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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Die Mühle, die auf dem Grunde des Meeres steht und mahlt

Es waren einmal in alten, alten Zeiten zwei Brüder. Der eine war reich, der andere war arm. Als der Weihnachtsabend kam, hatte der Arme nichts zu essen mehr im Haus, weder Speck noch Brot, und deshalb ging er zu seinem Bruder und bat ihn um ein wenig Weihnachtsessen, in Gottes Namen. Es war wohl nicht das erste Mal, daß der Bruder ihm etwas geben mußte; aber nun wurde es ihm zuviel und nun mochte er ihn nicht mehr leiden.

»Willst du das tun, worum ich dich bitte, so sollst du einen ganzen Schinken haben«, sagte er. Das versprach der Arme sofort und bedankte sich.



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»Da hast du ihn. Fahre damit geradeaus in die Hölle!« sagte der Reiche und warf ihm den Schinken zu.

»Ja, was ich versprochen habe, werde ich halten«, sagte der andere, er nahm den Schinken und ging davon. Er ging und ging den ganzen Tag, und in der Dämmerung kam er an eine Stelle, die prächtig leuchtete. Du wirst sehen, hier ist sie, dachte der Mann mit dem Schinken. Draußen beim Holzplatz stand ein alter Mann mit einem langen weißen Bart und hackte Weihnachtsholz. »Guten Abend!« sagte der Mann mit dem Schinken.

»Gleichfalls guten Abend! Wo willst du hin so spät?« sagte der Mann. »Ich soll zur Hölle. Bin ich hier wohl auf dem rechten Weg?« antwortete der arme Mann.

»Ja, du bist ganz richtig gegangen, die ist hier«, sagte der andere. »Sobald du eingetreten bist, werden sie alle deinen Schinken kaufen wollen, denn Fleisch ist seltene Kost in der Hölle; aber du darfst ihn nur verkaufen, wenn du dafür die Handmühle bekommst, die hinter der Tür steht. Wenn du wieder herauskommst, werde ich dich lehren, sie anzuhalten, das wird nötig sein.«

Ja, der mit dem Schinken dankte für die guten Ratschläge und klopfte beim Teufel an. Als er hineinkam, ging es genauso, wie der alte Mann gesagt hatte. Alle großen und kleinen Teufel umringten ihn wie Ameisen oder Würmer und überboten sich für den Schinken.

»Eigentlich sollten meine Frau und ich ihn zum Weihnachtsschmaus haben, aber wenn ihr so erpicht auf ihn seid, so will ich ihn euch überlassen«, sagte der Mann, »aber wenn ich ihn verkaufe, so will ich dafür die Handmühle haben, die hinter der Tür steht.« Die wollte der Teufel ungern entbehren und feilschte und handelte, aber der Mann blieb fest und so mußte der Teufel sie hergeben.

Als der Mann wieder heraus kam, fragte er den alten Holzhacker, wie er die Mühle anhalten könne, und als er es gelernt hatte, bedankte er sich und lief so schnell er konnte heim. Aber obgleich er sich sputete, kam er doch nicht heim, bevor die Glocke zwölf schlug in der Weihnachtsnacht.

»Wo in aller Welt bist du geblieben?«fragte die Frau, »hier habe ich gesessen Stunde um Stunde und gewartet, und ich habe nichts als zwei Hölzchen, sie kreuzweise unter den Weihnachtsgrützetopf zu legen.«

»Ach, ich konnte nicht eher kommen, ich hatte noch einer Sache nachzugehen, und einen langen Weg hatte ich auch zurückzulegen. Aber nun sollst du sehen!« sagte der Mann und stellte die Mühle auf den Tisch. Zuerst bat er sie, Licht zu mahlen, dann ein Tuch und Essen und Bier



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und alles, was gut war für einen Weihnachtsschmaus; alles, was er sagte, mahlte die Mühle.

Die Frau bekreuzigte sich ein über das andere Mal und wollte wissen, von wem der Mann die Mühle bekommen habe, aber das wollte er nicht sagen. »Das ist doch gleichgültig, woher ich sie habe, du siehst, die Mühle ist gut und das Mühlwasser friert nicht ein«, sagte der Mann. So mahlte er Essen und Trinken und alle guten Dinge zum Weihnachtsfest, und am dritten Tage bat er seine Freunde zu sich, da wollte er ein Gastmahl geben.

Als der reiche Bruder so viele beim Gastmahl versammelt sah, wurde er erbittert und wild, denn er konnte seinem Bruder nichts gönnen. Am Weihnachtsabend bat er mich in Gottes Namen um eine Kleinigkeit, und nun macht er ein Gelage wie ein Graf oder König, dachte er. »Aber wo zum Teufel hast du all diesen Reichtum her«, sagte er zum Bruder. »Hinter der Tür«, sagte der, welcher die Mühle besaß, er kümmerte sich nicht darum, ihm Rechenschaft zu geben.

Aber später am Abend, als er schon einen etwas schweren Kopf hatte, konnte er es nicht mehr für sich behalten, er zeigte ihm die Mühle. »Da siehst du den, der mir meine Reichtümer schafft«, sagte er, und nun ließen sie die Mühle mahlen, der eine und der andere.

