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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEN BEIDEN SCHWESTERN, DIE IHRE JÜNGSTE SCHWESTER BENEIDETEN'

In alten Zeiten und in längst entschwundenen Vergangenheiten lebte einst ein König von Persien, Chusrau Schah geheißen; der war berühmt wegen seiner Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit. Sein Vater, der in hohem Alter gestorben war, hatte ihn als einzigen Erben des ganzen Reiches hinterlassen, und unter seiner Herrschaft tranken Tiger und Zicklein nebeneinander aus derselben Tränke'; und sein Schatz war stets gefüllt, und seine Truppen und Wachen waren ohne Zahl. Nun war es seine Gewohnheit, sich zu verkleiden und, von einem zuverlässigen Wesir begleitet, des Nachts durch die Straßen zu wandern. So kamen ihm zur Kenntnis Seltsamkeiten und sonderbare Begebenheiten; und weilte ich sie dir alle erzählen, o glücklicher König, so würden sie dich über die Maßen ermüden.

Er setzte sich also auf den Thron seiner Vorväter, und als die festgesetzten Tage der Trauer verstrichen waren, gemäß der Sitte jenes Landes, ließ er seinen erhabenen Namen, das ist Chusrau Schâh, auf alle Münzen des Königreichs prägen und in die Fürbitte im Freitagsgebet aufnehmen. Und als er in seiner Herrschaft gefestigt war, ging er eines Abends fort wie früher, begleitet von seinem Großwesir, und beide wanderten, als Kaufleute verkleidet, durch die Straßen und Gassen. über die Plätze und Märkte, um besser zu erfahren, was an Gutem und an Schlechtem vor sich ging. Als die Nacht zu dunkeln begann, kamen sie zufällig durch ein Stadtviertel, in dem Leute



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ärmeren Standes wohnten; und wie sie so dahinschritten, hörte der Schâh drinnen in einem Hause Frauen mit lauten Stimmen reden. Er trat näher und spähte hinein durch einen Türspalt, und da sah er drei schöne Schwestern, die zu Nacht gegessen hatten und nun beisammen auf einem Diwan saßen und miteinander plauderten. Der König legte sein Ohr an den Spalt und lauschte aufmerksam auf das, was sie sagten; und er hörte, wie eine jede von ihnen erzählte, was sie sich am meisten wünschte. Die älteste sagte: ,Ich wollte, ich wäre vermählt mit dem Hofbäcker des Schahs, denn dann hätte ich immer Brot zu essen, das weißeste und feinste der Stadt, und eure Herzen würden sich füllen mit Neid und Eifersucht und Bosheit ob meines Glücks.' Die zweite aber sagte: ,Ich möchte lieber dem Hofkoch des Schâhs vermählt sein und von den leckeren Gerichten essen, die Seiner Hoheit vorgesetzt werden; denn mit ihnen kann sich das königliche Brot, das im ganzen Palast verteilt wird, an Wohlgeschmack und Würzigkeit nicht messen.' Die dritte und jüngste von den dreien, die bei weitem die schönste und anmutigste von allen war, eine Maid von bezauberndem Wesen, voller Witz und Laune, scharfsinnig, wachsam und weise - die sprach, als die Reihe an sie kam, ihren Wunsch zu nennen: ,Meine Schwestern, mein Ehrgeiz ist nicht so niedrig wie der eure. Mir liegt nichts an feinem Brot, noch auch sehne ich mich wie ein Schlemmer nach leckeren Gerichten. Mein Blick ist auf etwas Edleres und Höheres gerichtet; ja fürwahr, ich möchte mir nichts Geringeres wünschen, als daß der König mich zur Gemahlin nähme und daß ich die Mutter eines schönen Prinzen würde, der vollkommen wäre an Gestalt und in seiner Gesinnung ebenso stolz wie tapfer. Sein Haar müßte auf der einen Seite golden und auf der anderen silbern sein; wenn er weint, so müßte er Perlen statt Tränen vergießen,



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und wenn er lacht, so müßten seine rosigen Lippen frisch sein wie eine eben aufgebrochene Blüte.' Der Schâh erstaunte über die Maßen, wie er die Wünsche der drei Schwestern vernahm. besonders aber den der jüngsten, und er beschloß bei sich selber, alle drei Wünsche zu erfühlen. Deshalb sprach er zum Großwesir: ,Merke dir dies Haus genau, und morgen bringe diese Mädchen, die wir haben reden hören, vor meinen Thron!' Und der Wesir erwiderte: ,O Zuflucht des Weltalls, ich höre und gehorche!' Darauf kehrten die beiden zum Palaste zurück und legten sich nieder, um zu ruhen.

Als es Morgen ward, ging der Minister zu den Schwestern und brachte sie vor den König; der grüßte sie und sagte freundlich zu ihnen, nachdem er ihren Herzen Mut zugesprochen hatte: ,Ihr guten Mädchen, was habt ihr gestern nacht in lustigen Worten und im Scherz zueinander gesagte Gebt acht, daß ihr dem Schâh jede Einzelheit genau erzählt; denn uns muß alles bekannt werden! Einiges haben wir schon gehört, aber jetzt wünscht der König, daß ihr euer Gespräch vor seinen königlichen Ohren ausführlich berichtet.' Auf diese Worte des Schahs wagten die Schwestern, verwirrt und schamerfüllt, nicht zu antworten, sondern sie standen schweigend und gesenkten Hauptes vor ihm; und trotz aller Fragen und aller Ermutigung vermochten sie sich kein Herz zu fassen. Da die jüngste aber von überragender Schönheit an Gestalt und Gesicht war, so ward der Schâh alsbald von heißer Liebe zu ihr ergriffen; und in seiner Liebe begann er ihnen wieder Mut zuzusprechen, indem er sagte: ,O ihr Herrinnen der Schönen, fürchtet euch nicht und seid unbesorgt! Scham und Schüchternheit soll euch nicht hindern, dem Schâh zu erzählen, welche drei Wünsche ihr tatet; denn er will sie gern alle erfüllen.' Da warfen sie sich ihm zu Füßen, und nachdem sie ihn um



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Vergebung ob ihrer Kühnheit und freien Rede angefleht hatten, erzählten sie ihm die ganze Unterhaltung, und eine jede wiederholte den Wunsch, den sie getan hatte. Und noch am selben Tage vermählte Chusrau Schâh die älteste Schwester mit seinem Hofbäcker und die zweite mit seinem Hofkoch, und er befahl, alles zu rüsten für seine Vermählung mit der jüngsten Schwester. Als nun die Vorbereitungen für die königliche Hochzeit in kostbarster Weise getroffen waren, ward die Vermählung des Königs mit fürstlichem Prunk und Pomp gefeiert, und die junge Gemahlin erhielt die Titel ,Licht des Harems' und ,Herrin des Landes Iran'. Ebenso feierten die anderen beiden Mädchen ihre Vermählung, die eine mit dem Bäcker des Königs, die andere mit dem Hofkoch, wie es ihrem verschiedenen Stand im Leben entsprach, und dabei ward weniger Prunk und Gepränge entfaltet.

Nun wäre es nur recht und verständig gewesen, wenn diese beiden, da doch eine jede von ihnen ihren Wunsch erreicht hatte, ihr Leben in Fröhlichkeit und Glück verbracht hätten; doch des Schicksals Beschluß bestimmte es anders. Denn sobald sie sahen, zu welch hoher Stellung ihre jüngste Schwester emporgestiegen war und mit welcher Pracht ihre Hochzeit gefeiert 'wurde, da entbrannten ihre Herzen vor Neid und Eifersucht und bitterem Ärger, und sie beschlossen, ihrem Haß und ihrer Bosheit die Zügel schießen zu lassen und der Schwester ein arges Unheil anzutun. So lebten sie viele Monate dahin, bei Tag und Nacht von Groll verzehrt; ja, sie brannten vor Kummer und Zorn, sooft sie das geringste davon sahen, daß ihrer Schwester Stand und Stellung höher war. Eines Morgens nun, als die beiden sich im Badehause trafen und dort eine Gelegenheit zu heimlicher Rede fanden, sprach die älteste Schwester zu der zweiten: ,Es ist wirklich abscheulich, daß sie, unsere



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jüngste Schwester, die nicht schöner ist als wir, so zu der Würde und Majestät einer Königin emporgehoben werden konnte; wahrhaftig, der Gedanke ist zu schwer zu ertragen.' ,Ach, Schwester mein,' erwiderte die andere, ,ich bin auch so todunglücklich darüber, und ich weiß gar nicht, was für Vorzüge der Schâh in ihr gesehen haben mag, daß es ihm überhaupt in den Sinn kam, sie zu seiner Gemahlin zu machen. Sie paßt schlecht zu der hohen Stellung, sie mit ihrem Affenangesicht; und außer ihrer Jugend wüßte ich nichts, was sie Seiner Hoheit empfehlen konnte, daß er sie so über ihresgleichen erhöhte. Meiner Ansicht nach wärest du, nicht sie, würdig, das Bett des Königs zu teilen; und ich hege einen Groll gegen den König, weil er diese Dirne zu seiner Königin gemacht hat.' Da hub die älteste Schwester wieder an: ,Ich muß mich auch über alle Maßen wundern; und ich schwöre, deine Jugend und Schönheit, dein wohlgestalteter Wuchs und dein liebliches Antlitz und deine glänzenden Gaben, die über jeden Vergleich erhaben sind, hätten wohl genügen können, um den König zu gewinnen, und hätten ihn veranlassen sollen, sich mit dir zu vermählen und dich für sein Bett zu wählen und dich zu seiner gekrönten Königin und herrschenden Gebieterin zu machen, anstatt diese elende Buhlerin in seine Arme zu nehmen. Wirklich, er hat gezeigt, daß er keinen Sinn hat für das, was recht und billig ist, da er dich verschmähte; und nur deshalb betrübt mich das Ganze so unsagbar.' Darauf berieten die beiden Schwestern miteinander, wie sie ihre jüngste Schwester in den Augen des Schâhs erniedrigen und ihren Sturz und ihr völliges Verderben herbeiführen könnten. Tag und Nacht sannen sie darüber nach und sprachen des langen darüber, sooft sie sich nur trafen; und sie dachten zahllose Pläne aus, um ihrer Schwester, der Königin, zu schaden und sie womöglich



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zu Tode zu bringen; doch sie konnten sich zu keinem entschließen. Während die beiden also diesen Grimm und Haß wider sie hegten und mit emsigem Eifer nach Mitteln suchten, um ihrem bitteren Neid und Haß und Groll Genüge zu tun, sah jene sie hingegen stets mit der gleichen Liebe und Zärtlichkeit an, wie sie es vor der Hochzeit getan hatte, und sie war nur darauf bedacht, wie sie jene aus ihrem niederen Stande erheben könnte. Als nun einige Monate seit ihrer Hochzeit verstrichen waren, zeigte es sich, daß die schöne Königin guter Hoffnung war; diese frohe Botschaft erfüllte den Schah mit Freude, und er befahl sofort allem Volke in der Hauptstadt und im ganzen Reiche, ein Fest zu feiern mit Gelagen und Tänzen und allerlei Lustbarkeiten, wie es sich für ein so seltenes und wichtiges Ereignis geziemte. Sobald aber die Nachricht den beiden neidischen Schwestern zu Ohren kam, sahen sie sich gezwungen, der Königin ihre Glückwünsche darzubringen; und als die beiden nach einem langen Besuch im Begriffe waren, Abschied zu nehmen, sagten sie: ,Preis sei Allah dem Allmächtigen liebe Schwester, daß er uns diesen glücklichen Tag hat erleben lassen! Um eine Gnade aber möchten wir dich bitten, und die ist, daß wir, wenn die Zeit deiner Entbindung von dem Kinde gekommen ist, dir als Wehmütter zur Seite stehen und dann vierzig Tage lang bei dir sein und dich pflegen dürfen.' In ihrer Freude gab die Königin zur Antwort: ,Liebe Schwestern, gern hätte auch ich es so; denn zu einer Zeit solcher Not wüßte ich niemanden, auf den ich mich so verlassen könnte wie auf euch. In meiner künftigen Heimsuchung wird mir eure Gegenwart höchst willkommen und gelegen sein; aber ich kann nur tun, was der Schâh gebietet, und nichts kann ich ohne seine Erlaubnis tun. Mein Rat ist dieser: Macht eure Gatten, die stets Zutritt zum König



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haben, mit diesem Wunsche bekannt, und laßt sie selbst um eure Berufung als Wehmütter bitten! Ich zweifle nicht daran, daß der Schâh euch die Erlaubnis geben wird, mir beizustehen und bei mir zu bleiben, zumal wenn er die zärtlichen Bande der Verwandtschaft zwischen uns dreien erwägt.' Dann kehrten die beiden Schwestern heim, voll arger Gedanken und Tücke, und sprachen zu ihren Gatten von ihren Wünschen, und die wiederum sprachen mit Chusrau Schâh, indem sie ihre Bitte in aller Demut vortrugen, ohne zu ahnen, was im Schoße des Schicksals für sie verborgen war. Der König antwortete: ,Wenn ich mir die Sache in meinem Sinn überlegt habe, werde ich euch die entsprechenden Befehle erteilen.' Nachdem er so gesprochen hatte, begab er sich allein zur Königin und sprach zu ihr: ,Meine Herrin, wenn es dir beliebt, so wäre es, dünkt mich, gut, deine Schwestern zu berufen und sich ihrer Hilfe zu versichern für die Zeit, wenn du in Kindesnöten bist, anstatt Fremde zu nehmen; und wenn du derselben Meinung bist wie ich, so laß es mich jetzt gleich wissen, damit ich Schritte tun kann, um ihre Einwilligung und ihr Einverständnis zu erlangen, ehe deine Zeit erfüllt ist. Sie werden dich mit liebevollerer Sorgfalt pflegen als irgend eine gemietete Wartefrau, und du wirst dich in ihren Händen sicherer fühlen.' ,Mein Herr und Schâh,' erwiderte die Königin, ,auch ich wage zu glauben, daß es gut wäre, wenn ich in einer solchen Stunde meine Schwestern zur Seite hätte und nicht ganz Fremde.' So sandte er denn den beiden Bescheid, und sie wohnten von dem Tage an im Palaste, um alles für die erwartete Niederkunft zu rüsten; und auf diese Weise fanden sie Mittel und Wege, ihren boshaften Plan auszuführen, den sie schon seit so vielen Tagen geschmiedet hatten, ohne zum Ziele zu gelangen. Als nun ihre volle Zahl der Monde erfüllet war, genas die Herrin eines



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wunderbar schönen Knaben; darüber entbrannte das Feuer des Neides und Hasses im Herzen der Schwestern mit doppelter Wut. Und wiederum berieten sie sich und ließen kein Erbarmen, keine natürliche Liebe in ihre grausamen Herzen dringen; vielmehr hüllten sie mit großer Sorgfalt und Heimlichkeit das neugeborene Kind sofort in ein Stück von einer Decke, legten es in einen Korb und warfen es in einen Kanal, der dicht unter dem Gemach der Königin dahinfloß. Dann legten sie einen toten jungen Hund an die Stelle des Prinzen und zeigten ihn den anderen Wehmüttern und Wartefrauen, indem sie behaupteten, die Königin hätte eine solche Mißgeburt zur Welt gebracht. Als diese schlimme Nachricht dem König zu Ohren kam, ward er tief bekümmert und von wildem Grimm ergriffen. Dann, in plötzlich aufwallender Wildheit, zog er sein Schwert, und er hätte seine Königin erschlagen, wenn nicht der Großwesir, der damals gerade bei ihm war, seinen Zorn zurückgehalten und ihn von seinem ungerechten Plan und grausamen Vorsatz abgebracht hätte. Er sagte nämlich: ,O Schatten Allahs auf Erden, dies Unglück war vorherbestimmt durch den allmächtigen Herrn, dessen Willen kein Mensch sich zu widersetzen vermag. Die Königin ist frei von jeder Schuld wider dich, denn was sie geboren hat, ist ohne ihre Wahl zur Welt gekommen, sie hat wahrlich nichts dazu getan.' Mit solchen und anderen klugen Ratschlägen brachte er seinen Herrn davon ab. seinen mörderischen Plan auszuführen, und so rettete er die schuldlose Königin vor einem plötzlichen und grausamen Tode.

