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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Klein-Frikk mit der Fiedel

Es war einmal ein armer Mann, der hatte einen einzigen Sohn. Dieser Junge war aber so schwach und kränklich, daß er nicht schwer arbeiten konnte. Er hieß Frick, und weil er so klein geblieben war, so nannten sie ihn Klein-Frikk. Zu Hause hatten sie nichts zu beißen und zu brechen, deshalb ging sein Vater zur Stadt und wollte ihn als Hütebub oder Laufburschen verdingen. Aber niemand wollte seinen Jungen haben, bis er endlich zum Lehnsmann kam. Der wollte ihn nehmen, denn er hatte kürzlich seinen Laufburschen weggejagt, und niemand wollte wieder zu ihm, denn von ihm ging die Rede, daß er ein schwarzer Rabe sei. Es ist besser irgend einen Herrn zu haben, als gar keinen, dachte der arme Mann. Und Essen und Trinken bekam Klein-Frikk beim Lehnsmann. Ober Lohn und Kleidung wurde nicht gesprochen.

Als aber der Junge drei Jahr bei ihm gedient hatte, wollte er wieder wandern, und der Lehnsmann gab ihm den Lohn auf einmal. Er solle für jedes Jahr einen Schilling haben, weniger könne es nicht sein, meinte der Lehnsmann, und so bekam er alles in allem drei Schillinge. Klein-Frikk schien es viel Geld zu sein, denn er hatte niemals so viel besessen. Aber er fragte, ob er nicht mehr bekommen könnte.

»Du hast mehr bekommen, als du eigentlich solltest«, antwortete der Lehnsmann.

»Sollte ich nicht noch etwas für Kleidung bekommen«, fragte Klein-Frikk, »denn die ich hatte als ich herkam, ist im Dienst zerschlissen, und ich habe keine neue bekommen. Nun bin ich so abgerissen, daß alles um mich in Fetzen hängt.«

»Du hast alles bekommen, was vereinbart war, und obendrauf noch drei Schilling, also bin ich dir nichts weiter schuldig«, sagte der Lehnsmann. Aber er bekam die Erlaubnis, in die Küche zu gehen und sich etwas Mundvorrat in seine Wandertasche geben zu lassen. So machte er sich denn auf den Weg zur Stadt, um sich Kleidung zu kaufen. Er war lustig und glücklich, denn er hatte niemals vorher einen Schilling



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gesehen, und so geschah es, daß er nachzählte, ob er auch noch alle drei hatte.

Als er eine lange Zeit gewandert war, sogar länger als lang, kam er in ein enges Tal mit hohen Bergen an allen Seiten, so daß es ihm schien, er könne nimmer recht vorwärts kommen. Es nahm ihn wunder, was wohl auf der anderen Seite der Berge sei, und wie er wohl hinüberkommen sollte.

Hinüber mußte er, und so machte er sich auf den Weg. Er mühte sich eine Zeitlang, dann mußte er wieder ausruhen, und dabei rechnete er nach, wieviel Geld er hatte.

Als er oben auf die Höhe kam, fand er nichts weiter vor, als eine weite, moosige Bergheide. Da setzte er sich nieder und wollte sehen, ob er noch alle seine Schillinge beisammen hatte. Aber bevor er es wußte, kam ein armer Mann auf ihn zu, der war so groß und lang, daß Klein-Frikk zu schreien begann, als er sah, wie groß und lang er war.

»Hab keine Angst, du«, sagte der Bettler, »ich tue dir nichts, ich bitte dich nur in Gottes Namen um einen Schilling.«

»Bewahre mich«, sagte der Junge, »ich besitze nur drei Schillinge, damit muß ich zur Stadt und Kleidung für mich kaufen.«

»Ich bin schlimmer dran als du«, sagte der Bettler, »ich habe gar keinen Schilling und bin zerlumpter als du.«

»Ja, so sollst du ihn haben«, sagte der Junge.

Er ging eine Weile weiter, wurde wieder müde und setzte sich nieder, um auszuruhen. Als er aufblickte, war wieder ein Bettler bei ihm, aber der war noch größer und häßlicher als der erste. Als der Junge ihn richtig ansah, wie groß, häßlich und lang er war, begann er zu schreien.

»Hab keine Angst vor mir, ich tue dir nichts, ich bitte dich nur in Gottes Namen um einen Schilling«, sagte der Bettler.

»Bewahre mich«, sagte der Junge, »ich besitze nur noch zwei Schillinge, und damit muß ich in der Stadt Kleidung für mich kaufen. Hätte ich dich früher getroffen .

»Das ist schlimmer für mich als für dich«, sagte der Bettler, »ich besitze keinen Schilling und habe einen größeren Körper und schlechtere Kleidung.«

»So sollst du ihn haben«, sagte der Junge.

