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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Peik

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten einen Sohn und eine Tochter, die waren Zwillinge. Sie sahen sich so ähnlich, daß man sie nur durch die Kleidung voneinander unterscheiden konnte. Den Sohn nannten sie Peik. Er war zu wenig nütze, solange die Eltern lebten, denn er hatte keinen anderen Gedanken im Kopf, als die Menschen zum Narren zu halten. Er war so voller Possen und Streiche, daß er niemanden in Frieden ließ. Als die Eltern tot waren, wurde es schlimmer und schlimmer. Er wollte nichts tun, verbrauchte nur das, was die Eltern hinterlassen hatten und bekam mit allen Streit. Die Schwester schaffte und arbeitete und schaffte so viel sie nur konnte, aber es reichte nicht aus. Sie sagte ihm, wie dumm und falsch das sei, daß er gar nichts Nützliches tun wolle und fragte ihn: »Wovon sollen wir leben, wenn du alles verbraucht haben wirst?«

»Dann will ich hinaus in die Welt und die Leute für Narren halten«, sagte Peik.

»Auf dich werden sie gerade warten«, sagte die Schwester.

»Ich versuch es einmal«, sagte Peik.

Als alles verzehrt war, verließ Peik den Hof. Er ging und ging, bis er zum Königshof kam. Dort stand der König in der Galerie, und als er den Jungen erblickte, sagte er zu ihm:

»Wo willst du heute hin, Peik?«



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»Ach, ich muß weiter und sehen, ob ich einen zum Narren halten kann.«

»Kannst du mich nicht narren?« sagte der König.

»Nein, das kann ich noch nicht, denn ich ließ mein Narrenstöckchen zu Haus«, sagte Peik.

»Kannst du es nicht holen«, sagte der König. »Ich hätte Lust zu sehen, ob du wirklich solch ein Narrenfant bist, wie das Volk es erzählt.«

»Ich kann nicht gehen«, sagte Peik.

»Ich will dir Pferd und Sattel leihen«, sagte der König.

»Ich kann auch nicht reiten«, sagte Peik.

»Wir werden dich hinaufheben«, sagte der König, »und oben bleiben wirst du ja wohl können.«

Ja, Peik kratzte und schabte sich am Kopf, als ob er sich seinen Schopf abreißen wollte, ließ sich dann aber hinaufheben. Da saß er oben und schlingerte hin und her, und der König lachte, daß ihm die Tränen kamen, denn solch einen Ritter zu Pferde hatte er noch nie gesehen. Aber als Peik in den Wald hinter den Hügel kam, wo der König ihn nicht länger sehen konnte, saß er wie angenagelt und ritt davon, als ob er Gaul und Halfter gestohlen hätte. Und als er zur Stadt kam, verkaufte er beides, Pferd und Sattel.

Der König ging indessen auf und ab und wartete, daß Peik zurück kommen sollte, auf seinem Pferd schlingernd und rutschend, mit dem Narrenstöckchen. Er lachte, wenn er daran dachte, wie jämmerlich er aussah, als er auf dem Pferd saß und schaukelte wie ein Heusack, der nicht wußte, nach welcher Seite er herunterfallen sollte. Aber er wartete lang und kein Peik kam. So schien es dem König schließlich, daß er um Pferd und Sattel genarrt und betrogen sei, obgleich Peik sein Narrenstöcklein nicht bei sich gehabt hatte, - und jetzt pfiff es beim König mit einem anderen Ton: er wurde böse und machte sich sofort auf den Weg, um ihm das Leben zu nehmen. Aber Peik hatte den Tag erfahren, an dem er kommen würde, und er sagte zu seiner Schwester, sie solle einen Topf aufsetzen mit ein paar Tropfen Wasser darin. Zur selben Zeit, als der König kam, riß Peik den Topf vom Feuer - und hinüber auf den Hackklotz mit ihm, und kochte Grütze auf dem Hackklotz.

Der König besah sich das und war dermaßen erstaunt darüber, daß er vergaß, warum er gekommen war.

»Was willst du für den Topf haben«, fragte er.

»Ich kann den Topf nicht entbehren«, sagte Peik.

