinte bitterlich; und auch er weinte mit ihr ob der langen Einsamkeit; und sie klagte ihm die Schmerzen, die sie ob der Trennung erduldet hatte, und ihres Herzens Qual, die sie während seines Fernseins erlitten hatte, und sie sprach diese beiden Verse:

Seit deinem Fortgang hat mein Auge nie auf jemand
Geblickt, ohn daß es doch in ihm dein Bildnis sieht.
Ich schloß das Auge nie, ohn dich im Schlaf zu sehen;
Es ist, als wohntest du mir zwischen Aug und Lid.

Und als sie diese Verse gesprochen hatte, freute sie sich über die Maßen, und Hasan sprach zu ihr: ,Liebe Schwester, ich danke für all dies nur dir allein vor deinen Schwestern; möge Allah der Erhabene dir Hilfe und Beistand gewähren!' Dann erzählte er ihr alles, was er auf seiner Fahrt erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende, alles, was er durchgemacht hatte und was ihm von der Schwester seiner Gattin widerfahren war, und



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wie er schließlich seine Gattin und seine Kinder befreien konnte; ferner berichtete er ihr, was er an Wunderdingen und furchtbaren Schrecknissen gesehen hatte und wie sogar die Schwester ihn und seine Gattin und seine Kinder hatte töten wollen. so daß nur Allah der Erhabene sie vor ihr erretten konnte. Dann erzählte er ihr auch die Geschichte der Rute und der Kappe, und wie der Scheich Abu er-Ruwaisch und der Scheich 'Abd el-Kuddûs ihn um beides gebeten hatten, und daß er sie ihnen nur um ihretwillen gegeben habe. Sie dankte ihm für alles und wünschte ihm ein langes Leben; und er rief: ,Bei Allah, ich werde nie vergessen, was du alles an Gutem mir von Anfang bis zu Ende getan hast!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 831. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Hasan, als er zu den Prinzessinnen zurückgekehrt war, seiner Schwester alles erzählte, was er hatte erdulden müssen, und zuletzt sagte: ,Ich werde nie vergessen, was du an mir getan hast von Anfang bis zu Ende.' Da wandte seine Schwester sich zu seiner Gattin Manâr es-Sanâ, umarmte sie und zog ihre Kinder an ihre Brust; darauf sprach sie zu ihr: ,O du Tochter des Großkönigs, hattest du denn kein Mitleid in deinem Herzen, daß du ihn von seinen Kindern trennen und ihm um ihretwillen das Herz mit brennendem Schmerz erfüllen konntest? Wolltest du ihm etwa durch solches Tun den Tod bringen?' Jene aber lächelte und sprach: ,Dies hatte Allah, der Gepriesene und Erhabene, beschlossen; und wer gegen Menschen untreu ist', dem bleibt auch Allah nicht treu!' Dann wurden Speise und Trank aufgetragen und alle aßen und tranken und waren guter Dinge.



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Zehn Tage lang blieb er bei ihnen, und es ward fröhlich geschmaust und getrunken; danach aber machte Hasan sich zum Aufbruch bereit. Nun ging seine Schwester hin und rüstete für ihn solche Schätze und Kostbarkeiten, wie sie niemand beschreiben kann. Und schließlich zog sie ihn an ihre Brust, da es den Abschied galt, und umarmte ihn; und er sprach, indem er an sie dachte, diese Verse:

Der Trost ist immer fern fur die, so lieben;
Durch Abschied wird der Liebe Glück vergällt.
Das Fernsein und die Härte schaffen Kummer;
Der Liebe Opfer stirbt als Glaubensheld.
Wie lange währt die Nacht dem Liebeerfüllten,
Der, fern von der Geliebten, einsam ruht!
Die Tränen rinnen über seine Wangen;
Er spricht: Nimmst du keine Ende, Tränenflut?