Inzwischen ward der Korb, in dem der neugeborene Prinz lag, von der Strömung in einen Bach getragen, der durch die königlichen Gärten floß. Und da der Aufseher der Erholungsplätze und Lustgärten gerade am Ufer entlang ging, so erblickte



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er nach dem Beschlusse des Schicksals den vorüber schwimmenden Korb, und er rief einen Gärtner und befahl ihm, den Korb zu ergreifen und zu ihm zu bringen, damit er sähe, was darin wäre. Der Mann lief also am Ufer entlang, und nachdem er den Korb mit einer langen Stange ans Land gezogen hatte, zeigte er ihn dem Aufseher. Der öffnete ihn und entdeckte darin ein neugeborenes Kind, einen Knaben von wunderbarer Schönheit, der in ein Stück von einer Decke gehüllt war; bei diesem Anblick war er über alle Maßen erstaunt. Nun traf es sich, daß der Aufseher, der einer der Emire war und bei dem Herrscher in hohem Ansehen stand, keine Kinder hatte, wiewohl er immerdar zu Allah dem Allmächtigen Gebete und Gelübde emporsandte, daß ihm ein Sohn geschenkt werden möchte, der sein Gedächtnis erhalten und seinen Namen fortpflanzen würde. Beglückt von diesem Anblick, nahm er den Korb mit dem Kinde heim, und indem er ihn seiner Frau gab, sagte er: ,Sieh, wie Allah uns diesen Knaben gesandt hat, den ich soeben auf dem Wasser habe schwimmen sehen! Mache du dich sogleich bereit und hole eine Anime, die ihm Milch geben und ihn nähren kann. Und zieh ihn mit Sorgfalt und Zärtlichkeit auf, als wäre er dein eigen Kind!' Mit großer Freude nahm die Frau des Aufsehers das Kind in Obhut, und sie zog es mit herzlichster Liebe auf, als wäre es ihrem eigenen Schoß entsprossen. Der Aufseher aber sagte niemandem etwas, auch suchte er nicht zu erkunden, wem das Kind gehöre, damit nicht jemand es beanspruche und es von ihm nehme. Er war zwar in seinem Herzen überzeugt, daß es aus dem für die Königin bestimmten Teile des Palastes käme, aber er hielt es nicht für geraten, die Sache allzu genau zu untersuchen; und er sowohl wie seine Gattin bewahrten das Geheimnis in aller Heimlichkeit. Ein Jahr darauf



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schenkte die Königin einem zweiten Sohne das Leben; aber ihre Schwestern, die haßerfüllten Teufelinnen, taten mit diesem Kinde ebenso, wie sie mit dem ersten getan hatten: sie hüllten es in ein Tuch und legten es in einen Korb, und den warfen sie in den Fluß; dann gaben sie die Nachricht aus, die Königin habe ein Kätzchen geboren. Doch auch dieser Knabe kam durch die Gnade Allahs des Allmächtigen in die Hände eben jenes Aufsehers der Gärten, und der brachte ihn seiner Frau und vertraute ihn ihrer Hut an, indem er sie streng ermahnte, sich des zweiten Findlings ebenso sorgsam anzunehmen wie des ersten. Der Schâh wütete, als er die schlimme Nachricht hörte, sprang wiederum auf, um die Königin zu töten; doch wie zuvor hielt der Großwesir ihn zurück und beruhigte seinen Zorn mit Worten guten Rates, und so rettete er zum zweiten Male das Leben der unglücklichen Mutter. Nachdem ein weiteres Jahr vergangen war, kam die Herrin wiederum nieder, und diesmal gebar sie eine Tochter; auch an ihr handelten die Schwestern, wie sie an ihren Brüdern gehandelt hatten: sie legten das unschuldige Wesen in einen Korb und warfen es in den Fluß. Und der Aufseher fand auch die Tochter und brachte sie seiner Frau und befahl ihr, den Säugling zugleich mit den beiden Ausgesetzten aufzuziehen. Die neidischen Schwestern aber, ganz wild vor Tücke, berichteten, die Königin habe eine Moschusratte geboren. Nun konnte König Chusrau seinen Zorn und Grimm nicht länger bezwingen, und er schrie in rasender Wut dem Großwesir zu: ,Wie, soll der Schâh es dulden, daß diese Frau, die nichts als Gewürm und Mißgeburten zur Welt bringt, die Freuden seines Bettes teilt? Ja noch mehr, der König kann sie nicht länger am Leben lassen, sonst füllt sie ihm den Palast mit Mißgestalten an; wahrlich, sie ist selbst ein Ungeheuer, und es ge



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ziemt uns, diese Stätte von einer so unsauberen und verfluchten Kreatur zu befreien.' Mit diesen Worten befahl der Schâh. sie hinzurichten; doch die Minister und hohen 'Würdenträger, die vor ihm standen, fielen dem König zu Füßen und flehten um Gnade und Vergebung für die Königin. Und der Großwesir sprach, indem er die Arme auf der Brust kreuzte: ,O König der Könige, dein Sklave möchte dir vorstellig werden, daß es nicht im Einklang mit dem Rechtsbrauch, noch den Gesetzen des Landes steht, einer Frau das Leben zu nehmen wegen etwas, an dem sie selbst unschuldig ist. Sie kann in den Lauf des Schicksals nicht eingreifen, und so kann sie auch die unnatürlichen Geburten nicht hindern, von denen sie dreimal heimgesucht worden ist; solcherlei Unglücksfälle sind öfters schon anderen Frauen begegnet, und ihr Schicksal ruft nach Mitleid, nicht nach Strafe. Wenn sie dem König mißfällt, so möge er aufhören, mit ihr zu leben; und der Verlust seiner huldvollen Gnade wird eine Strafe sein, die hart genug ist. Und wenn der König ihren Anblick nicht mehr ertragen kann, so möge sie in ein besonderes Gemach eingeschlossen werden, und dann möge sie ihre Schuld sühnen durch Almosen und Mildtätigkeit, bis Asrnël, der Engel des Todes, ihre Seele von ihrem Leibe trennt.' Als Chusrau Schâh diese Worte des Rates von seinem bejahrten Ratgeber vernahm, erkannte er, daß es unrecht gewesen wäre, die Königin zu töten, da sie doch in keiner Weise etwas, das vom Schicksal und Verhängnis bestimmt war, verhindern konnte; und er sprach sofort zum Großwesir: ,Ihr Leben soll auf deine Fürsprache hin geschont werden, du weiser und wachsamer Mann; doch der König wird sie einem Lose überantworten, das vielleicht noch schwerer zu ertragen ist als der Tod. Bereite du sofort neben der Hauptmoschee einen hölzernen Käfig mit eisernen Stäben und



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sperre die Königin darin ein, wie man ein wildes Raubtier einsperrt. Dann soll jeder Muslim, der seines Weges geht, um an den öffentlichen Gebeten teilzunehmen, ihr ins Gesicht speien, ehe er seinen Fuß in das Heiligtum setzt; und wer es unterläßt, diesen Befehl auszuführen, soll in der gleichen Weise bestraft werden. Deshalb stelle Wachen und Aufseher dorthin, die den Gehorsam erzwingen, und laß mich hören, ob sich Widerspruch zeigt.' Der Wesir wagte keine Antwort zu geben, sondern führte des Schahs Befehle aus; aber diese Strafe, die über die schuldlose Königin verhängt ward, hätte ihren neidischen Schwestern weit eher gebührt. Der Käfig wurde nun in aller Eile bereitet; und als die vierzig Tage der Reinigung nach der Geburt vergangen waren, wurde die Herrin dort eingesperrt; und nach dem Befehl des Königs mußten alle, die zum Gottesdienste in der Hauptmoschee gingen, ihr vorher ins Gesicht speien. Die Unglückliche wußte wohl, daß sie diese Schmach nicht verdiente, aber sie ertrug dennoch ihre Leiden mit aller Geduld und Seelenstärke. Und es waren derer auch nicht wenige, die da glaubten, sie sei schuldlos und verdiene es nicht, solche Qualen und Foltern auszuhalten, wie sie der Schâh ihr auferlegt hatte; und diese hatten Mitleid mit ihr und beteten und taten Gelübde für ihre Befreiung.

Derweilen nun zog der Aufseher der Gärten und seine Frau die beiden Prinzen und die Prinzessin mit aller Liebe und Zärtlichkeit auf; und während die Kinder an Jahren wuchsen, wuchs auch die Liebe der Pflegeeltern für ihre angenommenen Kinder in gleichem Maße. Dem ältesten Prinzen gaben sie den Namen Bahman' und seinem Bruder den Namen Parwez'; und da die Tochter von seltener Schönheit und unvergleichlicher Lieblichkeit und Anmut war, so gaben sie ihr den



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Namen Perizâde.' Als dann die Prinzen in dem Alter waren. in dem sie Unterricht erhalten mußten, ernannte der Aufseher Lehrer und Meister, die sie lesen und schreiben und alle Künste und Wissenschaften lehren sollten; und da die Prinzessin den gleichen Eifer bewies, sich Kenntnisse zu erwerben, wurde sie von denselben Lehrern unterrichtet, und bald konnte sie ebenso fließend und leicht lesen und schreiben wie ihre Brüder. Dann wurden sie den weisesten unter den Philosophen und Schriftgelehrten anvertraut, und die lehrten sie die Auslegung des Korans und die Worte des Propheten, ferner die Wissenschaft der Geometrie sowohl wie die Poesie und Geschichte, ja selbst die geheimen Wissenschaften und die mystischen Lehren der Erleuchteten. Und ihre Lehrer staunten, als sie sahen, wie rasche und wie große Fortschritte alle drei in ihren Studien machten und wie sie versprachen, beinahe die gelehrtesten der Weisen zu übertreffen. Außerdem wurden alle drei dazu erzogen, zu reiten und geschickt zu jagen, mit Pfeilen zu schießen und mit der Lanze zu stoßen, das Schwert zu schwingen und den Polostab zu werfen, sowie zu anderen männlichen und kriegerischen Spielen. Und neben dem allem lernte die Prinzessin Perizâde singen und allerlei Musikinstrumente spielen, und darin wurde sie die unvergleichliche Perle ihres Zeitalters. Der Aufseher war von ganzem Herzen froh, als er sah, daß seine angenommenen Kinder sich in allen Zweigen des Wissens als so tüchtig erwiesen; und da seine Wohnung klein war und nicht mehr für die größere Schar ausreichte, so kaufte er bald in der Nähe der Stadt ein Stück Land, das groß genug war, um Felder, Wiesen und Buschwald zu umfassen. Dort begann er ein Schloß von großer Pracht zu erbauen; Tag und Nacht beschäftigte er sich damit, die Baumeister und Maurer



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und anderen Handwerker zu überwachen. Innen und außen schmückte er die Mauern mit schönstem Bildhauerwerk und erlesenen Malereien, und jedes Gemach stattete er mit dem reichsten Geräte aus. Vor dem Hause ließ er einen Garten anlegen und bepflanzte ihn mit duftenden Blumen und wohlriechenden Sträuchern und Fruchtbäumen. deren Früchte denen des Paradieses glichen. Und ferner war dort ein großer Wald, der auf allen Seiten von einer hohen Mauer umgeben war, und darin züchtete er Wild, alles was da kreucht und fleugt, damit die beiden Prinzen und ihre Schwester jagen konnten. Als nun das Schloß vollendet und zum Wohnen geeignet war, bat der Aufseher, der dem Hause des Schâhs mehrere Menschenalter lang treu gedient hatte, seinen Herrn um die Erlaubnis, der Stadt Lebewohl zu sagen und seinen Wohnsitz auf dem neuen Landgut aufzuschlagen. Und der König, der allzeit mit dem Auge der Huld auf ihn geschaut hatte, gewährte ihm die erbetene Gunst von Herzen; und um außerdem noch zu zeigen, wie hoch er seinen alten Diener und dessen Dienste schätzte, fragte er ihn, ob er irgendeine Bitte hätte, auf daß sie ihm erfüllt werde. ,Mein hoher Herr,' erwiderte jener, ,dein Sklave hat keinen Wunsch als den, daß er den Rest seiner Tage unter dem Schatten des Schutzes des Schâhs verbringe, mit Leib und Seele seinem Dienste ergeben, wie er vor dem Sohne auch dem Vater schon gedient hat.' Der Schâh entließ ihn mit Worten des Dankes und der Anerkennung; und jener verließ die Stadt, indem er die beiden Prinzen und ihre Schwester mit sich nahm, und führte sie zu seinem neuerhauten Schlosse. Schon einige Jahre vor jener Zeit war seine Frau zur Gnade Allahs eingegangen, und er selbst hatte kaum fünf oder sechs Monate in seinem neuen Heim gelebt, da erkrankte er plötzlich und ward unter die Zahl derer aufgenommen, die



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Erbarmen gefunden haben. Zwar hatte er jede Gelegenheit versäumt, seinen drei Findlingen die seltsame Geschichte von ihrer Herkunft zu erzählen: wie er sie als Ausgesetzte in sein Haus gebracht und als Pfleglinge aufgezogen und sie wie seine eigenen Kinder gehegt hatte. Doch er hatte, ehe er starb, noch Zeit, sie zu ermahnen, daß sie immerdar in gegenseitiger Liebe und Verehrung, Zärtlichkeit und Achtung miteinander leben sollten. Der Verlust ihres Beschützers erfüllte sie mit bitterem Kummer: denn sie alle hielten ihn für ihren wirklichen Vater. Und nun beklagten sie ihn und begruben ihn, wie es sich gebührte: und hinfort lebten die beiden Brüder und ihre Schwester in Frieden und Fülle zusammen. Doch eines Tages ritten die Prinzen, die voll Verwegenheit und hohen Mutes waren, auf die Jagd hinaus, und die Prinzessin Perizâde blieb allein zu Hause. als eine alte Frau, eine Muslimin und fromme Einsiedlerin. an die Tür kam und um Erlaubnis bat, eintreten und ihre Gebete dort sagen zu dürfen, da es gerade die vorgeschriebene Stunde war und sie nur noch eben Zeit für die religiöse Waschung hatte. Perizâde befahl, sie hereinzulassen, bot ihr den Friedensgruß und hieß sie freundlich 'willkommen. Als die Heilige dann ihre Gebete beendet hatte, führten die Dienerinnen der Prinzessin sie auf deren Befehl durch das ganze Haus und Besitztum, indem sie ihr die Gemächer mit ihrem Hausrat und ihrer Ausstattung und zuletzt die Gärten der Blumen und der Früchte und den Wildpark zeigten. Alles, was sie sah, gefiel ihr sehr, und sie sprach bei sich selber: ,Der Mann, der dies Schloß gebaut und diese Beete mit ihren Umrahmungen angelegt hat, ist wirklich ein vollendeter Künstler und ein Mann von wunderbarem Geschick gewesen.' Schließlich führten die Sklavinnen sie zu der Prinzessin zurück, die im Gartenhause saß und ihrer Rückkehr harrte. Und sie sprach zu der Frommen:



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,Komm, mein gutes Mütterchen, setze dich neben mich und mache mich glücklich durch die Gesellschaft einer frommen Einsiedlerin, die ich durch einen guten Zufall unerwartet bei mir habe aufnehmen können, und laß mich deinen Worten der Gnade lauschen, auf daß ich durch sie großen Gewinn in dieser und in der nächsten Welt habe! Du hast den rechten und geraden Pfad erwählt, um darauf zu wandeln, jenen, nach dem alle Menschen streben und sich sehnen.' Die heilige Frau wollte sich der Prinzessin zu Füßen setzen, aber Perizâde erhob sich höflich, nahm sie bei der Hand und zog sie neben sich nieder. Nun sprach die Alte: ,Hohe Herrin, meine Augen haben noch nie jemanden von so feiner Sitte gesehen, wie du es bist; ich bin wahrlich unwürdig, neben dir zu sitzen, dennoch, da du gebietest, so will ich nach deinem Gebote tun.' Und als sie plaudernd beieinander saßen, setzten die Sklavinnen ihnen einen Tisch vor, auf dem Schüsseln mit Brot und Kuchen standen, ferner auch Schalen voll frischer und getrockneter Früchte, sowie allerlei Leckerbissen und Süßigkeiten. Die Prinzessin nahm einen der Kuchen, und indem sie ihn der guten Alten reichte, sprach sie: ,Mütterchen, erquicke dich hieran und iß auch von den Früchten, was du gern hast! Es ist jetzt wohl lange her, seit du dein Haus verließest, und ich glaube, du hast auf dem Wege keine Speise gekostet.' Darauf antwortete die Heilige: ,O Herrin von edler Geburt, ich bin nicht gewohnt, leckere Speisen wie diese zu essen, aber ich kann deine Fürsorge nicht wohl zurückweisen, da Allah der Allmächtige geruht hat, mir durch eine so freigebige und großmütige Hand, wie die deine, Speise und Unterhalt zu gewähren.' Und als die beiden etwas gegessen und ihre Herzen gelabt hatten, fragte die Prinzessin die Fromme nach der Art ihres Gottesdienstes und ihres asketischen Lebens; auf alles gab sie bereitwillig Antwort



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und erklärte es nach ihrem besten Wissen. Dann rief die Prinzessin aus: ,Sage mir, bitte, was du von diesem Hause denkst und von der Art seines Baues und von dem Gerät und dem Zubehör; und sage mir, ist alles vollkommen und angemessen oder fehlt noch etwas im Haus oder Garten?' Die Alte gab zur Antwort: ,Da du geruhst, nach meiner Meinung zu fragen, so will ich dir bekennen, daß sowohl Haus wie Gartenanlagen vollendet und zur Vollkommenheit eingerichtet sind, und das Zubehör ist nach dem besten Geschmack und in schönster Anordnung. Doch nach meinem Dafürhalten fehlen hier noch drei Dinge, wenn du die hättest, so würde diese Stätte ganz vollkommen sein.' Da beschwor die Prinzessin Perizâde sie mit den Worten: ,Liebe Muhme, ich flehe dich an, sage mir, welche drei Dinge noch fehlen, auf daß ich keine Mühe noch Arbeit scheue, um sie zu erhalten.' Und da die Jungfrau mit vielen Bitten in sie drang, so sah die Fromme sich gezwungen, es ihr zu sagen; und sie hub an: ,Edle Herrin, das erste ist der sprechende Vogel, genannt Bulbul-i-hazâr-dâstân '; der ist sehr selten und schwer zu finden, aber sooft er seine melodischen Weisen erschallen läßt, fliegen Tausende von Vögeln von allen Seiten herbei und stimmen in seine Klänge ein. Das nächste ist der singende Baum, dessen glatte und glänzende Blätter, wenn der Wind sie bewegt und aneinander reibt, liebliche Klänge entsenden, die gleich den Stimmen süß singender Sänger im Ohr erklingen und die Herzen aller Hörer bezaubern. Das dritte ist das goldene Wasser von durchscheinender Klarheit; wenn von ihm nur ein Tropfen in ein Becken fällt und dies in den Garten gestellt wird, so füllt sich das Gefäß alsbald bis zum Rande und sendet Strahlen empor gleichwie ein Springbrunnen; es hört auch nie auf, sich zu regen, und alles