»Warum kannst du das nicht?« sagte der König, »du sollst dafür haben, was recht und billig ist.«



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»Der Topf spart mir Mühe und Geld, Holzsorgen und Hacklohn, Fahren und Fällen«, sagte Peik.

»Das ist ganz gleich, ich werde dir hundert Taler geben«, sagte der König. »Du hast mich genarrt mit Pferd, Sattel und Zaumzeug, indem du sie verkauft hast. Aber es soll dir vergeben sein, wenn ich den Topf bekomme.«

»Gut, so sollst du ihn haben«, sagte Peik.

Als der König nach Hause kam, lud er Gäste ein und bereitete ein Gastmahl vor. Aber das Essen sollte in dem neuen Topf gekocht werden. Er nahm den Topf und setzte ihn auf den Boden. Die Gäste glaubten, der König sei nicht mehr richtig vernünftig, gingen hin und her, stießen einander an und lachten über ihn. Der König ging um den Topf herum, gackerte und sagte immerzu: »Ja, ja, wart nur ein wenig, ja, ja, wart nur ein wenig, dann kocht er schnell.« Aber es kochte nichts. So dämmerte es ihm, daß Peik draußen war mit seinem Narrenstöckchen und ihn überlistet hatte. Sofort wollte er hinaus und ihn erschlagen.

Als der König kam, stand Peik draußen beim Heustall. »Will es nicht kochen?«fragte er.

»Nein, es will nicht«, sagte der König, »aber nun soll es dir vergolten werden« - und er wollte mit dem Messer auf ihn los.

»Das will ich dir gern glauben, denn du hast nicht den Hackklotz genommen.«

»Soll ich dir glauben, wo du fortfährst zu lügen«, sagte der König.

»Das ist der Hackklotz, auf den es ankommt. Ohne ihn kocht es nicht«, sagte Peik.

»Was willst du dafür haben?«fragte der König.

»Dreihundert Taler ist er gut wert, aber meinetwegen kannst du ihn für zwei haben«, sagte Peik.

So bekam der König den Hackklotz und zog mit ihm ab. Er bat Gäste zu sich und bereitete ein Gastmahl vor. Er setzte Topf und Hackklotz mitten in die Stube. Die Gäste glaubten, daß er toll und albern sei, und gingen nur hin, um sich über ihn lustig zu machen. Er gackerte um den Topf herum: »Wart ein wenig, dann kocht er, wart ein wenig, dann kocht er bald«. Aber er kochte ebensowenig auf dem Hackklotz wie auf dem bloßen Fußboden. So schien es ihm, daß auch diesmal Peik mit seinem Narrenstöckchen draußen war. Er raufte sein Haar und wollte sofort hinaus, ihn töten. Aber diesmal wollte er ihm nicht verzeihen, es gehe wie es wolle.

Doch Peik hatte sich gut vorbereitet, wie er ihn empfangen wolle.



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Er schlachtete einen Widder, füllte etwas Blut in eine Tierhaut und packte es seiner Schwester in den Busen, und er sagte ihr vor, was sie später sagen sollte.

»Wo ist Peik«? schrie der König. Er war so wütend, daß ihm der Schaum vorm Mund stand.

»Er ist so schwach und elend, daß er sich nicht zu rühren vermag«, sagte sie, »er sollte eben versuchen, ein Schläfchen zu machen«.

»Du mußt ihn wecken«, sagte der König.

Nein, das getraue sie sich nicht, denn er sei so hastig.

»Ja, ich bin wohl noch hastiger«, sagte der König, »und wenn du ihn nicht weckst, so werde ich. . .« sagte er und griff an die Seite, wo sein Messer war.

Nein, so würde sie ihn wecken. Aber Peik wandte sich im Bett zornig um, zog ein kleines Messer heraus und ritzte ihr die Tierhaut, sodaß die Blutspritzer nur so aus ihrem Busen drangen. Dann fiel sie nieder auf den Fußboden, als ob sie tot wäre.

»Was für ein Teufel du bist, Peik«, rief der König, »hast du doch deine Schwester erstochen, obwohl der König selbst dabeisteht und es sieht!«

»Das ist nicht so gefährlich mit der Leiche, so lang noch Odem aus meiner Nase strömt«, sagte Peik und holte ein Widderhorn hervor. Auf dem begann er zu tuten. Und als er ein Brautlied getutet hatte, setzte er das Horn bei ihr an und blies wieder Leben in sie hinein.