Darauf gab Hasan dem Scheich 'Abd el-Kuddûs die Rute; und der freute sich ihrer über die Maßen, dankte ihm für das Geschenk, und nachdem er sie von ihm entgegengenommen hatte, saß er auf und kehrte in seine Heimat zurück. Dann ritten auch Hasan und seine Gemahlin und seine Kinder von dem Schlosse der Jungfrauen fort; und die Prinzessinnen geleiteten ihn zum Abschied und kehrten dann wieder heim. Hasan aber zog weiter, seiner Heimat zu, und er reiste durch das Wüstenland zwei Monate und zehn Tage, bis er bei der Stadt Baghdad, dem Horte des Friedens, ankam. Dort begab er sich zu seinem Hause durch das geheime Tor, das nach der Seite der Wüste und der Steppe lag, und klopfte an die Tür. Seine Mutter hatte, weil er so lange fortblieb, dem Schlafe entsagt und sich ganz der Trauer, den Tränen und Klagen hingegeben, bis sie krank ward, keine Speisen mehr aß und sich nicht mehr am Schlummer erquickte, sondern Tag und Nacht weinte und immer nur den Namen ihres Sohnes nannte; die Hoffnung auf seine Heimkehr



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hatte sie schon aufgegeben. Gerade, als er nun vor der Tür stand, hörte er, wie sie weinte und diese Verse sprach:

Bei Allah. mein Gebieter, heile deinen Kranken!
Sein Leib ist ganz verzehrt, das Herze bricht ihm fast.
Wenn du ein Wiedersehn in deiner Huld gewährest,
So wird der Freund erdrückt von Liebesgnaden last.
Er hofft noch auf Kommen -Allah hat die Macht;
Oft nahet schon das Glück, wenn noch das Unglück wacht.

Kaum hatte sie diese Verse gesprochen, da hörte sie, wie ihr Sohn Hasan vor der Tür rief: ,O liebe Mutter, das Geschick hat uns gnädig wiedervereint!' Als sie seine Worte vernommen hatte, erkannte sie die Stimme und eilte zur Tür, schwankend zwischen Glauben und Unglauben; doch sobald sie die Tür geöffnet hatte, sah sie, wie er und seine Gemahlin mit den Kindern dort standen. Da schrie sie im Übermaß der Freude laut auf und sank ohnmächtig zu Boden. Doch Hasan sprach ihr gütig zu, bis sie wieder zu sich kam und ihn umarmte; dann brach sie in Tränen aus. Darauf aber rief sie ihre Diener und Sklaven und befahl ihnen, all sein Gut ins Haus zu schaffen. Nachdem die all seine Lasten in das Haus getragen hatten, trat auch die Gattin mit den Kindern ein. Da eilte die Mutter Hasans auf sie zu, umarmte sie, küßte ihr das Haupt, küßte ihr die Füße und sprach zu ihr: ,O Tochter des Großkönigs, wenn ich es an dem habe fehlen lassen, was dir gebührt, siehe, so bitte ich Allah den Allmächtigen um Verzeihung.' Dann schaute sie ihren Sohn an und sprach zu ihm: ,Ach, mein Sohn, warum bist du solange fortgeblieben?' Als sie ihn so fragte, berichtete er ihr alles, was er erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Und wie sie seiner Erzählung zugehört hatte, stieß sie einen lauten Schrei aus und fiel ohnmächtig zu Boden, überwältigt von alledem, was ihr Sohn hatte erdulden müssen. Doch er sprach



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ihr liebevoll zu, bis sie wieder zu sich kam; und dann sagte sie: ,Mein Sohn, bei Allah, du hast die Rute und die Kappe voreilig fortgegeben. Wenn du sie behalten und aufbewahrt hättest, so wäre die ganze Welt dein weit und breit. Doch Preis sei Allah, mein Sohn, für deine glückliche Heimkehr mit deiner Gattin und deinen Kindern!' Und nun verbrachten sie die schönste und glücklichste Nacht. Als es wieder Morgen ward, legte Hasan die Kleider ab, die er trug, und hüllte sich in eins der schönsten Gewänder; dann begab er sich auf den Markt und kaufte Sklaven und Sklavinnen, Tuche und wertvolle Dinge, wie Prachtgewänder, Schmucksachen, Teppiche und kostbare Geräte, wie sie keiner der Könige sein eigen nennt. Ferner kaufte er Häuser und Gärten und Güter und mancherlei anderes. Und von nun an lebte er mit seinen Kindern und seiner Gattin und seiner Mutter, indem sie aßen und tranken und glücklich waren. Ja, sie lebten herrlich und in Freuden, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt. Preis sei dem Herrn der sichtbaren und unsichtbaren Welt, dem Lebendigen, Ewigen, der nie dem Tode verfällt!

Ferner wird erzählt


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