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Wasser fällt, wenn es nach oben schießt, wieder in das Becken hinab, und nie geht ein Tropfen davon verloren.' Da sagte die Prinzessin: ,Ich zweifle nicht daran, daß du die Stätte, an der diese wunderbaren Dinge sich finden, genau kennst; und ich bitte dich, nenne sie mir und auch die Mittel, die ich ergreifen kann, um die Dinge zu gewinnen.' Die Heilige erwiderte: ,Diese drei Seltenheiten finden sich nur auf der Grenze, die sich zwischen dem Lande Hind und den anliegenden Ländern hinzieht, zwanzig Tagemärsche auf dem Wege, der von diesem Hause gen Osten führt. Wer auszieht, sie zu suchen, soll den ersten Mann, dem er am zwanzigsten Tage begegnet, nach der Stätte fragen, an der er den sprechenden Vogel, den singenden Baum und das goldene Wasser finden kann, und jener wird den Sucher dorthin weisen, wo er alle drei treffen wird.' Als die Fromme ihre Worte beendet hatte, nahm sie unter vielen Segnungen und Gebeten und Wünschen für ihr Wohlergehen Abschied von der Herrin Perizâde und machte sich auf den Heimweg. Die Prinzessin jedoch begann unaufhörlich über ihre Worte nachzusinnen und in Gedanken immer bei der Erzählung der heiligen Frau zu verweilen; die hatte freilich nie gedacht, daß ihre Wirtin aus anderen Gründen als aus Neugier um Auskunft gebeten habe, noch auch daß sie wirklich die Absicht hege, sich aufzumachen, um die Seltenheiten zu finden, und so hatte sie ahnungslos alles erzählt, was sie wußte, und sogar noch einen Anhalt für die Entdeckung gegeben. Perizâde aber bewahrte all das tief eingegraben in die Tafeln des Gedächtnisses, und sie war fest entschlossen, den Anweisungen zu folgen, und mit allen Mitteln, die in ihrer Macht standen, diese drei Wunderdinge in ihren Besitz zu bringen. Allein, je mehr sie nachsann, desto schwieriger erschien ihr das Unternehmen, und ihre Furcht vor dem Mißerfolg steigerte



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nur noch ihre Unruhe. Während sie nun so dasaß, durch ängstliche Gedanken verwirrt und manchmal von heftigen Schrecken ergriffen, kamen ihre Brüder von den Jagdgründen zurück; und sie waren erstaunt, als sie ihre Schwester mit trauriger Miene und niedergeschlagen erblickten, und sie wunderten sich, was sie wohl beunruhigt haben möchte. Und alsbald sagte Prinz Bahman: ,Liebe Schwester, weshalb bist du heute so schweren Herzens? Allah der Allmächtige verhüte, daß du krank seiest oder daß dir etwas widerfahren wäre, was dein Mißvergnügen erregt oder dich traurig macht. Sage uns, ich bitte dich, was es ist, damit wir an deiner Sorge teilnehmen und dir eiligst helfen können!' Die Prinzessin erwiderte kein Wort; doch nach langem Schweigen hob sie den Kopf und sah ihre Brüder an; dann senkte sie die Augen wieder und sagte mit kurzen Worten, ihr fehle nichts. Da hub Prinz Bahman wieder an: ,Ich weiß recht wohl, daß du irgend etwas auf dem Herzen hast, was du uns nicht sagen magst; doch nun höre, ich schwöre einen feierlichen Eid, daß ich nie von deiner Seite weichen will, bis du uns gesagt hast, was es ist, das dich bedrückt. Bist du vielleicht unserer Liebe müde und möchtest das geschwisterliche Band, das uns seit unserer Kindheit vereint hat, jetzt lösen?' Als sie ihre Brüder so verstört und verwirrt sah, fühlte sie sich gezwungen zu reden und sagte: ,Wiewohl es euch, meine Lieblinge, Schmerz bereiten mag, wenn ich euch sage, weshalb ich traurig und betrübt bin, so ist es doch nicht anders möglich, ich muß euch beiden das Ganze erklären. Dies Schloß, das unser lieber Vater -der jetzt zur Gnade eingegangen ist -für uns hat bauen lassen, ist in jeder Hinsicht vollendet, und es fehlt ihm nichts an Behaglichkeit oder Vollkommenheit. Und trotzdem habe ich zufällig heute entdeckt, daß es noch drei Dinge gibt: würden die innerhalb



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dieser Mauern von Haus und Gärten gebracht, so würden sie unser Besitztum zu einem ganz unvergleichlichen machen, und auf der weiten Erde könnte ihm nichts an die Seite gestellt werden. Diese drei Dinge sind der sprechende Vogel, der singende Baum und das goldene Wasser; und seit ich von ihnen gehört habe, ist mein Herz von der höchsten Sehnsucht erfüllt, sie in unseren Besitz zu bringen, und von dem übermäßigen Verlangen, sie durch alle Mittel, die in meiner Macht stehen, zu gewinnen. Jetzt geziemt es euch, mich mit euren besten Kräften zu unterstützen und zu erwägen, wer mir dazu verhelfen kann, diese Seltenheiten in meine Hand zu bekommen.' Prinz Bahman erwiderte: ,Mein Leben und das meines Bruders stehen dir zu Diensten, um deinen Wunsch mit aller Kraft des Herzens und der Seele auszuführen; und wenn du mir nur einen Anhalt für die Stätte geben könntest, an der diese seltsamen Dinge sich finden, dann würde ich mit Tagesanbruch, sobald es Morgen wird, auf die Suche nach ihnen ausziehen.' Als Prinz Parwez erkannte, daß sein Bruder bereit war, diese Fahrt zu unternehmen, hub er an und sprach: ,Lieber Bruder, du bist der älteste von uns: drum bleib du zu Hause, während ich ausziehe, um diese drei Dinge zu suchen und sie unserer Schwester zubringen. Es ist doch wahrlich geziemender, daß ich die Aufgabe übernehme, die mich Jahre lang in Anspruch nehmen kann.' Doch Prinz Bahman entgegnete: ,Ich habe volles Vertrauen zu deiner Kraft und Tapferkeit, und was ich zu leisten vermag, das kannst du ebensogut vollbringen wie ich. Dennoch ist es mein fester Entschluß, allein und ohne Hilfe zu diesem Abenteuer auszuziehen, und du mußt zurück bleiben, um für unsere Schwester und unser Haus zu sorgen.'

Am nächsten Morgen also ließ Prinz Bahman sich von der Prinzessin den Weg beschreiben, den er einschlagen mußte,



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und ferner die Zeichen und Merkmale, an denen er die Stätte erkennen würde. Und sofort legte er Rüstung und Waffen an, und nachdem er den beiden Lebewohl gesagt hatte, saß er auf und wollte mit dem festesten Herzen fortreiten; aber da füllten sich die Augen der Prinzessin Perizâde mit Tränen, und mit stockender Stimme sprach sie zu ihm: ,Mein lieber Bruder, diese bittere Trennung ist herzzerreißend; und ich hin in tiefer Trauer. daß ich dich von uns ziehen sehe. Dies Scheiden und dein Fernsein in fremdem Lande verursachen mir weit größeren Schmerz und Kummer, als ich vorher empfand, wie ich mich nach den Seltenheiten sehnte, um derentwillen du uns verlässest. Wenn wir nur von Tag zu Tag irgendeine Nachricht von dir erhalten könnten, so würde ich mich wenigstens etwas getröstet und beruhigt fühlen; aber es ist nun einmal anders, und Kummer fruchtet nichts.' Darauf antwortete Prinz Bahman und sprach: ,Schwester mein, ich bin fest entschlossen, diese Tat zu wagen; doch sei du ohne Furcht und Sorge, denn so Gott will, werde ich als glorreicher Sieger heimkehren. Wenn du nun nach meinem Aufbruch zu irgendeiner Zeit um meine Sicherheit dich ängstigen solltest, so wirst du an diesem Zeichen. das ich dir lasse, mein Schicksalslos erkennen. ob es gut oder schlimm sei.' Dann zog er aus seinem Gürteltuch ein kleines Jagdmesser, ähnlich einem Schnitzmesser, und gab es der Prinzessin Perizâde mit den Worten: ,Nimm diese Klinge und behalt sie immer bei dir; und solltest du an irgendeinem Tage oder zu irgendeiner Stunde um mein Ergehen besorgt sein, so zieh sie aus ihrer Scheide! Wenn der Stahl hell und klar ist wie jetzt, so wisse, dann bin ich am Leben, sicher und gesund; doch wenn du Blutflecken daran findest, so sollst du wissen, daß ich tot bin, und dann bleibt dir nichts anderes übrig, als für mich wie für einen Toten zu beten.' Mit



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diesen Worten des Trostes machte der Prinz sich auf den Weg und zog geradeswegs auf der Straße nach Indien dahin, indem er sich weder nach rechts noch nach links wandte, sondern immer das gleiche Ziel im Auge behielt. So vergingen zwanzig Tage auf der Reise aus dem Lande Iran, und am zwanzigsten Tage war er am Ziel seiner Fahrt angelangt. Dort erblickte er plötzlich einen alten Mann von furchterregendem Anblick, der unter einem Baume saß, dicht bei seiner Rohrhütte, in die er sich zurückzuziehen pflegte, um sich gegen die Regen des Frühjahrs und die Hitze des Sommers, die herbstlichen Dünste und den Winterfrost zu schützen. So hochbetagt war dieser Scheich, daß Haar und Bart auf Kinn und Lippen und Wangen weiß wie Schnee waren; das Haar auf seiner Oberlippe war so lang und so dicht, daß es seinen Mund ganz verdeckte, während sein Kinnbart bis auf den Boden hing, und die Nägel an seinen Händen und Füßen waren so lang gewachsen, daß sie den Klauen eines wilden Tieres glichen. Auf seinem Kopfe trug er einen breitrandigen Hut aus gewobenen Palmfasern gleich dem eines malabarischen Fischers; und seine ganze übrige Kleidung bestand aus einem Mattenstreifen, den er sich um den Leib gebunden hatte. Dieser Scheich war ein Derwisch, der seit vielen Jahren der Welt und allen weltlichen Freuden entsagt hatte; er lebte ein heiliges Leben der Armut und Keuschheit in Gedanken ans Jenseits, und dadurch war sein Aussehen so geworden, wie ich es dir geschildert habe, o glücklicher König. An jenem Tage war Prinz Bahman vom frühen Morgen an wachsam und aufmerksam gewesen und hatte immer nach allen Seiten hin ausgeschaut, um jemanden zu erspähen, der ihm Auskunft geben könnte, wo die Seltenheiten, die er suchte, zu finden wären; und dies war das erste menschliche Wesen, das er an jenem Tage, dem zwanzigsten und



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letzten seiner Reise, gesehen hatte. Er ritt also auf den Scheich zu, überzeugt, daß der jener Mensch sein müsse, von dem die heilige Frau gesprochen hatte. Dann saß Prinz Bahman ab, verneigte sich tief vor dem Derwisch und sprach: ,Mein Vater, Allah der Allmächtige gebe dir ein langes Leben und gewähre dir alle deine Wünsche!' Darauf gab der Fakir Antwort, doch mit so undeutlicher Stimme, daß der Prinz kein einziges Wort von dem, was jener sagte, verstehen konnte. Sofort erkannte Bahman, daß der Lippenbart des Alten dessen Mund so ganz verdeckt und verborgen hatte, daß seine Rede undeutlich wurde und er nur noch murmeln konnte, wenn er reden wollte. Darum band er sein Roß an einen Baum, zog eine Schere heraus und sprach: ,Heiliger Mann, deine Lippen sind ganz in diesem überlangen Haar verborgen; ich bitte dich, erlaube mir, das Borstengewirr zu beschneiden, das dein Gesicht überwuchert und so lang und dicht ist, daß du furchtbar anzuschauen bist; ja, du gleichst eher einem Bären als einem menschlichen Wesen.' Der Derwisch zeigte durch ein Nicken, daß er einverstanden war; und als der Prinz das Haar beschnitten und gestutzt hatte, sah das Antlitz des Alten wieder jung und frisch aus wie das eines Mannes in der Blüte der Jahre. Darauf sagte Bahman zu ihm: ,Ich wollte, ich hätte einen Spiegel, um dir dein Gesicht zu zeigen; dann könntest du sehen, wie jugendlich du erscheinst und wie dein Gesicht jetzt dem eines Menschen viel ähnlicher geworden ist, als es früher war.' Diese Schmeichelworte gefielen dem Derwisch, und er sagte lächelnd: ,Ich danke dir herzlich für diesen deinen guten Dienst und deine freundliche Tat; und wenn ich zur Vergeltung irgend etwas für dich tun kann, so laß es mich, bitte, wissen, und ich will von ganzem Herzen und mit ganzer Seele versuchen, dich in allen Dingen zufrieden zu stellen!' Da sagte



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der Prinz: ,Heiliger Mann, ich bin aus fernen Landen auf beschwerlichem Wege hierher gekommen, um drei Dinge zu suchen; das sind: ein gewisser sprechender Vogel, ein singender Baum und ein goldenes Wasser. Und eines weiß ich gewiß, daß alle drei ganz in der Nähe hier zu finden sind. Dennoch, o heiliger Mann, kenne ich die genaue Stelle nicht, an der sie sich befinden. Wenn du aber sichere Kunde von der Stätte hast und mir von ihr Mitteilung machen willst, so werde auch ich nie deine Güte vergessen, und dann werde ich das zufriedene Gefühl haben, daß diese lange und beschwerliche Fahrt nicht ganz vergebens gewesen ist.' Als der Derwisch diese Worte von dem Prinzen vernahm, kam ein anderes Aussehen über sein Antlitz, sein Blick ward betrübt und seine Farbe bleich; dann senkte er die Augen und saß in tiefem Schweigen da. Doch der Prinz hub wieder an: ,Heiliger Vater, verstehst du die Worte nicht, die ich zu dir sprach? Wenn du nichts von der Sache weißt, so laß es mich, bitte, gleich wissen, auf daß ich wieder weiter ziehe, bis ich einen Mann finde, der mir Auskunft darüber geben kann!' Nach einer langen Weile gab der Derwisch zur Antwort: ,O Fremdling, es ist wahr, ich kenne die Stätte, die du suchest, recht wohl; aber ich habe dich gern, weil du mir einen Dienst erwiesen hast, und um deiner selbst willen möchte ich dir nicht sagen, wo sie zu finden ist.' Und der Prinz entgegnete: ,Sag mir, o Fakir, weshalb verbirgst du dein Wissen vor mir, und warum siehst du es nicht gern, daß ich davon erfahre?' Jener antwortete: ,Es ist ein schwerer Weg und voller Schrecken und Gefahren. Schon vor dir sind manche hierher gekommen und haben mich nach dem Wege gefragt; ich weigerte mich, ihnen den zu zeigen, aber sie achteten meiner Warnung nicht, sondern drangen in mich und zwangen mich, ihnen das Geheimnis zu enthüllen,



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das ich gern in meiner Brust verschlossen hätte. Wisse, mein Sohn, all diese Helden sind in ihrem Stolze zugrunde gegangen, nicht einer von ihnen ist sicher und gesund zu mir zurückgekehrt. Nun denn, wenn dir dein Leben lieb ist, so folge meinem Rate und zieh nicht weiter, sondern kehre um, ohne Zögern und ohne Zaudern, und suche dein Haus und Heim und die Deinen!' Fest entschlossen, erwiderte Prinz Bahman darauf: ,Du hast mir in freundlicher Weise und in gütiger Art den besten Rat gegeben; und nachdem ich alles gehört habe, was du zu sagen hattest, danke ich dir von Herzen. Aber ich kümmere mich keinen Deut und kein Tüttelchen um die Gefahren, die mir drohen; und deine Warnungen, so unheilvoll sie auch klingen, werden mich nicht von meinem Vorhaben abbringen. Und wenn Räuber oder Feinde mich überfallen sollten, so bin ich gerüstet und gewappnet, und ich kann und werde mich selbst schützen; denn ich bin sicher, daß niemand mich an Macht und Mut übertrifft.' Darauf entgegnete der Fakir: ,Die Wesen, die dir den Weg sperren und deinen Gang zu jener Stätte aufhalten werden, sind dem Menschen unsichtbar, und sie werden dir in keiner Weise erscheinen; wie willst du dich dann gegen sie wehren?' ,Sei es,' fuhr der Prinz fort, ,dennoch fürchte ich mich nicht, und ich bitte dich nur, zeige mir den Weg dorthin!' Als der Derwisch nun überzeugt war, daß der Prinz sich fest entschlossen hatte, die Tat zu wagen, und auf keinen Fall davon ablassen würde oder abgebracht werden könnte, sein Vorhaben auszuführen, steckte er seine Hand in einen Sack, der dicht neben ihm lag, entnahm ihm einen Ball und sprach: ,Ach, mein Sohn, du willst meinen Rat nicht annehmen, und ich muß dich nun deinem Eigensinne folgen lassen. Nimm diesen Ball, steig auf dein Roß und wirf ihn vor dich hin; solange er weiterrollt, reit hinter ihm her;