Er wanderte wieder eine gute Strecke, bis er müde wurde und sich setzte, um auszuruhen. Kaum hatte er sich niedergesetzt, so kam wieder ein Bettler zu ihm, aber dieser war so groß und häßlich und lang, daß der Junge aufwärts und immer aufwärts schaute bis in den höchsten



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Himmel hinauf, und als er sah, wie groß, wie häßlich und zerlumpt er war, begann er zu schreien.

»Habe keine Angst, mein Junge«, sagte der Mann, »ich tue dir nichts, ich bin nur ein Bettler, der dich um einen Schilling bittet in Gottes Namen.«

»Bewahre mich«, sagte Klein-Frikk, »ich habe nur noch einen Schilling, mit dem muß ich zur Stadt und Kleidung dafür kaufen. Hätte ich dich früher getroffen .«

»Ja, ich habe gar keinen Schilling, aber einen größeren Körper und schlechtere Kleidung, also steht es schlimmer um mich als um dich«, sagte der Bettler.

»So sollst du den Schilling haben«, sagte Klein-Frikk, »da ist nichts zu machen.«Jeder hatte seinen, nur er hatte keinen mehr.

»Weil du ein so gutes Herz hast und alles, was du besaßest, weggeschenkt hast«, sagte der Bettler, so kann ich dir für jeden Schilling einen Wunsch erfüllen.«Es war immer derselbe Bettler gewesen, der alle drei Schillinge empfangen, nur sich jedesmal verwandelt hatte, damit ihn der Junge nicht wiedererkennen sollte.

»Ich hatte stets solch eine große Lust darauf, eine Fiedel klingen zu hören und zu sehen, wie die Menschen glücklich und lustig beim Tanzen sind«, sagte Klein-Frikk. »Kann ich also wünschen, was ich will, so möchte ich eine Fiedel, welche die Eigenschaft hat, daß alles, was lebt, nach ihrer Weise tanzen muß.«

Die solle er bekommen. Aber das sei ein armseliger Wunsch, sagte der Bettler, »du mußt besser wünschen für die anderen Schillinge.«

»Ich hatte stets solch Verlangen, zu jagen und zu schießen«, sagte Klein-Frikk, »darf ich mir wünschen, was ich will, so möchte ich eine Flinte, mit der ich alles treffe, was ich will und sehe, und wäre es auch noch so weit weg.«

»Die sollst du bekommen. Aber das ist ein armseliger Wunsch«, sagte der Bettler, »für den letzten Schilling mußt du besser wünschen.

»Ich hatte stets das Verlangen, mit freundlichen, gutherzigen Menschen zusammen zu sein«, sagte Klein-Frikk. »Bekomme ich das, was ich wünsche, so möchte ich, daß niemand mir das erste, worum ich ihn bitte, verweigern kann.«

»Dieser Wunsch war gar nicht so dumm«, sagte der Bettler und damit ging er langsam davon und verschwand hinter den Hügeln. Der Junge legte sich schlafen, und am nächsten Tag stieg er mit seiner Fiedel und seiner Flinte aus den Bergen herab und kam in die Stadt.



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Zuerst ging er zum Krämer und bat um Kleidung, und auf einem Bauerhof bat er um ein Pferd, und bei einem anderen bat er um einen Schlitten, und beim nächsten bat er um einen Pelz, - niemand konnte nein zu ihm sagen. Jeder gab ihm das, worum er bat, keiner zeigte sich knauserig. Schließlich fuhr er durch die Lande als ein stattlicher, feiner Mann und hatte beides, Pferd und Schlitten.

Als er eine Weile gereist war, traf er den Lehnsmann, dem er gedient hatte. »Guten Tag, Hausherr«, sagte Klein-Frikk mit der Fiedel, hielt an und grüßte.

»Guten Tag«, sagte der Lehnsmann, »war ich dein Hausherr?«fragte er.

»Ja, kannst du dich nicht erinnern, daß ich dir drei Jahre lang diente für drei Schillinge?« sagte Klein-Frikk.

»Gott bewahre mich, du hast dich aber beeilt, voranzukommen«, sagte der Lehnsmann, »wie ist das denn zugegangen, daß du jetzt so ein feiner Kerl bist?«

»Ja, das ist nun mal so«, sagte der Kleine.

»Bist du so lustig, daß du auch eine Fiedel mit auf die Fahrt nimmst?«fragte der Lehnsmann.

»Ja, ich hatte stets im Sinn, die Menschen tanzen zu lassen«, sagte der Kleine. »Aber das feinste, was ich habe, ist die Flinte hier, denn alles, worauf ich mit ihr ziele, treffe ich, und sei es auch noch so weit weg. Siehst du die Krähe, welche ganz hinten im obersten Tannenwipfel sitzt?«fragte der Kleine. »Was wettest du, daß ich sie herunter hole.« Ja, das wollte der Lehnsmann gerne sehen. Er würde Pferd und Hof und hundert Taler dagegen wetten, daß er es nicht fertig brächte. Ja, aber er müsse alles Geld, was er bei sich habe, einsetzen. Und holen müsse er die Krähe auch, wenn sie fiele. - Doch der Lehnsmann glaubte niemals, daß Klein-Frikk sie mit seiner Flinte treffen könne.