Als der Bruder das sah, wollte er auf Tod und Leben die Mühle besitzen. Nach langem Hin und Her sollte er sie dann auch haben, aber dreihundert Taler sollte er dafür geben, und es solle der andere sie haben bis zur Heuernte; »denn wenn ich sie so lange gehabt habe, kann sie mir für viele Jahre etwas mahlen«, dachte der Arme. Man kann sich denken, daß sie in dieser Zeit nicht rostig werden sollte, und als die Heuernte kam, bekam sie der Bruder; aber der andere hatte sich wohl gehütet, ihn zu lehren, wie das Mahlen zu stoppen sei.

Es war abends, als der Reiche sie mit nach Hause nahm, und am Morgen bat er seine Frau, hinter den Mähern das Heu auszubreiten, er würde das zweite Frühstück selbst bereiten, sagte er.

Als es auf die Frühstückszeit zuging, setzte er die Mühle auf den Küchentisch. »Mahle Grütze und Fischlein, und zwar gut und schnell«, sagte der Mann. Und die Mühle begann Grütze und Fischlein zu mahlen, zuerst alle Schüsseln und Tröge voll und danach über den ganzen Küchen fußboden. Der Mann überlegte und quälte sich, die Mühle abzustellen, aber wie er auch an ihr drehte und fingerte, so ließ sich die Mühle doch nicht aufhalten. Beinah war der Brei so hoch, daß der Mann darin ertrank. Er riß die Stubentür auf, aber es dauerte nicht lang, so hatte die Mühle die Stube voll gemahlen. Mit Mühe und Not



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erreichte der Mann die Türklinke in der Grützeüberschwemmung. Als er die Tür aufbekam, blieb er nicht mehr lang im Hause, glaube ich. Er sprang hinaus, und Grütze und Fischlein hinter ihm her, so daß es sich wie ein Wasserfall ergoß über Hof und Felder.

Da erschien es der Frau, welche das Heu ausbreitete, doch recht lang zu dauern, ehe das zweite Frühstück fertig würde. »Wenn auch der Mann uns nicht nach Hause ruft, so wollen wir doch heimgehen, er wird wohl mit dem Grützekochen nicht fertig werden, ich kann ihm dabei helfen«, sagte die Frau zu den Mähern. Sie trollten sich heimwärts, aber als sie über die Hügel kamen, trafen sie auf Grütze, Fischlein und Brot, und der Mann führte die Überschwemmung an.

»Wenn doch jeder hundert hungrige Mägen hätte! Aber paßt auf, daß ihr nicht in Frühstücksgrütze ertrinkt«, schrie er und rannte an ihnen vorbei, als ob ihm der Teufel auf den Fersen sei, bis hinunter, wo der Bruder wohnte. Er bat ihn um Gottes Barmherzigkeit, die Mühle wieder zurückzunehmen, und zwar gleich im Augenblick. »Mahlt sie noch eine Zeitlang fort, so wird der ganze Hof irrsinnig vor lauter Grütze und Fischlein«, sagte er. Aber sein Bruder wollte sie nicht eher zurücknehmen, als bis er ihm noch einmal dreihundert Taler zugezählt hatte. Und das mußte er denn auch.

Nun hatte der Arme beides, Geld und die Mühle, und so wartete er nicht mehr länger damit, sich einen Bauernhof aufzubauen, viel prächtiger als der, den sein Bruder bewohnte. Durch seine Mühle hatte er so viel Gold, daß er alles mit Goldplatten auskleiden konnte, und da der Hof an der Meeresküste lag, so leuchtete es weit über den Fjord hin. Alle, die dort vorbeisegelten, wollten den reichen Mann in dem goldenen Hof begrüßen, und alle wollten sie die eigenartige Mühle sehen, von der weit und breit erzählt wurde, es gab wohl keinen, der noch nicht von ihr gehört hatte.

Eines Tages kam ein Fischer, der die Mühle sehen wollte. Er fragte, ob sie auch Salz mahlen könne. Ja, sie könne auch Salz mahlen, sagte der Besitzer der Mühle. Als der Schiffer das hörte, wollte er mit aller Macht die Mühle haben, koste es was es wolle, denn wenn er die hätte, dachte er, würde er lange Seereisen und Salzladungen sparen. Am Anfang wollte der Mann sie nicht hergeben, aber der Schiffer bat und bat, und zum Schluß verkaufte er sie doch und bekam viele, viele tausend Taler dafür.

Als der Schiffer die Mühle auf den Rücken bekommen hatte, blieb er nicht mehr länger stehen, denn er hatte Angst, sie würde den Mann nach sich ziehen. Er hatte gar keine Zeit, zu erfragen, wie er die Mühle



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anhalten könne. Er trug sie so schnell er konnte in seine Schute, und als er ein Stück weit draußen auf See war, setzte er die Mühle in Gang. »Mahle Salz schnell und gut!« sagte der Schiffer. Ja, die Mühle mahlte Salz, daß es nur so sprühte. Als das Schiff ganz mit Salz gefüllt war, wollte der Schiffer die Mühle anhalten, aber was er auch tat und wie er sich auch bemühte um sie, die Mühle mahlte in einem fort, und der Salzhaufen wuchs höher und höher, und zum Schluß sank das Schiff auf den Meeresgrund hinab.

Da steht nun die Mühle auf dem Meeresgrund und mahlt Salz Tag für Tag, und deswegen ist das Meerwasser so salzig.


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