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doch wenn er am Fuße des Hügels Halt macht, so sitz ab, wirf deinem Rosse die Zügel über den Nacken und laß es allein, denn es wird dort stehen bleiben, ohne sich zu rühren, bis du zurückkommst! Dann steig mutig den Hang hinauf, und zu beiden Seiten des Pfades, rechts und links, wirst du ein Geröll von großen schwarzen Felsblöcken sehen. Dort wird aber der Schall vieler Stimmen, in wirrem Getöse und furchtbar anzuhören, plötzlich in dein Ohr dringen, um deinen Zorn zu erregen und dich mit Schrecken zu erfüllen und dich am weiteren Aufstieg zu hindern. Gib acht, daß du dich nicht entmutigen lässest, und hüte dich, ja, ich sage dir, hüte dich, daß du zu keiner Zeit dein Haupt wendest und rückwärts schauest! Wenn dein Mut versagt oder wenn du nur einen einzigen Blick hinter dich wirfst, so wirst du im selben Augenblick in einen schwarzen Stein verwandelt werden. Denn wisse, o Prinz. alle jene Steine, die du am 'Wege zerstreut sehen wirst, waren einst Männer und Helden wie du; sie sind es, die da auszogen in der Absicht, die drei Dinge zu gewinnen, die du suchest, aber sie ließen sich durch jene Stimmen schrecken und verloren die menschliche Gestalt und wurden zu schwarzen Blöcken. Solltest du aber den Gipfel des Hügels sicher und gesund erreichen, so wirst du ganz oben einen Käfig finden, darin der sprechende Vogel sitzt, bereit, alle deine Fragen zu beantworten. Den frage, wo du den singenden Baum und das goldene Wasser finden kannst, und er wird dir alles sagen, was du wünschest. Wenn du alle drei sicher in deine Hand gebracht hast, so bist du frei von weiterer Gefahr; doch, da du diesen Weg noch nicht angetreten hast, so leih dein Ohr meinem Rate. Ich bitte dich, steh ab von diesem deinem Vorsatz und kehr in Frieden heim, solange es noch in deiner Macht steht!' Aber der Prinz antwortete: ,O du heiliger Mann, ehe ich nicht mein



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Ziel erreicht habe, will ich nicht umkehren, nein, niemals! Daher lebe wohl!' So bestieg er denn sein Roß und warf den Ball vor sich hin; und der rollte mit Windeseile weiter, während der Prinz hinter ihm her ritt, den Blick auf ihn geheftet, und immer mit ihm Schritt hielt. Als er den Hügel, von dem der Derwisch gesprochen hatte, erreichte, hielt der Ball still; und der Prinz saß ab, warf seinem Rosse die Zügel über den Nacken, ließ es stehen und stieg zu Fuß den Abhang hinan. Soweit er sehen konnte, war der Weg, den er gehen mußte, vom Fuße des Hügels bis zum Gipfel mit einem Geröll von großen schwarzen Felsblöcken bestreut; doch spürte sein Herz keine Furcht. Noch aber hatte er nicht mehr als vier bis fünf Schritte getan, so erhob sich ein scheußliches Getöse und ein furchtbarer Wirrwarr von vielen Stimmen, wie der Derwisch es ihm verkündet hatte. Prinz Bahman jedoch schritt tapfer dahin, mit erhobener Stirn und mit furchtlosem Gang, obgleich er kein lebendes Wesen sah und nur all die Stimmen rings uni sich hörte. Einige riefen: ,Wer ist der Narr dort? Woher kommt er? Haltet ihn! Laßt ihn nicht vorüber!' Andere schrieen: ,Fallt über ihn her! Packt diesen Hanswurst und schlagt ihn tot!' Und der Lärm ward immer lauter und lauter gleichwie Donnergebrüll, und viele Stimmen gellten: ,Räuber! Meuchler! Mörder!' Und andere flüsterten in höhnischem Tone: ,Laßt ihn, ein feiner Kerl ist er ja! Laßt ihn nur weitergehen, er, natürlich nur er allein wird den Käfig und den sprechenden Vogel kriegen!' Der Prinz fürchtete sich nicht, sondern schritt mit gewohntem Mut und Eifer raschen Fußes dahin; doch plötzlich kamen die Stimmen immer näher und näher an ihn heran und schwollen auf beiden Seiten zu immer größerer Zahl, so daß er ganz verwirrt wurde. Seine Beine begannen zu zittern, er taumelte, und schließlich, von Schrecken



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überwältigt, vergaß er ganz die Warnung des Derwisches und schaute sich um: da ward er auf der Stelle zu Stein gleich den Scharen der Ritter und Abenteurer, die ihm vorgegangen waren.

Derweilen nun trug die Prinzessin Perizâde das Jagdmesser, das ihr Bruder Bahman ihr hinterlassen hatte, von seiner Scheide umgeben in ihrem Mädchengürtel. Sie hatte es immer dort behalten, seit er zu seinem gefährlichen Ritt aufgebrochen war, und immer, wenn sie daran dachte, pflegte sie die Klinge herauszuziehen und an ihrem Glanze zu sehen, wie es ihrem Bruder erging. Nun hatte sie es bis zu jenem Tage, an dem er zu Stein verwandelt wurde, stets, sooft sie es ansah, klar und hell gefunden; doch an eben jenem Abend, an dem ihn sein böses Schicksal ereilte, sagte zufällig Prinz Parwez zu Perizâde: ,Liebe Schwester, ich bitte dich, gib mir das Jagdmesser, damit ich sehe, wie es mit unserem Bruder steht.' Sie nahm es aus ihrem Gürtel und reichte es ihm; und kaum hatte er das Messer aus der Scheide gezogen, siehe, da erkannte er, daß Blutstropfen von ihm herabzuträufeln begannen. Als er das sehen mußte, warf er das Messer zu Boden und brach in laute Klagen aus, während die Prinzessin, die schon ahnte, was geschehen war, eine Flut bitterer Tränen vergoß und unter Seufzen und Schluchzen ausrief: ,Weh, mein Bruder, du hast dein Leben für mich dahingegeben! Ach, wehe, wehe über mich! Warum hab ich dir von dem sprechenden Vogel und dem singenden Baum und dem goldenen Wasser gesprochene Weshalb habe ich jene heilige Frau gefragt, wie unser Haus ihr gefiele, und mußte als Antwort auf meine Frage von jenen drei Dingen hören? Hätte sie doch nie unsere Schwelle betreten und unsere Türen verfinstert! Undankbare Heuchlerin, lohnst du mir so die Güte und die Ehre, die ich dir so gern erwies? Und warum



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mußte ich denn auch noch fragen, wie man diese Dinge gewinnen könne? Und wenn ich sie jetzt noch erlange, was sollen sie mir da nützen, seit mein Bruder Bahman nicht mehr ist? Was soll ich da mit ihnen tun?' So gab Perizâde sich ihrem Schmerze hin und beweinte ihr trauriges Los, während auch Parwez in überaus tiefer Trauer um seinen Bruder Bahman klagte. Zuletzt aber wandte sich der Prinz, der trotz seiner Trauer daran dachte, daß seine Schwester immer noch den heißen Wunsch hatte, die drei Wunderdinge zu besitzen, an Perizâde und sprach: ,Es geziemt mir, liebe Schwester, sogleich aufzubrechen und zu erforschen, ob unser Bruder Bahman seinen Tod durch den Beschluß des Schicksals gefunden hat, oder ob ein Feind ihn erschlagen hat; denn wenn er getötet worden ist, so muß ich volle Rache an seinem Mörder nehmen.' Perizâde aber flehte ihn unter vielen Tränen und Klagen an, sie nicht zu verlassen, indem sie sprach: ,O du Freude meines Herzens, um Allahs willen, folge nicht den Spuren unseres teuren, dahingegangenen Bruders und verlaß mich nicht, um eine so gefahrenreiche Reise zu wagen. Mir liegt nichts mehr an jenen Dingen, denn ich fürchte, ich werde auch dich noch verlieren, wenn du solches unternimmst.' Allein Prinz Parwez wollte gar nicht auf ihre Klage hören, sondern er nahm am nächsten Tage Abschied von ihr. Doch ehe er aufbrach, sprach sie zu ihm: ,Das Jagdmesser, das Bahman mir hinterließ, war das Mittel, um uns von dem Unglück, das ihm zustieß, Kunde zu geben; doch sag, wie soll ich wissen, was dir widerfährt?' Da zog er eine Schnur, die hundert Perlen enthielt, hervor und sprach: ,Solange du diese Perlen alle getrennt voneinander lose auf der Schnur hin und her gleiten siehst, sollst du wissen, daß ich am Leben bin; wenn du aber entdeckst, daß sie festsitzen und aneinander haften, dann erkenne, daß ich tot bin.' Die



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Prinzessin nahm die Perlenschnur und legte sie um ihren Hals, entschlossen, sie Stunde um Stunde zu betrachten und zusehen, wie es ihrem zweiten Bruder erginge. Dann machte Prinz Parwez sich auf die Fahrt, und am zwanzigsten Tage kam er zu derselben Stelle, an der Bahman den Derwisch getroffen hatte, und er sah ihn dort noch in gleicher Weise sitzen. Der Prinz sprach den Gruß zu dem Alten und fragte dann: ,Kannst du mir sagen, wo ich den sprechenden Vogel und den singenden Baum und das goldene Wasser finde, und auf welche Weise ich in ihren Besitz gelangen kann? Wenn du kannst, so bitte ich dich, gib mir Kunde davon!' Der Derwisch versuchte den Prinzen Parwez von seiner Absicht abzubringen und malte ihm alle die Gefahren des Weges aus; und er sprach: ,Vor nicht vielen Tagen kam einer, der dir gleich war an Jahren und an Zügen, hierher und fragte mich nach ebendem, was du jetzt suchest. Ich warnte ihn vor all den Gefahren der Stätte und wollte ihn von seinem eigenwilligen Wege abbringen; aber er achtete meiner Warnungen nicht und weigerte sich, meinem Rate zu folgen. Er zog fort, von mir genau darüber unterrichtet, wie er die Dinge finden könnte, die ersuchte; doch bis jetzt ist er noch nicht zurückgekehrt, und ohne Zweifel ist er umgekommen wie die vielen, die ihm in jenem gefährlichen Unternehmen vorangegangen sind.' Da sagte Prinz Parwez: ,Heiliger Vater ich, kenne den Mann, von dem du redest; denn er war mein Bruder. Und ich wußte auch, daß er tot ist; aber ich ahne nicht, wie er umgekommen ist.' ,Junger Herr,' antwortete der Derwisch, ,darüber kann ich dir Auskunft geben; er ist in einen schwarzen Stein verwandelt, ebenso wie die andern, von denen ich gerade zu dir gesprochen habe. Wenn du meinen Rat nicht annehmen und meiner Mahnung nicht folgen willst, so wirst du sicherlich auf dieselbe Weise



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umkommen wie dein Bruder: und ich warne dich feierlich, laß ab von diesem Unternehmen.' Wie nun Prinz Parwez diese Worte erwogen hatte, antwortete er alsbald: ,O Derwisch. ich danke dir wieder und wieder, und ich bin dir tief verpflichtet, dieweil du dich um mein Wohlergehen sorgst und mir den gütigsten Rat und die freundlichste Mahnung gegeben hast; denn solcher Güte gegen einen Fremdling bin ich nicht würdig. Jetzt bleibt mir nur noch die eine Bitte, daß du mir den Pfad zeigen wollest; denn ich bin fest entschlossen, weiterzureiten und um keinen Preis von meinem Vorhaben abzustehen. Ich bitte dich, gewähre mir gütigst volle Auskunft über den Weg, wie du sie meinem Bruder gewährt hast.' Darauf erwiderte der Derwisch: ,Wenn du meiner Warnung kein Ohr leihen willst noch tun, was ich wünsche, so macht mir das weder viel noch wenig aus. Wähle selbst! Ich muß nach dem Spruche des Schicksals dein Wagnis fördern, und wenn ich auch wegen meines hohen Alters und meiner Schwäche dich nicht zu der Stätte geleiten kann, so will ich dir doch nicht einen Führer versagen.' Da bestieg Prinz Parwez sein Roß, und der Derwisch nahm einen von vielen Bällen aus seinem Beutel, gab ihn dem Jüngling in die Hand und wies ihn derweilen an, was er zu tun hätte, geradeso wie er seinem Bruder Bahman geraten hatte. Und nachdem er ihm viele Ratschläge und Mahnungen gegeben hatte, schloß er mit den Worten: ,Junger Herr, gib acht, daß du dich durch die drohenden Stimmen nicht verwirren noch schrecken lässest, durch die Klänge von unsichtbaren Wesen, die an dein Ohr dringen; sondern steig furchtlos bis zum Gipfel des Hügels hinauf, dort wirst du den Käfig mit dem sprechenden Vogel, den singenden Baum und das goldene Wasser finden.' Darauf sagte der Fakir ihm Lebewohl mit Worten voll guter Wünsche, und



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der Prinz brach auf. Er warf den Ball vor sich hin, und als dieser den Pfad entlang rollte, spornte er sein Roß an, auf daß es mit ihm Schritt halte. Doch als er den Fuß des Hügels erreichte und sah, daß der Ball Halt gemacht hatte und still lag, saß er ab und wartete eine Weile, ehe er den Aufstieg begann, und überlegte sich noch einmal einzeln all die Anweisungen, die ihm der Derwisch gegeben hatte. Dann schritt er mit starkem Mute und fest entschlossen vorwärts, um den Gipfel zu erreichen. Aber kaum hatte er zu steigen begonnen, als er neben sich eine Stimme hörte, die ihn in grober Sprache bedrohte und schrie: ,Du Unglücksjüngling, steh still, damit ich dich für diese deine Frechheit verprügle!' Als Prinz Parwez diese beleidigenden Worte des unsichtbaren Sprechers hörte, fühlte er, wie ihm das Blut überkochte; er konnte seine Wut nicht zügeln, und in seiner Leidenschaft vergaß er ganz die Worte der Weisheit, mit denen der Fakir ihn gewarnt hatte. Er griff nach seinem Schwerte, zog es aus der Scheide und wandte sich, um den Mann zu erschlagen, der ihn so zu beschimpfen wagte; doch er sah niemanden, und in dem Augenblick, in dem er rückwärts schaute, wurden er und sein Roß in schwarze Steine verwandelt.

Derweilen nun pflegte die Prinzessin immerfort zu allen Stunden des Tages und der Nacht die Perlenschnur zu befragen, die Parwez ihr zurückgelassen hatte; sie zählte die Perlen nachts, wenn sie sich zur Ruhe zurückzog, sie behielt sie beim Schlafen um den Hals während der Stunden der Dunkelheit, und wenn sie beim Dämmern des Morgens aufwachte, so sah sie die Perlen sofort an und prüfte ihren Zustand. Und eben zu der Stunde, in der ihr zweiter Bruder zu Stein wurde, bemerkte sie, wie die Perlen so fest aneinander hafteten, daß sie nicht eine einzige Perle von der anderen zu lösen vermochte; und daran



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erkannte sie, daß auch Prinz Parwez auf ewig für sie verloren war. Perizâde ward durch diesen plötzlichen Schlag tief betroffen, und sie sprach bei sich selber: ,Ach, wehe, wehe über mich! Wie bitter wird das Leben sein ohne die Liebe solcher Brüder, die ihr junges Leben für mich geopfert haben! Es ist nur recht, wenn ich jetzt ihr Schicksal teile, welches auch mein Los sein mag! Was soll ich sonst am Gerichtstage sagen, wenn die Toten auferstehen und die Menschheit gerichtet wird?' Deshalb legte sie am nächsten Morgen, ohne zu zögern und zu zaudern, Manneskleidung an; und nachdem sie ihren Dienerinnen und Sklavinnen gesagt hatte, sie würde eine Reihe von Tagen wegen eines Geschäftes abwesend sein und jene sollten während dieser Zeit Haus und Habe hüten, bestieg sie ihr Pferd und brach auf, allein und ungeleitet. Da sie nun im Reiten geschickt war und öfters ihre Brüder begleitet hatte, wenn sie zu Jagd und Beize ausritten, so war sie besser als andere Frauen imstande, die Mühen und Beschwerden der Reise zu ertragen. So kam sie denn am zwanzigsten Tage sicher und gesund bei der Einsiedelei an. und als sie dort denselben Scheich erblickte. setzte sie sich neben ihn; nachdem sie ihm den Friedensgruß dargeboten hatte, bat sie ihn: ,Heiliger Vater, laß mich eine Weile an dieser glückverheißenden Stätte ruhen und rasten; dann geruhe, ich bitte dich, mir die Richtung zu weisen nach der Stätte, die nicht weit von hier ist und an der sich ein gewisser sprechender Vogel, ein singender Baum und ein goldenes Wasser befinden! Wenn du es mir sagen willst, so werde ich das als die größte Huld erachten.' Der Derwisch gab ihr zur Antwort: ,Deine Stimme verrät mir, daß du ein Weib bist. kein Mann, wiewohl du in Männertracht gekleidet bist. Ich kenne gar wohl die Stätte, von der du sprichst und an der die Wunderdinge sich befinden, die du genannt hast. Aber sage