In demselben Augenblick, in dem es knallte, fiel die Krähe auch schon herunter in ein Hagebuttengebüsch. Der Lehnsmann ging hin, suchte nach ihr im Gebüsch, hob sie auf und wollte sie Klein-Frikk geben. Sogleich begann dieser die Fiedel zu streichen, und der Lehnsmann mußte tanzen, obgleich die Dornen ihn festhielten. Und der Kleine spielte und der Lehnsmann tanzte und weinte und bat, bis seine Kleider in Fetzen von ihm abfielen und er kaum noch einen Faden auf dem Leib hatte.

»Ja, nun denke ich, bist du genau so zerlumpt, wie ich es war, als ich aus deinen Diensten schied«, sagte der Junge, »nun magst du so



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davonkommen.« Aber zuerst mußte der Lehnsmann ihm noch geben, was er gewettet hatte. Als der Junge zur Stadt kam, zog er in ein Wirtshaus. Er spielte, und alle, die hereinkamen, tanzten. Er lebte lustig und gut, er brauchte sich um nichts zu sorgen, denn niemand konnte nein sagen, wenn er um etwas bat.

Aber als er im besten Spielen war, kamen Amtsdiener und brachten den Jungen in das Rathaus, denn der Lehnsmann hatte ihn verklagt: Klein-Frikk habe ihn überfallen und ausgeplündert und ihm beinah das Leben genommen. Und dafür solle er gehängt werden, da nützte kein Bitten. Aber Klein-Frikk hatte Trost für alles Ungemach, und das war seine Fiedel. Er begann darauf zu spielen, und die Wächter mußten tanzen, bis sie dalagen und nach Luft schnappten. Da wurden Soldaten zur Bewachung geschickt, aber denen ging es nicht besser als den Wächtern. Sobald Klein-Frikk die Fiedel hervorzog, mußten sie tanzen, so lange er zu spielen vermochte.

Schließlich lauerten sie ihm auf und nahmen ihn gefangen, als er schlief, in der Nacht, und als sie ihn endlich hatten, wurde er verurteilt, sogleich gehängt zu werden, und man führte ihn gleich zum Galgen hinaus. Da strömte eine Menge Volk zusammen, die alle dieses Wunder sehen wollten. Der Lehnsmann war auch dabei, und er war so seelenvergnügt, daß er sich jetzt rächen konnte für das verlorene Geld und das Geschundensein, und zusehen, wie sie ihn hängten.

Aber so schnell ging das nicht, denn Klein-Frikk war schwächlich, konnte nicht so schnell laufen, und er stellte sich noch schwächlicher als er war. Fiedel und Flinte trug er auch noch bei sich, denn es war nicht gut, sie herzugeben. Als er nun zum Galgen kam und ohne sie die Leiter erklimmen mußte, verweilte er auf jeder Sprosse. Auf der obersten setzte er sich und fragte, ob sie ihm einen einzigen Wunsch verweigern könnten, ob er wohl die Erlaubnis bekommen könne für eine einzige Sache: Er hätte solche Lust, ein Stücklein auf seiner Fiedel zu spielen, bevor sie ihn hängten. Nein, das wäre ja Sünde und Schande, ihm das zu verweigern, sagten sie. Keiner sagte nein, als er darum bat. Allein der Lehnsmann riet, daß sie ihm um Gottes Willen nicht die Erlaubnis geben sollten, auch nur eine Saite zu berühren, sonst wäre es aus mit ihnen allen. Sollten sie ihm aber doch die Erlaubnis geben, so wolle er selbst sich erst an die Birke dort festbinden lassen, welche da stand. -Klein-Frikk war nicht faul; als er die Fiedel bekam, begann er zu spielen, und alle Menschen, die da waren, begannen zu tanzen, einerlei ob sie nun zu zweit oder zu viert gingen, ob es der Richter oder der Priester war, der Schreiber oder der Schulze; der



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Lehnsmann oder der Henker oder Hund und Schwein. Alle tanzten und johlten und lachten durcheinander. Manche tanzten bis sie halb tot dalagen, andere tanzten bis sie im Schweiß zusammenbrachen. Toll ging es mit allen. Aber am schlimmsten erging es dem Lehnsmann, denn er war an der Birke festgebunden und tanzte und scheuerte sich große Stücke seines Rückens an dem Stamme ab.

Niemand dachte noch daran, Klein-Frikk etwas zu tun, und er ging mit seiner Fiedel und mit seiner Flinte davon, wohin er wollte. Ihm ging es zeitlebens gut, denn niemand konnte nein sagen, wenn er ihn das erste Mal um etwas bat.


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