»Bewahre mich vor dir, Peik. Kannst du jemanden erschlagen und dann wieder Leben in ihn hineinblasen?« sagte der König.

»Ja, was soll ich denn anderes machen«, sagte Peik. »Manchmal erschlage ich einen, der mir zu nahe kommt, denn ich bin so hastig, siehst du.«

»Ja, ich bin auch so hastig«, sagte der König, »deshalb muß ich das Horn haben. Ich werde dir hundert Taler dafür geben, und dir soll verziehen sein, daß du mich mit dem Pferd genarrt hast, und daß du mich mit dem Topf und dem Hackklotz hereingelegt hast und der ganzen Geschichte.«

Peik wäre es schmerzlich, sich von dem Horn zu trennen, aber weil es der König sei, so solle er es schon nehmen. Und so bekam es der König und ritt nach Hause, so schnell er konnte. Kaum war er daheim angekommen, so wollte er es auch sogleich ausprobieren. Er begann zu streiten und zu zanken mit der Königin und seiner ältesten Tochter, aber sie stritten auch und sagten ihm Bescheid, und ehe sie noch wußten, was geschah, zog er das Messer heraus, und mit einigen Stichen



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sandte er sie ins Schattenreich, und die anderen flohen aus dem Zimmer, solche Angst hatten sie.

Der König ging eine Weile hin und her und sprach, das sei nicht so gefährlich mit der Leiche, so lang noch Odem in ihm sei, und all das andere Zeug, was er aus dem Munde Peiks vernommen hatte. Dann kam er mit dem Horn und begann zu tuten und zu blasen, aber so viel er blies und tutete und sich mühte, an diesem Tage und am nächsten Tage, er konnte nicht wieder Leben hineinblasen, sie waren tot und sie blieben tot, Königin und Tochter. Er mußte die Kosten für die Bestattung und obendrein noch viel Bier für den Leichenschmaus bezahlen.

Dann wollte er wieder zu Peik und ihm das Leben nehmen.

Aber Peik hatte heimlich spioniert, er wußte, daß der König kam und sagte zu seiner Schwester: »Nun wirst du mit mir die Kleider tauschen und dann deiner Wege gehen, so kannst du alles haben und nehmen, was wir besitzen.« Also gut, sie tauschte die Kleider mit ihm, packte zusammen und verließ den Hof so schnell sie konnte. Und Peik blieb zurück, allein, in Mädchenkleidern.

»Wo ist Peik«, schrie der König. Er kam ganz bös und barsch zur Tür herein.

»Er ist seiner Wege gegangen«, sagte derjenige, der in den Kleidern seiner Schwester da saß.

»Wäre er jetzt zu Hause gewesen, so hätte ich ihn erschlagen. Es lohnt sich nicht, das Leben einer solchen Krähe zu schonen«, sagte der König.

»Er hatte heimlich spioniert und wußte, daß der König kommen und ihm das Leben nehmen wollte für all seine Narrenstreiche, die er mit ihm getrieben hatte. Aber mich ließ er hier allein zurück, ohne Nahrung, ohne Geld«, sagte Peik und benahm sich zart und fein wie ein Mädchen.

»Komm mit zum Königshof, so sollst du es gut haben. Es hat keinen Wert, hier allein zu sitzen und zu verhungern«, sagte der König.

Ja, das wolle er gerne. Und so nahm der König ihn mit sich. Er ließ ihn alles mögliche lernen und hielt ihn wie seine eigenen beiden Töchter. So hatte also der König wiederum drei Töchter, denn der Peik-Knabe nähte und säumte und lachte und spielte mit den Königstöchtern und war früh und spät mit ihnen zusammen.

Als eine Zeit vergangen war, kam ein Königssohn als Freier zu ihnen.