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mir, zu welchem Zwecke fragst du mich danach?' Darauf erwiderte die Prinzessin: ,Mir ist mancherlei über diese seltenen und wunderbaren Dinge erzählt worden, und ich würde sie gern in meinen Besitz bringen, um sie in mein Haus zu tragen und sie zu seinem schönsten Schmuck zu machen.' ,Ja, meine Tochter,' fuhr der Derwisch fort, ,wahrlich, diese Dinge sind äußerst selten und wunderbar; sie sind recht geeignet, daß eine solche Schöne wie du sie gewinnt und heimträgt; aber du hast wohl kaum eine Ahnung von den mannigfachen und grausen Gefahren, die sie umlauern. Es wäre besser für dich, du würfest diesen eitlen Gedanken von dir und kehrtest auf dem Wege heim, auf dem du gekommen bist.' Die Prinzessin aber entgegnete: ,O heiliger Vater und weitberühmter Einsiedler, ich komme aus einem fernen Lande, in das ich nie wieder zurückkehren werde, ohne mein Ziel erreicht zu haben, nein, nimmermehr. Ich bitte dich also, sage mir, welcher Art jene Gefahren sind und worin sie bestehen, auf daß mein Herz, wenn ich von ihnen höre, beurteilen kann, ob ich die Kraft und den Mut besitze, ihnen zu begegnen oder nicht!' Da beschrieb der Alte der Prinzessin all die Gefahren des Weges, wie er sie einst den Prinzen Bahman und Parwez kundgetan hatte, und er schloß mit den Worten: ,Die Gefahren werden sich zeigen, sobald du beginnst, den Hügel hinanzusteigen, und sie werden nicht eher enden, als bis du den Gipfel erreicht hast, wo der sprechende Vogel lebt. Dann, wenn du das Glück hast, ihn zu ergreifen, so wird er dich dorthin weisen, wo der singende Baum und das goldene Wasser zu finden sind. Die ganze Zeit, während der du den Hügel hinaufsteigst, werden Stimmen aus unsichtbaren Kehlen und grause und wilde Klänge dir in die Ohren hallen. Und ferner wirst du schwarze Blöcke und Steine auf deinem Wege umherliegen sehen; und diese sind -das



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mußt du wissen -die verwandelten Leiber von Männern, die mit ungewöhnlichem Mute dasselbe Wagnis unternommen haben, die aber, von plötzlichem Schrecken erfaßt und dazu verleitet, sich umzuwenden und rückwärts zu blicken, in Steine verwandelt worden sind. Nun denke du immer daran, wie es ihnen ergangen ist! Zuerst hörten sie jenen furchtbaren Tönen und Flüchen mit fester Seele zu; dann aber bangten ihnen Herz und Sinn, oder sie brausten auf vor Wut, wenn sie die gemeinen Worte vernahmen, die an sie gerichtet wurden, und sie wandten sich um und schauten hinter sich, worauf Roß und Reiter zu schwarzen Blöcken wurden.' Doch als der Derwisch ihr alles berichtet hatte, erwiderte die Prinzessin: ,Nach dem, was du mir sagst, scheint es mir klar zu sein, daß diese Stimmen nichts anderes zu tun vermögen, als zu drohen und durch ihr furchtbares Getöse zu schrecken; ferner, daß sonst nichts vorhanden ist, was am Besteigen des Hügels hindern kann, und daß man dort keinen Überfall zu befürchten braucht; was man tun muß, ist nur dies, daß man auf keinen Fall hinter sich blickt.' Und nach einer kurzen Weile fügte sie hinzu: ,O Fakir, wenn ich auch eine Frau bin, so habe ich doch Mut und Kräfte, die mir durch dies Abenteuer hindurchhelfen werden. Ich werde nicht auf die Stimmen achten noch mich durch sie zornig machen lassen, auch werden sie keinerlei Macht haben, mich zu ängstigen; und zu alledem habe ich eine List ersonnen, durch die mir der Erfolg in dieser Sache gesichert ist.' ,Was willst du denn tun?' fragte er; und sie antwortete: ,Ich will mir die Ohren mit Baumwolle verstopfen, so daß mein Geist nicht verwirrt und mein Verstand nicht gestört wird, wenn ich diese furchtbaren Klänge höre.' Der Fakir war aufs höchste erstaunt und rief sogleich: ,Meine Herrin, mich deucht, du bist dazu bestimmt, die Dinge zu gewinnen, die du suchst. Diese List ist



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bisher noch keinem eingefallen, und daher kommt es wohl, daß sie allesamt elend gescheitert und bei ihrem Versuche umgekommen sind. Doch gib gut acht auf dich selber und setze dich keinen anderen Gefahren aus, als sie das Unternehmen verlangt!' Sie erwiderte: ,Ich habe keinen Grund zur Furcht, da nur diese eine einzige Gefahr, die einen glücklichen Ausgang hindern könnte, mir bevorsteht. Mein Herz sagt mir, daß ich sicherlich den Lohn gewinnen werde, um dessentwillen ich so viel Mühsal und Beschwerden auf mich genommen habe. Doch jetzt sage mir, was ich tun muß, und wohin ich gehen muß, um mein Ziel zu erreichen!' Der Derwisch bat sie noch einmal, nach Hause zurückzukehren; aber Perizâde weigerte sich, darauf zu hören, und blieb fest und entschlossen wie zuvor. Als er nun einsah, daß sie auf jeden Fall ihr Vorhaben auszuführen gedachte, rief er aus: ,So zieh denn hin, meine Tochter, im Frieden Allahs des Allmächtigen und mit seinem Segen; Er möge deine Jugend und Schönheit vor aller Gefahr beschützen!' Dann nahm er einen Ball aus seinem Sack, gab ihn ihr und sprach: ,Wenn du im Sattel sitzest, so wirf ihn vor dich hin und folge ihm, wohin er dich führen wird. Und wenn er am Fuße des Hügels Haltmacht, so sitz ab und steig den Hang hinan. Was danach geschehen wird, hab ich dir schon gesagt.' Nachdem die Prinzessin von dem Fakir Abschied genommen hatte, bestieg sie sogleich ihr Roß und warf ihm den Ball vor die Hufe, wie ihr zu tun geboten war. Er rollte in der Richtung auf den Hügel vor ihr her, und sie spornte ihr Pferd an, mit ihm Schritt zu halten, bis er beim Hügel plötzlich Halt machte. Da saß die Prinzessin alsbald ab, und nachdem sie ihre beiden Ohren sorgfältig mit Baumwolle verstopft hatte, begann sie den Hang zu ersteigen mit furchtlosem Herzen und unerschrockener Seele. Kaum war sie einige Schritte vorwärts



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gegangen, da brach ein Getöse von Stimmen rings um sie aus; doch sie vernahm keinen Ton, da ihr Gehör durch die Baumwolle abgestumpft war. Dann erschollen scheußliche Schreie mit furchtbarem Lärm, aber sie hörte sie nicht; und schließlich schwollen sie an zu einem Sturm von schrillen Schreien und stöhnenden Seufzern, untermischt mit eklen Worten, wie schamlose Frauen sie gebrauchen, wenn sie einander beschimpfen. Dann und wann fing sie ein Echo der Klänge auf; doch sie achtete ihrer nicht, sondern lächelte nur und sprach bei sich selber: ,Was kümmert mich ihr Spott und Hohn und ekliges Geschmäh Laß sie nur kreischen und bellen und tollen, soviel wie sie wollen: das wenigstens wird mich nicht von meinem Ziele abbringen!' Wie sie sich aber dem Ziele näherte, wurde der Weg immer gefährlicher, und die Luft war so erfüllt von höllischem Lärm und grauenhaften Tönen, daß selbst Rustem' vor ihnen gebebt und Asfandijârs' kühner Mut vor Schrecken gezittert haben würden. Die Prinzessin jedoch schritt in größter Eile und mit unverzagtem Herzen weiter, bis sie dem Gipfel ganz nahe war und schon über sich den Käfig sah, in dem der sprechende Vogel seine melodischen Weisen sang. Doch wie er die Prinzessin nahen sah, brach er, trotz seiner winzigen Gestalt, in Donnertöne aus und rief: ,Zurück, du Närrin! Hinweg von hier, wage nicht näher zu kommen!' Die Prinzessin kümmerte sich nicht im geringsten um sein Geschrei, sondern erklomm beherzt den Gipfel, eilte über die ebene Fläche auf den Käfig zu und ergriff ihn, indem sie sprach: ,Jetzt hab ich dich endlich; du sollst mir nicht mehr entgehen!' Dann zog sie die Baumwolle, mit denen sie ihre Ohren verstopft hatte, heraus und hörte nun, wie der sprechende Vogel in sanften Tönen erwiderte: ,Du tapfere und edle Herrin, sei guten Mutes! Denn



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dir soll nichts Arges widerfahren, wie es denen zuteil ward, die mich bisher zu gewinnen suchten. Wenn ich auch in einem Käfig lebe, so hab ich doch viel geheime Kunde von dem, was in der Welt der Menschen vorgeht, und ich freue mich, daß ich dein Sklave werde und daß du meine Herrin wirst. Ferner weiß ich alles, was dich angeht, sogar noch besser als du selbst; und eines Tages will ich dir einen Dienst erweisen, der mir deine Dankbarkeit eintragen wird. Welches ist jetzt dein Befehl? Sprich, damit ich dir deinen Wunsch erfülle!' Prinzessin Perizâde war über diese Worte erfreut, aber mitten in ihrer Freude ward sie betrübt durch den Gedanken daran, daß sie ihre Brüder verloren hatte, an denen sie mit so herzlicher Liebe hing; und sie sprach nun zu dem sprechenden Vogel: ,Gar vieles wohl wünsche ich, doch zuerst sage mir, ob das goldene Wasser, von dem ich so viel gehört habe, hier in der Nähe ist, und wenn es dort ist, so zeige mir, wie ich es finden kann.' Der Vogel wies ihr den Weg dorthin, und die Prinzessin nahm eine silberne Flasche, die sie mitgebracht hatte, und füllte sie bis zum Rande aus der magischen Quelle. Dann sprach sie wieder zu dem Vogel: ,Der dritte und letzte Preis, den ich zu suchen auszog, ist der singende Baum: gib mir an, wo auch der zu finden ist.' ,O Prinzessin der Schönen,' erwiderte der Vogel, ,hinter deinem Rücken in jenem Gebüsch, das ganz in der Nähe ist, dort wächst der Baum.' Und sie eilte sofort in das Gehölz und fand den Baum, den sie suchte, wie er in den lieblichsten Tönen sang. Da er sich aber zu weit spannte, kehrte sie zu ihrem Sklaven, dem Vogel, zurück und sprach zu ihm: ,Den Baum hab ich zwar gefunden, aber er ist hoch und breit; wie kann ich ihn entwurzeln?' Er gab zur Antwort: ,Pflücke ein Zweiglein von dem Baume und pflanze das in deinen Garten, so wird es alsbald Wurzeln schlagen und in kurzer Zeit so groß



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und schön gewachsen sein wie dort im Busche.' Da brach die Prinzessin einen Zweig ab, und da sie jetzt die drei Dinge besaß, von denen die heilige Frau zu ihr gesprochen hatte, so war sie über die Maßen froh, und indem sie sich zu dem Vogel wandte, sprach sie: ,Ich habe nun wirklich, was ich gewünscht, aber eines fehlt doch noch an meiner vollen Zufriedenheit. Meine Brüder, die sich in gleicher Absicht hinausgewagt haben, liegen hier in der Nähe, zu schwarzen Steinen verwandelt. Gern möchte ich sie wieder zum Leben bringen, auf das ich sie beide mit mir heimführen kann in aller Zufriedenheit und Freude über den Erfolg. Drum sag mir nun ein Mittel, durch das sich mein Wunsch erfüllen läßt!' Der sprechende Vogel erwiderte: ,O Prinzessin, mache dir keine Sorge, das ist ein leichtes. Sprenge ein wenig von dem goldenen Wasser auf die schwarzen Steine, die rings umherliegen, und durch dessen Kraft werden sie allesamt wieder zum Leben erstehen, deine beiden Brüder sowohl wie die anderen!' Da ward Prinzessin Perizâde ruhig in ihrem Herzen, und indem sie die drei Gewinne mit sich nahm, ging sie zurück und sprengte einige wenige Tropfen aus der silbernen Flasche auf jeden schwarzen Stein, an dem sie vorbeikam, und plötzlich, siehe da, wurden sie alle wieder lebendig, Menschen und Rosse. Unter ihnen waren auch ihre beiden Brüder, und sie erkannte sie sofort, fiel ihnen um den Hals und umarmte sie und fragte sie in ihrer Überraschung: ,Ach, meine Brüder, was tut ihr hier?' ,Wir schliefen fest', erwiderten sie; und die Prinzessin fuhr fort: ,Seltsam, wahrlich, daß ihr euch des Schlafes erfreuet fern von mir und die Absicht vergesset, mit der ihr mich verlassen habt, nämlich den sprechenden Vogel und den singenden Baum und das goldene Wasser zu gewinnen! Habt ihr nicht gesehen, wie diese ganze Stätte mit dunkelfarbenen Steinen bedeckt war?



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Schaut jetzt hin und sagt mir, ob noch etwas von ihnen übrig ist! Diese Männer und Rosse, die jetzt rings um uns stehen, waren alle, wie ihr selber, schwarze Steine; aber durch die Gnade Allahs des Allmächtigen sind sie alle wieder lebendig geworden und harren des Zeichens zum Aufbruch. Und wenn ihr nun zu erfahren wünschet, durch welches seltsame Wunder euch und ihnen die menschliche Gestalt wiedergegeben wurde, so wisset, daß es durch die Kraft des Wassers in dieser Flasche geschehen ist: ich habe es auf die Steine gesprengt mit der Erlaubnis des Herrn aller Lebenden. Als ich diesen Käfig mit seinem sprechenden Vogel und auch den singenden Baum, von dem ihr einen Zweig in meiner Hand seht, und schließlich das goldene Wasser in meinen Besitz gebracht hatte, da wollte ich das alles nicht mit nach Hause nehmen, wenn ihr beide nicht bei mir wäret; so fragte ich denn den sprechenden Vogel, wodurch ihr wieder ins Leben zurückgerufen werden könntet. Er hieß mich einige Tropfen des goldenen Wassers auf die Blöcke sprengen, und als ich das getan hatte, kamet ihr beide sowohl wie alle die anderen ins Leben und zu eurer früheren Gestalt zurück.' Als die Prinzen Bahman und Parwez diese Worte vernahmen, dankten sie ihrer Schwester Perizâde mit preisenden Worten; und all die andern, die sie errettet hatte, überschütteten ihr Haupt mit Dankesworten und Segenswünschen und sprachen alle mit einer Stimme: ,Hohe Herrin, wir sind jetzt deine Sklaven; nicht kann ein lebenslanger Dienst die Verpflichtung des Dankes erfüllen, den wir dir schulden für diese Gnade. die du uns erwiesen hast. Befiehl, und wir sind bereit, dir mit Herz und Seele zu gehorchen!' Perizâde entgegnete: ,Diese meine Brüder zum Leben zu erwecken war mein Ziel und meine Absicht; und als ich es tat, habt auch ihr Nutzen davon gehabt, und ich nehme euren Dank als eine neue Freude



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hin. Doch jetzt besteiget eure Rosse, ein jeder das seine, und reitet heim im Frieden Allahs auf den Wegen, auf denen ihr gekommen seid!' So entließ die Prinzessin sie und machte sich auch selbst zum Aufbruch bereit; doch als sie ihr Roß besteigen wollte, bat Prinz Bahman sie um die Erlaubnis, daß er den Käfig tragen und vor ihr herreiten dürfe. Sie aber sprach: ,Nicht so, mein Bruder; dieser Vogel ist nun mein Sklave, und ich will ihn selber tragen. Wenn du willst, so nimm diesen Zweig; doch halt mir auch den Käfig, bis ich im Sattel sitze.' Dann bestieg sie ihr Roß, und indem sie den Käfig vor sich auf den Sattelknopf stellte, wies sie ihren Bruder Parwêz an, das goldene Wasser in der silbernen Flasche zu nehmen und es mit aller Sorgfalt zu tragen; und der Prinz erfüllte ihren Wunsch mit größter Willigkeit. Als nun alle bereit waren, aufzubrechen, auch die Ritter und Knappen, die Perizâde durch das goldene Wasser wieder zum Leben erweckt hatte, wandte die Prinzessin sich zu ihnen und sprach: ,Weshalb verzögern wir unseren Aufbruch, und wie kommt es, daß keiner sich erbietet, uns zu führen?' Doch da alle zögerten, gab sie den Befehl: ,So möge denn der unter euch, dessen Adel und hoher Stand ihn zu einer solchen Auszeichnung berechtigen, vor uns reiten und uns den Weg zeigen.' Nun erwiderten alle einmütig: ,O Prinzessin der Schönen, unter uns ist keiner einer solchen Ehre würdig, und niemand darf es wagen, vor dir zu reiten.' Und als sie sah, daß keiner von ihnen den Vorrang oder das Recht der Führung beanspruchte, entschuldigte sie sich, indem sie sprach: ,O ihr Herren, es kommt mir nach dem Rechte nicht zu. voranzureiten; doch da ihr es befehlt, so muß ich wohl gehorchen.' Dann ritt sie an die Spitze, und hinter ihr kamen ihre Brüder, und hinter denen die anderen. Und wie sie dahinritten. wünschten alle den heiligen Mann zu sehen und ihm für seine Freundlichkeit



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und seinen gütigen Rat zu danken; aber als sie zu der Stätte kamen, an der er gewohnt hatte, fanden sie ihn tot; und sie wußten nicht, ob das hohe Alter ihn dahingerafft hatte, oder ob er aus verletztem Stolze gestorben war, weil die Prinzessin die drei Dinge, zu deren Wächter und Weiser er durch das Schicksal bestimmt war, gefunden und mitgenommen hatte. Die ganze Schar ritt nun weiter, und sooft einer die Straße erreichte, die in seine Heimat führte, nahm er Abschied von der Herrin Perizâde und zog seiner Wege, bis alle geschieden waren und die Prinzessin mit ihren Brüdern allein blieb. Schließlich erreichten sie sicher und gesund das Ziel ihrer Reise; und als sie ihr Haus betraten, hängte Perizâde den Käfig im Garten auf, nahe beim Gartenhause, und kaum hatte der sprechende Vogel zu singen begonnen, da kamen auch schon Scharen von Ringeltauben, Nachtigallen und Singdrosseln, Lerchen, Papageien und anderen Singvögeln herbeigeflogen von nah und fern. Und ebenso setzte sie den Zweig, den sie von dem singenden Baum genommen hatte, in ein schönes Beet nah beim Gartenhause; und alsbald schlug er Wurzeln und trieb Zweige und Knospen und wuchs herrlich empor, bis er ein ebenso großer Baum geworden war wie der, von dem sie den Zweig gepflückt hatte, und sein Laub ließ liebliche Töne erklingen, die den Klängen des Elternbaumes glichen. Zuletzt befahl sie, ein Becken aus reinem, weißem Marmor zu meißeln und es mitten in den Lustgarten zu setzen; darauf goß sie das goldene Wasser hinein, und es füllte sofort das ganze Becken und schoß empor gleich einem Springbrunnen, etwa zwanzig Fuß hoch; und die Garben und Strahlen fielen alle dahin zurück, von wo sie gekommen waren, so daß kein Tropfen verloren ging; und so regte sich das Wasser ununterbrochen und stets sich selber gleich. Nun verstrichen nur wenige Tage, bis sich das Gerücht



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von diesen drei Wundern im Lande verbreitet hatte; da strömte das Volk täglich aus der Stadt herbei, um sich des Anblickes zu erfreuen, und die Tore standen immer weit offen, und alle, die da kamen, hatten Zutritt zum Hause und zum Garten und volle Erlaubnis, nach Belieben umherzuwandeln und sich die seltenen Dinge anzusehen, die sie mit Bewunderung und Entzücken erfüllten. Als dann die beiden Prinzen sich von den Beschwerden der Reise erholt hatten, begannen sie auch wieder wie zuvor auf die Jagd zu ziehen. Eines Tages nun, als sie mehrere Meilen weit von Hause fortgeritten waren und beide eifrig bei der Jagd waren, begab es sich, daß der Schâh des Landes Iran durch den Beschluß des Schicksals zur selben Stätte in derselben Absicht kam. Die Prinzen, die eine Schar von Rittern und Jägersleuten kommen sahen, wollten gern heimreiten und einer solchen Begegnung ausweichen; und so verließen sie die Jagdgründe und machten sich auf den Heimweg. Aber wie das Schicksal und Verhängnis es wollte, gerieten sie auf eben die Straße, auf der Chusrau Schâh daherkam, und der Pfad war so schmal, daß sie den Reitern nicht durch eine Schwenkung auf einen anderen Weg ausweichen konnten. So hielten sie denn notgedrungen an, saßen ab, sprachen den Friedensgruß und verneigten sich vor dem Schâh; dann standen sie mit gesenkten Häuptern vor ihm. Als der Herrscher das schöne Geschirr der Rosse und die kostbaren Gewänder der Prinzen sah, glaubte er, die beiden Jünglinge gehörten zum Gefolge seiner Wesire und Staatsminister, und er wünschte sehr, sie von Angesicht zu sehen; deshalb befahl er ihnen, das Haupt zu heben und aufrecht vor ihm dazustehen, und sie gehorchten seinem Befehle mit bescheidener Miene und gesenkten Augen. Er war entzückt, als er ihre schönen Gesichter und anmutigen Gestalten, ihr vornehmes Wesen und ihre höfischen Mienen erblickte;



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und nachdem er sie eine Weile in nicht geringer Bewunderung staunend angesehen hatte, fragte er sie, wer sie wären und wie sie hießen und wo sie wohnten. Darauf erwiderte Prinz Bahman: ,O Zuflucht des Weltalls, wir sind die Söhne eines Mannes, dessen Leben im Dienste des Schâhs dahingegangen ist, des Aufsehers der königlichen Gärten und Erholungsplätze. Als seine Tage sich dem Ende näherten, baute er sich ein Haus vor der Stadt, in dem wir wohnen sollten, bis wir herangewachsen wären und geeignet, deiner Hoheit Dienst und Gefolgschaft zu leisten und deine königlichen Befehle auszuführen.' Da fuhr der Schâh fort zu fragen: ,Wie kommt es, daß ihr auf die Jagd zieht? Das ist ein Vorrecht der Könige, und es ist nicht für die Allgemeinheit seiner Untertanen und Diener bestimmt.' Prinz Bahman gab zur Antwort: ,O Zuflucht des Weltalls, wir sind noch jung an Jahren, und da wir zu Hause aufgewachsen sind, wissen wir wenig von höfischen Sitten; weil wir aber hoffen, in den Heeren des Schâhs die Waffen zu tragen, so wollten wir unsere Leiber gern an Mühen und Beschwerden gewöhnen.' Diese Antwort fand die Billigung des Königs, und er fuhr wiederum fort: ,Der Schâh möchte sehen, wie ihr mit edlem Wilde umzugehen versteht; sucht euch also eine Beute, wie ihr sie wollt, und bringt sie in seiner Gegenwart zur Strecke!' Darauf stiegen die Prinzen wieder zu Pferde und schlossen sich dem Herrscher an; und als sie das tiefste Waldesdickicht erreichten, jagte Prinz Bahman einen Tiger auf, und Prinz Parwez verfolgte einen Bären. Und beide gebrauchten ihre Speere mit solcher Gewandtheit und Entschlossenheit, daß jeder sein Wild tötete und dem Schâh zu Füßen legte. Dann drangen sie von neuem in den Wald ein, und diesmal erlegte Prinz Bahman einen Bären und Prinz Parwez einen Tiger, und sie taten mit ihrer Beute wie zuvor. Als sie aber zum dritten Male ausreiten



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wollten, verbot der Schâh es ihnen, indem er sprach: ,Wie? Wollt ihr denn die königlichen Gehege allen Wildes berauben? Dies ist genug und mehr als genug; der Schâh wollte nur eure Tapferkeit auf die Probe stellen, und da er sie nun mit eigenen Augen gesehen hat, ist er vollauf zufrieden. Kommt jetzt mit uns und stehet vor uns, während wir beim Mahle sitzen!' Prinz Bahman erwiderte: ,Wir sind der hohen Ehre und Würde nicht wert, mit der du uns, deine demütigen Diener, begnadest. Wir bitten deine Hoheit gehorsamst und demütigst, uns für heute zu entschuldigen; wenn aber die Zuflucht des Weltalls eine andere Zeit zu nennen geruht, so werden deine Sklaven mit großer Freude deine glückbringenden Befehle ausführen.' Als dann Chusrau Schâh, erstaunt ob ihrer Weigerung, nach deren Ursache fragte, gab Prinz Bahman zur Antwort: ,Möge ich mein Leben für dich geben, o König der Könige, wir haben zu Hause eine einzige Schwester, und wir drei sind durch die Bande der engsten Liebe verbunden; und deshalb gehen wir Brüder nirgendwohin, ohne sie zu fragen, und auch sie tut nichts ohne unsern Rat.' Der König war erfreut, solche geschwisterliche Liebe und Einigkeit zu sehen, und sagte sogleich: ,Beim Haupte des Schahs, er gibt euch gern für heute Erlaubnis zu gehen; beratet euch mit eurer Schwester und trefft den Schatten Allahs morgen auf diesem Jagdgrunde und berichtet ihm, was sie gesagt hat und ob sie damit einverstanden ist, daß ihr beide kommt und dem Schâh bei Tische aufwartet.' Da nahmen die Prinzen Abschied. indem sie für ihn beteten; dann ritten sie heim, aber beide vergaßen, ihrer Schwester zu erzählen, wie sie dem König begegnet waren, und von allem, was zwischen ihnen sich ereignet hatte, blieb ihnen nichts im Gedächtnis. Am nächsten Tage ritten sie wieder auf die Jagd, und als sie heimritten, fragte der Schah



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sie: ,Habt ihr mit eurer Schwester beraten, ob ihr dem König dienen sollt, und was sagt sie dazu? Habt ihr die Erlaubnis von ihr erhalten?' Als die Prinzen diese Worte vernahmen, wurden sie starr vor Furcht; die Farbe in ihren Gesichtern erblich, und ein jeder begann dem andern in die Augen zu blicken. Dann hub Prinz Bahman an: ,Vergebung, o Zuflucht der Welt, für diese unsre Verfehlung! Wir haben beide den Befehl vergessen und nicht daran gedacht, mit unserer Schwester zu sprechen.' Der König erwiderte: ,Es tut nichts. Fragt sie heute und erstattet mir morgen Bericht!' Doch es begab sich, daß sie auch an jenem Tage den Auftrag vergaßen; dennoch war der König nicht über ihr kurzes Gedächtnis erzürnt, sondern er nahm drei kleine goldene Kugeln aus seiner Tasche, band sie in ein seidenes Tuch ein und reichte sie dem Prinzen Bahman mit den Worten: ,Tu diese Kugeln in dein Gürteltuch; dann wirst du nicht vergessen, deine Schwester zu fragen. Und wenn der Gedanke daran dennoch deinem Gedächtnis entschwinden sollte. so wird, wenn du zu Bette gehst und deinen Gürtel ablegst, das Geräusch der zu Boden fallenden Kugeln dich doch wohl an dein Versprechen erinnern.' Trotz dieser eindringenden Mahnung des Schattens Allahs vergaßen die Prinzen auch an jenem Tage ganz und gar den Befehl und das Versprechen, das sie dem König gegeben hatten. Als es aber Nacht wurde und Prinz Bahman in sein Gemach ging, um zu schlafen, löste er seinen Gürtel, und herab fielen die goldenen Kugeln, und bei ihrem Klange tauchte der Auftrag des Schahs plötzlich wieder in seinen Gedanken auf. Da eilten er und sein Bruder Parwez sogleich in das Gernach Perizâdes, indem sie sich gerade zur Ruhe begeben wollte, und unter vielen Entschuldigungen wegen der Störung zu einer so unpassenden Stunde berichteten sie ihr alles, was sich begeben hatte. Sie beklagte ihre Gedankenlosigkeit,



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die sie drei Tage hintereinander den königlichen Befehl hatte vergessen lassen, und schloß mit den Worten: ,Das Glück ist euch günstig gewesen, meine Brüder, und hat euch so plötzlich zur Kenntnis der Zuflucht des Weltalls gebracht, ein Zufall, der schon manchen auf die Höhe des Glücks gehoben hat. Es tut mir sehr leid, daß ihr in eurer allzu großen Rücksicht auf unsere geschwisterliche Liebe und Einigkeit nicht sofort bei dem König Dienst nahmet, als er geruhte, es euch zu befehlen. Dennoch habt ihr viel mehr Grund zum Bedauern und Bereuen als ich, dieweil ihr keine genügende Entschuldigung geltend gemacht habt; denn die, deren ihr euch bedient habt, muß roh und grob geklungen haben. Es ist ein recht gefährlich Ding, königliche Wünsche zu durchkreuzen. In seiner außerordentlichen Herablassung gebietet euch der König, bei ihm Dienst zu nehmen; ihr aber habt töricht gehandelt, indem ihr euch gegen seine erhabenen Befehle auflehntet, und ihr habt mir große Unruhe verursacht. Doch ich will mir von meinem Sklaven, dem sprechenden Vogel, Rats erholen und sehen, was er wohl sagt; denn immer, wenn ich eine schwierige und gewichtige Frage zu entscheiden habe, unterlasse ich es nicht, ihn um Rat zu fragen.' Darauf holte die Prinzessin den Käfig an ihre Seite, und nachdem sie ihrem Sklaven alles erzählt hatte. was ihre Brüder ihr kundgetan hatten, fragte sie ihn um Rat über das, was sie tun sollten. Da gab der sprechende Vogel zur Antwort: ,Es geziemt den Prinzen, dem Schâh in allen Dingen, die er von ihnen verlangt, zu Willen zu sein; ferner mögen sie ein Fest für den König rüsten und ihn demütig bitten, dies Haus zu besuchen, und ihm dadurch Treue und Ergebenheit für seine königliche Person bezeigen.' Die Prinzessin entgegnete: ,Lieber Vogel, meine Brüder sind mir sehr teuer, und wenn es möglich wäre, möchte ich sie auch nicht einen Augenblick



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lang aus meinen Augen lassen; und Allah verhüte, daß unter dieser ihrer Kühnheit unsere Liebe und Zuneigung zu leiden habe!' Darauf sagte der sprechende Vogel: ,Ich habe dir aufs beste geraten und habe dir die richtige Weisung dargeboten; fürchte du nichts, wenn du sie befolgst, denn nur Gutes soll dir daraus entspringen!' ,Aber', fragte die Prinzessin, ,wenn der Schatten Allahs uns ehrt, indem er die Schwelle dieses Hauses überschreitet, muß ich mich da vor ihm mit unverschleiertem Angesicht zeigen?' ,Gewiß,' erwiderte der sprechende Vogel, ,dies wird dir nicht schaden, nein, es wird eher zu deinem Vorteil sein.'

Am nächsten Tage früh ritten die beiden Prinzen Bahman und Parwez wie zuvor zu den Jagdgründen und trafen Chusrau Schah; der fragte sie, indem er sprach: ,Welche Antwort bringt ihr mir von eurer Schwester?' Da trat der ältere Bruder vor und sprach: ,O Schatten Allahs, wir sind deine Knechte, und was nur immer du zu befehlen geruhst, dem sind wir bereit zu gehorchen. Sie hier, die geringer sind als die Geringsten, haben die Sache ihrer Schwester vorgetragen und haben ihre Einwilligung erlangt; ja, sie hat sie sogar getadelt und gescholten, weil sie sich nicht beeilt haben, die Befehle der Zuflucht der Welt im selben Augenblick auszuführen, in dem sie erteilt worden waren. Und da sie deshalb sehr unzufrieden mit uns ist, so wünscht sie, daß wir auch um ihretwillen die Vergebung des Königs der Könige erbitten wegen dieses Vergehens, das wir begangen haben.' Der König erwiderte: ,Ihr habt kein Verbrechen begangen, das des Königs Mißfallen hervorrufen könnte; nein, vielmehr erfreut es den Schatten Allahs gar sehr, die Liebe zu sehen, die ihr beide eurer Schwester entgegenbringt.' Wie die Prinzen solche herablassende und freundliche Worte von dem König hörten, schwiegen sie und ließen



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beschämt die Köpfe zu Boden hängen; und der König, der an diesem Tage nicht so begierig auf die Jagd war wie sonst, rief die Prinzen. wenn er sie sich zurückhalten sah, zu sich heran und machte ihnen mit gnädigen Worten Mut. Und als er des Reitens müde war, wandte er den Kopf seines Rosses dem Palaste zu und geruhte, den Prinzen zu befehlen, daß sie an seiner Seite ritten; doch die Wesire und Ratgeber und Höflinge schäumten alle vor Wut und Eifersucht, als sie sahen, daß zwei Unbekannte mit so besonderer Gunst behandelt wurden. Als sie nun an der Spitze des Gefolges die Marktstraße hinunterritten, waren aller Augen auf die Jünglinge gerichtet, und die Leute fragten einander: ,Wer sind die beiden, die neben dem Schâh reiten? Gehören sie in diese Stadt, oder kommen sie aus einem fremden Lande?' Und das Volk pries und segnete sie und sprach: ,Allah schenke unserem König der Könige zwei Prinzen. die so schön und stattlich sind wie diese beiden, die neben ihm reiten! Wenn unsere unglückliche Königin, die im Kerker schmachtet, durch Allahs Gnade Söhne zur Welt gebracht hätte, so wären sie jetzt im selben Alter wie diese jungen Herren.' Als aber der Zug den Palast erreichte, stieg der König von seinem Roß und führte die Prinzen in sein eigenes Gemach, einen prächtigen Raum, der herrlich eingerichtet war; und dort war ein Tisch mit den kostbarsten Speisen und seltensten Leckerbissen gedeckt. Nachdem er sich an ihm niedergesetzt hatte, winkte er den beiden, das gleiche zu tun; da machten die Brüder eine tiefe Verneigung und nahmen ihre Plätze ein, und sie aßen in wohlerzogenem Schweigen mit ehrfurchtsvoller Haltung. Der Schâh aber, der sie zum Sprechen bringen wollte, um dadurch ihren Witz und ihre Weisheit zu erproben, redete mit ihnen über vielerlei Dinge und richtete manche Fragen an sie; und da sie ja wohl unterrichtet und in je der Kunst