»Ja, ich habe drei Töchter«, sagte der König, »es steht bei dir, welche du haben willst.«

Er bekam die Erlaubnis, in die Nähstube nach oben zu gehen und mit ihnen zu plaudern und sie kennen zu lernen. Ja, am besten gefiel ihm



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Peik und er warf ihm ein Seidenkleid in den Schoß. Nun begann ein großes Backen und Braten zur Hochzeit und nach einer Weile kamen auch die Verwandten des Prinzen und die Verwandten des Königs. Sie begannen zu feiern und Hochzeitsbier zu trinken. Aber als es am ersten Hochzeitstag auf den Abend zuging, getraute sich Peik nicht mehr länger zu bleiben. Er verließ den Königshof und suchte das Weite, sodaß die Braut nicht mehr zu finden war. Aber das Schlimme war, den beiden Königstöchtern wurde es wund und weh und flugs kamen zwei kleine Prinzen zur Welt. So mußten die Gäste wieder heimreisen mitten im besten Spielen und Hochzeitfeiern.

Der König sorgte sich und war traurig und wunderte sich, wie das alles zusammenhing. Er bestieg sein Pferd und ritt hinaus, denn es war zu ungemütlich, zu Hause zu bleiben. Als er aber aufs Feld hinauskam, saß Peik auf einem Stein und spielte Mundharfe.

»Du sitzt hier, Peik«, sagte der König.

»Ja, gewiß sitze ich hier, wo soll ich denn sonst sitzen«, sagte Peik.

»Nun hast du mich Mal für Mal so grob genarrt«, sagte der König, »nun mußt du mit mir heimkommen, daß ich dich umbringen kann.«

»Ja, das ist schon so«, sagte Peik, »wenn es denn keinen anderen Ausweg gibt, so muß ich wohl mitkommen«.

Als sie auf dem Königshof waren, wurde eine Tonne hergerichtet, in die Peik eingesperrt werden sollte. Als alles fertig war, fuhr man ihn auf einen hohen Berg. Dort sollte er drei Tage lang liegen und darüber nachdenken, was er alles angestellt hatte. Dann sollte er in den Fjord gerollt werden.

Am dritten Tage kam ein reicher Mann vorbei, und Peik saß in der Tonne und sang:

»Zum Himmelreich und Paradies, da soll ich fahren,
Doch will ich nicht, doch will ich nicht zu Engelscharen.«

Als der Mann das hörte, fragte er, was er ihm geben müsse, um an seine Stelle zu kommen.

»Das wird wohl viel sein«, meinte Peik, »denn eine Beförderung ins Himmelreich kann man nicht alle Tage haben.«

Der Mann wollte ihm all seinen Besitz geben, und so schlug er den Boden heraus und kroch in die Tonne an Stelle von Peik.

Als der König kam, um die Tonne in den Fjord zu stoßen, sagte er: »Glück auf die Reise!« Er glaubte, das sei Peik, der da drin war. »Nun rollst du schneller zum Fjord, als in einem Rentierschlitten, und nun ist es aus mit dir und mit deinen Narrenstreichen.« Noch ehe die Tonne halbwegs den Berg hinabrollte, war kein Stab noch Stumpf



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mehr heil an ihr, von dem ganz zu schweigen, der darinnen war. -Als der König heim zum Königshof kam, war Peik vor ihm da, saß auf dem Platze vor der Haustür und spielte Mundharfe.

»Sitzt du da!« sagte der König.

»Ja gewiß sitze ich da, wo soll ich denn sonst sitzen«, sagte Peik. »Kann ich wohl ein Haus hier mieten, für all meine Pferde, für all mein Vieh und für all mein Geld?«

»Wohin wälzte ich dich denn, daß du all diese Reichtümer bekamst?« fragte der König.

»Ach, du rolltest mich zum Fjord«, sagte Peik, »und als ich am Grunde angekommen war, lag alles reichlich da: Pferde und Vieh, Gold und Gut, das ging in Herden und lag in Haufen so groß wie ein Haus.«

»Was willst du haben, wenn du mich denselben Weg rollst?«fragte der König.

»Ach, das kostet nichts mehr«, sagte Peik, »du nimmst nichts von mir, so will ich auch nichts mehr von dir haben.«

Also stopfte er den König in eine Tonne und rollte ihn hinab. Als er ihm freie Fahrt die Berge hinunter gegeben hatte, reiste er heim zu den Königstöchtern. Seitdem regierte er Land und Reich, aber sein Narrenstöckchen verwahrte er, er verbarg es gut, denn man hörte nie mehr etwas von dem Peik-Knaben, sondern nur von dem König selbst.


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