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und Wissenschaft gebildet waren, so antworteten sie ihm richtig und mit der größten Leichtigkeit. Von Bewunderung erfüllt, bedauerte der Schâh bitter, daß Allah der Allmächtige ihm nicht solche Söhne gegeben hatte, so schön an Gestalt, so gewandt und so kenntnisreich wie diese beiden; und weil er ihnen so gern zuhörte, blieb er länger bei der Tafel, als er es sonst zu tun pflegte. Nachdem er aber aufgestanden war und sich mit ihnen in sein inneres Gemach zurückgezogen hatte, saß er noch lange mit ihnen im Gespräch, und schließlich rief er in seiner Bewunderung aus: ,Nie bis auf den heutigen Tag hab ich mit meinen Augen Jünglinge gesehen, die so wohlerzogen waren und so schön und geschickt wie diese, und mich deucht, es dürfte schwer sein, irgendwo ihresgleichen zu finden.' Schließlich sprach er: ,Es wird schon spät, drum laßt uns jetzt unsere Herzen mit Musik erheitern.' Und alsbald begann die königliche Schar der Sänger und Spieler zu singen und auf allerlei Instrumenten der Freude und des Frohsinns zu spielen, während Tänzerinnen und Knaben ihre Geschicklichkeit entfalteten und Mimen und Mummenschanzer ihre Scherze schauen ließen. Die Prinzen hatten sehr große Freude an dem Schauspiel, und die letzten Stunden des Nachmittags verstrichen in fürstlicher Freude und festlicher Feier. Als aber die Sonne untergegangen war und der Abend nahte, baten die Jünglinge den Schâh um Entlassung unter vielen Danksagungen für die hohen Gnaden, die er ihnen zu erweisen geruht hatte; und ehe sie gingen, sprach der König noch mit ihnen, indem er sagte: ,Kommt morgen wieder in unsere Jagdgründe wie zuvor und laßt uns von dort zum Palast heimkehren. Beim Barte des Schâhs, er hätte euch gern immer bei sich, um sich eurer Gesellschaft und eures Gespräches zu erfreuen!' Da warf Prinz Bahman sich nieder vor der Majestät und antwortete: ,Es ist gerade das Ziel



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und der Gipfel unserer Wünsche, o Schatten Allahs auf Erden, daß du morgen, wenn du von der Jagd kommst und an unserem armseligen Hause vorüberreitest, gnädig geruhen wollest, dort einzutreten und eine Weile zu rasten, indem du dadurch uns und unserer Schwester die allerhöchste Ehre erweisest. Wenn auch die Stätte nicht würdig ist der erhabenen Anwesenheit des Königs der Könige, so lassen sich doch zuzeiten mächtige Könige dazu herab, die Hütten ihrer Sklaven zu besuchen.' Der König, der von ihrer Schönheit und ihrer anmutigen Rede immermehr entzückt war, gewährte ihnen eine höchst gnädige Antwort, indem er sprach: ,Der Wohnsitz von Jünglingen eures Standes und Ranges wird sicherlich schön und eurer würdig sein. Und der Schâh willigt gern ein, morgen Gast zu sein bei euch beiden und eurer Schwester, von der er, obgleich er sie noch nicht gesehen hat, überzeugt ist, daß er sie vollkommen an allen Gaben des Leibes und des Geistes finden wird. Also erwartet beide morgen in aller Frühe den Schâh an der gewohnten Treifstätte!' Darauf baten die Prinzen um Erlaubnis, ihrer Wege gehen zu dürfen; und als sie nach Hause kamen, sprachen sie zu ihrer Schwester: ,Perizâde, der Schah hat beschlossen, morgen nach der Jagd in unser Haus zu kommen und hier eine Weile zu rasten.' Sie antwortete: ,Wenn dem so ist, müssen wir gewißlich dafür sorgen, daß alles für ein königliches Festmahl gerüstet wird und wir nicht beschämt dastehen, wenn der Schatten Allahs uns zu beschatten geruht. Es ist nicht anders möglich, als daß ich in dieser Sache meinen Sklaven, den sprechenden Vogel, frage, welchen Rat er mir geben würde; und ich muß demgemäß auch solche Speisen bereiten, wie sie ihm gebühren und wie sie dem Gaumen des Königs zusagen.' Die Prinzen billigten beide ihren Plan und gingen zur Ruhe, während Perizâde den Käfig kommen



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ließ; und nachdem sie ihn vor sich hingesetzt hatte, sprach sie: ,Lieber Vogel, der Schâh hat versprochen und beschlossen, morgen dies unser Haus zu beehren. Deshalb müssen wir gewißlich für unseren höchsten Herrn das beste der Festmähler rüsten, und ich wünsche, daß du mir sagst, welche Gerichte die Köche für ihn zubereiten sollen.' Der sprechende Vogel antwortete: ,Hohe Herrin, du hast die geschicktesten Köche und Zuckerbäcker. Drum befiehl ihnen, die kostbarsten Leckerbissen zu bereiten, doch vor allem achte du mit eigenen Augen darauf, daß sie dem Schâh ein Gericht frischer, grüner Gurken vorsetzen, die mit Perlen gefüllt sind.' Höchlichst verwundert erwiderte die Prinzessin: ,Ich habe noch nie bis auf den heutigen Tag von einem solchen Leckerbissen vernommen! Wie! Gurken mit Perlen gefüllt? Und was wird der König, der doch kommt, um Brot zu essen, nicht um Steine anzustarren, zu einem solchen Gerichte sagen? Ferner besitze ich nicht Perlen genug, um auch nur eine einzige Gurke damit zu füllen.' Doch der Vogel fuhr fort: ,Das ist ein leichtes; fürchte du nichts, sondern handle genau, wie ich dir rate! Ich strebe nach nichts anderem als nach deinem Wohle, und ich würde dir nimmermehr zu deinem Nachteile raten. Was die Perlen angeht, so kannst du sie in dieser Weise sammeln: geh morgen früh beizeiten in die Lustgärten und laß ein Loch graben am Fuße des ersten Baumes in der Allee zu deiner Rechten, dort wirst du von Perlen einen so großen Vorrat finden, wie du ihn nötig hast!' Am nächsten Tage nun, nach Anbruch der Dämmerung, befahl die Prinzessin Perizâde einem Gärtnerburschen, sie zu begleiten, und begab sich zu der Stätte in den Lustgärten, von der ihr der sprechende Vogel erzählt hatte. Dort grub der Bursche ein Loch, tief und weit, und plötzlich stieß sein Spaten auf etwas Hartes; da entfernte er die Erde mit seiner Hand und



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entblößte dem Blick eine goldene Schatulle, die nahezu einen Fuß im Geviert maß. Dann zeigte der junge Gärtner sie der Prinzessin, und sie rief aus: ,Eben zu diesem Zweck habe ich dich mit mir genommen. Gib acht und sieh zu, daß die Schatulle nicht beschädigt wird, grab sie mit aller Sorgfalt aus und bringe sie mir!' Als der Bursche ihren Befehl ausgeführt hatte, öffnete sie den Kasten sofort und fand ihn voll von den schönsten Perlen, die frisch aus dem Meere kamen; sie waren rund wie Ringe und alle von derselben Größe und gerade zu dem Zwecke geeignet, den der sprechende Vogel angegeben hatte. Perizâde war durch den Anblick aufs höchste erfreut, und indem sie die Schatulle mitnahm, kehrte sie nach Hause zurück; die Prinzen aber, die ihre Schwester in der Frühe mit dem Gärtnerburschen hatten fortgehen sehen und sich gewundert hatten, warum sie sich gegen ihre Gewohnheit so zeitig in den Garten begab, legten schnell, als sie ihrer vom Fenster aus gewahr wurden, ihre Gewänder an und kamen ihr entgegen. Und wie die beiden Brüder dahingingen, sahen sie, daß die Prinzessin ihnen mit etwas Ungewohntem unter dem Arme nahte; und als sie zusammentrafen, erwies es sich als eine goldene Schatulle, von der sie nichts ahnten. Da sprachen sie: ,Liebe Schwester, im Frühlicht sahen wir, daß du mit einem Gärtnerburschen in die Lustgärten gingst, ohne etwas in der Hand zu tragen, jetzt aber bringst du diese goldene Schatulle zurück: drum erkläre uns, wo und wie du sie gefunden hast; vielleicht liegt in den Beeten irgendein Schatz verborgen!' Perizâde erwiderte: ,Ihr sprecht die Wahrheit, meine Brüder; ich nahm diesen Burschen mit mir und ließ ihn unter einem bestimmten Baume graben, und dort stießen wir auf diesen Kasten mit Perlen, deren Anblick, deucht mich, eure Herzen erfreuen wird.' Alsbald öffnete die Prinzessin den Kasten, und



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als ihre Brüder die kostbaren Perlen erblickten, waren sie über die Maßen erstaunt und freuten sich sehr, sie zu sehen. Darauf sagte die Prinzessin: ,Kommt jetzt beide mit mir; denn ich habe eine wichtige Sache vor!' Doch Prinz Bahman hub an: ,Was gibt es hier zu tun? Ach, ich bitte dich, sage es uns ohne zu zögern, denn du hast uns noch nie in deinem Leben etwas verborgen gehalten.' Sie gab zur Antwort: ,Meine Brüder, ich habe euch nichts zu verbergen; denkt auch nichts Arges von mir; ich will euch jetzt den ganzen Hergang erzählen!' Dann tat sie ihnen kund, welchen Rat ihr der sprechende Vogel gegeben hatte; und wie die beiden die Sache sich im Geiste überlegten, wunderten sie sich sehr, warum der Sklave ihrer Schwester ihnen geboten hatte, dem Schâh ein Gericht von grünen Gurken vorzusetzen, die mit Perlen gefüllt waren, und sie konnten sich keinen Grund dafür denken. Doch die Prinzessin fuhr fort: ,Der sprechende Vogel ist wahrlich weise und wachsam; daher glaube ich, dieser Rat muß doch zu unserem Vorteil sein; und auf jeden Fall kann es nicht ohne Sinn und Absicht sein. Daher geziemt es uns, zu tun, wie er geheißen hat.' Dann begab die Prinzessin sich in ihr Gemach, berief den Oberkoch und sprach zu ihm: ,Heute wird der Schâh, der Schatten Allahs auf Erden, sich herablassen, hier das Mittagsmahl zu speisen. Deshalb gib acht, daß die Speisen vom köstlichsten Wohlgeschmack sind und in jeder Weise geeignet, der Zuflucht der Welt vorgesetzt zu werden. Unter all den Gerichten ist jedoch eines, das du allein bereiten mußt und an das keine andere Hand rühren soll; es soll aus frischen grünen Gurken bestehen, die mit kostbaren Perlen gefüllt sind.' Der Oberkoch hörte diesem Befehle der Prinzessin voll Erstaunen zu und sprach bei sich selber: ,Wer hat je von einem solchen Gericht gehört oder sich träumen lassen, so etwas zu bestellen?' Und



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wie die Herrin das Erstaunen, das sich in seinen Zügen verriet, ohne die Wissenschaft des Gedankenlesens erkannte, sprach sie zu ihm: ,Deine Miene verrät mir, daß du mich für unverständig hältst, weil ich dir einen solchen Befehl gebe. Ich weiß, daß noch nie jemand ein Gericht dieser Art gekostet hat, aber was geht das dich an? Tu, wie dir befohlen ist! Du siehst diesen Kasten bis an den Rand voll von Perlen; nimm von ihnen, soviel du für das Gericht brauchst, und was übrig bleibt, das laß in dem Kasten!' Der Koch, der in seiner Verwirrung und seinem Staunen nichts zu antworten wußte, wählte von den kostbaren Perlen, soviel er ihrer brauchte, und eilte sofort hinweg, um darüber zu wachen, daß die Speisen für das Fest gekocht und bereit gehalten würden. Derweilen schritt die Prinzessin durch das Haus und durch die Gärten und gab den Sklaven Anweisungen über deren Ausschmückung, indem sie ihre besondere Aufmerksamkeit den Teppichen und Diwanen, den Lampen und all dem anderen Gerät zuwandte. Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch ritten die Prinzen Bahman und Parwez reich gekleidet zu der verabredeten Stätte, jener, an der sie den Schâh zum ersten Male getroffen hatten; und auch er hielt sein Versprechen pünktlich ein und geruhte mit ihnen an der Jagd teilzunehmen. Als aber die Sonne hochgestiegen war und ihre Strahlen heiß wurden, gab der König das Jagen auf und machte sich mit den Prinzen auf den Weg nach ihrem Hause; und als sie sich ihm näherten, ritt der jüngere Bruder voraus und sandte der Prinzessin Bescheid, daß die Zuflucht der Welt in aller guter Vorbedeutung nahe. So eilte sie denn, den König zu empfangen, und harrte seiner Ankunft am inneren Eingang; und dann, als der König zum Tor hineingeritten und im Hofe abgestiegen war und über die Schwelle der Haustür trat, fiel sie zu seinen Füßen nieder und huldigte ihm.



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Da sagten die beiden Brüder: ,O Zuflucht der Welt; dies ist unsere Schwester, von der wir gesprochen haben.' Und der Schâh hob sie mit huldvoller Freundlichkeit und Herablassung an der Hand empor, und als er sie von Angesicht erblickte, staunte er sehr über ihre wunderbare Anmut und Lieblichkeit. Er dachte bei sich selber: ,Wie gleicht sie doch ihren Brüdern an Gesicht und Gestalt! Ich glaube, unter all meinen Untertanen in Stadt und Land gibt es niemanden, der sich mit ihnen an Schönheit und edlem Wesen messen kann. Auch dies Landhaus übertrifft alles, was ich je gesehen habe, an Glanz und Herrlichkeit.' Dann führte die Prinzessin den Schâh durch das Haus und zeigte ihm dessen ganze Pracht, während er sich an allem, was ihm zu Gesichte kam, über die Maßen freute. Als nun König Chusrau gesehen hatte, was sich in dem Hause befand, sprach er zu der Prinzessin: ,Dies dein Haus ist weit prächtiger als irgendein Palast, den der Schâh besitzt, und er würde jetzt gern durch den Lustgarten wandeln, da er nicht zweifelt, daß jener ebenso herrlich sein wird wie das Haus.' Da machte die Prinzessin die Tür, durch die man den Garten sehen konnte, weit auf; und sofort sah der König als erstes vor allen anderen Dingen den Springbrunnen, der unaufhörlich in Garben und Strahlen Wasser emporwarf, das klar wie Kristall war und doch von goldener Farbe. Wie er solch ein Wunder sah, rief er: ,Dies ist wahrlich ein glorreicher Gießbach! Noch nie habe ich etwas so Herrliches gesehen. Doch sag mir, wo ist seine Quelle, und wie kommt es, daß er in so hohen Strahlen emporschießt? Woher kommt diese beständige Zufuhr, und auf welche Weise ist er angelegt worden? Der Schâh möchte ihn gern aus der Nähe betrachten.' ,O König der Könige und Herr der Lande,' antwortete die Prinzessin, ,es gefalle dir zu tun, was dir beliebt!' Darauf traten sie zu dem Springbrunnen



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hinaus, und der Schâh stand da und blickte ihn voll Entzücken an, als er plötzlich ein Klingen von zuckersüßen Stimmen vernahm, die harmonisch und melodisch tönten wie berauschende Musik. Er wandte sich um und schaute aus, um die Sänger zu entdecken; aber es war kein einziger zusehen; und ob er gleich in die Ferne und in die Nähe blickte, es war alles vergebens: er hörte die Stimmen, aber er konnte keine Sänger entdecken. Und schließlich rief er, ganz verwirrt: ,Woher kommen diese herrlichsten der Töne? Steigen sie aus dem Innern der Erde auf oder schweben sie hoch oben in der Luft? Sie füllen mein Herz mit Entzücken, aber sie überraschen die Sinne, weil kein Sänger zu sehen ist.' Lächelnd erwiderte die Prinzessin: ,O Herr der Herren, es sind keine Sänger hier; die Klänge, die zum Ohre des Schâhs gelangen, kommen von jenem Baume dort. Ich bitte dich, geruhe weiterzuschreiten, und sieh ihn dir recht an!' So trat er denn heran, und die Musik entzückte ihn immer mehr und mehr, und bald schaute er auf das goldene Wasser, bald auf den singenden Baum, bis er sich in Staunen und Verwunderung verlor. Dann sprach er zu sich selber: ,O Allah, ist all dies ein Werk der Natur oder der Zauberei? Ja, wahrlich, diese Stätte ist der Geheimnisse voll!' Doch alsbald wandte er sich zu der Prinzessin und fragte: ,Liebe Herrin, bitte, wie seid ihr zu diesem Wunderbaume gekommen, der inmitten dieses Gartens gepflanzt ist? Hat ihn jemand aus fernem Lande als ein seltenes Geschenk mitgebracht? Und unter welchem Namen ist er bekannt?' Perizâde erwiderte: ,O König der Könige, dies Wunder, genannt der singende Baum, wächst nicht in unserem Lande. Es würde zu lange währen, zu erzählen, woher und auf welche Weise ich ihn erlangt habe; so möge es für jetzt genügen, zu sagen, daß der Baum und das goldene Wasser und der sprechende Vogel alle zu ein und derselben Zeit



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von mir gefunden wurden. Geruhe nun deine Magd zu begleiten und diese dritte Seltenheit anzusehen, und wenn der Schâh von den Mühen und Beschwerden des Jagens geruht und gerastet hat, so soll die Geschichte dieser drei seltsamen Dinge der Zuflucht der Welt in aller Ausführlichkeit erzählt werden!' Darauf antwortete der König: ,Die Ermattung des Schahs ist schon durch den Anblick dieser Wunder gewichen; jetzt, auf zum sprechenden Vogel!' Nun führte die Prinzessin den König, und als sie ihm den sprechenden Vogel gezeigt hatte, kehrten sie in den Garten zurück, wo er nicht müde wurde, den Springbrunnen mit höchstem Erstaunen zu betrachten; und dann rief er aus: ,Wie kommt das? Keine Quelle, aus der all dies Wasser käme, ist dem Auge des Schâhs sichtbar, noch auch ein Kanal; es gibt auch kein Vorratsbecken, das groß genug wäre, um es zu fassen.' Sie sagte darauf: ,Du sprichst die Wahrheit, o König der Könige! Dieser Springbrunnen hat keine Quelle; er entspringt einem kleinen Marmorbecken, das ich mit einer einzigen Flasche des goldenen Wassers gefüllt habe. Aber durch die Kraft Allahs des Allmächtigen schwoll es an und nahm zu, bis es in dieser gewaltigen Garbe, die der Schâh sieht, emporschoß. Ferner, es spielt Tag und Nacht; und, seltsam zu sagen: das Wasser, das aus jener Höhe ins Becken zurückfällt, vermindert sich nicht, ja, nichts von ihm wird verschüttet oder geht verloren.' Darauf befahl der König, von Staunen und Bewunderung erfüllt, zu dem sprechenden Vogel zurückzukehren; und die Prinzessin führte ihn zu dem Gartenhause, aus dem er auf Tausende von Vögeln aller Art schauen konnte, die in den Bäumen sangen und die Luft mit ihren Liedern und Lobgesängen auf den Schöpfer erfüllten. Da fragte er seine Führerin: ,Liebe Herrin, woher kommen diese zahllosen Sänger, die zu jenem Baume



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fliegen und das Weltall erklingen lassen von ihren melodischen Stimmen, und setzen sich doch auf keinen anderen Baum?' ,O König der Könige,' erwiderte sie, ,alle werden von dem sprechenden Vogel angelockt und strömen hier zusammen, um seinen Gesang zu begleiten; und da sein Käfig am Fenster dieses Gartenhauses hängt, so setzen sie sich nun in den nächsten Baum, und hier kann man hören, wie er viel lieblicher singt als all die anderen, ja, sein Klagen klingt weit melodischer als das irgendeiner Nachtigall.' Und als der Schâh sich dem Käfig näherte und dem Singen des Vogels lauschte, rief die Prinzessin ihrem Gefangenen die Worte zu: ,He, mein gefiederter Sklave, bemerkst du nicht, daß die Zuflucht der Welt hier ist? Du erweist ihm ja nicht die schuldige Ehrerbietung und Huldigung!' Als der sprechende Vogel diese Worte vernahm, hielt er sofort mit seinem Gesang inne, und sogleich saßen auch alle die anderen Sänger in tiefem Schweigen da; denn sie waren ihrem Oberherrn treu ergeben, und keiner wagte mehr einen Ton von sich zugeben, wenn er verstummte. Darauf sprach der sprechende Vogel in menschlicher Rede die Worte: ,O großer König, möge Allah der Allmächtige dir in seiner Macht und Majestät Gesundheit und Glück gewähren!' Der Schâh erwiderte den Gruß, und der Sklave der Prinzessin Perizâde rief unaufhörlich Segenswünsche auf sein Haupt herab. Inzwischen waren die Tische in prächtigster Weise gedeckt, und die kostbarsten Speisen wurden der Gesellschaft dargeboten, die nach ihrer geziemenden Rangordnung dasaß; der Schâh aber wählte sich seinen Sitz dicht neben dem sprechenden Vogel, nahe bei dem Fenster, an dem der Käfig hing. Als darauf das Gericht der grünen Gurken ihm vorgesetzt ward, streckte er die Hand aus, um davon zu nehmen; aber er zog sie erstaunt zurück, als er sah, daß die Gurken, die in Reihen auf



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der Schüssel lagen, mit Perlen gefüllt waren, die auf beiden Enden heraussahen. Er fragte die Prinzessin und ihre Brüder: ,Was für ein Gericht ist dies? Es kann doch nicht zur Nahrung bestimmt sein; weshalb setzt man es also dem Schâh vor? Erklärt mir, ich befehle es euch, was dies bedeutet!' Sie konnten ihm keine Antwort geben, da sie nicht wußten, was sie erwidern sollten; und als alle schwiegen, hub an ihrer Statt der sprechende Vogel an: ,O größter König unseres Zeitalters, erachtest du es für sonderbar, ein Gericht von Gurken zu sehen. die mit Perlen gefüllt sind? Wieviel sonderbarer ist es, daß du nicht erstaunt warst zu hören, die Königin, deine Gemahlin habe, entgegen den Gesetzen der Weltordnung Allahs, solche Tiere geboren wie einen Hund und eine Katze und eine Moschusratte! Das hätte dich weit mehr wundern müssen: denn wer hat je davon gehört, daß eine Frau solchen Wesen wie diesen das Leben schenkte?' Da erwiderte der Schâh dem sprechenden Vogel: ,Alles, was du sagst, ist in der Tat richtig, und ich weiß, daß solche Dinge nicht dem Gesetze Allahs des Allmächtigen entsprechen; aber ich glaubte den Berichten der Wehmütter, der weisen Frauen, die um die Königin waren zu der Zeit, als sie niederkam; denn es waren keine Fremden, sondern ihre eigenen Schwestern, Kinder derselben Eltern wie sie. Was konnte ich denn anderes tun, als ihren Worten glauben?' ,O König, der Könige,' fuhr der sprechende Vogel fort, ,wahrlich, die Wahrheit in dieser Sache ist mir nicht verborgen. Wenn sie auch die Schwestern der Königin sind, so waren sie doch, als sie sahen, welche Gunst und Liebe der König ihrer jüngsten Schwester entgegenbrachte, von Zorn und Haß und Ärger erfüllt, weil sie neidisch und eifersüchtig waren. Deshalb sannen sie auf arge Listen wider sie, und schließlich gelang es ihren Tücken, deine Gedanken von ihr abzulenken



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und ihre Tugenden vor deinen Augen zu verbergen. Jetzt aber sollen ihre Bosheit und Falschheit dir offenbar gemacht werden; und wenn du einen weiteren Beweis verlangst, so laß sie kommen und befrage sie in dieser Sache! Sie können dir nichts davon verbergen und werden bekennen müssen und dich um Vergebung anflehen.' Dann fuhr der sprechende Vogel fort: ,Diese zwei königlichen Brüder, so schön und so stark, und diese liebliche Prinzessin, ihre Schwester, sind deine eigenen gesetzmäßigen Kinder, denen die Königin, deine Gemahlin, das Leben geschenkt hat. Die Wehmütter, deine Schwäherinnen, haben, in der Schwärze ihrer Herzen und ihrer Angesichter, die Kinder beiseite geschafft, sowie sie geboren waren; ja, jedesmal, wenn dir ein Kind geboren ward, haben sie es in ein Stück Decke gehüllt, in einen Korb gelegt und den in den Bach geworfen, der am Palaste vorbeifließt, in der Absicht, es eines dunklen Todes sterben zu lassen. Aber das Glück wollte es, daß der Aufseher deiner königlichen Gärten alle diese Körbe sah, wenn sie an seinen Ländereien vorbeischwammen. und die Kinder, die darin lagen, in seine Obhut nahm. Er ließ sie mit aller Sorgfalt nähren und aufziehen, und als sie emporwuchsen zu reiferem Alter, sorgte er dafür, daß sie in allen Künsten und Wissenschaften unterrichtet wurden; und solange sein Leben währte, behandelte er sie und erzog sie mit Liebe und Zärtlichkeit, als ob sie seine eigenen Kinder gewesen wären. Und jetzt, o Chusrau Schâh, erwache aus deinem Schlafe der Unwissenheit und Gedankenlosigkeit und wisse, daß diese beiden Prinzen Bahman und Parwez und ihre Schwester, die Prinzessin Perizâde, deine eigenen Kinder und deine rechtmäßigen Erben sind.' Als der König diese Worte gehört und die Gewißheit erlangt hatte, daß sie der Wahrheit entsprachen, und die Missetaten jener Teufelinnen, seiner Schwäherinnen,



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begriffen hatte, da sprach er: ,O Vogel, ich bin in der Tat von deiner Wahrhaftigkeit überzeugt; denn als ich diese Jünglinge zum ersten Male auf den Jagdgründen sah, da ward mein Innerstes in Liebe zu ihnen hingezogen, und mein Herz fühlte sich gezwungen, sie zu lieben, als ob sie meine eigenen Kinder wären. Sie sowohl 'wie ihre Schwester zogen meine Liebe zu sich hin, wie ein Magnet das Eisen anzieht; und die Stimme des Blutes schreit in mir und zwingt mich, das Band anzuerkennen und zu gestehen, daß sie meine echten Kinder sind, geboren aus dem Schoße meiner Königin, deren furchtbares Geschick ich vollstrecken mußte.' Dann wandte er sich zu den Prinzen und ihrer Schwester und sagte mit Tränen im Auge und mit gebrochener Stimme: ,Ihr seid meine Kinder, und hinfort sehet mich als euren Vater an!' Da eilten sie in lautem Jubel auf ihn zu, fielen ihm um den Hals und umarmten ihn. Dann setzten sie sich alle wieder zu Tische, und als sie gegessen hatten, sprach Chusrau Schâh zu ihnen: ,Liebe Kinder, ich muß euch jetzt verlassen, aber so Gott will, werde ich morgen wiederkommen und die Königin, eure Mutter, mitbringen.' Mit diesen Worten sagte er ihnen herzlich Lebewohl, bestieg sein Roß und ritt zu seinem Palaste; und kaum hatte er sich auf den Thron gesetzt, so berief er den Großwesir und gab ihm den Befehl: ,Sende sofort nach jenen gemeinen Weibern, den Schwestern meiner Königin, und lege sie in schwere Fesseln; denn ihre Missetaten sind endlich ans Licht gekommen, und sie verdienen, den Tod der Mörder zu sterben! Der Schwertträger soll sofort sein Schwert wetzen; denn die Erde dürstet nach ihrem Blute. Geh und sieh selber zu, daß sie ohne Zaudern und Zögern enthauptet werden; erwarte keinen weiteren Befehl, sondern gehorche auf der Stelle meinem Gebot!' Der Großwesir eilte sofort hinweg, und in seiner Gegenwart



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wurden die neidischen Schwestern enthauptet und erlitten so die gerechte Strafe für ihre Bosheit und ihre Übel taten. Zugleich aber ging Chusrau Schâh mit seinem Gefolge zu Fuß nach der Hauptmoschee, neben der die Königin so viele Jahre hindurch in bitterem Schmerz und Weh gefangen gehalten war, und mit eigener Hand führte er sie aus ihrem Käfig heraus und umarmte sie zärtlich. Und wie er dann ihren traurigen Zustand und ihre gramverzehrten Züge und ihre jämmerliche Kleidung sah, weinte er und rief: ,Allah der Allmächtige vergebe mir, daß ich so unrecht und ungerecht an dir gehandelt habe! Ich habe deine Schwestern, die tückisch und trügerisch meinen grimmen Zorn wider dich, du Unschuldige und Reine, erregt haben, hinrichten lassen, und sie haben die verdiente Vergeltung für ihre Missetaten empfangen.' So sprach der König freundlich und liebevoll zu seiner Gemahlin und erzählte ihr alles, was ihm begegnet war und was der sprechende Vogel ihm kundgetan hatte, indem er mit diesen Worten schloß: ,Komm jetzt mit mir in den Palast; dort wirst du deine beiden Söhne und deine Tochter sehen, die zu den lieblichsten Wesen herangewachsen sind! Eile mit mir und umarme sie und zieh sie an deine Brust; denn sie sind ja unsere Kinder, das Licht unserer Augen! Doch zuerst begib dich ins Bad und lege deine königlichen Gewänder und Juwelen an!' Derweilen aber hatte sich das Gerücht von diesen Ereignissen in der Stadt verbreitet: wie der König endlich der Königin die gebührende Gunst erwiesen und sie mit eigener Hand aus der Gefangenschaft befreit und sie um Vergebung gebeten habe für all das Unrecht, das er ihr angetan hatte; und wie es sich erwiesen habe, daß die Prinzen und die Prinzessin ihre echtbürtigen Kinder seien, und wie Chusrau Schâh ihre Schwestern, die sich wider sie verschworen hatten, bestraft habe. Da herrschte nun Freude und



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Fröhlichkeit in Stadt und Reich, und alles Volk segnete des Schahs Gemahlin und fluchte den Teufelinnen, ihren Schwestern. Am folgenden Tage, als die Königin sich im Bade gewaschen und ihre königlichen Gewänder und fürstlichen Juwelen angelegt hatte, ging sie mit dem König ihren Kindern entgegen; der führte ihr selbst die Prinzen Bahman und Parwez und die Prinzessin Perizâde zu und sprach: ,Siehe, hier sind deine Kinder, die Frucht deines Leibes und dein Herzblut. deine eigenen Söhne und deine eigene Tochter! Umarme sie mit aller Liebe einer Mutter und gewähre ihnen deine Huld und Liebe, wie ich es getan habe! Als du sie zur Welt brachtest, haben deine Unglücksschwestern sie dir fortgenommen und in jenen Bach geworfen und haben gesagt, du wärest zuerst von einem jungen Hund, dann von einem Kätzchen und zuletzt von einer Moschusratte entbunden. Ich kann mich nicht trösten, daß ich ihren Verleumdungen geglaubt habe, und die einzige Vergeltung, die ich dir zuteil werden lassen kann, ist die, daß ich diese drei, die du geboren hast, in deine Arme führe, sie, die Allah der Allmächtige uns zurückgegeben und würdig gemacht hat, unsere Kinder zu heißen.' Da fielen die Prinzen und die Prinzessin ihrer Mutter um den Hals und umarmten sie zärtlich, indem sie Fluten von Freudetränen vergossen. Darauf setzten sich der Schah und die Königin gemeinsam mit ihren Kindern zu Tische, und als sie die Mahlzeit beendet hatten, begab Chusrau Schâh sich mit seiner Gemahlin in den Garten, um ihr den singenden Baum und den Brunnen des goldenen Wassers zu zeigen, und die Königin ward durch sie von Staunen und Entzücken erfüllt. Dann wandten sie sich dem Gartenhause zu und besuchten den sprechenden Vogel, von dem der König zu ihr während des Mahles mit dem höchsten Lobe gesprochen hatte, und die Königin hatte ihre Freude



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an seiner süßen Stimme und seinem melodischen Gesange. Und als sie alle diese Dinge gesehen hatten, bestieg der König sein Roß, Prinz Bahman ritt zu seiner Rechten und Prinz Parwez zu seiner Linken, während die Königin die Prinzessin Perizâde zu sich in die Sänfte nahm, und so zogen sie nach dem Palaste. Wie nun der königliche Zug durch die Stadtmauern kam und in die Hauptstadt einzog unter fürstlichem Pomp und Gepränge, da drängten die Untertanen, die von der frohen Botschaft gehört hatten, sich in Scharen herbei, um ihren Einzug zu sehen, und sie erhoben laute Freudenrufe; und wie die Leute einst traurig gewesen waren, als sie die königliche Gemahlin in Gefangenschaft sahen, so freuten sie sich jetzt über die Maßen, sie wieder in Freiheit zu sehen. Vor allem aber staunten sie, wie sie den sprechenden Vogel erblickten; denn die Prinzessin trug den Käfig bei sich, und während sie dahinritten, umschwärmten sie von allen Seiten Tausende von süßstimmigen Sängern, die zum Geleite des Käfigs dahinflogen, und erfüllten die Luft mit wunderbaren Klängen; und Scharen von anderen Vögeln, die auf den Bäumen und auf den Häusern saßen, sangen und zwitscherten, als wollten sie den Käfig ihres Herrn begrüßen, der den königlichen Festzug begleitete. Und als sie den Palast erreicht hatten, setzten der Schâh und die Königin und ihre Kinder sich zu einem prächtigen Festmahle nieder; und die Stadt ward erleuchtet, und überall zeugten Tänze und Lustbarkeiten von der Freude der Untertanen; viele Tage lang dauerten fröhlichen Feste inder Hauptstadt und im Königreiche, wo jedermann froh und glücklich war und Gastmähler und Feiern in seinem Hause veranstaltete. Nach diesen Feierlichkeiten machte Chusrau Schâh seinen älteren Sohn Bahman zum Erben seines Thrones und seines Reiches und übertrug seinen Händen die Geschäfte des Staates in ihrer Gesamtheit;



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und der Prinz verwaltete die Geschäfte mit so viel Klugheit und Erfolg, daß die Größe und der Ruhm des Reiches auf das Zwiefache anwuchsen. Seinem jüngeren Sohne Parwez übertrug der Schah die Sorge für sein Heer, sowohl die Reiter wie das Fußvolk; und die Prinzessin Perizâde ward von ihrem Vater einem mächtigen König, der über ein gewaltiges Reich herrschte, zur Gemahlin gegeben; und schließlich vergaß die Königin-Mutter in reiner Freude und Glückseligkeit all die Qualen der Gefangenschaft. Hinfort schenkte das Schicksal ihnen allen die herrlichsten Tage, und sie führten das schönste Leben, bis zuletzt Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt, der die Schlösser vernichtet und die Gräber errichtet, Er, der Schnitter für den Auferstehungstag; da wurden sie, als wären sie nie gewesen.

Preis sei dem Herrn, der nicht stirbt und der keinen Schatten des Wandels kennt!

Ferner wird erzählt


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